Warum ich mich nicht als schwul bezeichne

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Warum ich mich nicht als schwul bezeichne
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Daniel C. Mattson

WARUM ICH MICH NICHT ALS SCHWUL BEZEICHNE

Wie ich meine sexuelle Identität entdeckte und Frieden fand

Vorwort zur deutschen Ausgabe von Gerhard Ludwig Kardinal Müller

Vorwort zur englischen Ausgabe von Robert Kardinal Sarah


Bibliografische Information: Deutsche Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Die Bibelzitate stammen aus der revidierten Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift

© Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart 2016.

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

WHY I DON’T CALL MYSELF GAY

How I Reclaimed My Sexual Reality and Found Peace

Cover by John Herreid

© 2017 by Ignatius Press, San Francisco

WARUM ICH MICH NICHT ALS SCHWUL BEZEICHNE

Wie ich meine sexuelle Identität entdeckte und Frieden fand

Daniel C. Mattson

Übersetzung: Dr. Willibrord Driever OSB

© Media Maria Verlag, Illertissen 2020

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-9479311-7-0

eISBN 978-3-9479317-9-8

www.media-maria.de

Für meine Paten Robert und Susan Cavera, deren Gebete mir halfen zurückzukehren.

»Es ist unbestritten, dass wir unserer Umgebung Achtung schulden. Zu bestimmten Zeiten sind wir verpflichtet, die Dinge gegenüber den Menschen, mit denen wir unser Leben teilen, beim Namen zu nennen und unsere Meinung darüber offen zu sagen.«

Thomas Merton, »Keiner ist eine Insel«

»In geschlechtlichen Dingen kommen die Menschen unausbalanciert zur Welt, fast könnte man sagen, die Menschen wären von Geburt an verrückt. Und sie gelangen kaum eher zur Gesundung, als sie zur Heiligkeit gelangen.«

G. K. Chesterton, »Der unsterbliche Mensch«

Jesus Christus hat gesagt: »Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.«

Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Seelsorge für homosexuelle Personen, 1. Oktober 1986

Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe von Gerhard Ludwig Kardinal Müller

Vorwort zur englischen Ausgabe von Robert Kardinal Sarah

Vorwort des Autors

Danksagung

Einführung von Pater Paul N. Check

Teil 1 Die Heimkehr des verlorenen Sohnes

Am Anfang

Christopher Street

Die Schule »Unbeflecktes Herz Mariens«

Die Scheune

Die Schule »John Barnes«

Der verwünschte Sportunterricht

Rock Hudson, Rambo und Aids

Pornografie: ein verdorbenes Liebesverhältnis

Es liegt an mir, oder nicht?

Die Stadt Flint in Michigan

Kelly

Der Ring

Unerwiderte Liebe

Verletzungen aus der Vergangenheit

Das »Courage«-Apostolat

Die Heimkehr des verlorenen Sohnes

Teil 2 Rückbesinnung auf die Realität

Rückbesinnung auf die sexuelle Realität

Rückbesinnung auf die Würde des Wortes

Warum ich mich nicht als schwul bezeichne

Die leeren Versprechungen des Coming-out

Teil 3 Wie man den Kampf besteht: das tägliche Ringen um Keuschheit

Jesus ist unsere Heiligkeit

Der Heiligen Weisheit und Beispiel

Wie man den Kampf besteht

Teil 4 Eine Auswahl: Reflexionen über den Katechismus, die Freundschaft und die Einsamkeit

Was bedeutet eigentlich »objektiv ungeordnet«?

Selbstlose Freundschaft

Versuchungen in der Freundschaft

Das Geschenk der Einsamkeit

Teil 5 Die wichtigsten Dinge

Demut und Großmut

Erinnerung an unser Geliebtsein

Schluss

Anmerkungen

Vorwort zur deutschen Ausgabe von Gerhard Ludwig Kardinal Müller

Zu Beginn möchte ich den Autor des Buches Warum ich mich nicht als schwul bezeichne (Why I Don’t Call Myself Gay) für seinen außerordentlichen Mut beglückwünschen. Denn es gehört Courage dazu, gegen die »pansexistische Internationale« die katholische Lehre vom Ursprung der Geschlechterdifferenz im Schöpferwillen Gottes zu vertreten. Wir werden sehen, dass Daniel Mattson einer radikal antichristlichen Anthropologie, die den Menschen auf sexuelle Lust reduziert, nicht nur widerspricht, sondern kenntnisreich und argumentativ deren Schwächen und verheerende Folgen aufzuzeigen vermag.

Ich möchte dem Autor aber auch danken für die Hilfe, die er Personen mit einer same-sex attraction leistet. In der gesetzlichen Anerkennung der sexuellen Beziehung von Personen des gleichen Geschlechtes als Ehe sieht er nicht das Gelingen der Revolution der Homosexual Liberation – einem Kultbuch von John Murphy (1971) –, sondern gerade das Scheitern der wahren Befreiung dieser Personen. Denn ihnen wird die Wahrheit über sich selbst vorenthalten, die allein frei macht. Die katholische Lehre mit ihrer klaren Unterscheidung der unverletzlichen Personwürde des Menschen und des richtigen oder falschen Verhaltens (behaviour) ist die wahre Anwältin des Menschen – sowohl in seinem Versagen als auch in seinem Bemühen um das Gute.

Das Buch beginnt biografisch und es behält die Perspektive persönlicher Betroffenheit bei auch in den folgenden Teilen, die den Leser in eine tiefe theologische und philosophische Reflexion hineinführen. Darin gibt es Parallelen zu den Bekenntnissen des hl. Augustinus, auf den er – bei einer erstaunlichen Kenntnis der Kirchenväter, des hl. Thomas von Aquin und anderer moraltheologischer und geistlicher Schriftsteller, ausdrücklich Bezug nimmt. Aber es hat nichts mit Selbstrechtfertigung zu tun oder einer Anklage anderer Menschen, der Gesellschaft oder gar der katholischen Kirche, die haftbar gemacht werden für die eigene Veranlagung und Situation.

Der Autor wahrt bei aller Offenheit doch die Diskretion und die Grenzen der Schamhaftigkeit, die – bei ähnlichen Büchern des Coming-out – die Leser leicht in die Rolle eines Voyeurs drängen. Zur Würde des Menschen, der nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen ist, gehört auch nach dem Sündenfall die Wahrung des Respektes vor dem anderen, der nicht zum Objekt der eigenen ungeordneten Sinnlichkeit und Leidenschaft erniedrigt werden darf. Das erotische Anschauen der Nacktheit ist der Intimität der ehelichen Liebe vorbehalten (vgl. Gen 1,27 f.).

 

Die Desintegration von Sexus und Eros wird durch die Erlösung überwunden. Besonders in der sakramentalen Ehe ist die innere Zuordnung von Sexus und Eros auf ihre Integration in der Agape geöffnet. Agape ist die Form von Liebe, die sich im Verschenken verwirklicht und darin auch ihren Ursprung in Gott offenbart, der die Liebe in seinem dreifaltigen Leben ist.

Dass Menschen sexuell von Personen desselben Geschlechtes angezogen werden, ist keine persönliche Sünde. Erst die freie Einwilligung in ein Verhalten, das dem heiligen und Heil bringenden Willen Gottes widerspricht, führt zur Schuld. Da das Vorhandensein einer Desorientierung der seelischen und körperlichen Antriebe keine Schuld ist, die wir vor Gott und den Menschen auf uns laden, darf sie auch nicht zu Schuldkomplexen führen. Mithilfe der Gnade und gutem Willen vermag der Mensch, das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Mit der Gnade Gottes ist die Keuschheit, d. h. die auf die Liebe hin geordnete Geschlechtlichkeit möglich sowohl in der Ehe als auch in Form der Enthaltsamkeit nicht verheirateter oder gottgeweihter Personen. Aber aufgrund der Erbsünde gibt es in allen Menschen eine ungeordnete Begehrlichkeit. Sie ist eine von der Vernunft schwer zu beherrschende Triebhaftigkeit, die sich der natürlichen Neigung zur hingebenden Liebe widersetzt. Diese Konkupiszenz bezieht sich nicht nur auf die sexuellen Triebe, sondern auf alle geistigen, seelischen und leiblichen Neigungen und Antriebe.

Wo der Mensch den ungeordneten Neigungen nachgibt und sich in ihnen verfängt, kann es auch zu einem Hass kommen auf Gott und auf seine Gebote, die uns der Sünde überführen. Erst durch die Erlösungsgnade werden wir neu geschaffen, wenn auch die Neigung zur Sünde im Getauften noch bleibt. Sie ist Neigung zur Sünde, aber nicht selbst Sünde, wie das Konzil von Trient erklärt. Sie dient nun als Medium der Prüfung und der tieferen Reifung im Glaubensgehorsam gegenüber Gott.

Durch die Erbsünde ist die menschliche Natur verletzt, aber nicht zerstört. Der Mensch ist aufgerufen, mit der Gnade der Rechtfertigung und der Erhöhung zur Gotteskindschaft und Gottesfreundschaft mitzuwirken. Mit dem Heiligen Geist können wir das Begehren des Fleisches, d. h. der desintegrierten geist-leiblichen und sozialen Natur und der Persönlichkeitsstruktur, besiegen. »Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit; gegen all das ist das Gesetz nicht. Die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt« (Gal 5,22–24).

Die Identität des Menschen ergibt sich aus seiner personalen Beziehung zu Gott, welcher der Garant unser Würde und Freiheit ist. Wir erkennen, dass Gott Ursprung und Ziel des Menschen ist. Der Sinn des Lebens kann nicht im sinnlichen Genuss, im Ausleben der Triebe, in der Befriedigung sexueller Lust bestehen, sondern nur im Suchen und Finden der Wahrheit und im Tun des Guten.

Deshalb wehrt sich der Autor zu Recht dagegen, wegen der sexuellen Anziehung durch Personen des eigenen Geschlechtes für eine Ideologie vereinnahmt zu werden, die aus dieser ungeordneten Neigung neben Mann und Frau eine dritte Kategorie von Menschen erfindet, nämlich den Gay. In der Gender-Ideologie erweitert man diese Kategorien ins Unendliche, indem man aus jeder Form von sexueller Vorliebe eine eigene geschlechtliche Identität konstruiert. Sich also als Gay zu identifizieren oder sich als solcher identifizieren zu lassen heißt, den ganzen Reichtum des Menschseins, die Entfaltung aller geistigen und künstlerischen Gaben, die Verantwortung für die Welt und die Transzendenzoffenheit mit der Berufung zum ewigen Leben nur auf eine sexuelle Attraktion durch Menschen des eigenen Geschlechtes zu reduzieren.

Diesem Menschenbild, das sich einer sozialen Konstruktion verdankt, steht die christliche Anthropologie entgegen, die sich an der geschaffenen Natur des Menschen und an der Offenbarung der Wahrheit und der Liebe Gottes orientiert. Indem man Begriffe wie Gay aus einer Kopfgeburt hervorgehen lässt, macht man die Normalität einer ehelichen Beziehung von Mann und Frau zu einer Variante der menschlichen Natur. Statt der Unterscheidung von Mann und Frau gibt es auf einmal zwei andere grundlegende Menschentypen: nämlich den homosexuellen und den heterosexuellen Menschen. Mit der Veränderung der Sprache, ihrer Begriffe und gedanklichen Kategorien verändert man die Wahrnehmung der Wirklichkeit, ohne sie in der Realität verändern zu können. Ein Mann bleibt ein Mann und eine Frau bleibt eine Frau – trotz der künstlichen, aber nicht realen »Geschlechtsumwandlung«. So wurde auch der Kampfbegriff der Homophobie erfunden, um jede Alternative zur Ideologie der Homo- und Gender-Bewegungen a priori zu diskreditieren. Menschen mit Problemen der sexuellen Desorientierung, die sich dieser Bewegung nicht anschließen, werden folgerichtig als Verräter geächtet.

Das ist das Wesen der Ideologie, dass sie eine falsche Wirklichkeit konstruiert und den Menschen zu ihrem Sklaven macht. Man muss nur an die brutale Rücksichtslosigkeit denken, mit der scheinbar liberale und sozialistische Regierungen westlicher Staaten diese Agenda durchpeitschen und die Gewissen der Andersdenkenden terrorisieren.

Es geht bei der globalen Auseinandersetzung nicht – wie beschwichtigend gesagt wird – nur um die Rechte von bisher verfolgten Minderheiten, sondern um den ursprünglichen Sinn und das letzte Ziel des menschlichen Daseins.

Was ist überhaupt die menschliche Natur? Was ist Sinn und Ziel der Ehe von Mann und Frau als Keimzelle der Kirche und der Gesellschaft und als Quelle ihres Glücks und Weg zur Vollkommenheit in Gott? Welche Berufung drückt sich aus in der Erkenntnis des Menschen als Person, wenn der Mensch die einzige Kreatur ist, die von Gott um ihrer selbst willen geschaffen ist, »die sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann« (GS 24)1 und die einzigartige Würde jedes einzelnen Menschen sowohl durch die Offenbarung wie auch durch die Vernunft erkannt wird? (DH 2)2. Kann der Mensch, obwohl er ein irdisches und weltliches Lebewesen ist, aufgrund der unendlichen Offenheit seines Geistes überhaupt im Irdischen und Vergänglichen seine Vollendung finden? Hat er deswegen nicht eine göttliche Berufung, die durch die Selbsttranszendenz seines Geistes in Vernunft und Freiheit in Gott ihre Erfüllung findet?

Das sind die Fragen, die uns auch heute wie zu jeder Zeit bewegen. Die Reduktion auf ein animalisches Wesen, die den Menschen um Gott betrügt und die Gesellschaft spaltet in Lügner und Belogene, bedeutet keinen Fortschritt in der Perfektion des Menschen, sondern erweist sich als ein enormes Defizit in der Anthropologie. Sie lässt den Menschen in Sinnlosigkeit und Verzweiflung zurück. Ihr geheimes Paradigma ist der Nihilismus.

Die Ruinen, die die Reduktion des Menschen auf ein Triebwesen zurücklässt, sind erschütternd: Abtreibung, verbrauchende Embryonenforschung, die unzähligen Menschen, die in ihrer ehelichen Treue verraten wurden, und die, die ihr Versprechen gebrochen haben, die vielen Kinder und Jugendlichen, die um die Geborgenheit ihres Zusammenlebens mit ihrem eigenen Vater und ihrer eigenen Mutter betrogen wurden, die verlogene Umdefinition der Ehe zur einer Sexkomplizenschaft, wenn sie ihrer fundamentalen Einheit von Mann und Frau in der fruchtbaren Liebe beraubt wird.

Die sogenannte sexuelle Revolution hat nicht – wie sie sich selbst beschönigend darstellt – die Menschen von einer rigorosen und prüden bürgerlichen Doppelmoral befreit. Sie ist vielmehr verantwortlich für die Desintegration von Sexus, Eros und Agape, die in der substanzialen Einheit von Seele und Leib grundgelegt sind.

Der Autor kann überzeugend erklären, warum ein Leben nach den Geboten Gottes, wie sie in der Lehre der Kirche erklärt werden, den Menschen nicht krank macht, sondern von innen heraus heilt und ihm Hoffnung und Sinn gibt, die über die Grenzen des nur Menschlichen hinausweisen. Die Gebote Gottes sind vom Menschen nicht im bloß formalen Gehorsam zu erfüllen, weil sie keine von außen auferlegten Normen sind. Sie sind vielmehr Ausdruck des Willens Gottes, der uns liebt und uns gerade darum von unserer Selbstbezogenheit heilen will. Nur in der Liebe zu Gott und zum Nächsten, den wir lieben sollen wie uns selbst, können alle Gebote Heil bringend erfüllt werden. »Denn darin besteht die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was aus Gott gezeugt ist, besiegt die Welt. Und das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube« (1 Joh 5,3–4).

In dem Personalausweis, den dein Schöpfer dir ausstellt, wird deine Identität nicht als Gay oder Ähnliches ausgegeben. Dort steht, wer du wirklich bist: Sohn und Freund Gottes.

Dies mit seiner Lebensgeschichte und einer tiefen philosophisch-theologischen Reflexion aufgezeigt zu haben, ist das Verdienst des Buches von Daniel C. Mattson und seiner Erklärung, warum er es sich verbittet, als Homosexueller bezeichnet zu werden.

Gerhard Ludwig Kardinal Müller

Vorwort zur englischen Ausgabe von Robert Kardinal Sarah

Geheiligt in der Wahrheit

Im Oktober 2015, zwei Tage bevor die Familiensynode begann, nahm ich an einer internationalen Konferenz an der St.-Thomas-Universität in Rom teil, die von Courage International, von Ignatius Press und vom Napa-Institut ausgerichtet wurde. Die Konferenz trug den Titel »Die Wahrheit in Liebe leben« und befasste sich mit der Pastoral für Männer und Frauen, die mit gleichgeschlechtlichen Neigungen leben. Ich habe einen Vortrag gehalten und danach Vorlesungen über christliche Anthropologie und die kirchlichen Normen für die Seelsorge gehört.

Dann hörte ich bei einer Podiumsdiskussion Zeugnisse, wie ich sie noch nie zuvor gehört hatte, von drei Männern und einer Frau mit gleichgeschlechtlichen Neigungen. Diese Zeugnisse berührten mich tief. Alle berichteten, wie sie zuvor ein homosexuelles Leben gelebt hatten, aber dann eine Umkehr des Herzens erlebt haben. Ihre Geschichten waren nicht sentimentaler Natur. Sie haben ihre Kämpfe nicht mit oberflächlicher oder unaufrichtiger Zurschaustellung von Frömmigkeit verbrämt. Im Gegenteil, sie haben ihre Herzen mit sichtlicher Demut und Tapferkeit auf ernsthafte und überzeugende Art vor der Zuhörerschaft geöffnet.

Ich habe erfahren, wie diese vier Personen gelitten haben, manchmal aufgrund von Begleitumständen, die sich ihrer Kontrolle entzogen hatten, manchmal aber auch aufgrund eigener Entscheidungen. Ich nahm die Einsamkeit, den Schmerz und die Traurigkeit wahr, die sie ertragen mussten, weil sie ein Leben geführt hatten, das ihrer wahren Identität als Gotteskinder entgegenstand.

Mit der Zeit wurde ihr Leid jedoch zum Anlass, die Gnade, den Herrn und die Schönheit der Lehre der Kirche kennenzulernen. Nur bei einem Lebensstil im Einklang mit der Lehre Christi war es ihnen möglich, den Frieden und die Freude zu erfahren, nach der sie immer gesucht hatten. Sie begegnen auch immer noch dem Kreuz. Ihr Leben ist weder einfach noch frei von Traurigkeit. Aber jetzt erleben sie mithilfe der Kirche die Wahrheit des Evangeliums und den Frieden, der daraus hervorgeht – in den Sakramenten und im Gebet, in reiner christlicher Freundschaft und in der Hoffnung auf den gekreuzigten und auferstandenen Erlöser.

Oft werden wir von Bischöfen und Priestern darauf hingewiesen, dass der Katechismus festschreibt, dass Männer und Frauen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen mit »Achtung, Mitleid und Takt« behandelt werden müssen; »für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar« (KKK, 2358). Für mich haben diese vier Sprecher dem Thema der Homosexualität ein Gesicht gegeben, sodass ich noch besser die Weisheit der Kirche bezeugen kann, wenn ich diese wertvollen Worte des Katechismus zu Gehör bringe.

Schon in ihrer mütterlichen Liebe und Weisheit weist die Kirche im Katechismus auf einige weitere, die Homosexualität betreffende Aspekte hin, welche einige Mitglieder des Klerus nicht gelten lassen wollen, eingeschlossen die klare Warnung: »Sie [die homosexuellen Handlungen] sind in keinem Fall zu billigen« (KKK, 2357). Achtung, Mitleid und Takt, wozu der Katechismus zu Recht aufruft, erlauben uns nicht, Männer und Frauen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen der Fülle des Evangeliums zu berauben. Die »harten Worte« Christi und seiner Kirche wegzulassen, ist keine Nächstenliebe. Im Gegenteil, es ist ein schlechter Dienst, den wir dem Herrn und jenen erweisen, die als sein Ebenbild und ihm gleich geschaffen und durch sein kostbares Blut erlöst sind. Wir können nicht mitfühlender oder erbarmungsvoller sein als Jesus der Frau gegenüber, die beim Ehebruch ertappt worden war; Jesus sagte ihr zwei gleichbedeutend wichtige Dinge: »Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!« (Joh 8,11).

 

Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen »sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen« (KKK, 2358). Sie »sind zur Keuschheit gerufen«, und wir werten sie ab, wenn wir denken, sie könnten diese Tugend nicht erreichen, eine Tugend, die für alle Jünger gilt. Wie alle Mitglieder der Kirche »können und sollen sie sich Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern«, wozu alle Getauften berufen sind (KKK, 2359). Diese Worte des Katechismus gelten für alle gleichermaßen, weil sie wahrhaft seelsorgerliche Nächstenliebe ausdrücken. Sie laden uns ein, als Glieder des Leibes Christi unseren Brüdern und Schwestern mit gleichgeschlechtlichen Neigungen beizustehen, die auf dem Weg sind, die christliche Vollkommenheit zu erreichen, zu der der Herr alle seine Kinder aufruft. Jesus verlangt nichts Unmögliches von uns oder etwas, für das er uns nicht seine Gnade geben würde. Die Kirche ist die Quelle dieser Gnade.

Die Kirche sieht sich heutzutage vielen Herausforderungen und Gefahren gegenüber. Aus diesem Grund ist die Einheit, für die der Herr so eindringlich gebetet hat (vgl. Joh 17,21), ein Muss, besonders für den Klerus. Jesus betete dafür, dass seine Priester »in der Wahrheit« geheiligt seien (Joh 17,17). Wir können nur heilig sein und andere zur Heiligkeit führen in dem Maß, in dem wir selbst »in der Wahrheit geheiligt sind« (Joh 17,19).

Ich möchte viele dazu ermutigen, das folgende Zeugnis zu lesen, welches, wie die vier anderen Zeugnisse, die mich innerlich bereichert haben, die Barmherzigkeit und Güte Gottes bezeugt, die Wirksamkeit seiner Gnade und die Wahrhaftigkeit der Lehre der Kirche.

Stimmen wie diese werden in der Diskussion um die seelsorgerliche Praxis für Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen selten gehört. Ich ermutige besonders meine Mitbrüder, die Bischöfe und Priester, dieses Buch zu lesen, von dem ich hoffe, dass es ihre Überzeugung bestärkt, dass die Weisheit der Kirche in diesem schwierigen und empfindlichen Bereich wahrhafte Liebe und echtes Mitgefühl zum Ausdruck bringt.

»Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage«, sagte Jesus (Joh 15,14). Nur Christus kann die Wunden der Sünde und der Trennung heilen. Nur die Kirche hat Antworten auf die tiefgründigsten Fragen des Menschen und auf seine innersten Bedürfnisse nach Liebe und Freundschaft. Nur die Fülle des Evangeliums kann das menschliche Herz zufriedenstellen. Nur die Gebote weisen den Weg zu einer Freundschaft mit Christus und untereinander, denn »seine Gebote [sind] nicht schwer« (1 Joh 5,3).

Robert Kardinal Sarah 13. Mai 2017, Gedenktag Unserer Lieben Frau von Fatima