Vom Fleisch fallen.

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Inhalt

Corinna Schirmer Vom Fleisch fallen Das Ende einer Essgewohnheit

Die Autorin

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Corinna Schirmer

Vom Fleisch fallen

Das Ende einer Essgewohnheit

Im Oktober 2020 beriet das EU-Parlament über einen Gesetzesentwurf, der die Benennung von vegetabilischen Produkten regeln sollte. Ziel des Entwurfs sollte sein, die sprachliche Nähe zwischen pflanzlichen und fleischlichen Produkten zu regulieren beziehungsweise sie klar voneinander abzugrenzen. Mit anderen Worten: Veggie-Burger, vegetarische Wurst und Co. sollten künftig andere Namen bekommen. Vorbild für diesen Gesetzesentwurf war eine EU-Verordnung, die die Benennung von Milchprodukten beziehungsweise von Produkten, deren Namensgebung an originäre Tiermilchprodukte erinnern könnte, mit folgender Regelung unterbindet: »Der Ausdruck ›Milch‹ ist ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug, vorbehalten.« 1 Das EU-Parlament entschied – entgegen der Entscheidung aus dem Jahre 2013 zum Thema »Milch« – bei der Benennung von sogenannten Fleischersatzprodukten jedoch dahin gehend, dass eine Regulierung seitens der EU nicht vorzunehmen sei: »Die Abgeordneten lehnten alle Vorschläge ab, sich auf Fleisch beziehende Bezeichnungen für fleischhaltige Produkte zu reservieren. Für Produkte auf pflanzlicher Basis und die Namen, die sie derzeit beim Verkauf verwenden, wird sich nichts ändern.« 2

Die Entscheidung mutet wie ein Erfolg für derzeitige Vermarktungsstrategien fleischloser Steaks, Frikadellen und diverser Äquivalente an. Und dient gleichzeitig zur Dokumentation eines Höhepunkts zwangloser vegetabilischer Ernährung: Seit einigen Jahren erobern Fleischersatzprodukte die Supermarktregale. Sie gehören – teils als Lifestyle-Produkte – zu einer (vermeintlich) umweltbewussten, ethisch-moralisch geprägten Ernährungsweise, die im Zuge fortschreitender Globalisierung, Diskussionen um Klimawandel und Erderwärmung sowie prekärer Tierhaltungsbedingungen zunehmend an Unterstützung gewinnt. Befindet sich das Fleisch als Nahrungsmittel also in der Krise?

Vegetabilische Ernährung – eine Erfindung des 21. Jahrhunderts?

Im Zuge dieser aktuell omnipräsent erscheinenden Diskussion und der insbesondere im Lebensmittelhandel, in Restaurantküchen und heimischen Kühlschränken stattfindenden Aushandlung um fleischliche oder fleischlose Kost könnte der Eindruck entstehen, dass eine vegetabilische Ernährung eine Erfindung des 21. Jahrhunderts sei. Gemeint ist damit eine fleischlose Ernährungsweise, die auf dem bewussten Fleischverzicht beruht und nicht auf möglichen Versorgungsengpässen mit tierischen Produkten. Diese Form der Enthaltsamkeit ist schon wesentlich älter, als heutige Diskurse vermuten lassen: So ist schon in der griechischen Antike karnivore Abstinenz ein Thema, das den Ernährungsalltag insbesondere gut situierter Personen mitbestimmt.

Auf dem europäischen Festland ist der bewusste Fleischverzicht schon seit mehreren Jahrhunderten vor allem Teil verschiedener Bewegungen, die sich mit einem gesunden Lebensstil auseinandersetzen und diesen auch mittels spezifischer Ernährungsweisen in ihrem Alltag umzusetzen versuchen. En vogue ist eine pflanzliche Ernährung dabei insbesondere in diversen Religionen, denn Fastenvorschriften beziehen oftmals den Fleischkonsum mit ein. Trotz teils raffinierter Umgehungsversuche dieser Speisevorschriften – sind beispielsweise Maultaschen doch ein bis heute beliebtes Gericht der schwäbischen Küche, das seinen fleischlichen Inhalt optisch gut verbirgt und nicht umsonst den Namen »Herrgottsbscheißerle« trägt – bestimm(t)en sie letzten Endes, ob und wann welches Fleisch gegessen oder nicht konsumiert werden darf. Daneben entwickelten sich auch nicht religiöse Fleischverzichtsbewegungen, die insbesondere im 19. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt erreichten und deren Akteure sich sogar in eigens dafür gegründeten Verbänden zusammenschlossen.

Schlussendlich aber ist der bewusste Fleischverzicht ein Privileg – er beruht auf dem Luxus, dass Fleisch, wenn es auf dem Speiseplan gewollt wäre, als Teil der Nahrung zur Verfügung stünde, und es dennoch nicht in die Ernährung mit eingebunden ist. Dabei ist Fleisch ein Bestandteil der Ernährung, der den Menschen schon seit seiner Ur- und Frühgeschichte begleitet.

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