Das - unerwünschte - Jagdverhalten des Hundes

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Das - unerwünschte - Jagdverhalten des Hundes
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CLARISSA V. REINHARDT

DAS

UNERWÜNSCHTE

JAGDVERHALTEN

DES HUNDES



© 2005 Clarissa v. Reinhardt/animal learn Verlag, Bernau

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

ISBN 978-3-936188-23-3

Lektorat: Andrea Clages

Fotos: Annette Gevatter, Anja Birke-Haardt,

Ulrike Hasenmaier-Reimer, Anne Lill Kvam,

Birgit Neumark, Gudrun Hundertmark,

Konrad Dolderer, M. Rohlf,

Dagmar Spörl, istockphoto

Illustrationen: Jürgen Zimmermann

Satz & Layout: Annette Gevatter, Riegel a. K.

animal learn Verlag, Am Anger 36, 83233 Bernau

email: animal.learn@t-online.de, www.animal-learn.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net


INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

EINLEITUNG

• Die Handlungskette

• Das Töten/ Tötungsstrategien

• Selbstbelohnende Handlung

• Rassedispositionen

• Die Körpersprache/ das Ausdrucksverhalten des Hundes

• Die Sinne im Einsatz

DAS TRAINING

Grundlagen zum Training

• Die eigene Körpersprache

• Der richtige Einsatz der Stimme

• Die Motivation zum Jagen steht im Zusammenhang mit dem Appetenzverhalten

• Agieren statt reagieren

• Futterbelohnung

• Das Einbringen von Ablenkungsreizen

Kommunikatives Spazierengehen als Schlüssel zum Trainingserfolg

• Blickkontakte, Berührungen

• Gemeinsame Aktionen und Spielaufforderungen

• Einen Würstchenbaum finden

• Die Sandkiste

• Konzentrationsübungen für den Hundeführer

• Wann und wo spazieren gehen?

• Lernen Sie, die Umgebung aufmerksam zu beobachten

• Sie finden etwas!

• Der Hund findet etwas/ Beuteabgabe

Kommandos

• Ruhekommandos, Bewegungskommandos

• Abrufübungen

• „Zu mir“ – Herankommen mit Vorsitzen

• „Schau mal her“ – Herankommen ohne Vorsitzen

• „psssss“ – das kleine Geräusch

• Das Ausrichten

• Freifolge mit Richtungswechsel über „weiter“

• Kommentarloser Richtungswechsel – einfach mal umdrehen

• „Kehr um“

• „Auf den Weg“

• „Laaangsam“

• „Bleib“

• „Sitz“ auf Entfernung

• Selbstständiges Absitzen beim Anblick von Beute

• Fehlerquellen im Training...

Hilfsmittel im Training

• Die Leine

• Die Schleppleine

• Nasenarbeit – wird dann nicht alles noch viel schlimmer?

• ...und dann lassen Sie Ihren Hund noch lernen, balancieren und Probleme lösen

TRAININGSMETHODEN UND IHRE GRENZEN

• Reizstromgeräte

• Schwer bepackte Satteltaschen

• Schleppleine am Hund, an der ein großer schwerer Autoreifen hängt

• Master plus

• Lebenslänglich (Leine/ Schleppleine)

• Versteckspiele

• Dauerbeschäftigung

• Auslastung auf der Rennbahn

• Löschen/ Extinktion

• Gewöhnung

• Vermeidungstaktik

• Der Einsatz von Lithiumsalzen

• Das „Opfer“ wehrt sich

• Der Schuss mit dem Luftgewehr

GEDANKEN ZUM SCHLUSS

DANK

ÜBER DIE AUTORIN

LITERATURHINWEISE


VORWORT

Das Jagdverhalten unserer Haushunde ist zwar in der Regel von uns unerwünscht – daher auch der Titel dieses Buches – aber dennoch in seiner Komplexität faszinierend. Es wird durch Verhaltensweisen bestimmt, die

 genetisch fixiert sind und im Laufe der Ontogenese abgerufen werden,

 von der Natur gegebene Instinkte wachrufen,

 durch Nachahmung erlernt und

 durch Stimmungsübertragung beeinflusst werden,

 häufig, aber wiederum nicht immer, an das Appetenzverhalten gekoppelt sind,

 der Übung bedürfen und

 schließlich auch mit individuellem Talent zu tun haben.


Auch wenn mir vollkommen klar ist, dass wir unseren Haushunden das Ausleben dieser Verhaltensweisen nicht erlauben können, finde ich es doch unglaublich interessant, mit welchen Fähigkeiten sie ausgestattet sind. Ihre Nasenleistung ist legendär, aber auch die anderen Sinne werden genutzt, um Beute aufzuspüren. Dann wird in Sekundenschnelle eine Strategie entwickelt und verfolgt, die dann letztendlich zum gewünschten Jagderfolg führt. Oder auch nicht, wenn das Beutetier entkommt, was den Hund aber nicht gleich aufgeben lässt.

 

Wenn wir ein geeignetes Trainingskonzept erstellen und erarbeiten wollen, um Hunde unterschiedlichster Veranlagung von diesem Verhalten abzuhalten, müssen wir sie zunächst wirklich verstehen. Wir müssen uns mit der Evolution der Kaniden, ihrem Wesen, ihrem Beuteverhalten, dem Einsatz ihrer Sinne, ihrem Ausdrucksverhalten, mit Rassekunde und vielem mehr auskennen, um im richtigen Augenblick korrigierend einzugreifen.

Dieses korrigierende Eingreifen darf niemals von Gewalt bestimmt sein. Das ist für mich nur in zweiter Linie eine Frage von Wirksamkeit oder eben Nicht-Wirksamkeit von aversiven Ausbildungsmethoden, auf die ich detailliert in dem Kapitel „Trainingsmethoden und ihre Grenzen“ eingehe. In erster Linie ist es für mich eine Frage der Fairness und Moral. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir einfach nicht das Recht haben, ein Tier für instinktgesteuertes, in evolutionären Prozessen genetisch fixiertes Verhalten zu strafen.

Stattdessen möchte ich Sie mit diesem Buch einladen, sich mit einem faszinierenden, komplexen, aber eben doch auch beeinflussbaren Verhalten unserer Haushunde zu beschäftigen und ein Trainingsprogramm kennen zu lernen, das vollständig auf den Einsatz von aversiven Reizen verzichtet, die Bindung zwischen Ihnen und Ihrem Hund stärkt und Ihnen beiden jede Menge Spaß macht.



Wie schon erwähnt, wird das Jagdverhalten von vielen Verhaltensweisen beeinflusst, viele davon sind genetisch fixiert und werden im Laufe der Ontogenese abgerufen. In der Regel geschieht dies dadurch, dass der Hund Reize wahrnimmt, die das entsprechende Verhalten auslösen. Bei diesen Auslösereizen handelt es sich immer um Dinge, die irgendwie in Bewegung sind, wie zum Beispiel ein vorbeifliegender Schmetterling, ein aufspringender Hase, ein vorbeilaufender Jogger oder auch nur ein Blatt, das vom Wind herumgewirbelt wird. All diese Dinge sind für den Hund weitgehend uninteressant, solange sie sich ruhig verhalten, also nicht loslaufen, rennen usw. Tun sie dies aber, reagiert er instinktiv, indem er ihnen hinterherläuft und versucht, sie zu fangen.

Deshalb benutzen Jäger, die ihre Hunde als Jagdhelfer ausbilden wollen, schon im Welpenalter die so genannte Reizangel. Das ist ein langer Stock, an dem an einem Bindfaden ein Stück Feder oder Fell eines Beutetieres hängt. Das wird an der Reizangel so vor dem Hund hin- und herbewegt, dass dieser sich dafür interessiert. Es entsteht ein „Spiel“, während dessen der Gegenstand hochgezogen wird, wieder niederfällt, seitlich ausbricht, davonspringt usw. Der Hund versucht, ihn zu fangen, und gelingt ihm das, wird er gelobt und belohnt.

Haben Sie aber einen Hund, der nicht jagdlich geführt werden soll, sollten Sie genau das tunlichst unterlassen. Das gilt aber nicht nur für eine Reizangel mit einem Stück Fell oder Leder daran, denn einen ganz ähnlichen Effekt erreichen Sie, wenn Sie dem Hund permanent einen Ball oder ein Stöckchen werfen, dem er nachjagt. Er lernt, der „fliehenden“ Beute hinterherzulaufen. Ich achte deshalb immer peinlich genau darauf, dass die bei mir im Training befindlichen Welpen und Junghunde nicht diese Art von Spiel spielen. Dies gilt insbesondere, wenn sie von der Rasse oder Mischung her schon beste Voraussetzungen für ein ausgeprägtes Jagdverhalten mitbringen. Es ist kein Problem, wenn der Hund mit Gegenständen spielt, sie herumträgt, sich selbst in die Luft wirft und wieder fängt und schließlich auf ihnen einschläft. Aber Beutespiele, bei denen der Hund übermäßig auf den Gegenstand fixiert wird, ihm nachjagt und sich dabei stimmungsmäßig aufheizt, sollten Sie stark begrenzen oder am besten ganz weglassen.



DAS ARBEITEN MIT DER REIZANGEL IST NUR DANN SINNVOLL, WENN DER HUND (WIE DIESER DEUTSCH-DRAHTHAAR-RÜDE) SPÄTER JAGDLICH GEFÜHRT WERDEN SOLL.

Auch andere Verhaltensweisen, die erst viel später mit Ernstbezug gezeigt werden, werden bereits in der Welpenzeit – und zwar schon ab der 6. Lebenswoche – spielerisch ausprobiert und perfektioniert.

Hierzu gehören

 das Belauern/ Anschleichen,

 das Fixieren,

 der „Überfall“,

 das Beißschütteln,

 das Wegtragen und Bewachen der Beute.

Der junge Hund lernt aber nicht nur durch eigenständiges Ausprobieren, sondern auch durch Nachahmung von Verhaltensweisen, die er bei seiner Mutter oder anderen erwachsenen Tieren sieht. Deshalb sollten Sie besonders in der Welpen- und Junghundezeit sehr genau darauf achten, dass Ihr junger Hund nicht von einem älteren gezeigt bekommt „wo der Hase lang läuft“ – im wahrsten Sinne des Wortes. Selbst wenn Ihr Hund bisher noch nie irgendein Interesse am Wildern gezeigt hat, ja vielleicht sogar gar nicht oder kaum auf Beutetiere reagierte, selbst wenn diese direkt vor seiner Nase hochgingen, dürfen Sie die Gefahr der Stimmungsübertragung nicht unterschätzen. Haben Sie einen Hund in Begleitung, der Spurlaut gebend losprescht, wird der Ihre mit großer Wahrscheinlichkeit mitrennen. Falls dies nicht so ist, haben Sie einfach großes Glück, das Sie hoffentlich zu schätzen wissen.

In freier Natur bringt die Hunde- oder Wolfsmutter den Welpen getötete Beutetiere oder größere Stücke von ihnen, an denen sie üben können, wie sie ihre Pfoten und Zähne am geschicktesten einsetzen, um sie zu halten und zu fressen. Später bringt sie auch lebendige Beute, die durchaus noch in der Lage ist, Fluchtversuche zu unternehmen, um den Welpen „Trainingsmaterial“ zu verschaffen. Das mag aus unserer Sicht grausam erscheinen, ist aber für das Überleben in freier Wildbahn enorm wichtig. Ein Hund (oder Wolf), der nicht gelernt hat, Beute zu fangen, zu halten und auch zu töten, wäre nicht überlebensfähig.






Vor ein paar Jahren kamen Kunden zu mir, die einen Hund mit besonderer Vorgeschichte übernommen hatten. Er hatte bis zum Alter von sechs Monaten in einem echten Rudel mit seinen Eltern und Geschwistern gelebt und auch mit ihnen gejagt, und zwar erfolgreich! Die ganze Hundefamilie verschwand stunden- oder auch tagelang in den Tiefen des Bayerischen Waldes und kam anschließend blutverschmiert, zufrieden und satt nach Hause zurück. Die Besitzer fanden es einfach aufregend, echtes Rudelverhalten zu beobachten und ließen ihnen deshalb alle Freiheiten. Natürlich blieben die Tiere auf ihren Streifzügen nicht unbemerkt, und es gab ganz erhebliche Probleme mit der Jägerschaft, die mit dem Abschuss der Hunde drohte. Nachdem sich die Besitzer wenig einsichtig zeigten, veranlasste der Amtsveterinär eine Beschlagnahme aller Tiere, die zunächst in einem Tierheim untergebracht und dann vermittelt wurden. So kamen meine Kunden zu einem dieser Hunde. Leider wurde ihnen bei der Vermittlung aber nicht gesagt, mit welch ausgeprägtem Jagdverhalten sie bei ihm zu rechnen hatten. Es war – vorsichtig ausgedrückt – eine Katastrophe. Der Hund war insgesamt sehr nett und freundlich und Menschen auch durchaus zugetan, denn er war ja nicht nur in der Wildnis aufgewachsen, sondern hatte von klein auf Kontakt mit ihnen gehabt. Auch im Ortsbereich war er noch recht gut zu führen und befolgte einfache Kommandos selbst bei hoher Ablenkung problemlos. Allerdings nur, solange es sich bei der Ablenkung nicht um Beute handelte. Kam er schließlich raus in die Natur, war womöglich noch ein Wald in der Nähe, war es vorbei mit Leinenführigkeit und Grundgehorsam. Er war die ganze Zeit auf Spurensuche, das kleinste Knacken im Unterholz versetzte ihn in Alarmbereitschaft, sichtete er ein noch so kleines Tier wie zum Beispiel ein Eichhörnchen, war er nicht mehr ansprechbar. Er jaulte auf, schrie regelrecht, sprang mit seinen 40 kg Körpergewicht in die Leine, stieg auf die Hinterbeine wie ein Pferd und war außer Rand und Band. Inzwischen ist er zehn Jahre alt und wird allmählich ruhiger. Ihn zu führen, ist aber nach wie vor keine leichte Aufgabe.

Kommen wir zurück zum Lernen durch Nachahmung. Wenn die Welpen etwa vier Wochen alt sind, beginnt das Muttertier, ihnen Verhaltensweisen vorzumachen. Zum Beispiel, indem sie sich mit einem Knochen vor ihnen hinlegt und diesen ausgiebig benagt. Schließlich steht sie auf und entfernt sich, lässt den Knochen aber liegen. Die Welpen, die sie zuvor beobachtet haben, versuchen nun, es ihr gleich zu tun. Durch Versuch und Irrtum (ein weiteres Lernprinzip) finden sie heraus, wie man den Knochen am besten benagt, und perfektionieren die Technik hierzu von Mal zu Mal.

Ähnlich verhält es sich beim Anpirschen und Belauern der Beute. Wenn aus den Welpen Jungtiere geworden sind, begleiten sie die Alten bei der Jagd. Wieder lernen sie durch vorheriges Zusehen und anschließende Nachahmung, durch Ausprobieren und Perfektionieren – und von Mal zu Mal werden sie besser.

Auch individuelles Talent spielt eine Rolle. Übrigens nicht nur in freier Wildbahn, sondern auch bei unseren Haushunden. Während der eine Hund sehr gut darin ist, gefundene Spuren ausdauernd zu verfolgen, ist ein anderer vielleicht weniger talentiert. Ein Jäger wird sich über ersteren freuen, ein ganz normaler Hundebesitzer über zweiteren...


DIE HANDLUNGSKETTE

Das Jagdverhalten besteht aus einer ganzen Kette von Verhaltensweisen. Zunächst muss Beute ausfindig gemacht werden, was wenige Minuten oder auch Stunden oder sogar Tage dauern kann. Das ist abhängig von der Größe des Jagdgebietes, der Populationsdichte der potentiellen Beutetiere, der Jahreszeit und Witterung und vielen weiteren Faktoren. Befindet sich schließlich Beute in unmittelbarer Nähe, wird die Orientierungshaltung eingenommen, bis schließlich Blickkontakt zu ihr hergestellt ist. Als Nächstes folgt das Anpirschen und, falls im Rudel ein großes Beutetier erlegt werden soll, das Einkreisen. Auch dieser Vorgang kann unter Umständen sehr lange dauern. Im Winter besteht eine Jagdstrategie von Wölfen darin, ein großes Beutetier wie einen Elch oder Bison ins Wasser zu treiben und stunden- oder tagelang nicht herauszulassen, bis das Tier so unterkühlt und erschöpft ist, dass es sich bei einem Angriff kaum noch wehren kann. Schließlich folgt der Teil der Handlungskette, der mit hohem Energieaufwand verbunden ist: das Hetzen der Beute, bis sie erreicht ist, um dann anzugreifen, sie zu packen und schließlich zu töten. Darauf folgt das Zerlegen und Konsumieren, ist die Beute groß genug, werden auch Stücke weggetragen und zur Vorratshaltung vergraben.

 

ÜBERSICHT DER HANDLUNGSKETTE

 AUFFINDEN DER BEUTE

 ORIENTIERUNGSHALTUNG

 BLICKKONTAKT ZUR BEUTE

 DAS ANPIRSCHEN/ EINKREISEN

 HETZEN/ SCHEUCHEN

 DER ANGRIFF (ZUPACKEN)

 TÖTEN

 ZERLEGEN

 KONSUMIEREN UND/ ODER WEGTRAGEN UND VERGRABEN (VORRATSHALTUNG)



DAS TÖTEN/ TÖTUNGSSTRATEGIEN

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein Beutetier zu töten. Für welche sich ein Hund oder Wolf entscheidet, hängt auch von seiner Größe ab.

KLEINE BEUTETIERE wie zum Beispiel Mäuse, Maulwürfe usw. werden durch den so genannten Mäusesprung getötet. Dabei springt der Hund oder Wolf mit Schwung von oben auf die Beute und bricht ihr dabei in der Regel das Genick oder die Wirbelsäule. Dann wird sie mit den Vorderläufen gehalten, in den Fang gesteckt und gefressen.

MITTELGROSSE BEUTETIERE wie zum Beispiel Hasen werden von oben im Genick gepackt und geschüttelt, auch hier tritt der Tod durch Genickbruch ein.

GROSSE BEUTETIERE wie zum Beispiel Elche, Hirsche usw. sind nur durch gemeinschaftliches Jagen im Rudel oder in der Gruppe zu töten. Die hierzu erforderlichen Jagdstrategien sind bei unseren Haushunden nur noch ansatzweise zu finden. Obgleich man sich manchmal wundert, mit welcher Präzision plötzlich mehrere Hunde instinktiv eine Links- und Rechtsflanke bilden, ein Beutetier einkreisen, Blickkontakt aufnehmen und dann synchron zum Angriff übergehen. Meistens fehlt ihnen hierfür, und insbesondere für das Ausführen der Endhandlung, nämlich des Zupackens und Tötens, aber die Erfahrung.



Mir wird häufig von Hunden berichtet, die ein Reh, einen Hasen oder das Meerschweinchen des Nachbarn gehetzt haben und schließlich nichts mit dem Tier anzufangen wussten, wenn sie es irgendwo in die Enge getrieben hatten. Aber verlassen kann man sich darauf natürlich nicht. Abgesehen davon, dass schon das Gehetztwerden einen ganz enormen Stress und große Angst beim gejagten Tier auslöst, was man niemals erlauben sollte. Im Sinne des Tierschutzes finde ich es immer sehr ärgerlich, wenn jemand seinen Hund einem Reh, einem Hasen oder einer Katze hinterherlaufen lässt und dies mit den Worten abtut: „Der kriegt’s ja eh’ nicht...“

SELBSTBELOHNENDE HANDLUNG

Hierbei ist auch wichtig zu bedenken, dass nicht nur das Erlegen, sondern auch schon das Hetzen der Beute zu den so genannten selbstbelohnenden Handlungen zählt. Mit anderen Worten: Solange man einem Hund erlaubt, den Tieren hinterherzujagen, wenn die Situation ungefährlich erscheint, wird man sein Verhalten niemals unter Kontrolle bringen, wenn man glaubt, heute solle es mal lieber nicht sein, weil der Jäger in der Nähe ist oder eine Straße zwischen dem Hund und dem Beutetier liegt. Die Adrenalinausschüttung während des Hetzens sorgt dafür, dass schon dieses Hetzen allein selbstbelohnend für den Hund ist, selbst wenn er die Beute gar nicht erreicht.

Deshalb ist das Jagen zwar auch abhängig vom Appetenzverhalten, aber nicht nur. Natürlich ist ein Hund, der wirklich hungrig ist, eher bereit, sich nach Beute umzuschauen, als einer, der zufrieden und satt in der Sonne liegt. Trotzdem werden Sie gut genährte, soeben gefütterte Hunde sehen, die ekstatisch einer Beute nachlaufen – weil eben schon das Hetzen an sich „den Kick“ gibt.

RASSEDISPOSITIONEN

Natürlich würde es den Rahmen dieses Buches sprengen, alle Rassen und ihre jeweiligen Eigenschaften vorzustellen. Ich möchte hier nur einige wichtige Punkte in Kurzform zusammenfassen, die für Sie wichtig sein können, um das Verhalten Ihres Hundes richtig einzuschätzen und entsprechend vorbereitet zu sein. Grundsätzlich würde ich Ihnen immer empfehlen, sich eingehend über eine Rasse zu informieren, deren Anschaffung Sie in Erwägung ziehen. Befragen Sie hierzu nicht nur Züchter, da diese häufig dazu neigen, die Vorteile der Rasse anzupreisen und die Nachteile zu verschweigen oder doch zumindest zu verharmlosen. Selbstverständlich gibt es auch Züchter, die wirklich eingehend informieren, doch leider ist dies noch nicht die Mehrheit, und deshalb kann es nicht schaden, auch noch im Internet zu recherchieren und vor allem mit Leuten zu sprechen, die mit einem solchen Hund zusammenleben. Eventuell kann es auch gut sein, einen Tierarzt nach seinen Erfahrungen zu befragen, denn viele Rassen neigen durch Überzüchtung zu bestimmten Krankheiten. Je gründlicher Sie sich informieren, desto besser.

Grundsätzlich können alle Hunde an Beute interessiert sein, aber bei einigen Rassen sind bestimmte Elemente aus dem Jagdverhalten züchterisch selektiert und hervorgehoben worden. Zum Beispiel bei den Retrievern das Beutetragen, bei den Vorstehhunden – wie der Name schon sagt – das Vorstehen vor der Beute, bei den Hütehunden das Belauern, Einkreisen und Vorantreiben.


EIN GOLDEN RETRIEVER IM ARBEITSEINSATZ IST EIN SELTENER ANBLICK GEWORDEN.


EIN JAGDHUND BEIM RASSETYPISCHEN VORSTEHEN MIT KONZENTRIERTEM BLICK AUF DIE BEUTE.




DAS FIXIEREN, ANSCHLEICHEN UND VORWÄRTSTREIBEN WURDE BEI DEN BORDER COLLIES ZÜCHTERISCH SELEKTIERT.


ES IST FAST SCHON IN VERGESSENHEIT GERATEN:


AUCH DIESE TERRIER WURDEN URSPRÜNGLICH FÜR DIE JAGD GEZÜCHTET UND BRINGEN AUCH HEUTE NOCH JEDE MENGE TALENT FÜR DIESE AUFGABE MIT.

Bei den Terriern wurde die so genannte Beuteaggression gefördert. Man wollte Hunde züchten, die klein, wendig und mit großem Mut an die Beute gingen. Allen voran ist hier sicher der Jagdterrier zu nennen, aber auch die anderen Terrier verfügen über ein erstaunliches Potential, mit dem die Besitzer nicht immer umzugehen wissen. Zur Zeit am schlimmsten betroffen sind die West Highland und Jack Russell Terrier, da sie wegen ihres netten Aussehens und ihrer angenehmen Größe vor allem im städtischen Bereich als Familienhunde sehr beliebt und weit verbreitet sind. Wenn der kleine Terrier dann aber mit seinem Temperament ständig am Gartenzaun kläfft und die ganze Nachbarschaft damit stört, die Katze auf den Baum jagt oder seine erlegte Maus gegen alles und jeden verteidigt, dann ist die Überraschung groß...

Dann gibt es Rassen, die ein besonders großes Laufbedürfnis haben, in der Regel sehr schnell sind und dementsprechend große Kreise ziehen. Wenn sich ein solcher Hund zum Beispiel 100 oder sogar 200 Meter weit von Ihnen wegbewegt, ist das in seiner Verständniswelt nicht weit! Er weiß genau, wie schnell er diese Strecke zurücklegen und innerhalb von Sekunden wieder vor Ihnen stehen kann. Würde ein Basset oder Dackel 200 Meter weit voraus laufen, wäre dies weit – für einen solchen Hund ist es das nicht. Zu diesen Rassen gehören nicht nur die Schlitten- und Windhunde, sondern auch die meisten Jagdhunde wie zum Beispiel Deutsch Kurzhaar, Langhaar und Drahthaar, alle Setter, und viele weitere. Einige der genannten Rassen sind Sprinter, die auf kurzen Strecken hohe Geschwindigkeiten erreichen, andere sind Ausdauerläufer auf lange Distanzen. Während der Trainingszeit sollte bei ihnen unbedingt darauf geachtet werden, dass sie genug Freilauf bekommen, denn sonst sind sie nicht ausgelastet, und es kann zu Problemverlagerungen kommen. Suchen Sie sich entweder eine Hundeschule mit großem eingezäunten Gelände oder fragen Sie bei einem Betriebsgelände oder Sportplatz, ob Sie den Hund gelegentlich dort laufen lassen dürfen, wenn sonst niemand dort ist. Meine Kunden haben damit fast immer gute Erfahrungen gemacht, wenn sie versprochen haben, eventuell abgesetzte Häufchen einzusammeln und sich mit einer kleinen Aufmerksamkeit wie ein paar Blumen, einer Packung Pralinen oder Ähnlichem bedankt haben.

Die Windhunde gehören außerdem zu den Sichtjägern, was bedeutet, dass sie tendenziell eher als andere Rassen auf sich bewegende Objekte, Menschen oder Tiere am Horizont reagieren – und haben sie sich erst in Bewegung gesetzt, sind sie innerhalb kürzester Zeit sehr schnell.

Schließlich gibt es Rassen, bei denen es einen großen Unterschied ausmacht, ob sie aus einer so genannten Leistungszucht stammen oder nicht. Leistungszucht bedeutet im jagdlichen Sinne, dass diese Hunde auch wirklich für die Jagd genutzt werden sollen und dass deren Eltern, Großeltern usw. auch am Wild arbeiten. So ist es ein erheblicher (!) Unterschied, ob Sie zum Beispiel einen Dackel, Beagle, Cockerspaniel, Setter oder Retriever von einem Jäger kaufen oder von einem Züchter, dessen Hunde seit Generationen nicht mehr im jagdlichen Einsatz sind.



LÄUFT EIN SOLCHER HUND 100 METER VORAUS, IST DIES IN SEINER VORSTELLUNGSWELT NICHT WEIT. ER WEISS GENAU, WIE SCHNELL ER DIESE STREcKE ZURÜCKLEGEN KÖNNTE, UM IN SEKUNDENSCHNELLE WIEDER BEI SEINEM MENSCHEN ZU SEIN.

Auch die Mischlinge seien noch kurz erwähnt. Ich werde oft gefragt, ob nicht ein Mischling der gesündeste, anhänglichste und auch jagdlich am wenigsten motivierteste Hund sei. Das ist so pauschal natürlich keinesfalls richtig. Nehmen wir zum Beispiel an, Sie haben einen Mischling aus Beagle (der kann ganz besonders gut riechen) und Setter (der ist sehr lauffreudig und schnell), dann haben Sie einen Mischling aus zwei sehr begabten Jagdhunden – also nicht unbedingt ein Garant für einen geringen Jagdtrieb. Oder nehmen wir an, Sie haben einen Mischling aus Greyhound und Labrador – wieso sollte der weniger jagdlich interessiert, gesünder und anhänglicher sein als seine reinrassigen Eltern? Wenn Sie sich für einen Hund interessieren, der ein Mischling ist, lesen Sie einfach die Rassebeschreibungen der Elterntiere durch, soweit diese bekannt sind, und stellen Sie sich darauf ein, dass er von beiden etwas mitbringt. Wieviel wovon kann Ihnen niemand voraussagen, das werden Sie erfahren, wenn Sie mit dem Hund zusammenleben. Freunde von mir haben übrigens eine Mischung aus Terrier und Dackel – der überhaupt nicht jagdlich interessiert ist und bei Spaziergängen durch Wald und Flur gemütlich neben ihnen herschlurft. Tja, so ist das mit den Mischlingen...