Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik

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Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik
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Prof. em. Dr. phil. Konrad Bundschuh war Ordinarius und Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen am Department Pädagogik und Rehabilitation, Ludwig-Maximilians-Universität München.

Dr. phil. Christoph Winkler ist Akademischer Oberrat und Lehrkraft für Sonderpädagogik am selben Lehrstuhl.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 999

ISBN 978-3-8252-5286-1

ISBN 978-3-846-35286-1 (EPUB)

9. Auflage

© 2019 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Cover unter Verwendung eines Fotos von ©istock.com/Ankudi

Satz: Arnold & Domnick, Leipzig

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Vorwort zur neunten Auflage

Vorwort zur ersten Auflage

1 Einleitung

2 Geschichtlicher Aufriss der Intelligenzdiagnostik unter besonderer Berücksichtigung sonderpädagogischer Aspekte

2.1 Die Entstehung der Psychodiagnostik

2.2 Beiträge der Psychiatrie

2.3 Der Ansatz Alfred Binets

2.4 Die Weiterentwicklung des Binet-Systems

2.5 Fortschritte der Intelligenzmessung

3 Begriff, Aufgaben, Funktionen und Bereiche der sonder- und heilpädagogischen Diagnostik

3.1 Zum Begriff „Psychodiagnostik“

3.2 Gegenstands- und Aufgabenbereich sonderpädagogischer Diagnostik

3.3 Aufgabenbereiche sonder- und heilpädagogischer Diagnostik im Rahmen institutioneller und organisatorischer Entscheidungsfelder

3.4 Sonderpädagogisch-psychologische Diagnose als Förderdiagnose

4 Testtheoretische Voraussetzungen zur Realisierung sonder- und heilpädagogischer sowie lerntherapeutischer Diagnostik

4.1 Der psychologische Test

4.1.1 Bestandteile eines Tests

4.1.2 Phasen des testdiagnostischen Prozesses

4.2 Gütekriterien psychologischer Tests – sonder- und heilpädagogische sowie lerntherapeutische Relevanz

4.2.1 Objektivität

4.2.1.1 Durchführungs- oder Darbietungsobjektivität

4.2.1.2 Auswertungsobjektivität

4.2.1.3 Interpretationsobjektivität

4.2.1.4 Objektivität der „diagnostischen Konsequenzen“ oder der Förderungsansätze

4.2.2 Reliabilität

4.2.2.1 Bedingungen für Reliabilität

4.2.2.2 Methoden zur Bestimmung der Zuverlässigkeit eines Tests

4.2.3 Validität (Gültigkeit)

4.2.3.1 Inhaltliche Validität

4.2.3.2 Übereinstimmungsgültigkeit (kriterienbezogene Validität)

4.2.3.3 Vorhersagegültigkeit (prognostische Validität)

4.2.3.4 Konstruktvalidität (theoretische Gültigkeit)

4.2.4 Normierung

4.2.4.1 Notwendigkeit

4.2.4.2 Der historische Ansatz zur Gewinnung von Normen

4.2.4.3 Mathematisch-statistische Voraussetzungen für das Verständnis von Normen

4.2.4.4 Gebräuchliche Normenskalen

4.2.4.5 Standardmessfehler und Vertrauensbereiche

4.2.5 Nebengütekriterien von Tests

4.2.5.1 Vergleichbarkeit

4.2.5.2 Ökonomie eines Tests

4.2.5.3 Nützlichkeit eines Tests

4.3 Zum Begriff „Standardisierung“

4.4 Objektivität, Standardisierung und sozialpsychologische Überlegungen

4.5 Klassifikation von Testverfahren und deren Bedeutung für die sonder- und heilpädagogische Diagnostik

4.5.1 Verschiedene Klassifikationsaspekte

4.5.2 Zur Problematik „Projektion“ und Verfahren projektiver Art

4.5.3 Psychometrische und projektive Verfahren

4.5.4 Der eigene Klassifikationsaspekt

5 Informationsgewinnung im Rahmen förderdiagnostischer Praxis mit dem Ziel der Kompetenzförderung

5.1 Phase der Vorinformation: Informationsgespräch – Anamnese – Exploration

5.2 Die Informationsphase

5.2.1 Verhaltensbeobachtung

5.2.2 Entwicklungsdiagnose und Entwicklungstests unter besonderer Berücksichtigung von Früherkennung und -förderung

 

5.2.2.1 Grundprinzipien der Entwicklungsdiagnostik

5.2.2.2 Klassifikation von Entwicklungstests und Screenings

5.2.2.3 Einzelne Verfahren zur Ermittlung des Entwicklungsstandes des Gesamtverhaltens – Darstellung und Kritik

5.2.2.4 Entwicklungstests und Screenings – Möglichkeiten und Grenzen

5.2.3 Verfahren zur Diagnose kognitiven Verhaltens: Intelligenztests / Intelligenzdiagnose

5.2.3.1 Intelligenztests als Individualverfahren

5.2.3.2 Intelligenztests als Gruppenverfahren

5.2.3.3 Intelligenz- und Entwicklungsdiagnostik

5.2.4 Schulleistung – Fehleranalyse – didaktischer Zugang

5.2.4.1 Für die sonderpädagogische Diagnostik spezifische Verfahren

5.2.4.2 Schulleistungstests mit förderdiagnostischer Bedeutung – Fehleranalyse

5.2.5 Soziales und affektiv-emotionales Verhalten

5.2.5.1 Quantitativ orientierte Verfahren

5.2.5.2 Projektive Verfahren

5.2.6 Arbeitsverhalten

5.2.7 Sprachliches Verhalten – Sprache

5.2.7.1 Relevanz einer gezielten Beobachtung des Sprachverhaltens

5.2.7.2 Methodische Anregungen zur Diagnose von Sprachstörungen

5.2.7.3 Semantik – Wortschatz und situative Verfügbarkeit

5.2.7.4 Pragmatik – Sprache und Kommunikation

5.2.7.5 Primärsprachmilieu – Dialekt / Soziolekt / Umwelt

5.2.8 Motorik

5.2.8.1 Allgemeine Kriterien für die gesunde Entwicklung eines Kindes

5.2.8.2 Formen der Bewegungsstörung

5.2.8.3 Beobachtung und Messung motorischer Fähigkeiten durch motometrische Verfahren

5.2.9 Wahrnehmung

5.2.9.1 Unterschiedliche Wahrnehmungsarten

5.2.9.2 Die frühe Entwicklung der Wahrnehmung

5.2.9.3 Störungen und Förderung der Wahrnehmung

5.2.9.4 Diagnose von Wahrnehmungsleistungen

5.3 Diagnose – Förderung – Erziehung als pädagogische Einheit bei Menschen mit schwerer Behinderung bzw. sehr hohem Förderbedarf

5.4 Grundlageninformationen zur Problematik „Autismus-Spektrum-Störung“

5.4.1 Kennzeichen und einzelne Symptome

5.4.2 Medizinisch-fachärztliche Diagnose und Sichtweise

5.4.3 Grundlageninformationen zur Faciliated Communication (FC)

5.5 Verstehens- und handlungsorientierte Diagnose

5.5.1 Pädagogische Ziele unter spezieller Berücksichtigung sonder- und heilpädagogischer Problemstellungen

5.5.2 Qualitative Lernförderungsdiagnostik

5.6 Kind-Umfeld-Analyse

5.7 Kompetenzorientierung als konzeptionelle Grundlage sonder- und heilpädagogischer Diagnostik

5.7.1 Handlungskompetenz als Basis pädagogischer Förderung

5.7.2 Förderung kommunikativer, kognitiver, sozialer, moralischer und emotionaler Kompetenz

5.8 Kompetenzen des im sonder- und heilpädagogischen sowie lerntherapeutischen Arbeitsfeld tätigen Diagnostikers

6 Das förderungsorientierte sonderpädagogische Gutachten

6.1 Einführung

6.2 Die Befunderstellung

6.3 Fragen und Probleme des Gutachtenaufbaus

6.4 Formen und Möglichkeiten der Gutachtengestaltung

6.5 Zusammenfassung zur Problematik Gutachtenerstellung

6.6 Gutachtenentwurf

6.6.1 Förderdiagnostische Gutachtenerstellung unter Berücksichtigung der Kompetenzorientierung

6.6.2 Konkrete kompetenzorientierte Förderungsvorschläge

6.6.2.1 Alltagsbewältigung und lebenspraktische Bereiche

6.6.2.2 Förderung kognitiver Kompetenzen

6.6.2.3 Emotionale Unterstützung (Emotionalität, Erleben und Verhalten)

6.6.2.4 Förderung sozialer Kompetenz

6.6.3 Konzeptionelle Überlegungen zur Förderplanung

6.6.4 Beispiele förderdiagnostisch orientierter Gutachtenerstellung

6.6.4.1 Fallbeispiel: Schülerin mit geistiger Behinderung – Förderbedarf geistige Entwicklung Schwerpunkte: Beratung und Förderung

6.6.4.2 Fallbeispiel: Realschule – Sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung

7 Ausblick

Literatur

Verzeichnis diagnostischer Tests und Förderverfahren

Sachregister

Vorwort zur neunten Auflage

Seit der letzten Überarbeitung des vorliegenden Buches (2014) sind zwar erst wenige Jahre vergangen, es stellen sich aber in dieser Zeit gerade vor dem Hintergrund der Inklusionsdiskussion sowohl im Bereich der Diagnostik im sonder- und heilpädagogischen als auch im lerntherapeutischen Arbeitsfeld vermehrt drängende Fragen.

Die kontinuierliche Nachfrage hat zu einer erneuten Auflage der „Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik“ geführt. Die zahlreichen positiven Rückmeldungen zu den bisherigen Auflagen bestätigen den Bedarf einer aktuellen Publikation zu diesem Fragenkomplex mit seiner impliziten Dynamik und ermutigten zur Bearbeitung und Erweiterung. So trägt die vorliegende Neuauflage Veränderungen und Herausforderungen im sonder- und heilpädagogischen sowie im lerntherapeutischen Arbeitsfeld Rechnung.

Die Ausführungen der achten Auflage wurden durchgängig überarbeitet. Literatur, die Information zu diagnostischen Verfahren sowie zur Förderung bietet, und das Sachregister wurden ebenfalls ergänzt und aktualisiert. Teilweise wurden Inhalte verändert und neu konzipiert.

Dieses Buch ist Grundlage für diagnostische Fragestellungen der Sonder- und Heilpädagogik, Lerntherapie, Psychologie und auch allgemeinen Pädagogik, wenn man Störfaktoren in den Bereichen Schule, Kind- und Umfeldsituation, Gesellschaft und auch Schulsystem in die Frage nach einer bestmöglichen Erziehung integrieren möchte. Förderdiagnostik, eine Beziehung herstellen und reflektieren sowie Verstehen von Kindern und Jugendlichen mit Problemen bilden zusammen mit diagnostischer Fachkompetenz eine Einheit.

Im Bereich der Diagnostik im Sonder- und heilpädagogischen sowie lerntherapeutischen Arbeitsfeld stellen sich gerade vor dem Hintergrund der Inklusionsdiskussion vermehrt Fragen. Kann sonderpädagogische Diagnostik im Sinne von Förderdiagnostik (Bundschuh 2019) einen Beitrag zu entwicklungsbezogenen, lernprozess- oder strukturniveauorientierten Angeboten leisten? Um pädagogisch-didaktische, förderungsspezifische und therapeutische Maßnahmen in Gang zu setzen, müssen zweifellos die Nöte, Schwierigkeiten, biografischen Verletzungen zwingend benannt, analysiert und verstanden werden. Diagnostischer und förderdiagnostischer Handlungsbedarf ergibt sich bereits im Vorschulbereich, des Weiteren bei 20 bis 30 Prozent aller Schüler zwischen Förderschulen, Allgemeinschulen, Realschulen und Gymnasien temporär und teilweise langfristig angesichts einseitig fordernder sowie überfordernder – sowohl schulischer als auch außerschulischer – Wirklichkeiten. Nicht nur Lernprozesse, sondern vor allem auch die soziale und emotionale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sind von ungünstigen Bedingungen (Lernklima, Leistungsdruck, einseitige Orientierung am Leistungsdenken, frühzeitige Stigmatisierung, Mobbing, Erziehungsprobleme, sexueller Missbrauch, ...) tangiert. Orientierung am Kind oder am Jugendlichen und am Förder- und Lerntherapiebedarf stellen eine Herausforderung an die Schulen bzw. an die Lehrer und Lerntherapeuten dar, sich individuell-verstehend und vor allem auch in differenzierter Form auf die Lern- und Lebensprozesse einzustellen und es nicht zuzulassen, dass von außen induzierte Lernstörungen, Versagensängste und Minderwertigkeitsgefühle generiert werden. Schüler müssen die Chance einer optimalen Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Kontext Lernen und Bildung, aber auch sozialer und emotionaler Kompetenzen entsprechend vorhandener Ressourcen und Möglichkeiten erhalten. Kompetenz- und ressourcenorientierte, aber auch verstehende Diagnostik gehört zum Prozess der Inklusion, wobei ein Verlust an Profil sowie fachlich-diagnostischer Kompetenz für die Betroffenen Schaden bedeuten würde.

An diagnostischen Fragestellungen bestand im Zusammenhang mit bedrängenden pädagogischen Problemsituationen schon immer ein besonderes Interesse. Menschliches Handeln beginnt mit der Analyse der Ausgangslage, der Einschätzung des möglichen Verlaufs einer Handlung und eines Denkprozesses sowie einer Prognose des wahrscheinlichen Ergebnisses. Der diagnostische Handlungsbedarf hat angesichts zunehmender Leistungsorientierung des Schulsystems, insbesondere im Bereich Grundschule an den Übergängen zu weiterführenden und vor allem auch an weiterführenden Schulen und anwachsender Vulnerabilität im außerschulischen Umfeld von Kindern (auseinanderbrechende Familien mit entsprechenden Belastungen und Konfliktsituationen gerade für Kinder, Alleinerziehende, Armut, Verunsicherung in Erziehungsfragen, unkritischer Medienkonsum, Kindesmissbrauch, traumatische Erfahrungen, ...), also infolge zahlreicher störungs- und behinderungsinduzierender Bedingungen, deutlich zugenommen. Eltern begleiten und fördern die Bildungsprozesse ihrer Kinder bewusster als früher und hinterfragen intensiver die Vorgehensweisen in Schulen. Leider fühlen sie sich aber häufig auch ohnmächtig und hilflos gegenüber diesen mächtigen Systemen. Sonder- und Heilpädagogen, Lerntherapeuten, Frühpädagogen, Psychologen und Mediziner haben die Aufgabe, Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten, d. h. Förder- und ggf. Therapiebedarf im sozialen und emotionalen Bereich frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen zu deren Behebung zu ergreifen sowie bei der Prophylaxe möglicher Fehlentwicklungen unterschiedlicher Art mitzuwirken.

 

Gerade im umfangreichen Kapitel fünf mit über 200 Seiten, das sich vor allem mit diagnostischen Methoden und Verfahren im Rahmen förderdiagnostischer Praxis mit dem Ziel Analyse der Problemsituation, Verstehen des betroffenen Kindes oder Jugendlichen, ressourcen- und kompetenzorientierte Förderung beschäftigt, wurden Aktualisierungen und weitere wichtige Ergänzungen eingebracht. So wurde auch der Neukonzeption diagnostischer Verfahren Rechnung getragen, und es wurden entsprechende neuere (Test-)Verfahren in strukturierter Form sach- und informationsorientiert, aber auch kritisch eingefügt.

Förderdiagnostik stellt eine Vermittlung zwischen Schülerproblemen und Förderung bis hin zu kinderorientierten Therapien (Spieltherapie, Lerntherapie) dar. Schüler können sich dadurch neu wahrnehmen, von behindernden Bedingungen befreien und sie haben die Chance einer optimalen Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Hierfür sprechen auch die Erkenntnisse der modernen Neurobiologie und -psychologie. Jedenfalls darf die Zahl der Verlierer im System Schule nicht weiter steigen. So ist es auch die Aufgabe einer analysierenden, verstehenden, kompetenz- und förderungsorientierten Diagnostik, gerade diese behindernden Bedingungen stärker als bisher zu diagnostizieren und zu analysieren, jede individuelle Art von Lernen zu achten, anzuerkennen, wertzuschätzen und zu fördern.

Der Bedeutung aktueller Frage- und Problemstellungen wurde noch mehr Raum gegeben. Thematisiert wird im Besonderen das, was für die Gegenwart zum Problem und zur Herausforderung geworden ist. Der Inhalt der neuen Auflage konzentriert sich auf diagnostische Themen, die für die Sonder- und Heilpädagogik, Lerntherapie und Psychologie in einer gewandelten Wirklichkeit grundlegend wichtig sind. Dieses Buch will durch kritisch-reflexive Anmerkungen und Impulse zu neuen Denk- und Handlungsprozessen anregen.

Vor allem auch Fragen der Früherkennung und -förderung, die Problematik Entwicklungsdiagnose und Entwicklungstests, Intelligenz-, Schulleistungs- und Sprachtests sowie Diagnose sozialer und emotionaler Probleme, von Ängsten im Kontext Schule werden im Rahmen dieses fünften Kapitels behandelt.

Kein Zweifel, Förderdiagnostik geschieht auf der Basis von Verstehen und Beziehungsgestaltung. Es geht auch um die heilende Beziehung zu einem Klienten, der neue Fähigkeiten in sich selbst entdecken und diese Beziehung zu seiner Entfaltung nutzen kann.

Im Rahmen von Kapitel sechs werden die Bedeutung von Förderplanung und wichtige Grundsätze der Förderplanung thematisiert. Insgesamt betrachtet wurde der Bedeutung aktueller Fragen und Problempunkte mehr Raum gegeben. Das Grundprinzip, so umfassend wie möglich in enger Vernetzung von Theorie und Praxis sachlich ausgewogen und kritisch-konstruktiv zu informieren, wurde beibehalten.

Der wissenschaftliche Fokus liegt gewissermaßen am Puls einer veränderten und sich rasch weiterentwickelnden Wirklichkeit, die Bisheriges in Frage stellt und zu neuen Denk- und Handlungsprozessen anregt. Kinder und Jugendliche sollen lernen, mit dieser Welt umzugehen, in dieser Welt selbstständig zu handeln und damit Gestalter ihrer Welt sowie ihres zukünftigen Lebens zu werden. Erziehung und Bildung verlangen den Erfahrungsraum positiver menschlicher Zuwendung, der gegenseitigen Achtung sowie der Teilhabe vor allem im Hinblick auf Leben, Lernen und Lebensbewältigung – und nicht Ausgrenzung. Bildung des Menschen als Person und Mitglied der Gesellschaft fordert ganzheitliche Bildung, in der sich nicht nur die intellektuellen, sondern auch die emotionalen und sozialen Möglichkeiten mit Blick auf Personalisation (individuelle Entfaltung) und Sozialisation (erfülltes Leben in der Gesellschaft und Gemeinschaft) entwickeln können.

München im April 2019 Konrad Bundschuh

Vorwort zur ersten Auflage

1 Motivation / Ausgangslage

Während meines Studiums der Sonderpädagogik in München (1970 bis 1972) fiel mir auf, dass zu sonderpädagogisch-diagnostischen Problem- und Fragestellungen nahezu keine Literatur vorlag. Die sonderpädagogische Diagnostik war weder wissenschaftstheoretisch fundiert (ist es auch heute noch nicht), noch herrschte in der Praxis Klarheit über Ziele, Inhalte und Aufgabenbereiche.

In der Zwischenzeit setzten sich mehrere Autoren – zumeist kritisch – mit diagnostischen Fragen im Bereich der Pädagogik, speziell der Sonderpädagogik auseinander. Diese Literatur beschäftigt sich jeweils mit Teilaspekten diagnostisch-förderdiagnostischer Fragestellungen, wie z. B. mit statistischen Problemen, Testtheorie, mit Tests speziell oder mit diagnostischen Problemen im Zusammenhang mit Lernbehinderten. Eine gründliche Diskussion praktischer Fragen erfolgte nicht.

Immer wieder wurde ich von Studierenden aufgefordert und angeregt, meine Ausführungen der Vorlesung „Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik“ zu publizieren. Deutlich wurde die Notwendigkeit, über diagnostische Fragen im sonderpädagogischen Bereich zu informieren bei Referaten und Diskussionen mit Wissenschaftlern und Praktikern.

2 Ziele

Es wird der Versuch unternommen, die Bereiche und Probleme sonderpädagogischer Diagnostik unter Einbezug einer kurzen Darstellung der geschichtlichen Entwicklung wissenschaftstheoretisch zu hinterfragen und zu diskutieren. In einem zweiten, stärker praxisorientierten Teil werden Probleme förderdiagnostischer Informationsgewinnung unter Einbezug und kurzer Vorstellung möglicher Verfahren behandelt. In einem dritten Teil soll eingeführt werden in die Problematik der „förderungsorientierten Gutachtenerstellung“, wobei eigene praktikable Lösungswege aufgezeigt werden. Insgesamt gesehen soll die Schrift mit der Intention einer möglichst engen Verknüpfung von Theorie und Praxis über diagnostische Probleme im sonderpädagogischen Bereich informieren.

3 Methode

Den Ausgangspunkt bilden die Fragen: Welche Inhalte gehören zum Bereich der sonderpädagogischen Diagnostik, und wie können diese Inhalte reflektiert und weitergegeben werden.

Um diese Problematik zu bewältigen, ist ein umfangreiches Sichten der Literatur aus den Fachgebieten Heil- und Sonderpädagogik (Teilbereiche der Pädagogik), Psychologie, Psychiatrie, Soziologie und Medizin erforderlich sowie eine Aktualisierung eigener Erfahrungen aus dem Problembereich. Es erfolgt dann ein systematischer Aufbau nach logischen Aspekten, wobei der Adressat lernzielorientiert informiert werden soll.

4 Inhalte

Die Arbeit teilt sich in drei große Bereiche: in einen wissenschaftstheoretischen, einen praxisorientierten und einen Teil, der den Aspekt Gutachtenerstellung diskutiert und praktisch aufzeigt.

Im theoretischen Teil erfolgt zunächst ein geschichtlicher Aufriss der Intelligenzdiagnostik unter besonderer Berücksichtigung sonderpädagogischer Aspekte (Entstehung der Psychodiagnostik, Beiträge der Psychiatrie, Ansatz Binets, Fortschritte der Intelligenzmessung).

Das 3. Kapitel enthält Erläuterungen zu Termini, Aufgaben, Funktionen und Bereichen sonderpädagogischer Diagnostik. Abschließend zu diesem Kapitel wird sonderpädagogische Diagnostik schwerpunktmäßig begründet unter dem Aspekt der Förderdiagnose.

Im 4. Kapitel wird eine speziell für sonderpädagogische Fragestellungen notwendige Einführung in testtheoretische Voraussetzungen zur Realisierung von Förderdiagnostik gegeben. Als Grundlage dient die den Umgang mit psychologisch-pädagogischen Verfahren fundierende klassische Testtheorie (Begriff Test, Gütekriterien psychologischer Testverfahren und sonderpädagogische Relevanz, Probleme der Standardisierung und Klassifikation von Tests).

Das 5. Kapitel, mit dem der zweite Teil der Arbeit beginnt, weist Möglichkeiten der Informationsgewinnung im Rahmen förderdiagnostischer Praxis auf, wobei teilweise eine kritische Auseinandersetzung mit vorliegenden Verfahren erfolgt, und praktische Fragen der Informationsgewinnung mittels Verhaltensbeobachtung, Intelligenz und Schullei- stungstests, Verfahren zur Überprüfung des sozialen, affektiv-emotionalen Verhaltens, des Arbeitsverhaltens, der Sprache und Motorik behandelt werden. Dieses Kapitel endet mit der theoretischen und praktischen Erörterung der Bereiche Exploration – Informationsgespräche.

Das 6. Kapitel (dritter Teil) beschäftigt sich mit der förderungsorientierten sonderpädagogischen Begutachtung, denn sinnvoll wird sonderpädagogische Diagnostik nur, wenn sie einen Förderungsprozess auslöst, ihn begleitet, sich unmittelbar am Kind orientiert und damit eine effektive Hilfe zur Entfaltung von Möglichkeiten und Integration bietet.

Unter diesem Aspekt wird das förderungsorientierte Gutachten von der psychologischen und medizinischen Begutachtung abgehoben, indem es durch seinen spezifischen Aufbau und Inhalt auf die Einleitung von Fördermaßnahmen (eines Förderungsprozesses) zielt.

Bisher vorliegende Gutachtenschemata und -formen werden diskutiert.

Abschließend möchte ich einen eigenen Gutachtenaufbau vorschlagen (Schwerpunkt Förderung) und dazu zwei praktische Falldarstellungen (Kind mit geistiger Behinderung und Kind mit Lernbehinderung) vorstellen.

5 Ausblick

Im Verlauf der Arbeit wurde mir immer stärker bewusst, dass der Aufgabenbereich sonderpädagogischer Diagnostik sehr weit reicht, denn er umfasst an sich alle Altersgruppen und sämtliche Behinderungsarten. Es wäre für mich ein Erfolg, wenn die Basis für einen systematischen Ansatz der Behandlung dieser umfangreichen Problematik für Theorie und Praxis gelegt wäre.