Eine wählerische junge Lady

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Eine wählerische junge Lady
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Eine wählerische junge Lady. Historischer Roman

Catherine St.John

Published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Copyright: © 2019 R. John 85540 Haar

Cover: Edmund Blair Leighton, Yes or No?

ISBN 9783********

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 1

Aus der ersten Kutsche, die vor Herrion House in der Half Moon Street vorgefahren war, stiegen ein Herr und zwei Damen.

Der Herr stützte die kleinere der beiden Damen sehr fürsorglich, während die größere Dame, die alleine aus dem Wagen gesprungen war, beobachtete, wie drei weitere Kutschen in die Auffahrt einbogen. „Der reinste Umzug! Haben wir noch irgendetwas in Herrion zurückgelassen?“

„Sei nicht albern, Cec!“, tadelte ihr Bruder. „Was bitte hätten wir denn zurücklassen sollen? Paul? Seine Nanny? Sein Spielzeug? Eure Zofen? Meinen Diener? Das Gepäck?“

„Schon gut, Seb. Du hast ja Recht. Aber du musst zugeben, so aufwendig war eine Fahrt nach London noch nie.“

Im offenen Portal erschienen der weißhaarige, würdevolle Butler Morley und zwei Lakaien, die sich sofort des Gepäcks anzunehmen begannen.

„Euer Lordschaft, Euer Ladyschaft, Miss Herrion…“ Eine tiefe Verbeugung folgte. „Wir haben, so hoffen wir, alles zu Ihrer Zufriedenheit vorbereitet.“

„Morley, da habe ich keine Bedenken“, entgegnete Lord Hertwood munter. „Sie bereiten doch immer alles aufs Beste vor. Meine Gemahlin wird sich in den nächsten Tagen sicher selbst von Ihrer Vollkommenheit überzeugen können.“

Morley blinzelte, aber er kannte Seine Lordschaft lange genug, um seine Scherze gelassen anzuhören. Außerdem war er vollkommen, davon war er durchaus selbst überzeugt.

„Möchtest du dein Schlafzimmer inspizieren, Melinda?“, fragte Seine Lordschaft seine Gemahlin. Mylady nahm gerade ihren Hut ab und antwortete: „Ein wenig später, vielen Dank. Zunächst würde ich mich gerne etwas hier unten umsehen. Und etwas Tee wäre schön.“

Morley verneigte sich und gab diesen Wunsch durch das Heben einer Augenbraue an einen der Lakaien im Hintergrund der Halle weiter.

Ein anderer nahm die Hüte der Damen entgegen und Cecilia zog ihre Schwägerin zur ersten Tür. „Hier haben wir den Grünen Salon. Wie findest du ihn?“

Melinda sah sich um. „Sehr grün“, antwortete sie dann schwach. Cecilia kicherte. „Das hatte sich Mama seinerzeit so gewünscht. Der reinste Wald, nicht wahr?“

Die Wände waren mit lindgrüner Seide bespannt – und zwischen den Seidenbahnen befanden sich Pilaster aus dunkelgrünem Marmor. Am unteren Ende der Seidenbahnen, direkt über der Vertäfelung, befand sich eine Blumenborte in Grün, Weiß und Gelb. Melinda konnte nicht widerstehen und strich über diese Blumen. „Holzschnitzerei!“

„Offenbar war das vor zwanzig Jahren das Allerneueste. Na, es gibt Schlimmeres – immerhin haben wir hier keine ägyptischen oder chinesischen Salons. Nur irgendwo ein chinesisches Schränkchen. Ein fürchterliches Ding.“

„Über und über mit goldenen Drachen bedeckt“, ergänzte Sebastian, der mittlerweile sicher sein konnte, dass alles nach seinen Wünschen geregelt wurde. „Mein Großvater hat das Scheusal erworben. Übrigens habe ich den Tee in den Blauen Salon bestellt, er wirkt beruhigender auf das Auge.“

„Sehr vorausschauend“, lobte Cecilia und nahm von Morley einen Packen Briefe entgegen. „Dann machen wir es uns doch dort gemütlich!“

Tatsächlich fand auch Melinda den Blauen Salon sehr viel hübscher – zartblaue Bespannungen, weiße Säulen, keine geschnitzte Blumenwiese, sondern eine schmale antikisierende Schmuckleiste, passende Sofas und Sessel, interessanterweise in verschiedenen Blautönen, und frische Blumen auf den diversen Tischchen. Sie setzte sich zufrieden neben ihren Gemahl und beobachtete, wie Cecilia rasch – offenbar mit langjähriger Routine – die Briefe sortierte und ihr selbst zwei überreichte. Einen behielt sie sich selbst, den übrigen Packen erhielt Sebastian, der zunächst stirnrunzelnd die Wappen und Siegel studierte. „Was wollen die alle denn? Die Cassaways… die alte Lady Bridling… Sir William und Lady Malmesbury … Carew… Mrs. Ramsworth, oh!“ Er entfaltete das erste Schreiben und entdeckte freundliche Willkommenszeilen mit einer Einladung zu einem „kleinen“ Ball…

„Offenbar alles Einladungen… Cec, darum kümmerst du dich am besten – natürlich zusammen mit Melinda. Sucht aus, wohin wir am besten gehen sollen. Und überlegt euch, was wir tagsüber unternehmen könnten! Schließlich muss Melinda ja London kennenlernen!“

„Ich würde gerne in einer Buchhandlung stöbern“, verkündete Melinda, „vielleicht finde ich ja noch den einen oder anderen Roman mit vernünftigen Heldinnen!“

Cecilia lachte nicht ohne Schuldbewusstsein, da sie lange Zeit das Schauergenre bevorzugt hatte, nun aber kreischenden, halb wahnsinnigen oder ununterbrochen in Ohnmacht sinkenden Heldinnen auch nicht mehr gar so viel abzugewinnen vermochte.

„Oder etwas über die Rechte der Frauen“, fügte sie Melindas Vorschlag dann hinzu, „aber ich fürchte, bevor wir auf Bälle gehen können, müssen wir eine gute Schneiderin aufsuchen. Seb?“

Seine Lordschaft leugnete jegliche Kenntnis darüber, welche ateliers gerade à la mode waren. „Frag doch Tante Margaret! Sie wird ihrem jungen Schützling ja wohl etwas Garderobe spendiert haben?“

„Eine sehr gute Idee! Melinda, gleich morgen Vormittag sprechen wir in der South Audley Street vor. Wenn uns Tante Margaret überhaupt empfängt, nach dieser Affäre mit Mrs. Pilney!“

„Wahrscheinlich ist sie doch selbst heilfroh, die verrückte Person losgeworden zu sein“, kommentierte Melinda.

Nach dem Lunch und einer kurzen Ruhephase suchte Cecilia, voller Drang, etwas zu unternehmen, noch einmal die Einladung von Mrs. Ramsworth heraus. „Eine sehr, sehr nette Dame, und absolut tonangebend. Auf diesen Ball würde ich auf jeden Fall gerne gehen! Ich sage ihr für uns drei gleich zu, einverstanden?“

Der Bote, den sie mit der Zusage – und der Frage nach der im Moment schicksten Schneiderin – losgeschickt hatte, kam umgehend zurück, ein charmantes kleines Schreiben in der Hand, in dem Mrs. Ramsworth sich über die Zusage freute und Madame Fleuron in der Bond Street empfahl.

„Ha! Melinda, komm, wir fahren gleich hin!“

„Wollen wir nicht erst einmal überlegen, was wir brauchen?“

„Wollen wir nicht erst einmal sehen, was sie uns empfehlen kann?“, spottete Cecilia.

Ihre Schwägerin seufzte. „Nun gut. Ich fühle mich freilich ein wenig müde…“

„Berge und Berge von den schönsten Seiden, glatt oder bestickt, Schleierstoffe, Goldstickereien und all diese Herrlichkeiten? Ich wette mit dir, dass du dort wieder munter wirst. Und Tanzschuhe“, fügte sie dann etwas rätselhaft hinzu. „Meinst du, die Mädchen aus Kent sind auch hier?“

„Die Wentworths vielleicht“, murmelte Melinda, gemütlich in die Kissen gelehnt, „sie haben immer noch vier Töchter anzubringen, auch wenn Hester wirklich John Horbury heiraten sollte.“

„So ist es“, verkündete Sebastian, der einen Brief von seinem Freund John gelesen hatte, „sie sind jetzt immerhin schon verlobt. Ach ja, und wenn sie heiraten, bin ich Trauzeuge.“

„Natürlich – John war doch auch dein Trauzeuge! Eine sehr nette Idee… wann ist es denn soweit?“

„Das haben Sie noch nicht festgelegt. Meine Lieben, wenn ihr jetzt in die Bond Street fahrt, werde ich einen Blick in den Club werfen, einverstanden?“

Seine liebende Gattin nickte freundlich, seine Schwester freilich murmelte: „Typisch! Wieso gibt es eigentlich keine Clubs für Damen?“

„Versuch doch, einen zu gründen!“, empfahl ihr Bruder im Abgehen mit einem Grinsen. Cecilia schnitt seinem Rücken eine Grimasse und läutete. Morley empfing den Auftrag, einen offenen Wagen anspannen zu lassen, und zog sich wieder zurück.

„Warum offen?“

„Damit man uns sieht, Schäfchen! Oh, die Herrions sind in der Stadt. Das ist wohl die junge Lady Hertwood? Ganz reizend, meinst du nicht, meine Liebe? Wir sollten sie einladen…“ Sie grinste Melinda an, die lachen musste, aber dann wieder ernst wurde. „Es könnte auch heißen Ach, schau doch, diese Herrions! Gab es da nicht eben erst einen Skandal? Etwas mit dem Vater der jungen Lady? Soll er nicht geradezu ein Betrüger gewesen sein? Ich weiß nicht, ob wir solche Leute auf unserem Ball sehen wollen, meine Liebe... Und dann?“

„Unsinn! Du kannst doch nichts für die Taten deines Vaters! Und hat Seb nicht erzählt, dass Benedict in der Gegend sehr gut aufgenommen worden ist? Keinerlei Ablehnung!“

„Benedict war ja auch das Opfer dieser Machenschaften“, argumentierte Melinda, die sich mittlerweile wieder erhoben hatte und insgeheim überlegte, ob sie sich umkleiden sollte.

„Na, du doch wohl auch? Er hat dich ja schandbar behandelt! Komm, wir lassen uns nur schnell Umhänge und Hüte bringen und machen uns auf den Weg.“

Melinda nickte ergeben: Gegen die Energie Cecilias war kein Ankommen.

Wenig später rollten sie in leichtem Trab durch die Straßen Mayfairs. Cecilia registrierte gelegentliches Winken von Damen aus entgegenkommenden Kutschen – das sie zu erwidern pflegte – und interessierte Blicke von Gentlemen auf der Straße, die natürlich vornehm ignoriert wurden. Immerhin trug der Wagen ja das Herrionsche Wappen mit der Eiche, also waren zudringliche Blicke eine Unverschämtheit, über die man am besten hinwegsah. Melinda lächelte, wenn Cecilia winkte, und staunte ansonsten über den Betrieb auf der Straße. Diese Mengen an Fahrzeugen aller Art, dazwischen Reiter auf zumeist nervösen Pferden – kein Wunder, wenn man an den Lärm allenthalben dachte!

 

Waren wurden aus- und eingeladen, Kohlen wurden geliefert, die Fußgänger drängten sich vor den eleganten Geschäften…

„Wollen wir hier wirklich aussteigen? In dieses Getümmel?“

„Wir können wohl nicht umhin“, war Cecilias trockene Antwort, „wenn wir nicht auf jedem Ball das gleiche alte Kleid tragen wollen. Was, glaubst du, wird man dann über uns klatschen?“

„Oh. Ja, dann hilft es wohl nichts…“

Der Wagen hielt vor Madame Fleurons Etablissement, der Lakai, der hinten aufgestanden war, sprang ab und öffnete mit tiefer Verbeugung den Schlag, zuerst für Lady Hertwood, dann für die Ehrenwerte Miss Herrion. Beide dankten mit gnädigem Kopfnicken und schritten auf das Atelier zu.

„Das war schon einmal ein sehr guter Auftritt“, murmelte Cecilia. „Wie zwei Herzoginnen.“

Madame Fleuron kam ihnen mit ausgestreckten Armen entgegen: „Mylady, Miss Herrion, herzlich willkommen! Die wunderbare Mrs. Ramsworth hat Sie bereits avisiert. Lassen Sie uns sehen, wie wir Sie ausstatten können…“

Es folgten mehrere zunächst vergnügliche, dann aber recht anstrengende Stunden, an deren Ende jede der Damen fünf Ballkleider und einen ganzen Berg Vormittags- und Nachmittagskleider, Ausfahrgarnituren und kleine Abendkleider für bescheidenere Einladungen ihr eigen nennen konnte. Und ein Großteil würde schon morgen oder doch gewiss in den nächsten Tagen geliefert werden!

„Ich brauche doch gar nicht so viel“, hatte Melly protestiert. „Ich bin schließlich schon verheiratet! Du suchst doch einen Gemahl!“

„Aber wir wollen ja elegant auftreten! Soll Sebastian sich schämen, wenn du immer wieder die gleiche Ballrobe trägst?“

„Du glaubst, das fiele ihm auf? Und soll er sich über den Verlust eines Vermögens grämen, das wir bei Madame Fleuron gelassen haben?“

„Aber Mylady“, hatte die Schneiderin versucht, die Wogen glätten, „Mylady haben doch eine so elegante Figur… Ihrer beider Auftreten könnte mir durchaus neue Kundinnen verschaffen…“

„Das sei Ihnen gewünscht“, antwortete Melinda mechanisch, ohne zu wissen, worauf die Fleuron hinaus wollte. Cecilia lächelte wissend.

„Und deshalb, Mylady, Miss Herrion, kann ich Ihnen im Preis durchaus ein wenig entgegenkommen…“ Sie schrieb eine nicht unbeträchtlich niedrigere Summe auf ein Täfelchen und hielt es aufgrund ihrer reichen Erfahrung nicht der jungen Lady, sondern Ihrer etwas weltgewandteren Schwägerin hin. Cecilia nickte gnädig. „Das gefällt uns, nicht wahr, Melinda?“

Melinda stimmte hastig zu, obwohl sie die Summe immer noch exorbitant fand. „Du musst dafür nicht dein Nadelgeld drangeben“, murmelte Cecilia ihr zu. „Dafür ist Sebastian zuständig, er wollte doch nach London!“

„Du auch!“, zischelte Melinda zurück. „Ich wäre auf Herrion durchaus zufrieden gewesen!“

Cecilia kicherte und bat darum, die Rechnung an Seine Lordschaft zu schicken und alles, was sie gleich mitnehmen konnten, zum Wagen bringen zu lassen.

Madame Fleuron versprach, dass alles Übrige so rasch als möglich geliefert werde.

„Ich hoffe, es geht nicht so aufwendig weiter“, sagte Melinda, als sie wieder im Wagen saßen, Hutschachteln und Päckchen zu ihren Füßen.

„Keine Sorge, das war schon fast alles. Naja, bis auf Kleinigkeiten. Aber da gibt es auch so hinreißende Etablissements wie den Pantheon Bazaar. Den musst du gesehen haben! Als ich mein Debüt hatte, war er noch geschlossen, er wurde erst vor vier Jahren wiedereröffnet und ich habe gehört, er sei aufregender denn je.“

„Unbedingt – nur nicht mehr heute“, seufzte Melinda. „Ich bin so etwas nicht gewöhnt, hab etwas Geduld mit mir.“

Cecilia tätschelte ihr die Hand. „Schon recht, wir werden dich langsam an die Hindernisse heranführen.“

„Wie ein Pferd? Herzlichen Dank.“

„Morgen Vormittag besuchen wir den Bazaar – und nachmittags zeigen wir uns im Hyde Park. Um fünf, das ist elegant. Ich bin sicher, dann kommen noch mehr Einladungen und wir können uns die besten aussuchen.“

„Bei den vornehmsten Gastgebern?“

„Und mit den interessantesten Gästen“, erklärte Cecilia.

„Woher kann man das vorher wissen?“

„Seb wird es wissen, er weiß genau, wer mit wem verkehrt und wer wen kennt. Auf jeden Fall werden wir zuallererst zu Mrs. Ramsworth gehen, das ist ein sehr guter Anfang. Und jetzt, denke ich, braucht du eine kleine Ruhepause.“

„Oh ja“, seufzte Melinda, während ihr aus dem Wagen geholfen wurde, „ich weiß auch nicht, warum ich so schnell ermüde. Vielleicht ist es die Stadtluft…“

Cecilia schnupperte. „Du könntest Recht haben. Sogar in den vornehmen Vierteln ist der Geruch etwas unerfreulich. Von der Themse halten wir uns wohl besser fern, darin treibt einfach zu viel Unrat, von Schlimmerem gar nicht zu reden.“

Melinda drehte sich um und rümpfte die Nase. Cecilia hüpfte aus dem Wagen und lachte. „Du hast ja Recht – aber denk doch mal an die armen Menschen, die im Osten der Stadt in den Armenvierteln leben – oder nahe der Themse! Es müsste wirklich Bestrebungen geben, dort die Verhältnisse zu verbessern!“

„Ich fürchte, wenn du das zu deinem Konversationsthema machst, wirst du unverlobt nach Berkshire zurückkehren“, warnte Melinda, reichte Hut, Schal und Handschuhe einem Lakaien und steuerte den Blauen Salon an. Morley eilte sogleich herbei und wurde beauftragt, Tee zu bringen.

„Das glaube ich gar nicht unbedingt“, meinte Cecilia dann, neben Melinda bequem auf einem der Sofas installiert. „Ich könnte dieses Thema doch als Test verwenden, ob ein Gentleman modern denkt und sich um die wichtigen Fragen der Zeit kümmert. Oder ob er einer der zahlreichen Hohlköpfe ist, die hier die Ballsäle bevölkern.“

„Ich werde deine Erfolge beobachten“, spöttelte Melinda und schloss ermattet die Augen.

„Was ist dir, meine Liebe?“, fragte daraufhin eine Männerstimme und sie riss die Augen wieder auf. „Oh, Sebastian – mir fehlt nichts, ich bin nur etwas erschöpft.“

„Also hat Cec dich durch alle Modegeschäfte der Stadt gezerrt? Cec, du bist wirklich furchtbar!“

„Wir waren gerade einmal bei Madame Fleuron, aber Melly hat Angst wegen der Rechnung“, verwahrte Cecilia sich.

Sebastian setzte sich neben seine Frau und zog sie zärtlich an sich. „Das musst du nicht, meine Liebe. Ich möchte doch, dass ihr alle beide so elegant wie möglich auftretet. Und ich weiß, was schöne Ballkleider kosten.“

„Ach ja – und woher wissen Sie das so genau, Mylord?“, gab sie sofort zurück.

Er küsste sie rasch auf die Nase. „Von Cecilia natürlich. Was dachtest du denn?“

„Hattest du nie eine Mätresse?“

„Bevor ich dich gefunden habe – natürlich. Aber die Dame kümmerte sich selbst um ihre Garderobe. Ich habe nur ihre Wohnung finanziert und ihr gelegentlich ein Schmuckstück überreicht.“

„Oh!“ Melinda schien diese Antwort nicht zu freuen.

„Melly, sei nicht albern“, mischte sich Cecilia ein, „was hast du erwartet?“

„Ja, das weiß ich doch! Werde ich diese Dame auf Bällen womöglich treffen?“

„Unwahrscheinlich“, behauptete Sebastian. „Sie ist eine recht gut gestellte Witwe, aber in unseren Kreisen bewegt sie sich nicht. Vielleicht treffen wir uns im Park, aber wahrscheinlich wird sie uns nicht grüßen.“

Das schien Melinda einigermaßen zufrieden zu stellen, jedenfalls verzichtete sie darauf, nach dem Namen der Dame zu fragen.

In diesem Moment kam der Tee.

Sebastian sah besorgt drein, denn Melinda trank zwar gleich zwei Tassen, wollte aber nichts weiter zu sich nehmen und behauptete, sie sei nicht hungrig, nur eben etwas müde.

„Du wirst uns doch nicht krank werden?“, zeigte sich Cecilia besorgt und auch Sebastian betrachtete seine Gemahlin mit sorgenvoll gerunzelter Stirn.

„Nicht doch! Vielleicht war es nur die Reise… und diese Fülle an neuen Eindrücken. Vergesst nicht, ich war doch noch nie in London.“

Sebastian zog seine Frau wieder an sich. „Natürlich. Das vergessen wir ja nur allzu leicht. London kann durchaus überwältigend wirken. In den nächsten Tagen werden wir für verträglichere Portionen an Londoner Eindrücken sorgen.“

„Das wäre reizend. Cecilia hat schon etwas von einem Park erwähnt, in dem man sich nachmittags sehen lassen muss.“

„Morgen fahre ich mit euch in den Hyde Park aus“, versprach Sebastian. „Die frische Luft wird dir gut tun, meine Liebe.“

„Na, frisch?“, spottete Cecilia. „Melinda hat schon angemerkt, dass es hier doch ein wenig – nun – eigentümlich duftet.“

„Es ist eben keine Landluft“, merkte Melinda friedlich und etwas träge an. „Ich werde mich schon daran gewöhnen. Auf den Park morgen freue ich mich schon. Und vormittags in diesen Bazaar?“

„Nicht zu lange, Cec!“, mahnte Sebastian, der wieder einmal feststellte, dass seine Frau eben doch noch sehr jung und so gar nicht stadterfahren war. Man durfte sie auch nicht überfordern – und sie schon gar nicht aus den Augen lassen!

„Nein, nein – nur ein paar Kleinigkeiten. Und vielleicht treffen wir dort ja einige der wichtigeren Ladies?“

Kapitel 2

Der nächste Morgen sah Lady Hertwood tatsächlich etwas erholter; mit rosigen Wangen und mutwillig funkelnden Augen saß sie ihrem Gemahl bei einem ausgedehnten Frühstück gegenüber. Cecilia stellte fest, dass auch ihr Bruder so rosig und verschmitzt wirkte, und überlegte, dass sich zwischen Eheleuten des Nachts doch recht angenehme Dinge abzuspielen schienen, wenn sie dann morgens so zufrieden wirkten.

Nun ja, sollte sie einen einigermaßen klugen, vornehmen und vermögenden Gemahl finden, würde sie ja wohl herausfinden können, was genau diese rosigen Wangen und das Funkeln der Augen hervorrief… vielleicht Küsse…?

Einige Stunden später sahen sie sich im Pantheon Bazaar um, beide mit großen Augen, denn auch Cecilia hatte ja dieses Etablissement noch nie mit eigenen Augen gesehen – diese Fülle, dieser Reichtum an allem Möglichen, womit man sich hochmodisch aufputzen konnte!

Und zwischen den Tischen und Verkaufsständen bewegten sich zahlreiche vornehme Damen, zumeist mit einer Zofe im Schlepptau, der man die Päckchen dann überreichen konnte. Nun, Melinda hatte ja ihre Hazel auch dabei – ausgesprochen praktisch!

Ein Tisch mit hübschen Schals aus federleichtem Kaschmirgarn zog sie magisch an, auch wenn Melinda sie diskret darauf verwies, dass sie doch schon eine ganze Schublade voller Schals habe.

„Mit einem Schal kann man jedes Kleid verändern“, argumentierte Cecilia und trat an den Stand heran, um sich rosa Schals vorlegen zu lassen. Der Verkäufer verneigte sich und präsentierte die passenden Stücke, nicht ohne Hazel interessierte Blicke zuzuwerfen. Melinda registrierte Hazels Erröten und versuchte dann, ebenfalls Interesse für die Schals zu entwickeln. Sie besaß einen in zartem Blau, einen in einem kühlen Rosaton (noch von Mrs. Reilly in Ascot) und einen in einem Cremeton, der einen bestickten Rand in verschiedenen Grautönen aufwies.

„Vielleicht in einem Lavendelton“, überlegte sie dann halblaut.

„Gewiss, Ma´am. Sofort, Ma´am.“

„Mylady!“, rügte Hazel sofort.

„Oh, ich bitte Euer Ladyschaft um Vergebung! In Lavendel – eine ausgezeichnete Wahl, Mylady! – hätte ich hier eine recht schöne Auswahl…“ Er öffnete eine kunstvoll bemalte Schachtel und zupfte die Schals heraus, um sie auf der Theke auszubreiten.

„Dieser, Mylady!“, rief Hazel sofort und zog einen Schal zu sich heran, der auf dem naturgemäß blasslila Fond zarte weiße Stickereien aufwies. „Eine sehr hübsche Arbeit. Und so zartes Material!“

Cecilia favorisierte dagegen ein Modell mit feinen weißen und violetten Streifen auf lavendelfarbenem Grund und so sah sich Melinda in ein Dilemma gestürzt. Beide gefielen ihr ausgezeichnet – und passten nicht nur zu weißen, sondern auch zu blassblauen und grauen Gewändern! – und beide sollten auch das gleiche kosten, nämlich neun Guineas. Viel Geld, fand sie in Erinnerung an ihre karge Jugend, aber sie wusste, dass Cecilia darüber nur lachen würde. Wahrscheinlich lachte ihre kleine Schwester Jane mittlerweile auch darüber, nachdem auf Lynet nun ein neuer, großzügigerer Wind wehte…

Sie entschloss sich zu einer noblen, einer Lady Hertwood angemessenen Geste und verkündete: „Ich werde sie beide nehmen!“

„Eine ausgezeichnete Idee, Mylady!“ Das kam zweistimmig – von Hazel und dem Verkäufer, der sofort eine Hilfskraft herbeiwinkte, damit sie ein hübsches Päckchen aus den beiden Schals verfertigte.

 

Cecilia lachte zufrieden: Melinda fügte sich wirklich von Tag zu Tag besser in ihre neue Position als Lady Hertwood!

Zugleich spürte sie in diesem Moment, dass ein forschender Blick auf sie gerichtet war. Sie sah sich um und entdeckte schräg gegenüber, an einem Verkaufstisch für Pelzwaren, eine Dame in mittleren Jahren, die sie durch ein Lorgnon betrachtete und sich dann naserümpfend abwandte.

Was fiel dieser Person denn nur ein? Sie betrachtete die Dame, eine eher kleine und recht rundliche Person in nichtssagendem Grau, etwas diskreter als diese es soeben getan hatte, und überlegte, wer sie sein konnte. Erneut hob die Dame ihr Lorgnon, ein schweres goldenes Gerät mit Rubinen rund um das Glas… das kannte sie doch noch von ihrer Saison damals? Lady Ruby, hatte sie jemand getauft, sie hörte das spöttische Geflüster noch, das in irgendeinem Ballsaal an ihr Ohr gedrungen war… Lady Ruby… Lady Sasson, genau! Die Gemahlin von Sir Ambrose Sasson, einem steinreichen Wollhändler, den König George wegen seiner Verdienste um die britische Wirtschaft in den Adelstand erhoben hatte. Sasson war den Gerüchten zufolge reich wie Krösus. So reich, dass zum Beispiel Sebastian, aber auch Benedict de Lys sich daneben nur verstecken konnten.

Ben… er wusste bestimmt Einzelheiten! Schade, dass er wohl auf Lynet nach dem Rechten sah. Nach dem, was Sebastian erzählte, schien der Besitz es auch noch immer bitter nötig zu haben.

Lady Sasson seufzte weithin hörbar, ließ das Lorgnon an Cecilias Gruppe entlang wandern und schnaubte schließlich naserümpfend. Was hatte diese dahergelaufene Person denn bitte? Cecilia spürte, wie die Wut in ihr hochstieg. Die Frau eines gerade erst geadelten Wollhändlers – eines Wollhändlers! – schwang sich zur Richterin über Gemahlin und Schwester des elften Barons Hertwood auf? Wobei obendrein die Damen sehr viel dezenter und geschmackvoller gekleidet waren als diese dubiose Lady Sasson: War diese düstere Kleidung etwa noch mit Jettperlen bestickt? Nun, vielleicht war sie in Trauer? Aber dann so viel Schmuck? Und bei der Pelzauswahl im Pantheon Bazaar anzutreffen statt in der Abgeschiedenheit ihres eigenen Heims?

Sehr, sehr seltsam… Sie gönnte der Dame ein kühles Nicken und drehte sich dann wieder zu Melinda und ihrer Zofe, die über einen zartgelben Schal mit langen Fransen diskutierten und schließlich davon abkamen. „Recht hast du: Gelb passt nicht zu blonden Haaren – aber mir könnte er gut stehen!“

Hazel drapierte ihn ihr eilfertig, der Verkäufer brach in Begeisterungsrufe aus, wie nicht anders zu erwarten, und Melinda nickte nach kurzer Musterung. „Ja, für dich ist er das Richtige. Wen hast du vorhin so lange beobachtet?“

„Später.“ Cecilia nickte dem Verkäufer zu, der sofort auch diesen Schal hübsch verpacken ließ.

Auf dem Weg zu weiteren Verkaufstischen teilte Cecilia Melinda kurz mit, wie sich Lady Sasson benommen hatte – und prompt ließ Melinda wieder einmal den Kopf hängen: „Wahrscheinlich ist es wegen des Skandals um Lynet.“

„Ja, mag sein. Aber der ist nicht deine Schuld – und was die Frau eines erst kürzlich geadelten Wollhändlers von uns hält, kann uns wirklich egal sein. Krittelsüchtige alte Weiber gibt es in London reichlich und wenn es nichts zu klatschen gibt, erfinden sie eben etwas. Du machst alles richtig – und ich habe die alte Fregatte nur sehr kühl gegrüßt.“

„Und wenn wir auf einen Ball gehen und man schneidet uns?“

„Großer Gott, keinesfalls! Ich bitte dich, Lady Hertwood und Miss Herrion? Vornehm, wohlhabend und gut aussehend – auch wenn ich das von mir selbst wohl nicht sagen sollte? Die alte Sasson hat zu solchen Bällen auch bestimmt keinen Zutritt.“

„Ein schwacher Trost… oh, sieh nur: Schmucknadeln!“

Die nächste Viertelstunde verging wie im Fluge, denn die Nadeln – teils für die Frisur, teils, um sie ans Kleid zu stecken – waren ausgesprochen reizend, mit Steinen oder mit kleinen Seidenblumen besetzt, zum Teil auch mit einem Stoff bezogen, der wiederum mit funkelnden Perlchen bestickt war. Und es gab sie in allen nur erdenklichen Farben!

Von Hazel kundig beraten, erwarben beide Damen eine beträchtliche Anzahl dieser Nadeln und schenkten auch Hazel einige als Honorar für ihre Beratung.

Als sie weitergehen wollten, schwankte Melinda und musste sich auf einer der Sitzgelegenheiten niederlassen. „Was ist dir?“ Cecilia setzte sich sofort neben sie.

„Ich weiß es nicht, plötzlich wurde mir schwindelig. Wärst du sehr böse, wenn ich für heute genug hätte?“

„Nicht doch, wir können doch jederzeit wieder hierher kommen – und wir haben doch schon recht hübsche Beute gemacht, nicht wahr? Aber wir könnten auf dem Rückweg noch bei Gunter´s vorbeifahren…“

„Noch mehr Putz?“, fragte Melinda schwächlich.

„Nein, ich hätte eher an etwas Eis gedacht“, war Cecilias heitere Antwort. „Das könnte dich wieder munter machen, meinst du nicht?“

„Ja, das gefällt mir.“

„Und heute Nachmittag wird Seb mit uns in den Park fahren, damit alle wissen, dass wir wieder da sind.“

„Ach ja!“, machte Melinda beklommen, ließ sich von Hazel aufhelfen und zum Ausgang führen.

Bei Gunter´s gefiel es ihr sichtlich gut, und das Eis mit dem Geschmack nach italienischen Zitronen mundete ihr so gut, dass sie schon mit dem Gedanken an eine zweite Portion spielte. Cecilia lobte diesen Plan, aber dann wollte Melinda doch lieber nach Hause und ein wenig ruhen.

Sobald Melinda in ihrem Schlafzimmer untergebracht war, zog sich Cecilia, die ihre Einkäufe ihrer eigenen Zofe Florette übergeben hatte, in den Salon zurück und sah noch einmal die Einladungen durch, die sie bereits erhalten hatten. Da Melinda in London ohnehin niemanden kannte und Sebastian keine Vorlieben geäußert hatte, konnte sie wohl selbst entscheiden, wohin sie gehen sollten.

Zuerst tatsächlich zu Mrs. Ramsworth, die einfach eine reizende Person war. Ein kleiner Ball, nur sehr ausgewählte Gäste, das wäre auch genau das Richtige für Melinda, die doch wohl noch nie einen echten Ball mitgemacht hatte.

Und als nächstes… die Prestons? Sir Michael und Lady Preston, die immer vergnügte Laura, waren entzückende Gastgeber, daran erinnerte sie sich noch von ihrer Saison her. Und ihr Bekanntenkreis war erstklassig, man konnte alles bei ihnen antreffen, was Rang und Namen hatte.

Oder sollten sie den Ball in Pole House besuchen? Beim Earl und der Countess of Pole? Nein, dort waren bekanntermaßen die Musik und der Champagner schlecht – Pole war vornehm und reich, aber geizig, sagte man. Dazu wusste Sebastian bestimmt Genaueres! Nein, lieber zu den Prestons.

Sie sortierte weitere goldgeränderte Karten durch. Die verwitwete Countess of Milton… sehr vornehm, sehr angesehene Bekannte, aber auch viele krittelsüchtige alte Damen… aber bei der dritten derartigen Veranstaltung sollte Melinda damit schon zurechtkommen können.

Vielleicht veranstalteten die jungen Claremonts auch einen Ball? Rupert Claremont war mit Ben de Lys befreundet, soweit sie wusste. Eine Einladung gab es noch nicht… andererseits kannten die Claremonts die Herrions kaum, warum sollten sie sie also einladen?

Oh, hier, die Harringtons am Grosvenor Square! Damals hatten sie zwei wundervolle Bälle veranstaltet, um ihre Tochter Maria zu präsentieren, die sich auch prompt Lord Kilburn geangelt hatte und nun eine angesehene Viscountess war. Sie könnte sie besuchen, wenigstens Karten hinterlassen…

Andererseits hatten sie sich damals nicht ausstehen können, wenn auch der Austausch von persönlichen Spitzen und kleinen Gemeinheiten durchaus amüsant gewesen war. Nein, keine Karten… sie wollte lieber abwarten, ob sich im Park etwas ergab.

Das genügte erst einmal, fand sie: Ramsworth und Prestons … diese Manie, an einem Abend drei bis vier Bälle zu besuchen und überall gerade einmal einen Ländler, einen Walzer und einen Kotillon zu tanzen, bevor man sich zum nächsten Stadtpalais aufmachte, fand sie albern. Und Melinda wäre damit bestimmt auch überfordert; sie war ja schon nach einem kurzen Besuch im Pantheon Bazaar erschöpft!