Arbeitgeberattraktivität: Die Rolle von Work-Life-Balance und flexiblen Arbeitszeitmodellen

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Arbeitgeberattraktivität: Die Rolle von Work-Life-Balance und flexiblen Arbeitszeitmodellen
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Arbeitgeberattraktivität:
Die Rolle von Work-Life-Balance
und flexiblen Arbeitszeitmodellen
Eine praxisbezogene Studie mit dem Fokus
auf Juristinnen und Juristen

Carina Stiglbauer

Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8005-1786-2


© 2021 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main

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Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang

Printed in Germany

Vorwort

Mit den juristischen Berufen werden häufig lange Arbeitszeiten und große Arbeitsbelastungen assoziiert. Auch ich habe ähnliche Erfahrungen als Rechtsanwaltsanwärterin in verschiedenen Kanzleien aller Größen und auch – wenngleich in geringerem Ausmaß – als Unternehmensjuristin gemacht. Ich habe beruflich und privat viele Juristen kennengelernt und im Laufe der Zeit drei wesentliche Beobachtungen gemacht: Erstens nehmen viele Rechtsanwaltsanwärter die langen Arbeitszeiten hin und sehen viele Überstunden schichtweg als Teil ihres Jobs. Zweitens habe ich den Eindruck gewonnen, dass insbesondere in den vergangenen Jahren ein Umdenken unter den Juristen, besonders jener in ihren 20er und 30er Jahren, stattfindet und sie nicht mehr bereit sind, „ihr Leben“ gänzlich für den Job „zu opfern“. Drittens habe ich beobachtet, dass viele meiner weiblichen Kolleginnen oft bald nach der Rechtsanwaltsprüfung die Anwaltei (meistens) in Richtung eines Unternehmens verlassen und nicht eine Karriere als Rechtsanwältinnen anstreben.

Daher erschien es für mich als ein reizvolles Forschungsthema, diese Aspekte zu untersuchen, die genauen Ursachen und Hintergründe dafür herauszufinden und die damit verbundene Frage zu beantworten, was Organisationen machen können, um (auch weibliche) juristische Talente für sich zu gewinnen und langfristig an sich zu binden. Zu diesem Zweck musste ich erheben, welche Faktoren Juristen bei der Wahl ihres Arbeitgebers besonders wichtig bzw unwichtig sind. Da – nicht nur nach meinen eigenen Beobachtungen, sondern auch wissenschaftlich belegt – besonders den jüngeren Generationen Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeitgestaltung immer wichtiger zu werden scheinen, habe ich in diesem Buch auch einen besonderen Fokus auf diese zwei Arbeitgeberattraktivitätsattribute gelegt.

Dieses Buch soll Organisationen helfen, Einsicht in die Gedanken und Wünsche ihrer juristischen Mitarbeiter zu gewinnen und dementsprechend passende HR-Strategien für ihre juristische Zielgruppe zu entwickeln. Insbesondere durch die Auswertung und Analyse von zahlreichen soziodemographischen Angaben, wie etwa Alter, Geschlecht, Eigenschaft als Elternteil etc soll ermöglicht werden, ebenso hinsichtlich dieser Angaben maßgeschneiderte Maßnahmen zu implementieren. Dieses Buch ist hierfür wesentlich, da es an Literatur und wissenschaftlichen Studien zu dieser Zielgruppe mangelt. Auch für verwandte Berufe wie etwa den Consultingbereich können diese Studienergebnisse herangezogen werden.

Diese Publikation basiert auf meiner Masterarbeit, die im Rahmen meines Masterstudiums an der Fachhochschule Burgenland im Sommersemester 2020 approbiert und mit „Sehr Gut“ bewertet wurde. Im Rahmen dieser Publikation wurde sie bis zum Stand Februar 2021 aktualisiert und noch weitere Auswertungen vorgenommen, die aufgrund der Begrenzung der Seitenzahl keinen Platz mehr in der Masterarbeit gefunden haben.

Besonderer Dank gebührt meinem Betreuer MMag. Dr. Florian Dunkel für seine hilfreichen Anregungen und die konstruktive Kritik während der Erstellung meiner Masterarbeit. Ein weiterer Dank gilt ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang Elsik, der mir im Rahmen des Seminars zur Masterarbeit durch seine kritischen Fragen sehr wertvolle Denkanstöße gegeben hat. Auch möchte ich mich bei unserer Studiengangleiterin Frau Prof.(FH) Mag. Dr. Silvia Ettl-Huber herzlich bedanken, die es uns durch die Gestaltung des Studienplans ermöglicht hat, umfassendes Wissen im HR-Bereich zu erwerben. Besonderer Dank gebührt auch Dr. Clemens Egermann, Partner einer renommierten Wiener Rechtsanwaltskanzlei, Lektor und Mitglied der Prüfungskommission der Fachhochschule Burgenland, der nach meiner Masterprüfung die Relevanz meiner Masterarbeit insbesondere für den Stand der Rechtsanwälte bestätigt und mich in meinem Publikationsvorhaben bekräftigt hat.

Des Weiteren möchte ich mich beim Verlag für die Aufnahme ins Verlagsprogramm bedanken, wobei besonderer Dank Herrn Patrick Orth LL. M. gebührt, der mich während des gesamten Prozesses besonders unterstützt hat. Schließlich möchte ich mich bei allen 709 Personen bedanken, die sich die Zeit genommen haben, meinen Fragebogen vollständig auszufüllen und mir hierdurch sehr interessante Einblicke gewährt haben, die es mir erst möglich gemacht haben, dieses Buch zu verfassen. Zu guter Letzt möchte ich mich bei meinem Ehemann Mag. Thomas Stiglbauer LL. M. für die kritische Durchsicht, zahlreichen spannenden Diskussionen, Denkanstöße und die Hilfe bei der Erstellung der Grafiken bedanken; ohne ihn wäre das Buch nicht das geworden, was es ist.


Wien, im Februar 2021Carina Stiglbauer

Inhaltsverzeichnis

1  Vorwort

2  1 Einleitung

3  2 Arbeitgeberattraktivität 2.1 Bedeutung der Arbeitgeberattraktivität 2.2 Kriterien der Arbeitgeberattraktivität

4  3 Work-Life-Balance 3.1 Wichtigkeit von Work-Life-Balance 3.2 Definition von Work-Life-Balance 3.3 Work-Life-Balance im juristischen Bereich 3.4 Gründe für einen Mangel an Work-Life-Balance mit dem Fokus auf juristische Berufe 3.5 Auswirkungen von (mangelnder) Work-Life-Balance auf die Belegschaft und das Unternehmen 3.5.1 Allgemeine Auswirkungen 3.5.2 Auswirkungen auf die Geschlechter 3.5.3 Auswirkungen auf die unterschiedlichen Generationen

5  4 Flexible Arbeitszeitmodelle 4.1 Allgemeines 4.2 Arten von flexiblen Arbeitszeitmodellen 4.2.1 Homeoffice 4.2.1.1 Allgemeines und Auswirkungen auf die Belegschaft und das Unternehmen 4.2.1.2 Auswirkungen der Coronakrise auf Homeoffice 4.2.2 Teilzeit 4.2.2.1 Allgemeines 4.2.2.2 Auswirkungen von Teilzeit auf die Belegschaft und das Unternehmen 4.2.3 Gleitzeit 4.2.4 Komprimierte Arbeitszeit 4.2.5 Sabbatical 4.2.6 Vertrauensarbeitszeit 4.3 Akzeptanz und Annahme von flexibler Arbeitszeitgestaltung

6  5 Darlegung der Relevanz der von der Autorin durchgeführten Studie

7  6 Forschungsdesign und Methode 6.1 Ziel der Untersuchung 6.2 Methodisches Vorgehen 6.3 Beschreibung der Zielgruppe 6.4 Aufbau der Onlinebefragung 6.5 Vorbereitung und Durchführung der Befragung

 

8  7 Ergebnisse der Studie 7.1 Soziodemographische Angaben 7.2 Ergebnisse hinsichtlich Arbeitgeberattraktivität 7.2.1 Ergebnisse aller Studienteilnehmer 7.2.2 Ergebnisse von Studierenden 7.2.3 Ergebnisse von Absolventen 7.2.4 Ergebnisse hinsichtlich soziodemographischer Angaben 7.2.4.1 Vergleich der Geschlechter 7.2.4.2 Vergleich von Müttern und Vätern 7.2.4.3 Vergleich der Geschlechter und der Eigenschaft als Elternteil 7.2.4.4 Vergleich der Generationen 7.2.4.5 Vergleich der unterschiedlichen Organisationen bzw Berufe 7.2.5 Ergebnisse hinsichtlich der Gruppen von Berthon et al. 7.2.6 Ergebnisse hinsichtlich der offen gestellten Frage 7.3 Ergebnisse hinsichtlich Work-Life-Balance 7.3.1 Vergleich von Studenten und Absolventen 7.3.2 Vergleich der Geschlechter und der Eigenschaft als Elternteil 7.3.3 Vergleich der Generationen 7.3.4 Vergleich der unterschiedlichen Organisationen bzw Berufe 7.4 Ergebnisse hinsichtlich flexibler Arbeitszeitmodelle 7.4.1 Ergebnisse hinsichtlich der Wichtigkeit von flexiblen Arbeitszeitmodellen 7.4.1.1 Ergebnisse aller Studienteilnehmern 7.4.1.2 Ergebnisse hinsichtlich soziodemographischer Angaben 7.4.1.2.1 Vergleich der Geschlechter und der Eigenschaft als Elternteil 7.4.1.2.2 Vergleich der Generationen 7.4.1.2.3 Vergleich der Organisationen bzw Berufe 7.4.2 Ergebnisse hinsichtlich Angebot und Inanspruchnahme von flexiblen Arbeitszeitmodellen 7.4.2.1 Ergebnisse der Berufstätigen 7.4.2.2 Ergebnisse im Vergleich der Geschlechter und der Eigenschaft als Elternteil 7.4.2.3 Ergebnisse im Vergleich der Generationen 7.4.2.4 Ergebnisse im Vergleich der Organisationen bzw Berufe 7.4.3 Ergebnisse hinsichtlich der Auswirkung von Corona auf Homeoffice 7.4.3.1 Ergebnisse der Berufstätigen 7.4.3.2 Vergleich der unterschiedlichen Organisationen bzw Berufe 7.4.3.3 Vergleich der Bundesländer 7.4.3.4 Vergleich der weltweiten Mitarbeiteranzahl

9  8 Erfordernis weiterer Forschung

10  9 Zusammenfassung und Überlegungen für HR-Strategien 9.1 Wichtigkeit von Arbeitgeberattraktivität 9.2 Einführung von HR-Maßnahmen im Hinblick auf Work-Life-Balance 9.3 Zielgruppe der Work-Life-Balance-Maßnahmen 9.4 Lange Arbeitszeiten – ein Grund für mangelnde Work-Life-Balance 9.5 Gewinnung von qualifiziertem Personal durch die Bindung von weiblichen Anwältinnen 9.6 Berücksichtigung von sozialen Faktoren 9.7 Homeoffice – ein Muss nach Corona? 9.8 Teilzeit 9.9 Gleitzeit 9.10 Wie werden HR-Richtlinien am besten angenommen?

11  10 Verzeichnisse 10.1 Literaturverzeichnis 10.2 Gesetze 10.3 Internetquellen 10.4 Abbildungsverzeichnis 10.5 Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

Aufgrund des Fachkräftemangels kämpfen immer mehr Unternehmen darum, die besten Talente für sich zu gewinnen und diese zu halten (Berthon et al., 2005, S. 167). Insbesondere für Unternehmen, deren Geschäftsmodell es ist, das Wissen seiner Arbeitnehmer am Markt zu verkaufen (Alvesson, 2004, S. 17), wie etwa Rechtsanwaltskanzleien (https://www.deutscheranwaltspiegel.de/anwaltspiegel/archiv/wissensmanagement-in-anwaltskanzleien/), ist es entscheidend die richtigen Mitarbeiter zu haben (Sivertzen et al., 2013, S. 473). Um die Top-Talente anzuziehen, investieren immer mehr Organisationen in employer branding-Maßnahmen (Ewing et al., 2002, S. 3), mit dem Ziel sich strategisch und langfristig als attraktiver Arbeitgeber am Markt zu positionieren (Pingle & Sharma, 2013, S. 78ff). Damit die Unternehmen die richtigen Maßnahmen ergreifen können, ist es wiederum von grundlegender Bedeutung, dass sie wissen was ihre Zielgruppe tatsächlich als attraktiv wahrnimmt (Arachchige & Robertson, 2011, S. 25; Sivertzen et al., 2013, S. 475). Vor diesem Hintergrund hat sich die Autorin die Frage gestellt, was Juristinnen und Juristen bei der Wahl ihres Arbeitgebers wichtig ist. Daher wird in dem Werk zunächst das Thema Arbeitgeberattraktivität wissenschaftlich beleuchtet, wobei ein Fokus auf die zwei Elemente Work-Life-Balance und Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung gelegt wird, die in jüngerer Vergangenheit immer mehr an Bedeutung gewonnen haben.

Work-Life-Balance wird sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer immer wichtiger, da viele Mitarbeiter das Problem haben, ihre beruflichen und privaten Verpflichtungen in Einklang zu bringen (Wharton & Blair-Loy, 2002, S. 32f). Ein Faktor, der die Work-Life-Balance negativ beeinflussen kann, sind lange Arbeitszeiten (Walsh, 2019, S. 392). Gerade der Beruf des Rechtsanwalts wird mit sehr langen Arbeitszeiten assoziiert, wobei der Grundsatz gilt, dass je prestigeträchtiger die Anwaltskanzlei, desto mehr Stunden werden gearbeitet, um die Bedürfnisse der Klienten zu erfüllen (Epstein, 1999, S. 22).

Flexibilisierung bei der Arbeitszeitgestaltung ist geeignet, die Work-Life-Balance der Mitarbeiter zu verbessern (Kelliher & Anderson, 2010, S. 83) und ist aus der heutigen Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken (Walsh, 2007, S. 155). Auch die Coronapandemie ist ein Treiber für die Flexibilität in der Arbeit, wodurch das Thema Homeoffice stark an Aktualität zugewonnen hat (Mütze-Niewöhner, 2020, S. 308). In diesem Buch werden die flexiblen Arbeitszeitmodelle Teilzeitarbeit, Homeoffice, komprimierte Arbeitszeit (Kelliher & Anderson, 2010, S. 83) und Gleitzeit (Peretz et al., 2018, S. 183) behandelt und die positiven sowie negativen Auswirkungen auf die Belegschaft und das Unternehmen dargestellt.

Wie erwähnt wird in diesem Buch zunächst die Literatur zu den Themen Arbeitgeberattraktivität, Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeitmodelle wissenschaftlich beleuchtet. Danach wird dargelegt, welche Relevanz die von der Autorin durchgeführte Studie für die Wissenschaft und die Praxis hat, sowie das Forschungsdesign und die Forschungsmethode erläutert. Im darauffolgenden Kapitel werden die Ergebnisse der von der Autorin durchgeführten Studie, an der 709 Personen teilnahmen, dargelegt und analysiert. Die Auswertungen erfolgen auch im Hinblick auf soziodemographische Aspekte wie etwa Alter, Geschlecht, Eigenschaft als Elternteil oder derzeit ausgeübter Job. Im Anschluss daran wird noch untersucht, welche weiterführenden Untersuchungen aufgrund der Studie der Autorin durchgeführt werden könnten. Im letzten Kapitel werden die wichtigsten Erkenntnisse aus der Literatur und der von der Autorin durchgeführten Studie zusammengefasst und Überlegungen für HR-Strategien angestellt.

Aus Gründen der Lesbarkeit wurde in diesem Werk die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

2 Arbeitgeberattraktivität

2.1 Bedeutung der Arbeitgeberattraktivität

Unternehmen streben grundsätzlich nach nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen, um höhere Umsätze zu erzielen und am Markt konkurrenzfähig zu sein. Human Resource Management spielt hierbei eine entscheidende Rolle, da die Auswahl der richtigen Mitarbeiter den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen kann, dies insbesondere in wissensintensiven Unternehmen (Sivertzen et al., 2013, S. 473), wie etwa Rechtsanwaltskanzleien (https://www.deutscheranwaltspiegel.de/anwaltspiegel/archiv/wissensmanagement-in-anwaltskanzleien/). In solchen wissensintensiven Unternehmen sind die Arbeitnehmer und deren intellektuelle Fähigkeiten das wichtigste Gut, da diese Organisationen dem Markt anspruchsvolles Wissen und wissensbasierte Produkte verkaufen (Alvesson, 2004, S. 17). Daher sollte es für jede Organisation die oberste Priorität sein, den richtigen Kandidaten für die gewünschte Stelle zu finden (Pingle & Sharma, 2013, S. 78). Speziell die Unternehmen, bei denen es auf das Wissen ihrer Mitarbeiter ankommt, stehen aufgrund des dauerhaften Mangels an qualifiziertem Personal vor einer großen Herausforderung; sie müssen sich von anderen Unternehmen unterscheiden, um für talentierte Arbeitnehmer attraktiver zu sein (Ewing et al., 2002, S. 3). In vielen Bereichen gibt es einen regelrechten Kampf um die besten und intelligentesten Talente (Cable & Turban, 2003, S. 2244).

Das Vorliegen eines Fachkräftemangels bestätigt auch die von der ManpowerGroup jährlich durchgeführte Studie, in der über 39.000 Arbeitgeber in 43 Ländern und Territorien befragt wurden. Die Studie zeigt, dass Unternehmen in den letzten zehn Jahren immer mehr Probleme haben, offene Stellen zu besetzen. Im Jahr 2018 hatten 45 % (in großen Unternehmen mit einer Mitarbeiteranzahl von mehr als 250 sogar 67 %) und im Jahr 2019 54 % der Organisationen Schwierigkeiten, Mitarbeiter mit den benötigten Qualifikationen und Fähigkeiten ausfindig zu machen. Die Studie aus 2018 zeigt auch den Unterschied zwischen den einzelnen Ländern. Liegt der weltweite Durchschnitt 2018, wie erwähnt bei 45 %, wird Österreich mit 46 % und Deutschland mit sogar 51 % als überdurchschnittlich schwierig angesehen. Im Gegensatz dazu ist es für Arbeitgeber in der Schweiz im weltweiten Vergleich mit einem Wert von 33 % weniger problematisch Fachkräfte zu finden. Die Teilnehmer wurden auch nach den zehn gefragtesten Fähigkeiten und Qualifikationen befragt und gaben 2018 an Stelle acht Experten wie Juristen an. 2019 fanden sich diese jedoch nicht mehr in den Top Ten, was lediglich mit einem knappen Hinweis auf die steigende Automatisierung von Routineaufgaben begründet wurde (https://www.manpowergroup.de/fileadmin/manpowergroup.de/Studien/MPG_TalentShortage2018_DE_A4_LY1.pdf und https://www.manpowergroup.de/fileadmin/manpowergroup.de/Studien/MPG_Whitepaper_TSS_2019.pdf).

 

Neben dem Fachkräftemangel zeigt sich auch, dass einzelne Branchen Probleme haben, Frauen langfristig zu halten, wie etwa die Anwaltei. Für Österreich kann dies sehr gut aufgezeigt werden: Ende 2020 lag das Verhältnis zwischen Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärtern bei etwa 50 %, doch beträgt der Frauenanteil bei Rechtsanwälten lediglich 23 % (https://www.rechtsanwaelte.at/kammer/kammer-in-zahlen/mitglieder/).

Um trotz der geschilderten Schwierigkeiten dennoch den Kampf um die besten Talente zu gewinnen, der in Zukunft ebenso schwierig sein kann wie der Wettbewerb um Kunden (Berthon et al., 2005, S. 167), investieren immer mehr Unternehmen in employer branding-Maßnahmen (Ewing et al., 2002, S. 3). Die Hauptaufgabe von employer branding besteht darin, ein Unternehmen strategisch und langfristig als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren, und zwar sowohl für potenzielle als auch für bestehende Mitarbeiter. Mitarbeiterbindung ist für Unternehmen wesentlich, da Arbeitnehmer in der heutigen Zeit häufiger ihren Arbeitsplatz wechseln als in früheren Zeiten, in denen diese lediglich zwei oder dreimal in ihrer gesamten Karriere den Job wechselten (Pingle & Sharma, 2013, S. 78ff). Dass das Thema immer mehr an Aktualität und Wichtigkeit gewinnt, kann man sowohl an den zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln als auch an den Artikeln für Praktiker zum Thema employer branding erkennen (Edwards in Bach & Edwards, 2013, S. 389ff). Auch ist es für Unternehmen immer wichtiger, ein „Best Employer“ (Pingle & Sharma, 2013, S. 82) bzw ein „Great place to work“ zu sein, dies unabhängig von der Unternehmensgröße (Jain & Bhatt, 2015, S. 634). Dies wird deutlich durch die Vielzahl an Unternehmensauszeichnungen wie etwa die Auszeichnungen als „Bester Arbeitgeber Österreichs“ bei „Great place to work“ (https://www.greatplacetowork.com/), „trend. TOP Arbeitgeber 2020 Österreich in Kooperation mit kununu und Statistik Austria“ (https://www.trend.at/branchen/karrieren/beste-arbeitgeber-2020-oesterreich-11413746) oder „Leading Employers Österreich“ (https://www.leading-employers.at/).

2.2 Kriterien der Arbeitgeberattraktivität

Das Konzept von employer branding wurde zum ersten Mal von Ambler und Barrow (1996, S. 187) definiert, und zwar als das Paket aus funktionalen, wirtschaftlichen und psychologischen Vorteilen, die eine Anstellung mit sich bringt und die mit dem anstellenden Unternehmen identifiziert werden („the package of functional, economic and psychological benefits provided by employment, and identified with the employing company“). Bei employer branding geht es darum, dass man für ein Unternehmen ein Image aufbaut, damit dieses am Arbeitsmarkt als „great place to work“ wahrgenommen wird (Ewing et al., 2002, S. 12). Das Konzept von employer branding ist eng mit dem Konzept der Arbeitgeberattraktivität verbunden (Bakanauskienė et al., 2011, S. 11). Um effektive employer branding-Maßnahmen zielgerichtet planen und durchführen zu können, müssen Unternehmen die tatsächlichen Faktoren kennen, die zu Arbeitgeberattraktivität führen (Arachchige & Robertson, 2011, S. 25; Sivertzen et al., 2013, S. 475). Berthon et al. (2005, S. 151) definieren Arbeitgeberattraktivität als die Vorteile, die sich ein potentieller Arbeitnehmer vorstellt, wenn er für ein bestimmtes Unternehmen arbeitet („the envisioned benefits that a potential employee sees in working for a specific organisation“). Arbeitgeberattraktivität ist insbesondere dann von grundlegender Bedeutung, wenn Unternehmen Arbeitnehmer für sich gewinnen wollen, die höherwertige Fähigkeiten und Wissen aufweisen und dadurch dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil geben können.

Um Arbeitgeberattraktivität messen zu können, entwickelten Berthon et al. (2005, S. 156ff) hierfür eine Skala. Letztsemestrige Studenten einer großen australischen Universität wurden in Fokusgruppen eingeteilt und Fragen zu ihrem idealen Arbeitgeber, zu den Faktoren, die sie als wichtig erachteten, wenn sie potenzielle Arbeitgeber in Betracht zogen und zu den Organisationen, für die sie am wenigsten gerne arbeiten würden, gestellt. Daraus wurden 32 Faktoren der Arbeitgeberattraktivität entwickelt, die in einer zweiten Studie mit 683 Studenten überprüft wurden. Daraus entwickelte sich die vielfach verwendete Skala, die aus 25 Elementen besteht.

Die meisten Studien zur Arbeitgeberattraktivität basieren auf dieser Skala, weshalb sie bereits mehrfach international getestet wurde und eine gute Reliabilität aufweist (Grăjdieru (Coman) & Khechoyan, 2019, S. 98f). Sie ist eine Verfeinerung und Erweiterung der drei Dimensionen von Ambler und Barrow (1996, S. 185): die (i) psychologischen, (ii) funktionalen und (iii) wirtschaftlichen Vorteile. Die Skala von Berthon et al. (2005, S. 159ff) besteht wie erwähnt aus 25 Elementen und gliedert sich in fünf Gruppen:

 1. Anwendung (A): untersucht den Wunsch in einem Unternehmen zu arbeiten, das den Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, das Gelernte anzuwenden und andere zu unterrichten, dies in einer Umgebung die sowohl kundenorientiert als auch menschenfreundlich ist.

 2. Entwicklung (E): misst die Anziehung an Organisationen, die Anerkennung, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, gepaart mit karrierefördernden Erfahrungen ermöglichen und die ein Sprungbrett für zukünftige Beschäftigungen sind.

 3. Interesse (I): zeigt das Ausmaß in dem sich Personen von Arbeitgebern angesprochen fühlen, die ein spannendes Arbeitsumfeld und neuartige Arbeitspraktiken bieten und die die Kreativität ihrer Mitarbeiter nutzen, um hochwertige und innovative Produkte und Dienstleistungen herzustellen.

 4. Soziales (S): misst die Anziehung von Personen im Hinblick auf eine Arbeitsumgebung, die Spaß macht, sowie eine gute Teamatmosphäre bietet und gute kollegiale Beziehungen ermöglicht.

 5. Wirtschaftlichkeit (W): untersucht das Ausmaß, in dem sich Personen von Unternehmen angezogen fühlen, die überdurchschnittliches Gehalt bzw Vergütungssysteme, Arbeitsplatzsicherheit und Aufstiegsmöglichkeiten bieten.

Um Interessierten eine weiterführende Vertiefung in die Literatur der Arbeitgeberattraktivität zu ermöglichen, wird im Folgenden kurz dargestellt, in welchen Studien diese Skala herangezogen wurde: Roy (2008, S. 118ff) erweiterte die Skala um zwei Faktoren, nämlich um „starke und klare Unternehmenskultur“ sowie um „ethnische Organisation“. In seiner Studie wurden 150 Fragebögen von Studierenden in ihrem letzten Studienjahr an einer Wirtschaftsuniversität ausgefüllt. Die Befragten beantworteten Fragen zur Attraktivität von Unternehmen, die in der Liste der „best managed Indian companies of 2005“ geführt wurden. Arachchige und Robertson (2011, S. 31ff) konzentrierten sich auf Faktoren, die letztsemestrige Wirtschaftsstudenten in Sri Lanka anzogen. Auch sie erweiterten die Skala um sieben weitere Elemente, unter anderem „sehr profitable Unternehmen“ oder „Qualität des Managements“, wobei alle diese sieben Faktoren zu den von den Befragten am wenigsten bevorzugten zählten. In der Studie von Sivertzen et al. (2013, S. 473ff) wurden Ingenieurstudenten in Norwegen über drei bekannte norwegische Ingenieurbüros befragt. Des Weiteren untersuchte die Studie die Beziehungen zwischen den Dimensionen der Skala von Berthon et al. (2005) und der Nutzung von sozialen Medien in Bezug auf den Unternehmensruf und die Absicht, sich auf eine Stelle zu bewerben. Arbeitgeberattraktivität wurde in der Studie von Alnıaçık et al. (2014, S. 338ff) in Bezug auf Studenten in Lettland und der Türkei untersucht. Die Studie von Reis und Braga (2016, S. 107ff) analysierte Arbeitgeberattraktivität von Fachleuten, die hauptsächlich im Südosten Brasiliens arbeiten, wobei die Skala von Berthon et al. (2005) um fünf Elemente gekürzt wurde. Letztsemestrige Wirtschaftsstudenten in Tschechien waren die Zielgruppe von Eger et al. (2019, S. 523ff). Grăjdieru (Coman) und Khechoyan (2019, S. 99ff) analysierten die Hauptmerkmale von Arbeitgeberattraktivität für Studierende und Absolventen in Rumänien, Italien und Armenien. Auch diese Studie basiert auf der von Berthon et al. (2005) entwickelten Arbeitgeberattraktivitätsskala, wobei die Autoren ein paar wenige Elemente veränderten und unter anderem um die zwei Elemente „Work-Life-Balance“ und „Flexible Arbeitszeitgestaltung“ erweiterten. Grund für die Aufnahme dieser zwei Elemente war, dass diese Faktoren insbesondere für die jüngeren Generationen immer mehr an Bedeutung gewinnen und diese Entwicklung in der Skala von Berthon et al. aus 2005 noch nicht berücksichtigt werden konnte (Grăjdieru (Coman) & Khechoyan, 2019, S. 99; Twenge, 2010, S. 201). Daher wird für die Zwecke dieses Buchs die wissenschaftlich anerkannte Skala von Berthon et al. (2005) verwendet und auch um die zwei Elemente „Work-Life-Balance“ und „Flexible Arbeitszeitgestaltung“ von Grăjdieru (Coman) und Khechoyan (2019) erweitert. Die Themen Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeitmodelle werden in den Kapiteln 3 und 4 ausführlich behandelt.

Die Studie von Berthon et al. (2005) sowie alle oben angeführten Studien, die diese Skala verwendeten, kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Elemente, die die Befragten als am wichtigsten empfanden und somit welche Attribute für die Studienteilnehmer als attraktiv oder weniger attraktiv wahrgenommen wurden. Einzelne Studien zeigen, welche Elemente für die Befragten wesentlich waren (siehe Alnıaçık et al., 2014; Arachchige & Robertson, 2011), andere wiederum nur, welche übergeordnete Gruppe (z.B. Soziales oder Wirtschaftlichkeit; siehe Reis & Braga, 2016). Eine Erklärung für die unterschiedlichen Studienergebnisse lieferte bereits Berthon et al. (2005, S. 168): Arbeitgeberattraktivität kann aufgrund unterschiedlicher Kulturen in den jeweiligen Ländern anders wahrgenommen werden. Die Werteorientierung der einzelnen Arbeitnehmer unterscheidet sich jedoch nicht nur aufgrund von kulturellen, sondern auch aufgrund von zeitlichen Gegebenheiten (Sengupta et al., 2015, S. 307). Die Umfragen wurden in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren durchgeführt, wodurch es auch zu Veränderungen in der Wahrnehmung von Arbeitgeberattraktivität kommen kann. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass Studien, die in einem einheitlichen Zeitraum in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden, unterschiedliche Ergebnisse zwischen den Ländern ergaben, wie etwa die Studie von Grăjdieru (Coman) und Khechoyan (2019, S. 97ff; Rumänien, Italien und Armenien) und auch die Umfrage von Alnıaçık et al. (2014, S. 336ff; Lettland und Türkei).

Nach diesem kurzen Abriss über Arbeitgeberattraktivität soll in den nächsten zwei Kapiteln auf die beiden zuvor erwähnten wichtigen Arbeitgeberattraktivitätsattribute Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeitmodelle, näher eingegangen werden.