Mondlichtmagie

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Mondlichtmagie
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C. K. Zille

Mondlichtmagie


ERSTER TEIL

Lady Moonlight

Kapitel 1

Die Scheinwerfer streiften über das Publikum, tauchten die Gesichter der Besucher in ein mystisches Licht, während sie gebannt auf die Bühne sahen. Tosender Applaus brach los und die Menschen sprangen von ihren Sitzen auf.

Riley schnaubte belustigt. Billige Lichteffekte. Die Leute ließen sich so leicht beeinflussen! Aber er nicht, denn er kannte die Tricks der Zauberkünstler. Unbeeindruckt verfolgte er das Spektakel, das die Menschenmenge anheizte.

Beschwingte, melodische Klänge sorgten für eine kitschig perfekte Atmosphäre, bis schließlich ein lautes Zischen ertönte und die Bühne in einen bunten Lichternebel gehüllt wurde.

»Begrüßen Sie die fantastische Lady Moonlight!«, erklang eine Stimme.

Eine Welle aus Jubel erfasste die Menge. Um nicht aufzufallen, stimmte Riley mit ein, als die Zauberkünstlerin die Bühne betrat.

Er musste den Gerüchten zustimmen: Lady Moonlight war eine wunderschöne Frau. Ihre rotbraunen Haare fielen in Wellen über ihre Schultern. Ein elegantes, langes Kleid betonte ihre schlanke Statur und ihr Gesicht war mit dunklen Schnörkeln verziert, die ihr eine geheimnisvolle Ausstrahlung verliehen. Ihr Auftreten war mehr als stimmig.

Lächelnd begrüßte sie ihr Publikum. »Schön, dass ihr heute hier seid! Genießt die Show.«

Zu Beginn nahm sie weiße Bälle in die Hände, färbte sie in verschiedenen Farben ein und ließ sie dann durch die Luft tanzen.

Was für ein uralter Trick. Riley hatte sofort durchschaut, dass die Kugeln kleine Schalter besaßen, um ein buntes Licht zu erzeugen. Aufsteigen lassen konnte man sie mit Nylonfäden.

Als sieben Leuchtbälle in unterschiedlichen Farben und Größen über der Bühne schwebten, nahm Lady Moonlight einen Reifen, durch den sie sie gleiten ließ.

Riley brummte unzufrieden. Es waren wohl doch keine unsichtbaren Fäden, sondern starke Magnete. Aber für alles gab es eine Erklärung. Zauberer waren schließlich nichts weiter als kreative Künstler.

Gelangweilt schweifte sein Blick an die Decke. Warum tat er sich das Ganze noch gleich an? Ach ja, wegen seines Vaters … Der Große Strobinho, einer der bekanntesten Zauberer, der zusehends Probleme damit hatte, dass die Leute lieber die Show seiner Konkurrentin besuchten als seine eigene. Mit einer jungen, hübschen Zauberkünstlerin konnte es sein alter Herr einfach nicht aufnehmen. Der griesgrämige Mann, der ständig sein Publikum beleidigte oder sich einen schlechten Scherz erlaubte, erntete immer weniger Lacher und Anerkennung. Das musste sich ändern, wenn er sich weiterhin behaupten wollte.

Rileys Aufgabe war simpel. Er sollte lediglich herausfinden, wer Lady Moonlight wirklich war, was sie besonders machte und wie sie es schaffte, solch eine Beliebtheit zu erlangen. Die Worte seines Vaters klangen in seinen Ohren nach: »Freunde dich mit ihr an und verdiene ihr Vertrauen. So schwer ist das nicht.«

Lauter Applaus riss ihn aus seinen Gedanken. Er würde es schon irgendwie schaffen, auch wenn er noch nicht wusste, wie. Doch zuerst würde er die Show über sich ergehen lassen, die nun hoffentlich interessanter wurde.

Moonlights Lieblingstrick schien die Levitation von Gegenständen zu sein. Ein großer Korb, der am Rand der Bühne stand, wurde durch einen Scheinwerfer beleuchtet. Mit fließenden Handbewegungen lockte die Zauberin kleine bunte Bälle daraus hervor, die Riley an das Spielparadies in einem Einrichtungshaus erinnerten. In welligen Bahnen flogen sie über die Bühne und tanzten zu einer lustigen Melodie, die über die Lautsprecher eingespielt wurde. Die Magierin ließ die Bälle zu einem großen verschmelzen, bevor die kleinen bunten Kugeln in alle Richtungen auseinanderstoben.

Die Menschen im Publikum duckten sich, um nicht von einem der Geschosse getroffen zu werden. Selbst Riley zuckte zusammen. Doch keiner wurde erwischt. Je ein Ball schwebte über jedem Zuschauer, ohne abzustürzen.

Mit offenem Mund starrte Riley hoch zu dem kleinen blauen Plastikball. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, nicht überrascht zu sein, und ihre Tricks mit seinem analytischen Verstand zu durchschauen, aber das verblüffte ihn. Die Gänsehaut, die sich auf seinen Armen ausgebreitet hatte, konnte er nicht leugnen. Er fragte sich, wie sie die Bälle zum Schweben brachte, und ließ seine Hand mit Abstand um die kleine Plastikkugel gleiten. Kein Wind, keine Schnur. Sie schien tatsächlich in der Luft zu schwirren. Wie machte Lady Moonlight das nur?

Ein Donnergrollen lenkte die Aufmerksamkeit der Zuschauer wieder auf die Bühne.

Riley griff nach dem Ball und steckte ihn in seine Tasche. Er würde ihn später in seinem Hotelzimmer auseinandernehmen und analysieren.

Der Rest der Show bestand aus vielen weiteren kleinen Tricks. Einige Male bat Lady Moonlight scheinbar zufällige Gäste auf die Bühne, die unter Garantie vorher ausgewählt worden waren. Sie ließ persönliche Gegenstände verschwinden, die dann irgendwo mitten im Publikum wiederauftauchten. Traurig, dass die Leute darauf hereinfielen und es auch noch gut fanden. Diese Tricks gab es doch zuhauf bei jedem Straßenkünstler.

Als die letzte Illusion angekündigt wurde, merkte Riley jedoch, dass er, wie das gesamte Publikum, vollkommen in den Bann der Zauberkünstlerin gezogen worden war, obwohl er das nicht gewollt hatte.

Während sich Lady Moonlight verbeugte, sprangen die Zuschauer von ihren Stühlen auf und umjubelten die hübsche Magierin minutenlang. Ihre Einladung, die After-Show-Party zu besuchen, ging beinahe im Applaus unter, doch Riley ließ es sich nicht zweimal sagen und verließ als Erster den Raum, um garantiert einen Platz zu ergattern.

Riley setzte sich an die Bar und bestellte sich ein Bier, während er wartete.

Der Raum füllte sich, fast alle Besucher blieben zur Party und hielten schon bald ein Getränk in der Hand. Ein lohnendes Konzept. Da wunderte es Riley auch nicht, dass Lady Moonlight sich sehr viel Zeit nahm, ehe sie auftauchte.

Riley hatte gerade sein zweites Glas bestellt, als die schöne Frau in den Raum schwebte. Es war erstaunlich, sie schien tatsächlich zu schweben. Es fuchste Riley, dass er nicht dahinterkam, wie sie es machte. Aber das würde er noch herausfinden.

Die Gäste umringten die Künstlerin direkt und Riley konnte ihr glockenhelles Lachen bis zur Bar hören. Er würde warten, bis die meisten gegangen waren und Lady Moonlight sich an die Bar zurückzog, um sich nach den langen Gesprächen zu erfrischen.

Leider schienen die Leute gar nicht gehen zu wollen, sie verwickelten die Magierin in ein Gespräch nach dem anderen.

Erst als die Uhr hinter dem Tresen fast Mitternacht anzeigte, verließ eine große Menge der Besucher den Raum. Auch Riley verspürte den Drang zu gehen. Er wurde müde, obwohl er vorher topfit gewesen war. Doch er ignorierte das Gefühl und blieb hartnäckig auf seinem Platz sitzen.

Die Geduld zahlte sich schließlich aus. Lady Moonlight kam an die Bar und bestellte sich lächelnd ein Wasser.

»Ganz schön anstrengend, nicht wahr?« Riley lächelte der Frau zu, die sich seufzend auf dem Hocker neben ihm niederließ.

»Das stimmt, aber ohne mein Publikum wäre ich nichts. Deshalb bin ich es meinen Gästen schuldig, mich um sie zu kümmern.«

Während er mit ihr sprach, merkte Riley, dass es keine leeren Worte waren, sondern sie sich wirklich um jeden Einzelnen kümmerte. Selbst um ihn, obwohl er einer der letzten Gäste im Raum war. Mann, war diese Frau selbstlos.

Dankend nahm sie ihr Wasser entgegen. »Wie hat Ihnen die Show gefallen? War es Ihr erstes Mal?«, fragte sie und aufrichtiges Interesse schwang in ihrer Stimme mit.

»Nicht meine erste Zaubershow, aber meine erste Lady-Moonlight-Show.« Sein Lächeln musste er nicht heucheln, es erschien von ganz allein. »Es war … anders. Viele Tricks kannte ich noch nicht.«

»Das ist auch so beabsichtigt. Meine Zauber sollen individuell sein und wechseln regelmäßig. Jede Show ist anders. Ich möchte die Menschen überraschen – bei jedem Besuch aufs Neue.« Sie trank ihr Wasserglas halb leer und schaute sich dann um. »Die meisten Gäste scheinen schon müde geworden zu sein. Ich sollte mich auch bald zurückziehen und schlafen. Morgen reise ich früh wieder ab.«

Für einen Augenblick blieb sein Herz stehen, sie durfte nicht gehen, er hatte doch gerade erst ein Gespräch begonnen. Riley überlegte, wie er sie noch ein wenig hinhalten konnte. Er musste sie irgendetwas fragen, aber was? »Lady Moonlight ist bestimmt nur Ihr Künstlername, oder?«

»Das stimmt. Aber sag doch bitte Du. Wenn ich gesiezt werde, fühle ich mich immer so alt.« Lachend streckte sie ihm ihre Hand entgegen. »Ich bin Luna.«

Erleichtert ergriff er sie. »Riley. Freut mich sehr. Darf ich dich noch auf einen Wein einladen, Luna?« Damit würde er sich ein bisschen Zeit verschaffen, um sie besser kennenzulernen. »Wir könnten uns an einen Tisch setzen und ein wenig erzählen. Ich bin so fasziniert von deiner Show und würde verdammt gerne mehr über dich erfahren.«

Riley entging Lunas zögerlicher Blick nicht. Sie musterte den mittlerweile leeren Raum und schließlich den Barkeeper, der als Einziger mit ihnen zurückgeblieben war. Schließlich nickte sie ergeben. »Ja, gerne, aber nicht mehr so lange. Wie gesagt, ich reise morgen sehr früh ab.«

»Keine Sorge. Was möchtest du trinken?«

 

»Eine Weißweinschorle, bitte.« Luna erhob sich und steuerte einen kleinen Tisch an, an dem sie sich auf einem der zwei schwarzen Cocktailsessel niederließ.

Nachdem Riley mit den Getränken ihr gegenüber Platz genommen hatte, hoben sie ihre Gläser und stießen an. »Auf einen zauberhaften Abend.«

Obwohl er sich einen genauen Plan zurechtgelegt hatte, wie er das Gespräch in Gang bringen konnte, waren alle Erinnerungen daran wie weggeblasen. Doch der Moment des Schweigens war nicht unangenehm, sondern in gewisser Weise inspirierend.

Riley betrachtete Luna fasziniert. Ihre sanften Bewegungen, die wohlüberlegt schienen, ihr schüchternes Lächeln, als sie von ihrem Glas aufsah und seinem Blick begegnete. Auf der Bühne wirkte sie unnahbar und taff, doch hier bemerkte er eine andere, zurückhaltende Seite an ihr. Ob es an ihm lag?

»Wie lange machst du das schon?«, fragte Riley schließlich in das Schweigen hinein, das von leiser Klaviermusik untermalt worden war.

Ob das stilvolle Ambiente Teil ihres persönlichen Wiedererkennungswertes war? Hatte sie überhaupt Einfluss darauf oder lag es an der Location? Im Kopf versuchte er sich all diese Dinge zu notieren, um sie später über das Veranstaltungspersonal herauszufinden.

»Seit ungefähr drei Jahren.« Ihr bohrender Blick ließ Riley kurz innehalten. Luna schien müde und leicht abwesend zu sein – bestimmt dachte sie an ihr Bett.

»Was hast du davor gemacht? Abitur?«

Ihr Blick verfinsterte sich für den Bruchteil einer Sekunde.

Wenn Rileys Vater ihm nicht schon im Kindesalter beigebracht hätte, die Reaktionen seiner Mitmenschen aufmerksam zu beobachten, wäre es ihm nicht aufgefallen. Das mussten gute Zauberkünstler können. Jedoch hatte sein Vater irgendwann aufgegeben, ihn weitere Dinge zu lehren, da Riley nicht der Typ für filigrane Kartentricks war. Strobinhos Bitte, ihm zu helfen, bot Riley die Chance, ihm endlich etwas recht zu machen und so die Beziehung zwischen ihnen zu retten. Er sehnte sich nach der Anerkennung seines Vaters. Deshalb saß er hier. Deshalb musste er sich konzentrieren.

»Du wirst lachen, aber ich habe davor ganz klassisch eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau gemacht«, antwortete Luna schließlich.

»Ach, wirklich? Wie bist du dann zum Zaubern gekommen?«

Sein Plan war es, sie mit Fragen so im Griff zu haben, dass sie ihn nicht ebenfalls ausfragen konnte. Er hatte sich zwar eine gute Geschichte zurechtgelegt, doch er wollte sie nur im Notfall einsetzen. Bisher gelang es ihm ganz gut, sie antwortete nur und hakte nicht nach.

In erster Linie war es Rileys Ziel, herauszufinden, was für eine Frau hinter der Magierin Lady Moonlight steckte. Doch in seinem Kopf formten sich Fragen, die überhaupt nichts mit dem Plan seines Vaters zu tun hatten. Er wollte mehr wissen, jedes Wort saugte er förmlich auf, weil es so schön war, ihr zuzuhören.

Luna schien auch diesmal genau zu überlegen, was sie ihm antworten sollte. »Durch Fernsehsendungen. Ich habe sie schon als Kind geliebt und immer versucht, die Tricks der großen Magier zu Hause nachzuahmen. Jetzt habe ich aber so viel von mir erzählt, du bist dran.« Ein triumphierendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Was magst du außer Zaubershows?«

Auch wenn diese Frage nicht zu seinem Plan passte, brauchte Riley für die Antwort nicht einmal zu lügen. Trotzdem wollte er sich nicht zu viel entlocken lassen. Sein Vater hatte ihm klargemacht, dass er so wenig wie möglich von sich preisgeben sollte. »Ich zeichne gerne. Änderst du tatsächlich jede deiner Shows ab, sodass sie immer unterschiedlich sind?«

»Nein, nein, mein Lieber. So geht das nicht. Wenn ich so viel über mich erzähle, dann musst du auch etwas mehr über dich erzählen. Also, was zeichnest du?«

Riley seufzte. So sollte das Gespräch eigentlich nicht verlaufen. Doch ihre Art gefiel ihm weit mehr, als sie es dürfte. »Mangas. Viele davon mit Zauberern, so verbinde ich beide Interessen.«

»Mangas, wow. Kann ich die mal sehen?« Ein Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

Ihr Interesse schmeichelte ihm, zumal es echt wirkte. »Ja, ich kann dir gerne mal eine Zeichnung zeigen. Aber dann musst du mir verraten, wie dein Trick mit den bunten kleinen Bällen funktioniert.«

Luna lachte herzhaft. »Riley, du bist ein interessanter Mann. Allerdings verrät ein Zauberer niemals seine Tricks.«

Es half alles nichts. Er musste seine Neugier bremsen, damit er nicht zu auffällig agierte.

»Na gut, neue Frage. Dein liebster Urlaubsort?« Irgendwo hatte Riley einmal gehört, dass man Menschen anhand ihrer Interessen und Vorlieben deutlich leichter einschätzen konnte. Ob das stimmte, wusste er nicht so genau. Selbst wenn nicht, die Antwort interessierte ihn trotzdem.

Ein Lächeln umspielte Lunas volle Lippen. »Das wäre dann eine Hütte mitten im Wald, weit entfernt von dem Trubel der Stadt. Und bei dir?«

»Urlaub am Strand. Ich finde das Rauschen der Wellen und die unendliche Weite des Ozeans total inspirierend. Dein Lieblingsgetränk?«

»Heiße Schokolade mit Sahne und Minimarshmallows. Und deins?«

»Klingt lecker. Ich liebe einen guten Whiskey. Hmm, Lieblingseis?«

»Schokolade.« Sie lachte amüsiert.

Immer wieder warfen sie sich gegenseitig den imaginären Gesprächsball zu. Als der Barkeeper sich verabschiedete und die Bar schloss, wurden ihre Fragen ziemlich verrückt.

»Würdest du lieber von einem Vampir oder einem Werwolf gebissen werden?«, brachte Riley unter glucksendem Kichern hervor.

Zu seiner Überraschung verstummte Lunas Lachen und sie schien intensiv über diese Frage nachzudenken. »Hmm. Lieber von einem Wolf. Ich würde die Sonne zu sehr vermissen, obwohl ich den Mond und die Nacht liebe.«

Verständnisvoll nickte Riley. »Ja, geht mir auch so. Außerdem kann ich kein Blut sehen und bekomme allein bei dem Gedanken, einen Menschen auszusaugen, eine Gänsehaut. Siehst du?« Er hielt ihr seinen Arm unter die Nase, den Luna sanft mit ihrer warmen Hand streichelte.

»Stimmt. Aber ich glaube das liegt daran, dass es langsam sehr kalt wird.«

Sie hatte recht. Die Klimaanlage lief auf hoher Stufe, denn sie hatte vorher einen Raum voller aufgewärmter Menschen herunterkühlen müssen. Nun waren sie bereits seit einiger Zeit allein.

»Ich sollte wirklich ins Bett gehen.« Luna erhob sich grinsend.

Zufrieden mit seinem ersten Erfolg begleitete er sie noch ins Foyer des Hotels.

Ein wenig unbedarft verabschiedete er sich von Luna mit einem Küsschen auf jede Wange, auch wenn er dieser Art noch nie etwas hatte abgewinnen können. Danach schrieb er seinem Vater eine Nachricht und nahm den nächsten Aufzug nach oben in sein eigenes Zimmer, das er mit voller Absicht in diesem Hotel gebucht hatte.

Kapitel 2

Lunas Wecker klingelte bereits um sechs Uhr. Stöhnend tastete sie nach ihrem Handy, um die nervige Melodie auszuschalten.

Der Abend war länger geworden als geplant. Dieser Riley hatte alles durcheinandergebracht. Normalerweise ging Luna spätestens um ein Uhr nachts ins Bett, schließlich brauchte sie ihren Schlaf. Aber Riley hatte gestern nicht auf ihren Zauber reagiert und war als einziger Gast geblieben. Eigentlich hätte sie ihm gerne eine höfliche Abfuhr erteilt, doch der Umstand, dass er nicht gegangen war, hatte sie neugierig gemacht. Nun musste sie mit der Konsequenz leben: bleierne Müdigkeit.

Erneut klingelte es. Dieses Mal war es ein Anruf auf dem hoteleigenen Telefon.

Mit einer Handbewegung ließ Luna die Deckenleuchten erstrahlen. Sie setzte sich auf und nahm das Gespräch an.

»Guten Morgen, Frau Moonlight. Sie wollten geweckt werden. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Tag!«

»Vielen Dank.« Luna warf einen Blick auf ihr Handy, es war bereits zwanzig nach sieben. Sie war noch einmal eingenickt, in Gedanken an den Mann von letzter Nacht. Zum Glück ließ sie sich immer vom Hotelpersonal anrufen, für den Fall, dass sie erneut einschlief – so wie an diesem Tag.

Gähnend kletterte Luna aus dem Bett und suchte ihre Kleidung zusammen. Ihre Dusche musste wohl kürzer ausfallen, wenn sie pünktlich sein wollte.

Eine halbe Stunde später zog sie ihren Koffer hinter sich aus dem Aufzug in die Lobby des Hotels, um auszuchecken.

Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich und drehte sich schwungvoll zum Ausgang. Dabei wurde sie beinahe von einem Mann umgerannt.

»Oh, entschuldigen Sie bitte.« Sie wollte weitergehen, als er eine Hand auf ihren Arm legte.

»Luna? Na, was für ein Zufall! Ich dachte schon, ich würde dich nicht mehr sehen.« Es war Riley, der ebenfalls müde, aber gut gelaunt wirkte. Sein kurzes blondes Haar war etwas verwuschelt, was ihn überaus sympathisch machte. »Der Abend war fantastisch. Ich hoffe sehr, dass du doch noch genug Schlaf bekommen hast.«

»Nun ja, eigentlich nicht …«, sagte Luna, aber als sie in seine strahlend blauen Augen sah, musste sie unwillkürlich lächeln. »Es ist halb so schlimm, ich kann im Auto etwas schlafen. Ich fand den Abend auch sehr schön. Er war die Müdigkeit wert.« Sie zwinkerte ihm zu.

Rileys Blick glitt zum Ausgang. »Ich will dich nicht aufhalten. Dein Wagen wartet sicherlich schon. Es freut mich, dass ich dich noch mal sehen konnte. Ich wünsche dir eine gute Reise.« Mit einem Lächeln wandte er sich von ihr ab.

Leicht irritiert sah Luna ihm hinterher. Sie hatte erwartet, dass er nach dem vergangenen Abend versuchen würde, ein längeres Gespräch zu führen. Ein wenig enttäuscht war sie ja schon. Aber vielleicht hatte er es selbst einfach nur eilig.

In diesem Moment trat Lunas Chauffeur Michael durch die gläserne Flügeltür des Hoteleingangs und kam lächelnd auf sie zu. Er trug einen schlichten schwarzen Anzug und hatte die kurzen dunklen Haare streng nach hinten gegelt.

»Guten Morgen, Frau Moonlight. Darf ich?« Er deutete auf ihren Koffer.

»Gerne, danke. Und nenn mich bitte Luna. Du weißt doch, dass ich nicht gerne gesiezt werde.« Grinsend überließ sie Michael ihr Gepäck und schaute noch einmal zurück, doch Riley war schon längst verschwunden. Luna folgte Michael zu ihrem Wagen, der gleich vor dem Hoteleingang geparkt war.

»Möchten Sie Musik hören?«

Luna seufzte laut. »Ach Michael, ist das Du so schwer?«

Er lachte höflich. »Es ist so tief in meinem Kopf drin, es tut mir leid.«

»Ist schon gut. Musik brauche ich nicht. Wie geht es Frau und Kindern?« Ganz automatisch fiel ihr Blick auf das Foto, das seit jeher an der Armatur über dem Radio angebracht war: eine blonde Frau, rechts und links von ihr ein Mädchen und ein Junge, beide etwa im Grundschulalter. Sie lachten alle in die Kamera wie eine glückliche Familie aus einem Reiseprospekt.

»Wie alt sind die zwei eigentlich mittlerweile?«

»Ihnen geht es ausgezeichnet. Wollen Sie direkt zur nächsten Location fahren oder vorher noch irgendwo anders hin?«

Ihre Frage nach dem Alter schien er absichtlich übergangen zu haben. Luna hatte das Gefühl, dass er nicht gerne von seiner Familie erzählte. Dabei hatte sie immer gedacht, dass alle voller Stolz von ihren Kindern sprachen. Die Vermutung lag nahe, dass er Probleme in seiner Ehe hatte.

Daher hakte sie nicht weiter nach. »Nein danke, bitte direkt zur Location. Ich glaube, ein wenig leise Musik zu hören wäre doch ganz schön.«

»Gerne, Frau Moonlight.«

Sosehr sie es auch versuchte, es gelang Luna nicht, im Auto einzuschlafen. Ihre Gedanken kreisten um das lange Gespräch vom Vorabend und die viel zu kurze Begegnung in der Lobby. Ob sie es wollte oder nicht, Riley hatte ihre Neugier geweckt. Sie fragte sich, ob er gegen ihre Magie immun war. Er hatte nicht reagiert, als alle anderen müde geworden waren und den Raum verlassen hatten. Entweder hatte der Mann einen starken Willen oder etwas schützte ihn.

Nachdem Luna ihr Schlafdefizit mit einem kleinen Mittagsschlaf im Hotel aufgeholt hatte, war es schon wieder Zeit für die Arbeit.

Sie liebte es, umherzureisen und die Menschen zu verzaubern.

Die Show verlief ähnlich wie die am Abend zuvor. Das Publikum war begeistert und vollkommen fasziniert von ihr.

Anschließend gab es wieder eine kleine Party, auf der sie sich blicken ließ, die aber ohne Probleme dank ihrer Magie um Punkt Mitternacht beendet war. Alles war wie immer – und das ärgerte Luna.

Als sie das Licht in ihrem Hotelzimmer anknipste und das leere, gemachte Bett sah, spürte sie ein seltsames Gefühl in ihrem Magen. Sie schaltete den Fernseher ein, um beim Abschminken und Umziehen eine Geräuschkulisse zu haben, denn die Stille, die ihr sonst so gefiel, war auf einmal erdrückend. Wie gerne hätte sie nun mit jemandem gesprochen, von dem Auftritt erzählt oder einfach nur Small-Talk gehalten. Doch da war niemand. Da war nie jemand. Warum störte es sie auf einmal?

 

Einige Tage später fand die nächste Show statt.

Völlig entspannt und ganz in ihrem Element begann sie mit ihrem Eröffnungstrick, bis sie ins Publikum sah und ihr Puls sich unwillkürlich beschleunigte. Gleich in der ersten Reihe entdeckte sie Riley. Der blonde Kurzhaarschnitt und das kantige Gesicht waren unverwechselbar. Seine hellen Augen verfolgten gebannt jede ihrer Bewegungen.

Luna ließ sich nichts anmerken, aber das Lächeln fiel ihr auf einmal viel leichter. Sie freute sich tatsächlich, dass er sie anscheinend nicht vergessen konnte – genauso, wie sie immer wieder an ihn denken musste.

Normalerweise waren die Zuschauer fasziniert und gelöst, Riley hingegen wirkte analytisch. Klar, er mochte Zaubershows und fragte sich bestimmt, wie der eine oder andere Trick funktionierte.

Luna musste sich bremsen, um mit ihren Zaubertricks nicht zu übertreiben. Was das anging, hatte sie ihre festen Regeln und jeder Zauber musste so ablaufen wie geplant. Daran würde auch der verwirrend niedliche Kerl in der ersten Reihe nichts ändern.

Bei der After-Show-Party ließ sie absichtlich einen Zauber wirken, den sie sonst nicht benötigte. Die Gäste wurden zurückhaltend, sodass sie nicht wie sonst in unzählige Gespräche verwickelt wurde. Für gewöhnlich genoss sie den Austausch, doch dieses Mal hätte sie sich nicht darauf konzentrieren können.

Zielstrebig ging sie auf Riley zu, der an einem kleinen Tisch Platz genommen hatte, und setzte sich zu ihm. »Du bist wiedergekommen«, stellte Luna fest. Ein Handzeichen genügte, um den Kellner herzulocken, der ihr einen Champagner reichte. Mit dem Glas in der Hand beobachtete sie den jungen Mann ganz genau.

Er wirkte wie ein Bursche vom Land. Seine Hände waren gepflegt, aber sie erkannte Schwielen an den Innenflächen.

Sie dachte an ihre erste Begegnung zurück und hätte ihn zu gerne weiter ausgefragt. Dass er nun hier saß, ließ ihr Herz hüpfen. Sie wollte sich ihre Freude nicht anmerken lassen, trotzdem zogen sich ihre Mundwinkel nach oben.

Riley blieb vollkommen ruhig und beinahe bewegungslos sitzen, erwiderte ihren Blick mit einem leichten Lächeln. Betont langsam nickte er. »Ja, du sagtest doch, dass du deine Show jedes Mal etwas abwandelst. Ich habe ein paar Tage frei und dachte mir, dass ich in denen herausfinden kann, ob es wirklich so ist.«

»Und?« Sie führte ihr Glas zu den dunkel geschminkten Lippen und nippte daran.

»Die Eröffnung und der Trick mit den bunten Bällen sind die einzigen, die gleich geblieben sind. Ansonsten habe ich einige wenige Ähnlichkeiten festgestellt.«

»Du hast gut aufgepasst. Der Bälletrick ist mein Markenzeichen. Ich möchte, dass die Zuschauer etwas haben, das sie mit nach Hause nehmen können. So ein kleiner Ball ist eine nette Erinnerung.«

»Vor allem mit deiner Unterschrift drauf.«

Sie unterhielten sich noch eine Weile recht oberflächlich, die gelöste Stimmung ihres ersten Treffens wollte sich jedoch einfach nicht einstellen.

Der Raum hatte sich mittlerweile ohne Magie geleert, da erhob sich Riley plötzlich. »Ich muss noch ein geschäftliches Gespräch führen. Hast du vielleicht Lust, morgen mit mir essen zu gehen?«

»Ein Gespräch um diese Uhrzeit?« Luna fragte sich, was Riley überhaupt arbeitete. Sie hatten über Musik, Vampire und Essen gesprochen, aber nicht darüber, womit er sein Geld verdiente. Wieder glitt ihr Blick zu seinen Händen.

»Wir haben Kunden im Ausland. Dort ist es gerade die beste Zeit für eine Telefonkonferenz.« Riley schmunzelte, ging um den Tisch herum und blieb neben ihr stehen. »Morgen Abend neunzehn Uhr in der Lobby. Gute Nacht, Luna.«

Fassungslos starrte sie Riley hinterher. Noch nie hatte jemand sie so überrumpelt wie er. Und das war bereits das zweite Mal, dass er sie einfach verwirrt zurückließ. Was sollte sie nur von diesem Mann halten?

Luna nahm sich vor, Riley warten zu lassen. Das Spiel, das er mit ihr trieb, beherrschte sie ebenfalls.

Sie wollte sich nicht in die Sache hineinsteigern, sonst stellte sie sich ungeschickt an. Ihr half es, sich bewusst zu machen, dass ihr die ganze Sache mit Riley eigentlich egal war. So würde sie gleich viel ruhiger und entspannter sein. Zumindest redete sie es sich ein.

Trotzdem dachte sie immer wieder an das bevorstehende Treffen. Sie wollte versuchen, ihn mit Magie zu beeinflussen, denn dass er nicht auf ihren Zauber reagiert hatte, machte sie beinahe wahnsinnig. Er musste einen unglaublichen Willen haben, wenn er dem widerstehen konnte.

Bereit für den Abend verließ Luna das Hotelzimmer. Pünktlich um halb acht trat sie in einem atemberaubenden, rückenfreien Abendkleid aus dem Aufzug.

Riley wartete schon in der Lobby, aber nicht wie erwartet im Anzug, sondern in Jeans und T-Shirt, das den zackigen Aufdruck einer bekannten Metal-Band trug.

Wie erstarrt blieb sie stehen und wurde beinahe von der Aufzugtür eingequetscht, die sich schloss. Ihr Herz hämmerte bis in ihren Hals und sie befreite sich unelegant aus den Fängen des Aufzugs.

Riley eilte sofort mit erschrockenem Gesicht zu ihr herüber. »Luna, ist alles in Ordnung? Bist du verletzt?«

»Nein.« Sie strich sich über das Kleid, obwohl keine Falte darauf zu sehen war. »Ich dachte, wir wollten Essen gehen. Oder habe ich das alles falsch verstanden?«, krächzte sie, ihre Stimme leicht panisch. Ihre Gedanken rasten, sie war überzeugt, dass ihre Wangen angesichts dieser peinlichen Situation leuchtend rot glühen mussten.

»Ja, klar. Ich bin froh, dass du jetzt erst kommst! Ich warte noch nicht lange auf dich.«

»Wirklich?« Sie hatte eine halbe Stunde umsonst auf ihrem Bett gesessen und in langweiligen Modezeitschriften geblättert, nur um nun zu erfahren, dass Riley selbst spät dran war?!

Luna presste die Zähne aufeinander, um nicht etwas Unpassendes zu erwidern.

»Ja, es ist fast so, als hätten wir uns abgesprochen.« Er lachte und deutete auf ihr Kleid. »Du siehst hübsch aus. Komm, lass uns gehen.«

Du. Siehst. Hübsch. Aus. Sie sah hübsch aus? Nein, sie hatte fast zwei Stunden im Bad verbracht, um nicht einfach nur hübsch auszusehen. Sie wollte fantastisch aussehen und Riley von den Socken hauen. Sie wollte ihn um den Finger wickeln und sich nicht wieder verwirren lassen. Das war wohl nach hinten losgegangen.

Ihre High Heels klackerten im schnellen Stakkato, bis sie Riley eingeholt hatte. Tief atmete sie ein. »Wohin gehen wir? Soll ich mich vorher umziehen?«

»Nein, ist schon in Ordnung. Kannst du gut auf den Schuhen laufen? Es ist nicht weit, aber wir gehen nur essen. Keine Sorge, man wird dich nicht vor der Tür stehen lassen. Es gibt dort keine Kleiderordnung.«

»Ich habe eher Sorge, dass sie dich nicht reinlassen«, antwortete Luna leicht sarkastisch.

Riley stoppte abrupt. »Du denkst, ich sei unpassend angezogen?« Er versuchte empört zu wirken, doch Luna erkannte die Belustigung auf seinem Gesicht, was sie nur noch mehr ärgerte.

»Ich weiß ja nicht, was du unter essen gehen verstehst, aber in meiner Welt bedeutet das, dass man sich schick anzieht und ein hübsches Restaurant besucht.« Eigentlich hatte sie nicht mit ihm diskutieren wollen, aber sie konnte einfach nicht ihren vorlauten Mund halten. Falls sie überhaupt einmal die Oberhand gehabt hatte, dann hatte sich das gerade geändert. Es kümmerte sie weit mehr, was er über sie dachte, als sie zulassen wollte. Und verdammt, es störte sie, dass sie ihm auf High Heels hinterherrannte. Am liebsten wäre sie sofort umgedreht und zurück in ihr Hotelzimmer gelaufen, doch sie schluckte den Frust hinunter und versuchte, stark zu bleiben.

Riley grinste nun selbstgefällig und beschleunigte seinen Schritt. »Keine Sorge, das Restaurant ist gemütlich und das Essen köstlich. Das ist doch das Wichtigste.«