Das Tagebuch der Mademoiselle S.

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Das Tagebuch der Mademoiselle S.
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Das Tagebuch der Mademoiselle S.

Erotische Bibliothek

Band 12

Wilhelmine Schröder-Devrient

(zugeschrieben)

Das Tagebuch der Mademoiselle S.

Aus den Memoiren einer Sängerin

Erstmals erschienen 1909

© Lunata Berlin 2019

Inhalt

1. Brief

2. Brief

3. Brief

4. Brief

5. Brief

6. Brief

7. Brief

8. Brief

9. Brief

10. Brief

11. Brief

12. Brief

13. Brief

14. Brief

15. Brief

Über die Autorin

Die erotische Bibliothek

1. Brief

Warum soll ich Ihnen etwas verhehlen? Sie haben sich in so viel schwierigen Lagen meines Lebens als ein wahrer und uneigennütziger Freund erwiesen, haben mir so wesentliche Dienste geleistet, daß ich Ihnen mein vollständiges Vertrauen schenken kann. Ihr Wunsch überrascht mich übrigens nicht. Schon in unseren früheren Gesprächen bemerkte ich, daß Sie eine Neigung und Vorliebe haben, die geheimen Triebfedern zu erforschen, die bei uns Frauen zu Ursachen so mancher Handlungen werden, für die auch die geistreichsten Männer häufig um eine Erklärung verlegen sind. Obgleich uns die Verhältnisse jetzt weit auseinandergeführt haben, und wir uns aller Wahrscheinlichkeit nie wiedersehen werden, so denke ich doch stets mit Dankbarkeit an die Zeit, in der Sie mir in meinem großen Unglück beigestanden haben und in allem, was Sie getan, verschafft und abgewehrt, nie an sich gedacht, sondern nur mein Wohl gewollt haben. Das werde ich Ihnen nie vergessen. Es hing ja nur von Ihnen ab, jede Gunstbezeugung von mir zu erhalten, die ein Mann sich nur wünschen kann, denn Sie kannten mein Temperament, und ich war Ihnen sehr gut. An Gelegenheit hat es uns auch nicht gefehlt, und ich habe an Ihnen oft bewundert, welche Gewalt Sie sich angetan haben. Denn, daß auch Sie in dem fraglichen Punkt sehr reizbar, ebenso reizbar wie ich, waren, habe ich mehr als einmal bemerkt, und Sie haben es mir selbst oft gesagt, daß ich einen scharfen Blick und sehr viel mehr Verstand habe, als viele andere Frauen. Nun haben Sie das Verlangen an mich gestellt, Ihnen aufrichtig und vor allem ohne weibliche Zurückhaltung – die ich ja selbst oft genug Ziererei genannt habe – meine Erfahrungen und Anschauungen über das Fühlen und Denken der Frauen in Bezug auf das wichtigste Moment ihres Daseins, die Liebe und Vereinigung mit dem Manne, mitzuteilen. Anfangs setzte mich Ihr Wunsch in Verlegenheit, denn – lassen Sie mein Bekenntnis gleich mit der Schilderung eines entscheidenden Charakterzuges aller Frauen ohne Ausnahme beginnen: »Nichts wird uns schwerer, als die vollkommene Aufrichtigkeit gegen den Mann; denn Sitte und Notwendigkeit des gesellschaftlichen Zwangs legen uns von frühester Jugend an so viele Rücksichten auf, daß wir ohne Gefahr nicht aufrichtig sein können!« Als ich aber darüber nachdachte, was Sie eigentlich von mir verlangen, vor allen Dingen aber, als ich mich der Eigenschaften des Mannes erinnerte, der so etwas von mir verlangte, da fing Ihre Idee an, mir Vergnügen zu machen. Ich versuchte, einige meiner Erfahrungen zu Papier zu bringen. Ich stockte zwar, als ich an Dinge kam, die wirklich vollkommene Aufrichtigkeit verlangen und die man eben nicht niederzuschreiben pflegt, aber ich zwang mich dann doch dazu. Ich dachte daran, daß ich Ihnen eine Freude damit mache, und überließ mich nun ganz der Erinnerung an die vielen glücklichen Stunden, die ich genossen habe, und von denen ich nur eine bereue. Als ich erst die anfängliche Scheu besiegt hatte, empfand ich bei der Schilderung dessen, was ich von anderen Frauen erfahren, sogar ein ganz entscheidendes Vergnügen. Je ausführlicher ich wurde, desto mehr kam mein Blut auf die angenehmste Art in Wallung. Es war mir wie ein Nachgeschmack der Freuden, die ich genossen habe und deren ich mich nicht schäme, wie Sie wissen. – Wir sind durch die sonderbarsten Verhältnisse so vertraut miteinander geworden, daß es mir übel anstehen würde, mich Ihnen in einem anderen Licht zu schildern, als ich wirklich bin.

Meine Eltern, wohlhabende, aber keineswegs reiche Leute, hatten mir eine musterhafte Erziehung gegeben. Mein lebhafter Charakter, meine Begabung, alles spielend zu erlernen, und namentlich mein schon früh ausgebildetes Talent auf dem Gebiete der Musik machten mich zum Liebling nicht allein meiner Eltern, sondern aller, die unser Haus besuchten. Bis zum dreizehnten Jahr war meine temperamentvolle Veranlagung noch nicht durchgebrochen. Andere junge Mädchen hatten mir zwar erzählt, was es für eine Bewandtnis mit dem Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht habe, und daß es eine Fabel sei, wenn man uns weismachen wolle, der Storch bringe die Kinder, und daß doch gewiß recht sonderbare und geheimnisvolle Dinge vorgehen müßten, wenn man sich verheirate. Aber mein Interesse an solchen Gesprächen war immer nur das der normalen Neugier gewesen. Meine Sinne sprachen dabei noch in keiner Weise mit. Erst als sich an meinem Körper die ersten Spuren der Reife zeigten, als ein leichter Anflug gekräuselter Haare sich da bemerkbar machte, wo meine Mutter nie, selbst beim Anziehen und Waschen nicht, eine vollständige Entblößung litt, da gesellte sich zu der Neugier auch das Wohlgefallen. Wenn ich allein war, untersuchte ich die mir unerklärliche Erscheinung des krausen Haarwuchses an jener Stelle, die doch eine große Bedeutung und Wichtigkeit haben mußte, da alle Welt sie so sorgfältig hütete und den Blicken entzog. Beim Aufstehen, wenn ich mich bei verschlossenen Türen allein wußte, nahm ich einen Spiegel von der Wand, stellte ihn vor mich und rückte ihn solange schräg, bis ich alles genau sehen konnte. Um so weniger aber begriff ich, was meine Gespielinnen davon erzählten, wie die innigste Vereinigung zwischen Mann und Frau stattfinde. Der Augenschein überzeugte mich, daß eine Vereinigung meiner Meinung nach gar nicht möglich sein könne. An Bildsäulen hatte ich gesehen, wie anders der Mann von der Natur ausgestattet ist als das Mädchen. Da ich meine Untersuchungen immer beim Waschen vornahm, wobei ich an den Wochentagen ganz nackt und allein war, während ich sonntags in Gegenwart der Mutter die Hüften bis zu den Knien bedeckt halten mußte, so konnte es nicht fehlen, daß ich auch bald auf die immer mehr sich rundenden Formen der Hüften und Schenkel aufmerksam werden mußte. Das bereitete mir ein unerklärliches Vergnügen. Meine Gedanken schweiften in die Weite. Ich versuchte, mir auf alle mögliche Weise zu erklären, was ich doch nicht begreifen konnte; ich erinnere mich aber genau, daß damals sich meine Eitelkeit zu regen begann. Mein Vater war ein sehr ernster Mann, und meine Mutter ein Muster weiblicher Sitte und feinsten Anstands, so daß ich vor beiden außerordentlichen Respekt empfand, aber gerade deswegen auch die größte Liebe für sie fühlte. Höchst selten kam ein Scherzwort über die Lippen meines Vaters, und ebenso selten sah ich von ihm eine Zärtlichkeit für meine Mutter. Dabei waren beide sehr schöne Menschen. Der Vater war damals rund vierzig, die Mutter vierunddreißig Jahre alt.

Nie war mir der geringste Gedanke gekommen, daß unter dieser ernsten und in jeder Beziehung gemessen erscheinenden Außenseite soviel Sinnlichkeit und Lebensgenuss verborgen sein konnte, wie ich durch einen sonderbaren Zufall erfahren sollte. Ich war vierzehn Jahre alt geworden und ging eben in den Konfirmandenunterricht zu einem Prediger, der, nebenbei gesagt, meine erste, schwärmerische Liebe war. Nicht die meinige allein, sondern die aller seiner Schülerinnen, obgleich er weder jung noch besonders schön war. Ich habe vielfach beobachtet, daß Lehrer, darunter vorzüglich Religionslehrer, den ersten nachhaltigen Eindruck auf das Gemüt junger Mädchen machen. Ist der Prediger ein guter Kanzelredner, ein in der Gemeinde beliebter Mann, so schwärmen alle jungen Mädchen für ihn. Später komme ich vielleicht hierauf zurück, weil es ja auch zur Beantwortung Ihrer Fragen gehört. Ich war also vierzehn Jahre alt und körperlich, bis auf das eigentliche Zeichen der periodischen Blume, das Zeichen der vollen Weiblichkeit, vollkommen ausgebildet. Da kam der Geburtstag meines Vaters heran, und Mutter traf mit liebevoller Geschäftigkeit alle Vorbereitungen dazu. Ich hatte ein Gedicht gemacht – Sie kennen ja mein kleines poetisches Talent (unter uns gesagt, mit dem Wunsch, daß es unser Prediger korrigieren möge, und ich dann einen Vorwand hätte, zu ihm zu gehen) – , einen großen Blumenstrauß gewunden und war schon frühmorgens festlich angezogen, weil mein Vater schöne Toilette sehr liebte. Meine Eltern schliefen nicht zusammen, weil der Vater oft bis spät in die Nacht arbeitete und dann die Mutter nicht stören wollte – so sagten sie wenigstens; später habe ich erkannt, wie weise sie auch darin waren, ihr Eheleben zu genießen. All die Dinge, welche vor dem Zubettgehen und nach dem Aufstehen nötig sind, all die Zwanglosigkeiten, die sich mit der Bequemlichkeit verbinden, auch die nachlässige, ja oft lächerliche Toilette des Nachtanzugs, kurz: die zu genaue Bekanntschaft sollen Eheleute von sich fernhalten, damit sie sich immer neu und reizvoll bleiben. Mein Vater schlief also nicht in dem Schlafzimmer der Mutter. Gewöhnlich stand er um sieben Uhr auf. An seinem Geburtstag war meine Mutter schon um sechs Uhr auf und im Hause tätig, um die Geschenke zu ordnen und Vaters Bild zu bekränzen. Gegen sieben Uhr sagte sie: das frühe Aufstehen mache doch recht müde, und sie wolle sich noch einen Augenblick aufs Bett legen, bis der Vater herüberkäme. Weiß der Himmel, wie mir die Idee kam – aber ich dachte, es müsse doch gar zu hübsch sein, wenn ich dem Vater gleichzeitig mit der Mutter gratulieren würde, denn ich hatte ihn schon sich in seinem Zimmer räuspern hören. Er war also auf und mußte bald herüberkommen. Während die Mutter noch mit dem Dienstmädchen sprach, schlüpfte ich in das Schlafzimmer, das einen Alkoven mit einer Glastür hatte, in dem sämtliche Garderobenschränke standen. Dort wollte ich versteckt stehenbleiben, bis Mutter dem Vater gratulierte, um dann durch mein Erscheinen die geliebten Eltern zu überraschen. Ganz stolz und glücklich über meinen Plan stand ich mäuschenstill hinter der Glastür des Alkovens, als meine Mutter hereintrat, sich schnell bis aufs Hemd entkleidete, sich auf ein bereitstehendes Bidet setzte und sorgfältig wusch. Ich sah dabei zum ersten Mal, welch einen wunderschönen Körper meine Mutter hatte. Dann stellte sie einen großen Stehspiegel, der am Fußende ihres Bettes neben ihrer Toilette stand, schräg zu ihrem Blickfeld und legte sich hin, die Augen aufmerksam nach der Tür gerichtet. Jetzt erst kam mir der Gedanke, daß ich wohl eine Ungeschicklichkeit begangen haben könnte, und ich wäre gern so weit wie möglich aus dem Alkoven weg gewesen. Ein dunkles Gefühl sagte mir, daß vor meinen Augen etwas geschehen würde, was ein junges Mädchen eigentlich nicht sehen dürfte. Ich hielt ängstlich meinen Atem an und zitterte an allen Gliedern. Da öffnete sich die Tür, und der Vater trat herein. In dem Augenblick, als die Tür sich bewegte, hielt meine Mutter die Augen geschlossen und stellte sich schlafend. Mein Vater trat an das Bett, betrachtete mit dem Ausdruck der größten Liebe die Schlafende, ging dann zur Tür zurück und schob den Riegel vor. Mir wurde immer banger, und es war mir zumute, als sollte ich in die Erde sinken, als mein Vater nun leise die Beinkleider abstreifte, so daß er unter dem Schlafrock nur noch das Hemd anhatte. Er näherte sich dem Bett wieder und hob vorsichtig die leichte Schlafdecke ab. Da sah ich zum ersten Mal einen anderen weiblichen Körper, aber ausgewachsen und in vollster Blüte, und dachte mit Beschämung an die Unreife des meinigen. In diesem Augenblick öffnete meine Mutter die Augen, als ob sie eben erst erwacht wäre, und rief mit einem langen Seufzer: »Bist Du es, geliebter Mann? Eben träumte ich von Dir. Wie schön weckst Du mich. Tausend Glückwünsche zu Deinem Geburtstag!«

 

»Den schönsten bringst Du mir damit, daß ich Dich überraschen konnte. Wie reizend Du heute wieder bist! Du hättest Dich nur sehen sollen!«

»Mich so zu überfallen! Du hast doch die Tür verriegelt?«

»Sei unbesorgt. Willst Du mir aber wirklich gratulieren, so sei, wie Du warst – mir ganz zugewendet. Du bist so frisch und duftig wie eine Rose.«

»Alles, was Du willst, Du Engel von einem Mann. Aber willst Du nicht lieber bis heute Abend warten?«

»Da hättest Du nicht so einladend daliegen dürfen. Ich kann nicht warten. Heute morgen wollen wir alles genießen.«

Nun sank er auf ihr Gesicht nieder, und die Küsse wollten gar kein Ende nehmen. Dabei blieb seine Hand in spielender, liebkosender Bewegung. Da er mir den Rücken zukehrte, konnte ich nicht sehen, was er tat. Ich schloß aber aus den leisen Ausrufen meiner Mutter, welches außerordentliche Vergnügen sie zu empfinden schien, denn die Augen verschwammen ihr, ihre Brust zitterte, und seufzend und abgebrochen rief sie: »Wie lieb Du heute bist!«

Jedes der Worte, die dabei gesprochen wurden, ist mir unvergeßlich. Wie oft habe ich sie mir später in Gedanken wiederholt. Wieviel darüber nachgedacht. Ist es mir doch, als tönten sie mir noch jetzt in den Ohren.

Es trat jetzt eine Pause ein. Die Mutter lag regungslos mit geschlossenen Augen; der ganze Körper schien seine Spannkraft verloren zu haben. Ich war erschrocken über den Gesichtsausdruck der beiden. Das war nicht mehr mein feiner, sanfter, ernster Vater, das war nicht meine keusche, sittliche Mutter! Das waren ein paar Wesen, die keine Rücksicht mehr kannten, die, glühend und wonnetrunken, sich gegenseitig in einem mir unbekannten Genusse überboten.

Mir war der Atem bei diesem Anblick so vollständig vergangen, daß mein heftiges Herzklopfen mich fast zu ersticken drohte. Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf, aber noch war die Sorge, wie ich unbemerkt wieder aus dem Versteck herauskommen konnte, ohne von meinen Eltern entdeckt zu werden, die Hauptsache für mich. Lange sollte ich indessen in diesem Zustand nicht bleiben, denn was bis jetzt geschehen, war nur das Vorspiel gewesen. Ich sollte das erste Mal soviel auf einmal sehen und lernen, daß ich auch später kaum einer weiteren Belehrung mehr bedurfte.

Wie gesagt, hatte sich mein Vater neben meine noch immer unbeweglich daliegende Mutter auf den Rand des Bettes gesetzt, so daß er mir das Gesicht zukehrte. Es schien ihm heiß zu werden, denn plötzlich warf er seinen Schlafrock und das Hemd ab, zog aber dann den Schlafrock wieder an. Nun sah ich mit einem Mal das, worüber ich mir nach den Erzählungen meiner Gespielinnen schon so oft den Kopf zerbrochen hatte. Mir gingen die Augen über, so starrte ich vor Aufregung und Neugier darauf hin. Wie anders war das, was ich bei Statuen und kleinen Knaben gesehen hatte! Ich erinnere mich deutlich, daß ich mich davor fürchtete und doch einen angenehmen Schauder über meinen Körper rieseln fühlte.

Nachdem die Ruhe einige Minuten gedauert hatte, nahm mein Vater die kraftlos herabhängende Hand meiner Mutter … Sie schlug die Augen auf und lächelte unbeschreiblich holdselig, richtete sich auf und hing mit so leidenschaftlichen Küssen an seinem Munde, daß ich mir selbst sagte, daß alles Bisherige nur die Einleitung zu dem gewesen sei, was noch geschehen würde …

Beide sprachen kein Wort, aber nachdem sie einige Minuten die heißesten Küsse gewechselt hatten, warfen sie das Hemd und er den Schlafrock ab. Meine Mutter legte sich dann so auf das Bett, daß sie bequem in den Spiegel sehen konnte, den sie sich zurechtgerückt hatte, ehe sie sich vor dem Eintritt meines Vaters schlafend gestellt hatte. Mein Vater konnte das nicht bemerken, denn er sah in das schöne, erregte, strahlende Gesicht meiner Mutter. Ich blickte so angestrengt auf beide hin, daß mir die Augen beinahe aus dem Kopfe fallen wollten. Ihre Lage war so, daß ich alles genau sehen konnte. Mir vergingen vor Erregung fast die Sinne. Ich armes, unwissendes Mädchen! Was verstand ich damals von dem, was meine Mutter sagte. Ihre Augen leuchteten vor Vergnügen. Sie waren immer auf den Spiegel gerichtet, in dem sie genau alle Bewegungen meines Vaters sehen konnte, und sie ergötzte sich mit großem Vergnügen an diesem Bild. Die tausend Gefühle, die mich damals bewegten, ließen mich gar nicht daran denken, daß beide Körper eigentlich wunderschön waren. Jetzt weiß ich freilich, daß solche Schönheit zu den größten Seltenheiten gehört. Ich sah nur erstaunt den Vorgang, ohne an Nebendinge zu denken. Vater sprach kein Wort, sondern handelte nur. Die Mutter dagegen stieß einzelne Worte aus – manchmal unverständliche, als raubte das Vergnügen ihr die Besinnung – , aus denen ich mir zusammenreimen konnte, was zwischen beiden vorging. Merkwürdige Gedanken fuhren mir durch den Kopf: Das war Leben und Tod zugleich. So völlig dahin konnte nur sein, wer sich selbst, sein ganzes Ich aufgegeben hatte.

Nun glaubte ich, es sei alles vorbei, und obgleich meine Sinne in einer unglaublichen, fast schmerzhaften Aufregung waren, so dachte ich doch nur daran, wie ich, ohne mich zu verraten, aus dem Schlafzimmer herauskommen könnte. Ich hatte mich aber geirrt und sollte noch mehr zu sehen bekommen.

Vor dem Bett sitzend, beugte sich meine Mutter über den Liegenden und küßte ihn auf das zärtlichste.

»Warst Du glücklich?« fragte sie schmeichelnd. Ich sah, wie aus einer stillen, scheinbar temperamentlosen, höchst ruhigen Frau eine glühende Genießerin wurde. Der Augenblick war über alle Beschreibung erregend und schön! Die kräftigen Glieder meines Vaters, die blendend weißen, runden Formen meiner Mutter … Hier schien sich das Leben in seiner Fülle, das Dasein, soweit es faßbaren Höhen zustrebt, in zwei glücklichen Menschen konzentriert zu haben.

Die beiden Wesen, für die ich bis jetzt die meiste Ehrfurcht und Liebe gefühlt, hatten mich über Dinge aufgeklärt, über die sich junge Mädchen so überaus verkehrte Gedanken machen, hatten allen Schein und alle Vorstellung beiseite geworfen, durch die sie mir bisher als ganz rein, leidenschaftslos und ehrfurchtgebietend erschienen waren; hatten mir gezeigt, daß die Welt unter der äußeren Form der Sitte und des Anstandes den Genuss und die Wollust verbirgt. Aber ich will jetzt noch nicht philosophieren, sondern erst erzählen. Zehn Minuten ungefähr mochten die beiden wie leblos unter der Decke gelegen haben, dann standen sie auf, wuschen sich, zogen sich an und verließen das Zimmer. Ich wußte, daß meine Mutter den Vater zunächst in den Raum führen würde, wo die Geburtstagsgeschenke aufgestellt waren, und dieses lag an dem Balkon, der in den Garten führte. Ich schlich mich daher einige Minuten später aus dem Schlafzimmer und lief so rasch wie möglich in den Garten, von wo aus ich die Eltern begrüßte. Wie ich dann mein Gratulationsgedicht hergesagt habe, weiß ich nicht. Mein Vater hielt meine Verwirrung für Rührung. Konnte ich doch meine Eltern nicht ansehen, weil ich den Gedanken daran nicht loswerden konnte, wie ich sie vor wenigen Minuten bei einer ganz anderen Beschäftigung beobachtet hatte. Der Vater küßte mich und die Mutter; aber welch eine andere Art von Kuss war das! So kalt, so förmlich! Auch die Mutter küßte den Vater. Aber wie hatte ich sie vorher küssen sehen! Ich war so verwirrt und verlegen, daß es endlich meinen Eltern auffiel. Ich schützte Kopfweh vor, weil ich mich nur danach sehnte, auf mein Zimmer zu kommen und allein zu sein, denn ich vermochte keinen anderen Gedanken zu fassen, als das so unerwartet Gesehene zu ergründen und möglichst selbst Versuche anzustellen. Der Kopf brannte mir wie Feuer, und das Blut jagte mir fast fühlbar durch die Adern. Meine Mutter meinte, ich sei wohl zu fest geschnürt. Das war eine willkommene Gelegenheit, mich in meinem Zimmer auskleiden zu können, und das tat ich auch mit einer solchen Eile, daß ich fast alles zerriß. Wie aber war mein unreifer Körper so wenig schön im Vergleich zu der vollendeten Schönheit meiner Mutter! Kaum rundete sich bei mir, was bei ihr üppige Formen angenommen hatte. Daß man jedoch so außer sich geraten, so alle Besinnung verlieren könne, wie ich es bei meiner Mutter gesehen hatte, das konnte ich nicht begreifen. Ich schloß daraus, daß zu solcher Wollust ein Mann gehöre, und verglich in Gedanken den Prediger mit meinem Vater: ob er sich wohl mit seinem ernsten Wesen auch nur so verstellte, wie sich offenbar mein Vater gegenüber uns verstellte? Ob er wohl auch so feurig, so wollüstig, so besinnungslos wird, wenn er sich mit seiner Frau allein befindet? Ob er sich wohl mir gegenüber auch so verhalten würde, wenn ich das täte, was meine Mutter getan hatte? In einer Stunde war ich zehn Jahre älter geworden. Schon damals war ich in allen Dingen ungemein systematisch. Ich führte Tagebuch, hielt Rechnung über meine kleinen Einnahmen und Ausgaben und schrieb alles Mögliche auf. So kam ich denn auf den Gedanken, mir erst alle Worte aufzuschreiben, die ich gehört hatte; aber vorsichtig auf einzelne Papierschnitzel, damit niemand daraus klug werden könnte. Dann dachte ich über alles nach und baute mir ein Phantasieschloss zurecht.

Erstens hatte die Mutter sich schlafend gestellt und sich so zurechtgelegt, daß der Vater das tun mußte, was sie wünschte. Das hatte sie offenbar in der Absicht getan, daß der Vater nicht merken sollte, was sie wollte. Sie war also die Verlangende, wollte aber nur als die Gewährende erscheinen. Sie hatte sich ferner den Spiegel so zurechtgerückt, daß sie durch den Anblick doppeltes Vergnügen haben mußte. Auch mir hatte das Spiegelbild mehr Vergnügen gemacht als die Wirklichkeit, weil ich Dinge ganz deutlich sah, die ich sonst nicht hätte sehen können. Aber auch das hatte sie vor dem Vater verborgen. Sie hatte ihm also nicht eingestehen wollen, daß sie mehr genoß als er. Endlich hatte sie ihn gefragt, ob er nicht bis heute Abend warten wollte, während sie doch alles vorbereitet hatte, um gleich morgens zu genießen, was sie wünschte. Was bedeuteten all die merkwürdigen Worte, die sie in höchster Sinnesverwirrung gebraucht hatte, oder wohl besser: die Ausdruck der Sprache ihrer Sinnlichkeit waren? Vergebens zerbrach ich mir den Kopf, was das wohl alles bedeuten könnte. Ich mag gar nicht schreiben, welch widersinnige Erklärung ich damals fand. Bei aller gewöhnlichen Schlauheit junger Mädchen ist es erstaunlich, wie lange sie über Dinge im dunkeln tappen und wie selten sie dabei gerade auf die einfachste und natürlichste Erklärung kommen.

 

Das Küssen war jedenfalls nicht die Hauptsache, sondern nur eine Vorbereitung gewesen, obgleich die Mutter offenbar gerade dabei das größte Vergnügen gehabt hatte.

Kurz, es gab so viel zu denken, daß ich den ganzen Tag nicht zur Ruhe kam. Fragen wollte ich niemanden, denn da die Eltern das alles so vorsichtig verborgen hatten, so mußte es wohl etwas Unschickliches sein. Wir bekamen viel Besuch den Tag über, und am Nachmittag kam auch mein Onkel mit seiner Familie in die Stadt. Er brachte meine Tante, meine Cousine, ein zehnjähriges Mädchen, meinen Vetter von sechzehn Jahren und eine französische Gouvernante aus der Schweiz mit. Da mein Onkel am nächsten Tag noch Geschäfte in der Stadt hatte, so blieben sie die Nacht bei uns. Meine Cousine und ihre Gouvernante mußten in meinem Zimmer schlafen. Dazu wurde noch ein Bett aufgeschlagen und neben das meinige gestellt. Dort sollte Marguerite, die Gouvernante, meine Cousine aber mit mir zusammen in einem Bett schlafen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich im Bett der Gouvernante hätte schlafen können, denn sie war ein sehr lebhaftes Frauenzimmer, achtundzwanzig Jahre alt und nie um eine Antwort verlegen. Von ihr hätte ich vielleicht eine Belehrung erhalten können, obgleich ich nicht wußte, wie ich es anfangen sollte, sie zu fragen, da sie doch eine Erzieherin war und meine kleine Cousine sehr streng hielt. Aber ich dachte mir, die Vertraulichkeit des Zusammenliegens in einem Bett würde schon eine Gelegenheit herbeiführen, und machte tausend Pläne. Als die Zeit zum Zubettgehen herangekommen war, fand ich Marguerite schon in unserem Schlafzimmer vor. Sie hatte eine spanische Wand zwischen die beiden Betten geschoben, so daß die Schlafenden vollkommen voneinander getrennt waren. Sorgfältig brachte sie uns beide zu Bett, ließ uns unser Nachtgebet hersagen, nahm dann die Lampe auf ihre Seite mit hinüber, wünschte uns Gute Nacht und ermahnte uns, bald einzuschlafen. Das hätte sie bei meiner Cousine gar nicht nötig gehabt, denn kaum unter der Decke, war sie auch schon eingeschlafen; bei mir aber war von Schlafen gar keine Rede. Allerlei Gedanken gingen mir im Kopf herum. Ich hörte Marguerite noch einige Zeit herumwirtschaften, sich dann ausziehen und das Nachtkleid anlegen. Ein schwacher Lichtschein durch die spanische Wand zeigte mir eine kleine, kaum einen Stecknadelkopf große Öffnung, und schnell hatte ich eine Haarnadel zur Hand, um das Loch unbemerkt größer zu machen, so daß ich mich im Bett nur etwas hinabzuschieben brauchte, um ganz bequem zu Marguerite hinübersehen zu können. Sie hatte eben das Hemd ausgezogen, um das Nachthemd anzuziehen. Ich sah freilich keinen so schönen Körper wie den meiner Mutter, aber eine kleine, sehr wohlgeformte Brust und geschlossene Schenkel. Ich hatte kaum eine Sekunde Zeit für das Beschauen, denn rasch warf sie das Nachthemd über, setzte eine Haube auf und holte aus ihrem Reisesack ein Buch, mit dem sie sich an einen Tisch gegenüber dem Bett setzte und zu lesen begann.

Kaum aber hatte sie einige Minuten gelesen, als sie aufstand, die Lampe nahm und auf unsere Seite kam, um nachzusehen, ob wir auch schliefen. Natürlich schloß ich die Augen so fest wie möglich und öffnete sie erst wieder, als ich hörte, daß sich die Erzieherin jenseits der spanischen Wand auf den Stuhl setzte. Gleich war mein Auge wieder an der Öffnung. Marguerite las mit größter Aufmerksamkeit in dem Buch, Sein Inhalt mußte etwas ganz Besonderes sein, denn ihre Wangen röteten sich, ihre Augen glänzten, die Brust hob sich unruhig, und plötzlich ließ sie die rechte Hand unter das Hemd gleiten. Jetzt schien sie noch eifriger, mit noch größerem Vergnügen zu lesen. Allzuviel konnte ich freilich nicht sehen, aber ich reimte mir das heute morgen Gesehene damit zusammen. Nun holte sie aus der Reisetasche ein Paket Wäsche hervor, wickelte es auf und hatte plötzlich ein sonderbares Instrument in der Hand. Ich armes Ding, was wußte ich damals von einem Godemiché!

Mir quollen vom anstrengenden Sehen fast die Augen aus dem Kopf. Nun nahm Marguerite das Buch wieder in die linke Hand – beim Aufnehmen hatte ich bunte Bilder darin entdeckt, ohne erkennen zu können, was sie darstellten – , das Instrument in die Rechte und vollführte, was ansonsten dem Mann vorbehalten ist. Ihre Augen nahmen einen immer sonderbarer werdenden Glanz an. Den Inhalt des Buchs mit seinen Bildern schien sie verschlingen zu wollen, bis sie das Buch fallen ließ und die Augen schloß. Ihr Körper vollführte ekstatische Bewegungen. Sie kniff die Lippen gewaltsam zusammen, als fürchte sie, sich durch einen Seufzer zu verraten. Der höchste Moment schien gekommen; sie lag regungslos, aber tief atmend auf dem Stuhl. Ich rührte mich immer noch nicht. Endlich packte Marguerite Buch und Instrument sorgfältig ein, kam darauf noch einmal mit der Lampe an unser Bett, um zu sehen, ob wir schliefen, und legte sich dann selbst zur Ruhe mit einem so glücklichen Gesicht, als sei ihr das Höchste widerfahren, das es auf der Welt gibt. Während sie ins Bett stieg, schob auch ich mich zurecht und freute mich, nun eine Gelegenheit für die Lösung all der Rätsel gefunden zu haben, die sich unruhig in meinem kleinen Kopfe tummelten.

Worauf doch die Menschen in ihrer Triebhaftigkeit verfielen – oder war es sexuelle Not, die sie erfinderisch machte? Einen Phallos nachzuahmen …! Jetzt, nachdem ich die Augen geschlossen hatte und die Bilder der vergangenen Minuten wieder an mir vorüberziehen ließ, erschien mir der Godemiché als Ausbund der Verirrungen, dem das Sinnliche ebenso anhaftete wie die Tragik, die sich vom Menschlichen her dahinter verbarg. So jedenfalls empfand ich damals diesen Akt zunächst, ohne den Vorgang wie heute in Worte fassen zu können. Dann wieder schlich sich ein Gefühl in mein Denken, das tragikomische Akzente hatte. Das Sinnliche, Aufreizende aber überwog. Ich war außer mir und fest entschlossen, Marguerite dazu zu bringen, mir zu beichten, mich aufzuklären, mir zu helfen. Tausend Pläne durchkreuzten meinen Kopf. Wie ich sie ausführte, soll mein zweiter Brief Ihnen sagen. War ich nicht aufrichtig?