Fulcher von Fabeln - TOD IN ELBING

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Fulcher von Fabeln - TOD IN ELBING
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Thomas Friedrich Sänze

Fulcher von Fabeln

Fulcher von Fabeln – TOD IN ELBING

Thomas Friedrich Sänze

Covergestaltung: Sabine Abels / www.e-book-erstellung.de published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de Copyright: © 2014 Thomas Friedrich Sänze ISBN 978-3-7375-1451-4

Personen


Fulcher von Fabeln: Ritterbruder des Deutschen Ordens, erzwungen enthaltsam.
Miligedo: Wilder prußischer Krieger aus dem Samland, kämpft mit einigen Stammesgenossen für den wahren Glauben.
Matto: Sein Vater, nicht minder wild.
Hartmud von Grumbach: Landmeister des Deutschen Ordens aus einem bekannten fränkischen Rittergeschlecht. Klein, gemein, geizig und absolut gnadenlos.
Udelhilt von Grumbach: Blondlockige, ziemlich tote Schwester des Landmeisters.
Gertrud Roisdorf: Magd und Vertraute der ziemlich toten Landmeister-Schwester.
Blithildis Barbanter: Edle Ehefrau des Bürgermeisters von Elbing.
Karl von Gillingham: Ritterbruder des Deutschen Ordens von englischer Abstammung. Hochgeachtetes Vorbild an Sittsamkeit und Pflichterfüllung.
Paul von Gillingham: Ritterbruder des Deutschen Ordens. Karls missratener Bruder, überhaupt kein Vorbild, wenig sittsam und kein bisschen hochgeachtet.
Jacop von Berg: Priesterbruder des Deutschen Ordens und widernatürlicher Kammergenosse Fulchers.
Otto von Witzig: Ritterbruder des Deutschen Ordens und kein bisschen witzig.
Balga: Sohn des Sclodo, Pruße, Lokalrebell und Möchtegerne-Eroberer.
Vytautas und Wupyan: Handlanger des Balga von der schlimmeren Sorte.
Albertus und Bernardus: Priesterbrüder des Deutschen Ordens und chronische Chronisten.
Stenzel von Bentheim: Westfälischer Ritter und Kreuzfahrer.
Hirzhals von Liebenzell: Kreuzfahrer aus reicher Adelsfamilie und Stenzels Befehlshaber.

Schauplätze

Prußenland, im Monat Oktober des Jahres 1260

Burg/Stadt Elbing

Umgebung

Prolog

Ich war ein vielversprechendes Kind aus gutem Hause. Zwar niederer, doch halbwegs angesehener Adel. Meine Eltern schenkten mir Jugend, beste Gesundheit und ließen mir obendrein getreu ritterlicher Tradition eine hervorragende Ausbildung in Mord und Totschlag zukommen. So war ich gut gerüstet für jede Zukunft, die da kommen mochte.

Als Nachgeborener konnte ich keinerlei Erbe erwarten und war ohnehin von wenig Nutzen für meine Erzeuger. Unnütze Esser schickte man in Adelskreisen entweder ins Kloster oder in den Krieg. Ich war keiner, der das ewige Heil auf den Pfaden Gottes suchte. Deshalb wählte ich den Krieg. So wie es alle tun, die lieber den Eitelkeiten der Welt hinterherlaufen. Mein Schicksal vereinte sich im Weltlichen und Geistlichen als Ordensritter in den heiligen Händen des Ordo fratrum domus Sanctae Mariae Teutonicorum Ierosolimitanorum.

Ein Ritter war der Kern und die Stärke jedes christlichen Heeres. Das Panzerkleid, war sein Gewand und das Schwert sein Vorrechtszeichen. Das Wesen der Waffe hatte einen ausgesprochen prägenden Einfluss auf das Selbstwertgefühl eines Mannes. Unangreifbar in einer ehernen Rüstung mit Schwert, Schild und Lanze auf einem muskelstrotzenden Streitross zu sitzen, führte bei jedem Mann zu einem entsprechenden enormen Ego. Wir Ritter waren die Götter des Schlachtfeldes, und auch wenn wir uns selbst nicht für Gott hielten, so befanden wir uns doch bereits sehr nahe bei ihm. Die tiefe Überzeugung, dass die Welt ihm gehöre und jeder seines Standes ein von Gott auserwählter Mann sei, bildeten den Kern und die Seele eines jeden Streiters des Heiligen Römischen Reiches. Mit Gottes Gnade an unserer Seite und allen niederen Menschen überlegen, kamen wir als Gottes Zorn über die elf Stämme Prußens und machten uns ihre Länder mit Feuer und Schwert Untertan. Ruhm, Herrschaft und Macht vereinigten sich mit Habgier. Kaufleute, Geldgeber und Städte des Reiches verzehrten sich danach, neue Gebiete und Reichtümer dazuzugewinnen. Und wahrer Zweck dieser Kriege war nie der Sieg, sondern immer der Gewinn. Dieser sorgte für pralle Beutel, fette Bäuche und brünstige Schöße unzähliger Weiber, die von lüsternen Schwengeln habsüchtiger Männer beglückt wurden. Viele raffgierige Hände waren es, die blühende Städte, christlichen Leuchtfeuern gleich, inmitten trostloser heidnischer Wildnis entstehen ließen. Endlich gelang es den mutigen Streitern des Deutschen Ritterordens nach drei Dezennien des Krieges, sich tief in das Land hineinzufressen und die heidnischen Traditionen auf Dauer zu beenden. Jedoch am Abend vor Sankt Matthäus Tag, am 20. des Monats September im Jahr des Herrn 1260 strömten die prußischen Kriegshaufen zusammen und brachten von den Seegestaden des Samlands bis an die Grenzen Pomesaniens blutrünstige Vergeltung über die Kinder des Herrn im Prußenland. Die Herrlichkeit Christi endete, denn die alten Götter kehrten mit aller Macht wieder, und ihre Finsternis verschlang uns alle.

Kapitel 1

Die Langeweile eines Lebens unter heidnischen Wilden am Arsch der christlichen Welt vertrieben wir uns am liebsten mit dem Raub ihrer Frauen. Dabei folgten wir natürlich stets dem Kodex des Rittertums. Dieser verlangte den „ritterlichen Umgang“ mit den prußischen Gegnern. Das befolgten wir, indem wir sie brutal vom Pferd aus abschlachteten oder – noch einfacher – gleich niederritten. Die Überlebenden knüpften wir in der Regel am nächsten Baum auf oder pfählten sie zu unserer Belustigung. Danach kämpften wir den Kampf für die Witwen und Waisen, indem wir diesen in den heidnischen Dörfern ihr letztes Hemd raubten. Zum Abschluss widmeten wir uns – immer gemäß dem Kodex – hingebungsvoll der ritterlichen Verehrung der Frauen, indem wir die Schöße der überlebenden Weiber ordentlich verheerten. Für uns Ritter war der Kodex eine prächtige Sache, denn damit konnten wir unsere Schandtaten trefflich rechtfertigen. Ganz gleich wie viele! Nicht so sehr vor uns selbst oder unserem Gewissen, vielmehr vor der allgemeinen Öffentlichkeit. Alle Sünden begingen wir schließlich im Namen des Herrn, und die Kirche hatte uns nie verboten, auch noch Freude daran zu haben. Dennoch mussten wir, ganz gleich wie schlimm auch die von uns begangenen Tätlichkeiten waren, im öffentlichen Bild umso glänzender erscheinen. Der Mantel der Rechtschaffenheit sicherte uns die Unterstützung der Öffentlichkeit und somit das Geld für unser Tun.

Jeder Krieg brauchte seine Geldgeber, und die fanden sich nur, wenn behauptet wurde, der Krieg diene einer guten Sache. Wüsste die Welt, dass wir bestialisch, brutal und wonnevoll mordeten, plünderten und vergewaltigten, sie wäre zu Recht empört! Nicht notwendigerweise weil wir taten, was wir taten, sondern vielmehr, weil jedermann neidisch darauf wäre, es ganz allgemein nicht ebenso halten zu können.

So mussten Ritter, Geistliche oder Geldsäcke immer wieder viel Geld ausgeben, um Dichter und Minnesänger anzuwerben und zu finanzieren. Diese wurden gebraucht, um die begangenen Untaten beim Volk ins erwünschte rechte Licht zu rücken. Die Menschen sollten fest daran glauben, dass ein Ritter nicht etwa aus Spaß plünderte, mordete und vergewaltigte, oder um sich selbst zu bereichern. Nein – und das war wichtig – er tat es, um das anstrengende, gefährliche und gottgefällige Werk zu tun, für das ihn der himmlische Herr höchstpersönlich auserwählt hatte. Damit ließ es sich im Allgemeinen ganz gut leben.

Vor allem wir Ordensritter entwickelten beim Schänden und Schinden der prußischen Bevölkerung den allergrößten Einfallsreichtum. Wir besprangen nicht bloß alles was atmete, sondern zwangen viele unserer Opfer, es vor aller Augen mit Bruder, Schwester, Vater, Mutter, Sohn, Hund, Katze, Pferd, Ochse, Esel, Kuh oder sogar Eimern, Besenstielen, Töpfen oder Pfannen zu treiben. Natürlich nicht mit der Absicht, unsere eigene Lüsternheit zu befriedigen, sondern vielmehr, um die Prußen tief zu demütigen. Geschlechtliche Brutalität, war das gebräuchlichste Mittel der Kriegsführung und bestens geeignet, Schande und Scham zu verbreiten.

So beschämten und schändeten wir mit Wohlgefallen. Dabei benutzten und beschmutzten wir alles, was den Prußen lieb und teuer war. Äußerst entwürdigend für unsere Opfer – und höchst wonnevoll für uns Täter. Trotzdem verbrachten wir die Zeit meistens lieber mit Stehlen anstatt Morden. Zwar sicherte das Morden uns einen guten Platz im Himmel. Doch das Stehlen war weitaus weniger anstrengend und vor allem so einträglich, dass es den Himmel bereits auf Erden bescherte. So ging das ritterliche Leben voller Sinnesfreuden dahin, bis zu dem verfluchten Tag, an dem die Flut meiner Sünden die Lebendigkeit meiner Lenden endgültig auslöschte.

 

Dabei hatte es nur ein weiterer gewöhnlicher Plünderungszug unter so unzählig vielen werden sollen. Eine der üblichen Jagden nach Wein, Weib und Beute. Seit Ewigkeiten waren wir auf diesen vergnüglichen Raubzügen nicht mehr auf ernstzunehmenden Widerstand gestoßen. Die Prußen waren viel zu eingeschüchtert, um noch frech zu werden. So erwarteten wir auch diesmal, die Früchte vom Baum der Versuchung einfach nur zu pflücken und ungehindert unsere Furchen in den Gärten vieler hübscher Weiber zu ziehen. Keiner von uns ahnte, dass diesmal ein paar der mächtigen Äste herabfallen und einige von uns inmitten dieser lauschigen Lustgärten erschlagen würden. Leichtsinnig und tollkühn waren wir geworden durch das Fehlen jeglichen Widerstandes.

Mit vier Kameraden hatte ich mich von der Hauptgruppe abgesetzt, um alleine unser Glück zu suchen. Habgier und Verlangen hatte unsere Schwengel gepackt. Die Aussicht, diesmal reiche Beute und warme Schöße nur durch fünf teilen zu müssen, benebelte uns den Geist und kribbelte verheißungsvoll in unseren prallen Säcken. So kam es, dass unsere kleine Gruppe nach zwei Tagen strammen Rittes auf ein abgelegenes Prußendorf stieß. Es war Waschtag im Dorf und ein Haufen nackter und halbnackter Weiber war in den herrlichsten Positionen bei ihrer Tätigkeit zugange. Ein Paradies für jeden Bock! Beim Blick den Hügel hinunter lief uns bereits der Geifer im Mund zusammen. Kurzerhand stürmten wir mit lüsternem Leichtsinn laut brüllend hoch zu Ross mit blank gezogenen Waffen mitten ins Dorf hinein. Panisch ließen die Frauen die Wäsche fallen und stoben in alle Richtungen auseinander. Einige kreischten, andere brachten ihre Kinder in Sicherheit oder versuchten ihr Vieh zu verstecken. Viele flüchteten in ihre Häuser, wo sie sich versteckten. Jedoch nicht alle entkamen unseren lüsternen Schwengeln. Einige hübsche nackte Beutestücke gelangten in unseren Besitz und wir fielen auf dem Dorfplatz begierig über sie her. Allerdings bemerkten die übrigen Frauen bald, dass wir insgesamt nur fünf Mann waren. Woraufhin sie es sich mit der Flucht anders überlegten und ihrerseits über uns Männer herfielen. So wurden wir, die Täter, zu überraschten Opfern.

So fand mein fleischliches Treiben im Schoß eines üppigen blonden Weibsstücks ein abruptes Ende. Just als ich mich gerade vergoss, riss mich die Meute prußischer Weiber von meinem Opfer herunter. Der Schwall meiner Lenden verspritzte auf dem schmutzigen Erdboden und vermischte sich dort mit meinem unversehens fließenden Blut. Vier Dutzend hasserfüllte Frauen zerrten mir die Rüstung vom Leib und zerfetzten meine Kleider. Sie bissen, kratzten und prügelten mich mit Knüppeln, Dreschflegeln, Besen, Ruten oder den bloßen Fäusten halbtot. Lediglich der Tatsache, dass sie sich in ihrer blindwütigen Mordlust gegenseitig behinderten verdankte ich noch einen kläglichen Rest an Leben. Ein Glück, das meinem Kumpan wenige Meter neben mir nicht vergönnt war. Eine Schar nackter Vertreterinnen der Sanftmut bestraften dessen Wollust mit tödlicher Entschlossenheit. Zwar wehrte dieser sich verzweifelt gegen das Geschehen, konnte sich jedoch gegen die weibliche Übermacht nicht durchsetzen. Dutzende Frauen lagen auf ihm und pressten ihn zu Boden, während eins der prußischen Weiber ihm mit seinem eigenen Schwert mühsam sägend und raspelnd langsam den Kopf abtrennte. Blut spritzte auf ihre entblößten Brüste als seine Schlagadern durchtrennt wurden und gerann auf den Händen, Schenkeln und Lenden seiner Mörderinnen.

Mit ähnlich entfesselter Wut wurden auch die anderen Männer abgeschlachtet. Einzig mein Leben wurde geschont, weil vier der Furien mir Stricke um die Knöchel banden und mich daran davonzogen, bevor die mordlüsterne Meute ihr Werk endgültig vollenden konnte. Unter lautem Jubel der versammelten Frauen wurde ich, vorbei an den übel verstümmelten und kastrierten Leichen meiner vier Kumpane, splitterfasernackt zum Ziehbrunnen auf dem Dorfplatz geschleift. Die Häscherinnen warfen die Seile über das Gestänge und zogen mich, mit den Füßen voran, daran hinauf. Hier baumelte ich kopfüber, halb ohnmächtig, hilflos und nackt bis auf die Stiefel, während sich um mich herum eine Horde blutgieriger Weiber sowie neugieriger Kinder, Halbstarker und alter Männer versammelte. Einzelne Frauen sprangen aus der Menge, um nach mir zu spucken, zu schlagen, zu treten, mich mit Dung zu bewerfen oder mit Hacken und Spießen zu malträtieren. Ich sah mein Ende gekommen und erwartete einen schrecklichen, aber schnellen Tod. Die rachsüchtigen Prußenweiber hingegen hatten mir ein langsames und grausames Ende zugedacht. Sie trugen Knüppel, Stöcke und Ruten und fingen reihum damit an, mir auf die schutzlose und sehr empfindliche Stelle zwischen meinen Beinen zu schlagen. Dieser höllische Wettbewerb machte ihnen sichtlich Spaß. Jedes Weib im Dorf durfte reihum zuschlagen, und je lauter ich dabei vor Qual aufschrie, umso größer war der anerkennende Jubel der Menge. Als mein Stöhnen und Wimmern anfing die Menschen zu langweilen, wollten sie, um die Stimmung wieder zu beleben, eben beginnen, mir wichtige und unwichtige Körperteile abzuschneiden. Plötzlich ging ein Schreckensschrei durch die versammelte Menschenmenge und sie stoben in alle Richtungen auseinander, ganz als hätte die Faust eines Riesen in ihre Mitte geschlagen. Dieser Riese war ein kleines Heer von mehr als fünfzig berittenen und bis an die Zähne bewaffneten Ordensrittern, begleitet von einem Tross Halbkreuzler. Es waren eben jene Raubzügler, die ich mit meinen vier Kumpanen vor zwei Wochen so hoffnungsvoll verlassen hatte.

Niemals habe ich später herausfinden können, wie lange sie auf dem Hügel ausgeharrt hatten, um sich am Anblick meiner Demütigungen zu ergötzen. Allerdings vermutete ich, dass es länger war, als unbedingt notwendig. Kein Kerl würde sich ein solch unterhaltsames Schauspiel entgehen lassen wollen. Da sie nun aber entdeckt waren, war für sie der unterhaltsame Teil beendet und der wirkliche Spaß konnte anfangen. Wie ein Mann griffen sie zu den Waffen und sprengten in wildem Galopp zum Dorf herab, hieben und ritten alles nieder, was im Weg stand und vergewaltigten jedes Wesen, dessen sie habhaft werden konnten. Die Überlebenden des Gemetzels pferchten sie wie Vieh in eines der großen Häuser, verrammelten die Ausgänge und setzten es in Brand. Ich sah noch, wie das Dorf rot vor Tod wurde und die Lüfte brannten. Dann schwanden mir die Sinne und Bewusstlosigkeit umfing gnädig meinen geschundenen Körper.

Kapitel 2

Trübe flackerndes Licht blendete meine Augen. Ich drehte mich weg und zog mir grunzend die Decke übers Gesicht. Mit dem Erfolg, dass sie mir weggerissen wurde.

„Fulcher! Wacht auf!“

Ich war hart. Dazu extrem steif. Steif in jeder nur denkbaren Beziehung. Nur nicht an der einen wichtigen Stelle, auf die es vor allen anderen und insbesondere für einen Mann ankam. Das fiel mir immer als erstes auf, wenn ich mitten in der Nacht durch ein schmerzhaftes Rütteln an der linken Schulter aufgeweckt wurde.

Nur langsam kam ich zu mir. Ganz langsam. Noch langsamer. Mit einem schalen Geschmack im Mund. Ich drehte mich mit einem lauten Schmatzen zur Seite und versuchte herauszufinden, ob dieses Empfinden eher von dem abgestandenen Wein oder von dem faden Bier von gestern herrührte. Da ich beides in mehr als ausreichender und finanziell ruinöser Weise genossen hatte, war es mir jedoch unmöglich, das im Nachhinein genau festzustellen. Vielleicht hatte ich auch nur einmal wieder aus Versehen im Schlaf eine Wanze verspeist. Was nicht die erste ungewollte Mahlzeit dieser Art gewesen wäre und sicherlich auch nicht die letzte, die ich in diesem feuchten Loch, in dem ich mit meinem Leidensgenossen hauste, unfreiwillig genoss. Auf meinem Lager tummelte sich bestimmt mehr Ungeziefer als es in der Hölle Teufel gab. Jede Form von Reinlichkeit war da vollkommen sinnlos und eine Teufelsaustreibung wäre vermutlich schon eher von Erfolg gekrönt.

„Würdet Ihr nicht immer so viel saufen, kämet Ihr morgens auch aus dem Bett!“

Die nörgelnde Stimme verursachte mir Kopfschmerzen. Es war nicht morgens, sondern mitten in der Nacht. Diese Kombination aus früh, kalt und dunkel war absolut nicht mein Ding! Langsam öffnete ich meine Augen, erst das eine, dann das andere. Gleich darauf bereute ich es zutiefst, denn ich sah direkt in die hässliche Visage meines Kammerkumpans Jacop von Berg. Im Halbdunkeln konnte ich zwar nichts Genaues erkennen, konnte mir aber vorstellen, wie er sein blasses, teigiges Gesicht mit den Schweinsaugen breit grinsend über mich beugte.

Ich hätte das als Omen betrachten und im Bett bleiben sollen, denn ich verabscheute diesen fetten Kerl. Wobei Abscheu noch viel zu milde ausgedrückt war. Ich hasste ihn, und zwar abgrundtief. Er hatte in der Frühe immer diese penetrant gute Laune und machte sich ein diebisches Vergnügen daraus, mir auf die Nerven zu fallen. Als er auch noch an meiner rechten Schulter rüttelte, war an Schlaf nicht länger zu denken. Ohne hinzusehen schlug ich ihn. Das war sozusagen unser morgendliches Ritual. Er ging mir auf die Nerven, und ich verkloppte ihn. Seltsamerweise hielt ihn das aber nie davon ab, mich weiterhin jeden Morgen aus dem Bett zu zerren. Ich glaube, er stand darauf. Verhauen zu werden machte ihn an. Das war so ein typisches Mönchsding. Sie liebten es zu leiden.

Ich hörte ihn ächzen, als meine Faust die riesige Wanne traf, die manche wohl als Bauch bezeichnet hätten und grinste zufrieden in mein Kissen. Das Grinsen verging mir jedoch als ich ihn würgen hörte. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich voller Schaudern an das letzte Mal zurückdachte. Einer meiner morgendlichen Hiebe hatte seinen Magen getroffen, und er hatte mir daraufhin direkt in den Nacken gekotzt.

Diesmal hatte ich jedoch Glück. Jacop würgte nur einen Rülpser heraus. Ich war furchtbar erleichtert, auch wenn mich sein unmenschlich stinkiger Atem fast ins Jenseits beförderte. Mühsam drehte ich mich und setzte mich probeweise auf. Ich hatte Jacops Atem überlebt. Darüber freuen konnte ich mich aber nicht wirklich. Ich hatte nämlich nicht die geringste Lust zum Aufstehen, zum Atmen, zum Leben und überhaupt zu allem.

Benommen versuchte ich, meine Augen aufzuhalten. Ich fror. Es war Ende Oktober und schweinekalt in unserer Gruft. Wieder einmal nahm ich mir vor, Jacop bei nächstbester Gelegenheit zu züchtigen. Wohl wissend, dass ich das sowieso wieder vergessen würde.

Jacop sah offenbar ein, dass ich halbwegs wach war und entfernte seine fetten Massen mit wehender Kutte aus der Kammer. Die Holztür fiel mit einem Knall hinter ihm zu. Allein blieb ich zurück in diesem dunklen Loch, das wir gemeinsam bewohnten. Wie immer war ich ziemlich verwundert, wie dieses kleine fette Mönchlein es durch die enge Tür schaffte, ohne darin stecken zu bleiben. Gähnend nahm ich die Hände hoch und reckte mich ausgiebig. Die funzlige Kerze, die auf dem wackligen dreibeinigen Hocker in der Ecke stand, tauchte den Raum in flackerndes Licht. Das Türrätsel war vermutlich nur eines der vielen Geheimnisse des Lebens, das ich niemals würde lösen können. Ein weiteres wäre, wie es Jacop nur schaffte, bei der kargen Ordenskost so fett und feist zu werden, während mir mein Magen in steter Regelmäßigkeit an den Kniekehlen hing. Sogleich fing derselbe an, sich mit hungrigem Knurren zu melden.

Laut fluchend suchte ich nach meinen Stiefeln. Das war gar nicht so einfach, da sie sich immer an den Stellen befanden, wo kein vernünftiger Mensch nach ihnen suchen würde. Ich fand sie schließlich – welch eine Überraschung – unter dem Bett. Ich war mir fast sicher, dass Jacop sie dorthin befördert hatte. Bestimmt lachte er sich in sein fettes Fäustchen bei der Vorstellung, wie ich mich flach auf dem mit Stroh bedeckten Boden wälzte, nur um mühsam mein Schuhwerk hervorzukramen.

Seit meiner Ankunft vor mehreren Wochen teilte ich jetzt schon die mickrige, stinkende Kammer mit diesem fetten Schwein. Gäbe es in dem Raum doch bloß ein Fenster, ich hätte ihn schon lange daraus hinausgestürzt. Auf der anderen Seite war es wohl ganz gut, dass es keines gab, es hätte mich sonst in eine ständige Versuchung versetzt, selber zu springen.

 

Nachdem ich endlich die Stiefel hervorgeangelt hatte, klaubte ich meine Unterkleidung aus ungefärbtem Leinen vom strohbedeckten Boden und schlüpfte in mein wollenes Oberzeug. Mein weißer Ordensrock hatte schon deutlich bessere Zeiten gesehen aber trotzdem war mir gleich wärmer zumute. Ich glaubte mich dunkel daran zu erinnern, dass ich auch irgendwann einmal eine Kapuze dazu gehabt hatte. Aber vielleicht war das auch nur Einbildung. In einem schon fast panischen Anfall von Würdebedürfnis versuchte ich, aus den einzigen Kleidungsstücken, die ich noch besaß, Dreck und Flecken zu entfernen sowie die Falten zu glätten. Der Anfall ging vorbei. Ich gab es auf. Statt zu versuchen, ordentlich auszusehen, setzte ich mich aufs Bett und zog die Stiefel an. Danach erhob ich mich und ließ einen letzten Blick durch die Kammer schweifen. Zwei Pritschen, ein Hocker, eine Kerze, ein schiefes Holzkreuz an der Wand über Jacops Lager und, der einzige Luxus den es gab, ein strohgefülltes Kopfkissen auf dem meinen. Das war so ziemlich die ganze Einrichtung der Kammer. Als Ordensritter konnte man damit durchaus zufrieden sein. Immerhin musste ich nicht mit allen anderen auf einem mit Wollresten vollgestopften Bettsack im Dormitorium pennen. Alles in allem hätte ich es also weitaus schlechter treffen können.

Ich gab es auf, mir durchs Haar zu streichen, da ich nur eine Glatze vorfand. Ersatzweise kratzte ich mich also hinterm Ohr. Der Verlust der Haare missfiel mir am Dasein als Ordensritter stets am meisten. An den kahlgeschorenen Kopf, der meinen Segelohren so richtig Geltung verschaffte, würde ich mich wohl nie gewöhnen. Das war ein ziemlich gewaltiger Nachteil bei den Frauen. Deshalb hatte ich meine Haare früher auch immer etwas länger getragen, als es eigentlich erlaubt war.

Aber das war damals gewesen. In einem anderen Leben. Als ich noch ein richtiger Mann war. Im Hier und Jetzt war ich nur noch ein Fleisch gewordener Weinschlauch.

Mit einem abgrundtiefen Seufzer, blies ich die Ruine von einer Kerze aus und verließ die Kammer. Den Mantel ließ ich, wie meistens, weg. Er war viel zu alt und zerlöchert, als dass man ihn am helllichten Tage hätte herzeigen können. Hauptsächlich nutzte ich ihn sowieso nur noch als Decke zum schlafen.

Der Kreuzgang vor der Kammer war stockdunkel, nur vereinzelt erhellten Fackeln manche Stellen. Das passte zu meiner Stimmung, und den Weg fand ich sowieso im Schlaf. Wie in jedem Kloster war der Kreuzgang gut durchdacht gestaltet, denn er diente als zentraler Versammlungsort für das manchmal mehr, häufig jedoch eher weniger geordnete Zusammenleben unserer Ordensgemeinschaft. Neben seiner Funktion als Durchgangs- und Verbindungsraum zwischen Kirche, Kapitelsaal, Refektorium, Skriptorium und Dormitorium spielten sich hier unser Alltagsleben und alle damit verknüpften Menschlichkeiten ab. Ähnlich wie die Krämer auf dem städtischen Marktplatz nutzten die versammelten Ordensmitglieder den Kreuzgang, um Geschäfte zu machen, Witze zu reißen, Intrigen zu schmieden sowie sich gegenseitig zu beleidigen oder zu verprügeln.

Raschelnde Kutten und verhaltener Lärm waren zu hören. Die Glocke läutete Matutin, der Nachtgottesdienst begann. Das hieß für alle, aufstehen. Egal ob alt oder jung, krank oder gesund, Ritter oder Mönch. Nur von November bis Januar war es gestattet, ein wenig länger zu schlafen. Es war der 1. November, wir schwelgten also in dieser süßen Phase. Stockfinster und mitten in der Nacht war es dennoch.

Was für ein Glück es doch für uns alle war, dass unser Tagesablauf im Kloster durch das Läuten der Glocken geregelt wurde. Auf ein Uhr Matutin oder Vigilien, wie es auch genannt wurde, folgten drei Uhr Laudes mit weiteren Gebeten, sowie sechs Uhr Prim, die Zeit für das eigentliche Morgengebet. Kaum hatte man diesen Gebetsmarathon hinter sich, folgte neun Uhr Terz mit drei Psalmen. Um zwölf Uhr Sext nahm man zwischen Sext und Non die einzige Mahlzeit des Tages ein. Nur von Ostern bis Pfingsten wurde so richtig auf den Putz gehauen und es gab zwei Mahlzeiten. Um 15 Uhr Non ging es dann weiter, zur Prim, Terz, Sext und Non wurde je ein Hymnus mit drei Psalmen gesungen. Um 18 Uhr Vesper folgten vier Psalmen und ein Hymnus. Während der vierzigtägigen Fastenzeit, der Quadragesima, wurde die einzige Tagesmahlzeit erst nach der Vesper eingenommen. Zum Schluss folgte 21 Uhr Komplett, das Abendgebet und die Schlafenszeit.

Man gewöhnte sich zwar daran, mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen zu werden, um Gott zu huldigen. Allerdings brachte dieses dauernde Gehuldige meine Laune regelmäßig auf den Tiefpunkt. Die Aussicht auf weitere Hymnen und Gebete betäubte ich normalerweise im Voraus mit einem zünftigen Vollrausch. Jedes Mal wenn ich diesen langen deprimierenden Gang täglich in aller Herrgottsfrühe hinunterschlurfte, um meine Gebete zu verrichten, meldete sich lautstark der Kopfschmerz in meinen noch verbliebenen Gehirnwindungen. Jacop war der Ansicht, dies käme alleine von meinen Besäufnissen. Allerdings wusste ich es natürlich besser. Es lag an der Fleischeslust. Vielmehr am beständigen Mangel an derselben. Hinzu kam dann noch dieses alltäglich erzwungene Rumgebete und -gesinge. Es war wirklich kein Wunder, dass ich allmählich den Verstand verlor. Beziehungsweise mir die größte Mühe gab, ihn mir wegzusaufen. Besoffen zu sein war für mich zum Überlebensmittel geworden. Genau deshalb führte ich in der Regel immer einen vollen Weinschlauch bei mir, gefüllt mit allem, was berauschte. Leider wollte es das Schicksal, dass ich gestern meinen ganzen Vorrat an Laune machenden Getränken auf einmal verbraucht hatte. So musste ich wohl oder übel nüchtern am Gottesdienst teilnehmen. Es gab nicht viele Qualen, die hätten schlimmer sein können.

Als ich am Dormitorium vorbeikam, überrannte mich fast eine Horde übereifriger Mönche. So schnell, wie sie aus dem Schlafraum gestürmt kamen, hatten sie es offenbar sehr eilig, ihre kleinen schmutzigen Seelen zu retten. Verwundern tat mich das nicht wirklich, waren diese Mönchlein doch zu alle den wunderschönen Handlungen fähig, die mir im Leben nicht mehr vergönnt waren. Freuden voller Wonnen, die man nur in den Schößen, Mündern und Hintern von Frauen – oder im Falle der Mönche wahrscheinlich eher von Männern – fand und welche das Leben überhaupt erst lebenswert machten.

Erschöpft lehnte ich mich einen Moment an die Wand und versuchte, meinen pochenden Kopf mitsamt den gereizten Nerven zu beruhigen. Nüchtern war dies für mich in der Regel keine ganz leichte Aufgabe. Ich brauchte wirklich dringend was zu saufen. Aus tiefster Seele vor mich hinfluchend schlurfte ich weiter. Schatten tanzten um die wenigen Lichtquellen herum. Es konnte im Kreuzgang zu dieser Stunde ziemlich unheimlich sein. Schon manch wackerer Ordensmann hatte bei seiner Seele geschworen, Geister und Dämonen erblickt zu haben. Selbst den Teufel leibhaftig hatte manch einer schon hier angetroffen. Wundern tat das niemanden, denn das Saufen war neben Hurerei eines der am weitesten verbreiteten Phänomene im Orden, vor allem in den jetzigen Zeiten. Ich persönlich wäre geradezu entzückt gewesen, dem Teufel hier im Kreuzgang zu begegnen. Wenigstens wäre das dann einmal etwas Reales, denn die Schatten in meiner Seele waren viel beunruhigender und bedrohlicher als alle wahnhaft weinseligen Fantasien zusammen es je hätten sein können.

Pechschwarze Gedanken durchzogen meinen Geist und tiefste Schwermut überkam mich. Wie immer, wenn ich zu lange nüchtern und mit mir selber alleine war. Ohne betäubenden Rausch vermischten sich Frust, Wut, Verzweiflung, Selbstmitleid, Ohnmacht und das Gefühl völliger innerer Leere mit grenzenlosem Selbsthass. In meiner Seele herrschte tiefste Düsternis wenn der Schmerz kam und meinen Geist überwältigte.

Mit ein oder zwei mentalen Plagen wäre ich wohl noch fertig geworden, aber da mich alle immer in gemeinschaftlicher Gleichzeitigkeit überfielen, zehrte das besonders an meiner geistigen und seelischen Verfassung. Wenn es wieder einmal so schlimm kam, lag meine einzige Rettung auf dem Grunde eines leeren Kruges.