Die Hoffnung aus dem Jenseits

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Die Hoffnung aus dem Jenseits
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Sabine von der Wellen

Die Hoffnung aus dem Jenseits

Teil 1 Tims Macht

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort - Vorgeschichte

Tim – Im Jenseits

Julian

Tim

Phillip

Tim

Phillip

Tim

Phillip

Carolin

Erik

Tim

Carolin

Erik

Tim

Carolin

Erik

Tim

Carolin

Erik

Tim

Impressum neobooks

Vorwort - Vorgeschichte

Das Buch „Die Hoffnung aus der Vergangenheit - Tims Schicksal“ geht dieser Geschichte voran.

Darin begab Tim sich auf die Suche nach dem Mädchen aus seinen Träumen, die in großer Gefahr zu schweben schien. Er glaubte, dieses Mädchen in Carolin zu finden, die genauso wie er von dem längst verstorbenen Alchemisten Kurt Gräbler manipuliert wurde. Er sah in ihr sein Schicksal und seine große Liebe, was sie anfangs auch erwiderte. Doch als er auf Carolins Bruder Julian stieß, und in ihm seinen eigenen Halbbruder erkannte, wusste er, dass er damit denjenigen gefunden hatte, der zur Gefahr für ihn und Carolin werden würde.

Carolin wollte ihm das nicht glauben und ebnete damit den Weg für Julian, der daraufhin seine beiden Halbgeschwister in sein Labor verschleppte, um dort durch ihren Tod den Alchemisten in sich auferstehen zu lassen.

Julians Freund Marcel, der sich in Carolin verliebt hatte, rettet sie. Doch dieses schlimme Ereignis blieb nicht ohne Folgen. Es veränderte Carolins Gefühle, die sich daraufhin auf Marcel einließ.

Tim, von Carolins Abfuhr schwer getroffen, begann um ihre Liebe zu kämpfen– erst gegen Marcel und dann gegen Erik, in den Carolin sich verliebte.

Tims Überzeugung, dass Carolin und er ein gemeinsames Schicksal verband, wurde von einer alchemistischen Vereinigung bestärkt, die ihn, Carolin und Julian für die Auserwählten hielten, die den längst verstorbenen Alchemisten auferstehen lassen können. Sie wollten so an sein Wissen über die Unsterblichkeit gelangen. Aber Tim wollte nur Carolin für sich und entführte sie.

Nach einer gemeinsamen, unheilvollen Nacht kam es zu einem von Carolin ausgelösten Autounfall, der eigentlich ihr Leben beenden sollte. Doch es traf Tim und riss ihn in den Tod.

Tim – Im Jenseits

Dichte, seltsam wabernde Dunkelheit umschließt mich. Es gibt keinen körperlichen Schmerz mehr, nur noch diese innere Betroffenheit. Eine Betroffenheit wegen dem, was passierte und was man mir angetan hat.

Ich fühle meinen Körper nicht mehr. Aber meine Beine sind unversehrt und auch mein Unterleib. Alles an mir ist in Ordnung. Nur spüren kann ich mich nicht. Dabei hatte ich mich genau dort bei dem Unfall verletzt und Schmerzen gefühlt, wie noch nie in meinem Leben zuvor.

Der Unfall!

Wir waren auf dieser Bergstraße, fuhren die kurvige Straße hoch …

Mein Körper ist noch da, aber die Welt um mich herum ist weg. Und in meinem Inneren liegt bleischwer diese Betroffenheit und scheint das einzige zu sein, was ich fühle.

„Was habt ihr getan?“, höre ich eine Stimme aufgebracht aufstöhnen. „Was tut ihr mir an?“

Ich sehe mich um und versuche die Person auszumachen, die ich höre. Aber meine Augen können offenbar diese Masse um mich herum nicht durchdringen oder sie sind geschlossen. Ja, das muss der Grund sein. Meine Augen sind geschlossen.

Ich will sie öffnen, was mir aber nicht gelingt. Mein gedanklicher Befehl an meine Augen scheint nicht zu fruchten. Es bleibt seltsam dunkel um mich herum.

„Ihr habt alles zerstört!“, höre ich es fassungslos rufen und es vibriert in mir wie ein Echo: zerstört … zerstört … zerstört. Es scheint mit jedem Widerhall wütender zu werden.

Ich will etwas fragen, aber ich habe keine Stimme mehr. Ich kann nicht mal meinen Mund öffnen.

Ich will wissen, wo ich bin, aber die Erinnerung an das, wo ich vorher war, verwischt immer mehr. Es gibt nur Fetzen, die sich nicht festhalten lassen und immer noch diese Betroffenheit, die alles übermächtig zu überdecken scheint.

Ich kann nichts. Nicht mal mich vernünftig bewegen. Irgendwie scheint mein Kopf keine Befehle mehr erteilen zu wollen und mein Körper keine mehr auszuführen.

Verzweiflung packt mich und ich will mich erinnern. In meinem Kopf müssen doch Gedanken sein, sich Wissen aufhalten. Aber er ist leer, als hätte man ihn ausgehöhlt.

Ich bekomme Angst und fühle an meine Brust. Zumindest glaube ich, meine Hand auf meine Brust zu legen. Ich spüre aber weder einen Druck noch die Wärme meines Körpers noch meinen Herzschlag.

Ich bin verwirrt.

Mein Körper scheint wie aus Wasser zu sein, das jeden Moment seine Form verliert und dann mit einem großen Platsch zu einer formlosen Pfütze wird, die in alle Richtungen rinnt und versiecht.

Aber ich muss mein Herz spüren. Es muss mir wehtun. Auch wenn ich nicht mehr weiß, warum. Es muss schmerzen … wie verrückt!

„Nein, nein Tim, denk nicht an SIE, denk an MICH! Du musst mich bei dir behalten, sonst bin ich verloren!“, schreit in mir diese Stimme. „Und du musst zurückkehren. Schnell! Bevor es zu spät ist.“

Wohin soll ich zurückkehren? Ich weiß nicht mal, wo ich jetzt bin.

„Bitte … geh zurück!“, heult die Stimme auf. Und dann, als wenn eine Hoffnung aufsteigt: „Sie wird dir verzeihen und dich erneut lieben. Du musst nur schnell zu ihr zurückkehren. BITTE, GEH ZURÜCK!“

Langsam scheint die Betroffenheit zu weichen und der dunkle Nebel beginnt sich zu lichten, weil diese Worte etwas anderes in mir auslösen. Es ist eine sich aufbäumende Sehnsucht nach etwas, das genau dort entsteht, wo eigentlich mein Herz sein muss. Das Gefühl wird stärker und stärker und wallt durch meinen Körper.

„Sei kein Dummkopf! Du musst zurückgehen! Los, geh zurück!“, faucht diese Stimme nun wütend und zu meiner Sehnsucht gesellt sich Wut.

Ich will fragen, wohin ich zurückgehen soll. Aber ich habe immer noch keine Stimme.

In mir tobt es mittlerweile wie ein kleiner Wirbelsturm. Ich fühle mich seltsam. Da ist diese Sehnsucht, die ich ganz klar spüre, aber auch diese Betroffenheit und Wut. Aber ich scheine keine Anbindung an meinen Körper zu haben, glaube ihn aber noch zu besitzen. Er ist irgendwie noch vorhanden, wirkt aber durchscheinend und machtlos.

Ich versuche zu ergründen, was um mich herum ist. Da muss doch was sein.

Der Nebel wird plötzlich heller und ich glaube einen winzigen Punkt, der wie eine kleine Glühbirne durch den Nebel leuchtet, ausmachen zu können.

Ich starre auf diesen Punkt und etwas in mir zieht mich dort hin. Und ich bewege mich tatsächlich. Nicht mit einem Schritt, sondern wie auf einem Fließband … ohne mich selbst anzustrengen. Und dann taucht aus dem Nebel eine Gestalt auf. Sie ist groß und von dem Nebel so durchdrungen, dass ich eigentlich nur einen riesigen Umriss wahrnehmen kann. Und sie reicht mir ihre Hand.

Ich habe keine Angst vor dieser Gestalt. Ich fühle mich zu ihr hingezogen. Irgendwie scheint sie mir vertraut zu sein.

Ich will diese mir dargebotene Hand ergreifen, als es in mir aufkreischt: „Neeiiin!“

Es ist wie eine Explosion in meinem Inneren. Ich sinke in die Knie und rolle mich zusammen, von einer plötzlichen Angst ergriffen, die mich erschüttert.

Erneut erklingt die Stimme, nun flehend. „Tim, mach das nicht! Behalt mich bei dir, bitte! Dein Leben als Tim kann noch nicht vorbei sein. Das darf nicht sein!“

Ich bin vor Angst wie gelähmt und dennoch versuche ich zu verstehen, was die Stimme meint. Und wo ist die Person dazu? Warum höre ich sie nur?

Langsam, fast wie gequält, schiebt sich etwas aus mir heraus. Es ist wie ein jämmerlich zusammengekauertes Männchen, das dunkel und klein von dem grauen Nebel fast verschluckt wird. Aber seine Arme wedeln dünn wie Seidenpapier in meine Richtung und versuchen sich an mir festzuklammern.

 

Ich fühle mich plötzlich seltsam allein und doch befreit. Außerdem spüre ich meine Angst nicht mehr ganz so alles zersetzend und der dunkle Umriss des Männchens sinkt vor mir in den grauen Nebel, als könne er nicht allein stehen. Doch dann rafft er sich auf und schiebt sich dicht an mich heran, wie ein Schatten.

„Tim, sieh mich an. Sieh mich mit dem Gefühl in dir an und lass es zu. Du kennst mich. Ich gehöre zu dir. Ich bin wie ein Teil von dir“, murrt es vor mir.

Ich will den Kopf schütteln, als der kleine Mann zischt: „Fühl verdammt! Fühl, wer ich bin! Du kennst mich! Ich gehöre zu dir!“

Ich will etwas antworten, kann aber nicht.

„Fühl Junge! Was spürst du, wo ich nun vor dir stehe? Was ist es?“, zischt der Alte, ohne dass sich etwas in seinem seltsam durchscheinenden Gesicht regt.

Meine Angst legt sich und langsam schiebt sich ein Erkennen durch mein Inneres.

„Jaaa“, raunt der Alte, als würde er in der warmen Sonne stehen. „Jaaa, fühl es. Wer bin ich? Fühl es!“

Ich will wieder meinen Mund aufmachen, aber da kommt nichts raus und der Alte brüllt ungehalten: „Nicht so. Fühl, verdammt! Hier können wir uns nur durch Emotionen verständigen.“ Seine Wut trifft mich wie ein Faustschlag.

In mir bäumt sich etwas auf und ich will ihn nicht mehr bei mir haben.

Augenblicklich ist alles um mich herum leer. Der Mann ist noch seicht in dem Nebel zu erahnen, aber ich habe irgendwie die Verbindung zu ihm verloren. Dafür spüre ich etwas anderes in mir hochtreiben. Es ist wieder diese Sehnsucht, gepaart mit einer Betroffenheit über etwas, das ich nicht klar benennen kann. Aber langsam lichtet sich der dunkle Nebel um mich herum und Erinnerungsfetzen drängen an die Oberfläche, lassen sich aber noch nicht greifen.

Ich versuche den kleinen, alten Mann auszumachen, der aber verschwunden zu sein scheint. Suchend wende ich mich um und plötzlich raunt der Alte neben mir: „So ist es gut. Lass mich bei dir sein. Schick mich nicht weg. Und spür deine Emotionen. Du musst das erst wieder erlernen. Das muss man immer. Also streng dich an. Wenn du mich brauchst, denk an mich. Fühl mich zu dir. Lass deine Gefühle zu. Sie werden dich leiten. Nichts anderes gibt es hier. Nur deine Gefühle. Sie bringen dich, wohin du willst und nur mit ihnen kannst du hier kommunizieren.“

Ich erhebe mich langsam und überrage den seltsam verunstalteten Körper vor mir um fast zwei Köpfe. Und mit meinem mich erheben scheint auch etwas in mir zu wachsen. Ich habe das erschreckende Gefühl, mich unendlich ausdehnen zu können. Was ist bloß mit mir los? Und warum bin ich hier in diesem Nebel?

Ich will mich erinnern, wo ich vorher war und augenblicklich bricht der Nebel um mich herum auf.

„Ja, erinnere dich an mich. Ich war immer bei dir. Ich habe dich geleitet und dir den richtigen Weg gezeigt. Durch mich hättest du etwas Großes werden können. Du warst dazu bestimmt. Dafür hättest du SIE nur dazu bringen müssen, sich nicht gegen den Teil von mir in sich zu wehren und du hättest dich mit ihr einfach nur vereinen sollen, um eure Teile von mir in einem neuen Körper zusammenzuführen. Aber was passiert? Du drehst durch und SIE … SIE…!“ Die Stimme versinkt in Schluchzern.

Bei seinen Worten, die mein Innerstes durchdringen, bricht etwas in mir auf.

Plötzlich erinnere ich mich an diesen Mann. Und ich erinnere mich an mich. Ich bin Tim und der Mann war die Stimme in mir, die mich von klein auf begleitet hatte. Erst nur als Freund, wenn ich einsam war. Doch später auch als Wegweiser. Er wollte etwas von mir. Deshalb war er bei mir. Er wollte …

„Ja, endlich erinnerst du dich.“

Er wollte, dass ich ihm half wieder ein Ganzes zu werden. Er hatte in seinem Leben als Alchemist Unsterblichkeit erlangen wollen, aber mit seinem Gebräu offenbar nichts erreicht, außer sich in seinen Nachkommen auszubreiten und sie zu manipulieren. Er war in mir gewesen und hatte mich in eine bestimmte Richtung lenken wollen. Aber in welche?

Nur langsam lichten sich die Nebel, die nicht nur um mich herum, sondern auch in mir zu sein scheinen.

Er wollte, dass seine Teile wieder zusammengefügt werden, damit er wieder leben kann. Seine Teile …?

Ich erinnere mich an ihn in mir. Aber alles andere will nicht aufbrechen.

„Auch die anderen hatten mich in sich. Erinnere dich endlich!“, zischt der Alte ungeduldig.

Es ist wie ein Stromschlag, der mich heiß durchrinnt. CAROLIN!

Plötzlich ist alles wieder da.

Er wollte, dass ich dieses Mädchen suche, die mich durch meine Träume begleitet hatte und mir darin ewige Liebe schwor. Und ich fand sie und eine Liebe, die mich heißer durchdrang als irgendetwas anderes. Nicht mal meine Liebe zur Musik konnte das wettmachen. Nicht mal die Menschen, denen das Herz aufging, wenn ich am Piano spielte. Nicht mal meine Mutter. Nur noch SIE!

„Ja, mit ihr solltest du meine Seelenteile zusammenführen. Dafür wart ihr bestimmt. Das war eure Bestimmung!“

In mir bäumt sich etwas auf. „Nein, meine Bestimmung war sie zu lieben“, und dann bricht wieder diese Betroffenheit und ein Schmerz über mich herein. Aber ich kann nicht zuordnen, warum ich so unendlich bestürzt bin und von was.

„Du erinnerst dich an SIE. SIE, die uns nicht wollte. SIE, die alles zerstörte. Jetzt ist alles vorbei. Meine Chance, meine einzige Chance - ihr habt sie zerstört!“, zischt es neben mir resigniert.

Und tatsächlich ist da etwas, das meinen Nebel aufreißt und diese Sehnsucht weiterwachsen lässt und ich spüre das Entsetzen darüber, etwas Wichtiges verloren zu haben. Und dann taucht es vor mir auf und der Nebel lüftet sich, als würde er zurückgedrängt werden.

In einiger Entfernung steht ein dunkler Haufen unförmig an einen Baum gepresst. Ich erkenne Gestalten, die um diesen Haufen Blech herumlaufen und langsam dringen ihre aufgebrachten Gefühle zu mir durch den Nebel, der sich weiter auseinanderschiebt. Ich spüre ihre Angst, zu spät zu kommen, ihr Entsetzen über das, was sie erleben und die Resignation, schon zu spät zu sein. Alles prasselt auf mich ein.

Im gleichen Moment spüre ich die Hoffnung des alten Mannes in mir aufkochen. „Ja, geh zurück. Du bist offenbar noch nicht ganz von der Welt losgelöst. Geh zurück. Du kannst zurückkehren!“ Die letzten Worte hallen hysterisch in mir wider.

Aber ich starre nur auf dieses nebelige, wabernde Bild, das sich vor mir immer mehr lichtet. Und dann reißt etwas den schwarzen Haufen Metall auseinander.

Zwei Gestalten ziehen jemanden aus der dunklen Masse und legen einen Körper auf den Boden, während andere sich eilig darüber beugen.

Ich nähere mich dem Geschehen wieder auf diesem Fließband, das den Nebel sich weiter lichten lässt, und sehe auf diesen mir so vertrauten Körper, der von zwei hektisch agierenden Gestalten umringt wird. Ich spüre ihre Zielstrebigkeit und wie ihre Gedanken beginnen stur gradlinig zu laufen, um die Resignation und Traurigkeit, die immer wieder aufwallen will, zu unterdrücken. Aber es gelingt nicht immer und ich fühle ihre Angst, erneut zu spät zu sein und nichts mehr tun zu können.

Ihre Emotionen zu spüren und somit ihre Gedankengänge erraten zu können, verwirrt mich. Ich höre sie nicht und ich sehe sie nicht so, wie mit meinen Augen. Alles ist fokussiert, in seltsame Farben gehüllt und wie aus dem Kontext einer ganzen Szene gezogen, die sich da gerade abspielt. Ich bin Zuschauer und sehe nur einen bestimmten Teil. Alles andere darum herum scheint sich in dem Nebel aufzulösen.

Und dann bin ich neben ihnen und sehe auf die Gestalt am Boden hinab. Fast augenblicklich brechen in mir alle Emotionen auf und schlagen über mir zusammen. Und mit all diesen Gefühlen haucht etwas aufgebracht in mir: Carolin!

Sie wird hochgehoben und weggebracht.

Ich will hinter ihr herlaufen. Aber mein Fließband ist stehen geblieben und will sich einfach nicht hinter ihr her bewegen. Es ist wie eine durchsichtige Wand, die ich nicht durchdringen kann.

In mir toben immer noch alle Gefühle durcheinander und ich verstehe nichts. Ich will aber zu ihr. Meine Sehnsucht drängt mich dazu. Warum spüre ich die Emotionen der anderen Menschen, aber sie nicht. Warum?

Der Nebel scheint sich weiter aufzulösen und Schneisen freizugeben. Ich sehe den großen, weißen Wagen, in dem sie mit Carolin davonfahren und dann taucht eine andere Gestalt auf. Es durchzuckt mich und dunkle Wut schiebt sich durch mein Innerstes. Erik! - schießt es wie ein brennender Pfeil durch mich hindurch.

Bei ihm spüre ich das Gefühl der Wut dunkel und kalt in mir hochbrodeln, während alles andere in mir ängstlich und wehmütig wird, wenn ich meine Sinne auf das Wageninnere des wegfahrenden Krankenwagens richte.

„Nein!“ dröhnt plötzlich ein Aufschrei in meinen Kopf, und das Gefühl, das mich wie eine Druckwelle nach einer Bombe trifft, wütet durch mein Inneres. Und es ist nicht mein Aufschrei und mein Gefühl. Es kommt von Erik und durchdringt mich wie das Sägeblatt einer Kreissäge.

Erschrocken falle ich zurück in den Nebel, der mich zurückzieht und sich um mich schließt. In mir vibriert alles und ich fühle nur blankes Entsetzen.

„Hast du es nun begriffen?“, spüre ich die Stimme des alten Mannes aufgebracht zischen.

Ich sehe mich nach ihm um, noch immer von dem Gefühl, das Erik durchflutet hatte, wie erstarrt. Dass ich die Intensität seiner Gefühle so fühlen konnte, erschreckt mich. Seiner Gefühle für Carolin, die nicht ihm gehört, sondern mir - und seine Angst um sie.

„Ja, sie gehörte dir. Sie war für dich bestimmt. Tim, ich bin ein Teil von dir, wie ich auch ein Teil von ihr bin. Ich habe euch verbunden. Ihr nahmt mich mit in euer Leben, dass du nun aus Dummheit weggeworfen hast.“

„Kurt?“ Es ist mehr das Aufbäumen von einer Verdrossenheit, die sich in mir auftürmt. Er war mein Vorfahre, schon mehrere Jahrzehnte tot, und hing sich an mich, als ich mein Leben als Tim begann. Er tat so, als wäre er mein Freund, als ich noch ein Kind war. Ich spürte ihn immer in mir. Aber keiner wollte mir das glauben. Weder meine Mutter noch sonst wer.

„Tim, ich bin dein Freund. Immer schon gewesen. Du musst mir jetzt vertrauen“, spüre ich seine Antwort auf mein verdrossenes Gefühl.

Das ist mir alles zu viel. Angstvoll frage ich mich erneut, was los ist. Ich bin nicht dort, wo ich sonst Kurt begegnet war. Nichts ist wie da, wo ich Kurt immer begegnet war. Aber mit der Erinnerung an ihn kommt auch vieles andere aus meinem Leben hoch und drischt völlig verwirrend auf mich ein.

Als ich älter war, schickte er mir Carolin in meine Träume, in die ich mich so unglaublich verliebte. Er gab mir die Hoffnung, sie im wirklichen Leben auch finden zu können und ich suchte sie. Aber als ich sie fand, wurde uns klar, warum wir uns finden mussten. Er wollte seine Teile in uns zusammenführen.

Ich war damit einverstanden. Ich wollte alles tun, um mit Carolin zusammen sein zu können. Aber sie wehrte sich gegen seine Manipulation und somit auch gegen unsere Liebe, und hing sich an andere Kerle.

Immer mehr Erinnerungsfetzen drängen hoch, aber auch meine alte Sehnsucht, die Carolin immer wieder in mir auslöste. Ich sehe mich in meinem Auto, sie neben mir. In mir war eine unglaubliche Wut, aber ich weiß nicht warum. Und dann höre ich sie plötzlich sagen: „Tim, das letzte Nacht war das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Ich liebe dich nicht. Ich hasse dich! Und wenn du wüsstest, was Erik bei mir auslöst, würdest du dich schämen. Du gibst mir nichts, gar nichts, nicht mal ein Hauch von Nichts.“

Erneut bricht eine tosende Betroffenheit über mich herein. Wie konnte sie mir so etwas sagen? Warum tat sie mir das an?

Ich erinnere mich daran, dass ich sie sah, als man sie aus einem völlig demolierten Autowrack zog. Was war mit ihr geschehen?

„Du bist bei diesem Unfall gestorben“, knurrt die Gestalt vor mir erbarmungslos.

In mir drängt eine seltsame Einsicht hoch, dass er recht haben könnte und beängstigende Fetzen von Ereignissen ziehen in mir wie Gewitterwolken auf. Ich sehe mich in meinem Auto und neben mir Carolin, die völlig außer sich ist. Und ich bin es auch. Außerdem spüre ich Wut und Resignation. Und dann beugt sich Carolin zu mir herüber und greift nach dem Lenkrad. Ich kann nicht gegen sie ankämpfen und gleichzeitig das Auto unter Kontrolle bringen und es rast von der Fahrbahn, knallt an Bäume und bleibt an einem hängen …

 

Ich spürte diesen gewaltigen Schmerz durch meine Beine und meinen Unterleib schießen und dann nichts mehr, weil ich keine Verbundenheit mehr mit meinem Körper spürte.

„Das kann nicht sein! Ich muss zurück!“, bricht es entsetzt aus mir hervor. Aber mir wird klar, dass es nicht mein eigener zerstörter Körper ist, der mich so voller Sehnsucht und Trostlosigkeit an dieses Szenario bindet, jenes sich gerade vor meinem inneren Auge abspielte.

„Carolin …!“ In mir braut sich wieder diese Sehnsucht wie ein Sturm zusammen und drängt los, ohne zu wissen, wohin.

Wieder schallt es anklagend: „Sie ist nicht hier!“, und dann spüre ich eine Wut in mir aufkochen, die nicht meine ist. „Sie hat alles zerstört! Mich … dich! Dabei war alles perfekt!“ Und dann überschwemmt mich eine Traurigkeit, die auch nicht von mir ist, und der Alte raunt in mir: „Sie hat sich die ganze Zeit immer nur gegen mich gewehrt. Aber warum musste sie uns auch noch zerstören? Warum hat sie das gemacht?“

Ich bin von seiner Wut und Traurigkeit zwar erschüttert, kämpfe aber immer mehr mit meiner Sehnsucht, die mich an Carolin bindet und mich zu ihr drängt, jetzt, wo ich mich wieder erinnere.

In mir braust es resigniert auf: „ES GEHT UM MICH!“ Der Alte klingt weinerlich und fassungslos. Ein Haufen jämmerlicher Emotionen toben durch mein Innerstes, begleitet von Bildern. Aber es sind nicht meine Emotionen. Sie kommen von diesem Mann, der mich irgendwie teilhaben lässt. „Du hättest nicht sterben dürfen! Unsere Zeit war noch nicht gekommen! Ihr solltet meine Seele retten. Das war meine einzige Chance … und ihr habt sie weggeworfen. Ihr habt alles zerstört! Und nun sind wir wieder hier. Meine Chance ist vertan.“

Ich weiß nicht, was ich mit diesen Emotionen, die auf mich eindreschen, anfangen soll. Ich verstehe sie auch nicht. Aber ich spüre meine unglaubliche Trauer, weil ich nicht bei Carolin bin. Wo ist sie? Auch hier irgendwo … allein, so wie ich?

Nein, sie hat genauso ihren Anteil Kurt Gräbler bei sich, der sie wahrscheinlich genauso niedermacht, wie mich meiner. Wahrscheinlich ist er sogar noch wütender, weil sie uns alle auslöschte.

Erst jetzt wird mir klar, was das eigentlich heißt. Carolin hat uns absichtlich in den Tod geschickt. Warum hat sie das getan? Hasste sie mich wirklich so sehr?

Nein, wir liebten uns doch!

Ich lasse mich in den dunklen Nebel sinken, der mich irgendwann zu halten scheint. Um mich herum ist nichts als Dunkelheit. So stelle ich mir das Leben nach dem Tod vor. Dunkel, trist und ohne Carolins Liebe eisig kalt.

Nun glaube ich sogar Kälte zu spüren. Feuchte, grausige Kälte, wie sie in so einem nasskalten dunklen Nebel bestimmt herrscht.

Erneut frage ich mich, warum Carolin mich in diese Welt verbannte. Ich liebte sie mehr als alles andere. Auch jetzt wünsche ich mir nichts mehr, als an ihrer Seite zu sein. Egal, wo sie gerade ist.

Ich sehe ihr Gesicht vor mir und ihr Lachen. Ich sehe, wie sie mir ihre Finger entzog, die ich ableckte, nachdem sie mich mit dem Fleisch ihres Hähnchens gefüttert hatte. Ich sehe ihren hingerissenen Blick, als sie durch den Saal auf mich zukam und sich neben mich auf die Bank vor den Flügel setzte, während ich nur für sie spielte. Ich spüre unsere Küsse und die Gefühle, die ich bei ihr erfahren durfte, wenn wir miteinander schliefen. Ich sehe ihre Tränen, als ich sie zur Schule brachte und wieder zu meiner Musicaltour aufbrechen musste und ich höre ihre Stimme, die mir am Telefon versicherte, dass sie auf mich warten wird. Es ist seltsam, wie ich in mich hineinsehen kann und dieses Meer aus Emotionen und Bildern, die diese Gefühle auslösen, sehe. Ich spüre erneut diese Sehnsucht, bei ihr sein zu wollen.

Der Alte keift neben mir: „Sie gehört immer noch zu dir. Wir müssen einen Weg finden, dass du zu ihr zurückkehren kannst. Es darf nicht zu Ende sein. Kämpf!“ Die Emotionen dazu überwältigen mich und machen mir Angst vor der Endgültigkeit, die sie mir aufzeigen, wenn ich nicht gehorche. „Geh zurück! Du hast hier noch nichts zu suchen, verdammt. Geh zu ihr zurück! Sie haben dir dieses Leben nicht gegeben, um es wegzuwerfen!“

Eine geballte Verzweiflung packt mich, dass ich Carolin verloren haben könnte. Dass es schon zu spät ist. Ich will zu ihr, mich an sie hängen und nie wieder loslassen.

Diese Sehnsucht wird übermächtig und verdrängt alles andere.

Der Nebel um mich herum verdichtet sich wieder und der kleine Mann wird unscheinbarer und weit davon zurückgedrängt. Ich will ihn nicht mehr bei mir haben. Ich will SIE und niemanden sonst. Und ich habe Angst vor diesem Zustand hier und vor diesem Dasein, in das ich geschubst wurde.

Ich kann nicht tot sein. Das kann nicht!

Ich sehe mich um und versuche den Nebel zu durchdringen, um wieder dahin zu kommen, wo Carolin ist. Und der Nebel lichtet sich augenblicklich erneut und gibt wieder den dunklen Haufen Metall frei und eine Gestalt, die langsam einen grauen, langen Sack mit einem Reisverschluss zuzieht. Und bevor er ganz zugeht, bin ich plötzlich neben diesem unförmigen Sack und sehe in mein Gesicht, das weiß und von Rinnsalen roten Blutes gezeichnet in dem Grau verschwindet.

ICH BIN TOT!

Ich spüre, dass mit der neuen Erkenntnis, die mich durchflutet, auch die letzte Anbindung zerreißt.

Der Nebel schließt mich wieder ein und saugt mich nach irgendwo. In mir fleht alles: „Bitte, ich will zu ihr! Wo ist sie?“ Das ist alles, was mich aufrecht hält und alle meine Gefühle scheinen sich auf etwas zu richten, das ich aber nicht festhalten kann.

„Geh zurück! Das war deine Chance!“, kreischt die Stimme des alten Mannes von irgendwoher hysterisch und ich blicke mich verständnislos um. Wohin soll ich zurückgehen?

„Zu spät“, wimmert es niedergeschlagen und ich spüre, wie es sich widerwillig ganz von mir entfernt und verschwindet, und auch zu ihm die letzte Anbindung endgültig zerreißt. Ich fühle mich plötzlich allein. Allein, einsam und traurig. Ich will zu ihr! Ich will nicht hier sein.

Erneut sacke ich in den schwarzen Nebel zusammen, der mich dennoch hält, und versinke in einer Verzweiflung, die mich niederdrückt. Mir wird langsam klar, ich bin nicht mehr in der Welt, in der ich Tim war. Aber wo bin ich?

Tim!“ höre ich plötzlich eine sanfte Stimme in mir raunen. „Du bist fast Zuhause. Komm mit mir mit und ich bringe dich Heim.“

Ich bin fast Zuhause? Blödsinn! Mein Zuhause ist bei Carolin.

Das war nur ein Leben. Es hat nun keine Bedeutung mehr. Es ist vorbei. Du bist wieder in deiner Dimension … und nicht weit von deinem wirklichen Zuhause entfernt. Du wirst es bald begreifen. Komm mit mir mit.“

Langsam durchflutet mich eine Art von erkennen. Ich habe die materielle Welt verlassen und bin wieder in meiner Welt, der ich entstamme. Aber mit Erschrecken wird mir bewusst, dass ich hier für immer von Carolin getrennt sein werde.

Das Entsetzen darüber ist grenzenlos und nicht auszuhalten. Ich will zu ihr zurück!

Mit diesem Wunsch drängt eine seltsame Wärme in mir hoch, die mich langsam durchflutet. Eine Welt aus weißen Bildern mit roten Punkten und einem heißen Flackern erscheint. Das Bild, das diese Wärme in mir auslöst, wird klarer. Ich sehe mich um und langsam verdichtet sich alles und nimmt Konturen an. Weiße Möbel, ein weißes Bett und ein flackerndes Feuer. Das Bett zieht mich magisch an. Eine Sehnsucht zieht mich neben diejenige, die dort liegt und auf mich wartet. Ich schiebe mich an sie heran, dränge mich an sie und bin glücklich. Da bin ich endlich, wo ich sein will. Ich habe sie wieder.

„Ich will dich nicht, geh weg“, höre ich etwas in mir wütend zischen und sehe auf. Grünblaue Augen starren mich an und sagen zu mir: „Geh weg, Tim! Lass mich in Ruhe!“

Augenblicklich falle ich von dem Bett, aus dem Weiß dieses Traumes und hinaus aus dieser Welt. Ich werde regelrecht hinausgeschleudert, als hätte ich dort nichts mehr zu suchen und schreie verstört: „Nein, bitte …!“

„Wenn du wüsstest, was Erik in mir auslöst, würdest du dich schämen“, hallen Worte hinter mir her, wie ein Echo.

Es ist wie ein Tritt. Ich versinke wieder in meinem dunklen Nebel, von Carolins Ablehnung tief getroffen.

„Ich sterbe lieber, als bei dir zu bleiben“, ist da erneut ihre Stimme in mir und schleudert mir ihre Abneigung und Wut entgegen.

„Nein, bitte!“, jammere ich erneut auf und fühle mich schwach und gedemütigt. „Bitte, mach das nicht! Lass mich hier nicht allein!“

Aber ich bin wieder allein. Völlig allein. Und meine Traurigkeit und Angst drückt mich wieder in den schwarzen Nebel.

Tim!“, ist da plötzlich wieder die unglaublich sanfte Stimme und ich erinnere mich nun, dass ich sie schon öfters hörte. Sie kam zu mir, als ich voller Schmerzen und Angst in meinem Auto festsaß. Als sie mich berührte waren diese Schmerzen augenblicklich weg und meine Angst wie weggewischt. Und ich konnte mich bewegen und Carolin ansehen.

Ich erinnere mich plötzlich, dass ich sie in dem Moment fragte: „Warum hast du das gemacht? Ich war dir mal wichtig!“ Mir muss in diesem Augenblick bewusst gewesen sein, dass ich sterbe, dass mich diese Gestalt mit der sanften Stimme in eine andere Welt bringt. Aber ich konnte nicht gehen. Ich war noch nicht dazu bereit. „Wir haben uns doch geliebt und jetzt bringst du mich um? Bist du damit glücklich?“, wollte ich von Carolin wissen, die mir aber nicht antwortete. Sie sah mich nur aus ihren blaugrünen Augen an. Dann begann etwas an mir zu zerren, und ich flehte Carolin an: „Bitte, komm mit. Ich will nicht ohne dich gehen. Ich kann es nicht! Carolin, ich habe Angst! Lass mich nicht allein!“