Die Angst ihn zu verlieren

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Die Angst ihn zu verlieren
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Die Angst Ihn zu verlieren

1  von Ritchie Newton

DIE ANGST IHN ZU VERLIEREN von Ritchie Newton
Tatsachenbericht
Über den Autor

Geboren am 7.12.1964 im Niederbayerischen Straubing, kam der junge Ritchie Newton schon sehr früh zur Musik.

Schon mit 6 Jahren trommelte er als Dreikäsehoch beim Spielmannszug Oberallteich. Mit 10-Jahren gründete er seine erste Schülerband. Seine ersten Gehversuche als Sänger machte er 1980 mit der Deutschrock Band „Rozzlöffel“. Später gründete er mehrere Hardrock Bands und veröffentlichte mehrere Vinyl Singles und CD’s als Solosänger. Er lernte Koch, und arbeitete auch als BMW Arbeiter am Fließband, war Leichenwäscher, Gerüstbauer, Aspestentsorger und Gastronom. Aber seine große Liebe gehörte der Musik.

1997 wanderte Ritchie nach Thailand aus, und startete eine Beispiellose Kariere als „Elvis Tribute Artist“ die ihn mit seiner Show in Asiatische Länder wie Hong Kong, Philippinen, Indonesien, Kambodscha und Thailand brachte. Auch in Europa war er mit seiner Show ein

gerngesehener Gast.

2000 wurde sein Sohn Rino geboren, 2006 seine Tochter Tammy

2011 war Ritchie in der VOX Serie „Goodbye Deutschland“ zu sehen, und wurde über Nacht einem Millionenpublikum bekannt

2013 veröffentlichte Ritchie sein erstes „Buch Rocksau – Sex – Troubles und Rock ‚n‘ Roll“ 2015 war er zu Gast bei Frank Elsner‘s letzter

Sendung „ Menschen der Woche“

2018 veröffentlicht Ritchie sein zweites Buch „Die Angst ihn zu verlieren.“ Weitere Bücher sind in Planung


© Fotowerkstatt Gahr


Immer wenn die Sonne scheint, weiß ich dass du lachst.
Immer wenn es regnet, weiß ich dass du weinst und mich vermisst.
In ewiger Liebe und Dankbarkeit
Dein Daddy

Prolog
Wieviel ist ein Menschenleben wert?

Jeder normale Mensch wird sagen, ein Menschenleben ist unbezahlbar und durch nichts zu ersetzen, oder?

Bis 2010 hatte ich die gleiche Meinung. Mir war schon immer klar, dass ein Menschenleben geschützt werden muss, und Kinder und alte Menschen erst recht.

Aber wenn dir ein Arzt aus dem Blauen heraus ins Gesicht sagt, dass du 50.000 Euro benötigst, um dein geliebtes Kind durch eine offene Herz Op zu retten, was dann? Du das Geld aber nicht hast, und er dir dann auch noch sagt, dass ohne die Op das Kind sterben wird, und zwar schon sehr bald. Wie sieht es dann aus?

Man sieht also, ein Menschenleben hat doch seinen Preis.

In diesem Buch liebe Leser, möchte ich sie auf eine Achterbahnreise voller Verzweiflung, Freude, Hoffnung, Kampfgeist und Tapferkeit mitnehmen.

Dieses Buch widme ich in ewiger Erinnerung an den tapfersten Menschen den ich je kennengelernt habe, meinen geliebten Sohn Rino 4.8.2000 – 30.5.2015 - Ruhe in Frieden mein kleiner Rocker.

EINLEITUNG

Mit Sicherheit war der Sommer 2006 die schönste und glücklichste Zeit meines Lebens. Deshalb beende ich mein erstes Buch mit diesem Happy End.

PS. Wenn ihr wissen wollt, wie aus meinem perfekten Leben ein Highway to Hell wurde – tja, Freunde, das müsst ihr euch im Fortsetzungsbuch erlesen.

Hua Hin – Thailand im Oktober 2013

Tja liebe Leser, und hier bin ich wieder, ich mache da weiter, wo das erste Buch endete, nämlich mit einem happy end in Thailand.

Wenn ich zurück denke an diese schöne Zeit, kommt es mir vor, als ob ich eine ganz andere Person war. Klar, ich hatte meine normalen Probleme, die ständigen Touren machten mir zu schaffen, aber im Enddefekt war ich mit meinem Leben zufrieden. Ich flog zu meinen Shows, und konnte mir diesen Luxus leisten, was mich echt stolz machte. Aber das Beste daran war, dass ich als Rocksänger eine gute Schule für meinen Sohn Rino bezahlen konnte.

Seit meiner Auswanderung nach Thailand im Dezember 1997 hatte sich viel verändert. Ich lebte jetzt komplett von meiner Musik, ernährte meine zwei wunderbaren Kinder, hatte eine feste Beziehung, und lebte mehr oder wenig ein normales Familienleben.

Vorbei waren die wilden Exzesse und Sauforgien, und wer im zweiten Buch „Die Angst ihn zu verlieren“ Sexgeschichten wie im ersten Buch erwartet, wird enttäuscht sein. In meinem neuen Buch geht es um Überlebenskämpfe und Schicksalsschläge, die ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte vorstellen können.

Wenn ich an diese furchtbare Zeit voller Sorgen, Ängste und Qualen zurück denke, dann kann ich nur von Glück sagen, dass ich überhaupt noch unter den Lebenden, und nicht in der Klappsmühle gelandet bin.

Dieses Buch soll aber auch als positives Beispiel dienen. Die Geschichte zeigt, dass es sich immer lohnt nicht aufzugeben, und immer weiter zu kämpfen, scheint die Lage auch noch so aussichtslos. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Wie ich es schon in meinem ersten Buch in der Einleitung schrieb, möchte ich Euch zu unserer Lebens-Achterbahn einladen und euch zurufen: „Let the ride begin!“

April 2011 - Im Korat Zoo - Die Newtons haben fun

1
ANFANG EINER LEIDENSGESCHICHTE
9.11.2009

S eit Stunden saß ich jetzt schon in diesem heißen Bus, zum xten Mal auf dem Heimweg von Auftritten auf Phuket nach Samui. Die Klimaanlage war ausgefallen, und zudem hatte ich dummerweise meine Kopfhörer nicht dabei. Ein unterhaltsames Buch hatte ich auch nicht zur Hand. Was blieb da anderes übrig als aus dem Fenster zu starren und zum tausendsten Mal die Landschaft anzusehen, die an mir vorbeirauschte – eine Langeweile, die einen fast umbringt. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als endlich nachhause zu kommen.

Da klingelte mein Handy. Auf dem Display sah ich, dass Lisa Miller (Name geändert) anrief, die Schuldirektorin im Samui Center of Learning, wo mein über alles geliebter Sohn Rino, seit seinem vierten Lebensjahr zur Schule ging. Lisa kam gleich zur Sache. An diesem Tag habe die Ärztin Dr. Donja routinemäßig die Schulkinder untersucht und wolle sich nun meinen Rino im Bangkok Hospital gründlicher anschauen. Ich horchte auf. Die Ärztin habe bei Rino etwas festgestellt, fuhr Lisa fort, was ihr nicht gefalle, nämlich blaue Lippen und blaue Fingernägel.

Mir war nie so etwas aufgefallen. Rino war für mich ein ganz normaler 9-jähriger Junge.

Endlich auf Samui angekommen, holte ich Rino gleich bei seiner Pflegemutter Mama Yai ab und rief Dr. Donja an. Wir vereinbarten einen Termin für den kommenden Dienstag. Mehr war in diesem Moment weder zu tun noch zu sagen.

Ausgerechnet an diesem Dienstag schüttete es wie aus Eimern. Also rief ich meinen privaten Taxifahrer Khun Sunthon an, der uns pünktlich um 16 Uhr zum Bangkok Hospital brachte. Dr. Donja erwartete uns schon, eine sehr nette Ärztin. Besonders wie fürsorglich sie mit Rino umging, gefiel mir.

Nach ein paar Routineuntersuchungen fuhren wir mit dem Lift ins Erdgeschoß, wo die Herzabteilung untergebracht war. Es überraschte mich sehr, dass es auf Samui überhaupt eine so spezialisierte Abteilung gab, ausgestattet mit den besten Geräten. Dort erwartete uns ein Herzspezialist, der aber, wie er mir gleich sagte, nur für erwachsene Patienten ausgebildet war. Rino musste sich auf ein Bett legen, und der Arzt zeichnete das Echo seines Herzens auf – ein Vorgang, der mich stark an eine Untersuchung mit Ultraschall erinnerte. Das war es im Prinzip auch, aber mit dem Unterschied, dass hier die Bilder auf Video aufgezeichnet wurden, so dass man wohl noch besser und wiederholt sehen konnte, was sich im Innern des Herzens abspielte.

Interessiert schaute ich dem Doktor zu, der sich immer wieder mit Dr. Donja besprach, was ich aber nicht verstehen konnte. Nach einer endlosen Stunde war die Untersuchung beendet. Rino durfte sich wieder anziehen, und Dr. Donja bat mich in ihr Sprechzimmer.

Bekümmert betrachtete sie die Echobilder auf ihrem PC-Bildschirm, während ich mir noch keine großen Sorgen machte. Was sollte schon groß falsch sein mit meinem munteren Jungen?

Dr. Donja aber sagte nun ohne Umschweife:

„Ritchie, I think, Rino suffers from an Ebstein anomaly.“ „Excuse me

– what?“ fragte ich verblüfft. Ich hatte von einer solchen Anomalie noch nie im Leben etwas gehört, geschweige denn wusste ich, dass es sich um eine Krankheit handelte.

Dr. Donja nahm ein Blatt Papier zur Hand, malte mit einem Kugelschreiber ein Herz und versuchte mir zu erklären, dass etwas mit Rinos Herzklappen nicht stimme. Für mich war das alles ein

böhmisches Dorf. Im ersten Moment wusste ich gar nicht, was ich dazu sagen sollte. Mir fehlte schlicht und einfach das Verständnis, dass Rino ernsthaft krank war.

Als wir das Krankenhaus verließen, war mir zwar flau im Magen, aber ich hatte den Ernst der Lage überhaupt noch nicht erfasst. Wie sollte man auch verstehen, dass im Herzen seines Kindes eine Zeitbombe tickte.

Auf dem Heimweg schaute ich aus dem Wagenfenster und versuchte, das Erlebte und Gehörte zu verdauen, als Rino plötzlich fragte,

 

„Papa, whats going on with me?“

Zum ersten Mal im Leben hatte ich keine Antwort für Rino. Ich konnte ihm nicht ins Gesicht schauen. Ich kann mich auch nicht erinnern, was ich dann zu Rino sagte. Eine bisher nicht unbekannte Angst beschlich mich. Sie war aber nach ein paar Minuten auch schon wieder verflogen. Mein Sohn sah ja nicht krank aus. Was sollte da schon Ernstliches mit Rino los sein – ein Irrtum, ein kapitaler Irrtum, der mich noch an meine Grenzen bringen sollte. Aber dazu später mehr.


Oktober 2009 - Niemand konnte ahnen, dass in Rino´s Körper eine Zeitbombe tickte

2
DR. POOMIPORN

I ch hatte Rinos Untersuchung schon wieder aus meinem Gedächtnis verdrängt, als ich am selben Abend einen Anruf aus Bangkok bekam. Der Anrufer stellte sich in perfektem Englisch als Dr. Poomiporn vor, mit einer Stimme, die ich vom ersten Moment an mochte. Warm, direkt und sehr sympathisch fragte er nach Rinos Befinden. Ich war überrascht, dass er meine Nummer hatte, und wusste natürlich noch nicht, dass er der Topspezialist Thailands für Ebstein-Anomalie war.

Dr. Poomiporn sagte mir, dass er von Dr. Donja ein Fax bekommen habe, und nun gerne mehr über Rino in Erfahrung bringen möchte. Das erstaunte mich sehr. War Rino etwa doch kränker als ich dachte?

Während unseres Gespräches erzählte mir Dr. Poomiporn, dass er die letzten sechs Jahre in der Mayo Clinic im amerikanischen Rochester, einem absoluten Top-Institut, ausgebildet worden sei und nun eben seinen Dienst im Bangkok Heart Hospital angetreten habe. Er stellte mir sehr viele Fragen, wiederum nach blauen Fingernägeln und Lippen oder sonstigen Problemen. Ich konnte eigentlich alles nur verneinen. Rino sah für mich nach wie vor kerngesund aus, eben wie ein total normaler Junge.

Dennoch drängte mich Dr. Poomiporn, nach Bangkok zu kommen, damit er sich Rino genauer ansehen könne. Da es mir gerade finanziell nicht sehr gut ging, erkundigte ich mich vorsichtshalber, was denn so eine Untersuchung koste. Die 1000 US-Dollar, also über

30.000 Baht, die er mir sagte, ließen mich schlucken. In der gerade herrschenden Low Season kam ich gerade mal so über die Runden, aber ich versprach, Rino zu ihm nach Bangkok zu bringen, sobald es mir geldmässig möglich wäre.

Als die High Season begann, reiste ich für meine Shows regelmäßig nach Phuket. Es war hart, wöchentlich von Insel zu Insel zu touren, jedesmal ein Trip von zehn Stunden.Viele meiner Bekannten wunderten sich, dass ich nicht nach Phuket umzog, was doch meine Arbeit erleichtert hätte. Aber es war immer Rino, der mir am Herzen lag und mich davon abhielt. Es machte mir umso weniger aus, als ich Phuket ohnehin nie richtig mochte. Zum Arbeiten ja, aber dort zu leben, war für mich schwerlich denkbar.


Dr. Poomiporn

Drei Monate nach dem ersten Telefongespräch meldete sich Dr. Poomiporn wieder bei mir.

Das überraschte mich total und erstaunte mich, dass er sich nach so langer Zeit überhaupt noch an uns erinnerte. Ich muss gestehen, dass ich ihn praktisch vergessen hatte. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur einräumen, dass ich Rino damals, wie gesagt, als gesunden Jungen empfand, um den ich keine Angst hatte. Ich versuchte, mich rauszureden, was mir später peinlich war; denn das Wohl des Kindes sollte über allem stehen. Das wurde mir sehr bald einmal schmerzlich bewusst.

3
GELB UND ROT

I st von Farben die Rede, kommen den meisten wohl zuerst ihre Lieblingsfarben in den Sinn. Für mich steht Rot als coole Farbe weit oben, sinnbildlich für Blut, Liebe und Heisses. Meine Lieblingsfarbe aber war schon immer Schwarz.

Warum ich ein Kapitel mit Farben betitle, bedarf der Erklärung, denn zwei Farben haben, verehrte Leser, mein Leben gravierend verändert, ja fast gänzlich zum Scheitern gebracht.

Natürlich waren es nicht die Farben selbst, die Schuld an meinem Desaster hatten, sondern die Menschen in Thailand, die mit Farben ihre politische Zugehörigkeit kennzeichnen.Mit T-Shirts in ihren Farben, nämlich die so genannten Gelbhemden und die Rothemden zeigten sie allen, wer sie sind.

Den ersten Tiefpunkt in dieser Zeit lieferten Thailands Gelbhemden Ende November 2008. Da protestierten sie wieder mal gegen die Regierung. Nicht dass es das früher nicht auch schon gegeben hätte. Proteste gab es, seit es Thailand gibt – ich weiß nicht wieviele. Aber es geht mir ja nicht um die Aufstände, sondern um meine persönliche Katastrophe in diesem Umfeld.

Damals, also Ende 2008, besetzten die Gelbhemden den Internationalen Flughafen von Bangkok. Ich war mir sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis die Polizei oder sogar die Armee eingreifen würde. Aber nichts geschah. Die Machthaber schauten einfach nur zu und lachten sogar, als Bühnen aufgebaut und riesige Festivals in den großen Abfertigungshallen des Flughafens abgehalten wurden. Es wurde getanzt und gelacht, es wurden

stundenlange Reden gehalten, und alles live im Fernsehen übertragen.

Dass aber von Tag zu Tag der Tourismus immer mehr darunter litt und schließlich völlig erlahmte, an das haben diese Aufwiegler in ihren gelben Hemden offenbar nicht gedacht. Urlauber konnten das Land nicht verlassen, Reisen mussten abgesagt werden, Geschäfte gingen sprichwörtlich den Bach runter.

Während der Flughafenblockade hatte ich noch Shows auf Samui, aber danach war Sense. Obwohl der Flughafen wieder offen war, blieben die Gäste aus. Nach nur einer Woche wurden alle Shows auf Koh Samui abgesagt, auf unbestimmte Zeit.

Schon vorher hatte ich meine Karierre während der acht Jahre aufgeteilt auf Samui und Phuket, mit dem Gedanken an eine Ausweichmöglichkeit, sollte mal am einen Ort Auftritte nicht mehr möglich sein. Das half mir nach dem Tsunami vom 26.12.2004 sehr. Für das ganze 2005 war Zapfenstreich auf Phuket, aber ich hatte ja noch meine Auftritte auf Samui. Das rettete mir damals den Arsch.

Aber dieses Mal war es große Scheiße. Ohne Samui blieb mir nur noch Phuket, wo die Krise auch empfindlich zu spüren war. So gingen meine monatlichen Einnahmen um 60% zurück, gerade noch genug, um die Schule für Rino, die Miete für mein Haus und das Essen zu bezahlen. Es wurde eng.

Im Ganzen Jahr 2009 wurstelte ich mich durch, tourte viel, zahlte meine Rechnungen und lebte von der Hoffnung auf bessere Zeiten. Ich sehnte die Hochsaison 2009/10 herbei und rechnete mit wieder fünf bis sechs Shows pro Woche. Zwei Monate lang ging das auch gut. Ich war happy, verdiente wieder das gleiche Geld wie früher und dachte, ich hätte die schwerste Krise meines beruflichen Daseins überstanden.

Aber hallo, wir sind hier im Alptraumleben von Ritchie Newton! Da gibt es keine stabil erfolgreiche Zukunft. Wie schon in meinem ersten Buch beschrieben, ist mein Leben eine Achterbahn, und jetzt ging es

wieder mal nach unten, aber so deftig wie nie zuvor, weit über jegliche erträgliche Schmerzgrenze hinaus. Und dieses Mal ging das Verderben von den netten Thais in den roten Hemden aus.

Vorher hatte ich gedacht, man könne den Schaden, den die Gelbhemden mit der Flugplatzblockade verursacht hatten, nicht mehr toppen. Das war schon Hardcore, und ich war so naiv zu glauben, die Thais hätten daraus ihre Lehren gezogen. Stellt euch mal vor, der Flugplatz von London, Frankfurt, New York oder Tokyo würde besetzt. Wie lange würde es wohl dauern, bis alles zum Erliegen käme?

Im März 2010 protestierten nun also die Rothemden. Alles fing wie gehabt wieder friedlich an. Es wurde gelacht, getanzt, es wurden Reden gehalten, die Leute jubelten; denn sie bekamen ja pro Protesttag 500 Baht vom Säbelrassler Khun T., der fröhlich von Dubai aus die Leute aufwiegelte. Dieser Herr T. war 2006 ins Exil geflohen, um nicht noch im Gefängnis zu landen. Von dort aus spaltete er das Land.

Aus dem vorerst friedlichen Massenprotest entstand die größte Blockade, die Thailand jemals erlebte. Sieben Wochen lang belagerten sie in roten Hemden die Innenstadt von Bangkok, mit dem Resultat, dass 22 Länder Reisewarnungen herausgaben. Natürlich blieben die Gäste aus. Ich hörte von 70 Prozent weniger Touristen als zuvor.

Ratet mal, wem die Hotels und Clubs zuerst kündigen, wenn es keine Gäste mehr gibt – Bingo! den Musikern, die wie alle anderen auch ihre Arbeitsgenehmigung finanzieren und Steuern an den Staat zahlen müssen. Aber für solche Leute kennt man natürlich keine Gnade – rette sich, wer kann.

Äh, habe ich eigentlich erwähnt, dass ich da auch betroffen war? Klar, ich habe ja schon eingangs zu Protokoll gegeben, dass meine Kariere zum Erliegen kam. In nur zwei Tagen wurde mir alles abgesagt, zuerst die Shows auf Samui, dann auch auf Phuket, und Ende April war ich

mal wieder arbeitslos. Nur dieses Mal rannen die Auslagen munter weiter. Rinos Schule kostete im Monat 15‘000 Baht, mein Haus 18‘000 und so weiter und so fort.

Dunkle Wolken zogen also am Himmel heran, aber dass diese dunklen Wolken ein grässliches Maul zum Ritt in die Hölle formen würden, das konnte ich mir da noch nicht vorstellen.

März 2010 - Einen Monat bevor die Schmerzen begannen

4
SCHMERZEN

N un hatte ich also alle meine Engagements auf Samui und Phuket verloren.

Ich zermarterte mir das Gehirn, wie ich meinem Schicksal eine neue Wendung geben könnte, aber mir fiel nichts ein. Das Geld für einen Flug nach Deutschland hatte ich jetzt nicht mehr; denn die laufenden Kosten ließen das Loch in der Kasse immer tiefer werden. Es war auch zu spät für die Organisation einer Deutschlandtour, die mindestens ein paar Monate im Voraus hätte geplant werden müssen. Ich war ratlos. Und dann passierte auch noch das, was ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte ausdenken können. Rino wurde jetzt ernsthaft krank.

Es wurde Anfang Juni 2010, und ich war zu einer Geburtstagfeier in der Red Lips Bar eingeladen. Dort spielte eine Thaiband, mit der ich ein paar Cover-Nummern sang. Es wurde ein lustiger Abend. Die Gäste rockten auf meine Songs ab, und der Barbesitzer Mimo hatte seine helle Freude. Nomalerweise verlangte ich Geld für meine Auftritte, bei meinem alten Freund aber war es mir eine Ehre, für ihn umsonst zu rocken. Ich machte eine kurze Pause und setzte mich vor der Band in die erste Reihe. Da klingelte mein Handy. Rino war dran. Ich sagte zu ihm, „hey, my boy, are you not sleeping?“ Aber Rino weinte ins Telefon und sagte den Satz, der mein Blut gerinnen liess:

„Papa, papa, my heart hurts so much…“. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf, lief geschockt umher und versuchte, meinen Jungen zu beruhigen.

„Rino, papa will take care, ok?“ – „Papa, please, help me! It hurts so badly”, wimmerte Rino.

Ich stürzte mich auf mein Moped und fuhr zu meinem alten Freund Paul Hawkins. Wenn einer schnell mit Geld helfen konnte, dann war er es. Er war sichtlich geschockt von dem, was ich ihm da erzählte.

Aber er hatte auch schlechte Nachrichten für mich; denn er war gerade nicht flüssig. Er hatte sein ganzes Geld in eine Eisdiele im Zentrum von Lamai investiert. Er wollte aber in Amerika nachfragen, ob er kurzfristig Geld von seinem Konto dort abheben könne. Er versprach mir, sich gleich am nächsten Tag darum zu kümmern. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf eine positive Nachricht zu hoffen.

Aber am nächsten Tag ließ Paul mich wissen, dass sein Banker gerade im Urlaub sei, so dass es länger dauern könne, bis er an Bargeld gelange. Mich beschlich eine nie dagewesene Angst. Wegen des verdammten Geldes konnte ich die teure Untersuchung an Rino nicht machen lassen. Mir war zum Kotzen zumute.

Es vergingen ein paar Tage, und Rinos Herzschmerzen kamen und gingen. Es war nicht so, dass er dauernd litt. Manchmal hatte er gar keine Schmerzen, und manchmal musste er nur noch weinen vor lauter Pein. Ich wusste, dass ich Klarheit schaffen und Rino nach Bangkok bringen musste. Ich musste wissen, was mit ihm los war.

 

Etwa zwei Wochen nach meinem Gespräch mit Paul saßen wir beide zusammen in seiner Eisdiele und grübelten, wie wir schnell an Geld kommen könnten. Da kam mir die Idee, das Geld vom Besitzer des Shamrocks, Noel Brumble, auszuleihen. Wenn Paul dafür bürgen würde, wäre Noel gewiss umgehend bereit dazu. Bis Pauls Geld in Thailand eintraf, dauerte es sicher noch eine Weile. Paul schaute mich an und wollte wissen, wann er sein Geld wieder zurück haben könnte. Ich stellte ihm in Aussicht, dass ich den Vorschuss für die anstehenden Weihnachts- und Neujahrsshows im Holiday Inn in etwa zwei Monaten erhalten könne. Der Vertrag sei schon unterzeichnet.

Für Paul war das gut genug; denn er wusste, dass ich mein Wort halten würde. Er rief Noel an, und wie erhofft bekam ich sofort die benötigten 30.000 Baht. (780 Euro)

Erleichtert rief ich Dr. Poomiporn an und vereinbahrte einen Termin für Rino auf den 30. Juni 2010 im Bangkok Heart Hospital.


30. Juni 2010 - Rino kurz vor seiner ersten Untersuchung - noch wussten wir nicht was auf uns zu kam.