Der Kutscher

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Der Kutscher
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Der Kutscher Eine Liebesgeschichte

1  Der Kutscher

Der Kutscher

DER KUTSCHER

Eine Liebesgeschichte

von Mara Harte

„Glücklich allein ist die Seele, die liebt.“

„Freudvoll und leidvoll“ von Johann Wolfgang von Goethe

Sarah rieb sich verschlafen die Augen. Die ersten, noch rötlichen Sonnenstrahlen mogelten sich durch die schweren viktorianischen Vorhänge in ihrem geräumigen Zimmer. Es versprach ein warmer und schöner Tag zu werden. Die kühlen Bettlaken fühlten sich gut an auf ihrer vom Schlaf noch aufgeheizten Haut. Sie bewegte ihre Füße und genoss das zarte Streicheln der Laken auf ihrer Haut. Noch war die Sonne nicht vollends aufgegangen, aber es war höchste Zeit für sie, aufzustehen. Es gab eine Menge zu tun.

Seit ihr Mann Lord Henry vor einem Jahr an Tuberkulose gestorben war, hatte sich Sarahs Leben völlig verändert. Sie war neunundzwanzig Jahre alt. Zu jung, um ein Leben als Witwe zu führen, zu alt, um als gute Partie einen neuen Mann zu finden. Die Familie ihres verstorbenen Mannes hatte sie mit einem beschaulichen Cottage südlich von London auf dem Lande bedacht.

Die Gegend war traumhaft. Weite Wiesen mit Obstplantagen und Hopfenfeldern wechselten mit tiefen, mystischen Wäldern, ebenso wie grüne, sonnige Täler mit langen, fernen Hügelketten. Ihr Schwiegervater war der Earl of Sutton, einer der angesehensten Adeligen der Gegend zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts unter der Herrschaft der berühmten Queen Victoria.

Da Sarah selbst nur aus einer kleinen Adelsfamilie kam und keiner ihrer nahen Angehörigen mehr lebte, war sie auf die Gunst des Earls und seiner matriarchalischen Ehefrau Countess Constancia angewiesen. Diese führte den Haushalt mit eiserner Faust und ohne Kompromisse. Jeder hatte seine Stellung im Haus, und die Aufgabe der Frauen war es aus ihrer Sicht, hübsch auszusehen und sich den gesellschaftlichen Notwendigkeiten wie Plaudereien bei Tee und dem Sticken und Häkeln von Deckchen zu widmen. Das Gegenteil von dem, was Sarah vom Leben erwartet hatte. Constancia war ihr daher nie besonders gelegen gewesen. Sarah war in ihren Augen nicht sittsam genug, verbrachte zu viel Zeit im Gestüt bei den Pferden und zu wenig Zeit beim Sticken und bei gesellschaftlichen Anlässen.

Zur Zufriedenheit aller Beteiligten war Sarah also nach dem Tod Henrys in das abgelegene Cottage am Rande der Grafschaft gezogen. Das aus den landestypischen grauen, schweren Steinen erbaute Cottage war gemütlich und für ihre Bedürfnisse völlig ausreichend. Ihr eigenes Zimmer war geräumig, mit einem großen Himmelbett, mit schweren dunkelroten Vorhängen, einem kleinen, aus dunklem Holz geschnitzten Frisiertisch und einem ebenfalls tiefroten Sessel, der schon ihrer Großmutter gehört hatte und an einigen Stellen den Motten nicht mehr standhalten konnte. Das Cottage verfügte über einen Raum mit hohen Regalen, die bis unter die Decke reichten und mit zahlreichen Büchern ausgestattet waren, so dass Sarah ihn stolz als ihre Bibliothek bezeichnete. In der Mitte stand ein schwerer Eichentisch mit schönen Verzierungen, an welchem sie selbst die Bücher über die Ausgaben und hoffentlich auch bald die Einkünfte des Hofes führte. Das Beste waren allerdings die Ställe hinter dem hügeligen und aufgrund der vielen alten Bäume schattigen Garten auf der Rückseite des Hauses. Die beiden Stallgebäude und dazugehörige Scheune hatte sich Sarah im Laufe einiger Monate mit den nicht unbescheidenen Mitteln ihres finanziellen Erbes ausgebaut und mit fünf stattlichen Rössern ausgestattet. Mit der Hilfe des neuen Stallmeisters Edward beabsichtigte sie, eine kleine Zucht aufzubauen und ihrem Leben so einen Sinn zu geben. Neben Edward zählte sie noch ihr Hausmädchen Mary, die Köchin Elizabeth und außerdem den alten Gärtner George zu ihrem Haushalt.

Elizabeth hatte vorgeschlagen, Edward einzustellen. Er war nur einige Jahre älter als Sarah, aber groß und stark und hatte schon mehrere Jahre auf einem nahegelegen Hof gearbeitet, der im vergangenen Jahr abgebrannt war, so dass er sich schließlich mit gelegentlichen Arbeiten auf dem Feld über Wasser gehalten hatte. Er gefiel Sarah sehr gut. Nicht nur, dass er unverschämt gut aussah. Pechschwarze, leicht gelockte Haare fielen ihm bis auf die Schultern und wurden meist von einem Lederband im Nacken zusammen gehalten, seine dunklen, fast schwarzen Augen sahen sie durchdringend an. Er war zudem ein ruhiger, in sich gekehrter Mann, der mit einer außergewöhnlich tiefen und rauchigen Stimme sehr gedämpft und zurückhaltend sprach. Das gefiel ihr. Sie hörte ihn gern reden. Sie hatte es bis heute nicht bereut, ihn eingestellt zu haben. Er arbeitete wie sie von früh bis spät, konnte hervorragend anpacken, denn er war stark und er schien ein Händchen für die Pferde zu haben. Die scheuen Tiere vertrauten ihm bedingungslos.

So begann ihr Tag vor dem ersten Hahnenschrei mit einer Tasse Kaffee und einem Rührei in der Küche gemeinsam mit ihrem Personal, um dann in für Frauen sehr untypischen Reiterhosen und dunkelbraunen Stiefeln ins Gestüt zu laufen und den ganzen Tag mit ihren Pferden und jeder Menge Arbeit zu verbringen. Es war ein einfaches Leben, aber für sie genau passend. Sie liebte die frische Luft auf dem Land. Sie war froh, sich den ganzen Tag bewegen zu können, anstatt in ein Korsett gequetscht auf einem Sessel Tee trinkend und plaudernd ihre Tage zu verbringen.

Schon morgens freute sie sich darauf, nach getaner Arbeit mit ihrem Lieblingsross Ramses auszureiten. Sie ritt regelmäßig im Herrensattel, durch die umliegenden Wälder und spürte den Wind in ihrem Gesicht und ihrem blonden Haar bis ihr enger Knoten im Nacken sich löste. Sie sprang mit Ramses über kleine Bäche, umgestürzte Bäume und kleine Hügel.

Heute allerdings hatte sie den großen Stein hinter dem Hügel übersehen. Sie versuchte noch, Ramses während des Sprunges nach links zu lenken, aber es gelang nicht vollständig. Ramses strauchelte ein wenig, Sarah verlor das Gleichgewicht und fiel zur Seite. Sie konnte sich nicht mehr halten und fiel mit einem kläglichen Laut vom Pferd. Sie wollte mit ihrem linken Arm den Aufprall dämpfen und spürte, wie der Arm mit einem leichten Knacksen brach. Ihr linker Fuss hatte sich erst nach einer schmerzhaften Drehung aus dem Steigbügel gelöst. Das Gelenk fühlte sich nicht gut an. Sie versuchte aufzustehen, aber der Schmerz breitete sich sofort im ganzen Fuss aus und ein brennender Stich fuhr in ihrem Bein bis zur Hüfte hinauf, so dass sie nicht aufstehen konnte. Sie zog den Stiefel aus und sah sofort die glänzende Schwellung um ihr linkes Fussgelenk. Sie lehnte sich an dem Stein zurück und atmete durch. Ramses hatte den Sprung unbeschadet überstanden und stand mit hängendem Kopf und aufgerichteten Ohren schuldbewusst neben ihr. Es begann schon zu dämmern und Sarah wusste, sie musste irgendwie auf ihr Pferd kommen, wollte sie nicht die Nacht im Wald verbringen. Die Nächte waren noch kalt und nass und außerdem hatte sie Hunger. Sie versuchte, sich am Zügel hochzuziehen, aber die Schmerzen in Arm und Fuß ließen sie wieder unter einem Stöhnen auf den feuchten Waldboden sinken. Ramses schien zu verstehen und kam näher an sie heran. Wie durch ein Wunder beugte er den Kopf tiefer und hielt ihr seine linke Körperhälfte näher, so dass sie es nach drei Versuchen, mit zusammengebissenen Zähnen und unter schlimmen Schmerzen schließlich doch schaffte, sich auf das Pferd zu ziehen.

Erleichtert schlang sie ihren gesunden Arm um den wundervoll warmen Hals des Pferdes und überliess es ihm, den Weg nach Hause zu finden. Ihren Kopf hatte sie auf der Mähne abgelegt. Der Wald wurde lichter und die Bäume kamen ihr schon bekannt vor, als ihr Edward mit einer Fackel in der Rechten entgegen kam. Seine Augen waren schreckgeweitet, als er Sarah sah. Er warf die Fackel hektisch und achtlos aus der Hand und zog sie sanft und schweigend aus dem Sattel. Er nahm sie in seine starken Arme und trug sie nach Hause, als wiege sie nicht mehr als eine Feder. Er sprach kein Wort. Sarah war völlig erschöpft, legte ihren Kopf in seine Halsgrube und schlang ihren Arm nun um Edwards Hals. Er roch atemberaubend nach frisch gemähtem Gras und Sonne, und seine Haare kitzelten sie in der Nase. Sie rochen wunderbar nach altem rauchigen Zedern-Holz. Sie schloss die Augen, genoss seine Nähe und überließ sich völlig ihm. So hätte er mit ihr bis ans Ende der Welt gehen können. Fast bedauerte sie es, am Haus angekommen zu sein. Mary stieß bei ihrem Anblick einen Schreckensschrei aus. Edward trug sie in ihr Zimmer, legte sie auf ihr Bett und Sarah musste seine Nähe und seine Arme verlassen. Sein Blick lag noch einige Sekunden auf ihr, sie schaute ihm in die Augen und lächelte ihn an, dann verliess er rückwärts gehend ihr Zimmer. In der kommenden Nacht schlief sie tief und fest und träumte sie von frisch gemähten Wiesen, dunklen Augen am Himmel, die sie zu verschlingen drohten.

Die Prellung am Fuss heilte sehr schnell. Nach einigen Tagen im Bett, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, konnte sie schon wieder ohne Schmerzen laufen und übernahm wieder die Führung im Haus und auf dem Hof. Den Arm noch geschient und in einer Schlinge konnte sie doch schon wieder durch das Haus, den Garten und das Gestüt wirbeln, Aufgaben verteilen und die Erweiterung der Ställe planen und organisieren. Eine Stute war trächtig und wenn in ein paar Monaten ein Fohlen kam, wurden die Boxen zu wenig und der Platz im Stall zu eng. Sie wollte anbauen. Vorausschauend und unter Berücksichtigung ihrer optimistischen Pläne mit ihrem Gestüt und einer Zucht sollte der Anbau großzügig erfolgen. Sie bevorzugte jetzt die Arbeit im Stall nicht zuletzt auch wegen der Anwesenheit Edwards, dessen Nähe sie immer mehr genoss. Heimlich beobachtete sie ihn manchmal bei der Arbeit und warf einen Blick auf seine starken Arme, deren Muskeln sich unter seinem Hemd abzeichneten. Wenn er sie mit seinen fast schwarzen Augen ansah, hatte sie das Gefühl, er würde in sie hineinblicken. Er sprach sehr selten und mit wenigen Worten, aber wenn er es tat, bescherte seine tiefe, dunkle Stimme ihr eine Gänsehaut.

 
Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?