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Von Loos Digger

Buchbeschreibung:

Es gibt Sex an außergewöhnlichen Orten und es gibt Sex an Orten, die so gewöhnlich außergewöhnlich sind, dass jeder Erotikautor, der etwas auf sich hält, so eine in Petto haben muss. Sex im Flugzeug zum Beispiel (aber ich fliege nicht so gerne) und Sex im Zug natürlich auch. Voilà. Mit dem Harten über die Weichen, oder so. Boy meets Girl im Inter-City Night Line. Unüberraschend vorhersehbar und in dessen Grenzen überraschend unvorhersehbar. Eine nächtliche Begegnung mit gar nicht müden Dialogen und dank des Erreichens eines Gipfels ziemlich befriedigend.

Über den Autor:

Er fährt nicht oft Zug, doch wenn, dann denkt er ausschließlich daran, wie er jemals die Fanatsie mit der Realität wird in Einklang bringen können. Aussichtslos. Die Vorstellung, eine willige Tramperin mitzunehmen, ist da schon erfolgversprechender. Hat aber auch noch nie geklappt, obwohl er im Auto schon mehrfach die Welt umrundet hat, kilometermäßig.

Abgefahren

aus dem Inneren

Von Loos Digger

Neopubli GmbH

Köpenicker Straße 154a

10997 Berlin

loos.digger@gmail.com

1. Auflage, 2018

© 2018 Alle Rechte vorbehalten.

Neopubli GmbH

Köpenicker Straße 154a

10997 Berlin

Neopubli, Berlin

loos.digger@gmail.com

Um kurz nach neun abends fror ich mir auf dem Bahnsteig des Mannheimer Hauptbahnhofs den Arsch ab. Es war einer jener Novembertage, an denen die Suizidraten unter Normalsterblichen im Allgemeinen und unter Skandinaviern im Besonderen spürbar anstiegen. Na klasse, und ich musste ausgerechnet nach Skandinavien, ich hoffte nur, mein dortiger Besuch hatte sich nicht umgebracht, aber vielleicht war das Wetter an der Ostsee ja sogar besser.

Ich war für einen neuen Krimi auf Recherchereise nach Dänemark und Südschweden und dummerweise war mein Führerschein zum ersten Mal nach sechsundzwanzig Jahren in Polizeigewahrsam. Das war nur gekommen, weil ich angetrunken in meinem Auto beim Sex erwischt wurde und den Beamten nicht glaubhaft versichern konnte, dass ich an demselben Ort auch wieder hatte ausnüchtern und schlafen wollen. Den Einspruch gegen das Fahrverbot einzulegen, hatte ich verpennt und so stand ich jetzt auf dem feuchten, zugigen, von Menschen verlassenen Bahnsteig in Nordbaden und wartete auf den Nachtzug.

Ich hätte drinnen warten können, aber ich musste rauchen, so lange es ging und so fror ich eben. Insgeheim befürchtete ich, dass durch das immer weiter um sich greifende Rauchverbot mehr Menschen an Unterkühlung sterben würden, als der Lungenkrebs je dahingerafft hatte, aber gegen allgemeines Gutmenschentum kam man in Zeiten grassierender Political Correctnes als einzelner nicht an.

»Achtung auf Gleis drei, es hat Einfahrt der Intercity Night Line ›Aurora‹ von Basel nach Kopenhagen.«, schnarrte der Bahnsteiglautsprecher. Aha, Aurora die Morgenröte, die Namensgeber der Bahn waren ja manchmal einfallslos, zuweilen geschmacklos, aber wenn die Göttin der Morgenröte Namenspatron eines Nachtzuges wurde, war das durchdacht. Beim Fahrplanwälzen hatte ich mir kurzzeitig überlegt, den Nachtzug von Innsbruck nach Kopenhagen zu nehmen, der hieß Hans Christian Andersen und seine Märchen hatten mich durch die Kindheit begleitet. Aber meine Tochter, die, und deren Freund – mit(!) Führerschein – mich zum Bahnhof gebracht hatten, wollten sich anschließend lieber Mannheim als Nürnberg ansehen und so fror ich eben hier und nicht in Franken.

Trotz der Ansage war der Bahnsteig an diesem Dienstagabend leer und der angekündigte Zug war nicht in Sicht. Wie im Restaurant, wo das Essen immer genau dann kam, wenn man sich eine Zigarette angesteckt hatte (damals), versuchte ich, diesen Zauber heraufzubeschwören, und drehte mir eine. Ich rauchte mit tiefen Zügen (ich wusste nicht, ob es im Zug ein letztes Refugium für Anachronisten wie mich geben würde) und als ich mir fast die Finger am Stummel verbrannte, fuhr der Zug in den Bahnhof ein. Nebenbei bemerkt ohne quietschende Bremsen, wie sie sonst in jedem Buch, wo ein Zug einfährt, beschrieben werden. Womöglich fuhren die Autoren mit den quietschenden Bremsen ja nur alle paar Jahrzehnte mit dem Zug, anders konnte ich mir nicht erklären, warum sie immer darauf zurückgriffen, wenn ein Zug in einen Bahnhof einfuhr. Oder ich hatte einen modernen Zug erwischt. Hier quietsche nichts.

Ich stieg ein und orientierte mich, um mein Abteil zu suchen. Ich habe einen begnadeten Schlaf, innerhalb weniger Minuten oder Sekunden schlafe ich tief und fest, zu jeder Zeit, an jedem Ort – sei es in der Diskothek bei hundertzehn Dezibel oder bei grauenhaften Autofahrern auf dem Beifahrersitz, völlig egal: Wenn ich müde bin, schlafe ich sofort. Deswegen hatte ich nicht auf einem Einzel- oder Zweierabteil bestanden, mir war egal, wer unter mir und meinem Schnarchen (was nicht tragisch ist) leiden musste. Ich hatte in dem Waggon neben dem Speisewagen gebucht und als ich die Tür zu meinem Abteil aufmachte, war neben meinem Platz nur ein weiterer besetzt. Der Zug hatte vor Mannheim in Basel, Freiburg und Karlsruhe gehalten und an einem der Bahnhöfe war allem Anschein nach ein Basketballspieler zugestiegen. Ein Riese von einem Russen (was ich auf den ersten Blick sah und sich später bewahrheitete) wir begrüßten uns knapp und ich fragte mich, wie er in eines der Betten passen wollte. Ich sah nicht einmal die Chance, dass er diagonal lag, ohne spätestens nach einer Stunde an Rückgratverkrümmung zu leiden.

Als Alphatier sicherte ich mir gleich den Platz auf dem oberen Bett, der Russe hatte mit der Schlafstatt gegenüber, wenngleich unten platzgenommen. Ich mutmaßte, dass er mit den Beinen selbst dann auf den Boden kam, wenn er sich auf das obere Bett gesetzt hätte und versuchte ein bisschen Smalltalk zu machen. Er war in der Tat Basketballer, sah aus wie einer der Klitschko-Brüder, nur mit zwei Meter zwanzig. Er kam aus der Schweiz und wollte seine Schwester in Flensburg besuchen. Ich verabschiedete mich vorerst und ging in den Speisewagen.

Nichtraucher – wie ich befürchtet hatte. Ich scannte den Raum mit den anwesenden Personen. Ein freier Tisch war nicht zu sehen. Als Schriftsteller, sollte man meinen, suche ich mir für das Studium der Menschen immer die voraussichtlich interessantesten, vielversprechendsten, skurrilsten oder stereotypischsten Leute aus, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. So käme ich dann zu Stoff und zu lebendigen Figuren in meinen Romanen. So masochistisch bin ich nicht. Diese Leute begegnen mir im Alltag schon oft genug, ich vermag kaum, ihnen auszuweichen. Nein, ich setze mich zur schönsten Frau – so wie jetzt.

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