White Moon

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White Moon
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Prolog

1 Kapitel

2 Kapitel

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46 Kapitel

47 Kapitel

48 Kapitel

49 Kapitel

50 Kapitel

Danksagungen

Quellennachweise

Leni Anderson

Stämme des Mondes

- Band 1 -

White Moon

Roman

Texte: © Copyright by Leni Anderson

Umschlaggestaltung: © Copyright by Leni Anderson

1. Auflage 2021

Verlag:

Leni Anderson

c/o autorenglück.de

Franz-Mehring-Str. 15

01237 Dresden

leni.anderson@mail.de

Prolog

Gierig sauge ich an ihrer Ader, lasse ihr warmes Blut meine trockene Kehle herunterlaufen. Wie eine Droge durchfließt es mich, stärkt meinen Körper, lässt meine Sinne ins Unermessliche steigern. Ich kann nicht aufhören. Tiefer, immer tiefer gleiten meine Fänge in ihren Hals, wollen auch den letzten Tropfen aus ihrem Körper saugen.

„Hannah, bitte“, keucht sie. „Du musst aufhören.“

Aber ich kann nicht. Ich will nicht. Zu köstlich schmeckt ihr Blut.

„Hannah“, ihre Stimme ist fast nur noch ein Wispern.

Ich merke, wie ihr Körper schlaffer wird, wie ich sie stärker halten muss, meine Beute. Meine Trophäe.

Hannah!

Eine mir bekannte Stimme drängt sich in meinen Kopf.

Hannah! Lass los!

Aber ich denke gar nicht daran.

Hannah! Du bringst sie um!

Es kümmert mich nicht. Nichts kümmert mich in diesem Moment. Zu viel habe ich in den letzten Tagen erlebt. Mein ganzes Leben hat sich auf den Kopf gestellt. Mein Leben, so wie ich es kannte, gibt es nicht mehr. Ist vorbei.

Ich merke, wie eine höhere Macht nach mir greift, mich nach oben zieht, als wäre ich eine Marionette. Wie in Trance schwebe ich nach oben und sehe die bizarre Szene unter mir: Die Festhalle mit ihren prunkvollen Lüstern, die alles in ein schummriges Licht tauchen, die Bühne, auf der wir stehen, ich, wie ich an ihrem Hals sauge. Und ihn, der nach wie vor am Rande der Bühne steht und nur in Gedanken versuchen kann, mich von etwas abzuhalten, was seit wenigen Tagen in meiner Natur liegt.

Ein Leuchten bricht auf einmal aus mir heraus und taucht den gesamten Saal in grelles Licht. Ich spüre, wie sich meine Fänge von ihrem Hals lösen und schreie auf. Dann sacke ich zusammen. Mein Leben zieht an mir vorbei. Nein, nicht alles, nur weniges, schemenhaft, Bruchstücke. Ein leuchtender Schriftzug taucht vor meinem inneren Auge auf. Ja, hier hatte alles angefangen.

1 Kapitel

Die Warteschlange vor dem All in scheint heute schier endlos. Kein Wunder, ist es doch zur Zeit der angesagteste Club der Stadt. Himmel, bin ich nervös. Wie lange ist es her, dass ich unterwegs war? Zwei Monate? Vielleicht drei? In den letzten Wochen gab es in der Agentur viel zu tun. Da blieb keine Zeit für privates Vergnügen.

Der letzte Werbedeal war eines der größten Projekte, die Pro Visions je an Land gezogen hatte. Und ich war stolz, dabei mitgewirkt zu haben. Der Anfang in einer der bekanntesten Werbeagenturen unserer Stadt war wahrlich nicht einfach für mich gewesen. Luke, der CEO und gleichzeitig mein direkter Vorgesetzter, behandelte mich vom ersten Tag an, als wäre ich irgendeine Praktikantin und nicht seine erste Assistentin. Eine meiner Standardaufgaben war zunächst Kaffee kochen, und das in allen Varianten, die man sich vorstellen kann. Ich kam mir vor wie eine Barista und fragte mich zeitweise, wofür ich die lange Studienzeit auf mich genommen hatte, wenn keiner hier, besonders mein Chef nicht, meine Talente und Ideen, und davon hatte ich viele, zu würdigen wusste. Es war frustrierend.

Letztendlich war es Monika, unsere freundliche Dame von der Rezeption und die gute Seele der Agentur, die mich nicht selten in den Mittagspausen tränenüberströmt in unserer kleinen Küche vorfand, während ich versuchte, mal wieder einen extra starken Mokka Latte am Kaffeevollautomaten zu zaubern. Mütterlich nahm sie mich dann in den Arm und fand tröstende Worte für mich. Sie ist heute immer noch diejenige, die mich regelmäßig aufbaut und ermutigt, an meinen Ideen und Visionen festzuhalten. Ohne Monika wäre das Arbeiten bei Pro Visions nicht mehr vorstellbar.

Mein großer Durchbruch und damit der Moment, der dafür sorgte, dass mich endlich alle wahrnahmen, kam mit dem Deal mit Runner‘s High. Das Management trat vor etwa drei Monaten an uns heran und bat uns um Ideen für eine neue Laufkampagne. Als ambitionierte Hobbyläuferin lief mein Ideenkarussel sofort auf Hochtouren. In einer der ersten Sitzungen, in der erste Ideen und Ansätze gesammelt werden sollten, traute ich mich endlich, meinen Vorschlag zu offenbaren. Ich hatte ihn vorab schon mehrfach bei Luke geäußert, doch er wimmelte mich immer wieder ab.

Als ich also vorsichtig die Hand hob und meine Idee vortrug, hätte Luke mich wohl am liebsten mit seinen Blicken getötet. Alles an ihm strahlte dieses „Wag‘ es ja nicht!“ aus. Mir war durchaus bewusst, dass das anschließende Gespräch in seinem Büro alles andere als gut für mich ausgehen könnte, dass ich möglicherweise sogar meine Sachen würde packen müssen und dass Monika in der Küche auf mich warten würde. Aber ich konnte einfach nicht länger schweigen. Wochenlang hatte ich das Treiben in der Agentur wie aus dem Off beobachtet, mich von Kolleginnen und Kollegen, deren gleichgestelltes Teammitglied ich eigentlich war, rumschubsen lassen. Und auch wenn es bedeutete, dass ich meinen Job verlieren würde, so war es mir in diesem Moment egal. Ich berichtete von meiner Idee.

 

Die große Überraschung war, dass das Management von Runner‘s High meinen Vorschlag großartig fand. Und als ich dann auch noch mit einem bekannten Gesicht aus der Laufszene auftrumpfen konnte, das ich für die Kampagne bereits im Vorfeld gewonnen hatte, war die Sache klar. Mein Vorschlag wurde angenommen.

Die anschließenden Wochen waren der Hammer gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meinem Leben so viel gearbeitet zu haben. Oft saßen wir bis spät in die Nacht hinein in Teamsitzungen oder hatten hitzige Diskussionen mit den Grafikdesignern.

In einer Woche sollte die Kampagne starten. Endlich. Der große Moment. Nervosität und Euphorie waren meine ständigen Begleiter. Und, oh ja, auch Selbstzweifel.

Wie gut tat es da gestern, endlich auf alles anstoßen zu können. Haileys Anruf kam, noch bevor ich meinen Champagner geleert hatte. „Babe, morgen gehen wir aus. Keine Ausreden. Und mach dich schick.“

Und hier stehe ich nun. Und warte auf Einlass. Mir war bei unseren letzten Besuchen gar nicht aufgefallen, wie viele Gäste von der Security abgewiesen werden. Hauptsächlich Männer wie mir scheint, so dass ich schon überlege, ob heute eine Art Ladies Night stattfindet, von der Hailey mir nichts erzählt hatte. Na ja, whatever.

Als ich endlich am Eingang des Clubs ankomme, mustert mich einer der Schlägertypen von oben bis unten.

Mist.

Nicht schick genug? Dabei hab ich mich echt in Schale geworfen. Gut, ich trage kein Kleid, wie die anderen Frauen vor mir, aber ich fand, im Spiegel sah meine Kombination aus enger schwarzer Jeans und cremefarbenem Spitzentop schon sexy aus. Die Pumps sollten das Ganze abrunden. Dazu die langen braunen Haare zu großen Locken gestylt und das Make-up Smokey aber nicht Horny. So wie der Typ mich ansieht, habe ich mich wohl geirrt. Hailey wird begeistert sein, wenn ich ihr gleich am Telefon erklären kann, dass ich nicht reingekommen bin. Sofern ich mein Handy mitgenommen hätte.

Fuck ...

Der Abend war ein wenig stressiger verlaufen als geplant, dabei hatte der Tag eigentlich gut anfangen. Na ja, fast. Ich hatte leider vergessen, meinen Handywecker über das Wochenende auszuschalten und so wurde ich um 5.30 Uhr aus dem Schlaf gerissen. Da ich dann aber eh schon mal wach war, hatte ich meine Sportsachen angezogen und meine Lieblingslaufrunde gedreht. Die frische Morgenluft war wie ein Kick in den Tag gewesen und als ich gegen Mittag einen kleinen Latte auf meinem Balkon schlürfte, spürte ich zum ersten Mal seit Wochen so etwas wie Ruhe und Zufriedenheit in mir.

An Ruhe und Zufriedenheit ist jetzt gerade aber nicht mehr zu denken. Der strenge Blick der Security ruht noch immer auf mir und verursacht mir ein unangenehmes Prickeln am ganzen Körper.

„Ausweis bitte.“

Ernsthaft jetzt? Ich bin fast 30 und werde nach meinem Ausweis gefragt? Ein wenig schmeichelhaft ist das ja schon, aber ich sehe nun wirklich nicht mehr wie eine 18-Jährige aus.

„Klar, kein Problem.“ Gequält lächle ich ihn an und greife mir an die Gesäßtasche, in der ich grundsätzlich Scheine und Ausweis drapiere. Verdammt, die Hose ist aber auch eng. Hannah, wie wäre es das nächste Mal mit einer Handtasche?

Gerade als ich meinen Ausweis herausgekramt habe und ihm stolz entgegenstrecke, lehnt sich der andere Schrank nach vorne und flüstert dem Ersten etwas ins Ohr. Ein wissender Ausdruck legt sich auf sein Gesicht. Er nickt.

„Schon okay,“, sagt er ohne einen Blick auf meinen Ausweis zu werfen. „Kannst reingehen.“

Was war das denn jetzt? „Äh, okay. Danke“, höre ich mich nuscheln und stecke meine Habseligkeiten wieder ein. Dann betrete ich endlich das All in.

Hämmernde Beats und jede Menge heiße Luft schlagen mir entgegen. Die Kasse im Eingangsbereich ist nicht weniger gut besucht. War ja klar, dass es sich hier auch wieder staut. Wie gerne denke ich in solchen Momenten an die Zeit zurück, als das All in noch eine kleine irische Bar mit übersichtlicher Tanzfläche war, in der man sich am Wochenende gerne eine neue unbekannte Band anhörte, die live auf der Bühne performte. Das Aus kam vor drei Jahren als der Inhaber Francis erkrankte und mit seiner Frau zurück nach Irland ging. Zusammen mit den umliegenden Geschäften und Bars wurde aus dem ehemaligen All for you letztendlich das zweistöckige All in, der Szeneclub unseres Viertels.

Endlich an der Kasse angekommen, die eigentlich mehr einem Tresen gleicht, der unpassenderweise mitten im Gang verbaut wurde, zahle ich den üblichen Eintritt und will gerade Richtung Innenraum, als mich einer der Kassierer am Handgelenk packt und sagt: „Warte, du brauchst noch nen Stempel.“

Stempel? Das war mir neu. Er dreht meine Handfläche nach oben und bevor ich auch nur etwas erwidern kann, hat er mir auch schon einen Abdruck auf mein inneres Handgelenk verpasst. Na toll, sieht wieder jeder tagelang, wo man am Wochenende war. Was mein Chef wohl am Montag dazu sagen wird? Innerlich stöhne ich auf.

„Sorry, ist jetzt Pflicht für alle Gäste.“ Er hebt den Stempel wieder hoch und da ist ... nichts?

„Äh sorry, aber man sieht gar nichts. Soll das so sein?“, frage ich irritiert nach.

„Oh, das ist fluoreszierende Farbe. Die leuchtet nur unter UV-Licht. Soll ja nicht jeder wissen, wo man am Wochenende war.“ Er zwinkert mir zu.

Bevor ich etwas erwidern kann, werde ich schon von den nächsten Gästen zur Seite geschoben. Seltsam, dass er das gesagt hat ...

Nachdem ich meine Jacke an der Garderobe abgegeben habe, dränge ich mich vorsichtig durch die vielen Leute im Eingangsbereich und folge dem langen Flur, bis ich schließlich im Herzstück des Clubs ankomme. Die Musik ist hier wesentlich lauter als vorne und der DJ legt just in diesem Moment einem neuen Song auf.

Rechts an der Bar drängeln sich die Durstigen. Obwohl es noch nicht mal 23 Uhr ist, scheint die Reihe der Wartenden schier endlos. Herrje, das wird ja ein Abend. Auch die Tanzfläche vor mir, die durch einige umliegende Stufen erreicht werden kann, ist rappelvoll.

Wo steckt nur Hailey?

Ein wenig genervt lasse ich meinen Blick immer wieder über die bebende Menge schweifen. Nichts. Normalerweise finden wir uns immer wie von selbst. Das war irgendwie schon immer so.

Hailey. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich an sie denke. Ich weiß noch genau, wann und wo wir uns kennen gelernt haben. Es war auf einer meiner ersten Studentenpartys und es war so unfassbar öde, dass man die Enttäuschung in der Luft fast riechen konnte. Und dann kam eine völlig unangepasste junge Frau auf mich zu und sagte keck: „Boah, hier gibt’s weder was zu saufen noch was zu ficken. Hauen wir ab?“ Und das taten wir. Wir zogen die ganze Nacht um die Häuser und Hailey riss mich einfach mit. Raus aus meinem bis dato tristen Alltag, meinem langweiligen Studentinnenleben, und brachte Farbe in mein Grau. Seitdem ist Hailey fester Bestandteil meines Lebens, meine beste Freundin.

Ein herber Schubser in den Rücken reißt mich aus meinen Gedanken. „Sorry! Das war keine Absicht!“ Große dunkle Augen schauen von oben auf mich herab. Wow. In diesen Augen könnte ich mich verlieren.

„Äh, ja. Kein Problem. Ist ja nichts passiert.“

Ein Grinsen umspielt die großen Augen.

„Hab ja zum Glück nichts in der Hand, was verschüttet werden könnte.“ Ich schiebe ein unsicheres Grinsen hinterher und werde mir vage bewusst, dass zu den großen Augen ein ebenso großer Mann gehört. Kräftige Oberarme lugen aus seinem schwarzen Shirt hervor und im steten Aufblinken der Clublichter lässt sich ein wohl definierter Oberkörper durch den dunklen Stoff erahnen.

Fuck, ist der heiß.

Und irgendwie kommt er mir bekannt vor. Woher kenne ich ... Oh mein Gott! Ich weiß es! Er sieht echt wie der zu Fleisch gewordene Thor aus, einer von Dads liebsten Marvel-Helden. Ich schlucke.

„Also ... Nichts passiert“, stammle ich und bin froh, dass er im Dunkeln des Clubs nicht sehen kann, dass meine Wangen in Flammen in stehen.

Schweigen.

Langsam mustert er mich von oben nach unten und das Grinsen auf seinem Gesicht wird immer breiter. Alles an dieser Situation schreit in mir gerade zu unangenehm auf, aber ich kann auch nicht aufhören, in diese großen, dunklen Augen zu starren. Ich beiße mir auf die Unterlippe und merke, dass mein Herz mir bis zum Hals schlägt. Er strahlt eine Anziehung auf mich aus, die mich fast schwindelig werden lässt. Es ist, als würde jede Zelle meines Körpers auf ihn reagieren. Jede ...

Als ich mich doch endlich losreißen kann, mich mehr oder weniger dazu zwinge, und mich abwenden will, findet er seine Stimme wieder: „Hm. Du hast also keinen Drink? Wie kann das denn sein?“

Soll das ein Witz sein? Hat der mal die Schlange vor der Bar gesehen?

„Na ja, es ist ziemlich voll, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Und bisher war ich noch nicht motiviert genug, mich in das Gedränge zu schmeißen.“ Ich nicke in Richtung Bar und auf die Menschenmassen davor.

Ungläubig und fast ein wenig amüsiert starrt er mich an. Da ist es wieder, dieses Grinsen. Flüchtig leckt er sich über die Lippen und ein kleines Kribbeln macht sich in mir breit. „Verstehe. Warte kurz.“

Behände bahnt er sich seinen Weg durch die Menge und winkt dem Barkeeper: „Hey Pat!“ Der auch prompt reagiert, praktisch alles stehen und liegen lässt.

Was zum ...?

„Yo, Chris! Was kriegst du?“

„Das Übliche!“

Pat reckt den Daumen in die Luft.

Und tatsächlich. Keine fünf Minuten später habe ich einen eisgekühlten Gin Tonic in der Hand. „Äh, danke. Das ging schnell.“ Ich bin etwas überrumpelt von der Situation und weiß nicht so recht, was ich sagen soll. Fuck! Ich bin doch sonst nicht so wortkarg!

„Kein Problem“, erwidert er und grinst von einem Ohr zum anderen. „Na dann, cheers!“

Wir stoßen an und dann ist er auch schon genauso schnell verwunden, wie er aufgetaucht ist. „Wir sehen uns“, ist das Letzte, was ich noch von ihm höre. Er geht Richtung Tanzfläche davon.

Wow, der Po kann sich auch sehen lassen ... Nur die groben Stiefel erscheinen fast ein wenig zu derbe für einen schicken Club. Wie ist er damit nur reingekommen? Ach verdammt, wäre ich nicht so irritiert und auf der Suche nach meiner Freundin, hätte ich ihn vielleicht in ein Gespräch verwickelt. Jetzt ist er weg. Ich überlege für einen Moment, ob ich ihm hinterhergehen sollte. Fuck, vielleicht ist er mit Freunden da, möglicherweise sogar mit seiner Freundin. Wäre oberpeinlich, da jetzt einfach so rein zu platzen.

Okay, zurück zu meiner Verabredung. Wo steckt Hailey?

Ich mache mich auf den Weg zur oberen Etage des

All in. Von dort habe ich einen besseren Überblick und entdecke sie vielleicht in der Menge.

Die Treppe nach oben ist am Ende der Bar und theoretisch gar nicht weit weg.

Theoretisch.

Verschwitzte und bebende Körper streifen den meinen, als ich mich an den Gästen vor der Bar vorbeischiebe. Ein paar sind nicht gerade amüsiert und werfen mir funkelnde Blicke zu. Ich versuche, mich zu entschuldigen, aber mehr als einen flüchtigen Blick hat dann doch keiner mehr für mich übrig. Warum ist es heute nur so voll?

Endlich erreiche ich die Treppe nach oben. Mit jedem Schritt hinauf wird die Luft ein wenig kühler. Wow, mir war gar nicht bewusst, wie heiß es dort unten war. Oben angekommen stelle ich mich an die Balustrade und lasse meinen Blick über die Menge schweifen.

Die Menschenmenge auf der Tanzfläche unter mir bebt. So aufgeheizt habe ich den Club lange nicht erlebt. Der DJ in seinem Gitterkorb über der Tanzfläche gibt heute echt alles. Und es wirkt. Kaum jemand kann Füße und Körper still halten. Die Menge tanzt und die Luft scheint in den wirren Lichtern zu flirren. War das Chris da unten zwischen den Tanzenden? Hatte er gerade zu mir hoch gestarrt? Ach Quatsch, Hannah, nur weil dir ein süßer Typ einen Drink spendiert, muss das noch lange nicht heißen, dass er auf dich steht. Außerdem hatte er dich praktisch über den Haufen gerannt, also war der Drink fast schon Pflicht gewesen.

 

Ich nippe an meinem Glas und merke, dass mein Stempel am Handgelenk angefangen hat zu brennen. Verdammte Industriefarbe. War ja klar, dass ich darauf allergisch reagiere. Ich betrachte den Stempel genauer. Komisch ... Im Schwarzlicht des Clubs sieht er aus wie ein Strichcode. Ich zucke mit den Schultern und nippe erneut. Der Drink tut gut. Hailey sagt immer, ein Gin Tonic wäre ein viel zu hartes Getränk für eine so zarte Person wie mich. Meine Antwort darauf lautet meistens, dass Bier auch nicht gerade ein typisches Frauengetränk ist. Und dann lachen wir.

Sehen kann ich sie von hier aus leider auch nicht. Etwas besorgt setze ich mich wieder in Bewegung und gehe direkt an der Balustrade einmal um die obere Etage herum. Nichts. Na gut. Dann eben ab in die Menge. Mit etwas Glück begegne ich ihr einfach auf der Tanzfläche. Ich leere mein Glas, stelle es auf den nächsten Tisch, gehe die Treppe herunter und stürze mich ins Getümmel. Als ich die Tanzfläche betrete, spielt der DJ einen meiner Lieblingssongs. Hell yes ...

Bed, stay in bed

The feeling of your skin locked in my head

Smoke smoke me broke

I don’t care, I’m down for what you want

Ich gebe mich dem Beat hin, lasse alles los und tanze. Verliere mich im Rhythmus, im Takt der Menge und des Songs. Meine Füße tragen mich wie von selbst.

Daydrunk into the night, wanna keep you here

Cause you dry my tears

Yeah, summer loving and fights

How it is for us, and it’s all because

Ich fühle mich wie berauscht. Als würde der Song mich ausfüllen. Durch meinen Körper fluten. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen.

Now if we're talking body

You got a perfect one, so put it on me

Swear it won't take you long

If you love me right

We fuck for life, on and on and on

Plötzlich packt mich jemand grob am Ellenbogen. „Wir müssen hier raus!“

Chris.

„Los, Hannah, wir haben keine Zeit zu verlieren! Wir müssen gehen!“

Was zur Hölle redet er da? Und woher weiß er meinen Namen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich vorhin nicht vorstellt hatte, was ich zugegebenermaßen ein wenig bereut habe.

Ich starre ihn ungläubig an. Nur langsam realisiere ich, dass er im Inbegriff ist, mich von der Tanzfläche zu ziehen. Endlich gehorchen meine Sinne mir wieder und ich kann mich losreißen.

„Hey, was soll das? Spinnst du? Ich will noch nicht gehen!“

Wir stehen immer noch mitten auf der Tanzfläche. Ich verschränke die Arme vor der Brust und er sieht mich völlig entgeistert an. Hatte er etwa damit gerechnet, dass ich ihm einfach so folgen würde?

Gerade will ich mich wieder unter die Tanzenden mischen, da packt er mich erneut am Arm: „Hannah, bitte, wir müssen gehen. Jetzt!

Bevor ich die Zeit finde, ihn zu fragen, woher er meinen Namen kennt, und was zur Hölle das hier soll, sehe ich sie in seinen Augen: Angst.

Fuck.

Damit hatte ich nicht gerechnet. Und bevor ich auch nur ein Wort erwidern kann, zieht er mich weiter durch die Menge.

„Chris, warte, ich kann nicht so schnell!“

Doch anstatt langsamer zu gehen, hebt er mich kurzerhand hoch und trägt mich dicht an seinen Körper gepresst gezielt von der Tanzfläche. Ich frage mich lieber erst gar nicht, warum er so stark ist. Ich fühle mich etwas schwummerig und kann gar nicht sagen, ob das vom Drink kommt oder von der völlig absurden Situation, in der ich mich gerade befinde.

„Der Ausgang ist aber da vorne“, ist alles, was ich noch herausbringen kann.

„Wir nehmen den Hinterausgang. Schnell jetzt!“

„Und meine Jacke?“

Himmel, Hannah! Kannst wieder nur an dein Hab und Gut denken ... „Die hab ich hier schon.“ Er hält sie hoch.

Wir sind am Ende der Tanzfläche angekommen. Vorsichtig stellt er mich wieder ab und wir drängen uns weiter durch die umstehenden Gäste, die uns nur widerwillig durchlassen. Endlich wird es leerer.

„Wir sind gleich da.“ Er nimmt meine Hand und zieht mich einen langen Gang hinunter. In diesem Teil des Clubs war ich noch nie. Ist vermutlich für Personal oder so.

„Hey! Was ist mit Hailey? Ich kann sie hier nicht alleine lassen!“ Hailey, oh mein Gott, wo war sie nur? Sie hat keine Ahnung, dass ...

„Hailey ist nicht da. Ihr hättet euch längst gefunden.“

Bitte? Woher wusste er das?

Völlig perplex stolpere ich vor mich hin, während er unnachgiebig an mir zieht.

„Zieh deine Jacke an!“ Er wirf sie mir zu.

Am Ende des Ganges beschreiten wir eine Kurve und stehen prompt vor dem größten Türsteher, dem ich je begegnet bin.

„Hey Chris, wohin des Weges?“, fragt dieser in tiefem Bass.

„Hey Tyler. Wir müssen leider los“, erwidert Chris schnippisch.

„Und das große Finale verpassen? Ist doch sonst nicht deine Art.“ Ein süffisantes Grinsen legt sich auf Tylers Gesicht.

Das gefällt mir gar nicht. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Kommen wir etwa nicht raus? Verdammt! Was ist hier nur los?

„Ja, normalerweise schon. Aber heute sehen meine Pläne halt anders aus.“ Chris deutet mit einem Augenzwinkern zu mir und in Tylers Gehirn scheint es zu funken.

„Ah, heute also To Go?“ Er zieht den letzten Teil des Satzes ekelhaft in Länge.

Bitte was? Was meint er damit? Ich bin doch nicht ...

Gerade als ich tief Luft holen will, um meine Empörung zum Ausdruck zu bringen, drückt Chris sehr bestimmt meine Hand und schiebt mich vorsichtig hinter sich.

„Ja, so etwas in der Art“, erwidert Chris in einem Tonfall, der keine Widerworte zulässt.

Tylers gehässiges Grinsen verschwindet aus seinem Mondgesicht und weicht einem verständnisvollen Nicken.

„Na dann will ich euch zwei Hübschen mal nicht aufhalten. Viel Spaß!“ Er öffnet die schwere Brandschutztür und wir treten hinaus.

Kühle Luft schlägt mir ins Gesicht, während hinter uns die Tür zuknallt und eins zu werden scheint mit der schwarzen Wand, aus der wir gerade getreten sind.