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Buch lesen: «Der beiden Quitzows letzte Fahrten», Seite 3

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»Todtgeschlagen oder aufgehänkt? Mordelement? Gott straf mich, wenn ich fluche, aper Pruder Schwalpe, hat Dich die Kälte so um den Verstand gepracht, daß Du denkst, den Wachtmeister Kaspar Liepenow könnten sie zum Paumeln pringen oder gar mit dem Säpelauf den Hut klopfen, daß es ihm an’s Lepen ginge? Da sollte dem Gezüchte doch gleich der Deiwel in die Peine fahren! Aper komm an mein Herz, Pruder Schwalpe; ich muß Dir einen Kuß gepen, den man pis Friesack hören soll!«

»Schön, hier hast Du mir! Wenn Dich dat Umärmeln Spaß machen thut, so kannst Du dat Vergnügen haben, so lange es Dich gefallen thut. Aber erweise mich die Liebe und schiebe Deinen Bart erst in die Höhe, damit ich Dich auch richtig auf den Schnabel kommen thue!«

Sie umarmten sich mit brüderlicher Herzlichkeit, und wäre es nicht finstere Nacht, sondern Tag gewesen, so hätte man in den Mienen Beider die Rührung bemerken können, in welche sie durch das unverhoffte und freudige Wiederfinden versetzt worden waren.

»So Pruderherz, da hat die Schnäpelei ein Ende, und nun mußt Du wissen, wer der Kamerad ist, der hier nepen Dir steht.«

»Na nu, ich thue selbst ein wenig neugierig sin und habe gar keene Ahnung nick, wie Du in diese Gegend kommen thust mit Eenen, den ich noch niemals nick gesehen haben thue!«

»Das ist dem Herrn Claus von Quitzow auf Stapenow sein Leipknappe, Palthasar geheißen, ein ganz verdeiwelt streitparer Degenknopf, den die Natur ein Pischen zu viel in die Länge gezogen hat, weil es in der Quere keinen Platz mehr gegepen hat. Er ist mit seinem Flegisahnolieperpitsch durch aller Herren Länder gezogen und kann von manchem schönen Strauß erzählen!«

»So, also!« bekräftigte der Dürre. »Ja, der bin ich selber!«

»Schön,« machte Schwalbe. »Aber wer thut denn eigentlich der tapfere Resiganotriebelisch sin, von dem Du Deine Rede gehalten haben thust?«

»Das, Pruder Schwalpe, ist der Fuchs hier von dem Ritter Steckelpein, auch ein ganz verdeiweltes Vieh, das den lependigen Drachen im Leipe hat, wenn es zum Zuschlagen geht. Das Biest steht pei den andern Pferden da drüben hinter dem Pusche, wo unsere Leute auf das Zeichen warten.«

»Wat thust Du für een Zeichen meenen?«

»Wir liegen hier im Hinterhalte gegen zwei Juden, die von Schwerin mit Waaren kommen, und gepen – Halt, Pruder Schwalpe, hast Du nicht Etwas gehört?«

Die drei Männer lauschten einige Sekunden mit angehaltenem Athem in die Nacht hinaus. Es ließ sich von fernher ein Geräusch, ähnlich demjenigen von rollenden Rädern, hören.

»Es is mich ganz so, als ob een Wagen kommen wollen thäte; wat thust Du dazu meenen, Balthasar?«

»So, also! Da kommen sie; ich habe es auch gehört!«

»Ja, da kommen sie. Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper das wird eine Freude für meinen Säpel sein!«

»Wegen der paar Judens braucht Ihr keene große Freude nick zu haben thun!«

»Höre Pruder Schwalpe, das versteht sich ja ganz von selpst, daß ich Die gleich mit den ploßen Händen zu Pulver zerreipe, aper es sind eine Anzahl Reisige Dessen von Karenzin dapei, und die werden sich nicht freiwillig apthun lassen. Weißt Du was, Pruder Steckelpein – – halt, der ist nicht mehr da, der ist uns davongelaufen, um die Anderen zu penachrichtigen; aper das thut nichts, denn wir prauchen ihn hier gar nicht. Du thust mit, Pruderherz?«

»Dat versteht sich ganz von selber. Ich thue zwar keene Waffe nick haben, aber die Karenziner werden mir wohl eine borgen thun.«

»Keine Waffe? Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper das ist doch eine ganz pesondere Schande für einen Kerl wie Du. Es muß Dir schlecht gegangen sein pisher, und das mußt Du mir später erzählen.«

»Dat werde ich thun; doch thue jetzt ruhig sein und gieb mich wenigstens Dein Messer; sie sind schon da!«

Während dieses im Flüstertone geführten Gespräches war der erwartete Zug allmälig immer näher gekommen und passirte jetzt die Stelle, an welcher die beiden Männer hinter dem Gebüsch verborgen standen. Obgleich die Einzelheiten sich in der Finsterniß nicht leicht unterscheiden ließen, war doch wahrzunehmen, daß die Zahl der begleitenden Reiter nicht eine ganz geringe sei. Die geladenen Güter mußten also schon einen bedeutenden Werth repräsentiren, da es sonst den Juden nicht eingefallen wäre, die hohe Gratification für die Reisigen zu bezahlen.

Voran ritten zwei Männer hüben und drüben an den beiden Straßenrändern, um scharfe Augen auf die Säume des Strauchwerkes zu haben; erst eine gute Strecke hinter ihnen kam der von vier Pferden gezogene Wagen, welcher von einer Anzahl Kriegsknechten beschützt wurde, und hinter ihm ritten die Uebrigen, um ihn von hinten zu decken und bei einem etwaigen Ueberfalle schnell bei der Hand zu sein.

Die Gegend, welche man jetzt passirte, war als eine gefährliche bekannt, denn noch selten war es einem Geschäftsmann gelungen, mit seinem Eigenthum ungeschädigt Garlosen zu passiren, und ganz besonders waren es die Bürger der zur Hansa gehörigen Städte, zu deren Hab und Gut die Boldewins mit ihren Verbündeten eine auffällige Zuneigung an den Tag zu legen pflegten. Darum befleißigte sich jeder Reisende hier einer ganz besonderen Vorsicht, und die beiden Besitzer des Wagens, welche auf ihren mageren und abgetriebenen Kleppern zur Seite desselben ritten, fühlten ihre verzagten israelitischen Herzen schneller und ängstlicher als sonst klopfen.

Der Eine von ihnen lenkte jetzt sein Pferd zu dem Anführer der Kriegsschaar.

»Ist mir doch, Herr Ritter, als ob wir kämen an einen Ort, wo wir müssen halten offen die Augen, damit nicht komme über uns die Rotte der Philister, welche verderben möge der Gott unserer Väter in alle Ewigkeit!«

»Sei ruhig, Itzig. Man muß hier jedes Geräusch beobachten, und wenn Du plauderst, höre ich nichts!«

Itzig zog sich zu seinem Genossen zurück.

»Hat er etwas gesagt, der große Kriegsheld, ob wir sind geritten vorbei an der Gefahr?« frug ihn dieser.

»Nichts hat er gesagt! Ruhig soll ich sein, hat er gesagt! Als ob ich könnte sein ruhig, wenn ich höre im Geiste das Getrappel von Pferden, auf welchen sitzen die Räuber und Mörder, welche kommen dahergesprengt auf der Straße, um mir zu nehmen meine Sachen und mein schönes Kind, welche ist die Perle der Kinder Juda und die Freude von meinen alten Tagen.«

»Aber er muß doch haben gesagt, warum Du sollst sein ruhig! Wenn Du ihm bezahlst Dein Geld, mußt Du doch auch dürfen sprechen von dem Gedanken Deines Herzens!«

»Er hat gesagt, ich soll sein ruhig, weil in dem Walde stecken die Ammoniter, Moabiter und Jebusiter, welche uns wollen überfallen mit der Schärfe ihres Schwertes. – Gott, der Gerechte!« unterbrach er sich, vor Schreck nach dem Arme Schmuels greifend; »hörst Du nicht kommen da vorn die Kinder Midian, welche sind wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meere? Mögen sie gestraft werden mit ewiger Blindheit, bis wir sind gekommen zehn Tagereisen von hier.«

Wirklich waren jetzt die Schritte von Pferden zu hören, welche, dem Zuge entgegen, langsam die Straße dahergetrabt kamen. Sofort wurde dieser zum Stehen gebracht und die Reisigen griffen zu den Waffen.

»Halt! Wer seid Ihr?« rief der Anführer den Nahenden entgegen.

Es waren das nur zwei Männer, welche, Einer hinter dem Anderen, gemächlich herangeritten kamen. Der Hochwald trat an dieser Stelle etwas von der Straße zurück, und dadurch wurde die Dunkelheit etwas weniger dicht, so daß man wenigstens die Umrisse der nächsten Umgebung erkennen konnte. Der Vordere von ihnen, eine runde, dicke Gestalt auf einem ebenso umfangreichen Thiere, hielt sein Pferd an, und der hinter ihm Folgende, dessen spindeldürre Figur von dem nächtlichen Scheine in das Riesenhafte gezogen wurde, spornte sein scheinbar ebenso gigantisches Roß an die Seite des Ersteren.

»Wer wir sind? Hrrr! Hm! Ich bin der König Salomo, und das hier ist meine Frau, die schöne Melusine,« antwortete Claus – denn dieser war es – bei den letzten Worten auf seinen Balthasar deutend. »Hrrr! Hm! Wir haben ein Gebot ausgehen lassen, daß alle Welt geschätzet werde, und bei Schmuel und Itzig wollen wir es selber thun!«

Balthasar zog vor Erstaunen über die herrliche Rede, die sein Ritter gehalten hatte, die beiden Kniee bis an den Leib heran und bog sich weit zur Seite, um zu sehen, ob es wirklich noch Herr Claus sei, der auf dem fetten Schimmel da neben ihm hielt. Er hatte von ihm eine gar hohe Meinung, aber daß er eine solche Rede thun könne, das hatte er doch noch nicht gewußt.

Auch der Anführer der Bedeckung war für die Dauer eines kurzen Augenblicks verblüfft, aber es währte nicht lange, bis ihm die rechte Ahnung kam und er antwortete:

»Treibt Eure Narrethei mit wem Ihr wollt, uns aber geht mit dem Mummenschanz zur Seite!«

»So, also! Mummenschanz?« brummte der Dürre. »Wir werden Euch bemummen und beschanzen, daß Ihr der Narrethei gedenken sollt!«

»Hrrr! Hm! Jetzt wißt Ihr, wer wir sind!« gab der dicke König Salomo auf seinem Schimmel zur Antwort. »Und nun geht Eure Wege zurück nach Karenzin. Wir werden Euren Veit und Aron selbst zu schützen wissen!«

Damit war er mit einem weiten Satze, den man dem Schimmel ganz unmöglich zugetraut hätte, zwischen den Knechten hindurch, hatte Aron Itzig beim Kragen, warf ihn mit einem gewaltigen Rucke empor quer über den Sattel und flog mit ihm wieder zwischen den Reisigen, denen dieser Angriff so plötzlich kam, daß sie die Fassung vollständig verloren hatten, davon. Balthasar hatte das Manöver seines Herrn mit derselben Geschicklichkeit nachgemacht, so daß er in gleichem Tempo, den unglücklichen Veit Schmuel vor sich auf dem Fuchse, mit ihm davonsprengte. Und zu gleicher Zeit erhob sich eine dunkle Gestalt vom Erdboden, sprang auf das vorderste Sattelpferd, und fort ging das Doppelgespann, fort, im sausenden Galopp, den beiden kühnen Reitern nach.

Dieses letzte Ereigniß brachte die Mannen der Bedeckung wieder zu sich; auf den Zuruf ihres Führers gaben sie den Pferden die Sporen und sprengten mit lautem Geschrei dem fliehenden Wagen nach. Noch aber hatten sie denselben nicht erreicht, so erscholl ihnen donnernder Hufschlag entgegen, die Knechte Derer von dem Kruge fielen über sie her und es entspann sich ein Kampf, der nach kurzer Zeit mit ihrer vollständigen Niederlage und Flucht endete.

Währen dieses Kampfes trat eine hohe, breitschultrige Gestalt aus dem Gebüsch hervor auf die Straße und schritt nach der Stelle, an welcher der Wagen gehalten hatte.

»Ein Deiwelskerl, dieser dicke Claus; Gott straf mich, wenn ich fluche, aper wahr ist es doch. Zu verwundern giept es dapei freilich nicht viel, denn er ist ein Quitzow, aper wer so einen Pauch hat und so einen Elephanten zwischen den Peinen, wie der Schimmel ist, dem traut man so einen Streich pald gar nicht zu. Und der Palthasar, der ist erst recht ein Deiwelskerl mit seinem Glegi— oder Plegi— oder Flegiwitsch! Da stehen Einem ja alle Haare zu Perge, wenn man die beiden dürren Creaturen so auf der Straße dahindonnern hört! Wenn ihnen nur die paar Knochen peisammen pleipen, pis ich wieder pei ihnen pin! Und der Schwalpe, der ist der größte Deiwelskerl! Schleicht sich auf den Erdpoden hin, reißt den zwei Fuhrknechten die Leine aus den Händen und fährt davon, ohne mir vorher zu sagen, was er im Schilde führt! Und ich? Da stehe ich, und lasse mir die Pachstelzen vor der Nase wegfangen. Ich werde – – gut, da kommen Zwei, die hapen Pferde und ich hape keins!«

Es waren die ersten Flüchtlinge, welche, noch unverfolgt, im scharfen Trabe daherkamen und den Wachtmeister nicht bemerkten, welcher sich vorsichtig zur Erde gebückt hatte. Sobald sie ihn aber erreicht hatten, sprang er empor, riß den Einen von ihnen vom Pferde, saß im nächsten Augenblicke oben, zog seinen langen Degen aus der Scheide und gab damit dem Andern einen solchen Hieb über den Kopf, daß er lautlos vom Thiere glitt.

»So, jetzt hape ich einen Gregowitsch und auch eine Plegiwitsch – und prauche mich vor dem Steckelpein nicht mehr zu schämen! Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper der richtige Deiwelskerl, der allergrößte Deiwelskerl, das pin doch ich, der Wachtmeister Kaspar Liepenow!«

Kapitel 3: Im Zauberhause

Die vierundzwanzig Schlösser, welche sich in den Händen der Quitzow’s befunden hatten, waren gefallen; die kriegerischen Erfolge des Markgrafen Friedrich machten in der Mark ein ungeheures Aufsehen, und weithin durch Deutschlands Gauen verbreitete sich ihr Ruf.

Die Urtheile darüber waren sehr verschieden. Groß war die Berühmtheit der Quitzows gewesen, groß die Vorstellung von ihrer Macht, ihrer Tapferkeit und Klugheit; sie waren theils hierdurch, theils durch ihren großen Anhang und ihre weitgehenden Verbindungen die Wichtigsten des Landes gewesen. In der Mark hatte man nicht gewagt, ein Schwert gegen sie zu ziehen; sie hatten in Gemeinschaft mit den Pommern selbst über Friedrichs Heer triumphirt, und als es bekannt geworden war, daß sie an der Spitze einer ausgebreiteten Adelsverbindung standen, deren Mitglieder zwar meist unbekannt waren, aber um so kräftiger im Geheimen wirken konnten, so zitterten Friedrichs Freunde für ihn, und sahen mit nicht ganz ungerechtfertigtem Mißtrauen auf das gefährliche Wagestück, sie zu bekriegen, welches im Falle des Mißlingens ihm nur zu wahrscheinlich das Land kosten konnte, denn es fehlte ihm nicht an heimlichen Feinden, welche die Art, wie er regierte, mit großen Besorgnissen ansahen, und die sich, wenn er Unglück gehabt hätte, ohne allen Zweifel gegen ihn erklärt hätten.

Die mächtigste Familie des Landes, groß durch Güterbesitz, hohe Eigenschaften und allgemein anerkannten Ruf, hatte er wie durch Zauberei in wenig Wochen gestürzt; ihre Freunde wagten sich nicht zu regen, und seine Herrschaft schien auf die Dauer begründet zu sein. Ein allgemeines Erstaunen bemächtigte sich der Gemüther. Wo war die imposante, ihm weit überlegene Macht seiner Feinde so plötzlich geblieben? Ein furchtbares Geschick hatte sie betroffen, und die launenhafte Unbeständigkeit des Glückes, der schnelle Fall menschlicher Größe erregte in jeder Brust ein zaghaftes Bangen, wie es sich des Menschen bemächtigt, wenn er das von ihm Angestaunte, Bewunderte und vielleicht gar Beneidete sinken, zertrümmern und der Vernichtung anheimfallen sieht.

Das tiefste Mitgefühl ihrer Freunde begleitete der Quitzows tragischen Fall. Die Hoheit adeligen Sinnes, die Kraft des lebendigsten Freiheitsgefühles, der Zauber höchst bedeutender Macht und Größe, das Gewicht ungewöhnlicher Klugheit und eines hellen Verstandes, die Festigkeit ihrer Mauern, die enge Verbindung mit mächtigen und kampfgerüsteten Fürsten – nichts hatte ihnen dies Alles geholfen; erbarmungslos schritt das furchtbare Schicksal über ihren Häuptern dahin und trat sie schonungslos unter die Füße. Weinend sahen es die Freunde und fragten:

»Wie sollen wir widerstehen, wo auch die Stärksten fallen? Was haben die Marken von diesem Fremdlinge zu erwarten, wenn er das Größte und Beste in ihnen zertrümmert? Man hat ihn zu mächtig werden lassen; unsere Freunde hätten sich früher gegen ihn erheben sollen. Wer kann jetzt noch würdig und mit männlichem Muthe gegen ihn die Rechte des freien Mannes verfechten? Die Einzigen, die es vermocht, hat sein Arm ins Elend gestoßen, und hinfort ist der stärkste Mann nichts als sein untergebener Diener.«

Nur die Wenigen, welche über die Quitzows gleichgültig dachten, blieben auch gleichgültig bei dem Schicksale derselben. Anders aber sahen ihre Feinde die Sache an, selbst in dem Falle, daß sie Friedrich nicht wohl wollten. Sie sahen in dem Falle der mächtigen Partei die rächende Vergeltung für das ihnen wirklich oder vermeintlich wiederfahrene Unrecht; und eine Menge kleiner Seelen, die vorher nicht gewagt hatten, gegen die Quitzows den Mund aufzuthun, triumphirten und ergingen sich in tapferen Worten und Redensarten. Friedrich aber arbeitete, unbeirrt um den verbissenen Grimm der Feinde und die kriechenden Lobhudeleien sogenannter Freunde, mit Kraft und unausgesetzter Rüstigkeit an dem so glorreich begonnenen Werke weiter. Es war ihm die hohe und allerdings schwere Aufgabe geworden, den Marken eine rühmliche Zukunft zu geben; er hatte erkannt, welche Wege er zu wandeln habe und welche Mittel er anwenden müsse, um die Lösung dieser Aufgabe anzubahnen, und so griff er denn mit fester und sicherer, starker Hand hinein tief in das Geschick des ihm anvertrauten Landes, weder rechts noch links hörend, sondern einzig und allein nur den Stimmen seiner hohen Verpflichtungen folgend. – —

Wenn man von dem Dorfe Fischbeck aus gen Tangermünde über die Elbe setzte und von dem unten an dem Flusse gelegenen Theile der Stadt emporstieg nach der Straße, welche nach Stendal führt, so gewahrte man zur rechten Hand ein Mauerviereck, über welches zwischen einigen Baumwipfeln das Dach eines Hauses emporragte. Ein breiter Thorweg in der Mitte der Frontseite und neben demselben eine kleine, schmale Pforte führten durch die Mauer nach dem Hause, welches von den Bewohnern Tangermünde’s mit heiliger Scheu betrachtet und – womöglich gemieden wurde.

Hier wohnte und lebte Suteminn, der Ritter ohne Furcht und Tadel, in der Mitte der dienstbaren Geister,

welche er sich vermöge seiner Kunst und Wissenschaft unterthänig gemacht hatte. Der Wandersmann, der hier vorüberging, sah mit scheuem Blicke nach der Strohfirste des geheimnißvollen Hauses; die Frauen der Stadt machten lieber einen weiten Umweg, als daß sie sich in die Nähe desselben begeben hätten, und wenn gar der Abend nahte mit seinem gefahrvollen Dunkel, so war der Ort gemieden von Jedermann, und kein lebendes Wesen, welches nicht durch wichtige Gründe herbeigeführt wurde, klopfte an das alte, dunkle Thor. – Aber wenn irgend Jemand schwerkrank mit dem Tode rang, wenn irgend einer der umwohnenden Burgherren das Hab und Gut eines Bürgers mit dem seinigen verwechselt hatte oder auf sonst irgend eine Weise in der Noth eine Hilfe erforderlich war, die kein Anderer gewähren konnte, da schritt man nach dem »Zauberhause« und ward für die ausgestandene Angst vor dem überirdischen Insassen desselben gewöhnlich durch den gewünschten Erfolg belohnt.

Es war an einem späten Februarnachmittage, als die Schelle des Rathsdieners durch die Straßen erklang, um die ehrbaren Bürgersleute auf eine Kunde aufmerksam zu machen, welche die hohen Väter der Stadt ihren getreuen und lieben Kindern durch seinen Mund zugehen lassen wollten. Die Thüren und Fenster öffneten sich trotz der herrschenden grimmigen Kälte und ließen die Köpfe oder die vollständigen Gestalten der Hausbewohner hervor, denen die rathsherrliche Mittheilung galt. Und angenehm mußte dieselbe sein, wie aus der freudigen Wirkung zu erkennen war, welche sie auf die Hörer hervorbrachte, die eilig über die frostigen Gassen sprangen und sich zusammenrotteten, um das Ereigniß angelegentlichst zu besprechen.

Froh lächelnd über den Erfolg seiner Verkündigung, schritt der Diener empor zur Stendaler Straße, ließ auch hier seine Schelle ertönen und begann mit lauter, weithin schallender Stimme:

Se. Liebden, der hochehrwürdige Herr Bürgermeister sammt dem weisen Rathe unserer guten Stadt und Gemeinde Tangermünde, thun hiermit den ehr— und tugendsamen Bürgern, Hausfrauen, Söhnen und Töchtern nebst Ingesinde folgendes hochlöbliche, landesherrliche Mandat zur strengen Nachbeachtung kund und zu wissen:

Wir, Friedrich von Zollern, Markgraf von Brandenburg, Burggraf von Nürnberg, Bayreuth und Karlsberg, Herr von Hof, Wunsiedel, Ansbach u. s. w. haben den mannigfaltigen Schaden angesehen, der den Landen der Marken in vergangenen Zeiten zugefügt ist. Um ihm zu wehren, haben wir mit Rath und Wissen aller Herren, Mannen und Städte der beiden Marken, auch des Grafen von Ruppin und seiner Lande, sowie auch der Priegnitz, eine solche Einigung geboten und Satzung gemacht, als hiermit allen Bewohnern der gedachten Lande beigefügt wird. Es sollen Alle den Frieden in und außer Landes stets fest und unverbrüchlich halten. Wer jener Lande oder eines ihrer Bewohner Feind ist, dem sollen alle andere Herren, Mannen, Städte und Einwohner dieser Lande Feind sein, ihm feindlich nachstellen, ihn weder hausen, hegen, speisen und tränken, mit ihm keine Gemeinschaft, noch Verrichtung haben, weder heimlich noch offenbar. Alle Herren, Mannen und Städte sollen ihren Nachbaren alle bei ihnen angesessenen Räuber, Missethäter und Feinde des Ortes und des Landes namhaft machen und sie beschreiben, und zu wem solche Missethäter und Räuber kommen, der soll sie anhalten und Demjenigen, dessen Feinde sie sind, Anzeige davon machen. Der soll dann die Missethäter fordern, und der Herr, Mann oder die Stadt, wo dieselben ergriffen worden sind, sollen gehalten sein, ihm unverzüglich zu seinem Rechte zu verhelfen.

Keiner und Niemand soll Unsere oder des Landes Feinde in oder durch das Land geleiten und keinen Frieden mit ihnen machen, ohne unser Wissen und Vollwort. Wer von solchen Uebelthätern und Räubern erfährt, der soll sie ohne Verzug anzeigen, oder er werde, wenn sich sein Wissen darum ergiebt, ebenso gestraft wie sie. Auch soll Niemand Mordbrenner schützen oder ihnen Schutz gewähren. Wird ein Mann oder Ort mit Raub und Brand angegriffen, da soll man die Sturmglocken läuten und Lärmen machen lassen. Dann sollen Alle den Feind verfolgen, ihm nachstellen, ihn hindern und anhalten, seinen Schaden wieder gut zu machen. Ist ein Jemand nicht in handhafter, wahrer That ergriffen oder berüchtigt, den wollen Wir vor Uns kommen lassen und ihn darum zur Rede setzen; kann er sich dann rechtlich entschuldigen, so soll ihm das zu gute kommen, wo nicht, so soll er leiden, was sich gebühret. Auch soll Jeder seine Knechte anhalten, hiernach zu verfahren, und in allen diesen löblichen Dingen für sie stehen. Alle Herren, Mannen und Städte sollen ihre weltlichen Gerichte löblich bestellen, damit Jedermann schnell Recht erhalten könne, und es soll auch Niemand dem Andern in seine Gerichte eingreifen. Jeder aber, der gegen diese Befehle handeln wird, soll deshalb gestrafet werden, wie es sich von Rechts wegen gebühret.

Solches ist gegeben und befohlen zum allgemeinen Wohle Unsers Landes, damit ein Jeder wohnen könne in Fried und Eintracht unter den Seinen und sich freue der redlichen Arbeit seiner Hände! – —

Hier draußen vor der Stadt hatte diese Verkündigung keinen, wenigstens keinen bemerkbaren Zuhörer gefunden, und der Diener wandte sich langsam zur Stadt zurück, in welcher Freude und Jubel herrschte über diesen kraftvollen Griff der markgräflichen Faust in die schädlichen Wirren des Faustrechtes. Mit dieser Verordnung war eine Drohung ausgesprochen worden gegen die beutesüchtige Ritterschaft, die es sich zur Hauptaufgabe gestellt hatte, den friedfertigen Bürger und Handelsmann seines Eigenthums und rechtmäßigen Gewinnes zu berauben, und in ihr lag der Anbruch einer geordneten Zeit garantirt, wie sie von den bisher Schutzlosen längst schon ersehnt worden war.

Darum ging es heut, und besonders am Abende, gar laut und fröhlich in den Schankstätten und Herbergen der Stadt Tangermünde her und das Lob des Herrn Friedrich von Zollern ward verkündigt von Haus zu Haus, von Stube zu Stube. Tiefe Ruhe dagegen herrschte in dem mauerumschlossenen Hause an der Stendaler Straße, und von seinen Bewohnern war kein hörbares Lebenszeichen zu bemerken.

Nur aus der Esse stieg zuweilen ein rothglühender Schwalch, durch welchen hellleuchtende Funken gleich feurigen Käfern schossen, oder es hob sich in kerzengrader Richtung eine schwarze, dichte Rauchsäule empor, welche sich oben ausbreitete, um dann schwer und langsam auf die Umgebung herab zu fallen. »Im Zauberhause wird der Höllenzwang gesprochen,« sagten die Leute, welche es bemerkten, bekreuzigten sich und beteten eine Ave Maria.

In dem vordern Wohnraum des Hauses saßen drei Personen, welche wohl geeignet waren, einen ungewöhnlichen Eindruck auf den Beschauer hervorzubringen. Es waren dies ein Jüngling und zwei Frauen. Der Erstere saß an dem mit einer starken Eichenholzplatte versehenen Tische und seine hohe, kraftvolle Gestalt war über ein dickes Buch gebeugt, welches die Inschrift führte: »Kreutterbuch deß Hochgelahrten und Weitberühmten Herrn Doctor Petri Andrae Matthioli. Jetzt wiederumb mit vielen schönen newen Figuren, auch nützlichen Artzneyen und anderen guten Stücken zum dritten mal auß sondern Fleiß gemehret und verfertigt durch Joachimum Camerarium, der löblichen Reichsstadt Nürnberg Medicum Doctor. Sampt wohlgeordnetem genugsamem Bericht von den Destillir und Brennöfen.« Er schien seine Aufmerksamkeit ungetheilt auf den Inhalt dieses Buches zu verwenden, denn es lag eine sehr sichtbare Spannung in seinen männlich schönen Zügen, und nur selten warf sein ernstes Auge einen Blick auf die beiden weiblichen Gestalten, welche mit ihm den niedrigen Raum belebten. Die Eine von ihnen war eine Jungfrau fast in demselben Alter wie er und ebenso wie er durch Schönheit und Adel ausgezeichnet, welcher sich ihrem lieblichen Angesichte sehr leicht erkennbar aufprägte; die Andere aber, vom Alter krumm und gebückt, trug eine seltene Häßlichkeit zur Schau, und ihre Gesichtsbildung war ganz eine solche, mit welcher der Aberglaube seine Hexen auszustatten pflegt.

Die Frauen spannen und der Jüngling las, und keins von ihnen versuchte, die dabei herrschende Stille durch ein Wort, eine laute Bemerkung zu unterbrechen, bis draußen vom Thore her ein lautes Klopfen ertönte. Ueberrascht horchten alle Drei empor, und die Jungfrau sprach mit einer tiefen, klangvollen Altstimme:

»Wer mag es sein, der in so später Abendstunde sich an unser verrufenes Haus wagt? Detlev, willst Du vielleicht nachschauen?«

Der Angerufene erhob sich.

»Doch vielleicht ein Hilfesuchender, den die Noth zwingt, seine Scheu vor dem »Zauberhause« zu überwinden,« meinte er.

»Halt!« fiel die Alte ein; »bleibt hier, junger Herr. In einem verzauberten Hause muß die Hexe das Thor bewachen, und mein Gesicht paßt besser hinaus, als das Eurige!«

Sie legte die tanzende Spindel zur Ruhe, schob den Jüngling zur Seite und trat hinaus in den Hof. Sie war nicht das einzige Wesen, welches durch das Pochen an das Thor gerufen worden war, sondern an demselben wurde sie von noch zweien mit laut jubelnden Tönen empfangen, die einen Andern zur sofortigen Flucht bewogen hätten: es war ein riesiger Fanghund mit wahrhaft bärenmäßigen Gliedern und ein Leopard, welcher unter unbeschreiblichen Tönen seine elastisch kraftvolle Gestalt schmeichelnd an die Herrin schmiegte. Diese trat zu einem kleinen Gucklocke, durch welches man, ohne selbst bemerkt zu werden, einen forschenden Blick auf jeden Einlaßbegehrenden zu werfen vermochte, und erkannte zwei Männer,

von denen der Eine wartend am Thore stand, während der Andere einige Schritte zurück bei den Pferden hielt.

»Wer seid Ihr, und was ist Euer Begehr zu dieser späten Stunde?« frug sie mit einer Stimme, deren schriller Ton ganz zu dem Ausdrucke ihres Gesichtes paßte.

»Wohnt Herr Suteminn in diesem Hause?« gegenfragte kurz und befehlend der Angeredete.

»Ja. Was wollt Ihr von ihm?«

»Ist er daheim oder nicht?«

»Er ist daheim. Aber hört Ihr es denn nicht, daß ich wissen will, was Ihr von ihm begehrt?«

»Oeffne die Thür; ich habe mit ihm zu reden!«

»Dieses Haus steht nicht für Jeden offen. Sagt, wer Ihr seid und was Ihr wollt; ich darf nicht um jedes Fremden willen den Herrn bei seinen Büchern stören.«

»So geh’ und sag’, Herr Friedrich schicke mich!«

So dunkel und ungenügend der Alten diese Worte erschienen, sie waren in einem Tone gesprochen, welcher sie veranlaßte, von weiteren Fragen abzusehen, und ihre sich entfernenden Schritte bewiesen, daß sie der erhaltenen Weisung Folge leiste. Auch währte es nur eine kurze Zeit, so erschien sie wieder, aber nicht in dem breiten Hauptthore, sondern an dem kleinen Nebenpförtchen, welches sich, nachdem die Riegel zurückgeschoben waren, kreischend in den Angeln drehte.

»Tretet ein! ich werde Euch führen!«

Er mußte sich bücken, um in den Hof zu gelangen, und wäre bei dem Anblicke der beiden Thiere, welche an den Seiten der Frau standen, fast wieder zurückgetreten, wenn ihn nicht die friedliche Haltung derselben und sein persönlicher Muth daran verhindert hätten. Der Weg führte durch das Wohnzimmer. Als der Fremdling dieses betrat und die beiden jungen Leute erblickte, hemmte er erstaunt seine Schritte; er schien Wesen von ihrer Art gar nicht in diesem Hause vermuthet zu haben; aber schon hatte die Alte die in das Nebengemach führende Thür geöffnet und winkte ihm, einzutreten.

Es war nur ein kleiner Raum, in dessen hinterstem Winkel sich ein breiter Heerd befand, über welchem die trichterförmige Oeffnung des Schornsteins gähnte. In einem über dem Feuer angebrachten Kessel brodelte eine Flüssigkeit, welche ein kräftiges, kräuterhaftes Aroma verbreitete; die Wände waren mit Flaschen, Gläsern, Tiegeln und allerlei für den Laien räthselhaften Gefäßen und Gegenständen bedeckt, und aus dem bis zur Decke reichenden Büchergestell sah eine für die damalige Zeit ganz bedeutende Anzahl Hefte, Rollen und Folianten auf den Besucher herab.

Der Inhaber dieses Gemaches hatte am Tische gesessen und ein vor seinem Sessel aufgeschlagenes Buch zeigte, in welcher Beschäftigung er unterbrochen worden war. Jetzt aber stand er vor seinem Besuche, und es war in diesem Augenblicke selbst für Denjenigen, welcher die Beiden nicht gekannt hätte, zu bemerken, daß sich hier zwei nicht ganz gewöhnliche Leute einander gegenüber befanden. Die hochaufgerichtete, reckenhafte Gestalt des Hausherrn zeugte von einer Fülle physischer Kraft, wie sie nur Wenigen gegeben ist, während seine Umgebung ebenso wie der Ausdruck seiner Züge bewies, daß er auch in geistiger Beziehung von der Natur nicht vernachlässigt sei; feiner dagegen, wenn auch lang und kräftig, war die Figur des Andern, und in dem edelgeschnittenen Gesichte lag ein Etwas, welches auf ein geübtes Denk— und Urtheilsvermögen schließen ließ.

»Ihr seid von dem Herrn Markgrafen abgesandt, wie Ihr mir sagen ließet?« frug Suteminn, das Gespräch beginnend.

»So ist es, und da Ihr mich sonder Zweifel noch nicht gesehen habt, so erlaubt, daß ich Euch meinen Namen nenne! Er heißt: Henning von Bismarck.«