Kuckucksjunge

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Kuckucksjunge
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Jens van Nimwegen

Kuckucksjunge

Roman

Nimwegen 2013

© Jens van Nimwegen, Nijmegen 2013

ISBN 978-3-7375-7766-3

manimal.eu/kuckuck

Erste Auflages

Von Jens van Nimwegen sind folgende Romane erhältlich:

Die Abrichtung, Männerschwarm Verlag (2012)

Manimals (2012)

Ein Entwicklungsroman

Wie sich Jens, Rotz, Drexau, Porco, Ratte, das Ferkel und Phallc kennenlernten und ihren Weg im Leben fanden.

Ratte, Rotz und Radu (2012)

Ein Kriminalroman

Drei Freunde und zwei oder drei Morde

Die artgerechte Haltung des Homo manimalis (2012)

Eine philosophische Lehrerzählung in Form eines Zukunftsromans

Zwei Freunde im dreigeteilten Deutschland 2034

Zwillingsforschung (2013)

Wie der Wurf einer Münze alles verändert

Kuckucksjunge (2013)

Wie Personenschützer Eric einen neuen Auftrag erhält

Mehr über diese Bücher auf: manimal.eu

„Ob er ne schwule Sau wird, ist mir scheiß-egal, aber mein Sohn muss weg von den Drogen, darf die Schule nicht hinschmeißen und muss danach studieren oder was Vernünftiges lernen. Eh, bitte entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise. Sie merken, wie ich mir Sorgen mache.“

„Und was habe ich damit zu tun?“

„Noch nichts. Aber Sie werden dafür sorgen. Und zwar ab heute. Jeder verlorene Tag macht es schlimmer.“

„Ich bin Personenschützer des Inhabers vom Thier-Konzern, wie Sie wissen, kein Sozialarbeiter. Und ich behalte meine Stelle, mit der ich sehr zufrieden bin. Lassen Sie sich vom Jugendamt beraten!“

„Der braucht keinen Sozialarbeiter. Ich weiß genau, wer Sie sind und wie Sie leben. Nur ein Mann wie Sie kann diesen Jungen noch retten, zusammen mit Ihrem, eh, Knecht. Und natürlich geben Sie ihre Stelle bei Herrn Thier nicht auf, der braucht Sie auch. Ich koche uns jetzt erst einmal Tee, und dann reden wir weiter.“

Am Telefon hatte er sich nur als „Rüdenstein, Wilmersdorf“ vorgestellt, gesagt, dass er meinen ehemaligen Ausbilder kennt und mich deshalb sprechen will. Wenn es ginge, sofort. Und jetzt sitzen wir also in dieser Dreizimmerwohnung, während der Hausherr in der Küche herumwirtschaftet. Von der Wand schauen uns zwei Porträts vom Trödelmarkt streng an. Siebzehntes Jahrhundert, der Kleidung nach. Auch sonst steht hier allerlei alter Plunder herum. Nichts deutet auf eine Hausfrau hin.

Ich habe von meinen Chefs gelernt, dass man erst einmal gut zuhört, bevor man eine Bitte oder ein Angebot ablehnt, und als sich herausstellt, dass der Mann vernünftig Tee kochen kann, offenbar ein Darjeeling Second Flush, und auch Milch dazu reicht, habe ich es nicht so eilig, weg zu kommen. Was auch hilft, ist, dass er auf meine Fragen offen und klar eingeht und nicht darumherumredet.

Er wohnt hier seit dem Tod der Mutter allein mit seinem Sohn, der in ein paar Monaten volljährig wird und aufs Gymnasium geht. Beziehungsweise wohnte und ging, denn der Junge ist seit einigen Wochen weg und wurde auch auf der Schule nicht mehr gesehen. Er hängt mit Punkern auf dem Alexanderplatz und sonstwo rum und kifft, wenn nicht Schlimmeres. Wie der Vater das wissen kann?

„Wenn mein Sohn noch nicht einmal ein Passwort auf seinem Computer hat, muss er damit rechnen, dass sein Vater dort nachsieht, wenn er tagelang verschollen ist. Und dann bin ich selbst mal am Alex schauen gegangen. Von Weitem. Ich glaube nicht, dass er mich bemerkt hat. Das wäre mir aber auch egal. Ich glaube, er weiß, dass ich ihm nie eine öffentliche Szene machen würde.“

Der Junge war auf dem Gymnasium immer gut, hat regelmäßig Sport getrieben und ist zum Cellounterricht gegangen, hat erstaunlich wenig Zeit am Computer zugebracht, aber in letzter Zeit ging die Schule ihm auf die Nerven. Dann hat er wohl diese Punker kennengelernt, blieb immer länger weg, und dann kam er gar nicht mehr nach Hause. Er interessiert sich wohl mehr für Männer als für Frauen, aber darüber war kein sinniges Gespräch zwischen Vater und Sohn möglich. Weil seit längerem sowieso kein sinniges Gespräch mehr möglich war, nicht etwa weil der Vater da Vorbehalte gehabt hätte. Richtig gute Freunde hatte er die letzten Jahre aber wohl nicht gehabt, jedenfalls bekam er nie Besuch und erzählte nie von einem Freund. Anscheinend hat er nun Kumpels gefunden, bei denen er sich wohlfühlt. Hier in Wilmersdorf gibt es solche gegen den Strich gebürsteten Jugendlichen nicht, jedenfalls sind sie dem Vater noch nie aufgefallen.

„Soll er nur! Aber er darf seine Ausbildung nicht abbrechen und kein Junkie werden.“

Der Vater kennt sehr wohl den Unterschied zwischen Haschisch und Heroin, aber er traut diesen Kumpels und dieser ganzen Szene nicht. Und weil er zu seinem Sohn nicht mehr durchdringt, hat er sich umgehört und ist auf uns gestoßen.

„Oh, die Teekanne ist leer. Herr Berkhout, wenn Ihr Knecht neuen Tee kocht, können wir ohne Unterbrechung weiterreden. Er wird sich doch in Küchen zurechtfinden?!“

„Tim! Koch Tee!“

„Angenehm, so ein Knecht. Ja, ich weiß Bescheid. Er ist Ihnen hörig, ist ebenfalls Personenschützer, und Sie beide sind gleich tätowiert, aber spiegelbildlich. Das weiß ich von seinem Ausbilder, der ja auch mal der Ihre war. Daher weiß ich auch von Ihrer Loyalität.“

„Und warum sollen ausgerechnet wir Ihren Sohn retten? Wenn da überhaupt etwas zu retten ist?“

„Erstens sind Sie beide genau der Typ Mann, für den er sich interessiert. In seinem Zimmer hängen ja Bilder, und auf seinem Computer stehen noch mehr. Zweitens weiß ich, dass Sie so eine Aufgabe gern auf sich nehmen. Und man sieht ja, welche Erziehungserfolge Sie schon aufzuweisen haben.“

Das Letzte sagt er mit einem Seitenblick auf Tim, der mit der Teekanne zurückkommt. Es stimmt, Tim hat viel gelernt und sich sehr verändert, seit er mir dienen muss. Äußerlich sind wir uns immer ähnlicher geworden, obwohl er viel älter ist, aber er muss nun einmal bedingungslos gehorchen und weiß, dass er die Peitsche fühlen wird, wenn er unaufmerksam oder nachlässig ist. Was aber nur selten vorkommt.

Ich will durchaus keine solche Aufgabe auf mich nehmen, aber er fährt fort: „Drittens haben Sie beide, wie man weiß, keine Berührungsangst mit den Kreisen, in denen er jetzt verkehrt. Und, nicht zu vergessen, Sie können mit der Peitsche umgehen. Die braucht er vielleicht. – Sie sehen, ich weiß genug über Ihre Qualitäten, und Sie werden so eine Aufgabe nicht ablehnen können.“

„Und Sie wissen, dass ich mit meinem Beruf und meinem Leibknecht ausgelastet bin. Und Auspeitschen von Minderjährigen gibt mir keinen Kick. Und überhaupt, wie wollen Sie mich bezahlen? Stundenweise mit Spesen? Oder eine Summe im Erfolgsfalle? Rein theoretisch, meine ich, denn ich bin ja nicht interessiert. Und bezahlen Sie dann für seine Kleidung und Essen? Wir würden ja wohl kaum alle hier wohnen können. Also, wie gesagt, rein theoretisch.“

„Herr Berkhout, ich würde gar nichts bezahlen. Holen Sie sich das nötige Geld, auch Ihr Honorar, von meinem Sohn!“

„Hat der denn Geld?“

„Nein, hat er nicht. Lassen Sie ihn arbeiten. Schicken Sie ihn meinetwegen auf den Strich! Sie wissen zweifellos, wie man das macht, ohne Krankheiten zu bekommen.“

Donnerwetter! Vorurteile hat der ja nicht. Der Mann beginnt mich zu interessieren.

„Ich dachte, Sie wollten nur das Beste für Ihren Sohn.“

„Will ich auch. Und Sie auch. Sie können gar nicht anders, so wie Sie veranlagt sind. Deshalb wird er weiter lernen, gesund bleiben und ehrlich bleiben. Und solange er ehrlich bleibt, ist mir egal, wie er Ihr Geld verdient. Eines weiß ich: Wenn er etwas macht, macht er es gut. Und Sie, Herr Berkhout, werden ihn auch nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen lassen. Noch ist er minderjährig. Damit wissen Sie umzugehen, da bin ich sicher.“

„Haben Sie ein Bild von ihm?“

„Hier.“

Mir verschlägt es die Sprache. Ein junger Gott – dieser Kitschausdruck kommt mir doch als erstes in den Sinn. Schulterlange blonde Haare, ein Engelgesicht, aber nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick, wenn man ihm in die Augen schaut, sieht man Tiefe, Melancholie und eine gewisse Verruchtheit. Das ist kein platter, verzogener Schüler. Das ist ein junger Mann, dem man nicht leicht etwas vormachen kann. Dieses Foto brauche ich mir nicht auszubitten. Das Gesicht vergesse ich nie.

„Sie haben mich! Bekomme ich freie Hand?“

„War das denn noch nicht deutlich? Sie bekommen freie Hand. Irgendwann wird er mir und Ihnen dankbar sein.“

„Wie heißt er eigentlich?“

„Alexander Ludwig Wilhelm Graf von Rüdenstein.“

Das Zeug hier ist nicht vom Trödelmarkt! Das sind alles Familienstücke. Der Engel ist kein Engel, sondern ein Prinz. Wahrscheinlich hat er irgendwo auch ein weißes Pferd. Obwohl ihm ein Rappe auch gut stehen würde.

Ein professioneller Personenschützer darf sich durch nichts überraschen lassen, aber ich bin schon wieder überrumpelt und gebe mich Tagträumen hin. Tim stößt mich diskret an.

„Tim, was willst du sagen?“

„Graf, da haben wir doch das Problem. Ein Junge mit so einem Namen“ – er weist mit den Augen auf die Ahnenporträts – „der auch noch introvertiert und hoch begabt ist, auch musisch, und der nicht über Frauen mitquatscht, der muss es doch auf einer Berliner Schule entsetzlich schwer haben. Kein Wunder, dass er sich Leute sucht, die ihn einfach so nehmen, wie er ist, und keine Vorurteile haben.“

„Da hat er Recht. Alexander hasst seinen Familiennamen, und er verachtet den Lehrer, der darauf Anspielungen macht. Ich dachte, Anspielungen auf Namen seien so ungefähr das Niedrigste, was es gibt. Gewisse Studienräte denken darüber offenbar anders.“

 

„Wie heißt dieser Lehrer denn selbst?“

„Dr. Platt, aber da kann er ja nichts für.“ Tim gluckst.

„Graf, schreiben Sie mir eine Vollmacht und unterrichten Sie den Direktor, dass ich in Ihrem Namen mit der Schule rede, wenn da etwas zu reden ist? Ich will mich nicht über Dr. Platt beschweren, ich meine ganz allgemein, Entschuldigungen, Sprechstunden und so. Nur für den Fall, dass. Dann können Sie sich ganz raushalten.“

„Selbstverständlich. Ich werde auch den Cellolehrer entsprechend unterrichten. Heute Abend noch erhalten Sie per Mail alle Kontaktadressen.“

„Ich werde Sie nicht auf dem Laufenden halten. Ich will auch sein Zimmer und seinen Computer nicht sehen. Es geht schließlich nicht um Schnüffelei und nicht um Aufklärung eines Verbrechens.“

„Selbstverständlich. Ich will gar nicht wissen, wann sie ihm die Peitsche geben oder welche Methoden sie noch anwenden. Ich fände es aber nett, wenn er mir gelegentlich selbst sagen würde, dass er das Abitur bestanden hat. Ansonsten werde ich mich nicht einmischen und schon gar nicht hinterherspionieren. Natürlich bin ich immer für Alexander da, aber dann muss er selbst kommen.“

„Sie sind ein sehr ungewöhnlicher Vater.“

„Wir hatten immer schon Hauslehrer. Sehr strenge Hauslehrer. Ich war der erste, der keinen hatte, wegen der Umstände. Ich will die Familientradition aber weiterführen.“

„Graf, Sie können sich auf uns verlassen. Dass Sie unorthodoxe Erziehungsmethoden nicht abweisen, haben Sie deutlich gemacht. Aber was, wenn Alexander Sie bittet, mich zu entlassen? Wenn er wieder zu Ihnen zurück will?“

„Herr Berkhout, ich habe Sie mit Resultatverpflichtung engagiert. Solange das Resultat nicht erreicht ist, gehört er Ihnen, mit Leib und Seele, hätte ich fast gesagt. Übrigens, wenn Sie ihn nicht auf den Strich schicken wollen, lassen Sie ihn als Cellisten auftreten. Er ist wirklich gut.“

„Oder beides?“

„Oder beides.“

Auf dem Weg zum Alexanderplatz kann Tim sich nicht halten: „Herr, welch ein Gesicht! Und der Blick! Jugendliche haben mich nie interessiert, aber bei diesem wird mir ganz anders. Da kann man ja pädophil werden.“

„Tim, red keinen Unsinn! Der junge Mann ist so gut wie volljährig. Nur noch ein paar Monate. Aber, Tim, auch bei mir kribbelt es. Ich will diesen Auftrag.“

Tim ist in seinem Element. Bevor er mein Knecht wurde, hatte er ja zusammen mit seinem Bruder einen großen Konzern geleitet. Was er kann, ist auch hier nötig. Er zählt es auf: Analyse, Strategie, Werbung, Recht.

„Werbung?“

„Ja, Herr. Ohne Verführung geht das doch nicht, bei der hiesigen Rechtslage. Wir müssen also, erstens, seine Aufmerksamkeit erregen, damit er uns überhaupt wahrnimmt, zweitens seine Aufmerksamkeit festhalten, damit er zuhört und mitdenkt, also ihn neugierig machen. Und drittens so gut kommunizieren, dass er zu einem Vertrag bereit ist. Aber erst einmal die Rechtslage.“

Tim liest auf dem iPhone im Strafgesetzbuch. Er fasst zusammen: auf den Strich schicken oder Sexualpartner vermitteln ist ausgeschlossen, solange er mein minderjähriger Schutzbefohlener ist. Aus eigenem Antrieb darf er dagegen machen, was er will.

Auspeitschen ist nur möglich, wenn er einstimmt, und sowieso nur solange der Vater zu seinem Wort steht. Was er ja wohl tut. Anketten oder Einsperren ist ohne Einwilligung eine Grauzone, solange er minderjährig ist.

„Kurz und gut, gegen seinen Willen können wir nichts mit ihm machen.“

„Es sei denn, Herr, das er es im Nachhinein gut findet. Vielleicht kann man manchmal das Risiko nehmen. Darum Verführung in drei Stufen.“

„Und zu was genau wollen wir ihn verführen?“

„Dass er einen Ausbildungsvertrag mit Ihnen unterschreibt. Und dazu steht. Das Unterschreiben ist nur für Juristen, für den Fall, dass etwas schiefgeht. Er muss es vor allem selbst wollen. Wir müssen herausbekommen, ob in seiner Familie ein Ehrenwort etwas bedeutet.“

Es ist schön, wenn man einen Leibknecht hat, der nicht nur hingebungsvoll dient, sondern auch mitdenkt und intelligent ist.

Ich denke nach und sage: „Er muss sich also freiwillig und unwiderruflich zu absolutem Gehorsam bekennen. Zu einem Leben mit klaren, strengen Regeln. Und dazu, dass Fehler bestraft werden.“

„Ja, Herr. Bis das Ziel erreicht ist: dass er die Schule nicht hinschmeißt und auch danach etwas lernt. Es wäre gut, wenn er auch das Cello nicht vernachlässigt. Ansonsten ist es dem Grafen ja wohl egal, was aus ihm wird. Wenn er nur gesund und ehrlich bleibt.“

„Ja, Tim, aber es gibt noch ein Ziel: er muss ab sofort für seinen Unterhalt sorgen. Ich habe ja kaum Geld. Wenn er bei uns wohnt, können wir ihn mit durchfüttern. Wenn. Aber seine Kleider muss er schon selbst bezahlen.“

„Herr, so ein schöner Knabe braucht eigentlich keine Kleider.“

„Tim, wir kennen nur ein Foto von seinem Gesicht. Er hat bestimmt einen Buckel und ist mager.“

Die Punker erkennen uns nicht gleich. Ich trage ja meinen dunklen Anzug und Tim seine SECURITY-Uniform. Sie müssen erst genauer hinschauen. Einer macht Tims Jacke auf, wirft einen Kennerblick auf sein tätowierte Schlange und sagt: „Stimmt. Krass, ey! Wat issn mit euch los?“ Ich erkläre, dass wir manchmal arbeiten müssen. Als Personenschützer.

Seit wir ab und zu hier herkommen und ich einen Kasten Bier ausgebe, wenn sie bei Tims Erniedrigungstraining helfen, sind sie zutraulich geworden. Dass ein für ihre Begriffe alter Mann alles machen muss, was sein jüngerer Herr verlangt und dass er darauf geilt, wenn sie alle auf seine Jeans abrotzen, die davon immer steifer wird – das ist selbst für ihre Gewohnheiten krass. Sie bewundern aber wohl auch, wie wir leben.

Unsere Zielperson ist nirgendwo zu sehen. Sie kennen auch keinen Alexander. Alex am Alex, wäre ja auch albern. Ich beschreibe ihn. Langes, blondes Haar, jedenfalls als er neulich noch zu Hause war.

„Ach der Rüde? Der liegt wieder mal bekifft zu Hause. Der kann ja nicht maßhalten, seit er aus seinem Wilmersdorf weg ist.“

„Ich habe eine Überraschung für ihn. Bringt ihn morgen mit. Egal wie. Ich gebe dann einen Kasten Bier aus und der Rüde bestimmt auch.

„Sie wollen Ihn doch nicht zu seinem Vater zurückbringen?“

„Nein. Ehrenwort!“

„Tim, morgen habe ich frei, und wir können seine Aufmerksamkeit erregen und festhalten. Jedenfalls wenn die ihn bringen oder wir ihn finden. Aber übermorgen muss ich ja wieder arbeiten. Wenn er dann wegläuft? Und diese Kifferei macht mir auch Sorgen. Nicht, dass er kifft, sondern dass er so zugekifft ist, dass es sogar seinen Kumpels zu viel ist.“

„Herr, ich kann ja dran bleiben, wie die im Tatort immer sagen.“

Erst nach einigen Minuten begreife ich, was er da gesagt hat.

„Tim, genial!! Du bleibst einfach dran. Dann kann nichts schiefgehen, bis ich wieder dabei bin.“

Tim schaut mich verwirrt an. Er hat seine eigenen Worte selbst noch nicht verstanden.

Am nächsten Tag tragen wir wieder unsere Stiefel, Jeans und Lederjacken, sonst nichts, so, wie wir uns am wohlsten fühlen. Die haben ihn mitgebracht. Er steht taumelnd abseits, die Kapuze vom Sweatshirt über den Kopf gezogen. Man muss genau hinsehen, um den Jungen vom Foto zu erkennen. Seine Augen sind jetzt glasig, die Haare fettig

„Jedenfalls hat er keinen Buckel, Herr.“

„Ja, aber wer so dasteht ist bestimmt ungesund abgemagert und hat überall Ekzeme. Mach dir keine falschen Hoffnungen! Man ist besser aufs Schlimmste vorbereitet.“

Erstmal geht es so wie immer. Ich sitze auf der Bank bei der Marienkirche, Tim liegt neben mir, seinen Kopf in meinem Schoß, ich knete seine Weichteile, die auch diesmal nur teilweise weich sind. Die Punker, die sich trauen, stehen um uns herum und spritzen auf seine Spermajeans ab. Tim Thier, den mit einem Münzwurf verlosten Bruder des Eigentümers und Leiters von Thiers, erregt das noch immer. Er fühlt dann, wie tief er gesunken ist, und dass es für ihn keine Würde und keine Scham mehr gibt. Er fühlt, dass er frei ist wie ein Tier ohne H.

Die Zielperson schaut sich taumelnd alles an.

Ich hole das Geld raus für einen Kasten Bier. Nein, sie wollen zwei Kasten haben, einen wie immer für das Abrotzen und einen, weil sie den Rüden gebracht haben. It‘s a deal. Und dann soll der Rüde ja auch noch einen bezahlen, oder ob ich da etwas gelogen hätte. Nein, aber dann muss der Rüde erst mal hier auf den Bank sitzen. Sie schieben ihn her und er sackt neben mich.

Und dann geht es ganz schnell. Die Handschellen hatte ich schon in der Hand. Klick! Die linke Hand vom Rüden. Klick! Die rechte meines Leibeigenen.

„Tim, du bleibst dran.“

Verwirrung, Aufruhr. Manche lachen den Rüden und Tim aus, manche sind misstrauisch. Wir wollen ihn doch nicht entführen? Nein, erkläre ich, sie dürfen ihn gerne wieder mitnehmen. Und er selbst darf hingehen wohin er will. Aber Tim bleibt dran. Erst einmal. Mindestens bis übermorgen. Und erst mal bleiben wir hier, bis der Rüde wieder einigermaßen bei Sinnen ist.

Ich zeige ihnen noch, wie ich die Handschellen so arretiere, dass sie ihm nichts abklemmen können. Das habe ich ja gelernt. Die kann man tagelang so tragen.

Angst scheint er nicht zu haben. Vielleicht kommt das noch.

Die sehen ein, dass er zu bekifft ist, um den versprochenen Kasten Bier auszugeben und verlangen, dass ich das Geld vorstrecke. Meinetwegen. Also wird noch ein Kasten geholt. Meinen linken Arm lege ich um den Rüden, meine rechten um Tim, der sich aufgesetzt hat. Die Hände mit den Handschellen liegen in meinem Schoß.

„Wer seid ihr? Was ist hier eigentlich los?“

„Ich bin Eric. Das ist Tim; der bleibt erst mal an dir dran. Aber dir wird nichts geschehen. Du darfst ihn auch gerne benutzen.“

„Benutzen?“

„Tim ist mein Knecht. Er passt auf dich auf. Und ich stelle ihn dir zur Verfügung. Vielleicht findest du ihn alt, aber ich kenne wenige, die so hingebungsvoll saugen und Eier lecken.“

„Was?? Spinnen Sie? Oder ist was mit meinem Gehirn? Kneifen Sie mich mal!“

„Gut, dass du Sie sagst. Das halten wir erst mal so. Soll ich Alex sagen oder Rüde? Oder noch was anderes? Wie fühlst du dich am wohlsten?“

„Woher wissen Sie meinen Vornamen? Die hier kennen mich nur als den Rüden. Was ist hier los?“

„Wenn du volljährig wärst, würde ich dir jetzt die Eier kneten zur Entspannung. Du hast ja gesehen, wie ich das bei Tim gemacht habe. Ist aber leider strafbar, und ich mache nichts Illegales. Ich würde Tim auch befehlen, dich abzusaugen. Damit du seine Qualitäten kennenlernst. Wenn du ihn gut benutzt, kann das sehr schön sein. Aber wir machen uns strafbar, wenn die Initiative nicht ganz deutlich von dir ausgeht.“

Es ist lange still.

„Eric, kneten Sie mir die Eier!“

Während ich das tue, bleibt er wieder still, abgesehen vom Stöhnen. Er entspannt sich immer mehr. Ich ziehe ihm die Kapuze vom Kopf und schaue ihm ins Gesicht. Ich muss lächeln, weil er so schön ist, trotz der fettigen Haare und Ringe unter den Augen.

„Tim muss dir mal die Haare waschen und die Kopfhaut massieren. Auch das kann er gut.“

Er lächelt jetzt auch. Wir schauen uns lange in die Augen.

„Eric, Sie sind nicht böse. Aber was wollen Sie? Was soll das?“

„Frag nicht. Tim bleibt an dir dran, du darfst ihn benutzen, du darfst wieder zu deinen Kumpels, weiterkiffen. Oder du gehst mit uns. Du kannst jederzeit weg, wenn es dir nicht gefällt.“

„Aber Tim bleibt an mir dran?“ Bei den Worten beginnt er zu lachen. Ich glaube, wir haben ihn.

„Tim bleibt an dir dran. Aber du bist ja wohl schulpflichtig. Da muss ich mir noch was einfallen lassen.“

„Die Schule kann mir gestohlen bleiben. Dahin gehe ich nicht zurück. Und bald bin ich achtzehn, dann ist es sowieso vorbei.“

Wieder ist es lange still. Aber er strahlt mich immer mehr an, und er genießt ohne jeden Zweifel meine linke Hand zwischen seinen Beinen.“

„Ich glaube, ich mag Sie. Kann ich wirklich jederzeit weg? Jaja, Tim bleibt erst mal dran, das habe ich begriffen.“

„Ja.“

„Meine Kumpels sind ja ganz nett. Aber manchmal sind die etwas langweilig. Sind Sie auch langweilig?“

„Wir wohnen weit außerhalb, ziemlich einsam. Ich arbeite jeden zweiten Werktag und jedes zweite Wochenende als Personenschützer und Chauffeur, in dunklem Anzug, du hast solche Männer sicher schon gesehen.“

 

„Die mit der Spirale vom Ohr bis in den Hemdkragen? Geil! Aber die haben keinen Punkstreifen auf dem Kopf.“

Das Bürschchen wird zutraulich und hat offenbar einen wachen Blick.

„Im Kanzleramt ist einer, der hat auch so einen Streifen, aber er traut sich nicht, die Kopfhaut daneben ganz kahl zu rasieren. Da hat er Stoppeln. Oder er würde sich trauen, aber darf es nicht.“

„Klar. Würde des Hauses und so. Wenn ich Sie so sehe, tut der mir fast leid. Im Anzug stelle ich Sie mir geil vor. Und Tim, der darf mich wirklich überall lecken und so? Das hat noch niemand gemacht.“

„Wenn die Initiative von dir ausgeht, denn Tim ist über einundzwanzig. Gesetz.“

„Dass er über einundzwanzig ist, sieht man. Aber ich glaube, ich probier das mal. Der beißt doch nicht?“

„Haha! Rüden beißen zurück, habe ich immer gedacht. Aber keine Angst, er beißt nicht. Ich verspreche, dass du keinen Schaden nehmen wirst. Du sollst gesund bleiben. Hat dich wirklich noch niemand geleckt?“

„Ich kenne keinen, der das tun würde. Und auf der Schule dürfte das auch keiner wissen. Aber dahin gehe ich ja nicht zurück.“

„Warum darf das denn keiner wissen?“

„Die würden mich fertig machen. Auch die Lehrer.“

„Dich macht keiner mehr fertig. Jedenfalls solange…“

„...Tim an mit dran bleibt? Dann erst recht.“

„Sollen wir das mal ausprobieren? Tim ist im Nahkampf ausgebildet. Ich auch.“

„Sie meinen, ich soll mit Tim in die Schule gehen? Das ist bestimmt verboten. Ey, das wäre ja krass.“

„Du hast Recht. Das ist bestimmt verboten. Aber solange du bei uns bleibst, macht dich keiner mehr fertig. Und das mit der Schule wird sich schon finden.“

„Das ist vorbei. Haben Sie das noch nicht begriffen? Und wie soll es jetzt weitergehen? Ich soll also mit Ihnen zu Ihnen nach Hause?“

„Nur, wenn du willst, aber...“

„...jaja, Tim bleibt dran. Das habe ich nun wirklich begriffen. Ich bin vielleicht stoned, aber nicht schwachsinnig.“

„Wenn du heute mit uns kommst, holen wir erst mal eine andere Kette. Die Handschellen kann man ja mit einem Bolzenschneider trennen. Und eine ordentliche Kette ist auch bequemer. Bist du bereit?“

„Ich habe Angst, aber irgendwie auch nicht. Wohin gehen wir?“

Wir gehen zu dem Eisenwarenladen, wo ich schon die Halsketten für Tim und seinen Neffen Thomas geholt hatte. Ich messe die schwere Bootskette so ab, dass sie um die beiden Handgelenke passt und dazwischen einen halben Meter lang ist. Da sagt der Rüde: „Aber so kann ich nicht Cello spielen.“

Jetzt habe ich ihn! Er sieht ein, dass diese Kette etwas langfristiges ist, und er gibt zu, dass er Cello spielen will. Vielleicht ist ihm gar nicht bewusst, was er da gesagt hat.

Also bekommt er genau so eine Halskette mit Panzerschloss, wie Tim sie hat, und die beiden Halsketten werden mit einer einen Meter langen Kette verbunden. Der Fachverkäufer konstatiert, dass das die dritte Halskette ist, die ich kaufe, dass es aber wirklich erst ab der zehnten Rabatt gibt, und schärft mir ein, die Quittung aufzuheben. Der Rüde zerrt am Kragen seines Kapuzenhemdes. „Wie soll ich mich denn ausziehen? Also, ich meine, nicht jetzt. Heute Abend.“

„Ich habe ja den Schlüssel. Und zu Hause auch eine Schere.“

Seine Hose formt ein Zelt. Diese Kette ist ihm nicht nur unangenehm.

„So, und jetzt fahren wir zu uns nach Hause. Die Sache hat nur einen Haken. Solange wir nicht sicher sind, ob wir dir trauen können, darfst du nicht wissen, wo das ist.“

„Sie mir nicht trauen? Was soll das denn? Sie ketten mich an, entführen mich, und dann wollen Sie mir nicht trauen? Ja, kann ich Ihnen denn trauen?“

„Alles ist anders, als du denkst. Wenn du bei uns bleibst und uns besser kennenlernst, wirst du das schon verstehen. Es ist nichts Illegales. Aber meine Vorsicht hat ihre Gründe. Und du kannst jederzeit weg. Dann bringen wir dich wieder nach Berlin. Du wirst aber nicht genau wissen, wo du warst. Tim wird dir also gleich die Augen verbinden. Oder zuhalten, wenn dir das lieber ist. Soll dein Cello mit? Wo holen wir das ab?“

Jetzt ist er durcheinander. Er setzt ein paarmal an und fragt dann: „Können wir das nicht morgen oder übermorgen holen?“

„Klar. Ich kann es auch abholen lassen, wenn du dich entschieden hast.“

Wir fahren bis zur Endstation der S-Bahn, packen den Rüden ins Auto, Tim zurrt seine Kapuze so fest, dass er nichts sehen kann, und ich fahre die beiden nach Hause. Der Rüde wird immer frecher: „Jetzt sind wir auf der Straße nach KW.“ – „Diese Pflastersteine. Ein Kaff ungefähr fünf Kilometer vom Bahnhof, auf der Strecke nach KW.“ Aber als wir dann noch kilometerweit über den sandigen, durchwurzelten Waldweg fahren, wird er still.

Wir bringen ihn ins ehemalige Pförtnerhaus, das wir umgebaut haben. Wenn man hinausschaut, sieht man den Garten und dahinter das Herrenhaus. Er schaut sich aber erst den Raum an.

„Wie eine Gefängniszelle, aber viel größer. Und mit richtiger Küche. Und mit Kraftmaschinen. Gibt es auch noch ein getrenntes Badezimmer?“

„Nein, wir leben hier in einem Raum. Das Lager ist groß genug für vier, fünf Leute. Und wenn einer trainieren oder scheißen will, oder einer oder zwei duschen, soll man das ruhig sehen. Wir verstecken uns nicht.“

„Wer ist denn wir? Gibt es noch mehr als Sie und Tim?“

„Bei deinen Kumpels leben doch auch mehr zusammen, oder nicht? Drüben steht noch ein Haus. Da wohnt eine Familie mit noch einem Personenschützer. Manchmal kochen wir hier für alle oder saufen zusammen, wenn uns danach ist. Meistens sind wir bei gutem Wetter im Garten. Hier nebenan wohnt ein Hausmeister. Der ist manchmal nervig, dann sperren wir ihn weg.“

„Eine Familie? Mit Personenschützer?“

„Ja. Ich rede immer die Wahrheit. Aber versteh endlich mal, dass alles anders sein kann, als man denkt. Du hast doch deine Punk-Kumpels auch so genommen, wie sie sind.“

„Ja, und die mich. Im Gegensatz zu meinen Lehrern. Aber jetzt bin ich auf einmal in die Nähe einer Familie mit Personenschützern geraten. Sind wir auf einem Umweg nach Grunewald gefahren? Da wohnen solche Leute.“

Da wohnen relativ arme Leute, wäre mir bald herausgerutscht. Ich muss besser aufpassen mit so einem frechen, geistreichen Knaben. Solange man ihm nicht voll vertrauen kann.

Ich schließe die Kette auf, damit ihm Tim ihm sein Kapuzenhemd ausziehen kann. Da zeigt sich erst, was für einen unglaublich schönen Körper dieser Junge hat. Mir verschlägt es wieder einmal den Atem. Tim auch.

„Trainierst du?“

„Ja, jedenfalls bis vor ein paar Wochen. Hier geht das ja auch. Besser als bei den Kumpels in Berlin. Darf ich? Jetzt bin ich sowieso verschwitzt. Danach kann Tim mir dann ja die Haare waschen. Das wollen Sie doch beide.“

Er hat gemerkt, wie wir ihn anstarren. Und es gefällt ihm. Und sein Blick, mit einem klitzekleinen Bruchteil Spott, macht mich total kirre. Vor diesem Rüden muss man auf der Hut sein.

Ich gehe in den Garten, wo die anderen gerade mit dem Essen fertig sind, und erzähle, was wir da mitgebracht haben. Den amtlichen Namen verrate ich aber nicht. Kalle und Thomas, die ja nicht viel älter sind als der Rüde, wollen ihn sofort besichtigen. Ich schlage vor, dass sie etwas zum Abendessen mitbringen. Bier ist noch im Kühlschrank. Aber erst in einer Stunde. Dann wird unsere Trophäe ja wohl vorzeigbar sein. Diese fettigen Haare kann man niemandem zumuten.

Kalle und Thomas kommen, als Tim und der Rüde gerade unter der Dusche beschäftigt sind. Sie tragen nur Hosen und Tabletts mit Essen.

Der Rüde ist gar nicht schüchtern: „Ah, die Herren Söhne der Nachbarsfamilie, nehme ich an. Und das ist also die dritte Kette.“

„Kalle, Thomas, das hier ist der Rüde. Wie man ihn anreden soll, hat er immer noch nicht gesagt.“

„Nur ich bin der Sohn. Sag einfach Thomas. Tim ist übrigens mein Onkel.“

„Un ick bin Kalle, Stiefvater von der Kettensau da.“ Er zeigt auf Thomas.

Ich sage: „Wie oft soll ich noch sagen, dass alles anders ist, als man denkt?“

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