Lockruf des Goldes

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Hörbuch
Wird gelesen Eberhard Kiebel, Hans Kahlert, Henry Kielmann, Konrad Halver, Richard Reissmann, Werner Cartano
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Lockruf des Goldes
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Lockruf des Goldes

Lockruf des Goldes

© Jack London 1910

Die Originalausgabe erschien erstmals 1910 unter dem Titel Burning Daylight

Aus dem Englischen von Erwin Magnus

Umschlaggestaltung unter Verwendung von Bildmaterial von Margaret Van de Pitte / Pixabay

© Lunata Berlin 2019

Inhalt

Lockruf des Goldes

Lockruf des Goldes

Es war ein stiller Abend im Tivoli. Am Schanktisch, der an der einen Seite des großen schindelgedeckten Raumes entlang lief, stand ein halbes Dutzend Männer, von denen zwei sich gerade über die Heilkraft von Fichtennadeltee und Zitronensaft bei Skorbut stritten. Die Unterhaltung war jedoch schleppend, und Pausen mürrischen Schweigens unterbrachen sie. Die andern hörten kaum zu. In einer Reihe, der Mauer gegenüber, standen die Spieltische. Der Crap-Tisch war verlassen, ein einziger Mann saß am Pharaotisch und spielte. Nicht einmal die Roulettekugel rollte, und der Spielhalter stand an dem knisternden, rotglühenden Ofen und sprach mit einem hübschen, dunkeläugigen jungen Weibe, das von Juneau bis Fort Yukon als die »Jungfrau« bekannt war. Drei Mann saßen bei einem Dauerpoker, spielten aber nur mit kleinen Einsätzen und ohne Begeisterung, weil sie keine Zuschauer hatten. Auf der Diele des Tanzbodens, der hinter dem Raume lag, walzten drei Paare trübselig zu den Klängen einer Geige und eines Klaviers.

Nicht daß Circle City verlassen oder daß Geld knapp gewesen wäre; die Goldgräber waren von Moosehide Creek und anderen Fundstellen im Westen zurückgekehrt, die Sommerausbeute war gut gewesen, und die Taschen der Leute waren schwer von Staub und Nuggets. Klondike war noch nicht entdeckt, auch hatten die Goldgräber noch nicht gelernt, was sich durch tiefes Schürfen und die Anwendung von Feuer erreichen ließ. Im Winter wurde nichts geschafft, man pflegte noch während der langen arktischen Nacht in großen Lagern wie Circle City zu überwintern. Man verschlief die Zeit, die Taschen waren wohlgefüllt, und Geselligkeit gab es einzig und allein in den Wirtschaften. Und doch war Tivoli verlassen, und die Jungfrau, die neben dem Ofen stand und gähnte, ohne die Hand vorzuhalten, sagte zu Charley Bates: »Wenn nicht bald etwas Leben in die Bude kommt, geh' ich zu Bett. Was ist denn nur los? Ist das ganze Lager ausgestorben?«

Bates machte sich nicht die Mühe zu antworten, sondern drehte sich mürrisch eine Zigarette. Dan Mac Donald, der Pionier der Gastwirte und Spieler am oberen Yukon, Besitzer des Tivoli und aller seiner Spieltische, wanderte verloren durch den weiten leeren Raum und erblickte die beiden am Ofen.

»Jemand gestorben?« fragte ihn die Jungfrau.

»Sieht so aus«, lautete die Antwort.

»Dann jedenfalls das ganze Lager«, beendete sie das Gespräch und gähnte wieder.

MacDonald nickte grinsend und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als die Tür weit aufgerissen wurde und ein Mann in der Öffnung erschien. Ein Hauch von Kälte, der sich in der Wärme des Raumes zu Dampf verdichtete, umwogte seine Knie, lief über den Boden, wurde immer dünner und verschwand schließlich einige Meter vom Ofen entfernt. Der Neuangekommene nahm den Reisigbesen vom Nagel an der Tür und bürstete sich den Schnee von den Mokassins und den langen Strümpfen. Man hätte ihn für einen großen Mann halten können, wäre nicht ein riesiger Kanadier von der Bar zu ihm getreten.

»Hallo, Daylight!« grüßte er. »Bei Gott, das ist Labsal für wehe Augen!«

»Hallo, Louis, wann bist du denn hergeweht?« erwiderte der Ankömmling. »Komm, laß uns eins trinken und erzähl' von Bone Creek. Na, ihr Hundsfötter, her mit den Pfoten. Wo ist dein Kompagnon? Ich bin auf dem Ausguck nach ihm.«

Ein anderer Riese löste sich von der Bar und schüttelte ihm die Hand. Olaf Henderson und der Franzosen-Louis, denen Bone Creek gemeinsam gehörte, waren die beiden längsten Männer im Lande, und der Neueingetroffene, wenn auch nur einen halben Kopf kleiner, erschien wie ein Zwerg zwischen ihnen.

»Hallo, Olaf, dich such' ich gerade, savvy«, sagte der mit Daylight Angeredete. »Morgen ist mein Geburtstag, und ich hab mir vorgenommen, euch alle zu werfen – savvy? Dich auch, Louis! Komm und trink eins, Olaf, ich erzähle euch alles.«

Seine Ankunft schien den Raum mit einer Flut von Wärme zu erfüllen. »Burning Daylight!« rief die Jungfrau, die erste, die ihn erkannte, als er nun ins Licht trat. Charley Bates' ernste Züge erhellten sich bei seinem Anblick, und MacDonald trat zu den dreien an der Bar. Es war, als hätte die Ankunft Burning Daylights den ganzen Raum heller und heiterer gestimmt. Die Kellner liefen, Rufe ertönten, Lachen erklang. Und als der Geiger nach einem Blick ins Vorzimmer zum Klavierspieler bemerkte: »Burning Daylight ist da«, kam sofort Schwung in den Walzer, und die Tänzer wirbelten herum, als ob es ihnen wirklich Freude machte. Sie wußten von alters her, daß es keine Langeweile gab, wenn Burning Daylight da war.

Der wandte sich von der Bar ab und sah das Mädchen am Ofen und den verlangenden Blick, den sie ihm zum Willkommen zuwarf.

»Hallo, Jungfrau, altes Mädel«, rief er. »Hallo, Charley. Was ist denn los mit euch? Ihr macht ja Gesichter, wie sieben Tage Regenwetter! Kommt her, alle Mann, und getrunken! Her mit euch, ihr lebendigen Leichen, und sagt, was für Gift ihr haben wollt! Alle Mann her! Heute bin ich dran! Ich gebe aus! Morgen werde ich dreißig, und dann bin ich ein alter Mann. Die Jugend ist vorbei. Verstanden? Also her! Her mit euch!«

»Warte mal, Davins«, rief er dem Bankhalter am Pharaotisch zu, der seinen Stuhl vom Tische zurückgeschoben hatte. »Laß sehen, wer ausgeben will, du oder ich!«

Er zog einen Beutel aus der Rocktasche, der schwer von Goldstaub war, und setzte ihn auf die hohe Karte. »Fünfzig«, sagte er.

Der Bankhalter drehte zwei Karten um. Die hohe Karte gewann. Er kritzelte den Betrag auf ein Stück Papier, der Wäger an der Bar wog für fünfzig Dollar Staub in der Goldwaage ab und schüttete ihn in Burning Daylights Beutel. Im Tanzsaal war es unterdessen still geworden, die drei Paare steuerten, von dem Geiger und dem Klavierspieler gefolgt, auf die Bar los, und Daylight bemerkte sie.

»Her mit euch!« schrie er. »Her mit euch und sagt, was ihr haben wollt. Heute bin ich dran, und eine solche Nacht kommt nicht sobald wieder. Her mit euch, ihr Siwashes und Lachsfresser! Heute bin ich dran, das sag' ich euch – –«

»Eine verflucht räudige Nacht«, fiel Charley Bates ein.

»Richtig, mein Sohn,« fuhr Burning Daylight heiter fort, »eine räudige Nacht, aber es ist meine Nacht, siehst du. Ich bin ein räudiger, alter Wolf. Kannst du mich heulen hören!«

Und er heulte wie ein einsamer grauer Waldwolf, bis sich die Jungfrau schaudernd ihre hübschen Finger in die Ohren steckte. Eine Minute später wirbelte sie in seinen Armen über den Tanzboden, wo bald darauf mit den drei andern Mädchen und ihren Partnern ein ausgelassener Virginia Reel im Gange war. Männer und Frauen tanzten in Mokassins, und es dauerte nicht lange, so ging es hoch her. Burning Daylight war der Mittelpunkt, seine Scherze und rauen Späße rissen sie aus der Schlaffheit, in der er sie angetroffen hatte. Der Raum hatte durch sein Kommen gleichsam eine andere Atmosphäre erhalten. Er schien ihn ganz mit seiner Lebensfreude zu füllen. Wer von der Straße hereinkam, spürte es sofort, und als Antwort auf alle Fragen deuteten die Barkeeper nur nach hinten und erklärten: »Burning Daylight ist losgelassen.« Und die Leute blieben, und das Geschäft blühte. Das Spiel kam in Gang, bald waren alle Tische besetzt, und das Klirren der Jetons und das eintönige Surren der Roulettekugel übertönte gebieterisch den heiseren Lärm von Männerstimmen, Flüchen und schwerfälligem Lachen.

Wenige kannten Elam Harnish unter einem anderen Namen als Burning Daylight – den Namen, den man ihm in der ersten Zeit des Landes gegeben hatte, weil er seine Kameraden mit den Worten »Das Tageslicht brennt« (Burning Daylight = Brennendes Tageslicht) aus den Betten zu jagen pflegte. Von den Pionieren in jener fernen arktischen Wildnis, wo alle Männer Pioniere waren, wurde er zu den ältesten gezählt. Männer wie Al Mayo und Jack MacQuestion waren zwar vor ihm dagewesen; aber sie waren aus dem Osten von der Hudsonbai über die Rocky Mountains gekommen. Er hingegen hatte den Weg über den Chilkoot- und den Chilkat-Pass erschlossen. Im Frühling 1883, vor zwölf Jahren, war er als achtzehnjähriger Bursche mit fünf Kameraden über den Chilkoot gekommen. Im Herbst war er mit einem zurückgekehrt. Vier waren den Entbehrungen in der rauen, unwirtlichen Wüste erlegen. Und zwölf Jahre lang hatte Elam Harnish Gold gegraben in dem finsteren Polarlande.

Und keiner hatte so hartnäckig und ausdauernd gegraben. Er war mit dem Lande aufgewachsen, kannte kein anderes Land. Zivilisation war ihm der Traum eines früheren Landes. Lager wie Forty Mile und Circle City waren Weltstädte für ihn. Und nicht allein, daß er mit dem Lande aufgewachsen war, er hatte das Land mit geschaffen. Er hatte Geographie und Geschichte dieses Landes gemacht, und die nach ihm kamen, schrieben über seine Fahrten und steckten die Wege ab, die sein Fuß getreten.

Helden neigen selten zu Heldenverehrung, aber unter den Bewohnern dieses jungen Landes galt er trotz seiner Jugend als einer der ältesten Helden. In der Zeit war er den meisten voraus. An Taten hatte er sie übertroffen. Und es war bekannt, daß er eine Ausdauer besaß, die selbst den Abgehärtetsten von ihnen umbringen konnte. Dazu kannte man ihn als einen mutigen Mann, einen ehrlichen Mann, als einen Mann ohne Furcht und Tadel.

 

In allen Ländern, wo das Leben ein Glücksspiel ist, das leichtsinnig beiseitegeworfen wird, verfallen die Leute, um sich zu zerstreuen und zu vergnügen, fast automatisch dem Spiel. Am Yukon verspielte man das Leben für Gold, und wer das Gold aus der Erde gewann, verspielte es wieder an einen anderen. Und Elam Harnish machte keine Ausnahme. Er war in erster Linie Mann, und der Instinkt, der ihn das Spiel des Lebens zu spielen trieb, war stark. Die Umgebung hatte die Form seines Spiels bestimmt. Er war auf einer Farm in Iowa geboren, jedoch mit seinem Vater nach dem östlichen Oregon ausgewandert, und hier, in der Bergwerksgegend, hatte Elam seine Kindheit verlebt. Harte Knüffe einstecken und hohe Einsätze wagen, das war das einzige, was er gelernt hatte. Mut und Ausdauer galt es in dem Spiel, aber der große Gott Zufall teilte die Karten aus. Ehrliche Arbeit für einen sicheren, aber mageren Verdienst zählte nicht. Man spielte hoch. Man wagte alles für alles, und etwas weniger als alles galt als Verlust. Auf diese Weise verlor Elam Harnish am Yukon zwölf Jahre. Am Moosehide Creek hatte er allerdings im letzten Sommer für zwanzigtausend Dollar Gold gefunden, und im Boden steckten noch für weitere zwanzigtausend. Aber, wie er selbst sagte, hatte er damit kaum seinen Einsatz, ein Dutzend Jahre seines Lebens, herausbekommen, und vierzigtausend waren nicht viel – die gingen drauf für einen Trunk und einen Tanz im Tivoli, einen Winter in Circle City und Proviant für das nächste Jahr.

Unter den Yukonleuten galt noch das alte Wort: Schwer gewonnen – leicht vertan. Als der Reel zu Ende war, lud Elam Harnish wieder alle Anwesenden ein, mit ihm zu trinken. Getränke waren teuer. Dreißig Mann nahmen seine Einladung an und waren zwischen jedem Tanz Elams Gäste. Es war seine Nacht, kein anderer durfte einen Cent bezahlen. Nicht, daß Elam Harnish ein Säufer gewesen wäre – aus Whisky machte er sich nicht viel. Er war zu kraftvoll und robust, zu gesund an Körper und Seele, um zum Sklaven des Alkohols zu werden. Viele Monate schwerer Arbeit verbrachte er auf Schlittenreisen und Bootsfahrten, ohne ein stärkeres Getränk als Kaffee zu trinken, ja einmal hatte er sogar ein ganzes Jahr auf diesen verzichtet. Aber er war gesellig, und weil die Geselligkeit am Yukon nur in den Wirtschaften zu finden war, mußte er sie dort suchen. In den Lagern der Minenarbeiter im Westen, wo er als Knabe gelebt hatte, war es immer so gewesen. Für ihn war es die Geselligkeit, die sich für einen Mann ziemte. Er kannte keine andere.

Er war eine auffallende Erscheinung, obgleich seine Kleidung nicht von der der anderen Männer im Tivoli abwich. An den Füßen trug er Mokassins aus weichgegerbter Elenhaut mit Perlenstickerei in Indianermustern. Seine Hosen zeigten nichts Außergewöhnliches, und sein Rock war aus einer wollenen Decke gemacht. Wollgefütterte Lederhandschuhe mit langen Stulpen hingen nach Yukon-Mode an einem Lederriemen, der ihm um Nacken und Schulter lief. Auf seinem Kopfe saß eine Pelzmütze, deren Ohrenklappen jetzt hochgeschlagen waren, während die Bänder herunterbaumelten. Sein mageres, längliches Gesicht, unter den Backenknochen leicht eingefallen, glich fast dem eines Indianers. Die sonnenverbrannte Haut und die scharfen schwarzen Augen verstärkten diesen Eindruck, obwohl gerade der Bronzeton und die Augen selbst bezeichnend für einen Weißen waren. Er sah älter als dreißig aus, wirkte aber jetzt, als er glattrasiert und faltenlos dastand, fast wie ein Knabe. Wenn man trotzdem den Eindruck hatte, daß er älter war, so hatte man zwar keinen greifbaren Anhalt dafür, aber man wußte, was der Mann durchgemacht und erlebt hatte und worin er anderen Männern so überlegen war – das war es. Er hatte sein Leben unverhüllt und unter ständigem Hochdruck gelebt, und etwas von alledem glühte in seinen Augen, zitterte in seiner Stimme und erschien, sobald er sprach, auf seinen Lippen.

Die waren dünn und pflegten sich nicht über den ebenmäßigen weißen Zähnen zu schließen. Aber ihre Härte wurde durch einen leichten Zug der Mundwinkel nach oben gemildert. Das verlieh ihm etwas Anziehendes, ebenso wie die winzigen Fältchen um die Augenwinkel, die ihn lustig erscheinen ließen. Rohheit und Grausamkeit mußten seiner Natur fremd sein. Die Nase war schmal und fein, mit beweglichen Flügeln und von guten Verhältnissen, während die hohe Stirn sehr schmal, dafür aber schön und ebenmäßig geformt war. Besonders indianerhaft wirkte das Haar, das sehr glatt und tiefschwarz und von einem Glanz war, wie nur Gesundheit ihn verleihen kann.

»Heute brennt Burning Daylight lichterloh«, lachte Dan MacDonald, als ein Ausbruch lärmender Lustigkeit vom Tanzboden herüberdrang.

»Ja, das ist ein Kerl, was, Louis?« meinte Olaf Henderson.

»Da kannst du Gift drauf nehmen«, sagte der Franzosen-Louis. »Der Junge ist echt wie Gold – –«

»Wenn der liebe Gott am letzten großen Siebetage Daylights Seele auswäscht,« unterbrach ihn Mac Donald, »dann muß der liebe Gott tüchtig Schlamm in seinen Kasten schaufeln.«

»Sehr gut«, murmelte Henderson und betrachtete den Spieler mit tiefer Bewunderung.

»Ausgezeichnet«, pflichtete der Franzosen-Louis ihm bei. »Und darauf wollen wir einen genehmigen, was?«

Gegen zwei Uhr morgens stellten die Tanzenden, die jetzt hungrig geworden waren, den Tanz auf eine halbe Stunde ein. Und in diesem Augenblick schlug Jack Kearns einen Poker vor. Jack Kearns war ein großer Mann mit gutmütigem Gesicht, der, gemeinsam mit Bettles, den verhängnisvollen Versuch gemacht hatte, eine Station an der Quelle des Koyokuk, weit jenseits des Polarkreises, anzulegen. Darauf war er nach Forty Mile und Sixty Mile zurückgekehrt und hatte, um seinen Unternehmungen eine andere Richtung zu geben, eine kleine Sägemühle und einen Flussdampfer in den Staaten bestellt. Erstere wurde jetzt gerade durch Indianer mit Hunden über den Chilkoot-Paß geschafft und sollte im Vorsommer nach der Eisschmelze den Yukon herunterschwimmen. Im Spätsommer, wenn die Beringsee und die Mündung des Yukon eisfrei waren, sollte dann der Dampfer, der in St. Michaels gebaut wurde, bis an die Reling mit Proviant beladen, flußaufwärts fahren.

Jack Kearns schlug also einen Poker vor. Der Franzosen-Louis, Dan MacDonald und Hai Campbell (der einen Goldfund bei Moosehide gemacht hatte) tanzten nicht, weil nicht genug Mädchen da waren, und so gingen sie auf den Vorschlag ein. Sie sahen sich gerade nach einem fünften Mann um, als Burning Daylight mit der Jungfrau am Arm und allen Tanzenden hinter sich aus dem Hinterzimmer kam. Die Pokerspieler riefen ihn, und er trat an ihren Tisch.

»Willst du mitmachen?« fragte Campbell. »Vielleicht hast du Glück?«

»Heute sicher«, antwortete Burning Daylight mit Begeisterung und fühlte im selben Augenblick, wie die Jungfrau warnend seinen Arm drückte. Sie wollte mit ihm tanzen.

»Heute hätte ich sicher Glück, aber ich will lieber tanzen, denn ich möchte euch nicht alles Geld abnehmen.«

Niemand redete ihm zu. Sie nahmen seine Ablehnung als endgültig hin. Die Jungfrau preßte seinen Arm von neuem, damit er den hungrigen Tänzern folgte, aber da wurde er plötzlich anderen Sinnes. Nicht daß er keine Lust zum Tanzen gehabt oder ihr hätte weh tun wollen, aber der wiederholte mahnende Armdruck der Jungfrau reizte seine freie männliche Natur zum Widerstand. Der Wille, sich nichts von einem Weibe vorschreiben zu lassen, gewann die Oberhand in ihm. War er auch ein Liebling der Frauen, so machte er sich doch nicht viel aus ihnen. Sie waren Spielzeug, Tand, eine Erholung in dem großen Spiel des Lebens. Weiber, Whisky und Spiel standen für ihn auf einer Stufe, aber es war seiner Beobachtung nach leichter, mit Trinken und Kartenspielen zu brechen als mit einem Weibe, das einen Mann erst richtig eingefangen hatte.

Sein eigener Sklave sein, das war für seine gesunde Natur selbstverständlich, aber ehe er der Sklave eines andern wurde, war er zu blutiger Rebellion bereit. Die süße Knechtschaft der Liebe war etwas, das er überhaupt nicht verstand. Verliebte Männer waren ihm stets wie Verrückte erschienen, und Verrücktheit zu analysieren, lohnte sich nicht. Kameradschaft zwischen Männern – ja, das war etwas anderes. Die hatte nichts mit Sklaverei zu tun. Sie war eine geschäftliche Vereinbarung, ein Handel zwischen Männern, die einander nicht verfolgten, sondern im Kampf für Leben und Reichtum die Gefahren von Schlittenreisen, von Strömen und Bergen teilten. Männer und Frauen verfolgten sich, und eines mußte sich notgedrungen dem Willen des andern beugen. Kameradschaft war anders. Sich tagelang über sturmumfegte Pässe oder durch Sümpfe, die durch Moskitos verseucht waren, abzuschleppen und doppelt soviel zu tragen wie der Kamerad, das hatte weder etwas mit Unbilligkeit noch mit Zwang zu schaffen. Jeder tat sein Bestes, und nur darauf kam es an. Allerdings: der eine war stärker als der andere, aber so lange jeder nur tat, was er konnte, so lange war es ehrliches Spiel, gegen das es nichts einzuwenden gab.

Aber mit Weibern – nein – Weiber gaben wenig und forderten alles. Weiber besaßen Schürzenbänder und hatten die Neigung, jeden Mann, der sich mit ihnen einließ, damit zu umschlingen. Man brauchte nur an die Jungfrau zu denken. Als er kam, hatte sie beinahe einen Gähnkrampf gehabt, und jetzt war sie vor Freude außer sich, nur weil er tanzen wollte.

Ein Tanz, das wäre ja noch gegangen, aber nun drückte sie auch noch seinen Arm, um ihn vom Pokern abzuhalten. Das waren die verhaßten Schürzenbänder, der erste Zwang von den vielen, die sie gegen ihn ausüben würde, wenn er jetzt nachgäbe. Sie war sicher ein netter Kerl, gesund, stark und hübsch, dazu eine ausgezeichnete Tänzerin, aber sie war nun einmal ein Weib mit der ganzen Neigung des Weibes, den Mann mit ihren Schürzenbändern einzufangen und an Händen und Füßen zu binden, um ihm sein Brandzeichen aufzudrücken. Lieber pokern.

Außerdem mochte er mindestens ebenso gern pokern wie tanzen.

Sein ganzes Ich widersetzte sich diesem Druck auf den Arm, und er sagte:

»Ich hätte übrigens doch nicht übel Lust, mit euch zu spielen.«

Wieder fühlte er den Druck auf seinen Arm. Sie erprobte die Schürzenbänder an ihm. Für den Bruchteil einer Sekunde war er ein Wilder, von aufwallender Furcht und Mordlust beherrscht. In dieser unmessbar kurzen Zeitspanne war er zu allem fähig; ein gereizter Tiger, den der Gedanke an die Falle mit Wut und Entsetzen erfüllte. Wäre er wirklich nichts als ein Wilder gewesen, so würde er wie ein Rasender über sie hergefallen sein und sie vernichtet haben. Aber im selben Augenblick kamen in ihm Generationen von Zivilisation zum Durchbruch, die ihn zu einem den Verhältnissen angepaßten Gesellschaftstier machten. Takt und Sympathie stritten mit ihm, und mit einem lächelnden Blick in die Augen der Jungfrau sagte er: »Geh nur, und laß dir etwas zu essen geben. Ich bin nicht hungrig. Später können wir wieder tanzen. Es ist ja noch früh. Geh, Mädel!«

Er machte seinen Arm frei, klopfte ihr gemütlich auf die Schulter und wandte sich zu den Pokernden.

»Wie hoch wollt ihr gehen? Ich mache alles mit.«

»Bis in die Wolken«, sagte Jack Kearns.

»Also schön.«

Die Spieler blickten sich froh an, und Kearns wiederholte: »Bis in die Wolken!«

Elam Harnish ließ sich auf den leeren Stuhl nieder und holte seinen Goldbeutel heraus. Die Jungfrau schmollte einen Augenblick, dann wandte sie sich nach dem Tanzboden.

»Ich bring' dir ein Butterbrot, Daylight«, rief sie über die Schulter zurück.

Er nickte, und sie lächelte ihm Verzeihung zu. Er war den Schürzenbändern entronnen und hatte obendrein ihre Gefühle nicht allzusehr verletzt.

»Laßt uns mit Chips spielen«, schlug Daylight vor.

»Jetons machen immer solch Durcheinander auf dem Tische ... Wenn's euch allen recht ist?«

»Ich habe nichts dagegen«, antwortete Hal Campbell.

»Meine lauten auf fünfhundert.«

»Meine auch«, sagte Harnish, und die andern erklärten ebenfalls, wie hoch ihre Chips gelten sollten. Der Franzosen-Louis, der Bescheidenste, bewertete die seinen mit hundert Dollar.

In jenen Tagen gab es in Alaska weder Betrüger noch Falschspieler. Es wurde ehrlich gespielt, und einer verließ sich auf den andern. Das Wort eines Mannes wog ebensoviel wie sein Gold. Ein Chip war ein flaches, längliches Blechstück, vielleicht einen Cent wert. Setzte aber ein Mann im Spiel einen Chip und sagte ihn mit fünfhundert Dollar an, so wurde er zum Werte von fünfhundert Dollar angenommen. Wer ihn gewann, wußte, daß der Aussteller ihn mit genau abgewogenem Goldstaub zurückkaufte. Da die Chips von verschiedener Farbe waren, war es nicht schwer, den Eigentümer herauszufinden. In jenen frühen Tagen am Yukon fiel es niemand auch nur im Traum ein, mit Bargeld zu spielen. Beim Spiel war ein Mann gut für alles, was er besaß, einerlei, wo seine Besitzungen lagen und welcher Art sie waren.

 

Harnish zog die höchste Karte. Bei diesem guten Anzeichen rief er dem Kellner zu, daß er eine Runde für die ganze Gesellschaft ausgäbe. Als er Dan Mac Donald, der links von ihm saß, die ersten Karten austeilte, rief er:

»Los, ihr Halunken! Alle Mann an Deck! Krempelt die Ärmel auf! Hoppla! Ich sage euch, es gibt 'ne steife Brise. Paßt auf, daß ihr nicht über Bord fliegt.« Dann ging es los. Es war ein ruhiges Spiel, bei dem wenig oder gar nicht gesprochen wurde, obwohl rings um die Spieler die ganze Stube toste. Elam hatte den Tunken entzündet. Immer mehr Gäste kamen ins Tivoli und blieben. Wenn Burning Daylight losgelassen war, blieb keiner zu Hause. Der Tanzboden war voll. Da es zu wenig Damen gab, banden sich mehrere Männer ein Taschentuch um den Arm, wurden nun zum weiblichen Geschlecht gerechnet und tanzten mit anderen Männern. Alle Spieltische waren dicht besetzt, und die Stimmen der Männer an den langen Schanktischen und um den Ofen wurden von dem ständigen Klirren der Jetons und dem scharfen, steigenden und wieder ersterbenden Schnurren des Roulettes begleitet. Ein echter Yukon-Abend war im Gange.

Das Spiel der fünf Männer war einförmig, das Glück wechselte, es gab keine großen Karten. Die Folge war, daß hoch gespielt wurde, daß aber keines der Spiele lange dauerte. Eine »volle Hand« gab dem Franzosen-Louis einen Pot von fünftausend gegen zwei »Dreiständer« von Campbell und Kearns. In einem Spiel, das schon geworfen werden sollte, wurde ein Pot von achthundert Dollar auf ein Paar Asse gewonnen. Und einmal »brachte« Harnish und bluffte Kearns für zweitausend Dollar. Als Kearns die Karten auflegte, zeigte es sich, daß er einen »flush royal« hatte, während Harnish die Frechheit besessen hatte, auf zwei Zehnen zu melden.

Um drei Uhr morgens aber kam die richtige Konstellation, der große Augenblick, auf den Pokerspieler wochenlang warten können. Im Augenblick durchlief das Gerücht das Tivoli. Die Zuschauer verstummten. Entfernter Sitzende ließen die Unterhaltung und scharten sich um den Tisch, der Tanzboden leerte sich, und schließlich standen alle in einer dichten schweigenden Gruppe um den Pokertisch. Ehe gekauft wurde, hatte das hohe Wetten schon begonnen und wurde fortgesetzt, obwohl noch nicht »gebracht« war. Kearns hatte gegeben, und der Franzosen-Louis machte den Anfang zum Pot mit einem Chip – was für ihn hundert Dollar bedeutete. Campbell hatte gerade »gebracht«, doch Elam Harnish, der nach ihm daran war, überschlug seine hundert mit vierhundert besser, indem er zu MacDonald bemerkte, daß er ihn billig heranließe.

MacDonald sah wieder in seine Karten und legte tausend Dollar in Chips in den Pot. Kearns grübelte lange und »brachte« schließlich. Nun mußte der Franzosen-Louis neunhundert einschießen, um weiter mitzumachen, und er tat es denn auch nach einigem Bedenken. Campbell kostete das Weiterspielen und Kaufen ebenfalls neunhundert, aber zum allgemeinen Erstaunen »brachte« er sie und überschlug noch einmal mit fünfhundert Dollar.

»Endlich kommt Fahrt in die Sache«, bemerkte Harnish, »brachte« die fünfzehnhundert und noch tausend. »Der Sturm beginnt.«

»Ich bin zu allen Schandtaten bereit«, begleitete Mac Donalds Chips auf zweitausend und noch eine Tausenddollareinlage.

Die Männer setzten sich zurecht, denn jetzt wußten sie bestimmt, daß große Karten im Spiel waren. Obwohl ihre Gesichter nichts verrieten, strafften sich ihre Züge doch unbewußt. Jeder suchte gleichmütig auszusehen – und jeder nach seiner Art. Hal Campheil zeigte seine gewöhnliche Vorsicht. Franzosen-Louis verriet sein Interesse. MacDonald spielte sein herzliches Wohlwollen, das allerdings ein bißchen übertrieben wirkte. Kearns gab sich kaltblütig und zuversichtlich, während Elam Harnish munter und lustig wie nur je zu sein schien. Elftausend Dollar lagen schon im Pot, und die Chips häuften sich in der Mitte des Tisches.

»Ich habe keine Chips mehr«, bedauerte Kearns. »Wir geben jetzt am besten Gutscheine.«

»Es freut mich, daß du nicht schlapp machst«, lautete MacDonalds leutselige Antwort.

»Ich bin noch nicht fertig. Ich habe schon tausend Dollar darin. Wie steht es jetzt?«

»›Bringen‹ kostet dreitausend, aber es wird dich niemand hindern, mit mehr hineinzugehen.«

»Den Deubel will ich mehr! Du meinst wohl, ich bin gerade solch leichtsinniger Hund wie du.« Kearns guckte in seine Karten. »Aber ich will dir was sagen, Mac. Ich hab' 'ne feine Karte, die dreitausend möcht' ich doch gerade noch mal ›bringen‹.«

Er schrieb eine Summe auf ein Stück Papier, setzte seinen Namen drunter und schob es in die Mitte des Tisches.

Alle Augen richteten sich jetzt auf den Franzosen-Louis. Der zupfte einen Augenblick nervös an seinen Karten. Dann warf er mit einem ärgerlichen »Zum Kuckuck! Nichts zu machen« die Karten auf den Tisch.

Im nächsten Augenblick suchten die mehr als hundert Augenpaare Campbell.

»Ich will dicht nicht überbieten, Jack«, sagte er und begnügte sich, die nötigen zweitausend zu ›bringen‹. Jetzt richteten sich die Augen auf Harnish, der etwas auf ein Stück Papier schrieb, das er in die Mitte schob.

»Ich möchte nur bemerken, daß wir kein Wohlfahrtsverein für arme Kinder sind«, sagte er. »Ich ›bringe‹ und noch tausend. Jetzt bist du dran, Mac.«

»Darauf habe ich gerade gewartet, und ich geh' noch tausend weiter«, war MacDonalds Entgegnung. »Gehst du immer noch mit, Jack?«

»Aber sicher.« Kearns beschäftigte sich lange mit seinen Karten. »Ich will's darauf ankommen lassen, aber erst sollt ihr wissen, wie ich stehe. Da ist mein Dampfer ›Bella‹ – der ist wenigstens zwanzigtausend wert. Dann Sixty Mile mit einem Warenlager für fünftausend. Und ihr wißt, daß ich eine Sägemühle erwarte. Sie ist jetzt in Linderman, und das Schiff ist im Bau. Bin ich euch gut?«

»Los, du bist gut«, antwortete Daylight. »Und weil wir gerade dabei sind, so will ich auch gleich sagen, daß ich zwanzigtausend in Macs Geldschrank und noch zwanzigtausend im Boden von Moosehide stecken habe. Du kennst ihn, Campbell. Steckt soviel drinnen?«

»Sicher, Daylight.«

»Wieviel kostet es jetzt?« fragte Kearns.

»›Bringen‹: zweitausend.«

»Wir überbieten dich doch nur, wenn du hineingehst«, warnte Daylight ihn.

»Ich hab' 'ne mächtige Chance«, sagte Kearns und fügte seinen Gutschein über zweitausend zu dem wachsenden Haufen. »Sie krabbelt mir ordentlich den Rücken herauf.«

»Ich hab' zwar keine große Chance, aber anständige Karten«, erklärte Campbell, indem er seinen Gutschein hinschob; »aber ich kann nicht mehr überschlagen.«

»Das gehört mir«, Daylight machte eine Pause und schrieb. »Ich ›bringe‹ die tausend und noch so einen strammen Tausender.«

In diesem Augenblick tat die Jungfrau, die hinter ihm stand, etwas, das selbst der beste Freund eines Mannes nicht tun darf. Sie langte über Daylights Schulter, nahm die fünf Karten vom Tische und besah sie sich, indem sie sie dicht vor ihre Brust hielt. Was sie sah, waren drei Damen und zwei Achten, aber niemand konnte es aus ihren Zügen erraten. Aller Augen waren auf sie gerichtet, aber sie verzog keine Miene. Ihr Gesicht hätte in Eis ausgehauen sein können. Nicht eine Muskel verzog sich; weder bebten ihre Nasenflügel noch kam ein stärkerer Glanz in ihre Augen. Sie legte die Karten wieder auf den Tisch, und die forschenden Augen der Männer ließen von ihr ab, ohne etwas erfahren zu haben.