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Du willst mich doch auch

Isabella Stern & Wolfgang Schnuppe

Illustrationen von Isabella Stern

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2015 Isabella Stern & Wolfgang Schnuppe

ISBN 978-3-7375-3478-9

Wet-T-Shirt-Contest

17:05 Uhr.

Der Herbststurm peitschte den Regen in die Waagerechte, als gäbe es keine Schwerkraft mehr. An der Bushaltestelle kreischten die Schulmädchen mit lustvollem Schrecken auf, weil die Böe unter die zu kurzen Röcke fuhr und ihre mageren Schenkel entblößte.

Tapfer kämpfte Melly sich durch den Windkanal, sprang über Pfützen und wich fremden Regenschirmen aus. Die Haarsträhnen klatschten ihr nass an die Wangen, klebten wirr auf der Haut. Unerbittlich rann das Regenwasser ihren Hals hinab, suchte seinen Weg entlang der knochigen Schlüsselbeine, bis es im Stoff des dünnen T-Shirts versickerte.

Melly fühlte, dass ihr Busen schon ganz klamm war, kühlfeucht mit schmerzhaft abstehenden Brustwarzen.

Wet-T-Shirt-Contest.

Als diese schräge Idee in ihr aufblitzte, kickste Melly laut auf. Fehlte nur ein Kerl, den sie mit dem Anblick ihrer Nippel so richtig provozieren konnte.

Sie hatte ja keine Ahnung, dass sie wenige Stunden später einen Mann mehr als in Verlegenheit bringen würde. Und dass sie ihrem opulent ausgestatteten erotischen Erfahrungsschatz ein neues, sehr pikantes Kapitel hinzufügen könnte.

Vorerst jedoch kämpfte Melly sich nach Hause durch.

Früher mochte sie solches Wetter. Da hätte sie sich nackt ausziehen und durch den Herbstregen tanzen wollen. Scheiß drauf, was die Leute denken. Aber heute war Melly kein Kind mehr. Sie war eine gestandene Frau von fast dreißig, wobei gestanden ein dehnbarer Begriff ist. Erfahren war vielleicht das passendere Wort, denn Melly blickte als Langzeitstudentin auf eine glorreiche Karriere abgebrochener und neu angefangener Studiengänge zurück.

Die Jahre an den Universitäten hatten zwar auch eine gewisse Reifung mit sich gebracht, doch Mellys Sehnsüchte blieben unerfüllt. Sie suchte einen Fokus, einen Anker in ihrem Leben. Nicht zuletzt hielt sie Ausschau nach einem Mann, aber es sollte der Richtige sein. Die Falschen hatte sie schon alle durchprobiert.

Try and error.

Es schien ein Naturgesetz, dass die Guten stets vergeben waren und sie in diesem Wettlauf fortwährend zu spät kam. Seufzend wischte Melly die melancholischen Gedanken wie die klatschnassen Haarsträhnen fort. Das musste der Herbstanfang sein, der ihr solchen Trübsinn durch den Kopf wehte.

Ein plötzliches Frösteln überkam sie und erinnerte sie daran, endlich den wetterfesten Versace-Mantel zu suchen, der irgendwo hinten im Schrank verkramt sein musste. Der Trenchcoat war ausgesucht hässlich und teuer, das Geschenk eines abgelegten Lovers. Modisch nicht up to date, aber sehr praktisch bei dieser Witterung. Also der Trenchcoat, nicht der Lover.

An der Haustür fischte Melly erfolglos nach dem Schlüssel. Sie fluchte ein dreifaches Fuck, als ihr klar wurde, dass sie ihn gewohnheitsmäßig in die rechte Jackentasche gesteckt hatte. Blöderweise war da seit kurzem ein Loch im Futter. Eigentlich war es schon monatelang da und verbreiterte sich beharrlich wie diese schwarzen Löcher im All. Das Stopfen von Löchern in Kleidungsstücken gehörte zu den Dingen, die Melly in ihrem Alltag nicht so richtig im Griff hatte. Der Schlüssel war im Orbit der dünnen Sommerjacke verschwunden. Typisch wieder mal.

Warum passierten solche Missgeschicke immer genau dann, wenn es völlig unpassend war, zum Beispiel während ein gehässiger Herbststurm die Körpervorderseite bis auf die nackte Haut durchnässte?

Melly seufzte schicksalsergeben, tauchte die Finger beherzt zwischen die Stofflagen und wühlte nach dem Schlüssel. Tief in den geheimen Innereien der Jacke fischte sie ihn doch noch aus seinem Versteck.

Da hatten sich ihre Yoga-Stunden glatt gelohnt. Wenn sie schon nicht die innere Mitte fand, war Melly immerhin in der Lage, klassische Schlüssel-im-Innenfutter-verloren-Situationen zu meistern, ohne sich gleich den Arm auszukugeln.

Endlich rettete Melly sich in den Hausflur.

Sie schüttelte die lange Mähne aus wie ein räudiger Straßenköter und spritzte respektlos den gutbürgerlichen roten Läufer nass. Mellys Kleidung war vorn durchgeweicht, hinten aber fast trocken, als wäre sie gestolpert und kopfüber in eine Pfütze gefallen. Wahrscheinlich war die Natur eine launige alte Dame, die gern irrationale Späße mit den Menschen trieb und sie beispielsweise nur partiell durchnässte.

In ihrer Wohnung führte Mellys erster Weg ins Bad, wo sie die klitschnassen Klamotten abstreifte und auf die Kacheln fallen lies. Diese Achtlosigkeit war ein großer Vorteil des Singledaseins. Niemand konnte sie zur Ordnung ermahnen oder auch nur durch einen vorwurfsvollen Blick ein schlechtes Gewissen erzeugen.

Würdest Du das bitte aufheben, Darling?

Fuck you, babe.

Beim Ablegen der Armbanduhr sah Melly auf die Zeit. Erst kurz nach fünf, also kein Grund für Stress. Sie konnte in aller Ruhe das Badewasser einlassen und sich auf die Party vorbereiten. Mellys beste Freundin Nele würde heute Abend ihren Dreißigsten feiern. Den Event plante sie schon seit Monaten minutiös durch. Sie hatte eine coole Location, eine noch coolere Band und es würden sauviele saucoole Leute kommen. Yeah!

Melly trug eine straffende Gesichtsmaske auf. Sie hatte von ihrer Mutter gelernt, dass man damit früh anfangen sollte.

Sie legte den Rasierer auf den Wannenrand, um rein präventiv Beine und Scham nochmal in Form zu bringen.

Samtweich. Federweich. Seidenweich.

Vielleicht fiel ja gerade heute einer der saucoolen Männer für sie ab. Darauf musste man vorbereitet sein, niemand will einen Igel lecken.

Beschwingt hüpfte Melly in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Ein Streifen kaltes Neonlicht fiel auf ihre makellose milchweiße Haut und das seidige nachtschwarze Vlies über dem kahlen Ypsilon des Venushügels. Bei flüchtigem Hinsehen erinnerte der schmale dunkle Pelzbesatz an eine Katze, die sich auf einem Schneehügel verirrt hatte.

Dieses Schwarz verriet Mellys natürliche Haarfarbe. Seit dem Frühjahr hatte sie ihren Schopf jedoch in Henna getaucht. Die roten Haare ergänzten sich gerade vollendet mit der blattgrünen Gesichtsmaske zum Anblick einer stolzen Amazone mit Kriegsbemalung.

Die Kriegerin entdeckte im Kühlschrank zwei Flaschen Champagner, eine verdammt gute Marke. Außerdem ein Rest Sekt. Das Zeug muss weg, dachte Melly, seufzte zufrieden und griff nach der halbleeren Flasche. Ein kleiner Stimmungsaufheller, der ihre Partyvorbereitungen stilvoll flankieren würde. Halleluja!

Behaglich glitt die Amazone zu den Klängen der Jazz for Lovers-CD in die Schaumberge der Wanne. Sie war heute in der geeigneten Stimmung, einen Kerl zu angeln. Und sei es nur für diese Nacht. Das war der Plan.

Erwartungsvoll schlürfte Melly vom Sekt und döste im wohlig warmen Wasser. Sie würde die Nacht auf keinen Fall allein verbringen. Man muss sich schließlich auch mal was gönnen!


Zu wenig Schmutz

18:15 Uhr.

Zur gleichen Zeit stand Frederic nackt in seinem Ankleidezimmer. Hastig durchstöberte er den Schrank nach einem gebügelten weißen Hemd. Er hätte früher daran denken sollen, jetzt blieb ihm nur die Wahl zwischen sauber und ungebügelt oder schon getragen, aber geht eigentlich nochmal. Er entschied sich für Letzteres. Gestern gab es Haydn, da war er als Kontrabassist nicht allzu sehr beansprucht, da war das Hemd durchaus noch zu gebrauchen. Heute würde es wieder Haydn geben.

Die Wiener Klassik war etwas für das Abo-Publikum und Frederic hasste diese Leute. Widerliche alte Säcke, die mit dem Abo-Trick vor allem Geld sparten. Im Grunde Musik mit Rabatt, wie beim Grabbeltisch im Sommerschlussverkauf. Dafür wollten sie dann auch nur gefälliges Zeug hören, Haydn zum Beispiel.

Wenn es nach Frederic ginge, würde er die Zuhörer an die Stühle fesseln. Dann müssten sie stundenlang Schönberg ertragen oder noch besser – Jazz. Aber Wilhelm Schmagendorff, der Dirigent der Philharmoniker, hielt sich bereits vierzehn Jahre an der Spitze des Orchesters, weil er sich darauf verstand, sein Abo-Publikum mit seichtem Zeug einzuschleimen. Nicht umsonst nannten die Musiker ihren Chef hinter seinem Rücken Schmeicheldorff.

Während Frederic eilig das Hemd überwarf, sah er seinen durchtrainierten Körper im harten Licht des Deckenfluters. Andere Männer Ende dreißig hatten schon kleine Bierbäuche, dicke Ärsche oder bekamen Frauenbrüste. Er nicht. Er war verdammt gut in Form, vor allem für einen Musiker.

Schade, dass seine Ehe mit Angelika sexuell so wenig erfüllt war. Sie war eben eine Zahnärztin, auch im Bett. Ihr Sex war immer sauber, geradezu klinisch. Frederic hätte gern mehr Improvisation, mehr Experimente und mehr Schmutz gehabt.

Nur vereinzelt, so selten wie Ostern und Weihnachten, bekam Angelika eine kleine dreckige Lustattacke. Dann entdeckte die höhere Tochter in sich die Sau, das Luder, die Bitch. Und dann … yeah!

Aber diese seltenen feinen Höhepunkte ihres Ehelebens reichten Frederic rein quantitativ nicht zur Befriedigung seiner männlichen Grundbedürfnisse.

Er leckte sich die trockenen Lippen und schlüpfte in die Boxershorts. Dabei registrierte Frederic, dass schon das bloße Sinnieren über Fragen unausgelebter Sexualität bei ihm zu einer erkennbaren Erregung geführt hatte. Er war eindeutig untervögelt.

Verspielt richtete Frederic die Latte in der Unterhose nach schräg oben, so dass im Spiegel eine beeindruckende Wölbung erkennbar wurde.

»Na, du geiler Hengst«, kommentierte er seinen Anblick und grinste sich selbst an. Es war ja sonst niemand da, dem er imponieren konnte.

 

Melancholisch schweiften Frederics Gedanken ab ins Früher.

Zu Studienzeiten hatten er und Angelika die Wochenenden durchgekifft, sich von Rotwein ernährt und einander zum Sound von Jazzplatten wundgevögelt. Wenn sie dann fix und fertig in der Bettwäsche lagen oder auf dem Fußboden oder auf dem Rücksitz seines VW Polo, philosophierten sie über den Plan, die Welt mit der Kraft der Liebe zu heilen.

Dieses Projekt hatte dann irgendwie nicht geklappt und kam aus der Diskussionsphase nie heraus. Mit dem Einstieg in die Arbeitswelt nistete sich der kleine böse Alltag ein. Alle damit täglich verbundenen Notwendigkeiten verwoben sich zu einem engmaschigen Netz, wie ein hinterhältiges Krebsgeschwür. Ließen die Liebe absterben. Ersetzten sie durch Spießertum. Schleichend kam das, ganz schleichend.

Warum nur?

Als Frederic endlich seinen Frack trug und den schweren Kontrabass schulterte, war es schon achtzehn Uhr fünfzehn. Verdammt spät. Wo zum Teufel hatte er das Auto geparkt? Ach ja, vor der Bäckerei an der Ecke. Würde jetzt knapp werden. Hoffentlich war die Chausseestraße wieder frei, sonst käme er zu spät in die Philharmonie. Aber ehrlich gesagt, wen scherte das.

Manchmal hatte Frederic eine anarchistische Lust darauf, zu spät zu kommen zum Konzert. Ohne die tiefen Töne seines Instruments wäre der Orchesterklang wie eine Suppe ohne Gewürz. Aber außer ihm schien das niemand wahrzunehmen. Immer stand die scheiß erste Geige im Mittelpunkt oder die Trompete oder die Klarinette. Alles maßlos überschätzte Instrumente. Der Kontrabass blieb dagegen immer im Schatten. Völlig zu Unrecht.

Frederic schloss rasch das Loft ab und stieg in den Fahrstuhl. Es war ziemlich eng, wenn er sich da mit dem Instrument reinzwängte. Eigentlich nahm er lieber die Treppe, so ein Waschbrett kam ja schließlich nicht von allein. Aber heute wählte er aus Zeitdruck den Lift.

Ein Fehler, wie er bald erkannte.

Das Ding trödelte provokativ langsam. Dann hielt es auch noch auf halber Strecke. Konnten die Mieter aus dem dritten Stock nicht die Treppe benutzen? Wo er es doch so eilig hatte.

Die Tür öffnete sich und Frederic erblickte eine attraktive aufgedonnerte Frau in einem hochgeschlossenen Versace-Mantel. Bordsteinhohe Highheels, korallenrote Fingernägel, gleichfarbige volle Lippen, so einladend wie ein Designersofa. Sie trug zwei Champagner-Flaschen, hatte eine edle Clutch unter den Arm geklemmt und hielt darüber hinaus einen großen Kochtopf in der anderen Hand, der nicht zum Gesamtensemble passen wollte. Frederic wehte ein betörender Jasminduft entgegen, in den er seine Nase nur zu gern tiefer eintauchen würde. Ein Bukett heißt das wohl. Bukett – schönes Wort, der Klang passt so richtig zum Sinn.

Die Frau zögerte einzusteigen, offenbar, weil Frederic und sein Kontrabass allein schon etwa die Hälfte des Fahrstuhls ausfüllten.

Charmant lockte Frederic die unbekannte Grazie mit dem Scherz herein, sie würden sich schon vertragen bis zum Erdgeschoss. Miss Jasminduft-Bukett lächelte vieldeutig zurück. Offensichtlich kam sein Flirt gut an.

»Danke«, hauchte sie mit erstaunlich dunkler Stimme. Nicht so tief wie ein Kontrabass, aber vielleicht wie ein Violoncello.

Bei dieser Tonlage klang eine Saite in Frederic an – pling. Er war anders als der deutsche Durchschnittsmann, seine Vorstellungen von einer schönen Frau orientierten sich tendenziell weniger am Äußeren, dafür umso mehr an der Stimme. Und hier gab es an beidem nichts zu meckern, heiliger Strohsack.

Die Schönheit aus dem dritten Stock stieg also ein und kehrte dem Kontrabassisten den Rücken zu. Bedingt durch die Enge des Fahrstuhls stand sie Frederic ungewöhnlich nahe. Er musste nur den Hals leicht vorstrecken, um den Jasminduft ihres Nackens einsaugen zu können. Hmmm. Ein Wohlgeruch, der ihn geradezu magisch anzog – plingpling.

Der Mantel, teuer, aber auch ein wenig hässlich, verhüllte leider die Figur, so dass er sie nur erahnen konnte. Ihr Hintern jedoch war sehr groß, zu ausladend für diese Konfektionsgröße. Er zeichnete sich rund und saftig unter dem Stoff ab, das erkannte Frederic sofort mit Kennerblick. Ein praller Prachtarsch, nur eine Handbreit entfernt von seiner Gürtelschnalle.

Ja, so sollte eine Frauenfigur aussehen, fand Frederic, wie ein breiter Geigenboden mit einem schmalen Steg nach oben. Ein richtig guter Resonanzkörper – plingplingpling.

Schon regte sich in Frederics Hose der geile Hengst.

Noch bevor die Pferdestärken richtig mit ihm durchgehen konnten, riss ein plötzlicher heftiger Ruck Frederic aus seinen erotischen Abschweifungen und Melly aus ihrem Dämmern.

Es war genau achtzehn Uhr siebenundzwanzig, als der Fahrstuhl stecken blieb.

Sanduhr trifft Kontrabass

Kurz zuvor, um 18:10 Uhr.

Nach einem himmlischen Schaumbad hüllte sich Melly in flauschige Handtücher. Eines mit Rosenmustern wickelte sie als Turban um den Kopf. Das große rote spannte sie um ihre Taille, während sie einen flüchtigen Blick aus dem Fenster warf.

Waschbetongrauer Himmel, Strippenregen, Depri-Stimmung.

Tolle Idee, gerade heute auf eine Party zu gehen.

Eher das ideale Wetter, um mit Tee und Kerzen auf der Couch zu chillen und sich schnulzige Filme auf DVD reinzuziehen.

Seufzend kramte Melly den teuren, aber ziemlich reizlosen Mantel aus den Untiefen des Kleiderschranks und probierte ihn gleich an. Weil er über den Hüften spannte, zog sie das rote Badehandtuch aus, doch die erhoffte Verbesserung war nur gering. Diese Edeldesigner produzierten Mode für Bügelbrett-Figuren, aber Melly hatte definitiv Kurven.

Oberkörper, Taille und Hüften ergänzten sich bilderbuchhaft zu einer Sanduhr und ihr üppiger Hintern war ein Ereignis, nach dem sich die Männer auf der Straße umdrehten. Sie klatschte sich selbst auf ihr straffes Fleisch und zwinkerte flirtend ihrem Spiegelbild zu. Sollte der olle Mantel doch spannen! Sie war eben ein richtiges Weib und keine Bohnenstange.

Auf einmal vibrierte Mellys iPhone. Nele war dran. Oje, das konnte in diesem Stadium der Partyplanung nichts Gutes verheißen. Nele klang ziemlich überfordert. Sie plapperte ohne Punkt und Komma.

Während des Gesprächs streifte Melly den Mantel vom nackten Körper und klemmte das iPhone zwischen Schulter und Ohr. Geduldig hörte sie ihrer Freundin zu, streute auch hin und wieder ein »hm« oder »ach ja« als Zeichen der Aufmerksamkeit ein.

Zugleich begann sie, die frisch rasierten Körperpartien sorgfältig und liebevoll einzucremen – beginnend mit den Waden, dann die Oberschenkel innen und außen.

»Kannst Du noch einen großen Kochtopf mitbringen?«, wollte Nele wissen. »Der Drachen hat selbstgemachte Kürbiscremesuppe mitgebracht, im Gefrierbeutel. Die weiß ganz genau, dass ich ein perfektes 5-Gänge-Menü beim Caterer zusammengestellt habe. Und nun tanzt sie hier mit ’ner Suppe im Beutel an. Ich dreh’ gleich durch! Martin sagt wie immer nichts. Der ist zu feige, seiner Mutter mal die Grenzen zu zeigen. Schleimt stattdessen: Ja, Mutti. Danke, Mutti. Du bist die beste, Mutti … Oh man, davon krieg ich glatt einen Hörsturz! Warum müssen Männer gegenüber ihrer Mutter immer so den Schwanz einziehen, Melly, weißt Du das?«

»Hm, tja, naja …«, antwortete Melly unbestimmt, das war gerade nicht ihr Thema. Offenbar war Neles Frage auch eher rhetorisch gemeint, denn sie wartete keine Antwort ab und plapperte sofort weiter.

Mellys frisch eingecremte Waden und Oberschenkel glänzten jetzt wie die Glieder einer blank polierten Porzellanputte. Sie fläzte sich in den guten alten Ledersessel und spreizte die Beine links und rechts über die Armlehnen, welche extra dafür gemacht zu sein schienen.

Zärtlich massierte Melly den Cremerest in ihre glattrasierte Bikinizone ein.

»Jetzt gibt es also fünf Gänge und eine Kürbiscremesuppe vornweg«, fuhr Nele sprunghaft fort. »Du hast doch einen passenden Topf, oder? Der Drache wird sonst Feuer speien und mir den Abend vermiesen. Darauf habe ich echt keinen Bock. Die rennt hier rum und zündelt mit ihrer Drachenzunge, was das Zeug hält.«

Melly hörte der besten Freundin nur noch halb zu.

Der andere Teil ihrer Aufmerksamkeit galt der rechten Hand, deren Fingerspitzen sich jetzt mit leichtem Druck durch das hellrosa Fleisch arbeiteten, die Knospe hervorlockten und liebkosten und sich schließlich wärmend um den Venushügel legten.

Zu ihrer Vagina hatte Melly ein sehr liebevolles Verhältnis. Nach einem anstrengenden Tag belohnte sie sich bereitwillig mit einer intimen Streicheleinheit. Meist bevorzugte sie dabei zarte Berührungen, während sie sich von einem Lover auch gern mal härter durchnehmen ließ. Verspielt strubbelte Melly die feinen schwarzen Härchen ihrer Landebahn gegen den Strich, bis sie abstanden wie eine Punkfrisur.

Seidenweich und widerspenstig zugleich.

So war sie im Grunde auch.

Nur dass im Alltag ihre widerborstige Seite mehr zur Geltung kam. Seidenweich war sie viel zu selten. Wurde Zeit, dass da mal einer auftauchte, der Mellys widerspenstige Seite etwas zähmte.

Sie seufzte und trank einen großen Schluck vom Sekt.

Als Nele in ihrem Monolog endlich einen Punkt setzte, grätschte Melly schnell in die Tonlücke, um den Redeschwall zu stoppen.

»Natürlich bringe ich den Topf mit, Süße. Keine Panik. Alles wird gut, hörst du? Muss mich jetzt weiter fertigmachen, ja? Wir sehen uns gleich. Behalt die Nerven vor dem Drachen. Kusskusskuss.«

Dann legte Sie einfach auf.

Nach der innigen Körperpflege schlüpfte Melly in seidene Unterwäsche, zog ein knappes Cocktailkleid darüber und stieg in die Highheels.

Dann stolzierte sie mit wiegendem Schritt in die Küche.

Zwar kochte Melly nie etwas außer Wasser und ab und zu mal vor Wut, aber dank ihrer heißgeliebten Nana hatte sie eine perfekt ausgestattete Küchenzeile.

Sie wählte den größten Topf aus, den sie finden konnte, nahm die zwei Champagnerflaschen aus dem fast leeren Kühlschrank und klemmte sich im Flur ihre Clutch unter den Arm.

Melly drapierte Flaschen, Topf und Handtasche so am Körper, als probte sie gerade eine raffinierte Jonglage-Nummer. Fast hätte sie jetzt den Mantel vergessen, aber rechtzeitig fiel ihr ein, dass draußen ein Hundewetter war. Mühevoll zog sie mit einem Fuß und dem kleinen Finger die Wohnungstür ins Schloss. Na bitte, ging doch.

Mit dem Korken einer Champagnerflasche drückte sie auf den Lift-Knopf und wartete. Man, das Ding brauchte heute wieder gefühlte Ewigkeiten. Sie hätte doch lieber eine Tragetasche nehmen sollen. Nicht, dass ihr noch der gute Schampus aus der Hand fiel.

Melly nutzte die Wartezeit, um sich den Mantel anzuziehen.

Dafür stellte sie den Topf ab und klemmte sich die Clutch und die Flaschen zwischen ihre Schenkel. Fuck, dachte Melly, die Pullen waren eiskalt! Ein Gefühl, als würden die Schenkelinnenseiten einfrieren.

Endlich glitt die Fahrstuhltür vor ihr auf.

Überraschenderweise war die enge Kabine bereits halb gefüllt mit einem riesenhaften Kontrabass. Daneben stand ein gut aussehender Enddreißiger, der sie in Sekundenbruchteilen mit dem typischen Männer-Abcheck-Blick von oben bis unten durchleuchtete. Offenbar hatte Melly den Test bestanden, denn seine Mundwinkel zogen sich zu einem Lächeln nach oben und er bat sie herein.

»Kommen sie, wir werden uns schon bis ins Erdgeschoss vertragen.«

Charmebolzen, dachte Melly. Sie überlegte kurz, ob sie nicht doch die Treppe nehmen sollte. Fahrstühle, die zu voll oder zu eng waren, versuchte sie zu meiden. Aber sie trug ihre unpraktischen Highheels und war bepackt wie ein Lastesel. Was soll’s.

Also lächelte sie höflich zurück, bedankte sich knapp und tauchte für einen kurzen intensiven Moment in das glitzernde Dunkelblau seiner Augen ein. Tatsächlich ein attraktiver Mann. Sie war ihm noch nie begegnet, hatte aber schon öfters den satten Klang des Streichinstruments gehört, wenn er tagsüber probte.

Ein sehr maskulines Instrument, fand Melly, und sie fragte sich unwillkürlich, wie es sich anfühlen mochte, wenn es so männliche Töne von sich gab. In ihrer Fantasie presste sie den Körper an den Kontrabass, während er mit dem Bogen darüber strich. Welches Gefühl würden diese Vibrationen wohl auf der Haut auslösen? Melly schob den verlockenden Gedanken so rasch beiseite, wie er gekommen war und betrat die enge Kabine.

Als sich die Türen schlossen, kehrte sie dem Fremden instinktiv den Rücken zu. Die wenigen Kubikmeter Raum, gut gefüllt mit zwei Menschen und einem Rieseninstrument boten zu wenig Abstand. Für einen Augenblick grübelte Melly, was denn eigentlich üblich war an Distanz zwischen Männern und Frauen.

Sie malte sich aus, wie der Unbekannte hinter ihr lüstern den Jasminduft ihres Nackens und ihrer Haare einsog und dass sein Gehirn davon Signale an den Unterleib senden würde.

 

Melly sah sich gern als Objekt männlicher Begierde und zugleich war es ihr auch ein bisschen unheimlich. Sie war sexuell eher devot, was nicht ausschloss, dass sie sich in der Hitze körperlicher Erregung auch einfach mal nahm, was sie wollte. Nach Mellys Meinung verstand sich ein guter Liebhaber darauf, das eigene Begehren anzuheizen, indem er ihre Bedürfnisse erkannte und befriedigte. Sich der Lust eines Mannes hinzugeben, war daher immer mit einem Vertrauensvorschuss verbunden. Ihre Seele wollte gevögelt werden, nicht nur ihr Körper. Ob ein Mann sich als Sexgott erwies oder als egoistischer Bettsportler, wusste man jedoch erst hinterher.

Bei solcherlei Gedankengängen spürte Melly, wie sich die Härchen im Nacken automatisch aufstellten, erregt von intensiven Vorstellungen.

Sie biss sich auf die Unterlippe, wartete darauf, endlich das Erdgeschoss zu erreichen und genoss dennoch die prickelnde unschickliche Nähe zu einem Fremden.

Man, sie war eindeutig untervögelt. Warum zum Teufel musste sie sonst dauernd an Sex denken? Noch einmal schwor sich Melly, die Party heute definitv nicht allein zu verlassen. Schon als Ausgleich zum Herbstwetter brauchte sie Liebe, Streicheleinheiten und nicht zuletzt einen richtig guten Fick. Sie leckte sich über die Lippen und spürte den attraktiven Mann hinter sich.

Melly ordnete ihn einer Frau zu, mit der sie sich mal unterhalten hatte, einer etwas unterkühlten Zahnärztin. Das Paar hatte sich ein Loft im Dachboden ausgebaut. Melly war in das Haus gezogen, als sie die Wohnung ihrer Oma übernahm, die sich entschieden hatte, in eine Seniorenresidenz zu ziehen.

»Da ist wenigstens Leben in der Bude«, meinte Nana und jetzt, da Melly selbst in dem Kasten wohnte, musste sie der Großmutter Recht geben. Sogar ein Mausoleum wäre lebhafter als dieses spießige Mietshaus. Sie selbst und die luxussanierten Loft-Nachbarn senkten den Altersdurchschnitt gewaltig.

Ständig hingen im Hausflur Schwaden von 4711 und Zigarrenrauch, gepaart mit dem Geruch von Bohnerwachs, Kohlrouladen und, nun ja, alter Mensch. Trotzdem hatte es Vorteile für eine Langzeitstudentin, hier zu wohnen. Die Miete war unschlagbar günstig, die schwerhörigen Hausbewohner störten sich nicht daran, wenn sie nach zweiundzwanzig Uhr Musik auf Anschlag hörte und mit Pumps über die abgewetzten Holzdielen der Wohnung tanzte.

Und wenn Melly auf »Studienreise« ging – ein Tarnbegriff für Shoppingtouren durch Kopenhagen oder Teint-Pflege auf Mallorca –, goss Nanas Freundin Erna von nebenan ihre Balkonpflanzen. Eigentlich pflegte Erna das Grünzeug sogar immer und rettete Mellys Pflanzen somit vor dem sicheren Vertrocknungstod.

Außer dem grünen Daumen hatte die ältere Dame auch eine feine Seele. Melly heulte sich manchmal in Ernas Küche zwischen Plüsch und Nippes über die Männerwelt aus. Sie bekam dann gute Ratschläge und Mitgefühl. Dazu gab es selbstgemachten Eierlikör und eine Lord Extra. Erna als Nachbarin – das war einfach ein Segen.

Frau Detterbeck aus dem Erdgeschoss war dagegen eine wahre Hexe. So ähnlich stellte sich Melly auch Neles Schwiegermutterhexendrachen vor. Unbefriedigte Frauen konnten heftige Energien aufbringen, um anderen Menschen das Leben schwer zu machen. Melly taufte diesen Frauentypus das »Detterbeck-Syndrom«.

Ein massiver Ruck der Kabine riss Melly aus ihrem Gedankenfluss. Fast ließ sie Topf und Flaschen fallen, konnte sich aber dank ihrer guten Reflexe schnell wieder fangen.

»Was war das denn?«, fragte sie mit einem Anflug von Angst in die unnatürliche Stille hinein.

»Scheint jedenfalls nicht das Erdgeschoss zu sein«, antwortete ihr der Mann mit dem Instrument. »Sieht so aus, als stecken wir fest.«

Vor Schreck rutschte Melly der Topfdeckel unterm Arm weg und krachte scheppernd auf den Boden.

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