Zu Dritt. Threesome

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Zu Dritt – Threesome

I. Tame

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2014 I. Tame

ISBN 978-3-8442-8514-7

„ ... any love is good love,

so I took what I could get ...“

B.T.O.

Eins

Er ist der Traum! Von ihm träumen sicherlich viele. Er kann gar nichts dafür. Er ist wie er ist. Einfach geil! Männer sehen ihm neidisch hinterher – oft verstohlen, damit es kein Gerede gibt.

Frauen schmachten ihn an und seufzen, wenn er sie nicht bemerkt. Ihn zu beschreiben fällt schwer. Nicht die äußerlichen Merkmale. Die kann man einfach nicht übersehen! 25 Jahre, 1,85 groß, grüne Augen, ein schmales, markantes Gesicht. Lippen wie gemalt – nicht zu voll, nicht zu dünn. Reinbeissen! Ja!! Und die Haare! Die Haare!!! Wie ein Raubtier, schulterlang, glänzend dunkel – fast schwarz. Sie fallen ihm ständig ins Gesicht, so dass er sie mit einer lasziven oder ungeduldigen, oder männlichen, oder sexy oder oder oder Geste zur Seite streicht.

Sein Körper macht dich atemlos. Und sprachlos macht dich die Selbstverständlichkeit, mit der er Signale aussendet. Signale seiner Gier, seiner Geilheit, seiner Macht, die er gerne über dich hätte … die er über dich hat, wenn du ihn lässt. Fast tägliches Training im Studio hält diesen Mann für alle Dinge fit, die deine feuchten Träume sich ausmalen.

Ach ja, er ist ein Traum!

Warum ist es nun so schwer, ihn zu beschreiben? Wenn du denkst, du kennst ihn, zeigt er eine Seite, die dich vollkommen aus den Socken haut. Wenn du glaubst, du hast ihn am Haken, lächelt er dich liebevoll an, dreht sich um und ist weg. Meinst du, du kannst ihn von dir abhängig machen? Hah!!! Jetzt TRÄUMST du aber wirklich! Du denkst, du hast zweimal mit ihm Sex gehabt und jetzt gehört sein Arsch dir? Na klar!! Er gehört wieder dir, wenn du ihn von dem knackigen Typen da hinten runtergezogen hast. Aber dann musst du ihm auch erklären, warum du nur so was Blödes getan hast?! Schließlich dreht sich alles nur um Befriedigung. SEINE Befriedigung – merk‘ dir das!

Dann gibt es auch keine Enttäuschungen. Oh je, er ist definitiv ein Fall für hartnäckige Masochisten. Leute, die immer wieder gerne auf den Hintern fallen, trotzdem aufstehen und ihm weiter hinterherrennen. Versteh‘ mich nicht falsch. Er ist kein bösartiger Mensch. Vielleicht ist noch nicht der Richtige oder die Richtige auf der Bühne erschienen. Ja, er liebt sie alle! Männer und Frauen. Jeder kriegt also seine Chance. Trau‘ dich nur! Sprich‘ ihn an! Frag‘ ihn irgendwas. Hältst du seinem Blick aus grünen Katzenaugen stand? Los! Geh‘ rüber! Sein Name ist Keno!

Zwei

Ein wirklich hübscher Bursche! 1,80 groß, 20 Jahre, blaue Augen und hellblonde Haare, welche strubbelig geschnitten sind. Einige kesse Strähnen fallen ihm in die Stirn. Wenn du ihn genau betrachtest, kannst du dir vorstellen wie er als kleiner Junge ausgesehen hat. Es macht den Eindruck als würde sein Gesicht sich jetzt erst richtig zur Männlichkeit bekennen. Hier und da tummeln sich einige Sommersprossen um seine Nase. Schmollen kann er gut mit diesem sinnlichen Mund. Er sieht nicht nach ‘Mädchen‘ aus. Täusch‘ dich da mal nicht! Aber er ist wie der Sommer. Er wirkt leicht und unbeschwert. Wie eine Sommerbrise. So sorglos …

Doch er ist der Suchende! Und er ist wirklich schüchtern. Eins seiner dringlichsten Probleme: er ist sooo verknallt! Leider ist eine schnelle gewagte Anmache so überhaupt nicht sein Ding. Und Aufmerksamkeit erregen schon mal gar nicht. Diese doofe Schüchternheit hat ihm schon viele Gelegenheiten versaut. Dann steht er da und das Herz klopft ihm bis zum Hals. Er geht dann keinen Schritt vor, lieber ein Stückchen zurück. Die Situation muss schon ziemlich „sehr ganz besonders richtig“ für ihn sein. Dann klappt’s auch mit dem Anbaggern. Wenn er nur wüsste, wie sexy er aussieht mit diesem verlorenen Gesichtsausdruck. Und wenn seine Augen so riesig werden wie zwei blaue Seen...

Geh‘ doch einfach mal rüber! Geh‘ hin und sag‘: „Hi, Mika! Wie läuft’s mit Jana?“

Er ist soo niedlich, wenn er rot wird.

Drei

Gott, ist DIE süß! Ein Mädchen – klein und zierlich. Ein Gesicht wie eine zarte Elfe mit herzförmigen Lippen; gemacht zum Totknutschen. Große dunkelblaue Augen, eine gerade zierliche Nase und wunderschöne Wangenknochen. Sie hat kurze fransig geschnittene fast weißblonde Haare und wenn sie lacht, liegt die Farbe ihrer Zähne im Wettstreit mit der Haarfarbe. (Das ist natürlich Quatsch, aber ihr wisst, was ich meine). Gott der Herr hat in seiner Güte nicht an der Oberweite gespart. Das heißt nicht, dass sie aussieht wie Dolly Buster, aber sie ist auch kein Brett mit Reiszwecken drauf.

21 Jahre, 1,60 groß und mit 55 Kilo ist sie wirklich zierlich. Sie hat unglaublichen Erfolg bei Männern und ist sich dieser Tatsache durchaus bewusst. Hässliche Arroganz ist nicht ihr Ding – eher die Lässigkeit es als Tatsache zu akzeptieren, dass sie fast jeden Mann haben kann, den sie erwählt. Der Kampf ist also nicht unbedingt das Gebiet, auf welchem sie sich behaupten muss.

Momentan flattert sie vor sich hin. Gibt und nimmt mal hier – mal da. Genießt alles, was sich ihr so darbietet. Und sie ist Mika’s Freundin – nicht das, was ihr jetzt direkt wieder denkt. Na, das kann ja heiter werden –er betet sie an!!

Nach der letzten Aerobic-Stunde fällt ihr Blick auch auf diesen neuen unglaublichen Typen. Natürlich fällt ihr Blick auf ihn, verdammt – wie könnte es auch anders sein. Die anderen Hühner gackerten schon vor der Trainingsstunde nur von ihm. Keno hier, Keno da, Keno oben, Keno unten. Blablabla. Was sollte schon so Besonderes sein an dem Kerl?!

Doch dann fällt ihr Blick auf ihn und schraubt sich fest – an diesem Brustkorb, diesem knackigen Hintern, den Sixpacks, den muskulösen Armen, diesem Gesicht und ja, Himmelherrgottnochmal, an diesem Schritt! Das ist alles einfach nicht zu übersehen. Er steht da wie ein junger Gott in seinen Spinning-Klamotten … noch ganz verschwitzt.

Wooww – das könnte ein schöner heißer Sommer werden.

Und SIE braucht keine besondere Einladung. Sie geht rüber. Sie lächelt von unten herauf in diese grünen Augen und leckt unbewusst sanft mit ihrer kleinen Zungenspitze über ihre Lippen, bevor sie sagt: „Hallo, bist du neu hier? Ich hab‘ dich hier noch nie geseh’n. Ich heiße Jana. Und wie heißt du?“ (Diese kleine Heuchlerin :-)

Ihr Atem geht schwer. Deutlich hebt und senkt sich ihre Brust und die Brustwarzen treten unter dem dünnen gerippten Tanktop hervor. Sie liegt auf ihrem Bett und er liegt seitlich neben ihr, den Kopf auf die rechte Hand gestützt.

„Jana“ raunt er mit seiner sanften tiefen Stimme, die so ein Wahnsinns-Timbre hat.

„Jana, mach‘ weiter! Ich will sehen wie Du’s Dir machst.“

Ein leises Stöhnen kriecht aus ihrem Rachen und sie reibt sanft mit der Fingerspitze zwischen ihren Schamlippen. Noch sehr langsam, weil sie diesen Moment in die Länge ziehen will. So lange wie möglich. Sie hat gefühlte Stunden gebraucht bis sie es so weit geschafft hat.

„Hmm, Kenoo,“ seufzt sie schmachtend. „Fass‘ mich doch bitte an. Irgendwo! Egal wo! Aber bitte, fass mich doch endlich an.“

Sie hat die Augen geschlossen und weiß doch ganz genau, wie sich jetzt ein diebisches Grinsen auf seinem wunderschönen Gesicht ausbreitet. Er spricht nicht mit ihr und lässt sie schmoren. Also reibt sie weiter und ihre Hüften beginnen, sich ebenfalls kreisend den Bewegungen ihrer Hand anzupassen. Ihr Atem wird schwerer, denn es macht sie verrückt vor seinen Augen so etwas zu tun. Sich selber zu befriedigen ist ihrer Ansicht nach eine sehr persönliche Sache; sehr intim, persönlich intim, wenn man so will. Ooh, sie weiß genau, welcher Blick jetzt aus seinen Augen spricht. Obwohl nur sie selbst sich befriedigt ist er zufrieden, weil sie tut was er will. Sie würde alles tun.

Und sie hat wirklich lange an ihrer Vorstellungskraft gearbeitet, bis sie es so weit geschafft hat, ihn sich leibhaftig neben sich vorzustellen. Fast kann sie ihn riechen, seine Körperpräsenz spüren. Ja, sogar die Matratze scheint sich auf der linken Seite neben ihr einzudrücken. Wenn sie sich jetzt noch ein bisschen mehr entspannt, dann wird er vielleicht in ihr Ohr atmen, ganz sacht und leise. Oder sanft seine warme Zunge auf ihre Brustwarze stupsen. Alleine der Gedanke daran lässt sie noch härter und größer werden. Ihr Mittelfinger reibt schon längst nicht mehr sanft und vorsichtig, sondern fordernd und nach Erlösung suchend. Als ein zuckender Orgasmus endlich ihre Geilheit ein wenig abkühlt, schreit sie seinen Namen im Kopf: Keno! Keno!

Sie will ihn! Verdammt! Er hat sie im Fitness-Studio freundlich begrüßt, nur ein paar unverbindliche Sätze mit ihr gewechselt und dann quasi ignoriert. Unglaublich! Sie versteht die Welt nicht mehr. Sie schaffte es gerade mal, ihm zu entlocken, dass er auch ins ‘Crawlers‘ zu der Travestie-Show geht. Wenigstens 10 Minuten hätte er ihr doch widmen können. Das ist ihr noch nie passiert. Als wäre sie eine alte unattraktive Kuh, vor der man schnellstens weglaufen müsste.

Seufzend setzt sie sich in ihrem Bett auf, zieht sich das Shirt über den Kopf und schlendert dann langsam nackt zum Bad, um eine erfrischende Dusche zu nehmen. Sie ist seit Ewigkeiten nicht so verwirrt gewesen. Oder war sie JEMALS so verwirrt?! Sie muss nachdenken. Aber was gibt’s da schon groß nachzudenken?! Sie will diesen Typen. Als sie im Studio neben ihm an der Theke stand und zu ihm aufschaute … genau in diesem Moment war’s um sie geschehen. Sie kam sich noch kleiner und zerbrechlicher vor, als sie in Wirklichkeit schon ist. O. k., soo zerbrechlich ist sie gar nicht. Sie hat ein ganz schön großes Ego. Aber neben diesem Typen – ohh und er roch so gut – der locker 25 cm größer ist als sie und mindestens hundert Mal so viele Muskeln hat. Also, neben diesem Body da kam sie sich so … so … winzig vor. Am liebsten hätte sie sich direkt an ihn geschmiegt. Oder geklammert. Sie seufzt wieder einmal. Alles klar! Kalte Dusche! Und dann mal sehen wie’s weiter geht.

 

Gleich will sie noch zu Mika. Sie muss ihm unbedingt von Keno erzählen. Auch wenn er – sie lacht leise auf – wahrscheinlich keine große Hilfe für ihr weiteres Vorgehen sein wird.

Jana hat Mika ganz besonders gern. Er ist wirklich ein sehr guter Freund und Jana hat sehr viele Freunde; doch Mika ist etwas Besonderes in ihren Augen. Nie wird er anzüglich, nie wird er zudringlich. Natürlich merkt sie, dass Mika sie auch schon mal anstarrt. Doch bei ihm ist sich Jana nicht sicher, ob er tatsächlich sie meint oder ob er einfach in Gedanken abdriftet.

Mika ist so ein … zugegebenermaßen süßer … aber doch schüchterner Typ.

Vielleicht kommt kein direkter Ratschlag von ihm, doch es tut immer gut, sich mit Mika auszutauschen. Er ist der große Bruder, den sie sich wünschen würde. Der sanfte, liebe, fürsorgliche Bruder. Aber wer weiß – immerhin ist er auch ein Kerl. Womöglich hat Mika ja doch ein paar Ratschläge für sie.


Verdammt! Wir haben keine Butter mehr, kein Brot, keine Marmelade … gar nichts mehr!!

Genervt schlägt Mika die Kühlschranktüre zu. Es ist zehn Uhr morgens, da schläft seine Mutter noch. Kein Wunder, sie ist ja auch erst gegen zwei Uhr nachts schlafen gegangen. Und wenn sie heute Mittag aufsteht, wird sie ihren üblichen Kater haben. Und dann ist nichts da, womit sie sich ein kleines Frühstück machen kann. Mika könnte sich ohrfeigen. Er hat es einfach vergessen. Da er jederzeit eine Kleinigkeit bei der Arbeit essen kann, ist ihm der Einkauf ‘entfallen‘.

Seine Mutter ist Alkoholikerin. Nicht übermäßig im Sinne von: bis zur Besinnungslosigkeit betrunken. Doch sie trinkt ihre regelmäßige Dosis, so dass sie weder in der Lage ist zu arbeiten, noch sich um alltägliche Dinge zu kümmern, die für jeden anderen selbstverständlich sind. Behördengänge, Haushalt und Einkaufen zum Beispiel bereiten ihr große Mühe; strengen sie sehr an. An Arzttermine muss Mika sie sowieso erinnern. Und meistens begleitet er sie, wenn sie wackelig auf den Beinen ist.

Mit seinen zwanzig (fast einundzwanzig) Jahren hat Mika es sich selber zur Pflicht gemacht, für sie zu sorgen – soweit er es kann. Eigentlich wollte er nach der Realschule mit Achtzehn versuchen, eine Lehrstelle zu bekommen. Eine ganz normale Ausbildung und dann ‘richtig‘ Geld verdienen. Aber das ist einfach nicht drin bei dem knappen Zuschuss vom Amt. Er musste sich einen Job suchen und dazu verdienen. Er ist der einzige Mensch, den seine Mutter noch hat. Sein Vater ist irgendwann abgehauen, als Mika vier Jahre war. So richtig erinnern kann er sich nicht an ihn. Das einzige, was er weiß ist, dass sein Vater Schwede ist. Sein Nachname – Sundberg - wird ihn ein Leben lang dran erinnern. Ansonsten gibt es lediglich einige Flashback-Szenen, die vor seinem inneren Auge ablaufen, wenn er an seinen Vater denkt. Das ist aber auch schon alles. Nur die paar Fotos in einem alten Schuhkarton, den seine Mutter hütet wie einen Schatz, sind von seinem Vater geblieben. Vermutlich ist er wieder zurück nach Schweden. Das ist Mika egal. Soll er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Mika gibt ihm eindeutig die Schuld an dem seelisch desolaten Zustand seiner Mutter.

Früher war sie so hübsch. Eine Ausstrahlung wie ein Engel: blond, blaue Augen und ihrem sanften Blick hatte Mika nie viel entgegenzusetzen, wenn er mal bockig war.

Während er liebevoll über das Erscheinungsbild seiner Mutter aus vergangenen Tagen nachdenkt, zieht er die Haustüre hinter sich zu und rennt die zwei Etagen runter, um schnell einige Dinge im SB-Markt um die Ecke einzukaufen. Er hat nur noch dreißig Euro für die notwendigen Einkäufe. Jetzt muss er sich aber beeilen, damit er noch rechtzeitig zur Arbeit kommt.

Mit einem Einkaufskorb geht er zügig die Regale ab und wirft die Sachen hinein. Die Verkäuferinnen kennen - und mögen ihn! Sie wissen, dass er alleine mit seiner Mutter lebt und sich so gut es geht um sie kümmert. Und außerdem ist er ein ruhiger, schüchterner Junge. Da stehen die Muttis drauf!

Und worauf stehen die jüngeren Kolleginnen? Na, auf alles andere! Angefangen bei den weizenblonden strubbeligen halblangen Haaren, über seine Augen, die an blaue Saphire erinnern bis hin zu seiner sportlichen Figur und einem Lächeln, das die Damen regelmäßig aus den Socken haut. Eine ein Meter achtzig große verheißungsvolle Herausforderung. Dass Mika oft ein bisschen unsicher und zurückhaltend ist … oh Mann, das gibt ihnen den Rest. Die Kassiererin sieht erfreut zu ihm hoch.

„Na, Mika? Dich hab‘ ich ja schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Alles in Ordnung zu Hause?“

Mika lächelt. „Ja, alles klar! Ich hab´s nur eilig, weil ich zur Arbeit muss.“

„Mika!“ kommt es leicht vorwurfsvoll zurück, als die Dame an der Kasse den Inhalt seines Korbes sieht. „Warum unterstützt du sie auch noch dabei?“ Sie zieht kopfschüttelnd die Flasche Gin über den Scanner.

Mika zuckt verlegen mit den Achseln. „Sie lässt es doch sowieso nicht. Besser, ich weiß, wie viel sie trinkt und was.“

Sie nickt mitfühlend. „Du hast ja Recht, Mika. So, das macht dann 25 Euro 94. Danke!“

Mika nimmt sein Wechselgeld, packt die Sachen in eine Tüte, die ihm die Kassiererin zwinkernd zuschiebt, winkt kurz und ist schon wieder im Laufschritt auf dem Weg nach Hause. Jetzt noch schnell alles hochbringen und dann nichts wie los.

Quietschend bremst Mika sein Fahrrad vor dem ‘Café Bohne‘ ab. Hier kellnert er, steht hinter der Theke und hilft auch schon mal in der kleinen Küche, wenn es Personalprobleme gibt. Er liebt diesen Job, er liebt die Leute und er liebt diesen Laden. Anfangs war es eine Notlösung, weil er dringend Geld verdienen wollte. Doch inzwischen ist es sein zweites Leben. Das Ambiente in diesem Café ist einfach super. Und nicht gerade wenige Leute beneiden ihn darum, dass er einen Großteil seiner Zeit hier verbringen darf, während sie nur nach der Schule, in der Mittagspause oder an freien Tagen im Studium hier vorbeischauen. Er schiebt sein Rad in den Hinterhof, schließt es ab und betritt über die Hintertüre das Lokal.

„Hi, Mika!“ begrüßt ihn sein Chef.

„Hi, Ralf! Tut mir leid; ich bin ein paar Minuten zu spät…“

Ralf winkt ab. „Wenn alle so ‘ne Arbeitsmoral hätten wie du, Mika … die neue Tussi, die in der Küche helfen sollte, hat sich einfach nicht gemeldet. Kannst du gleich mal Uschi helfen?“

„Klar!“ Mika nimmt schnell eine frische schwarze Kellnerschürze aus dem Schrank und bindet sie sich um die Hüften.

„Halli-Hallo“ begrüßt er seine Lieblingskollegin fröhlich.

Uschi Lindenberg, 40 und ein wenig mollig um die Hüften, strahlt über das ganze Gesicht, als Mika hereingefegt kommt.

„Ah, da ist ja mein Sonnenschein. Oh, Mika, du kommst mir gerade Recht. Ich weiß, es ist nicht die tollste Aufgabe, aber einer muss sie ja erledigen…“.

Sie presst mitleidig die Lippen aufeinander und deutet mit einem Holzlöffel auf die andere Seite der Arbeitsplatte. Da stehen ein kleiner Korb mit Zwiebeln, ein Küchenmesser und ein Brett bereit.

„Oh…“ kommt es weniger fröhlich über Mika’s Lippen.

„Sorry, aber ich muss doch den versprochenen Zwiebelkuchen backen. Fast eine ganze Klasse 16jähriger kommt heute Mittag und freut sich schon drauf.“

Mika steht bereits an seinem Platz.

„Na, dann!“ Ohne weiteren Kommentar beginnt er seine Arbeit. Eine dreiviertel Stunde später ist er fertig – fix und fertig. Tränen rinnen über sein Gesicht und seine Finger stinken dermaßen nach Zwiebeln, dass sogar Uschi einen kleinen Schritt beiseite geht, als er heulend an ihr vorbei zum Waschbecken schlurft. Dort wäscht er sich intensiv die Hände.

Als er das Lokal betritt, sind seine Augen so verheult, dass er die Einrichtung des Cafés gar nicht richtig erkennen kann. Gemütlich gepolsterte Stühle und einige kleine Sitzecken mit alten Sesseln und Bänken. Die Wände sind in hellen Pastelltönen gestrichen. Kaffeebohnen in allen Variationen hängen als Fotoimpressionen an den Wänden. Die Theke selber ist ein Meisterwerk aus edlem dunklen Holz und Chrom. Eine verspiegelte Rückwand mit Regalen für Gläser, Flaschen und Accessoires lässt das Lokal noch ein wenig größer erscheinen. Angenehme, leicht vor sich hinplätschernde Musik, gibt den Gästen genug Raum, um sich zu unterhalten.

Gott sei Dank sind noch nicht so viele Leute da. Mika schnieft und zieht seine verrotzte Nase hoch. Er trocknet sich die gewaschenen Hände ab und versucht dabei, den Tränenfluss halbwegs zu stoppen, indem er seine Augen abwechselnd links und rechts über seine Schultern reibt.

„Mika!!! Was ist passiert?!“ Eine erschrockene Mädchenstimme ertönt von der Kopfseite der Theke.

Auch das noch! Jana!! Mika lacht verschämt auf.

„Nichts“, wehrt er ab. Doch Jana glaubt ihm nicht, weil er immer noch schnieft und über den Mund ausatmet. Endlich hat Mika ein Taschentuch gefunden und putzt sich die Nase.

„Heute gibt’s Zwiebelkuchen“, ertönt es nasal.

Jana lacht erfrischend laut auf… und Mika geht das Herz über. Wenn Jana wüsste, wie sehr er in sie verknallt ist! Hach!! Während Mika mit Jana lacht, fährt sein noch etwas wässriger Blick über ihre gesamte Erscheinung. Jana ist wirklich bildhübsch. Nicht nur ihre Klamotten sind immer ausgesprochen trendy. Mit ihren ein Meter sechzig und dem zierlichen schlanken Körper wirkt sie auf den ersten Blick wie ein Schulmädchen. Ihre Haare sind stufig kurz geschnitten und weiß blondiert. Der Ausdruck ihrer himmelblauen Augen trifft Mika zuweilen wie ein Laserschwert. Sobald Jana die Zunge über ihre herzförmigen Lippen gleiten lässt, um zum Beispiel einen Rest Sahne abzulecken, kann Mika nicht anders. Er starrt sie an – völlig selbstvergessen. Und dann wird ihm wieder bewusst, dass er diesen Mund wohl nie im Leben küssen wird.

Warum nicht? Jana gehört - in Mika’s Augen - einer anderen Gesellschaftsschicht an. Das hört sich in der heutigen Zeit total blöd an, ist aber für Mika so. Ihre Eltern sind so stinkreich, dass sie Jana erst gar nicht auf das örtliche Gymnasium gehen lassen wollten. Sie sollte in ein Internat. Doch neben der Tatsache, dass Jana einen sehr hübschen Kopf hat, ist dieser auch ausgesprochen stur. Und so hatte sie sich schon damals durchgesetzt, damit sie bei ihren Freunden bleiben konnte.

Aber Mika? Mika hat einen Realschulabschluss und ist jetzt ungelernter Kellner. Er kann froh sein, dass Jana’s Eltern ihr nicht den Umgang mit ihm verbieten. Mika weiß, dass er ihnen wahrscheinlich Unrecht tut, doch im Ernstfall… Ein leiser Stich zieht durch sein Herz. Hoffnungslos! Jana selber würde ihn wahrscheinlich auslachen, wenn er versucht, sich ihr zu offenbaren. Mika scheucht seine traurigen Gedanken beiseite.

„Was möchtest du trinken?“ fragt er, während er sein Taschentuch in den Mülleimer wirft.

„Hmm…“ sie überlegt. „Gib mir bitte eine Cola! Ich brauch‘ was Kaltes! Danke!“

Jana schlendert zum Fenster, um sich einen guten Platz zu suchen. Von hier aus kann man in der Fußgängerzone super gut die Leute beobachten.

„Alles klar!“ Mika nimmt ein Glas und holt eine Cola raus. Er öffnet das Fläschchen und bringt alles zu Jana rüber.

„Danke Dir, mein Schatz“, Jana lächelt zu ihm hoch. Wie er es liebt, wenn sie das sagt! Sie sagt es nur zu ihm und darauf ist er stolz. Da kann er sich so richtig einen vormachen… Ja, peinlich! Aber man nimmt halt, was man kriegen kann.

„Gerne!“ Mika lächelt zurück, dreht sich um und will wieder hinter die Theke gehen. Doch Jana hält ihn am Unterarm fest.

„Mika?“

Er sieht ein bisschen erschrocken auf sie herab.

„Ja?“ fragt er vorsichtig.

„Hast du nicht einen Moment Zeit? Setz dich doch zu mir. Ich langweil mich sonst so, bis die anderen kommen.“

Bei den „anderen“ handelt es sich um Jana’s eingefleischte Clique. Manchmal – wenn er das nötige Kleingeld hat – geht auch Mika mit ihnen zusammen aus.

Wenn Jana ihn um etwas bittet, dann denkt Mika meistens nicht mehr, dann macht er es einfach. Also sinkt er fast zeitgleich mit ihrer Bitte auf den Stuhl gegenüber und heftet seinen Blick wie Klettband an Jana’s Lippen.

 

„Stell dir mal vor“, ihr Ton wird augenblicklich vertraulich. Sie ist aufgeregt. „Du weißt doch, dass ich in dieses Fitness-Studio gehe – hinten am Bahnhof.“ Mika nickt.

„Da ist vor ungefähr einer Woche der Mega-Typ aufgetaucht. Keno! Der Wahnsinn!! Alle sind total aus dem Häuschen.“ Sie legt eine bedeutungsschwangere Pause ein. „Aber ich … ich werd‘ ihn mir schnappen!“

Mika’s Rücken wird immer runder. Scheiße! flucht er in Gedanken.

„Denn heute … hab ich ihn einfach angesprochen. Ich hatte so was von Glück, weil die anderen Weiber vormittags ja nie zum Training gehen. JA!!“ Jana ballt die Siegerfaust und strahlt über das ganze Gesicht.

„Und?“ fragt Mika tonlos.

„Und??? Er ist heute Abend auch im ‘Crawlers‘ bei der Travestie-Show.“ Jana legt den Kopf schief. „Davon hab ich dir doch schon vor zwei Wochen erzählt… Aach, Mika!! Das kannst du doch nicht schon wieder vergessen haben.“

In der Tat hat Mika es „vergessen“. Wenn wieder mal Ebbe in seiner Kasse ist, vergisst Mika gnadenlos alle Vergnügungen, die er sich eventuell vorgenommen hat. Es geht eben oft nicht anders. Schon blöd genug, dass er bei fast allen Unternehmungen absagen muss. Entweder er arbeitet oder er kümmert sich um seine Mutter und den Haushalt. Oder … er hat kein Geld. Und der Eintritt heute Abend kostet zehn Euro. Die hat er jetzt nicht mehr, weil er ja noch einkaufen war. Und Kohle kriegt er erst morgen. Klar, es gibt auch noch Trinkgeld nach seiner Schicht. Doch er will nicht gleich wieder so viel ausgeben. Also: vergessen!

Jetzt grinst Jana noch breiter. „Guck mal, was ich hier habe!!! Freikarten! Ist das nicht unglaublich?!! Eine für dich und eine für mich!! Frag‘ mich nicht, wie ich das geschafft habe…“

„Wow“, Mika weiß nicht was er sagen soll.

„Los!! Frag‘ schon!!“ wiederspricht Jana sich selber lachend.

„Wie denn?“

„Ich hab dem Chef vom ‘Crawlers‘ einen langen Zungenkuss gegeben, haha!!! Gut, was?!!“

„Janaa“, Mika legt die Stirn in Falten. „Warum machst du so was?! Der ist doch bestimmt schon um die Sechzig!“ Innerlich schreit er ich auch, ich auch!!!

„Er ist Achtundvierzig, du Spinner! Freust du dich denn gar nicht?“ Jana wedelt mit einer der Karten vor Mika’s Nase herum. Mika lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. Ihm ist das unangenehm.

„Ich kann mich nicht immer von dir einladen lassen…“ setzt er geziert an. „Du gibst mir so schon viel zu oft Drinks aus. Die Leute denken noch, ich will dich ausnutzen!“

Jana droht ihm mit dem Zeigefinger.

„Hör auf, so einen Unsinn zu reden! Was andere Leute sagen oder denken, ist mir sch… so was von egal! Du bist mein Brüderchen, das ich nie hatte!!“

Sie grinst fröhlich und steckt ihm die Karte in die Hemdtasche, während er aufsteht, weil Gäste hereinkommen. Brüderchen, na toll!! denkt er niedergeschlagen.

„Mein sexy Brüderchen“ ergänzt Jana mit verschmitztem Augenaufschlag und prostet Mika mit ihrer Cola zu.

Mika lächelt verlegen, schüttelt kurz den Kopf und geht schnell die neuen Gäste bedienen. Danach lässt er sich wieder Jana gegenüber nieder.

„Du musst heute Abend als Rückendeckung in meiner Nähe bleiben, o. k.?“ bestürmt sie ihn wieder eifrig. „Heute Morgen im Studio hat dieser Keno mich doch tatsächlich ein wenig herablassend behandelt. Das macht mich ganz wuschig!“ Jana kneift kurz die Augenlider zusammen und verzieht schmollend die Lippen.

Du machst mich auch … wuschig … mindestens, denkt Mika und unterdrückt ein sehnsüchtiges Aufseufzen. Doch auf die Idee, dass er Jana vielleicht auch einmal anders als lieb und sanft behandeln sollte, kommt Mika nicht. Er kennt nur ihre klaren Ansagen und daran hält er sich. Und heute hat sie auch noch den Lippenstift in diesem unglaublichen Rot aufgelegt. Am liebsten würde Mika sich über den Tisch schmeißen und wie ein paarungswütiges Frettchen ihre Lippen zernagen.

„Wir werden ja seh’n“, erwidert er lahm. Und vielleicht kommt er ja mit seiner Freundin, frohlockt Mika innerlich und macht sich damit selber Mut.