Das zweite Gesicht

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Das zweite Gesicht
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Henning Puvogel

Das zweite Gesicht

Impressum

Texte: copyright beim Autor

Layout: Alexander Kaczorowsky

Titelfoto vom Autor: Valhalla - Tresco

Verlag: Henning Puvogel

Streekmoorweg 3

26316 Varel

Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

1.

Als Per Arne Andersson sich im Inneren der Kajüte aufrichtete, seinen roten Arbeitsoverall zurecht zog und seinen Halbbruder Achim das Werftgelände betreten sah, viel früher als erwartet, schwante ihm, dass der Tag gekommen war, Farbe zu bekennen.

Aber dieser Gedanke störte ihn kaum noch. Jetzt war der Moment eben da.

Vielleicht hatte er selbst auf dieses Zusammentreffen hier im Schiff, diese Entwicklung der Dinge hingesteuert, halb unbewusst. Er spürte eine Art bange Neugier, gepaart mit Erleichterung. Zu lange hatte er alles allein mit sich herumgetragen.

Er hatte damals eben einen Fehler gemacht. Und nun hing ihm das Ganze bleischwer am Hals. Wenn das jemand verstand, dann Achim… und der konnte Dinge für sich behalten.

Per legte die Sperrholzplatte, die hochkant am Schott bei der ausgebauten Schiebetür gestanden hatte, wieder auf den Boden, stellte sich darauf und warf erneut einen Blick aus den leeren Fensteröffnungen der Decksaufbauten.

*

Dort tastete sich Achim Petersen vorsichtig die schräge Ablaufbahn mit den schlüpfrigen Schienen herunter, wo das Schiff, der Bug leicht nach oben weisend, ohne Masten auf dem Slipwagen stand.

Er trug noch seine Reisekleidung – Jeans, dicklederne Stiefeletten mit Reißverschluss und ein helles Hemd unter der Lederjacke.

Wenn man nicht fliegen wollte, war es keine ganz kurze Reise von Norddeutschland hierhin an die Südküste Norwegens. Auch dann nicht, wenn man die Fähre Skagen – Kristiansand nahm.

Jetzt blieb Achim unten vor dem verzinkten Stahlkasten des ausgebauten Trinkwassertanks stehen, warf einen Blick auf den asymmetrischen Klotz des Dieseltanks daneben, aus dem wie herausgerissene Eingeweide die Anschlussleitungen und Schläuche heraushingen, hob eine Ecke der grünen Kunststoffplane an, mit der die demontierte Maschine abgedeckt war und sah hoch zu dem gerundeten Rumpf, der, ganz von außen gesandstrahlt, matt und silbrig in der Vormittagssonne glänzte wie ein Neubau.

Er erkannte sein ehemaliges Schiff wieder am klassischen Riss – der lange Kiel mit dem geschwungenen Vorfuß und dem integrierten Ruder. Aber so hatte er es noch nie gesehen, und sein Herz begann zu klopfen.

Es reckte so unnachahmlich stolz die Nase hoch.

Sein neuer Eigentümer war vom Fach, die Rechnung war aufgegangen.

Er würde es gründlich und fachmännisch restaurieren, den Originalzustand beachten und dabei nie mit etwas verschandeln, was in solch klassische Seekreuzer nicht hinein gehörte.-

Eine breite Werfttreppe mit Podest stand am Schiff und führte von der Seite her an Deck, und nun hatte er Pers Kopf, der sich innen just aufrichtete, durch die Fensteröffnungen entdeckt. Er preite einen lauten Gruß hoch, bevor er in wenigen Sätzen die Stufen nahm und, mit einiger Mühe und sehr langem Arm, in die ausgestreckte Hand klatschte, die der andere ihm fatalistisch grinsend aus dem Inneren der Kajüte entgegenstreckte.

Beide Hälften der hölzernen Tür waren herausgenommen und lagen auf dem gestrahlten Dach der Achterkabine, wo jetzt blanke Schweißnähte zu sehen waren.

Zwischen den beiden Männern, in der Plicht, gähnte wegen des fehlenden Motors und des ausgebauten Kraftstofftanks ein leerer Schacht. Achim stellte sich mit gespreizten Beinen auf das schmale Süll zu beiden Seiten.

Unter sich, wo die jetzt herausgenommene, schallisolierte Stahlplatte den Boden des Mittelcockpits gebildet hatte, sah er tief hinein in den Schiffsbauch. Außenhaut, Spanten und Stringer glänzten in frischer hellgrauer Farbe. Dick einkonserviert ganz unten die schweren Fundamente, bereit, den generalüberholten Diesel, das Wendegetriebe und den Tank wieder aufzunehmen. Farbnasen hier und dort, die durch die Bohrungen für die Zuganker heruntergelaufen und eingetrocknet waren. Zwei nagelneu blinkende Absperrventile für die Schläuche des selbstlenzenden Cockpits waren installiert. Schwarzglänzende Kabelstränge, mit roten Kabelbindern sauber in regelmäßigen Abständen zusammengeschnürt, verschwanden im Motorraumschott, Richtung Schalttafel.

„Vorsicht – nicht drauftreten! Noch zu frisch…“ -

„Kann man riechen, Mann. Hätte ich mich auch gar nicht getraut – höchstens auf weißen Socken! Ich komm mal ’rein da zu dir – obwohl, sieht auch ziemlich leer aus…“

Sie sprachen Englisch miteinander. Sie waren keine gewöhnlichen Brüder.

Per war Norweger, Achim Deutscher - keiner beherrschte die Muttersprache des anderen. Aber ihr Beruf verband sie: beide waren sie Nautiker und Seeleute.

Sie hatten sich erst vor einigen Jahren kennen gelernt und waren nicht zusammen aufgewachsen – hatten gar nichts voneinander gewusst. Die Seefahrt hatte sie zusammengeführt.

Sie hatten verschiedene Mütter, aber denselben Vater. Bei Pers Zeugung war er Besatzungssoldat in Norwegen gewesen, bei Achims Gewerbelehrer in der kleinen deutschen Hafenstadt an der Nordsee, wo seine Familie lebte.

Ein bisschen zögerlich gab Per nun den Eingang frei, und Achim turnte auf den schmalen Kanten zur Türöffnung, griff hinein, hielt sich an den Handgriffen unter der Decke am Niedergang fest und ließ sich in den Salon hinunter. Die Treppe fehlte.

Sie standen tief unten, fast auf dem Kiel – der ausgebaute Trinkwassertank machte sich bemerkbar.

Schotten und Holzverkleidungen waren abgenommen. Nackt und leer gähnten die Fensteröffnungen. Handfeger, Schaufel auf dem Boden, ein Pappkarton fungierte als Mülleimer; darin haufenweise abgeschnittene, herausgerissene alte Kabel unter Zementbrocken und Staub, Farb- und Rostplacken, die darüber ausgeschüttet worden waren. Zwei farbbekleckste Halogenstrahler standen in ihrem Kabelgewirr herum, einer umgekippt.

Zu beiden Seiten ragten S-förmig geschwungene Spanten wie Gerippe in den knapp vier Meter breiten Raum.

Jetzt, da alles freigelegt war, sah man abgeplatzte Farbe und rostige Stellen innen an der Bordwand. Der Salontisch und die breiten Sofakojen waren fort, der Kartentisch in der Navigationsecke, die Kombüse mit Herd und Spülbecken waren fort, und als Fußboden diente eine längliche, grob zugeschnittene Sperrholzplatte. Ein großer, leerer Raum.

Die beiden Männer standen voreinander und musterten sich einen Moment - verhalten, aber freundschaftlich forschend. Vor Wochen hatten sie sich hier an der Werft getrennt, als sie sich einig geworden und das Schiff zusammen übers Skagerrak hergesegelt hatten. –

Sie schienen etwa gleich alt. Sahen sich nicht grade ähnlich, waren aber vom gleichen Typ - glichen sich wie Männer, die Herkunft, Beruf und Umgebung auf bestimmte Weise geformt hatten. Handfeste, wettergebräunte Erscheinungen, die keinen Binnenländer, der sich auf die Brücke eines Frachters verirrt, überraschen, wenn man sie dort antrifft. Offene, großflächige Gesichter, die man dort so oder ähnlich erwartet. Nordeuropäer, reichlich über die Lebensmitte hinaus.

Pers dichtes Haar war zu einer eisengrauen Bürste geschnitten. Er hatte gut geformte Züge mit einer scharfen, senkrechten Stirnfalte, die kaum jemals wich; breite Kieferknochen und ein starkes Kinn, das ein Grübchen aufwies. Er war einen halben Kopf größer, auch breitschultriger als Achim. Silbrige Bartstoppeln sprossen auf seinen festen, gebräunten Wangen und unterstrichen den Kontrast zu auffallend hellblauen Augen.

Achims überwiegend weiß meliertes, welliges Haar war ein bisschen zu lang, nur der Schnäuzer wies noch Spuren von blond auf. Ein leicht skeptisches Lächeln überzog häufig sein Gesicht, das viele Fältchen besonders um die Augenpartie aufwies - wich aber genauso schnell einem entwaffnenden Grinsen. Einige tiefe Narben fanden sich auf seinen Wangen, die man eher bei panamaischen Despoten erwartet hätte, und bildeten einen merkwürdig unpassenden Gegensatz zu seinem offenen Blick, zu seinem mitunter fragend naiv wirkenden Gesichtsausdruck.

Auffällig bei beiden waren die weit auseinander stehenden Augen.

Dem langjährigen Angestellten einer öffentlichen Verwaltung wären sie vielleicht als ein bisschen verwegene Gestalten im Gedächtnis haften geblieben.

„Hier bist du jetzt dran… ganz schön was passiert in den paar Tagen! Alles neu verkabeln?“

Per nickte.

„Aye – und von innen sandstrahlen. Hier drin, und vorn noch. Morgen geht’s los. Achterkabine ist schon fertig, auch neu lackiert… schön geworden! Wollen wir schauen?“

Pers Hand wies nach draußen.

Aber Achim rührte sich nicht.

Plötzlich hatte er so ungewohnt viel Kopffreiheit über sich - und alles, alles ab- und ausgebaut... sie standen quasi auf dem Bleikiel, über dem sonst flächendeckend der große Trinkwassertank an den Spanten verschweißt gewesen war. Und darüber die dicke, herausnehmbare Fußbodenplatte.

Er blickte sich um, sah über sich die beiden dunkleren, nicht von Licht und Salzluft ausgebleichten Kreise auf dem gemaserten Holzschott, wo neben dem Barografen in der Ecke jahrelang die Glasenuhr und das Barometer angeschraubt gewesen waren und schüttelte den Kopf, halb ungläubig, aber anerkennend:

„So gehst du da also ’ran…Respekt! Wenn das auch so wird wie der Motorraum … was machst du mit der Holzverkleidung da, beim Strahlen? Das wird ja ’ne Mordsschweinerei hier drinnen – machst du das selbst?“

 

„Wird abgedeckt. Das einzige Schott, das drin bleibt. Achtern ist alles fertig und jetzt in heller Esche verkleidet - hab ich selbst gemacht. Mette wollte nicht in so ’ner Mahagonigruft schlafen…aber das Abblasen hier ist nicht so schlimm. Für innen gibt’s kleinere Strahlgeräte. Das macht Trygve, der ist Spezialist. Kommt in jede Ecke und jeden Winkel mit seiner Düse. Dafür brauchst du Erfahrung - siehst kaum noch was hier drin unter der Schutzausrüstung, wenn du loslegst – trotz Strahlern… aber es lohnt sich.“

Nervös fummelte Per nach dem Reißverschluss seines roten Monteurkombis und zog ihn ein Stück weit herunter. Es wurde warm, auch heller; plötzlich sah man Stäubchen in der Luft schweben. Die Augustsonne hatte die Fensteröffnungen erreicht - es würde ein heißer Tag werden.

„Und Mette? Wo ist die? Hab’ vorhin nur den Seniorchef getroffen, als ich aus dem Wagen stieg und ins Kontor ging, die Pläne abgeben. Und der sagte, ihr seid beim Schiff.“

„Mette - ist für ein paar Tage in Kopenhagen, kehrt erst am Samstag zurück. Sie kommt nicht so schnell aus ihrem Job ’raus… jetzt haben sie endlich eine Nachfolgerin. Aber die muss erst eingearbeitet werden. Das ist alles nicht mal eben so, bei amnesty… und sie will neue Vorhänge mitbringen, fürs ganze Schiff. Sie kennt da einen Laden - hat den Stoff ausgemessen und Muster ausgesucht. Näht sie selbst – alles verschiedene Größen!“

Achim nickte, scharrte mit der Stiefelspitze an der Bordwand herum und trat ein paar vorsichtige Schritte nach vorn, um einen Blick in den Durchgang zum Vorschiff zu werfen, wo Waschraum, Toilette und der große Kleiderschrank angeordnet waren. Die lose Sperrholzplatte unter seinen Füßen wackelte unter seinem Gewicht und legte sich knackend schief.

„Vorhänge - so weit seid ihr ja noch nicht… hier unten sieht’s ja noch ziemlich happig aus! Das Ausbauen der ganzen Verkleidungen und Inneneinrichtung stell ich mir schlimm vor… ohne was kaputt zu machen. Das muss doch alles wieder ’rein!“

„Halb so wild. Wir kennen das – wenn du weißt, wo die Schrauben sitzen, wo der Leim saß… und der ist alt. Innenausbauer arbeiten ähnlich, überall. Und oft kannst du besser was neu machen, wenn erst mal alles draußen ist. Geht schneller.“

Achim drehte sich um und bückte sich:

„Geh mal ein Stück beiseite, von der Platte ’runter – lass mal sehen, wie der Kiel mit meiner schönen Betonfarbe aussieht!“

Er wartete, bis der andere seitlich zwischen zwei Spanten auf die Schräge getreten war und kippte die provisorische Sperrholzplatte hoch. Und starrte konsterniert nach unten:

„Und hier – warum das jetzt? Willst du denn - die Deckschicht auch erneuern? Wolltest den Bleikiel freilegen…? Oder soll da noch ’ne zweite Bilgepumpe…“

Die dicke, mit Spezialfarbe versiegelte Betonschicht, dieser etwas wellige Estrich, der über die ganze Länge der Kajüte den eingegossenen Bleiballast abgedeckt hatte und in dem die Spanten nahtlos nach unten verschwanden, war mittig aufgemeißelt. Ein Rechteck von der Größe eines Schuhkartons war herausgestemmt, die Kanten grob geglättet. Der Boden war mit der Drahtbürste bearbeitet worden. Irgendetwas schimmerte grau durch – vielleicht der Bleiballast.

Achim vergaß ganz, die Holzplatte abzulegen und hielt sie weiterhin, während er den anderen skeptisch ansah.

„Das… hätte ich ja nun nicht angefasst, Mann. War doch alles schön versiegelt – kuck mal hier an den Seiten! Nahtlos, da passt keine Messerklinge dazwischen. Kein Tropfen Schwitzwasser kann da reinlaufen… und die Farbe ist doch auch noch gut! Einmal kurz drüberstrahlen am Ansatz, und das wär’s gewesen.“ –

„Da kommt noch was ’rein. Zusätzlicher Ballast.“

Per nahm Achim sanft die Sperrholzplatte aus der Hand und legte sie zur Seite ab, auf die Spanten. Dann trat er an ihm vorbei in den Durchgang nach vorn. Das Waschbecken der Toilette war als einziger Einrichtungsgegenstand noch angebaut, und er griff mit beiden Händen hinein und nahm ein längliches Paket heraus, das in einen öligen weißen Lappen eingewickelt war.

Er reichte es, nun mit einer Hand, mit einem kleinen Schwung an Achim weiter:

„Hier, nimm mal. Vorsicht, nicht fallen lassen… ist schwer.“

Der griff erst mit einer, dann überhastet mit beiden Händen zu. Trotzdem wäre ihm das Ding um ein Haar heruntergefallen, er bückte sich in der gleichen Bewegung und legte es nach unten ab, neben das frische Loch. Ein dumpfes Rumpeln erklang, und fast hätte er sich einen Finger eingequetscht.

Er richtete sich auf und sah sich nach etwas um, an dem er die öligen Hände abwischen konnte. Kopfschüttelnd blickte er auf Per, der einen Lappen aus seinem Arbeitskombi zog und ihm herüberreichte:

„Das hätte ich nie gemacht. Was soll das – alles aufstemmen deswegen…! Da sind fünf Tonnen von dem Zeug drin! Was sollen die paar Kilo da noch…“

„Davon nicht.“

Per bückte sich und zerrte den Lappen herunter, der einige Male herumgewickelt war.

Die Rückseite eines massiven Barrens kam zum Vorschein, in durchsichtige Plastikfolie eingeschweißt. Es klonkerte dumpf, als er ihn noch einmal herumdrehte. Ein Firmenname war eingeprägt – HERAEUS und daneben Zahlen: 12.449,2 und 99,99.

Achim Petersen starrte sprachlos auf das glänzende, strahlend gelbgleißende Ding, das wie ein Fremdkörper zwischen ihnen lag. Abweisend, makellos, kalt. Keine Sache, die jemals zu seinem und Annekes Leben gehört hatte - noch jemals gehören würde. Ein frappierend unwirklicher Anblick.

Wie ein Stich durchfuhr ihn Enttäuschung und heftige Abwehr in einem. Ihm mit so etwas zu kommen - hier, in dieser vertrauten Umgebung… das war keine angenehme Überraschung.

„Das raff ich jetzt irgendwie nicht, Mann. Ist das ’ne Attrappe? Hast du Fort Knox geplündert? Wo hast du den her? Und das soll da - unten ’rein?“

Fast hätte er „…in mein Schiff“ gesagt.

Er schüttelte unbehaglich den Kopf und unterdrückte den Wunsch, einfach jetzt gleich die noch fehlenden Papiere zu übergeben, die ausgeräumte Kajüte zu verlassen und nach Hause zurückzukehren.

Hiermit hatte er definitiv nichts zu tun.

Dabei hatte sich alles so gut angelassen zwischen ihnen.

Warum machte ihn der andere bei diesem hanebüchenen Ding zum Mitwisser… das änderte alles. War ebenso überraschend wie auch irgendwie abwegig. Jetzt, nach dem Kauf kam er mit so etwas heraus… das hatte, gelinde gesagt, einen ziemlich üblen Beigeschmack.

Er kannte Per wohl doch viel weniger, als er geglaubt hatte. Fast war er ihm nach dieser Eröffnung, nach dieser Wendung der Dinge ein wenig unheimlich.

Der hatte ihn beobachtet und nickte düster, als habe er diese verständnislose und ablehnende Reaktion erwartet und ahnte, dass ihre neue Freundschaft, ihr so besonderes, grade gefundenes Verhältnis auf eine harte Belastungsprobe gestellt würde.

Er bückte sich, wickelte den Barren wieder ein, schob ihn in das ausgestemmte Loch und griff nach der Sperrholzplatte, um sie zurück zu legen und das Ganze zu verdecken.

„Viele Fragen auf einmal. Ist eine lange Geschichte. Irgendwie banal, und doch verteufelt beschissen… und dabei hab’ ich mich nicht grade mit Ruhm bekleckert. Fällt mir nicht leicht, damit ’rauszurücken… weiß auch sonst niemand. Aber ich will, dass du das erfährst. Ich brauch deinen Rat dazu. Seitdem das Ding da ist, in meinem Besitz – ist alles verändert. Mehr, als ich mir je hab’ vorstellen können. Aber ich kann’s ja nun nicht wegschmeißen…!“

Achim warf ihm einen Blick zu, als zweifle er an seinem Verstand. Als habe er es mit einem völlig Fremden zu tun.

„Doch, im Ernst, glaub’s oder glaub’s nicht… da hab’ ich schon dran gedacht – einfach versenken! Kerbe in den Schandeckel - und fier weg die Scheiße, auf fünfhundert Metern Tiefe, in der norske renna. “

„Du hast vielleicht Probleme - mir kommen gleich die Tränen, Mann! Wegschmeißen… jetzt hab’ ich mal ’ne Frage, warum habt ihr denn mein Schiff gekauft? Wenn so’n Ding bei dir im Tresor liegt? Das ist doch mindestens genauso viel wert! Was sollte das alles?“

„Oh Mann, du hast wirklich keine Ahnung. Komm, lass uns das irgendwo in Ruhe bereden. Ich will’s dir ja erzählen! Aber nicht hier, wo jederzeit jemand kommen kann…“

Aber Achim war nicht in der Stimmung, auf Pers Vorschlag einzugehen.

„Warum nicht hier? Wenn überhaupt noch… und diese nervige Heimlichtuerei! Ist da irgendwas – Ungesetzliches im Spiel? Warum hast du nie vorher was gesagt? Wenigstens angedeutet? Das ändert doch alles! Irgendwie – scheinheilig kommt mir das vor…gefällt mir überhaupt nicht. Du hast nicht mit offenen Karten gespielt, und ich hab’ dir wie ein Schaf vertraut.“

Er wandte sich ab und blickte hinaus auf das sonnenbeschienene Werftgelände. Als er weitersprach, schwang ein bitterer Unterton in seiner Stimme mit.

„Aber das soll mir eigentlich egal sein - kannst ja mit deinem Schiff machen, was du willst. Die Überweisung hab’ ich bekommen, übrigens. Die zwanzigtausend, danke dafür. Die fehlenden Pläne sind im Kontor.“ Er warf seinem Gegenüber einen Blick zu, in dem Misstrauen und vor allem Enttäuschung unübersehbar war.

Mit so viel konsternierter Abwehr schien Per nicht gerechnet zu haben.

„Ich hole es ja nach jetzt – spiele mit offenen Karten! Ich will ja, dass du alles erfährst. Das Teil da unten ist nie in irgendeiner Planung für unsere Reise, für unser Schiff drin gewesen. Mette weiß nichts davon und hat nie etwas darüber gewusst. Thyra auch nicht, hoffe ich… und ich hab auch nicht vor, das zu ändern. Ja, du hast richtig gehört. Und da gehen die Probleme schon los. Aber, falls es dich beruhigt - das Ding gehört schon mir, das wird nirgendwo vermisst! Weiß schon, dass sich das ziemlich seltsam ausnimmt. “

Er wischte sich ausgiebig die Hände mit dem Putzlappen ab und fixierte Achim unsicher, während ein einzelner Schweißtropfen die Stirn herunterlief. Dann machte er den Versuch, ein gezwungenes Lächeln aufzusetzen, was aber gründlich misslang – es wurde schnell nur eine Art ärgerliche Grimasse daraus:

„ Nun lass doch mal - diese entrüstete Miene beiseite! Führst dich hier auf wie ’ne Moralapostel-Diva… da kommt man sich ja wie der letzte crook vor. Bist du so ’ne Art – Gutmensch? Hast nie Fehler gemacht in deinem Leben?“

Achim schwieg einen Moment und suchte nach Worten.

„Bestimmt nicht. Aber darum geht’s auch gar nicht - du hast uns was vorgemacht, was deine Finanzen betrifft. Ich hör dich noch sagen damals in Fuerte, dass du dir so was wie ’ne neue Motiva nicht leisten kannst…als wir über die ‚Savage Rose’ sprachen – schon vergessen?“

Per biss sich auf die Lippen und nickte, kaum überrascht.

„Konnte da nichts anderes sagen…“

Aber es brach weiter aus Achim heraus, wenn auch in halbwegs resigniertem Tonfall. Gleichwohl schien die Situation seinen Redefluss zu beflügeln:

„Das ist doch irgendwie - ganz und gar daneben, Mann. So ein Batzen von dem Zeug, in dieser Form… das steht doch für alles, womit wir nie was zu tun haben wollten…? Ausbeutung, Verschwendung, Anhäufung von Luxus, ungerechte Verteilung, hemmungsloser Egoismus… ich dachte, da wären wir so was wie – verwandte Seelen! Hoffte ich… hätten einen Draht zueinander. Ehrliche Seeleute, denen man nicht in die Tasche lügt… ! Angst und Geld, nie gehabt! Und nun kommst du durch die Hintertür mit so was an. Hier!“

Er warf ihm einen fast feindseligen Blick zu.

„ Das passt doch hinten und vorne nicht. Wer hat denn so was, in seinem Privateigentum? Staaten vielleicht, Großaktionäre, Spekulanten - oder Milliardäre und Immobilienhaie. Und dann diese Heimlichtuerei… jetzt willst du das hier unten einzementieren und mitnehmen auf Weltreise, in deinem neuen Schiff - das stinkt doch meilenweit. Siehst du das nicht? Soll ’n Glücksbringer werden, oder was? Na Mahlzeit…“

Er dachte an den kleinen Talisman, der immer an einer billigen Kette im Salon gebaumelt hatte. Hier neben ihm, über dem Kartentisch, vor einigen Wochen noch.

Ein deutscher Aussteiger, der in Lanzarote auf seinem Boot gelebt hatte und mit seinem Hobby-Emaillierofen an Bord kleine, selbstentworfene Schmuckstücke brannte, um sie an Touristen zu verkaufen, war in Verlegenheit um eine neue starke Vorleine gewesen, als der Harmattan stürmisch aufbriste. Achim hatte eine übrig gehabt, und als Gegenleistung hatte der andere darauf bestanden, ihm einen persönlichen Glücksbringer zu machen, ein irgendwie rührendes kleines Amulett war es geworden: einen pausbäckigen starken Wind mit wilden Locken zeigend, an einen himmlischen Cherub erinnernd, der mit vollen Backen aus einer Wolke heraus pustete - von Süden her. Darunter in feinen Buchstaben eingebrannt der Schiffsname: „Jan van Gent“... Am nächsten Tag war er zu einem späten Überführungstörn nach Norden, nach Brest aufgebrochen, und der Südwester auf dem Atlantik hatte diesmal seinem Namen alle Ehre gemacht, vor allem zwischen den Azoren und Ouessant. Es war eine schnelle Reise geworden.

 

„Oder schwerreiche Reeder… das Zeug kommt von meinem Schwiegervater. Ex-Schwiegervater.“

Pers Stimme war fast tonlos, und er sah zu Boden dabei.

Achim schwieg einen Moment und lachte dann ungläubig auf:

„Aha. Der, der dich immer so bekämpft und verleumdet hat… der schenkt dir mal eben so ein Schätzchen.Vermutlich, damit du dich für immer verdünnisierst und seine Tochter zufrieden lässt, oder wie?“

„So ungefähr. Nun mal langsam… ich glaube, du weißt nicht, wie viel Vermögen wirklich reiche Leute haben. Das hat dem nicht weh getan. Das war irgendwelches Schwarzgeld aus einem seiner Steuerspar- oder Schiffsfinanzierungsmodelle, sicher angelegt. Er kam mir damit, als ich ihm in einem unserer seltenen Vier-Augen-Gespräche sagte, dass wir uns sicher nicht scheiden lassen würden, nur weil das sein sehnlichster Wunsch sei…“

Per wischte sich mit dem Lappen die Stirn ab.

„Was er nicht wusste, war, dass Thyra und ich zu diesem Zeitpunkt selbst schon das Thema hatten – ob eine Trennung nicht das Beste für alle sei. Im Grunde waren wir uns darüber einig. Dieser jahrelange Dauerbeschuss durch ihren Vater und damit irgendwie auch von seiner Familie…das hatte alle zermürbt. Auch unsere Beziehung hatte gelitten. Der Alte ließ sich von nichts und niemandem dreinreden, auch nicht von seiner Frau. Absolut autoritärer Patriarch und starrsinniger Tyrann! Auf mich hatte er sich eingeschossen. Und seinen Plan, wie er mich loswerden könnte – den hatte er fertig in der Tasche… nur dass er den Einsatz gar nicht gebraucht hätte! Hätte nur abzuwarten brauchen. Aber so tickte der eben – wenn einer wirksam die Fäden zog, dann er. “

Achim pulte genervt an einem frischen grauen Farbfleck herum, den er auf seiner neuen Jeans entdeckt hatte. So langsam begann er zu verstehen:

„Eigenartige Form der Selbstwahrnehmung… und da dachtest du, nun hättest du ihn endlich mal am Schlafittchen. Könntest ihm sozusagen final eins auswischen – als Entschädigung für all die Gemeinheiten, die er über dich verbreitet hatte… dass eure Ehe kaputt gegangen war dadurch…?“

Per blickte erst Achim an und schließlich aus dem Fenster, wo der mobile Werftkran gestartet wurde – aufheulender Motorenlärm drang herein, eine Rußwolke schoss in den Himmel und ein blauer Gitterausleger begann sich zu drehen. Er sah auf die Uhr und hob seine Stimme etwas, als er lakonisch, eiliger weitersprach:

„Jetzt wird Trygve bald an Bord kommen… der Alte vergötterte seine einzige Tochter. Für ihn war sie einfach nur auf Abwege geraten damals, hatte einen Fehler gemacht. Ich als ihr Mann - das war für den der worst case. Norwegischer Patriot war der, durch und durch – Grieg und Ibsen… für den war die deutsche Besetzung seines Landes grade mal ein paar Jahre her. Hab’ ich dir doch alles erzählt. Und so ein Nazi-Bastard in seiner Familie - da war er bereit, einiges einzusetzen. Der sah so was nur vom Blickpunkt des Geldes her - für den war jeder käuflich.“

„Du ja auch! Er hatte recht damit… hättest ja sagen können: steck dir’s wer weiß wohin…hast es endlich geschafft! Wir lassen uns jetzt scheiden…!“

Per feuerte den Putzlappen zwischen die Spanten und warf Achim einen Blick zu, in dem Ärger und Verzweiflung sich mischten:

„Ja, ja… hätte ich tun sollen! Hab’ ich aber nicht. So edel war ich nicht. Schien mir wie eine nie wieder kommende Gelegenheit… ich sah, dass Thyra ihm nichts erzählt hatte – dass er ahnungslos war. Der dachte, dass ich mich niemals freiwillig von einer Frau aus einer so reichen Familie scheiden lassen würde, so tickte der. Und schlug plötzlich noch so eine andere Tonart an - als würde er doch irgendwie ahnen, was er mir, auch Thyra angetan hat in den Jahren. Als würde es ihm leid tun – aber nicht so leid, dass er von seinem Plan einen Millimeter abwich: seine Tochter zurückzuholen in den Kreis seiner elitären Familie. Mit unseren Kindern zwar, die ja nun mal da waren und wohlgeraten schienen - aber ohne mich, den Hans-Dampf-in-allen-Gassen und Tyskerbarn. Meine Person – das war seine rote Linie, sein no go. Und nun wollte er mich auf seine Art abfinden und sah gleichzeitig eine Möglichkeit, mich auf Nimmerwiedersehen los zu werden. Er kannte ja mein faible für Boote und Überführungen. War ja vorher auch monatelang weg gewesen und hatte seine Tochter und die Kinder allein gelassen…“

Achim schüttelte resigniert den Kopf.

„Das ist unser Beruf, Mann. Ich hätte ihm eins vors Maul gehauen. Das war doch eine Beleidigung schlimmster Art! Lupenreines Bestechungsgeld… und dann - machst du alles genau so, wie er sich das wahrscheinlich gedacht hat. Mann Mann Mann…“

Per nickte düster vor sich hin, als sei ihm das seit längerem ebenfalls aufgegangen.

„Aber eines verstehe ich immer noch nicht“, fuhr Achim fort.

„Damit begab er sich doch - in deine Hand! Und du dich in seine! Als einflussreicher Geschäftsmann, als öffentliche Person solch windige - Transaktionen machen…sagtest du nicht, seine Familie war früher sogar mit einem dieser Laienrichter befreundet, die Hamsun damals wegen Kollaboration mit Nazideutschland …“

„Ja, ja - alles richtig. Aber hier gab es ja keine Zeugen! Wir waren allein, der hatte seinen Plan fertig. Vertraute völlig darauf, dass beide Seiten in eigenem Interesse Stillschweigen bewahren würden. Versicherte mir, dass niemand außer uns beiden von dieser Übergabe wüsste, auch nicht in seiner Familie - noch jemals was erfahren würde. Und dann schob er mir diesen tollen kleinen Koffer über den Schreibtisch hin, machte das Zahlenschloss auf, klappte den Deckel hoch, drehte ihn um und forderte mich auf, mir den Inhalt anzusehen…“

Per stocherte mit leicht bebenden Fingern einen dünnen schwarzen Zigarillo aus einer Blechschachtel, die er aus der Brusttasche seines Overalls zog, und entzündete ihn. Hastig stieß er die Rauchwolke aus, die träge aus einer der Fensteröffnungen hinauszog ins Freie, und fuhr fort:

„Ob ich denn wüsste, was so was wert sei, fragte er mich, als ich sprachlos hineinstarrte. 450.000 Dollar – das sei doch schon etwas. Diskret zu transportieren und überall leicht zu Geld zu machen. Und auch dabei sei er mir gern behilflich, später irgendwann - das wäre mit seinen Kontakten und Beziehungen kein Problem. Ich könne ihn kontaktieren, egal von welchem Punkt der Welt aus. Einzige Gegenleistung: in die Scheidung einzuwilligen und mich zu verpflichten, keine weiteren Ansprüche zu stellen. Und den Kontakt zu ihr und den gemeinsamen Kindern einzustellen.“

„Und – darauf bist du eingegangen. Hatte der denn irgendwas Schriftliches vorbereitet? Wie lief das weiter ab?“

„Nichts. Er saß schweigend da, Zigarre zwischen den Zähnen, blickte mich abwartend an und wartete. Redete dann noch von diskreten Abmachungen zwischen ehrbaren Kaufleuten, wie früher – mit Handschlag besiegelt. Wie zum Hohn… und schien sich so verdammt sicher, dass ich das Angebot annehmen würde! “

„Scheint ja einige Menschenkenntnis zu besitzen, der Alte...!“

„Und ich dachte wie ein Schuljunge nur noch: jetzt bist du am Zug. Jetzt hast du ihn kalt erwischt. Jetzt ist er diesen dicken Batzen los, von dem keiner jemals was erfahren wird - und irgendwann ärgert er sich die Pest an den Hals, wenn er erfährt, dass er das alles auch so hätte erreichen können. Über einen solchen Reinfall würde er nicht reden, mit niemandem. Und ich hätte eine stille Reserve für später, von der niemand weiß…“

„Ja – und nun ist alles anders gekommen, oder wie? Ist doch – alles gut! Du hast alles – bist sogar reich geworden durch seinen tollen Schachzug, noch so nebenbei…hast zwar deine Söhne nicht aufwachsen sehen und weißt nicht, was sie von ihrem Vater halten…deine Frau ist auch weg… kannst dich aber beglückwünschen, den alten Fuchs so ’reingelegt zu haben… also, wo ist das Problem? “ –