Klabautermann

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Klabautermann
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Heike Mück

Klabautermann

Zur Autorin:

Heike Mück, geb. in Stuttgart, studierte Germanistik und Anglistik und interessiert sich seit Jahren für Belange des Umwelt- und Klimaschutzes. Sie ist parteipolitisch nicht gebunden und überall dort dabei, wo etwas für Frieden, Klima und soziale Gerechtigkeit getan wird. Seit vielen Jahren engagiert sie sich für die Belange von Kindern und Jugendlichen und unterrichtet im Augenblick Flüchtlinge in Deutsch und Englisch.

Den jugendlichen Anhängern der Freitagsproteste - dem Gewissen unserer Welt.


Impressum

Auflage: 1. Auflage, 2019

Texte: © Copyright 2019 by Heike Mück

Umschlag & Logo: © Copyright 2019 by Reinmar Mück

Verlag:

www.klabautermann.info

Heike Mück, Fliederstrasse 31, 71717 Beilstein, Germany

info@klabautermann.info

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ – „Was sich beschreiben lässt, das kann auch geschehen.“

(Ludwig Wittgenstein)

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 1

Etwas lag in der Luft, in diesem heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, und man konnte gar nicht sagen, ob es etwas Gutes oder etwas Schlechtes war. Der herrliche Sommertag ließ jedenfalls vermuten, dass es so schlecht nicht sein konnte.

Über Nacht war der Begriff „Globale Erwärmung“ nun in aller Munde, und niemand musste befürchten, für einen Verschwörungstheoretiker gehalten zu werden, wenn er sich darauf bezog und sich Gedanken machte.

Und trotzdem waren es nicht vorrangig düstere Gedanken, die die Menschen bewegten. Eine fast kindliche Freude überwog, ein Staunen über einen nicht enden wollenden Jahrhundertsommer, der, trotz seiner bedenklichen Aspekte, von allen, die Licht und Wärme liebten, dankbar angenommen wurde.

Man traf sich und tauschte sich aus: die Freunde bei Gartenpartys, die Nachbarn vor den Häusern, und auch die neu Dazugekommenen aus den Krisengebieten der Erde, die in der alten Welt Zuflucht gefunden hatten, mischten sich in das fröhliche Bild.

Es war, als wolle der Kosmos die Menschen auf dem Planeten, diese kleinen Verursacher der großen bevorstehenden Veränderungen, mit Energie betanken, und die Heiterkeit der Tage hinterließ ihre Spuren im Gemüt all derer, die da gleichermaßen schwitzten.

Freilich hatte alles zwei Seiten. Die Landwirtschaft hatte riesige Probleme mit der anhaltenden Trockenheit, es gab die ersten Waldbrände, nun auch schon in Schweden und in Norddeutschland, und zu all dem hatten die Verteidiger des Landes einen Moorbrand ausgelöst, der seit Wochen unterirdisch weiterschwelte und offenbar nur schwer in den Griff zu bekommen war. Und doch hätte man dieses versteckte Feuer, das da im Verborgenen wütete, nicht unbedingt als eine Metapher für die allgemeine Lage der Nation oder gar der Welt gehalten. Und wenn, dann hätte man wohl noch ein paar Wochen gewartet, bis die Lage wieder unter Kontrolle war, und bis sich gezeigt hatte, dass man letztlich alles zum Guten wenden konnte.

Seit einem halben Jahrhundert wurde die Menschheit nun vor der drohenden Klimakatastrophe gewarnt und gleichzeitig war etwas Merkwürdiges geschehen: Je schneller die Probleme vorangeschritten waren, desto rasanter hatte sich der technische Fortschritt gestaltet, den man brauchte, um sie zu lösen. Noch gab es ein winziges Zeitfenster, das es zu nutzen galt. Noch war nichts endgültig verloren. –

Er nahm einen tiefen Zug aus seiner gut gekühlten Flasche und warf einen wohlwollenden Blick zu der Gruppe der Feiernden hinüber, die sich mit ihm und den anderen Gästen die Dachterrasse teilten – offenbar Studenten der nahegelegenen Hochschule, die lachten, tranken und diskutierten. Wie den Wortfetzen zu entnehmen war, die der laue Abendwind herüberwehte, waren einige im Begriff, zu einer Reise aufzubrechen. Verschiedene Akzente schwirrten durcheinander und weckten Erinnerungen an ferne Orte und Zeiten.

Was für ein schönes Bild, diese bunt gemischte Schar! –

Ja - er war zutiefst zufrieden an diesem wundervollen Sommerabend unter all den frohen Menschen.

Man kam zusammen, und das war schon einmal gut. Letztlich würden wir alle zusammenstehen müssen, denn was die großen Probleme der Zeit anlangte, die betrafen uns alle, und was alle betraf, das wusste man ja, das konnten nur alle gemeinsam lösen.

Was er selbst wohl dazu beitragen konnte? –

Vielleicht – …ja… – vielleicht … konnte er ja …eine Geschichte erzählen…!

Schon seit einigen Tagen hatte er eine Idee, die er gerne zu Papier bringen wollte… – oder … doch wohl eher aufs Tablet.

Er schmunzelte. Das klang schräg, aber letztlich entsprach es der Wahrheit.

Er würde da beginnen, wo alles angefangen hatte, auch wenn sein Einstieg etwas ungewöhnlich war. Und wer da glaubte, in einem Märchenbuch zu lesen, der würde sich bald wundern.

Jedenfalls gab es – auch für die abgefahrensten Nerds – zwischen Himmel und Erde und quer durch das Netz noch einiges zu entdecken.

Aber er durfte nicht zu viel verraten, schließlich ging es ja um das ganz große Thema unserer Tage. Da musste sich schon jeder selbst ein Bild machen…


Kapitel 2

Es war eine wilde Sturmnacht und Flut im Hafen von Husum, der alten Handelsstadt an der Nordsee.

Wochenlang hatte die Hitze sich aufgestaut. Drückend war sie auf der ganzen Region gelegen. Das Hinterland hatte unter der brennenden Sonne geächzt, am Strand glühte der Sand.

Nun würde die Natur mit einem gewaltigen Unwetter alle Spannungen ausgleichen und die durstige Erde mit ihrem Regen segnen.

Die Sturmnacht in Husum kam nicht unerwartet. Schon am Abend war das Unwetter über die Nordseeküste hereingebrochen. Dank der Wetterdienste hatten sich alle darauf eingestellt. Die Husumer Krabbenfischer hatten ihre Boote in den sicheren Hafen gebracht. Tische und Stühle waren vor den Restaurants angekettet worden. Inzwischen war es weit nach Mitternacht, das Schlimmste war vorbei und alles schlief. Die nassen Straßen und Plätze waren menschenleer. Alles war gut. –

Eben schoben sich zerrissene Wolkenberge vor den Mond, der dann und wann die gespenstische Szene erhellte. – Es war eine Nacht, wie aus alten Seemannsgeschichten, eine, in der die Elementargewalten die Erde ahnen ließen, wer letztlich das Sagen hatte und wem Respekt gebührte.

Auf einem alten Segelschiff, das im Binnenhafen vertäut lag, hockte ein kleiner gedrungener Schatten und genoss ganz offensichtlich das Brausen des Sturmes. Ein einsames, ausgefranstes Segel, dass sich gelöst hatte, knatterte über ihm im Wind. Das war ein Wetter nach seinem Herzen! –

Keine eineinhalb Meter lang mochte er sein, und sein altertümlicher Umhang flatterte um seine dünnen Beine. Unter dem Schlapphut, den er trug, quoll eine struppige Mähne hervor und ging schließlich auf der Brust in einen Vollbart über. Ab und zu huschte ein Lächeln über das zerfurchte Gesicht.

Eben glitt sein Blick hinüber zu der Häuserreihe der Hafenstraße und wieder hinaus in die Sturmnacht. Etwas Unheimliches strahlte er aus und etwas Geheimnisvolles zugleich. Eine steife Würde, geeicht durch die Spuren der Zeit. Und doch hätte man nicht sagen können, wie alt er wohl wirklich war.

Er saß in Gedanken versunken, die zwischen dem, was er hier sah, und dem, woran er sich erinnerte, hin und her schweiften.

Er kannte diesen Ort, doch er vermochte nicht zu sagen, wie lange er schon nicht mehr hier gewesen war. Es konnten ein paar hundert Jahre sein. Vieles hatte sich verändert. Eigentlich sah das hier gar nicht mehr nach einer Hafenstadt aus, wie er sie kannte. Wo hätte man hier Netze zum Trocknen auslegen können, wo waren die anderen Schiffe? –

 

Stattdessen diese Häuser, aus Steinen gemauert, riesengroß, eine reiche Stadt. Und der weite Platz davor so sauber, und so gleichmäßig gepflastert, mit seltsamen Mustern.

Die Inschriften, die er an den Fassaden entzifferte, ergaben keinen Sinn für ihn. „Café“ und „Bistro“ hatte er gelesen, wo es sich doch offensichtlich um Wirtshäuser gehandelt hatte. Überall waren kostbare Glasfenster eingelassen, hinter denen vereinzelt sehr helle Lichter brannten.

War er wirklich in Husum, dem altbekannten Husum, dem das Meer in drei furchtbaren Sturmnächten vor langer, langer Zeit einen Hafen geschenkt hatte? - Wie lange mochte das her sein? 400 Jahre, 600 Jahre? –

Draußen, vor der Küste, gab es einen gewaltigen Gezeitenstrom im Meer, dessen Bett, ausgewaschen vom ewigen Auf und Ab von Ebbe und Flut, kilometerbreit war, und der sich zum Land hin zu einer Rinne verengte. In jenen Katastrophennächten hatte der Sturm das Meer weit in diese Rinne hineingetrieben.

Er war damals an Bord eines Segelschiffes gewesen, das schließlich gestrandet war. Er hatte erlebt, wie die gewaltigen Wassermassen bis ins Hinterland zu den Hütten von Husum vorgedrungen waren. Husum hatte über Nacht einen direkten Zugang zum Meer bekommen.

Und das alles hatte er miterlebt. So viele Menschen hatten weit draußen, vor der Stadt an der Küste ihre Fischerkaten gehabt, dort, wo das Meer sich mit Gebrüll das Land geholt hatte. An die Hunderttausend waren in jenen Nächten in den Fluten der Nordsee ertrunken. Ganze Dörfer hatte das Meer verschlungen, darunter das sagenumwobene Rungholt, die alte Marktstadt, von der man am Anfang des letzten Jahrhunderts noch Überreste aus dem Schlick gegraben hatte. Er hatte das damals zufällig beobachtet, hatte aber nicht so ganz begriffen, was das sollte.

Die Küstenlinie verlief nun eben viel weiter innen im früheren Land. Das Meer hatte die überspülten Gebiete nie wieder freigegeben.

Die ‘Grote Mandränke’ hatte man die Katastrophe dann im Rückblick genannt: das große Ertrinken. Die Seeleute auf den Schiffen hatten in stürmischen Nächten noch lange davon erzählt.

Schon immer hatten Meer und Land sich an den Küsten der Nordsee ihre eisigen Kämpfe geliefert, war Land untergegangen und anderswo wieder angespült worden. Haffs waren entstanden, und Nehrungen. Das gewaltige Meer war immer in Bewegung.

Doch die Husumer hatte sich schließlich gefreut. Mit der neuen Küstenlage hatten sich ungeahnte Möglichkeiten eröffnet und bald war eine blühende Hafenstadt entstanden, deren buntes Treiben er noch lebhaft vor Augen hatte.

Aber das hier, das war ihm fremd. Wo waren die alten Seebären mit ihren Bartstoppeln und ihrem tiefen, polternden Lachen? Mit ihnen hatte er reden wollen, sich austauschen und beraten über all das, was in seinem Kopf kreiste! –

Er hatte schon seit einiger Zeit bemerkt, dass sich vieles veränderte, und er suchte nach Erklärungen, denn eines war sicher, so konnte es nicht weitergehen.

Aber vielleicht sollte er sich den geschätzten Leserinnen und Lesern erst einmal vorstellen, bevor er ins Schimpfen verfiel! –

„Gestatten, Ulfrik mein Name, meines Zeichens Klabautermann, Schrecken der Seeleute und aberwitziger Schalk der Meere, der es liebt, auf den großen und kleinen Segelschiffen seinen Schabernack mit den Matrosen zu treiben. Geachtet und gefürchtet als Vorbote kommenden Unheils!“.

So, das war geschafft. –

Auf eine lange Reihe von Katastrophen konnte er zurücksehen, die er alle angekündigt hatte. Jedes Mal waren die Männer, denen er erschienen war, zu Tode erschrocken, man hatte nur flüsternd von ihm gesprochen, und für viele hatte sein Erscheinen auch nichts Gutes bedeutet.

Schon seit geraumer Zeit hatte er sich vergeblich nach den Segelbooten umgeschaut, den Windjammern und Zwei-, Drei- und Viermastern, in deren Takelage er in stürmischen Nächten herumgeturnt war und sich der entsetzten Mannschaft gezeigt hatte.

Es gab sie nicht mehr allzu oft.

Stattdessen lagen jetzt riesige Häuser auf dem Wasser, ganze Städte, die sich schnell mit tiefem Brummen durch die Fluten schoben und die Eigenschaften hatten, die ihn entsetzten.

Manche verbreiteten einfach nur Öl auf den Meeren, ließen gewaltige Mengen davon in die lebendigen blaugrauen Fluten hineinlaufen und bedeckten sie mit einem schwarzen, stinkenden, tödlichen Teppich, unter dem alles Leben erstickte.

Von anderen aus wurden ätzende Säuren ins Wasser geleitet, pures Gift, das sich mit dem gesunden, lebendigen Meerwasser durchmischte und auch in großer Verdünnung noch das Leben seiner Bewohner zerstörte. Und in letzter Zeit gab es nun noch diese ganz und gar furchtbaren schwimmenden Riesen mit unzähligen lachenden Menschen darauf, die sich freuten und offenbar gar nicht wussten, was wirklich geschah! –

Welcher seiner Kollegen kontrollierte diese Monster? Er hatte sich schon öfter in der Nacht an Bord geschlichen und nachgesehen, hatte aber keinen entdecken können! –

Und doch musste einer da sein, kein Klabautermann freilich, darauf hätte er gewettet. Hier mussten wahrhaft böse Mächte im Spiel sein, denn immer nachts öffnete sich, wie von Geisterhand, eine große Klappe unten am Bauch der Riesen und entließ eine Fülle von flaschen- und kistenartigen Gebilden ins Wasser, viele weiß, alle sehr, sehr leicht, also nicht so schwer wie Holz oder gar Eisen.

Massen waren das, ganz unvorstellbar, und er wusste inzwischen, dass es sich dabei um sehr gefährliche Gebilde handelte, die das Leben im Meer ernsthaft bedrohten.

Das war schlimmer als jeder Sturm. Alles, alles war innerhalb von kurzer Zeit vollkommen anders geworden.

Nicht den Seeleuten mussten die Klabautermänner inzwischen das nahende Unheil verkünden, sondern den Bewohnern der Meere, den Fischen, – und das, wo er so ungern länger tauchte – aber auch den Robben, und den Eisbären, und natürlich den vielen Seevögeln, den Möwen und den Papageientauchern, den Trottellummen, den Austernfischern, mit ihrem schwarz-weißen Gefieder, und den Säbelschnäblern, und natürlich den drolligen Pinguinen auf der Südhalbkugel. Aber auch die Krebse musste man warnen, die Seepferdchen und die Seeigel, die Quallen und Korallen… und da die Gebilde von der Gewalt der Wellen immer kleiner zermalmt und zermahlen wurden, inzwischen auch dem Plankton, dessen Sprache er erst einmal hatte lernen müssen, und das überhaupt keine Chance hatte zu reagieren. Das Zeug war inzwischen überall und zog seine tödliche Spur rund um die Welt. Wer es zu sich nahm, wurde krank.

So vieles war inzwischen gefährlich im Meer! – Allmählich verlor er den Überblick. Es wurde immer schwieriger zu erkennen, worin die Gefahr eigentlich bestand. Mal waren es bestimmte Wasserschichten, die offenbar vergiftet waren, mal zu laute Geräusche, die die großen Tiere aus dem Wasser trieben. Viele Wale waren gestrandet, keiner wusste genau, warum. Auch an dieser Front, das musste er sich eingestehen, kam er als Warner an seine Grenzen.

Dennoch wollte er zuversichtlich bleiben. Manchmal wendete sich ja auch etwas zum Guten. Von einem großen Schrecken hatten sie sich soeben erholen können.

Riesige Gebiete des Meeres waren eines Tages wie leergefegt erschienen. Wo einstmals große Fischschwärme geschwommen waren, wirkte nun alles wie ausgestorben.

Und auch dafür waren die großen, schwimmenden Städte auf dem Meer verantwortlich gewesen. Sie waren, wie aus dem Nichts, zu mehreren aufgetaucht und hatten kilometerlange Netze zwischen sich ausgespannt. Darin hatten sich alle Tiere verfangen. Besonders die Heringe waren auf diese Weise beinahe ausgerottet worden! – Aber das hatte dann, wie durch ein Wunder, aufgehört.

Vieles war dabei, sich schrittweise zu regenerieren, und jetzt das! – Dieses undefinierbare weiße Zeugs!

Er hatte die düstere Ahnung, dass es diesmal rasch ganz vorbei sein konnte mit dem Leben im Meer.

Und bei alldem: Er war immer noch der Warner! – Er kündigte an, dass etwas Schlimmes, Todbringendes geschehen würde! – So war es immer gewesen, das war seine Aufgabe, seine Pflicht! – Und die nahm er ernster denn je.

‘Ernster denn je!‘ – Hatte er das eben gesagt? –

Ja, wenn er doch nur endlich seine Rolle als Mahner und Warner wieder spielen könnte! So, wie in den alten Zeiten, als er den Kapitänen der großen Segler erschienen war, wenn ernsthaft Gefahr gedroht hatte!

Doch inzwischen brauchten sie ihn nicht mehr. –

Er schämte sich immer noch ganz furchtbar, wenn er an seine letzte Begegnung mit einem der Kapitäne dachte, der so einen gigantischen Schiffskoloss gesteuert hatte.

Er hatte gesehen, wie der bei Lindesnes ins Skaggerrak einbiegen wollte, und er hätte wetten können, dass er zu nah an Land war. Es war Nacht gewesen, und er war auf die Kommandobrücke geeilt, um den Kapitän zu warnen, doch der hatte ihn gar nicht angehört.

Er hatte seine Warnung auch gar nicht gebraucht. Zumindest hatte er so etwas gesagt. Offenbar hatten diese Riesen ihre eigenen Warngeister an Bord. „Schon gut“, hatte er ihn beschwichtigt, „das macht schon mein Sonar! Auf das ist Verlass!”. Und er war auch kein bisschen erschrocken gewesen, als er sich vorgestellt hatte. Vielmehr hatte er gelacht und sich auf die Schenkel geschlagen. „Aber was für ein Gag“, hatte er dabei gebrüllt, „was für ein fantastischer Einfall! – Darauf muss man erst mal kommen!“.

Dann hatte der Mann zu einer kleinen, flachen, rechteckigen Scheibe gegriffen, und sie zwischen sich selbst und ihm in die Luft gehalten. Die Scheibe hatte aufgeblitzt, – der Kapitän hatte draufgeschaut und zufrieden genickt. Inzwischen wusste er natürlich, dass er ihn fotografiert hatte, aber damals konnte er sich das alles nicht erklären! –

„Sie machen das sehr gut“, hatte der Kapitän gerufen. „Ganz echt sieht das aus! – Können Sie das von eben nochmal sagen, das mit dem Klabautermann? – Ach, kommen Sie, guter Mann! Sagen Sie mir doch, wer Sie engagiert hat? – Ein Klabautermann! – Eine tolle Idee! – Darf ich Sie für morgen Abend zum Kapitänsdinner einladen?“.

So eine Demütigung! – Ein für alle Mal hatte ihm das gereicht! – So etwas wollte er nie, nie wieder erleben!

War er zu alt geworden, dass man ihn derart lächerlich machte? – Dabei wusste er doch ganz genau, dass Naturgeister nicht alterten. – Oder war das vielleicht eine Strafe des Schicksals für früheren Übermut? –

Wie alle Wesen hatte auch er zwei Seiten: eine ernsthafte, gute, die helfen wollte, und eine, der es Spaß machte, die allzu Selbstgefälligen auch mal derb zu erschrecken.

Klar, er war auch schon mit dem Kopf unter dem Arm dahergekommen und hatte sich ins Fäustchen gelacht, wenn bärenstarke Männer vor ihm, dem kleinen Wicht, das Weite suchten! –

Aber das, was ihm hier geschehen war, das verletzte zutiefst die Würde seines Standes. Offenbar erschreckte er keinen mehr. Keiner der hohen Herren interessierte sich noch für einen echten Klabauter! –

O Tempora! O Mores! – Wo sollte das noch enden? –

Unmutig schaute er hinaus aufs Meer. Er musste die anderen Mahner und Warner finden, in den vielen anderen Regionen auf den Meeren der Welt. Hier musste gemeinsam gehandelt werden! – Es war ein globales Problem. Zumindest kam der Müll, um den es hier ging, aus den verschiedensten Teilen der Erde.

Alle zusammen mussten sie nach Lösungen suchen, erst die Klabautermänner und die anderen Wassergeister, und dann auch diejenigen, denen diese riesigen, schwimmenden Kästen gehörten; und natürlich auch all jene, die vielleicht die Ideen und Einfälle hatten, die man jetzt brauchte, um die Sache noch zu retten.

Letztere musste man außerdem erst einmal finden, wenn es sie überhaupt gab! –

Ein Wettlauf mit der Zeit hatte begonnen. Ein Wettlauf, der gewonnen werden musste, koste es, was es wolle!

Das ganze Meer war in Gefahr! Dieser uralte Lebensraum für so viele Wesen und Arten! – Das war ganz und gar ungeheuerlich! –

So etwas hatte es seit Anbeginn nicht gegeben! – Seit Anbeginn … – Er schaute ratlos und wusste nicht so recht, wann das gewesen war. Das klang wie weit vor seiner Zeit, aber eigentlich war er doch schon immer dagewesen. –

Als hätte der Frust ihn niedergedrückt, kauerte er kleiner und dürftiger als zuvor auf einer Seilrolle auf dem uralten Fischerboot. Der Sturm hatte sich plötzlich gelegt, und während einer kurzen Flaute hing das kleine, zerfranste Segel schlaff und kraftlos vom Mast.

 

Ein letztes Mal glitt sein Blick über das schlafende Husum.

Der Wind hatte gedreht. Langsam stand er auf, glitt den alten Mast empor und stand nun frei auf dessen Spitze. Dann ließ er sich von dem heftigen Südost, der nun aufkam, mitreißen. Sein nächstes Ziel war der nördliche Golfstrom. Er hatte da Verwandte in Tromsø, und er brauchte dringend jemanden zum Reden.


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