Raus aus der Wohlfühlökonomie!

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Raus aus der Wohlfühlökonomie!

1  1 Der Weg in die Wohlfühlökonomie

Raus aus der Wohlfühlökonomie

Prof. Dr. Gerald Lembke

http://Gerald-Lembke.de

Bei diesem Text handelt es sich um ein ausgearbeitetes und erweitertes Transkript des Vortrages "Im digitalen Hamsterrad" von Prof. Dr. Gerald Lembke.

1 Der Weg in die Wohlfühlökonomie

2 Wohlfühlevolution durch mobile Revolution

3 Gestaltungswut der Politik und Blindheit der Konsumenten

4 Umgang mit digitalen Herausforderungen

5 Risiken und Nebenwirkungen für die Menschen

6 Verunsicherung unter den Menschen wächst

7 Die Erwachsenen sind digital unmündig

8 Auf den Weg in die digitale Mündigkeit – Captology

9 Warum Kinder geschützt werden müssen

10 Chancen und Nebenwirkungen digitaler Bildungskonzepte

11 Erkenntnisse aus der Kognitions- und neurowissenschaftlichen Forschung

12 Der beste Start in das digitale Zeitalter ist eine Grundschule ohne Computer

13 Ausblick

1 Der Weg in die Wohlfühlökonomie

Die Digitalisierung bringt in immer kürzeren Intervallen neue Trends zum Vorschein, mit denen wir Menschen sowohl auf der Arbeit als auch zu Hause überfordert sind. Es geht darum, einen sinnvollen und gesunden Umgang mit digitalen Medien zu finden. Doch zunächst sind die Einflussfaktoren ganz andere. Unsere Gesellschaft als Ganzes wird von Politik, IT-Wirtschaft und Medien mit Worthülsen beschäftigt, die einen unbegrenzten Umgang mit digitalen Medien forcieren und fordern – in allen Lebensbereichen: in der Wirtschaft, in Schulen und zu Hause: Industrie 4.0, Smart Home, Internet of Things (IoT), Autonomes Fahren, Künstliche Intelligenzen (KI). Sie sind Beispiele für den Digitalisierungsdruck und Synonyme der neuen Wohlfühltechnologien. Allesamt sollen digitale Medien den Menschen das Alltagsleben erleichtern. Volle Arbeitsalltage werden mit Dauererreichbarkeit und sinkender Erholungszeiten auf den ersten Blick effizienter und bequemer. Doch der zweite Blick zeigt ein anderes Bild. Mit diesem zweiten Blick beschäftige ich mich in diesem Beitrag.

Was meine ich mit damit, wenn ich von einem Megatrend einer neuen „Wohlfühlökonomie“ spreche? Sie verändert den Alltag mithilfe digitaler Medien, und manche machen den Alltag tatsächlich bequemer (Staubsaugroboter u. ä.). Aber mit ihr werden Menschen von anderen Menschen immer mehr unabhängiger. Sie sind immer weniger auf gegenseitige Hilfeleistungen angewiesen. Das ist zunächst nichts Schlechtes, wenn es nicht folgende Schattenseiten hätte: Klicken statt sozialer Kommunikation, Wischen statt Denken, Individualismus ohne Grenzen, Streben nach latenten Wohlgefühlen. Der Klick auf den Facebook-Daumen liefert subjektiv ein wachsendes Lebensgefühl, steigert die individuelle Lebensführung und optimiert vor allem immer mehr Lebensbereiche: Optimiertes Einkaufen, optimiertes Arbeiten, optimierte Lebensführung und optimales Lernen, eben alle Bereiche der optimalen Lebensführung. Das Effizienzstreben des Einzelnen hat Konsequenzen, so die repräsentative Studie Values & Visions 2030 vom renommierten Marktforschungsinstitut GIM in Heidelberg1. Demnach wird der Druck auf den Einzelnen in Zukunft immer weiter steigen. Es geht darum, sich selbst immer weiter zu optimieren. Damit steigen die Chancen, sich in die künftigen Wertschöpfungsketten noch einbringen zu können. Es sichert Einkommen und Wohlstand. In dieser Studie wurden repräsentativ über 1000 deutsche Bürger und Experten nach Ihren Erwartungen und Wünschen im Jahre 2030 befragt. Erwartet wird eine weiter zunehmende Digitalisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche. Überraschend ist aber, wenn die Wünsche abgefragt werden. Denn erwünscht ist dieser Trend für die Mehrheit der Befragten nicht. Diese Unerwünschtheit wird zum Beispiel in Fragen des Vertrauens in die neuen Zukunftstechnologien deutlich. Am Beispiel der künstlichen Intelligenz wird zwar der stärkste Zukunftstrend erwartet, doch erwünscht ist er bei den Menschen nicht 2.

Es wird erwartet, dass die Selbstoptimierung im Hinblick der künftigen Wertschöpfungsketten nur jedem Zehnten in unserer Gesellschaft gelingen kann. Nach Precht (2018)3 bleiben die Anderen aus den anspruchsvolleren Jobs ausgesperrt und degenerieren zu Klick-Workern für die großen Digitalportale. Die Masse fürchtet, nicht mithalten zu können. Sie sucht stattdessen das „wahre Glück“ in den Kreisen ihrer Familien, Freunden und sozialen Netzwerken. Dieses Verhalten beobachten wir bereits bei unseren Jüngsten zwischen 15 und 25: Rückzug statt progressiven Denkens, vorzeitiges Aufgeben statt proaktiven Handelns, Pessimismus statt konstruktiven Optimismus. Und so entwickelt sich unser Land in ein Zukunftsland von Pessimisten. Ist es tatsächlich so?

2 Wohlfühlevolution durch mobile Revolution

Beginnen wir die Geschichte von vorn. Die Digitale Revolution, die so gerne von Politik gefördert und von der Wirtschaft – im Besonderen der IT-Wirtschaft – gefordert wird, ist keine Revolution im eigentlichen Sinne. Es ist kein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt. Eben gerade die zeitliche Dimension widerspricht einer revolutionären Idee, denn die Technologien, die wir heute auf dem Schreibtisch oder auf dem Sofa nutzen, sind wenig revolutionär und lediglich Ergebnis einer über jahrzehntelang anhaltenden technischen Entwicklung, die erst durch die Erfüllung des hohen Anspruchs „Benutzbarkeit für Jeden“ (Steve Jobs, Apple) auf die Ladentische der internationalen Discounter kamen. Und mit ihnen und den Apple-Smartphone-Läden kamen die ersten funktionierenden Smartphones ab 2007 (iPhone 1) in die Hosentaschen von immer mehr. Statt von einer digitalen Revolution zu sprechen, ist wohl eher eine mobile Revolution über die Menschen geschwappt. Denn Computer, Laptops oder Handys waren bis 2007 nur bei jedem Zweiten Menschen tatsächlich angesagt. Diese mobile Revolution läutet die vierte industrielle Revolution aktuell ein.

Dann veränderte sich die Bedürfnispyramide der Menschen, die wir von Maslow kennen. Als Methaperskizze für die Grundbedürfnisse der Menschheit wird sie seit dem Jahr für Jahr immer tiefer ergänzt um zwei weitere originäre Grundbedürfnisse der Menschen nach einem funktionierenden WLAN und einer Batterie-Ladestation. Zu beobachten ist dies regelmäßig von Lehrerinnen und Lehrer, Professorinnen und Professoren. Betreten Sie den Hörsaal morgens vor einer Vorlesung, haben die Bildschirme die Aufmerksamkeit der Lernenden voll im Griff. Nur die Bildschirmfreien registrieren, dass der Lehrer bereits im Raum ist. Man darf schon einen lauten und aberwitzigen Lagerfeuertanz vor dem Bildschirmtruppen aufführen, um den Kampf um die Aufmerksamkeit wieder zurück zu gewinnen. Das Fachmagazin „Wirtschaftspsychologie aktuell“ hat dieser Problematik mit seiner Aprilausgabe 2018 „Kampf um Aufmerksamkeit“ sogleich ein ganzes Heft gewidmet4.

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