Der Tod des Kleinbürgers

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Der Tod des Kleinbürgers
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Franz Werfel

Der Tod des Kleimnbürhgers

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

I

II

III

IV

V

VI

VII

Impressum neobooks

I

Die Wohnung besteht aus Zimmer, Küche, Kabinett im vierten Stock eines Hauses der Josefstädterstraße, dicht am Gürtel. Das Ehepaar Fiala schläft im Kabinett, Klara, Frau Fialas Schwester, hat einen Strohsack in der Küche, in der allerdings kein Raum mehr für ein zweites Lager wäre, und Franzl darf sich im Zimmer auf dem Wachstuchsofa betten. Dieses Zimmer geht nicht auf die Straße hinaus, sondern auf einen größeren Lichthof. Aber wenn der lichtspendende Hof seinem Namen auch keine Ehre macht, so behaupten geduldige Anwohner doch, daß in seiner sagenhaften Tiefe ein Akazienbaum sein Fortkommen finde und die Wohnräume zwar finster, aber dafür ruhig seien. Heute übrigens, da frischer Winter die Straßen füllt, hat die Sonne hierher einen Vorstoß unternommen und ein paar fiebrische Flecken Lichts an die Wand des Zimmers geworfen im Augenblick, da es Herr Fiala betritt.

Der Mieter mustert seinen Raum nicht unbefriedigt. Andern geht es schlechter. Wie viele liegen auf der Straße! Und Herrschaften, die unendlich höher gestanden haben als er: Offiziale und Majore! Was da geschehen ist in diesen Jahren, wer kann das verstehen?! Stillhalten muß man, das ist das Einzige. Und ein Glück ist es, wenn einer mit Vierundsechzig noch einen Posten hat. Es ist zwar nur eine Halbtagsarbeit, aber die Firma baut täglich ihre Angestellten ab. – Gott ist gnädig und der Lohn eines Magazinaufsehers zu klein zum Abbauen! – Alles geht ja ganz gut. Ein Vierundsechziger und eine Zweiundsechzigjährige haben nicht viel Hunger. Die Klara, das Luder, verköstigt sich in den Häusern, wo sie bedient. Bleibt nur das Unglück mit dem Franzl.

Der Gedankenablauf Herrn Fialas, täglich und nächtlich der gleiche, ist an sein Ende gekommen. Und nun schickt er sich an zu tun, was er immer tut, wenn er nach Hause und in das Zimmer tritt. Zuerst geht er zu dem Ständer mit den Pfeifen. Er fährt mit der Hand über die Porzellanköpfe. Niemals hat er Pfeife oder etwas anderes geraucht. Der Ständer ist das Geschenk eines früheren Vorgesetzten, der auf diese Weise seine Wohnung von der ominösen Rauch- und Schmuckgarnitur befreien wollte. Herrn Fiala freuts, die Glasur der Pfeifen zu berühren. Es fühlt sich kostbar und gemütlich an. Man greift bessere und langvergessene Zeiten mit der streichelnden Hand. Von den Ständern weg wendet sich nun der Alte und tritt zum Tischchen, das vor dem Fenster steht. Es ist dem Anschein nach ein Nähtisch, dessen Zweckmäßigkeit durch allerlei kühne Architekturen getrübt ist. So laufen die vier Kanten der Platte in vier Fabeltiere aus, Seepferdchen oder gotischen Wasserspeiern ähnlich. Auf dem Tische liegt aber kein Nähzeug, sondern eine Schreibmappe und daneben eine Löschpapierwiege. Auf diese Wiege stützt sich Herr Fiala ein wenig, als ginge von dem gebildeten Gegenstand ein leises Wohlbehagen aus, das ihn stets erquicken möchte. Die zwei Armsessel hingegen am Nähtisch beachtet er nicht. Denn er steht jetzt stolz vor seiner Kredenz. Sie hat er nicht hergegeben beim Verkauf der anderen Möbel. (Ehedem hatten Fialas vier eingerichtete Zimmer besessen, von denen sie zwei vermieteten.) Die Kredenz kann sich sehen lassen. Mit Säulen, Köpfen, Türmen steht sie da wie eine Festung. Sie stammt noch aus dem reichen Zuckerbäckerhause in Kralowitz, wo er seine Frau hergeholt hat. Wer diese Kredenz sein nennt, ist nicht verloren. Wenn er sie verkauft hätte, wären wohl zwei Millionen Kronen zu dem übrigen Erlös hinzugekommen. Aber man will doch ein Mensch bleiben. Ein schönes Geld hat ja der Verkauf seiner alten Wohnung getragen, Gott sei Dank! Aber wer kann in diesen Zeiten dem Gelde trauen? So dumm war er nicht, wie seine dumme Frau meint, es auf ein Sparkassenbuch zu legen. Was seine zwei Sparkassabücheln wert waren, das hatte er erleben müssen! Wenn das Letzte verlorenging, was würde dann die Zukunft sein, was würde aus der Frau werden, was aus dem Franzl!? Für Marie das Versorgungshaus in Lainz, für den Buben die Anstalt am Steinhof! Was das heißt, weiß Herr Fiala sehr wohl. Haben die älteren Leute nicht immer von den Leiden der Versorgung gemunkelt? So schrecklich soll das Leben draußen sein, daß die alten Menschen aus dem Fenster springen, nur um ein Ende zu machen! ›Tag und Nacht fahren die Leichenwagen hin und her.‹ Wenn das auch nur dumme Geschichten sein mögen, so ist und bleibt das Versorgungshaus Schande. Seinen Eltern, die anständige Leute waren und etwas gehabt haben, will er diese Schande nicht antun. Er war niemals ein Bettler und hatte immer zu essen. Seine Familie soll nicht in Lainz enden!

Hier ist Fiala, während die knorpeligen Hände über den Bord der Kredenz wischen, bei seinem Geheimnis angelangt. Herr Schlesinger hat ihm den Weg gewiesen, Herr Schlesinger, Versicherungsagent bei der ›Tutelia‹, ehemaliger Landsmann und seit Jahren Wohnungsnachbar. Die zufriedene Stimmung Fialas hängt an dem Geheimnis, das er mit Schlesinger teilt. Ein Rest von Unruhe ist wohl der Zufriedenheit beigemischt. Aber sein Kopf ist müd und mürbe, das Mundwerk Schlesingers hingegen rasch und geübt. Und dann, Geheimnisse vor Weibern bewahren, ist das denn eine leichte Sache? Schlesinger hat recht gehabt: Nur sich nichts dreinreden lassen! Das Dümmste an den Weibern ist ihr Mißtrauen.

Herr Fiala reißt sich von der Kredenz los, um seinen gewohnten Zimmerrundgang dort zu beschließen, wo sein Herz sich am wohlsten fühlt, wenn es allein ist.

Ziemlich niedrig hängt die Gruppenphotographie, von uralten Zweigen umkränzt, deren braun-gläsernes Laub den Flügeln riesiger Insekten gleicht. In goldenen Lettern trägt sie den Aufdruck: ›Herrn Karl Fiala, die Beamten der Finanzlandesprokuratur, Wien 1910.‹ Diese Gabe ist keine Gewöhnlichkeit, denn in der Regel lag es nicht, daß die vorgesetzten Herren ihr Bild einem Subalternen zum Geschenke machten. Wie oft dürfte es vorgekommen sein, daß die beiden mißgelaunten Hofräte selbst, mit geduldig-lächelnder Nachsicht zu einem ähnlichen Zweck ihr Antlitz dem Photographen überlassen haben? Aber an der Auszeichnung berauscht sich Herr Fiala jetzt nicht. Auch der Rechtfertigung, die ihm durch diese Photographie zuteil geworden ist, weiht er nur einen flüchtigeren Gedanken als sonst. Schuld an der vorzeitigen Pensionierung ist gewiß der Personaldirektor und Oberoffizial Pech gewesen. Wer weiß, wenn der Herr Oberoffizial damals sein Protektionskind nicht hätte unterbringen wollen!? Mit fünfzig Jahren geht man doch nur gezwungenermaßen in Pension. Und wäre er damals wirklich so krank gewesen, würde er dann heute noch leben? Hätte der Arzt, dem er auf Schlesingers Geheiß sich gestern vorstellen mußte, trotz findigster Auskultation ihn sonst für gesund erklärt? Nun, Gott weiß, ob Herr Pech, der böse Mensch, samt seinem Protektionskind nicht tiefer gestürzt ist als er!

Diese Dinge aber beschweren im Augenblick den Betrachter der photographischen Abschiedsgabe wenig. Er ist leidenschaftlich ins Anschauen der Person vertieft, die zwischen den beiden mageren Hofräten dasitzt, üppig und pomphaft. Diese Person hat als einzige auf dem ganzen Bilde den Kopf bedeckt, und zwar mit einem großen, silberbetreßten Dreispitz Die Person trägt ferner einen dicken und verschnürten Pelz am Leib, der ihr Ansehen verdoppelt und verdreifacht. Die Manschetten des Pelzes sind goldgebortet wie bei einem General. Zu alledem halten die dickbeschuhten Hände der Person einen langen schwarzen Stab, der mit einer Silberkugel gekrönt ist. Im ganzen wirkt die Person wie ein stattlicheres Ebenbild einer anderen und allerhöchsten Person, die in jenen streng geregelten Zeiten das Reich regiert hatte. Und dieser Mann sollte damals ein Kranker gewesen sein? Er, der ruhig und gemessen aus seiner Portierloge trat, um wachsam fast das ganze Torbild des Amtsgebäudes zu füllen? Er, zu dessen einsamer Höhe die vorbeiwandelnden Schulkinder nur scheu emporblickten, er, der sich schon in seiner Kraft und Herrlichkeit leicht verletzt fühlte, wenn er in Ausübung seines Dienstes von den Parteien nach Stiege und Stockwerk und Büro gefragt wurde? Er, der seine Auskünfte nur mit eisig gedämpfter Stimme gab, nachdem er vorher dem Frager ein schmerzlich-nachsichtiges Ohr geneigt hatte?

Herr Fiala saugt den Nachhall dieser Majestät ein. Er denkt nicht daran, den alten abgeschabten Menschen, der vor dem Bilde steht, in Beziehung zu setzen zur breiten Prachtgestalt von einst. Die Prachtgestalt und der Magazinaufseher heute, der im geflickten Kittel von Anno dazumal schlottert, das ist zweierlei Menschheit. Nur daß diese beiden Wesen dieselbe Barttracht noch tragen! Aber wer dürfte den weitausgezogenen, selbstbewußten Kaiserbart des Uniformierten vergleichen mit den demütigen Bürstenbüscheln rechts und links, die heute dünn und grau von den Backen hängen?

Fiala selbst tut es am allerwenigsten. Er schaut nur und schaut. Das Bild ist ein Altar. Kraft und Freude strömt es aus. Darum auch schämt er sich und hat immer Angst, in seiner Versunkenheit betreten zu werden. Auch heute und jetzt dreht er sich furchtsam um, ob die Tür zur Küche nicht plötzlich aufgehe.

 

Und nun erst gewahrt er, daß eine festliche Veränderung in seinem Zimmer vorgegangen ist. Denn der Tisch vor dem Wachstuchsofa ist gedeckt. Mit einem feinen roten Kaffeetuch gedeckt. Servietten liegen sogar auf und die schönen Tassen sind hervorgeholt, die der Schwiegermutter gehört haben, der Zuckerbäckerin in Kralowitz.

»Wo die Weiber das Zeug nur immer versteckt haben?«

Solch eine Frage etwa will in Fiala entstehen. Aber es kommt nicht dazu. Sondern eine Wolke angenehmen Gefühls, rötlich fast wie das Kaffeetuch, umnebelt ihn. So war es ja immer gewesen, sonntags, ehe der Krieg kam. Was ist denn geschehen? Diese Tassen, diese Servietten, dieses Tischtuch, das ist ja die Auferstehung des Mannes auf der Gruppenphotographie in all seiner pelzverbrämten Kraft. Herr Fiala, noch immer fassungslos und rosig umwölkt, gibt sich ungläubig dem Traum hin. Das Geheimnis, der Pakt, durch Schlesinger getätigt, durch ärztlichen Machtspruch besiegelt,steigert die Freundlichkeit des Augenblicks. So kann man doch noch auf ein anständiges Ende hoffen. Dies und Jenes ist da. Feine Tischwäsche darunter. In ihrer sauberen Faltung ruht aufbewahrt die alte Zeit, da man groß und gesund in einem Tor stand, da alles umsonst war und kein Mensch Entbehrungen kannte. Mit Gottes Hilfe wird alles wieder so werden, wie es gewesen ist. Das Versorgungshaus wirft keinen Schatten mehr über den Weg, und auch der Franzl wird immer soviel besitzen, daß er nicht in eine Anstalt muß.

II

In seiner wohligen Geistesabwesenheit steht Herr Fiala noch immer da, als seine Frau mit dem Kaffeebrett sich durch die Tür müht. Er staunt dieses Brett an, denn es trägt nicht nur zwei niemals in Gebrauch befindliche Kannen für Kaffee und Milch, sondern auch einen Aufsatz mit künstlichen Bäckereien, Spanischem Wind, Nußkipferln, Kollatschen und Schnitten. Hierin ist Frau Fiala, die Zuckerbäckerstochter, Meisterin. Aber für wen hat sie diesmal ihre Kunst aufgeboten? Sonst bäckt sie doch nur, wenn sie sich bei den reichen Damen, die sie kennt und die ihr hie und da Wohltaten erweisen, bedanken will. Ganz verlegen ist Frau Fiala jetzt, da sie doch auch etwas sagen muß und ihr die feierliche Jause, auf die sie sich den ganzen Tag gefreut hat, selbst ganz merkwürdig vorkommt.

»No, Karl, weils dein Namenstag ist!«

Aber plötzlich scheint ihr die Begründung nicht mehr stichhaltig genug zu sein, denn sie schüttelt über sich selber den Kopf. Es war ihr der Einfall und die Lust ganz plötzlich gekommen. Die gute Wäsche besitzt sie ja noch. Und der Mann plagt sich, kommt immer traurig nach Hause. Nie geht er aus, nie verlangt er etwas. Er raucht nicht, er trinkt nicht. Das war ihr alles nahegegangen heute Vormittag. Der Mensch muß doch auch einmal seine Freude haben, selbst wenn er alt ist. Vielleicht aber wars nicht nur dieser Gedanke. Vielleicht hat auch sie einen Blick auf die Gruppenphotographie geworfen und das Ihre dabei empfunden.

Herr Fiala hat sich noch immer nicht erholt. Er blinzelt wie aus dem Schlaf seine Frau an. Was ist das für eine schwarze Seidenbluse mit Jettknöpfen? Die stammt auch noch aus jener Zeit! Und ihr falsches Gebiß hat die Frau im Munde, was doch sonst nicht vorkommt, da es ihr mittlerweile zu groß geworden ist.

Herr Fiala sieht die Seinige im längstvergessenen Staat. Er hört, daß sein Namenstag heute gefeiert wird. Zehntausend Karle gibts. Und alle Karle feiern den Tag. Das erfüllt ihn mit wohltuendem Stolz. Denn wenn andere Karle feiern, darf auch er noch feiern! Das Geheimnis fällt ihm ein und verwandelt sich sogleich in eine verschollene Polka. Ungeschickt geht er dem alten Takt nach, den er in sich verspürt und berührt die ärmliche Hüfte und Schulter der Frau. Zu einem Kuß reichts nicht mehr.

Sie sitzen nun am Tisch und genießen. Auf dem Kaffee schwimmt eine dicke Haut. Mit einer kleinen Hemmung des Zugriffs werden jeder Tasse zwei Stückchen Zucker geopfert. Auch das Zimmer spielt für einen Augenblick die Idylle des Behagens mit. Es mildert die hohläugige Krankheit des Lichts und lügt die Armut um zu einer behäbigen Dumpfigkeit, als würde es vorübergehend anerkennen, daß Karl Fiala und der ehemalige pelzvermummte Türhüter der k. k. Finanzlandesprokuratur ein und dieselbe Person seien.

Solange keines von beiden etwas spricht, dauert diese Verwandlung an. Aber leider läßt sich Herr Fiala zu einer aufrichtigen Bemerkung hinreißen, die dem Alltag sofort eine Tür öffnet.

»Gott sei Dank, daß die Klara nicht zu Hause ist.«

Frau Fiala hat zwar vor ihrer Schwester Furcht und solange das Wort nicht ausgesprochen war, hat auch sie sich des Alleinseins mit ihrem Alten gefreut, aber jetzt ist sie leider in die ewige Verteidigungsstellung gedrängt. Denn Klara bildet das Streitobjekt zwischen den Gatten. Auch Herr Fiala hat Angst vor seiner Schwägerin. In der Nacht liegt er oft da und fühlt ein Grauen vor dem Weib nebenan in der Küche. Hat sie nicht zweimal mit dem Besen gegen ihn ausgeholt? Und wenn er einmal alt und schwach sein wird, sie würde zuschlagen, erbarmungslos! Er kann die Vorstellung nicht loswerden, daß sie ihn wütend mit dem Besenstiel gerade ins rechte Auge trifft. Er fühlt genau, wie das Auge anschwillt und brennt, während seine Gute daneben ihre altbekannten Milderungsgründe erschöpft: daß Klara eine Enttäuschte sei, daß sie dieses Bedienerinnenleben heruntergebracht habe, daß alle alten Jungfern Bisgurn wären, und daß sie schließlich ein gutes Herz und noch bessere Arbeitsarme besitze.

Herr Fiala lenkt von dem unerquicklichen Schicksal ab, gegen das sich nichts mehr wird tun lassen:

»Wo ist Franzl?«

»Um Holz ist er.«

Da läutet es an der Wohnungstür. Es ist Herr Schlesinger, der Versicherungsagent. Öfters kommt er auf einen Plausch zu Fialas. Denn erstens ist auch er ein Kralowitzer und zweitens wohnt er auf dem gleichen Gang. Er bleibt in der Tür stehen und schnalzt mehrmals mit der Zunge, ehe er seine Frage stellt, mehr an sich selbst, als an die alten Leute:

»Was tut sich?«

Fiala ist erregt über den Besuch. Seine etwas starren blauen Augen blicken verlegen den Agenten an, der Herr über sein eigenwilliges Geheimnis ist. Frau Fiala kann hingegen den Hausfrauenstolz nicht unterdrücken, einem Kenner und besseren Menschen Servietten, feines Geschirr und edle Bäckerei vorsetzen zu dürfen. Sie bringt eine neue Tasse, sie schenkt Kaffee ein, sie weist den Platz an, wie sichs gehört.

Aber ehe Schlesinger sich hinsetzt, gestikuliert er vielsagend mit dem ausdrucksreichen Kopf:

»Da sieht man, wo das Geld wohnt.«

Auch er ist schon Fünfzig, hat eine spiegelglatte Glatze und einen ganz kleinen an der Oberlippe grau-klebenden Schnurrbart. Er läßt sich nicht gehen und hält sich proper. Befriedigt mustert er das Gebotene. Auch zeigt er sich im Bilde über die Herkunft Frau Fialas. Der Name der Zuckerbäckerfamilie Wewerka ist ihm geläufig. Doch geht die Achtung von diesem Namen nur so weit, daß er das Stichwort abgeben darf für einen andern, den seinen nämlich. Das Thema liegt ihm. Man spürts an der fast wehleidig gestellten Frage:

»Die Firma Markus Schlesinger, Kralowitz, Ringplatz, haben Sie gekannt?«

Frau Fiala bejaht lebhaft.

»Wirkwaren, Schnittwaren, Tuchwaren, Delikatessen, Südfrüchte Lebensmittel, Tabaktrafik. Ein Warenhaus schon damals, ich bitte! Ohne meinen seligen Vater wäre ganz Kralowitz und Umgebung erschossen gewesen. Was, hab ich recht?«

Die Alte blickt entzückt in ihre Vergangenheit.

»War mein Vater der angesehenste Kaufmann am Platz, oder nicht? Sagen Sie's selbst, Frau Fiala?«

Frau Fiala hat niemals eine andere Meinung gehabt. Schlesinger aber senkt seine Stimme zu einer weichen und bitteren Melodie:

»Und jetzt frag ich Sie, Frau Fiala, ist mein Vater nicht ein Schlemihl gewesen, daß er das große Unternehmen verkauft hat? Nach Wien hat er müssen übersiedeln und das Kapital an der Börs' verspielen!!«

Herr Fiala hätte etwas Einschlägiges zu bemerken. Auch für ihn wäre es vielleicht besser gewesen, niemals den Heimatort zu verlassen. Aber Schlesinger winkt ihm ab. Er läßt sich in der Aufzeigung seiner Tragödie nicht stören:

»Vor meiner großen Auslage könnt ich jetzt stehn am Ringplatz. Vier Spiegelscheiben und dahinter alles prima arrangiert! Stehn könnt ich und auf den Platz schaun. Wenn die Kunde kommt, brauch ich mich nicht zu rühren. Dazu ist das Personal da ... Schön schau ich jetzt auf den Platz hinaus? Weil mein seliger Vater ein Schlehmil war, bin ich ein Schnorrer.«

Schlesinger beißt verzweifelt mit seinen breit auseinanderstehenden Schneidezähnen die Spitze einer Kuba ab, saugt an ihr gierig von allen Seiten und zündet sie an:

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?