Paare im Bett

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Paare im Bett
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Ellen Liever

Paare im Bett

„Ist zu viel Sex nicht gut für die Ehe?“

© 2017 Ellen Liever

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7418-9044-4

www.ellenliever.de

Ein Anruf

„Sprechen wir mit Stephanie?“ Ich hörte zwei Stimmen, die gleichzeitig ins Telefon sprachen. Sie hatten es wohl auf laut gestellt.

„Hier sind Karsten und Beate“, hörte ich beide im Chor sagen, als ich aus meinem Bürofenster schaute. Es war noch früh und ich freute mich über die Morgensonne, rätselte, was mir wohl der erste Sommertag bringen würde.

„Sprechen wir mit Stephanie?“ Beide wiederholten gleichzeitig ihre Frage. Ich hatte ihnen nicht geantwortet, denn es lag so viel Energie und Neugierde in ihrer Frage, dass ich mich erst mal auf meinen Sessel im Arbeitszimmer setzte. Beide klangen fröhlich und sehr locker, als ob sie gleich anfangen würden, über ihr Leben zu erzählen.

„Ja“, antworte ich ihn, denn es war mein Job, Leuten zuzuhören, wenn sie über sich reden wollten.

„Sie bieten ja Therapie an, oder?“ Die werden ja schnell konkret, dachte ich, und gleichzeitig bemerkte ich ihre Unsicherheit. Ich konnte mich an keinen Karsten und keine Beate erinnern. Es waren wohl neue Klienten. Ungeduldig. Denn ich hörte, wie sie sich während der kurzen Gesprächspause leise am Telefon unterhielten. Sie waren wohl unsicher, ob sie alles richtiggemacht hatten. Ich verstand nichts, aber sie schienen, etwas untereinander zu klären. Beide waren mir fremd bis dahin total fremd, ich hatte von ihnen vorher noch nie etwas gehört. Und wollte sie erst mal kennenlernen, so stellte ich mich vor.

„Ja, mein Name ist Stephanie und ich bin Sexual-Paartherapeutin.“

„Das wissen wir, deshalb rufen wir an.“ Sie schienen, die Frage, die ich ihnen gerade beantwortet hatte, vergessen zu haben.

Meistens bekomme ich erst Anrufe von einzelnen Partnern und dann ist es immer eine der ersten Fragen, die ich mit dem Anrufer im Telefonat klären muss, wie der andere in die Gesprächssituation zu kriegen ist. Häufig ist gerade diese Frage die schwerste Frage, da sie schon so viel über das Paar verrät und über ihre Sexualität.

Aus meiner langjährigen Erfahrung weiß ich, dass es ein typisches Verhaltensmuster ist, dass viele keinen Mut haben, darüber zu sprechen. Sie sagen mir, dass der Partner die Wünsche des anderen bisher ignoriert hat, und sie meinen, dass er sie auch weiterhin ignorieren wird. Der Ausgangspunkt ist, dass der Anrufer über Sex beziehungsweise über das gemeinsame Sexleben mit seinem Partner sprechen will. Wenn dieser Punkt geklärt ist, dann geht es weiter, aber die Türen sind dann erst einmal geöffnet.

Eigentlich ist es ganz egal, mit wem ich den Erstkontakt habe, das hat mir meine bisherige Erfahrung gezeigt. Es macht keinen Unterschied, ob ich zuerst mit einer Frau oder einem Mann spreche. Der Anrufer hat Enttäuschungen erlebt, weil die Erwartungen sich unterscheiden, und oft ist er hoffnungslos, wobei der andere Partner immer skeptisch ist. Das ist der Grund, warum ich dann eingeschaltet werde. Diese Erfahrung habe ich über die Jahre gemacht. Aus diesem Grund versuche ich, die Situation des Anrufers genau zu verstehen.

Wenn es einen Unterschied zwischen Männer und Frauen gibt, dann unterscheiden sie sich darin, wie sie sich mit dem Wunsch des Partners nach einem Gespräch über Sex auseinandersetzen.

Obwohl für den Partner immer die eine Grundsatzfrage im Raum schwebt, wenn wir uns zum ersten Mal treffen: Warum muss diese Sexual-Paartherapeutin dabei sein? Diese Frage ist unausgesprochen, sobald sie angesprochen wird, beginnt meine Arbeit. Beiden als Paar und als Einzelnen bei ihrer Sexualität zu helfen.

Wenn ich zuerst mit dem Mann gesprochen habe, sind die ersten Reaktionen der Frau auf diese unausgesprochene Frage: Will er mit mir ins Bett? Bin ich nicht mehr gut genug? Hatte er mit einer anderen etwas? Es ist normal, das muss ich mir immer wieder sagen. Sie hat das so gelernt, diese Frage wurde ihr so anerzogen. Der Vorteil ist, ich kenne ihre Gefühle, denn ich würde genauso reagieren.

Wenn ich zuerst mit der Frau gesprochen habe, sind viele Männer erst mal still. Ich muss dann das Gespräch mit dem Mann suchen. Die meisten Männer schweigen. Lange hat es gedauert, bis ich verstanden habe, was in ihren Köpfen vorgeht: Mit wem hat sie darüber schon gesprochen? Erst mit ihren Freundinnen und jetzt mit dieser fremden Therapeutin? Wer weiß noch davon? Männer haben eher Angst vor dem Bekanntwerden des Themas als vor dem Problem selber.

Beide Arten von Reaktionen sind Abweisungen. Beide darf jeweils der andere Partner nicht persönlich nehmen. Ich sage dann immer, dass keine der noch so unterschiedlichen Reaktionen besser oder schlechter sei. Und häufig sage ich es auch mir, damit ich es nicht vergesse, denn zu schnell helfen zu wollen, ist ein Fehler von mir, womit man am Anfang alles kaputtmachen kann. Das weiß ich ganz gut, weil es gedauert hat, bis ich das gelernt habe. Denn das Spannende an meiner Arbeit beginnt erst dann, wenn ich beide kennengelernt habe.

Aus diesem Grund versuche ich von Anfang an, beiden klarzumachen, dass diese Befürchtungen und Skepsis dazugehören. Keiner weicht gerne vom Gewohnten ab. Doch irgendwann reicht das Gewohnte nicht mehr aus. Und es ist ein gutes Zeichen, wenn Paare über Veränderungen reden. Die Schwierigkeit ist nur, dass beide nicht immer gleichzeitig den Wunsch verspüren, darüber zu reden. Für einen ist es gerade schön, so wie es ist, und der andere sehnt sich nach Abwechslung. Das ist bei allen so, egal bei welchem Thema, also auch beim Thema Sex. Eigentlich müsste ich sagen, gerade beim Sex, denn es ist der intimste Teil einer Beziehung.

Karsten und Beate waren da ganz anders. Sie riefen mich gemeinsam an, sprachen gleichzeitig. Ihre Stimmen klangen voller Tatendrang und beide hatten ein großes Mitteilungsbedürfnis. Nicht, dass sie besonders laut waren. Sie plapperten eher. Es klang, als ob sie zusammen ein Duett singen würden und das immer gleichzeitig. Ihre Harmonien sangen sie in ihrer jeweiligen Tonlage perfekt, nur ich verstand kein Wort. Zudem kam ich nicht zu Wort, hörte ihnen einfach nur zu, obwohl ich nicht schlau aus ihnen wurde. Ich fragte mich, ob ich es überhaupt verstehen wollte oder gar musste. Meine Fälle beginnen ja sonst immer anders. Ich stand auf und ging durch mein Büro, weil ich selber diese Unruhe verspürte, die sie auf mich übertrugen. Das ist kein gutes Zeichen für eine Paartherapeutin, denn sie soll die Paare ja zusammenbringen und ihnen weiterhelfen. Diese beiden schienen aber nicht wirklich einen Streit zu haben, mir zwar total unverständlich, welches sexuelles Problem sie hatten.

„Und Sie machen nur Paare?“, hörte ich sie auf einmal gemeinsam fragen. Diese ihrer Fragen ließ sie beide verstummen.

„Ich habe mich spezialisiert auf Paare, die in ihrer Beziehung über Sex reden wollen“, setzte ich an, um ihnen meinen Ansatz zu erklären. „Ich halte es für ein wichtiges Thema. Nein – ich muss konkreter werden – für das wichtigste Thema einer Partnerschaft. Wissen sie: Sex ist immer Thema in einer Partnerschaft.“ Ich machte eine kurze Pause, um zu hören, wie sie reagierten. Nun schienen beide synchron auf stumm gestellt zu sein. Ich stand am Fenster und schaute in die Ferne, als ich fortfuhr.

„Zum Gelingen der Partnerschaft ist es wichtig, dass man darüber redet. Es geht nicht darum, dass Paare Sex miteinander haben, sondern dass sie sich über ihre Sexualität in der Partnerschaft bewusstwerden. Das geht nur, wenn man darüber redet.“

„Das wollen wir!“, gaben beide zeitgleich von sich.

„Es reicht schon aus, dass einer den Wunsch nach Veränderungen spürt. Allein dieser Wunsch verändert die Beziehung schon und muss gemeinsam besprochen werden“, sagte ich und als ich mich hörte, verstand ich, dass beide sich die Veränderung sehnlichst wünschten.

„So ist es normalerweise“, fügte ich hinzu. Ich sagte es eigentlich zu mir, da ich überrascht war, dass Karsten und Beate immer noch so harmonisch auf mich wirkten, obwohl sie den Kontakt zu mir als Paartherapeutin gesucht haben.

„Sexualität ist kein Problem in unserer Partnerschaft“, sagte Beate.

Das hört sich für mich nun noch merkwürdiger an, denn sie hatten mich ja angerufen. Oder hatte ich etwas Wesentliches nicht mitbekommen?

„Sex ist wirklich nicht unser Problem“, bekräftigte Karsten die Aussage seiner Frau.

Wieder musste ich mich setzten, als ich das hörte. Sex ist nicht ihr Problem, fasste ich für mich zusammen, aber was wollen sie von mir? Ich kenne gute Therapeuten und Therapeutinnen, die ich in solchen Situationen gerne weiterempfehle, wenn ich merke, dass ich über das Sexleben nicht an das Problem des Paares kam. Nicht alles findet seinen Ausdruck in der Unzufriedenheit mit dem Sex.

„Wenn ihr kein Problem mit Sex habt, kann ich euch gerne einen anderen Therapeuten empfehlen.“ Erleichtert stand ich auf, um das Adressbuch vom Schreibtisch zu holen, denn ich hatte den inneren Wunsch, dieses Telefonat schnellstmöglich zu beenden. Je länger ich mit ihnen telefonierte, desto rätselhafter wurde mir ihre Harmonie.

„Nein, auf keinen Fall.“ Ihre Stimmen klangen wütend, sie schienen beide, unbedingt mit mir zusammenzuarbeiten zu wollen.

„Ihr Konzept hat uns gefallen“, sagte Beate. „Wir finden es toll, dass sie sich ein ganzes Wochenende Zeit nehmen und mit ihren Paaren zusammenleben.“

„Ja“, sagte ich, „es ist mir wichtig, dass man Vertrauen aufbaut. Bei einer wöchentlichen Sitzung baut man Vertrauen in jeder Sitzung von neuem auf.“ Das war der wesentliche Kern meines Konzeptes, das ich nun seit einigen Jahren erfolgreich anwendete.

 

Ich arbeitete in einer Gemeinschaftspraxis, die ich mitgegründet hatte. Wir waren erfolgreich, aber ich wurde wie so häufig – wenn ich lange das Gleiche gemacht hatte – unausgeglichen und suchte nach einem anderen Ansatz. Die Idee war schnell da und so verkaufte ich meinen Anteil an der Gemeinschaftspraxis und ließ mir davon ein Ferienhaus bauen. Denn dieses sollte der Grundstock meines neuen Ansatzes sein, hier würde ich mich mit Paaren zu Therapiewochenenden treffen. Ich startete am Freitag und nahm mir das ganze Wochenende Zeit. Ich lebte mit meinen Klienten in diesen Tagen zusammen. Es hatte den Vorteil, dass man sich durch alltägliche Dinge näher kommt. Es entsteht so eine Vertrautheit, die ich in den wöchentlichen Meetings so intensiv nie erlebt hatte.

An diesem Wochenende kann ich das Paar einfach beobachten, wie sie sich in ganz alltäglichen Situationen verhalten und sie in diesen Situationen gleich ansprechen. Wenn wir zum Beispiel zusammen kochen, erfahre ich mehr über sie, als wenn wir nur in einer Sesselgruppe zusammensitzen. Meine Paare verhalten sich in solchen Situationen wie in ihrem gewohnten Alltag. Ich sehe, wer wann was sagt, wie sie aufeinander reagieren in den unterschiedlichsten Situationen. Wie stimmen sie sich ab? Das geschieht alles nur nebenbei, aber es bringt wichtige Erkenntnisse. All das spiegelt sich im Sex des Paares wider. Wir reden dann über alles und sie fühlen sich im Ferienhaus ungezwungener als in meinem alten Praxisraum. So habe ich viele persönliche Dinge erfahren, die ich in einer klassischen Sitzung nur sehr mühsam erfragen musste.

Bei solchen alltäglichen Handlungen wird mir manchmal viel schneller klar, wer das Sagen in der Partnerschaft hat oder wo unausgesprochenen Probleme liegen. Gleichzeitig ist es, für eine Sex-Paartherapeutin wichtig zu sehen, ob sie zärtlich zueinander sind, auch wenn sie sich nur kurz berühren. Durch die gemeinsam verbrachte Zeit bekomme ich einen tiefen Einblick vom Leben des Paares. Als ich das erkannt habe, war ich froh, dass ich diesen Schritt gemacht habe. Gerade beim Thema Sex ist mein Ferienhaus sehr hilfreich.

Ich freute mich, dass ich mein Vorgehen nicht lange erklären musste. Karsten und Beate hatten wohl meine Homepage genau gelesen.

„Wissen Sie“, meinte Karsten, „wir würden dies gerne ausprobieren. Die Methode hat uns zugesagt. Und wenn es nicht klappt, dann können sie uns ja immer noch einen anderen Therapeuten empfehlen.“ Ich wollte gerade zu einer Gegenfrage ansetzen, da hörte ich das „Bitte, bitte!“ von Beate. Ich war überrascht und leicht amüsiert, so etwas Plumpes und Überrumpelndes hatte ich noch nie erlebt. Das war auch der Grund, dass ich mit einem „Warum also nicht?“, antwortete. Sofort fragte ich mich, wie ich das sagen konnte.

„Wie sieht es mit dem übernächsten Wochenende aus?“, fragte er. Sie hatten also auch in meinen Onlinekalender geschaut.

Es folgte noch ein lang gezogenes Bitte von Beate. Ihr Wunsch nach einem gemeinsamen Wochenende mit mir war so offensichtlich.

„Übernächstes Wochenende geht!“ Während ich das sagte, blätterte ich in meinem Gedächtnis noch nach Ausreden, aber es fielen mir keine ein. Ich hatte zugesagt, obwohl ich mich damit nicht wohlfühlte.

„Eine Sache muss ich euch noch sagen. Das steht nicht so auf der Webseite.“

„Ja!“ Ihre Begeisterung wurde für mich inzwischen beängstigend.

„Ihr bekommt in den nächsten Tagen noch einen Brief von mir. Ich will, dass ihr euch gut vorbereitet.“

„Natürlich!“, jubelte sie. So viel Begeisterung hatte ich bei einem Paar noch nie erlebt.

„Und wenn wir Fragen zu deinem Brief haben, dürfen wir dich anrufen.“

„Es ist kein Test, wo ihr die Fragen richtig beantworten müsst.“

„Aber es soll doch richtig sein, nicht dass du von uns ein falsches Bild bekommst“, sagte Beate. Ich bekam Angst, dass ich am Wochenende und vorher jede Minute solche Gespräche wie jetzt führen würde.

„Nein. Es geht nicht um richtig, sondern ihr sollt eine Idee bekommen, was euch erwartet. Euch mental drauf einstellen.“

„Okay“, sagten beide.

„Also danke für euren Anruf“, verabschiedete ich mich.

Ich legte auf und fragte mich, wie wohl unser Wochenende werden würde. Das Telefonat musste ich erst mal einordnen. Ich machte mir sofort Notizen.

Am nächsten Tag setzte ich mich hin und ging sie durch. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht mehr als am Ende des Gespräches. Ich setzte mich hin und schrieb ihnen einen Brief über Befürchtungen und Eindrücke. Als ich ihn durchlas, warf ich ihn weg und fing wieder von vorne an. Ich war ratlos, das musste ich mir nun eingestehen.

Denk an dein Konzept, sagte ich mir und bat sie nun schriftlich, dass sie sich über das Abendessen Gedanken machen sollten. Ich war zu dem Entschluss gekommen, dass es nichts Tiefgründiges sein sollte. Wir würden gemeinsam kochen und ich bekam so die Möglichkeit, sie langsam kennenzulernen. Dies hatte ich schon vielen Paaren als Aufgabe gegeben und es zeigte eigentlich immer eine positive Wirkung – also wieso nicht auch bei Karsten und Beate?

Da war ich mir nun sicher, ich brauchte erst mal Zeit, um mich auf beide einzulassen. Wenn sie das Abendessen zubereiten würden, bekomme ich die Chance, beide in ihrer Art zu beobachten und kennenzulernen. Ich fand, dass es eine gute Idee war. Beide würden aber mehr erwarten, als nur die Aufforderung ein Abendbrot vorzubereiten.

„Überlegt euch, was ihr wollt. Es soll nicht nur ein Essen sein, sondern dieses Essen soll ein Spiegelbild eurer sexuellen Situationen sein.“ Ich lehnte mich zurück, las den Text durch und umschrieb ihre Aufgabe. Sowohl beim Essen als auch Sex geht es um Vorlieben, wie man sich auf sie freut und auf sie einlässt. Essen zu kochen und und sich auf Sex einzulassen, haben mehr gemeinsam, als die meisten denken. Sie sollten beides verbinden. Das ist nicht schwer, aber wird es ihnen beiden leichtfallen? Mit diesen Aufgaben könnten sie sich abarbeiten, dachte ich, ob sie sich viel dazu überlegen würden und es ausführlich vorbereiten würden, wusste ich nicht, war aber gespannt.

Freitagnachmittag

Als das Wochenende mit Karsten und Beate kam, war ich schon mittags Im Ferienhaus und wartete auf beide. Es lag weit außerhalb jedes Dorfes. Das war mir wichtig, denn ich wollte ungestört arbeiten. Ein wohlhabendes älteres Ehepaar hatte es sich als Ruhesitz bauen lassen. Das Haus war damals als ein großzügiger Bungalow entworfen worden, wie er damals modern war. Die Kinder, die Erben konnte mit Haus nichts anfangen, es lag zu weit weg von allem. Als ich es zum ersten Mal sah, hatte ich mich sofort dieses Ferienhaus mit dem großen Grundstück verliebt. Sie wollten nicht viel dafür, ich hätte auch mehr bezahlt. Mein Eindruck war, dass sie es einfach loswerden wollten, was ich bis heute nicht verstand. Zu gerne komme ich hierher. Ich breitete immer alles vor, aber genoss diese Weite und Ruhe, die ich in ihm empfand.

Es hatte lange gedauert, bis ich jemand fand, der für mich nach dem rechten schaute und es sauber hielt, so wurde das Haus auch heute vorher gründlich gereinigt. Handtücher lagen für uns bereit. Alles war sauber und frisch bezogen. Als ich ins Ferienhaus kam, war alles fertig. Ich stellte noch ein paar frische Blumen auf und sorgte für eine entspannte Umgebung. Ich überlegte, was dem Paar gefallen könnte und wie sie sich am wohlsten fühlen würden. Bei Karsten und Beate hatte ich keine genaue Vorstellung. Es war ein Telefonat, wo ich mir nur wenig Notizen gemacht hatte: „Harmonisch, viel Elan und offen (?).“ Das waren die Eigenschaften, die ich mir für beide notiert hatte. Bei „offen“ hatte ich mir ein Fragezeichen gemacht, weil ich mir darüber eigentlich gar nicht so sicher war, als ich es aufgeschrieben hatte. Durchstreichen wollte ich es nicht. Ich wusste sonst nichts. Sie wollten um 18 Uhr kommen. Ich hatte jetzt also noch reichlich Zeit.

Gleichzeitig hatte ich aber das Gefühl, dass alles fertig war und nichts mehr vorbereiten musste. Ich bin eigentlich sehr impulsiv und wenig strukturiert, aber mit der Zeit hatte ich mir angewöhnt, mir dafür Zeit zu nehmen, damit die Paare mich in unerwarteten Moment nicht unerwartet überraschen konnten.

„Mach dich nicht verrückt“, sagte meine innere Stimme zu mir, denn ich hatte das Gefühl, dass ich nervös war, ohne einen wirklichen Grund zu haben. Ich war durch das große Schlafzimmer für das Paar gegangen. Es hatte zudem ein eigenes großes Bad. Es war wunderbar zurechtgemacht. Sie werden sich wohlfühlen, dachte ich.

Nebenan hatte ich ein separates Schlafzimmer. Es war eher ein kleineres Zimmer, in dem nur ein schlichtes Bett stand und in der Ecke ein Schreibtisch, falls ich alleine arbeiten musste. Mein Badezimmer war eher klein und auf das Wesentliche reduziert, wo ich mich zurückziehen konnte. Meine Räume lagen neben dem anderen Schlafzimmer, sodass ich immer in Rufweite war, falls ich gebraucht werden würde.

Das große Schlafzimmer hatte eine große Tür in den Garten, der von einer hohen Hecke umgeben war und keiner konnte in den intimen Bereich einsehen, den ich mit meinen Paaren haben wollte. Auch wenn wir weit weg von jeder Zivilisation waren, wollte ich diesen Schutz von ungebetenen Gästen. Fremde, die in dieser schönen Umgebung spazieren gingen und einfach mal nur gucken wollten. Der große Garten hatte einen grünen Schutzwall, der uns die Freiheit gab, alles zu vergessen, was draußen ist.

Wenn man das Ferienhaus durch den Vordereingang betrat, stand man in einer riesigen Küche mit einer offenen Essecke, in der ein runder Tisch stand und um ihn herum standen viele bunte und unterschiedliche Stühle. Keiner sollte in der Ecke sitzen müssen oder jemanden direkt gegenüber. Ich wollte, dass man das Gefühl hatte, dass man eins war. Häufig saß man einfach so am Küchentisch, wenn man gerade eine Pause machte. Es war ein wichtiger Platz des Alltags. Mein zweiter Grundsatz war, dass keiner einen festen Platz hatte und jeder die Möglichkeit bekam, sich so zu platzieren, wie er sich fühlte. Jeder konnte sich seinen passenden Stuhl aussuchen, auf welchen er sich setzen wollte. Individualität und Freiheit wollte ich damit vermitteln und meine Gäste verstanden es, auch wenn sie sich häufig nur unbewusste für einen Stuhl entschieden. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.

Ich hatte einen Strauß weißen Flieder gepflückt und ihn in die Mitte des Tisches gestellt.. Das Haus war als ein großes erdgeschossiges L konzeptioniert worden. Das war ein Grund, warum ich mich in diesen Bungalow sofort verliebte, als ich ihn zum ersten Mal sah. Die Küche mit diesem großen runden Tisch war die Mitte. In die andere Richtung schaute man direkt in den Wohnbereich. Der Flieder verbreitete so seinen Duft im ganzen Haus. Es roch nicht nur in der Küchenecke, sondern auch im großen offenen Wohnbereich. Es gab keine Tür, die beide Bereiche abtrennte. Von der Küche kam jeder direkt in das sehr geräumige und offene Wohnzimmer. Nur der Boden deutete an, dass man die Küche mit den warmen Holzdielen verließ, denn ein flauschiger Teppich war die optische Grenze zum Wohnzimmer. So sollten meine Klienten sich im Wohnzimmer wohlfühlen.

Besonders am Entwurf des Hauses gefiel mir, dass das ganze Haus hell war. Der große Bereich von Küche und Wohnzimmer hatte eine große Fensterfront zum Garten hin. Der Blick nach draußen war jederzeit möglich und wunderschön, der durch ein riesiges Fenster vom Boden bis zur Decke ermöglicht wurde. Bei der Suche hatte ich der Maklerin erzählt, was mir wichtig war, dass man es hell war und die Sonne den Raum erleuchten sollte. Als ich dieses Haus dann sah, wusste ich sofort, dass dies meinem Konzept entsprach, wie ich arbeiten wollte.

„Ich möchte meinen Paaren Licht für ihre Beziehung geben“, sagte ich ihr, als ich zum ersten Mal die offenen Räume sah. „Ich will ihnen eine vertraute Atmosphäre anbieten, damit jeder zu sich und zu seinem Partner finden kann.“

„Räume sind da sehr wichtig“, stimmte sie mir zu. Ich erzählte ihr nicht alles, was ich vorhatte, denn ich hatte Sorge, dass ich das Haus nicht bekommen könnte. So verschwieg ich ihr, dass diese offene Atmosphäre dazu dienen sollte, damit meine Gäste offen über sexuelle Beziehung reden können. Sex sollte nicht nur im Dunkeln stattfinden.

Nun wartete ich auf Karsten und Beate, während der Fliedergeruch das Haus eroberte. Da ich aufgrund des Telefonats noch nicht genau wusste, wo die Reise hinging, entschloss ich mich, in den Garten zu gehen, um noch etwas zu entspannen. So legte ich mich auf eine der drei Liegen. Sie standen auf der großen Wiesenfläche in die Sonne. Ich atmete den Geruch des frisch gemähten Rasens ein, der mit jedem warmen Tag grüner wurde. Die Bäume trugen nicht mehr nur ihre ersten zarten Blätter, sondern hatten ihre vollen Baumkronen mit einem dunklen Grün gefüllt.

 

Ich atmete tief durch und genoss die Junisonne. Die Sonne schien auf mein Gesicht, während ich es mir unter einer Decke auf der Liege bequem machte. Meine Beine hatte ich hochgelegt und streckte sie aus. Wie ich da so lag, wusste ich, dass es gut werden würde.

Ich bin wohl eingeschlafen, denn ich hörte plötzlich die Türklingel. Ich öffnete langsam meine Augen. Du musst aufstehen, sagte mir meine innere Stimme und mein Körper folgte ihr nur widerwillig. Mir wurde klar, dass ich wohl den ganzen Nachmittag verschlafen hatte, denn die Sonne stand tiefer und hatte ihre Mittagswärme verloren.

Es müssen wohl Karsten und Beate sein –also schon 18 Uhr. Innerlich erschrak ich, denn ich fühlte mich nicht fit. Meine eigene Energie war gerade auf dem Nullpunkt. Ich dehnte mich beim Aufstehen, versuchte so, meinen Körper zu beleben, der sonst so voller Energie war. Ich musste mich gleich auf ein neues Paar einlassen und wollte vor allem keinen schlechten Eindruck machen. Halb verschlafen und halb anwesend ging ich zur Tür, um ihnen zu öffnen. Sie schienen es dagegen eiliger zu haben, denn ich hörte sie zum wiederholten Mal läuten. Ich wurde nun ganz unsicher.

Warten sie schon länger, ich muss ja nicht beim ersten Läuten wach geworden zu sein, schoss es mir durch den Kopf. Mit diesem Gedanken legte ich einen Schritt zu und rannte zur Tür. Ich warf nur einen kurzen Blick in den Spiegel, der im Eingangsbereich neben der Haustür hing. Mit der Hand fuhr ich mir schnell durch mein braunes und teilweise schon graues Haar. Schnell machte ich mir einen kleinen Zopf, damit ich nicht ganz so aussah, wie ich aussah.

In diesem Moment ärgerte ich mich, dass hier nirgends eine Uhr hing und ich selbst auch keine trug. Wir haben die Zeit, die wir brauchen, sagte ich häufig, auch so ein Grundsatz von mir, den ich jetzt verfluchte. Wie spät ist es wohl?

Ich wischte mir den Schlaf aus den Augen, zog am frisch gemachten Zopf. Zu mehr hatte ich keine Zeit. Ich wollte sie nicht warten lassen. Bevor ich die Tür öffnete, hörte ich:

„Du hast Recht. Ich hätte nicht klingelnd sollen, wir sind zu früh. Aber ich dachte, dass die fünfunddreißig Minuten ihr nichts ausmachen.“

So penibel hatte ich mir Karsten und Beate nicht vorgestellt.

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