Wörterbericht

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Wörterbericht
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Einleitung

Die deutsche Sprache hat es nicht leicht. Egal, ob Anglizismen, unsinnige Füllwörter oder sinnentleerte Redewendungen – sie muss an allen Flanken hart kämpfen, um sich zu behaupten. Unterstützung erhält sie von der beliebten Feuilleton-Rubrik »Wörterbericht« aus der ZEIT. Die 55 unterhaltsamsten »Wörterberichte« der letzten Jahre finden Sie in diesem E-Book.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

WORTE, DIE KEINER BRAUCHT

Der Rettungsschirm Finanzspritze Blickfick(en) Instrumentenkasten Kreditereignis Starkoch Querläufer Freundschaftsanfrage E-Antiquariat

BITTE NICHT WÖRTLICH NEHMEN

Ich so/er so Gerne Nachbessern Entdecken Schwierig Absolut Herabstufen Krise Vollstes Vertrauen Kern Talent Löschen Realisieren Vorsicht! Schrotten Bespaßen Schlecht Irre

DIE INTEGRATION DER WORTE

Choosing Cloud Lol Sublim Shitstorm Hotline Hacker tsundoku Lunchen Flash

HAT MAN WORTE!

Offen gestanden ...aber alles gut! Mal was sagen? Schäm dich! Hausaufgaben Geht das so mit? Am Ende des Tages

LIEBLINGSWÖRTER

Bettwanze Schleckig Frauenmarder Nüscht Europa Seiflappen Seidenschrei Inbrünstig Auslaufmodell Basaltschmarotzer Bückware

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Impressum

Worte, die keiner braucht

Der Rettungsschirm

Von Iris Radisch

DIE ZEIT, 20.01.2011 Nr. 04

Der Schirm in seiner klassischen Ausführung hat die Aura des Umständlichen, aber Stabilen. Insbesondere der schwarze Langschirm ist der jahrhundertealte Begleiter des Gentleman und Ausweis einer wohlassortierten Lebensführung. Er mag zwar in erster Linie in der Tat der Regenabwehr dienlich sein, signalisiert aber im weitesten Sinne die Wehrbereitschaft seines Trägers im Kampf mit dem Unberechenbaren. Der Rettungsschirm, der uns im Augenblick vor den Niederschlägen des Euro schützen soll, suggeriert, dass die Euro-Krise zwar auf unberechenbare Weise von oben auf uns niedergeht, aber noch lange keine Ausmaße annimmt, denen die vertrauenerweckende Welt der gehobenen Herrenausstattung nicht mehr gewachsen wäre.

Finanzspritze

Von Adam Soboczynski

DIE ZEIT, 24.03.2011 Nr. 13

Nun muss man wissen, dass die Spritze als Gerät zur intravenösen Injektion ein junge Erfindung ist. Der Architekt Christopher Wren injizierte 1656 Bier in die Venen eines Hundes, andere reicherten das Blut eines Hundes mit Safran an. Die Resultate waren furchtbar anzusehen. Es bedurfte einiger Jahre, bis man zweckdienlichere Substanzen und ein Gefühl für die Dosierung entwickelte, auf die ja überhaupt alles im Leben ankommt. Nach allem, was die Forschung weiß, darf nur eine Substanz in unbegrenztem Ausmaß verwendet werden: Geld. Dafür aber bedarf es einer speziellen Spritze, der Finanzspritze. Diese erhalten jetzt die Windenergie und einmal mehr irische Banken. Wer eine Finanzspritze erhält, will in der Regel bald schon eine zweite. Das nennt man Injektions-Infektion.

Blickfick(en)

Von Peter Kümmel

DIE ZEIT, 12.05.2011 Nr. 20

Ein Begriff aus eiligen Zeiten. Er bezeichnet, als Verb wie als Substantiv, den intensiven Augenkontakt zwischen zwei möglichen Geschlechtspartnern, die keine Zeit haben, miteinander auch nur ins Gespräch zu kommen; etwas, das umso häufiger vorkommt, je größer die Stadt ist, in der es sich ereignet – der bohrende Lustblick als die schnellste intime Erfahrung. Allerdings wird das Wort auch (gern unter jungen U-Bahn-Fahrern) benutzt, um von Gewalt zu reden. Man sieht diesen Blick auf dem Schulhof, in der Disco, in der Kneipe: Einer durchsengt einen Schwächeren mit dem Hass-Laser. Wenn der Bestarrte den Blick senkt, ist er vernichtet. Wenn er standhält und zurückstarrt, beginnt, nach uralten Regeln, der Kampf zweier Menschen, die keine Zeit hatten, miteinander in Streit zu geraten.

Instrumentenkasten

Von Peter Kümmel

DIE ZEIT, 21.07.2011 Nr. 30

Um die Euro-Krise zu bekämpfen, will Finanzminister Schäuble jetzt den ganzen Instrumentenkasten der Politik ausschöpfen. Wenn es diesen Kasten wirklich gibt, was mag wohl alles drin sein: eine Familienrolle Hansaplast, eine Rohrzange, ein Defibrillator? Oder ist der Kasten in Wahrheit leer, ein reines Theaterrequisit? Schäubles Wort verrät, dass es für Politiker längst nichts mehr zu gestalten, allenfalls noch etwas zu flicken gibt. Es zeigt auch, welchen Hunger nach Anschaulichkeit und simpler Mechanik die unübersichtliche Weltlage in uns weckt. Eventuell aber stillt Schäuble auch den Durst des Volkes nach Rache. Einer soll bezahlen für die Misere, in der wir alle stecken. Dafür brauchen wir den Kasten: Als in Europa noch gefoltert wurde, war es üblich, dass die Folterknechte ihren Opfern die Instrumente zeigten, ehe sie ihre Arbeit taten.

Kreditereignis

Von Ijoma Mangold

DIE ZEIT, 04.08.2011 Nr. 32

Mein neues Lieblingswort heißt Kreditereignis. Es ist schon für sich genommen von erhabener Schönheit. So richtig metaphysisch funkelnd wird es aber erst im Kontext. In der vergangenen Woche konnte man von den Rating-Agenturen hören, sie seien sich »nahezu sicher«, dass im Fall von Griechenlands Umschuldung ein Kreditereignis eingetreten sei. Das Kreditereignis ist durch die Schule der Quantenphysik gegangen: Man bekommt es so wenig zu fassen wie Schrödingers Katze. Hat der Schuldner Griechenland die Ansprüche seiner Gläubiger nun erfüllt oder nicht? Das Gespenst des Kapitals verweigert jede verlässliche Ontologie. Kredit kommt von credere, glauben, und Glauben ist nicht Wissen. Das Kreditereignis hat deshalb seinen wahren Platz im Buch der Offenbarung.

Starkoch

Von Heike Kunert

DIE ZEIT, 01.12.2011 Nr. 49

Kaum eine Berufsbezeichnung verdirbt einem so den Appetit wie der Starkoch. Starköche gelten mehr als Philosophen oder Kanzler. Warum aus einem einfachen sympathischen Koch ein Starkoch wird, schmeckt der Volksgaumen oftmals nicht heraus. Muss eine Tätigkeit, der nichts als ein menschliches Bedürfnis zugrunde liegt, geadelt werden? Es gibt doch auch keine Starklempner oder Starschreiner. Der Mensch muss satt werden, er braucht einen freien Abfluss, und er muss begraben werden. Der einzige Star, der einem das alles noch versüßen kann, ist der auf der Astgabel. Und wenn der mal einem Starkoch in die Suppe spuckt und der sie auslöffelt und tot umfällt – wer tritt dann auf den Plan? Richtig, der Staranwalt. Womöglich findet der das alles auch nur zum Piepen.