Die schönsten Hotels unter 100 Euro

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Die schönsten Hotels unter 100 Euro
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Hotels mit Seele

Es gibt in diesen Hotels keine Portiers mit goldbesetzten Gehröcken. Es gibt keine behandschuhten Butler und keine Keycards zum Öffnen der Zimmertüren. Es gibt hier niemanden, der einem weismacht, ohne Lomi-Lomi-Nui-Massage sei man nur ein halber Mensch. Es gibt weder High Tea noch Zimmerbutler und schon gar keinen Wagenmeister. Deshalb kann man in diesen Hotels zu bestimmten Zeiten auch schon für 99 Euro im Doppelzimmer schlafen, schlimmstenfalls ohne Frühstück, dafür aber zu zweit. Zwanzig besondere Hotels in Europa haben unsere Autoren besucht: das Forsthaus in den Masuren, das lauschige Strandhotel auf Elba oder die kunstvolle Lodge in Kärnten. Häuser, in denen trotz des niedrigen Preises eine Menge geboten wird – oder vielleicht gerade deshalb. Zum Beispiel findet man hier oft etwas, das die meisten Hotels zwar versprechen, aber nicht bieten können: Ruhe. Es gibt grandiose Ausblicke aufs Meer oder auf Wiesen, Wälder und Täler. Es gibt Wanderwege gleich vor der Tür. Es gibt Gastgeber, die ihre Besucher noch selbst empfangen und sie abends bekochen. Es geht, um es kurz zu machen, um so etwas wie Seele. In den hier vorgestellten Häusern gehört sie zur Grundausstattung.

Thomas Niederberghaus

Inhaltsverzeichnis

Hotels mit Seele

Polen: Nur die Ruhe...

Brombeeren essen auf der Holzschaukel, lesen am Steg – idyllischer geht es kaum. Der Gasthof Galkowo im Masurischen Landschaftspark weckt Erinnerungen an glückliche Kindheitstage

Italien: Blaues Wunder

Glasklares Meer, mediterranes Zimmer, und das Obst kommt aus dem eigenen Garten: Im Hotel Ilio auf Elba ist Luxus ganz einfach

Italien: Kein Gemäuerblümchen

Die Fattoria di Tatti liegt im toskanischen Erzgebirge. Nachts hört man hier nur das Rascheln der Bäume und die Melodie der Nachtigall

Schweiz: Mal reinlesen

Wer den Alpenhof in Appenzell besucht, muss wissen, worauf er sich einlässt: Den Sog von 12000 Büchern und den schroffen Charme einer Künstlerpension

Schweiz: Volltreffer!

Im Kafi für Dich kommen sie alle zusammen: Philosophen, Familien, schräge Vögel. Und Touristen übernachten günstig mitten in Zürich

Frankreich: Zu Gast bei König junior

Ob der Hausherr Bernard Valois tatsächlich royaler Abstammung ist? Im Château des Tertres, hoch über dem Ufer der Loire, bereitet er den Besuchern jedenfalls einen majestätischen Empfang

Frankreich: Französische Grandezza

Jugendstilwächterinnen aus Bronze, ein Patio mit Palmen und Zimmer mit maritimem Flair: Im Grand Hôtel von Sète wird jeder Gast zum Zeitreisenden

Frankreich: Im Blütenrausch

Das Clos de Bellefontaine in der Normandie verzaubert mit seiner rosaroten Gartenstille

Österreich: Kunst vor der Hütte

Die art-lodge in Kärnten versammelt auf 1058 Meter Höhe moderne Installationen, Bilder und Skulpturen. Wem das zu bunt wird, der springt einfach ins kalte Wasser

Griechenland: Autonom auf Kreta

In Milia haben zwei Griechen ein verlassenes Dorf als Hotel wiederaufgebaut. Das Brot wird im Mountain Retreat selbst gebacken, der Strom kommt aus Solarzellen – und die tiefe Entspannung von ganz allein

Deutschland: Es war einmal in Mitte

Der Fischer, seine Frau, Dornröschen und fingerdick Nutella: Das Grimm’s in Berlin wirkt auf Kinder und Geschäftsreisende gleichermaßen märchenhaft

Deutschland: Schloss, endlich

Drei Jahre Arbeit investierte das Ehepaar Forytta in das alte Herrenhaus Marihn in Mecklenburg-Vorpommern. Heute leuchtet die Fassade cremeweiß, und im Garten duften die Rosen

Deutschland: Dem Touri sein Quartier

Früher holten die Kumpel hier ihr Geld ab. Heute ist die Alte Lohnhalle in Essen-Kray ein Hotel – mit Zechencharme und Waschkauenschick

Spanien: Vier Sterne für Clint Eastwood

In der andalusischen Wüste wurden zahlreiche Western gedreht. Deshalb entstand hier das Gran Almería, ein Grandhotel nach amerikanischem Vorbild. Ein bisschen Glamour ist bis heute zu spüren

Portugal: Stein gehabt

Das Estalagem da Ponta do Sol ist auf hohe Felsenklippen gebaut. Eine einzigartige Lage an der Südküste Madeiras: Mit etwas Glück sieht man von hier sogar Wale

Portugal: Offene Gesellschaft

In der Companhia das Culturas im Südosten Portugals arbeiten Künstler und wohnen Gäste aus aller Welt. Ein Ort für Freigeister und Leute, die gerne im Freien sind

Portugal: Gruppensitzung

Die Casa das Janelas com Vista in Lissabon will mehr Zuhause als Hotel sein. Nicht nur in der loftgroßen Wohnküche funktioniert das hervorragend

Cornwall: Romantik ohne Zuckerguss

Geheime Pfade zu den Klippen, Adelsgeschichten am Kamin – im Halftides Bed and Breakfast fühlen sich nicht nur Rosamunde-Pilcher-Fans wohl

London: Online im Ohrensessel

Das Hoxton Hotel im Londoner East End empfängt die Generation Facebook mit wohlgesetzten Stilbrüchen, Entspanntheit und Gratis-WLAN

England: Claires Duft

Im Number 10 Coffee House in Haworth dringt das Aroma von Kuchen und Brownies bis in die Himmelbetten. Ist der Ofen mal aus, lässt sich mit der Hausherrin aber auch herrlich über Literatur plaudern

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Impressum

POLEN
Nur die Ruhe...
Brombeeren essen auf der Holzschaukel, lesen am Steg – idyllischer geht es kaum. Der Gasthof Galkowo im Masurischen Landschaftspark weckt Erinnerungen an glückliche Kindheitstage

VON IRENE BRAUER

Die sehnige 73-Jährige steht wie ein Gondoliere am Heck ihres Holzkahns und singt wehmütige ostpreußische Heimatlieder. Kristina ist Stakerin, schon ihr Leben lang. Von Frühjahr bis Herbst schippert sie mit ihrem zwei Meter langen Kiefernstab Touristen durch die Windungen des kristallklaren Waldflüsschens Krutynia im Masurischen Landschaftspark. In jungen Jahren ist sie mal ausgewandert, nach Westen. Zwei Jahre lang hat sie es dort ausgehalten, dann kehrte sie zurück.

Am Ufer des Flüsschens, dort, wo eine abgestorbene Birke bizarr ins Wasser ragt, sind wir mit Aleksander Potocki verabredet. Aleksander hat sich ein paar Kilometer weiter, in Galkowo, verwurzelt – pipidówa, sagen die Polen dazu, janz weit draußen. Am Rande des 130-Seelen-Fleckens im südöstlichen Masuren erwarb der Nachkomme eines polnischen Adelsgeschlechts vor 15 Jahren ein Stück unbebautes Wiesenland am Waldesrand. »Warum gerade hier?« – »Ach, die Liebe, wissen Sie...« Aleksander, ein baumlanger junger Mann mit Lockenkopf, träumte von einem Gasthof mit Kneipe. »Vom Bankier zum Kneipier«, nennt er seinen Lebensentwurf. Zunächst baute er ein Haus für sich, seine Frau Dorota und ihre beiden Kinder. Dann machte er sich auf die Suche nach verfallenden Scheunen und Schuppen, im armen Masuren keine Seltenheit. Zwei Holzruinen versetzte er auf sein Land, restaurierte sie und richtete darin einen Altersruhesitz für seine Mutter Renate Marsch-Potocka und 14 Gästezimmer für Touristen ein. Kleine Räume mit weiß getünchten Wänden, Decken und Fußböden aus Holz, schlichte alte Bauernmöbel aus der Region – ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, eine Lampe. An der Wand die Handzeichnung einer Jagdszene. Durch das geöffnete Fenster duftet die Blumenwiese. Das Wiehern der Pferde ist vom nahe gelegenen Gestüt zu hören, das Kläffen eines Hundes von irgendwo – mehr nicht. Der Gast aus der Großstadt schlummert still zufrieden dem nächsten Morgen entgegen. Zum Frühstück schlendert er ein paar Schritte durch den Garten, rüber in die knajpa, ein drittes Gebäude. Das ehemalige Forst- und Jagdhaus der Grafen von Lehndorff-Steinort stammt aus dem 19. Jahrhundert.

Heute prangt das Wappen der Grafen Potocki unter dem Dachfirst – Aleksanders Vorfahren. Das dunkelholzige, mit Weinlaub bewachsene Gebäude ist sein wahr gewordener Traum. Unter Aufsicht des polnischen Denkmalschutzes hat er das vom Verfall bedrohte Haus abgetragen und von Sztynort ins 80 Kilometer entfernte Galkowo verbracht. »Warum habt ihr das gemacht?« – »Weil wir verrückt sind«, antwortet Aleksander. Drei Jahre hat die Rekonstruktion gedauert, Aleksander wurde zu einem der größten Arbeitgeber der armen Region.

In der knajpa trifft man sich immer ab neun Uhr morgens zum Essen, Trinken, Schwatzen, Ausruhen. Familien, Hundebesitzer, Paddler, Radler, Wanderer, Reiter, Reisegruppen – jeder ist hier willkommen. Die jungen Bedienungen sprechen ein bisschen Deutsch, sie stammen aus dem Freundeskreis der Potockis. Adam, der Koch, hat schon beim Aufbau der knajpa geholfen. Die regionale Küche wird der jeweiligen Saison angepasst und ist köstlich: zum Frühstück Joghurt mit Himbeeren aus dem eigenen Bauerngarten, zum Mittagessen Kartoffelpuffer mit frischen Pfifferlingen, zum Nachmittagskaffee Apfelkuchen – da werden Kindheitserinnerungen wach.

Im anheimelnden Halbdunkel des Gastraums sitzt man auf Holzbänken an langen Tischen, die terrakottafarben gestrichenen Wände sind bedeckt mit Familienfotos und gerahmten Bildern – Szenen von einst, die Aleksanders Großvater »aus der Erinnerung« gezeichnet hat. Am brennenden Kaminfeuer in das plüschige rote Dreisitzersofa sinken, einen Wodka kippen und die feuchten Wanderschuhe trocknen lassen – auch das ist hier möglich. Geöffnet ist, bis der letzte Gast geht. Wer später kommt, hat noch die Holzveranda vor dem Haus, um im Schein des sich rundenden Augustmondes den Tag ausklingen zu lassen. Es hat sich gelohnt, um halb fünf morgens auf die Pirsch zu gehen, um zehn nach fünf hat wirklich der Hirsch geröhrt. Nein, das war kein Hund! Und gelohnt hat sich auch der Rückweg über die tautriefende Wiese, vorbei am Friedhof der Altgläubigen, wo die aufgehende Sonne das morgendliche Nebelmeer geradezu mystisch auflöste und die weißen Kreuze auf den Gräbern enthüllte.

 

Ein neuer Tag. Über die geschwungene Treppe mit von Generationen ausgetretenen Holzstufen gelangt man in die oberen Räume der knajpa. Hier hat Aleksanders Mutter zu Ehren der unvergesslichen Journalistin Marion Gräfin Dönhoff einen Salon eingerichtet, einen Ort zum Verweilen mit Blick auf die Pferdeweiden, zum Lesen der ausliegenden Literatur. Man kann auch der vom Knistern des Tonbandes verfremdeten Stimme Marion Dönhoffs lauschen. Sie liest aus ihrem Ritt durch Masuren: »Herr Gott, wie schön die Welt ist – sein könnte...«

Ins Gästebuch hat jemand geschrieben: »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.« Der Besucher aus der Großstadt hat sie wiedergefunden, still in seinem kleinen Zimmer, lesend auf dem Steg im See, Himbeeren essend auf der Holzschaukel im blühenden Garten, durch Wiesen wandernd unterm Regenbogen.

Jeder Gast wird an diesem besonderen Ort irgendetwas wiederfinden, mit Glück sogar sich selbst. Hin und wieder kommt auch Kristina mal vorbei. Neulich brachte die alte Stakerin ihre Schwester mit. »Wollt ich ihr mal das Häuschen zeijen und den ippijen Jarten.« Beide finden alles von einer »jroßarrtjen Scheenhejt«.

Gasthof Galkowo

Aleksander Potocki, Galkowo 46, 12-220 Ruciane-Nida, Tel. 0048-87/4257073 oder 0048-87/4257068, www.galkowo.pl. DZ ab 35 Euro

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