Buch lesen: «Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal», Seite 5

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2.5 „Ich habe mich zum Priester, nicht zum Manager weihen lassen.“ – Der Wunsch nach innerer und äußerer Verankerung

Neben Phänomenen wie Globalisierung und virtueller Vergemeinschaftung lassen sich Phänomene der Ver-Szenung in Kultur und Religion ausmachen. „Charakteristische Merkmale der Sozialform ‚Szene‘ sind Partikularität, zeitliche Begrenzung, offene Zugehörigkeitsbedingungen, beschränkte Wahrheitsansprüche ... So spricht man von Psycho-Szene, Esoterik- und Okkultszene, Ufo-Szene, Meditationsszene etc.“74 Daneben findet sich auch das Phänomen fester, in sich abgeschlossener Gruppen, überregionaler geistlicher Gemeinschaften oder das Phänomen des „events“.

Für den Jugendseelsorger bedeutet dies, dass er sich auf immer neue „Szenen“ einstellen muss, dass z.B. religiöse Angebote nur auszugsweise und „szenenabhängig“ ankommen, abhängig von der je eigenen „Musikszene“ und den aktuellen Geschmacksmilieus. Der „Ort“ des Seelsorgers ist in diesen modernen Sozialgestalten schwer auszumachen. Die Frage nach der eigenen Verwurzelung in erweiterten Lebensvollzügen treibt Gemeindemitglieder und hauptberufliches Personal um. Der Pfarrer oder die Gemeindereferentin sollen in ihrer Person durch ihre Präsenz auch sichtbarer „Anker“ sein und „Heimat“ verkörpern. Für Jugendliche ist das personelle Angebot in der Jugendarbeit trotz Chatrooms und virtueller Communities unerlässlich. Kirche kann nicht auf die Verortung des Glaubens verzichten. Lokalität von Kirche impliziert auch die lokale Zuordnung von Personal. Es geht um lokale und temporale Verortung im Sinne kontinuierlicher Präsenz in relevanten Handlungsfeldern. Als soziokultureller Gegentrend zum Megatrend der entgrenzten Gemeinschaft in realen oder virtuellen Netzwerken ist auch der Wunsch nach Identität und Verankerung auszumachen.75 Die Stärkung des Ortes, die Sehnsucht der Menschen nach Verwurzelung in einer Gemeinschaft steht der Globalisierung und Erweiterung der Lebens- und Handlungsräume gegenüber. Die auf große Räume hin angelegte Reorganisation der pastoralen Strukturen, verbunden mit der Reduktion von Personal, erzeugt Widerstand bei alten und jungen Priestern: „Dafür bin ich nicht angetreten!“ Fast alle Pastoralpläne deutscher Diözesen basieren auf einer am Lebens- und Sozialraum orientierten Pastoral. Der Raum, in welchem sich soziale Beziehungen und identitäts- und sinnstiftende Aktivitäten des Individuums abspielen, ist nicht mehr durch Stadtpläne, pfarreiliche Karteikarten und Statistiken zu erfassen. Die Weite der Vorstellung vom pastoralen Raum eröffnet vielen pastoralen Mitarbeitenden neue Handlungsfelder und Spezialisierungen, verunsichert aber gerade Priester in ihrem Selbstverständnis als Pfarrer. Die berufsbiographisch tief verankerten Selbstbilder von Hirte und Weinbergsarbeiter sind kaum kompatibel mit erweiterten Lebensräumen und offenen Sozialräumen. Dazu kommt das Dilemma, dass pastorales Personal in der territorialen Seelsorge divergierende Pastoralkonzepte (Lebensraumerweiterung contra Verortung) im eigenen Tun vor Ort gestalten und Spannungen ertragen muss. Dem Wunsch zumindest traditioneller Christen nach personeller Beheimatung („Licht im Pfarrhaus“) ist kaum noch Rechnung zu tragen. Eigene allzu starke Verwurzelung ist weder möglich noch erwünscht. Fehlende persönliche Kontaktmöglichkeiten zur Mehrheit der Gemeindemitglieder bedeuten nicht nur eine Infragestellung des eigenen Auftrags und Selbstbilds, sondern Verlust geistiger und sozialer Heimat. Die Haushälterin kommt stundenweise und Verwandte wohnen kaum mehr im Pfarrhaus. Das „Single-Leben“ bereitet gerade im Alter zunehmend Schwierigkeiten. Die Suche nach dem „guten Ort“ für sich selbst gestaltet sich schwierig. Die Suche nach außergemeindlicher geistlicher und menschlicher Heimat (Freizeit) birgt die Gefahr, dass die Pfarrei zum reinen Dienst- und Arbeitsort wird. Der väterlich freundschaftliche Rückhalt des Presbyteriums durch den Ortsbischof76 erweist sich in der Praxis oft mehr als Enttäuschung denn als tragfähige Basis und Verankerung. Ein tragfähiges individuelles Netz von Mitbrüdern oder Berufskollegen muss vom Einzelnen geknüpft und aktiv gepflegt und gestaltet werden.

Die gesellschaftliche Akzeptanz der zölibatären Lebensform von Priestern nimmt ab und bedeutet weiteren Heimatverlust. „Nicht der Zölibat ist das Hauptproblem sondern seine Nichtunterstützung ... In einer solchen Lage fällt die Kunst, eheloses Leben befriedigend zu gestalten, auf die Person des Priesters zurück. Was früher ein kulturell getragenes Gut war, ist heute einsame Lebensleistung.“77 Es geht darum, die vielgestaltigen und widersprüchlichen Aspekte der eigenen Identität und die widersprüchlichen Ansprüche der Menschen und Strukturen zu integrieren und zu ordnen. Dazu gehört auch die Integration der pastoralen Entwicklungen in die eigene Biographie und das Entwerfen neuer beruflicher Identitäten. Zeit- und Selbstmanagement dienen nicht nur pastoraler Qualitätssicherung, sondern werden in der Pastoral zur Überlebensfrage.

Beim diözesanen Personaleinsatz ist abzuwägen, an welchen gesellschaftlichen Orten Kirche von ihrem Auftrag her mit welcher personalen Kompetenz präsent sein muss und wie Präsenz erlebbar und kommunizierbar bleiben kann. Mitarbeiter fühlen sich von der Diözesanleitung im Stich gelassen, wenn das Arbeitsgebiet und die Führungsverantwortlichkeit zu groß oder ungenau gehalten sind. Nicht wenige Pfarrer wissen nicht, für welche Mitarbeiter sie selbst direkte Personalverantwortung haben und wie diese wahrzunehmen ist. (Mitarbeitergespräche mit Pfarrsekretärinnen, Fortbildung und spirituelle Angebote für Erzieherinnen, Konfliktgespräche u. a.). Personaleinsatzplanung im pastoralen Bereich darf nicht nur die Bedürfnisse der Gemeindemitglieder im Blick haben, sondern muss bedenken, wie der Erhalt und die Pflege einer spirituellen, psychisch-sozialen und äußeren Heimat (Wohn- und Rückzugsort) für den Seelsorger möglich ist, um psychische und physische Gesundheit zu erhalten.

Eine Pastoral der Vernetzung meint sowohl ein pastorales Grundangebot vor Ort als auch die Errichtung von „Leuchttürmen“ und pastoralen Zentren, in denen Kirche präsent ist, wo geistliches Leben intensiv gepflegt wird, Angebote gebündelt und verdichtet werden. Entscheidend wird sein, ob die Gemeinde vor Ort und pastorale Zentren auch für Haupt- und Ehrenamtliche selbst zu Kraftorten gemeinsamen Betens und sozialen Ankerpunkten werden können. Die Gruppe der aktiv das pastorale Leben (haupt- und ehrenamtlich) tragenden und dafür verantwortlichen Christen wird sich wohl immer deutlicher als die „Primärgruppe“ des priesterlichen Einheitsund Leitungsdienstes des Pfarrers herauskristallisieren. Für das spirituelle Niveau einer Pfarrei ist es wichtig, dass die Gruppe der faktisch Verantwortlichen auch selbst so etwas wie ein „kommunikatives Glaubensmilieu“ bildet. Wenn Kirche heute weniger Kirche im Ort als Kirche am Ort ist, so hat Theologie zu klären, wo heute die jeweiligen relevanten Orte und Handlungsfelder von Kirche sind. Personalentwicklung muss sich in diesen Diskurs einschalten mit der Frage, wie kirchliches Personal an diesen Orten und in diesen Handlungsfeldern selbst Raum zum Arbeiten, aber auch zum Leben und zum Beten findet.

2.6 Pfarreiseelsorge zwischen Expertokratie und Dilettantismus

Die Kompetenzanforderungen an das Seelsorgepersonal sind gestiegen: Hohe fachliche Professionalität wird von den Dienstleistern einer funktional gegliederten Gesellschaft erwartet, hohe Authentizität und personale Glaubwürdigkeit sind speziell in der Kirche gefordert. Naivität, fachlicher Dilettantismus und mangelnde Professionalität seitens hauptamtlicher Kirchenrepräsentanten auf Ebene der Bistumsleitung wie auf Ebene der erlebbaren Ortspfarrei werden in einer Dienstleistungsgesellschaft geächtet.

Große Unklarheit herrscht jedoch darüber, welche und wie viel Professionalität erforderlich ist, was Professionalisierung angesichts zunehmender Heterogenität und Differenzierung pastoraler Handlungsfelder speziell für die Gemeindearbeit bedeutet und wie diese umgesetzt werden soll. Aus einem reichen Fortbildungsangebot von EDV-Kursen über Projektmanagement bis hin zu Sterbebegleitung kann der Einzelne wählen, ohne genau zu wissen, welche Kompetenzen seitens des Arbeitgebers vorrangig erwünscht sind und abgerufen werden sollen. Das pfarreiliche Handlungsfeld ist nicht nur der fruchtbare Weinberg, sondern wird zum „Kraut- und Rübenacker“, wenn Prioritäten und Posterioritäten nicht festgelegt werden. Die Wahlfreiheit des Einzelnen bezüglich seines Kompetenzzuwachses kann für die Gesamtorganisation zu einem konzeptlosen „Gießkannenprinzip“ werden.

Gemeinde- oder Pastoralreferenten in der Pfarrei dem in immer neuen Varianten wiederholten Vorwurf aus, als Experte und Professioneller das Ehrenamt auszuhöhlen, lebendige selbstgesteuerte kirchliche Vergemeinschaftung zu behindern, Exklusivität zu steigern und der Verkirchlichung des Evangeliums Vorschub zu leisten. Die aus gestiegenen Kirchensteuermitteln in den letzten Jahrzehnten finanzierten neuen Laienberufe sehen sich heute mit der offenen Vorhaltung konfrontiert, den Volk-Gottes-Gedanken des 2. Vatikanischen Konzils zu konterkarieren und der Gleichheit und gemeinsamen Würde aller Gläubigen mit ihrer beruflichen Rolle und Funktion entgegenzuwirken. Der Diakon mit Zusatzausbildung in Sozialmanagement steht im Verdacht, ehrenamtliche Mitarbeiter durch pastorale Professionalität in die Rolle von Zuschauern und Konsumenten zu zwingen. Hauptberufliche Laien, welche von Personaleinsatzzentralen bewusst in Leitungsfunktionen vor Ort gesetzt wurden, um personelle und fachliche Leitungsdefizite zu füllen, müssen sich gegenwärtig den Vorwurf gefallen lassen, personale Fixierung in der Kirche zu verstärken und das Ehrenamt zu verdrängen.78 Im Zuge knapper werdender finanzieller Ressourcen finden auf dem Rücken des Seelsorgepersonals auch theologische Umdeutungen statt. Pastorale Professionalisierung steht im Verdacht, eine „Expertokratie“ herausbilden zu wollen und Ehrenamtliche zu entmachten. Gefordert wird eine „professionelle Entprofessionalisierung“, die Berufsprofile nicht verfestigt, sondern die Zusammenarbeit menschlicher gestalten hilft, ohne das Verständnis von Professionalität in der Pastoral inhaltlich zu klären.79 Der Pastoralprofi stehe in der Gefahr, sich selbst für unverzichtbar zu halten und sich mit einer Aura von Exklusivität und Komplexität zu umgeben, wird beklagt.80 Dem pastoralen Experten werden Allmachtsphantasien unterstellt, wenn er glaubt, eine Gemeinschaft „herstellen“ zu können, was auf einen klaren Unterdrückungsmechanismus hinauslaufen würde. Welche fachlichen und personalen Kompetenzen für den Pfarrer oder einen Diakon unerlässlich sind und auf welchem Wege diese zu erlangen und zu fördern sind, bleibt unbeantwortet. Damit bleibt Personalentwicklung, die als Handlungswissenschaft auf theologische Handlungsleitlinien angewiesen ist, auf sich gestellt.

Mit dem Ende volkskirchlicher Strukturen und im Zuge massiver Sparzwänge blühen in deutschen Bistümern pastoraltheologische Visionen einer basisorientierten, geisterfüllten und von ehrenamtlichen Laien getragenen neuen Form des Kirche-Seins. Diese Entwürfe implizieren nicht selten ein Gegenüber von professionalisierter bürokratischer Hauptamtlichenkirche und einer von Laienengagement getragenen missionarischen Kirche, die sich in kleinen lebendigen Netzwerken verwirklicht. Pastorale Mitarbeiter geraten indirekt als bezahlte und quasiverbeamtete „Funktionäre“ unter Legitimations- und Rechtfertigungsdruck. In ihnen sieht man Bewahrer des Status quo, da es immer auch um eigene berufliche Existenzberechtigung geht. Aufgrund ihres „Beamtenstatus“ wird ihnen Veränderungspotenzial abgesprochen. Hauptberufliche stehen im Verdacht, pastorale Kontinuitätsfiktionen zu pflegen, um das eigene Berufsprofil zu wahren. Es wäre einseitig und polarisierend, z.B. den Leitungsorganen in der Kirche nur das ängstliche Beharren und den geistlichen Bewegungen den befreienden Pfingstgeist zuzuweisen. Hauptamtliches Personal steht nicht per se für „Verkirchlichung“, Ehrenamt bedeutet nicht automatisch basisorientierte Charismenorientierung. Es ist derselbe Geist, der in den Charismen und in den Ämtern wirkt, der für Kontinuität und Aufbrüche sorgt, der Traditionen wahrt und Reformen hervorruft.

Wenig dienlich sind plakativ aufgestellte Gegensätze zwischen einer gemeindlichen Versorgungsstruktur, in der sich der kleinbürgerliche Milieukatholizismus durch pastorale Profis bedienen lässt, einerseits und basiskirchlichen Netzwerken sozial-pastoral aktiver Christen ohne Leitung durch Hauptamtliche andererseits.81 Dieses grobe Raster unterstellt, dass eine gute Ausstattung mit „pastoralen Professionals“ die Kontinuitätsfiktion einer versorgten Kirche der Moderne pflegt, während das Fehlen hauptberuflicher Dienste per se postmoderne Netzwerkbildung fördere. Der Vorwurf, Professionalisierung im Seelsorgebereich folge dem Leitbild einer „modernisierten Gestalt einer romantischen Genieästhetik“82, beantwortet die Frage nach zeitgemäßer Seelsorge nicht. Pastorale Professionalisierung muss nicht zur Entmündigung des Volkes Gottes führen und konsumorientierte Versorgungsmentalität bedienen. Ein Zurückschrauben pastoraler Dienste im deutschsprachigen Raum führt genauso wenig zu einer „Kirche der Armen“, wie pastorale Professionalität auf egomanische „Unterdrückungsmechanismen“ hinauslaufen muss.83 Ein Zurückfahren hauptberuflicher pastoraler Kompetenz in der Seelsorge führt nicht unbedingt zu einer „solidarischen und solidarisierenden Theologie“.84

Pastorales Personal, das auf territorialer Ebene arbeitet, befindet sich in einem weiteren Professionalisierungsdilemma. Der Wunsch nach Spezialisierung und Vertiefung einzelner Fachkompetenzen ist für den Klinik- oder Gefängnisseelsorger unerlässlich und anerkannt. Die damit verbundene Eingrenzung von Handlungsfeldern ist für den „Spezialseelsorger“ erwünscht und trägt zu individueller Berufszufriedenheit bei. Kostenintensive Spezialfortbildungen werden im Bereich Sonderseelsorge finanziert, während die Pastoral- oder Gemeindereferentin in der Pfarreiarbeit Mühe hat zu erklären, warum auch sie Interesse an einer Weiterbildungsmaßnahme hat. Der Gemeindeseelsorger steht in stündlich wechselnden Handlungsfeldern, die thematisch und zeitlich nur schwer eingrenzbar sind. Die Arbeit in den Ortsgemeinden wird aus oben beschrieben Gründen zur subjektiv erlebten und intersubjektiv begründbaren Zumutung oder Überforderung. Persönliche Spiritualität kann diese strukturellen und konzeptionellen Dilemmata nicht auffangen. Von immer mehr Pfarrern, Diakonen und Laien wird der Ausweg in einer kategorialen Aufgabe gesucht.85

Eine Theologie der Personalentwicklung im deutschen Kontext muss einen Beitrag leisten in einem Diskurs über die „Ambivalenz der Professionalisierung“.86 Es geht nicht um die Frage, ob zu viel Professionalisierung in der (Gemeinde-)Pastoral schadet. Das bezahlte berufliche Handeln ist nicht unauthentischer als das Ehrenamt in der Kirche. Das Infragestellen der Notwendigkeit pastoraler Professionalität übersieht die Differenzierungsprozesse der Moderne und steht in Gefahr, ein vormodernes Gemeindeideal abseits jeglicher Differenzierungen zu pflegen. Die entscheidende Frage ist, wie pastorale Professionalität nicht zur Degradierung Ehrenamtlicher, sondern zum Dienst an der Erfahrung, Kompetenz und Ermächtigung des jeweils Anderen und somit zu solidarisierendem Handeln werden kann.

2.7 Fazit: Personalentwicklung als Hilfe zur Gestaltung von Zukunft

Derzeit befinden sich viele Hauptberufliche im „Transformationsstress“. Ohne dass volkskirchliche Erfassungspastoral aufgegeben wird, die sich auf das Zählen von Kasualien und flächendeckende Versorgung konzentriert, kommen neue Aufgaben einer milieusensibel ausdifferenzierten und vertiefenden Seelsorge hinzu. Ähnlich wie in Ex 5,6-7 beschrieben, geht es um ein Mehr an Arbeit mit bestehenden oder schwindenden Kräften: „Der Pharao gab den Antreibern der Leute und den Listenführern die Anweisung: Gebt den Leuten nicht mehr, wie bisher, Stroh zum Ziegelmachen! Sie sollen selber gehen und sich Stroh besorgen. Legt ihnen aber das gleiche Soll an Ziegeln auf, das sie bisher erfüllen mussten. Lasst ihnen davon nichts nach!“ (Ex 5,6-7). Pastorale Aktivitäten werden verstärkt, um Verluste wettzumachen und um gegen die eigene Angst vor Versagen anzuarbeiten. Pastorale Mitarbeiter sind des weiteren zerrieben zwischen divergierenden pastoralen Konzepten.

Seelsorgepersonal fühlt sich überlastet, weil mit alten Bildern in neuen Räumen gearbeitet wird. Kirchliche Sozialformen verflüssigen sich, in gleichem Tempo und Umfang verschieben sich Profile und Rollen der kirchlichen Berufe und Ämter. Berufsbilder erschließen sich heute nicht mehr aus einfachen Signalen, der Auftrag der verschiedenen pastoralen Dienste ist nicht mehr objektiv vorgegeben, sondern muss ausgehandelt und bestätigt werden.87 Personalentwicklung bietet Unterstützung in diesem Prozess des „Aushandelns“. Seelsorger werden ermächtigt und dazu ermutigt, das eigene Spannungsfeld zwischen den von außen herangetragenen und intrinsisch gesteuerten Erwartungen (und Allmachtsphantasien und Egomanien) zu reflektieren, um pastoral handlungsfähig zu bleiben.

Hauptberufliche Seelsorger sind öffentliche Vertreter von Kirche und werden unter dieser Perspektive sowohl von der Diözesanleitung als auch von den Gläubigen beobachtet und daran gemessen. Sie werden in ihrer Rolle und Person als Zeugen der Botschaft betrachtet. Dies ist eine große Herausforderung an die strategische Fortbildung und Weiterentwicklung des Seelsorgepersonals. Praktische Theologen (und ihre Personalverantwortlichen) haben nicht nur Bewahrungstendenzen, sondern aufgrund ihrer theologischen Kompetenz hohes Kreativitäts- und Veränderungspotenzial. Personalentwicklung in der Kirche muss Kontinuitätsfiktionen und Verhinderungsstrategien entgegenwirken. Die Fähigkeit zum Umgang mit religiösen Ungleichzeitigkeiten und innerkirchlicher Multikulturalität wird zur Schlüsselkompetenz werden.

Personalentwicklung als Begriff beinhaltet – im Unterschied zu veralteten Konzepten der Personalbewirtschaftung – das Paradigma der Entwicklung. Ein kleiner geschichtlicher Aufriss der Konzeptentwicklung in Personalarbeit soll diesen Paradigmenwechsel im Folgenden verdeutlichen.

26 Spielberg Bernhard, Ladenhüter oder Laboratorium?, 86.

27 Vgl. Dubach Alfred / Fuchs Brigitte, Ein neues Modell von Religion. Zweite Schweizer Sonderfallstudie – Herausforderung für die Kirchen, Zürich 2005, 9.

28 Haslinger Herbert, Lebensort für alle. Gemeinde neu verstehen, Düsseldorf 2005, 102.

29 Die Umfrage von Zulehner/Renner unter Pastoralreferenten im deutschsprachigen Raum ergab u.a., dass über die Hälfte der Pastoralreferenten das allgemeine Desinteresse an der Kirche, den Rückzug aus der Pfarrei und die mangelnde Attraktivität der Kirche als echte Berufsbelastung empfinden. Vgl. Zulehner Paul M. / Renner Katharina, Ortsuche. Umfrage unter Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten im deutschsprachigen Raum, Ostfildern 2006, 60.

30 Vgl. Bucher Rainer, Mehr als Adressaten. Grundsätzliche Überlegungen zum Konzept einer milieusensiblen Pastoral, in: Ebertz Michael N. / Hunstig Hans Georg (Hg.), Hinaus ins Weite, Gehversuche einer milieusensiblen Kirche, Würzburg 2008, 67-77, hier 69.

31 Vgl. Bucher Rainer, Es geht um etwas Neues. Die pastoraltheologische Herausforderung der Kirchenaustritte, in: ThPQ 156(2008), 4-12, hier 4.

32 Koch Kurt, Die Kirche Gottes, Augsburg 2007, 194.

33 Das Panorama der Spiritualitäten wird offenkundig anhand der Inhalte von Beschwerdebriefen über kirchliches Personal, welche täglich aus den Gemeinden oder von Kollegen im Bischofshaus oder in der Personalabteilung eingehen. Oft werden Ausschnitte aus Zeitungen beigefügt, die Gottesdienstverläufe oder die verwendeten, angeblich nicht mehr katholischen Gebete kritisieren.

34 Vgl. Zulehner Paul M. / Renner Katharina, Ortsuche. Umfrage unter Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten im deutschsprachigen Raum, Ostfildern 2006, 58.

35 Matthias Sellmann verweist auf eine Befragung von 600 Priestern aus 20 Kursen eines Bistums. Befragt nach ihrer Bewertung gesellschaftlicher Veränderungen waren 80 Prozent aller Wahrnehmungen von „deutlicher Sorge, Irritation und Verunsicherung“ geprägt. Nur bei jedem fünften Blick nach außen kam Freude, Aufbruch und Spannung zum Ausdruck. Abgelehnt wurden vor allem der moderne Pluralismus und die Wahlförmigkeit des Religiösen. Vgl. Sellmann Matthias, Graue Mäuse, komische Käuze? Anmerkungen zum fälligen Imagewandel kirchlicher Berufe, in: Arbeiten in der Kirche. Ämter und Dienste in der Diskussion, HerKorr Spezial 1(2009), 44-48, hier 47.

36 Erich Garhammer verweist in diesem Zusammenhang auf das sog. „zweite Kirchenjahr“, welches – aufgezeigt am Beispiel der Diözese Paderborn aus dem Jahr 1993 – beginnend mit der Kollekte für die Weltkirche im Januar über die Sternsingeraktion, Misereoraufrufe, Sonntag des Straßenverkehrs bis hin zum Weltmissionssonntag der Kinder in der Weihnachtszeit die Gemeinden beschäftigt. Vgl. Garhammer Erich, Dem Neuen trauen. Perspektiven zukünftiger Gemeindearbeit, Graz / Wien / Köln 1996, 14 ff.

37 Ebd., 18.

38 Hempelmann Reinhard, Einführung, in: Ders. u.a. (Hg.), Panorama der neuen Religiosität. Sinnsuche und Heilsversprechen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Gütersloh 2005, 14-23, hier 18.

39 Bieger Eckhard / Fischer Wolfgang / Mügge Jutta / Nass Elmar, Pastoral im Sinus-Land. Impulse aus der Praxis / für die Praxis, Berlin 2008, 141f.

40 Wanke Joachim, Der Bischof im Dienst von Einheit und Vielfalt, von Bewahrung und Erneuerung, in: Hillenbrand Karl / Koch Günter / Pretscher Josef (Hg.), Einheit und Vielfalt. Tradition und Innovation in der Kirche, Würzburg 2000, 94-110, hier 107.

41 Innerhalb der Katholiken weisen 36 % der Kirchenmitglieder eine hohe bis mittlere Intensität eines pantheistischen Spiritualitätsmusters auf (30 % der Protestanten). Der Religionsmonitor unterscheidet zwischen einem an einer Du-Erfahrung orientierten Transzendenzkonzept und einem pantheistischen Transzendenzkonzept, das durch Einheitserfahrung und Meditation geprägt ist. Vgl. Gabriel Karl, Religiöser Pluralismus. Die Kirchen in Westdeutschland, in: Religionsmonitor 2008, Bertelsmann Stiftung (Hg.), Gütersloh 2008, 76-85, hier 83.

42 Ebd.

43 Nassehi Armin, Erstaunliche religiöse Kompetenz, in: Religionsmonitor 2008, Bertelsmann Stiftung (Hg.), Gütersloh 2008, 113-135, hier 117.

44 Ebd., 119.

45 Ebd., 130.

46 Ebd., 130.

47 Hempelmann Reinhard u.a. (Hg.), Panorama der neuen Religiosität, 21.

48 Blasberg-Kuhnke Martina, Überforderung in der Pastoral – eine rollentheoretische Problemanzeige, in: Bibel und Liturgie. 63(1990), 42-47, hier 45.

49 Nassehi Armin, Erstaunliche religiöse Kompetenz, 131.

50 Ebd., 132.

51 Spielberg Bernhard, Kreisquadrat und Pfarrgemeinde. Zwei unlösbare Probleme, in: LS 57(2006) ‚92-101, hier 98.

52 Fuchs Brigitte, Der Blick nach vorne. Pastoraltheologische Überlegungen zur zweiten Sonderfallstudie, in: Dies. / Alfred Dubach, Ein neues Modell von Religion. Zweite Schweizer Sonderfallstudie – Herausforderung für die Kirchen, Zürich 2005, 167-235, hier 200f.

53 Bucher Rainer, Die Entdeckung der Kasualienfrommen. Einige Konsequenzen für Pastoral und Pastoraltheologie, in: Först Johannes / Kügler Joachim (Hg.), Die unbekannte Mehrheit: Mit Taufe, Trauung und Bestattung durchs Leben? Eine empirische Untersuchung zur „Kasualienfrömmigkeit“ von Katholik-Innen. Bericht und interdisziplinäre Auswertung, Berlin 2006, 77-92, hier 83.

54 Ebd.

55 Diese Relevanz hängt nicht unwesentlich von der Ausstrahlung und Kompetenz der dort tätigen Seelsorger ab.

56 Haslinger Herbert, Lebensort für alle, 102.

57 Fuchs Brigitte, Der Blick nach vorne, 226.

58 Haslinger Herbert / Bundschuh-Schramm Christiane, Gemeinde, in: Haslinger Herbert u.a. (Hg.), Handbuch Praktische Theologie, Band 2 Durchführungen, Mainz 2000, 287-307, hier 306.

59 Vgl. Först Johannes, Die unbekannte Mehrheit. Sinn- und Handlungsorientierung „kasualienfrommer“ Christ/inn/en, in: Först Johannes / Kügler Joachim (Hg.), Die unbekannte Mehrheit: Mit Taufe, Trauung und Bestattung durchs Leben? Eine empirische Untersuchung zur „Kasualienfrömmigkeit“ von KatholikInnen. Bericht und interdisziplinäre Auswertung, Berlin 2006, 13-55.

60 Schick Ludwig, Geleitwort des Erzbischofs von Bamberg, in: Först Johannes / Kügler Joachim (Hg.), Die unbekannte Mehrheit, 8.

61 Bucher Rainer, Die Entdeckung der Kasualienfrommen, 83.

62 Ebd., 85.

63 Vgl. Sellmann Matthias, Von der „Gruppe“ zum „Netzwerk“. Große pastorale Räume als Chance für eine durchbrechende Vielfalt kirchlicher Sozialformen, in: AnzS 119(2010/3), 19-23.

64 Kehl Medard, Wohin geht die Kirche? Eine Zeitdiagnose, Freiburg 1996, 138.

65 Först Johannes, Die unbekannte Mehrheit, 38.

66 Ebd., 41.

67 Vgl. Bucher Rainer, Die Entdeckung der Kasualienfrommen, 91.

68 Vgl. Haslinger Herbert, Lebensort für alle, 108f.

69 Matthias Sellmann beschreibt die Ressentiments vieler Seelsorger, die modernen Individualismus als „Konsumdenken, Oberflächlichkeit und Bindungsschwäche“ ablehnen und auf die eigene Stand-festigkeit „im reißenden Fluss“ setzen. Vgl. Sellmann Matthias, Graue Mäuse, komische Käuze?, 47.

70 Först Johannes, Die unbekannte Mehrheit, 79.

71 Ebd.

72 Fuchs Ottmar, Sakramententheologische Kriterien der Kasualpastoral, in: Först Johannes / Kügler Joachim (Hg.), Die unbekannte Mehrheit. Mit Taufe, Trauung und Bestattung durchs Leben? Eine empirische Untersuchung zur „Kasualienfrömmigkeit“ von KatholikInnen -Bericht und interdisziplinäre Auswertung, Berlin 2006, 93-117, hier 98.

73 Vgl. ebd., 114f.

74 Hempelmann Reinhard u.a. (Hg.), Panorama der neuen Religiosität, 20.

75 Vgl. Fuchs Brigitte, Der Blick nach vorne, 196f.

76 Papst Johannes Paul II., Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe. Kongregation der Bischöfe. 22. Februar 2004, hg. vom Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2006 (= VAS 173), Nr. 76.

77 Zulehner Michael, Priesterliche Identität im Wechsel der Zeit. Vielfalt der Priestertypen und ihre Gefährdungen, in: AnzS 112(2003/5), 11-15, hier 14.

78 Vgl. Weuthen Johannes, Rollenwechsel in der Pastoral. Entwicklungs- und Prozesssteuerungsaufgaben als zentrale Herausforderung für Seelsorger/innen, in: Dessoy Valentin / Lames Gundo (Hg.), Denn sicher gibt es eine Zukunft (Spr 23,18). Strategische Perspektiven kirchlicher Organisationsentwicklung, Trier 2008, 102-115.

79 Vgl. Benner Dieter, Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problemgeschichtliche Einführung in die Grundstrukturen pädagogischen Denkens und Handelns, Weinheim 1996, 42-44.

80 Vgl. Gärtner Stefan, „Postmoderne“ Pastoral? Exemplarische Reflexionen zu einem Kasus, in: LS 60(2009), 151-155.

81 Vgl. ebd.

82 Bründl Jürgen, Der Professionalisierungskomplex. Einsprüche gegen ein großes egologisches Format. Die Replik von Jürgen Bründl auf Stefan Gärtner, in: LS 60(2009), 156-157, hier 156.

83 Ebd., 157.

84 Ebd.

85 Offene Stellen im Bereich der kategorialen Seelsorge sind in allen Diözesen meist rasch wiederzubesetzen, während der Großteil pfarreilich angesiedelter Stellen in Bewerbungsverfahren lange offen bleibt.

86 Vgl. Bucher Rainer, Wider die falschen Alternativen. Die Ambivalenzen pastoraler Professionalisierung und wie man mit ihnen umgehen sollte, in: AnzS 117(2008/1), 5-7.

87 Vgl. Luhmann Niklas, Religion als Kultur, in: Kallscheuer Otto (Hg.), Das Europa der Religionen. Ein Kontinent zwischen Säkularisierung und Fundamentalismus, Frankfurt a. M. 1996, 291-318, hier 312.

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636 S. 28 Illustrationen
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9783429060107
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