Weihnachtsgeschichten

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Weihnachtsgeschichten







Charles Dickens






Inhaltsverzeichnis





Impressum







Weihnachtserzählungen - Einleitung







Erstes Kapitel.







Zweites Kapitel.







Drittes Kapitel.







Viertes Kapitel







Fünftes Kapitel







Das Heimchen am Herde - Ein Hausmärchen







Zweites Zirpen.







Drittes Zirpen.







Hochzeitsttanz.







Der Kampf des Lebens - Auf der Walstatt des Lebens - Eine Liebesgeschichte







Zweiter Teil.







Dritter Teil.







Die Silvesterglocken - Eine Koboldgeschichte







Das zweite Viertel







Das dritte Viertel







Das vierte Viertel







Doktor Marigold







Mrs. Lirripers Fremdenpension







Die Geschichte des Schuljungen







Die Geschichte des armen Verwandten







Der Behexte und der Pakt mit dem Geiste







Die Verbreitung







Die Gabe wird zurückgenommen
















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Weihnachtserzählungen - Einleitung



Die schönste Verklärung des Weihnachtsfestes im bürgerlichen Leben des vergangenen Jahrhunderts hat zweifellos Dickens mit seinen berühmten Weihnachtserzählungen geliefert. Diese Erzählungen schrieb er auf der Höhe seiner dichterischen Entwicklung: »Das Weihnachtslied« ( Christmas Carol) im Jahre 1843, »Das Heimchen am Herde«( The cricket on the hearth) im Jahre 1845 und die beiden übrigen hier zum Abdruck gelangenden Geschichten auf Reisen im Ausland: »Die Silvesterglocken« ( The chimes) entstanden 1844 in Italien und »Der Kampf des Lebens« ( The battle of life) 1846 am schönen Ufer des Genfer Sees. Dickens, der selbst in der Jugend die Bitternisse der Armut hatte auskosten müssen, blieb ein warmherziger Menschenfreund, auch als er zu Reichtum und Ehren gelangt war. Besonders das Weihnachtsfest als das Fest der Liebe und des Lichtes war ihm stets ein willkommener Anlaß, bedürftige Menschen durch seine Mildtätigkeit zu erfreuen.



Das Christfest, das Dickens so gern mit aller Poesie, die er aufbringen konnte, schildert, ist nun nicht etwa aus einem besonders tief-innigen religiösen Verhältnis heraus gesehen und dargestellt: es ist ihm nicht um die hohe Symbolik der Geburt des Heilands in den dunkelsten Tagen des Jahres zu tun; und alle mystische Vertiefung liegt ihm völlig fern. Er erfaßt das Weihnachtsfest mit rein irdischem, diesseitigem Behagen; und dies Behagen eben ist es, was seine Erzählungen so anziehend und anheimelnd macht: es ist durchwoben von einer allgemeinen Menschlichkeit, von wohltuender Wärme und Herzlichkeit. Es ist darinnen der himmelhelle Glaube, daß das Leben doch im Grunde gar nicht so schwer sei, sondern leicht und glücklich gestaltet werden könnte, wenn die Menschen nur wollen. Dickens ist überzeugt von der Fähigkeit des Menschenherzens, sich zu läutern, besser, anders zu werden. Er glaubt daran, daß jeder, der es redlich meint, ein »neues Leben« beginnen kann, wie es Scrooge, wie es Mr. Warden mit Erfolg tun. Er ist des Sieges des Guten in der Welt sicher, und so bekämpft er Ansichten des Pessimismus und Skeptizismus, daß unser Dasein nur eine schlechte sinnlose Narrenkomödie darstellt. Er weist auf die »Helden und Heldinnen des Alltags« und zeigt, wie auch in einfachen Bürgerhäusern, fern von der heroischen Geste des Kriegerlebens, wahrer Opfermut und Edelsinn gedeihen. Das alles ist nicht tief ergrübelt, nicht als Ergebnis einer scharf nachsinnenden Philosophie gewonnen, sondern ein Stück praktischer Weltweisheit, die darum um so mehr ungezählte Scharen von Lesern begeistert hat, als diese Erkenntnis im Gewande heiterer leichter Dichtung erscheint.



Von hier aus versteht man auch den Zauber, der von Dickens' Weihnachtsschilderungen ausgeht: er nimmt darin auf die ganze Poesie des behaglichen Genießens, mit dem das » Merry old England« seit alters das Christfest beging: wenn der Mistelzweig mitten im Zimmer an der Decke hing, von den Wänden die roten Beeren der Stechpalme glänzten, dann ward mit Schmaus und Tanz – und was für ein Schmaus, was für ein Tanz! – der Heilige Abend begangen. Alle Herzen blühten auf, vom aufspielenden Musikanten in der Ecke, der sich bei seinem Grog wärmte, bis zum runden strahlenden Hausherrn, der mit seiner ebenso kompletten, pausbäckigen Ehehälfte das Tanzbein schwang. Das Trübe, Dunkle war dann Lug und Trug der Gespensternacht. Güte, Erbarmen, Gastlichkeit, Wohlgesonnenheit, die lebte und gern, von Herzen gern leben ließ, waren das Wahre der erstrebenswerten Wirklichkeit. Diese in aller Einfachheit und jovial-fröhlichen Art die Gemüter packende Weihnachtsbotschaft Dickens' sprach und spricht noch immer mit anziehender eindringlicher Gewalt zu allen Menschen, die für solchen erwärmenden Geist heiter-tätiger Liebe sich ein Empfinden bewahrt haben.



Wer sich noch tiefer auf Grund des Gelesenen in Dickens' Weltanschauung versenken und seine Persönlichkeit verstehen will, der sei auf Stefan Zweigs schönes Buch »Drei Meister« hingewiesen, das in einem besonderen Kapitel Dickens eingehend würdigt. – Auch bei diesem Bande habe ich Frau Clara Weinberg für ihre getreue ausdauernde Mitarbeit an der Herausgabe der Texte zu danken.



Im übrigen veranlaßt der außergewöhnliche Erfolg dieser Ausgabe von Dickens' Werken den Verlag, noch zwei weitere charakteristische und berühmte Romane dieses großen Schriftstellers der Gesamtserie anzugliedern. Es erscheinen noch »Dombey und Sohn« und »Das Bleakhaus«.



Hamburg, im Oktober 1927.



P. Th. H.






Eine Weihnachtsgeschichte - Der Weihnachtsabend – Ein Weihnachtslied - Eine Geistergeschichte





Erstes Kapitel.



Marleys Geist.



Marley war tot; damit wollen wir beginnen. Darüber gibt es nicht den mindesten Zweifel. Sein Totenschein war unterschrieben von dem Geistlichen, dem Notar, dem Leichenwärter und dem Hauptleidtragenden. Scrooge unterzeichnete ihn. Und Scrooges Name hat unbedingte Geltung auf der Börse für jede Angelegenheit, an der er beteiligt war.



Der alte Marley war so tot wie ein Türnagel.



Paßt auf! Ich möchte damit nicht behaupten, daß für mein Wissen ein Türnagel etwas besonderes Totes an sich hätte. Was mich betrifft, ich möchte einen Sargnagel als das toteste Stück Eisen im Handel betrachten. Aber die Weisheit unserer Vorfahren ruht in dem Gleichnis; und meine unberufenen Hände sollen es nicht zerstören, sonst ist es um das Vaterland geschehen. Man wird mir deshalb gestatten, es nachdrücklich zu wiederholen, daß Marley so tot war wie ein Türnagel.



Wußte Scrooge, daß er tot war? Selbstredend wußte er es. Wie wäre es anders möglich gewesen? Scrooge und er waren ja – wer weiß wie lange – Kompagnons gewesen. Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker, sein einziger Sachwalter, sein einziger Erbe und sein einziger trauernder Hinterbliebener. Und nicht einmal Scrooge war von dem betrüblichen Ereignis genug mitgenommen, daß er sich nicht auch an dem Begräbnistag als ein hervorragender Geschäftsmann erwiesen und diesen durch einen erfolgreichen Handel festlich begangen hätte.



Der Hinweis auf Marleys Begräbnistag führt mich in meiner Erzählung wieder zu dem Punkt zurück, von dem ich ausgegangen bin. Es ist ganz sicher, daß Marley tot war. Das muß klar erkannt sein; sonst ist an der Geschichte nichts Wunderbares, die ich erzählen will. Falls wir nämlich nicht ganz und gar überzeugt wären, daß Hamlets Vater tot ist, ehe das Stück anfängt, würde sein nächtlicher Spaziergang im heftigen Ostwind auf der Terrasse seines Schlosses gar nichts Merkwürdiges an sich haben 1. Nichts Merkwürdigeres, als wenn irgendein anderer Herr in besten Jahren sich nach Sonnenuntergang noch rasch zu einem Spaziergang in einer windigen Gegend – etwa auf dem St. Pauls-Friedhof – entscheidet, nur um seinem trägen Sohn aus seinem Stumpfsinn aufzujagen. Scrooge ließ Marleys Namen nicht übermalen. Noch nach Jahren stand über der Tür des Warenmagazins »Scrooge und Marley«. Die Firma war unter dem Namen Scrooge und Marley bekannt. Zuweilen nannten Leute, die Scrooge nicht kannten, ihn Scrooge und zuweilen Marley; er hörte auf beide Namen, denn es war ihm ganz gleich.

 



Oh, er verstand sich auf Menschenschinderei, dieser Scrooge! Ein erpresserischer, ausbeutender, zusammengrapschender, geiziger alter Sünder; hart und scharf wie ein Kiesel, aus dem noch kein Stahl einen wärmenden Funken geschlagen hat; verschlossen und selbstsüchtig und nur für sich bedacht wie eine Auster. Seine innere Kälte machte seine alten Züge erstarren, seine spitze Nase noch spitzer, sein Gesicht voller Runzeln, seinen Gang steif, seine Augen rot, seine dünnen Lippen blau, und sie klang aus seiner knarrenden Stimme heraus. Ein frostiger Reif lag über seinem Haupt, auf seinen Augenbrauen, auf seinem stoppeligen Kinn. Er verbreitete seine eigene niedrige Temperatur immer um sich her. In den Hundstagen kühlte er sein Kontor wie mit Eis; zur Weihnachtszeit taute er es nicht um einen Grad auf.



Äußere Hitze und Kälte hatten geringen Einfluß auf Scrooge. Keine Wärme konnte ihn erwärmen, keine Kälte ihn frieren machen. Kein Wind war schneidender als er, kein fallender Schnee erbarmungsloser, kein peitschender Regen unerbittlicher. Schlechtes Wetter konnte ihm nichts anhaben. Der ärgste Regen, Schnee oder Hagel konnten sich nur in einer Hinsicht rühmen, ihm überlegen zu sein: sie spendeten ihre Gaben oft im Überfluß, und das tat Scrooge nie.



Hielt ihn jemals ein Bekannter auf der Straße an, um ihm freundlich zu sagen: Mein lieber Scrooge, wie steht's? Wann werden Sie mich einmal besuchen? Kein Bettler sprach ihn um eine Kleinigkeit an, kein Kind fragte ihn, wieviel Uhr es sei, kein Mann und kein Weib hat ihn je nach dem Weg gefragt. Selbst die Hunde der Blinden schienen ihn zu kennen; wenn sie ihn kommen sahen, zupften sie ihre Herren, daß sie in ein Haus träten, und wedelten dann mit dem Schwanze, als wollten sie sagen: Kein Auge ist immer noch besser als ein böses Auge, blinder Herr.



Doch was ging das Scrooge an? Gerade das gefiel ihm. Allein seinen Weg durch das Gedränge des Lebens zu gehen, jedes menschliche Gefühl in gehörige Entfernung zurückzuweisen – das war es, was Scrooge behagte.



Einmal, es war am besten aller Tage im Jahr, es war der Christabend, saß der alte Scrooge in seinem Kontor. Draußen war es schneidend kalt und dunstig, und er konnte hören, wie die Leute im Hof draußen prustend auf und nieder gingen, die Hände zusammenschlugen und mit den Füßen stampften, um sich zu erwärmen. Es hatte eben erst drei geschlagen, war aber schon ganz dunkel. Den ganzen Tag über war es nicht hell geworden, und in den Fenstern der benachbarten Kontore erblickte man Lichter, wie rote Flecken in der dicken, braunen Luft. Der Nebel drang durch jede Ritze und durch jedes Schlüsselloch und war so dick, daß die gegenüberstehenden Häuser des sehr kleinen Hofes ganz geisterhaft ausschauten. Wenn man die trübe, dicke Wolke alles verfinsternd herabsinken sah, hätte man glauben können, die Natur wohne dicht nebenan und habe dort eine Großbrauerei eingerichtet.



Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen Kommis beaufsichtigen könne, der in einem erbärmlichen, kleinen Raume, einer Art Verließ, Briefe kopierte. Scrooge hatte nur ein sehr kleines Feuer; aber des Clerks Feuer war noch so viel kleiner, daß es wie eine einzige Kohle aussah. Er konnte aber nicht nachlegen; denn Scrooge hatte den Kohlenkasten in seinem Zimmer; und jedesmal, wenn der Diener mit der Kohlenschaufel in der Hand hereinkam, meinte der Herr, es würde wohl nötig sein, ihr Verhältnis zu lösen. Darauf band sich der Clerk seinen weißen Schal um und versuchte, sich an der Kerze zu wärmen, was, da er ein Mann von nicht zu starker Phantasie war, immer fehlschlug.



»Fröhliche Weihnachten, Onkel, Gott erhalte Sie!« rief eine heitere Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, der ihm so schnell auf den Hals rückte, daß er sich erst durch diesen Gruß bemerkbar machte.



»Quatsch«, sagte Scrooge, »dummes Zeug!«



Der Neffe war vom Rennen so warm geworden, daß er ganz glühend war; sein Gesicht war rot und sah hübsch aus, seine Augen glänzten, und sein Atem dampfte.



»Weihnachten dummes Zeug, Onkel?« sagte Scrooges Neffe, »das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«



»Ob er es ist!« sagte Scrooge. »Fröhliche Weihnachten? Was für ein Recht hast du, fröhlich zu sein? Was für einen Grund, fröhlich zu sein? Du bist arm genug.«



»Nun«, versetzte der Neffe aufgeräumt, »was für ein Recht haben Sie, griesgrämig zu sein? Sie sind reich genug.«



Scrooge, der im Augenblick keine bessere Antwort bereit hatte, sagte noch einmal »Quatsch« und brummte ein »Dummes Zeug« hinterher.



»Seien Sie nicht ärgerlich, Onkel«, sagte der Neffe.



»Was kann ich denn anders sein?« antwortete der Onkel, »wenn ich in einer Narrenwelt wie dieser lebe! Fröhliche Weihnachten! Zum Kuckuck mit den fröhlichen Weihnachten! Was ist Weihnachten für dich anders als ein Tag, wo du Rechnungen bezahlen müßtest, ohne Geld zu haben, ein Tag, wo du dich um ein Jahr älter und nicht um eine Stunde reicher findest, ein Tag, wo du die Bilanz deiner Bücher siehst und bei jedem Posten ein Defizit zwölf volle Monate hindurch entdeckst? Wenn es nach mir ginge«, sagte Scrooge erbost, »dann müßte jeder Narr, der mit seinem fröhlichen Weihnachten herumläuft, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem Pfahl von Stecheiche im Herzen begraben werden. Das wär' das Richtige!«



»Onkel!« sagte der Neffe.



»Neffe!« antwortete der Onkel erregt, »feiere du Weihnachten nach deinem Geschmack und laß es mich nach meinem feiern.«



»Feiern!« wiederholte Scrooges Neffe; »aber Sie feiern es nicht.« »Laß mich zufrieden«, sagte Scrooge. »Mag es dir recht viel einbringen! Es hat dir ja schon viel eingebracht.«



»Es gibt viele Dinge, die mir Gutes hätten bringen können, und die ich nicht genutzt habe, das weiß ich«, antwortete der Neffe, »und Weihnachten ist eins von diesen. Aber das weiß ich bestimmt, daß ich Weihnachten, wenn es gekommen ist, abgesehen von der Verehrung, die wir seinem heiligen Namen und Ursprung schuldig sind, immer als eine gute Zeit angeschaut habe, als eine liebe Zeit, als die Zeit der Vergebung und des Erbarmens, als die einzige Zeit, die ich im langen Kalenderjahr kenne, wo die Menschen einträchtig ihre verschlossenen Herzen auftun und die andern Menschen betrachten, als wenn sie wirklich Reisegenossen nach dem Grabe wären und nicht eine ganz andere Art von Lebewesen, die für einen ganz andern Weg vorgesehen sind. Und darum, Onkel, ob diese Tage mir gleich niemals ein Stück Gold oder Silber in die Tasche gebracht haben, glaube ich doch, sie haben mir Gutes getan, und sie werden mir Gutes tun, und ich sage: Gott segne dieses schöne Fest!«



Der Diener in dem Verließe draußen klatschte unwillkürlich Beifall. Jedoch einen Augenblick später empfand er das Unschickliche seines Betragens, machte sich an den Kohlen zu schaffen und verlöschte den letzten kleinen Funken gänzlich.



»Wenn Sie mich noch einen einzigen Laut hören lassen«, sagte Scrooge, »so feiern Sie Ihre Weihnachten durch Ihre Entlassung. Du bist ein ganz gewaltiger Redner«, fügte er hinzu, sich zu seinem Neffen wendend. »Es wundert mich nur, daß du nicht ins Parlament kommst.«



»Seien Sie nicht bös, Onkel. Essen Sie morgen bei uns.«



Scrooge sagte, er wolle ihn verdammt sehen, ja, wirklich, das sagte er. Er sagte es ganz ausdrücklich, und daß er dann erst ihn besuchen wolle. Ja wahrhaftig, er sprach sich ganz deutlich aus.



»Aber warum?« rief Scrooges Neffe, »warum?«



»Warum hast du dich verheiratet?« fragte Scrooge.



»Weil mich die Liebe ergriff!«



»Weil ihn die Liebe ergriff!« brummte Scrooge, als ob das das einzige Ding in der Welt wäre, das ihm noch lächerlicher vorkäme als eine fröhliche Weihnacht. »Guten Abend!«



»Aber, Onkel, Sie haben mich ja auch vorher einmal besucht. Warum geben Sie es jetzt als Grund an, weshalb Sie mich jetzt nicht besuchen?«



»Guten Abend!« wiederholte Scrooge.



»Ich brauche ja nichts von Ihnen, ich begehre nichts von Ihnen, warum können wir da nicht gute Freunde sein?«



»Guten Abend!« sagte Scrooge.



»Ich bedaure wirklich von Herzen, Sie so verhärtet zu finden. Wir haben nie einen Zank miteinander gehabt, an dem ich schuld gewesen wäre. Ich habe es diesmal versucht, Weihnachten zu Ehren, und ich will meine Weihnachtsstimmung bis zuletzt bewahren. Also: Fröhliche Weihnachten, Onkel!«



»Guten Abend!« sagte Scrooge.



»Und ein glückliches Neujahr!«



»Guten Abend!« sagte Scrooge.



Trotzdem verließ der Neffe das Zimmer ohne ein böses Wort. An der Haustür blieb er noch stehen, um mit dem Glückwunsch des Tages den Clerk zu grüßen, der, so sehr ihn fror, doch noch wärmer als Scrooge war, denn er gab den Gruß freundlich zurück.



»Das ist auch so ein Narr«, brummte Scrooge, der es hörte. »Mein Clerk mit fünfzehn Schilling die Woche und Frau und Kindern und spricht von fröhlichen Weihnachten. Ich könnt' mich ins Narrenhaus zurückziehen.«



Der Diener hatte, während er den Neffen hinausließ, zwei andere Personen eingelassen. Es waren zwei behäbige Herren, stattlichen Formats, die jetzt, den Hut in der Hand, in Scrooges Kontor standen. Sie hielten Bücher und Papiere in der Hand und verneigten sich.



»Scrooge und Marley, wenn ich nicht irre«, sagte einer der Herren und blickte auf seine Liste. »Hab' ich die Ehre, mit Mr. Scrooge oder mit Mr. Marley zu sprechen?«



»Mr. Marley ist seit sieben Jahren tot«, erwiderte Scrooge. »Er starb heute vor sieben Jahren.«



»Wir zweifeln nicht, daß die Gesinnung seiner Freigebigkeit auch bei seinem Kompagnon vorhanden sein wird«, sagte der Herr, indem er seine Vollmacht hinreichte.



Er hatte auch ganz recht, denn es waren zwei verwandte Seelen gewesen. Bei dem bedeutungsvollen Wort Freigebigkeit erschauerte Scrooge und gab kopfschüttelnd das Papier zurück.



»In dieser feierlichen Jahreszeit, Mr. Scrooge«, sagte der Herr, eine Feder ergreifend, »ist es mehr als gewöhnlich wünschenswert, einigermaßen wenigstens für die Armut zu sorgen, die gerade jetzt in großer Bedrängnis ist. Viele Tausende haben nicht das Lebensnotwendige, Hunderttausenden fehlen die notdürftigsten Bequemlichkeiten des Lebens.«



»Gibt es denn keine Gefängnisse?« fragte Scrooge.



»Überfluß an Gefängnissen«, sagte der Herr, die Feder wieder hinlegend.



»Und die Armenarbeitshäuser?« fragte Scrooge. »Bestehen sie denn nicht mehr?«



»Allerdings. Freilich«, antwortete der Herr, »wünschte ich, sie bestünden überhaupt nicht.«



»Tretmühle und Armengesetz sind also noch in voller Kraft«, meinte Scrooge.



»Beide haben alle Hände voll zu tun.«



»So? Nach dem, was Sie zuerst sagten, fürchtete ich, ihr nützliches Bestehen sei gefährdet«, sagte Scrooge. »Ich freue mich, das zu hören«.



»In der Meinung, daß sie doch wohl kaum christlichen Frohsinn und Behagen den Armen für Leib und Seele bereiten«, antwortete der Herr, »haben sich einige von uns zwecks einer Sammlung zusammengefunden, um für die Armen Speise und Trank und Feuerung anzuschaffen. Wir wählen diese Zeit, weil sie vor allen andern eine Zeit ist, wo der Mangel am bittersten gefühlt wird und der Reichtum in Freuden schwimmt. Wieviel darf ich für Sie zeichnen?«



»Nichts«, antwortete Scrooge.



»Sie wünschen also ungenannt zu bleiben?«



»Ich wünsche, daß man mich in Ruhe lasse«, sagte Scrooge. »Da Sie mich nach meinem Wunsche fragen, meine Herren, so ist dies meine Antwort. Ich gönne mir auch zu Weihnachten keine Freude und kann nicht dem faulen Volk lustige Tage machen. Ich zahle meinen Beitrag zu den genannten Anstalten. Sie kosten genug, und wem es schlecht geht, der mag sich dorthin begeben!«



»Viele können nicht hingehen, und viele würden eher lieber sterben.«



»Wenn sie eher lieber sterben würden«, sagte Scrooge, »so wäre es gut, wenn sie das ausführten und die überflüssige Bevölkerung verminderten. Übrigens, Sie werden mich entschuldigen, verstehe ich nichts davon.«



»Aber Sie könnten es verstehen«, bemerkte der Herr.

 



»Es geht mich nichts an«, antwortete Scrooge. »Es genügt, wenn ein Mann sein eigenes Geschäft begreift und sich nicht in das anderer Leute mischt. Das meinige nimmt meine ganze Zeit in Anspruch. Guten Abend, meine Herren!«



Da sie einsahen, daß weitere Versuche vergeblich sein würden, zogen sich die Herren zurück. Scrooge machte sich wieder mit noch besserer Meinung von sich selbst und in einer angenehmeren Laune als gewöhnlich an die Arbeit.



Währenddem hatten Nebel und Dunkelheit so zugenommen, daß Leute mit brennenden Fackeln herumliefen, um den Wagen voranzuleuchten. Der Kirchturm, dessen brummende Glocke aus einem alten gotischen Fenster in der Mauer gar pfiffig auf Scrooge herniederblickte, wurde unsichtbar und schlug die Stunden und Viertel in den Wolken mit einem zitternden Nachklingen, als ob ihr in ihrem erfrorenen Haupte droben die Zähne klapperten. Die Kälte wurde immer schneidender. In der Hauptstraße an der Ecke des Hofes wurden Gasröhren ausgebessert, und die Arbeiter hatten in einer Kohlenpfanne ein großes Feuer angezündet, um das sich einige zerlumpte Männer und Knaben drängten, die sich die Hände wärmten und mit den Augen vor der behaglichen Flamme blinzelten. Aus den Wasserpumpen, die eben verlassen waren, floß noch etwas Wasser nach; aber bald war es zu menschenfeindlichem Eis erstarrt. Der Schimmer der Läden, in denen Stechpalmenzweige und Beeren in der Lampenwärme der Fenster farbenfreudig leuchteten, überzog die bleichen Gesichter der Vorübergehenden. Die Läden der Geflügel- und Materialwarenhändler wurden eine glänzende Quelle der Freude, mit der es fast unmöglich schien, den Gedanken von einer so ernsten Sache wie Kauf und Verkauf zu verbinden. Der Oberbürgermeister gab im Festsaal des Mansion-House 2 seinen fünfzig Köchen und Kellermeistern Befehl, Weihnachten zu feiern, wie es eines Oberbürgermeisters würdig ist, und selbst der arme Flickschneider, den er am Montag vorher wegen Trunkenheit und öffentlich ausgesprochener blutdürstiger Gesinnung mit fünf Schilling bestraft hatte, rührte den Weihnachtspudding in seinem Dachkämmerchen an, während seine abgehärmte Frau mit dem Säugling auf dem Arm ausging, um den Rinderbraten zu kaufen.



Immer nebliger und kälter wurde es, durchdringend, beißend, schneidend kalt. Wenn der gute, heilige Dunstan 3 des Teufels Nase nur mit einem Hauche von diesem Wetter gefaßt hätte, anstatt seine sonst übliche Waffe zu brauchen, dann würde er erst recht gebrüllt haben. Der Inhaber einer kleinen, jungen Stupsnase, benagt und angeknabbert von der hungrigen Kälte, wie Knochen von Hunden benagt werden, legte sich vor Scrooges Schlüsselloch, um ihn mit einem Weihnachtslied zu erfreuen. Aber bei dem ersten Tone des Liedes:



»Gott grüß euch, froher Gentleman,



Mög nichts euch ärgern heut!«



ergriff Scrooge das Lineal mit solcher Kraft, daß der Sänger voll Schrecken entfloh und das Schlüsselloch dem Nebel und der noch eindringlicheren Kälte überließ.



Endlich kam die Stunde des Geschäftsschlusses. Mürrisch stieg Scrooge von seinem Sessel und gab dem harrenden Clerk in dem Verließ stillschweigend die Erlaubnis, zu gehen, worauf dieser sogleich das Licht auslöschte und den Hut aufsetzte.



»Sie wollen, wie ich vermute, den ganzen Tag morgen haben«, sagte Scrooge.



»Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir,«



»Es paßt mir nicht«, sagte Scrooge, »und es ist nicht schicklich. Wenn ich Ihnen eine halbe Krone dafür abrechnete, würden Sie denken, es widerfahre Ihnen Unrecht, nicht?«



Der Diener lächelte verzagt.



»Und doch«, sagte Scrooge, »denken Sie nicht daran, daß mir Unrecht geschieht wenn ich einen Tag Lohn für einen Tag ohne Arbeit bezahle.«



Der Diener bemerkte, daß es nur einmal im Jahr vorkäme.



»Eine armselige Entschuldigung, um an jedem fünfundzwanzigsten Dezember einem den Geldbeutel zu bestehlen«, sagte Scrooge, indem er seinen Mantel bis an das Kinn zuknöpfte. »Aber ich vermute, Sie müssen durchaus den ganzen Tag frei haben. Seien Sie dafür übermorgen um so früher hier.«



Der Diener versprach, daß er kommen wolle, und Scrooge ging knurrend fort. Das Kontor war im Augenblick geschlossen. Der Clerk, dem die langen Enden seines weißen Schals über die Brust herabhingen (denn er konnte sich keines Mantels rühmen), schlitterte zu Ehren des Festes als der Letzte hinter einer Reihe von Knaben, die beim Eisvergnügen war, Cornhill hinunter und lief dann so schnell wie möglich in seine Wohnung in Camden-Town, um dort Blindekuh zu spielen.



Scrooge nahm sein melancholisches Mahl in seinem gewöhnlichen melancholischen Gasthause ein; und nachdem er alle Zeitungen gelesen und sich den Rest des Abends mit seinem Abrechnungsjournal vertrieben hatte, ging er nach Hause, um zu Bett zu gehen. Er wohnte in den Zimmern, die seinem verstorbenen Kompagnon gehört hatten. Es war eine trübe Reihe von Zimmern in einem düstern, finstern Gebäude eines Hinterhofes, wo dieses so wenig an seinem Platz stand, daß man fast hätte glauben können, es habe sich dorthin verlaufen und sich nicht wieder herausfinden können, als es noch ein junges Haus war und mit andern Häusern Verstecken spielte. Es war jetzt alt und trist genug; denn niemand wohnte dort, außer Scrooge, da die andern Räume alle als Geschäftsräume vermietet waren. Der Hof war so dunkel, daß selbst Scrooge, der jeden Stein darin kannte, seinen Weg mit den Händen ertasten mußte. Der Nebel und der Frost hingen so dick und schwer über dem schwarzen alten Torweg des Hauses, als ob der Dämon dieses Wetters in bekümmertem Grübeln auf der Schwelle säße. Nun ist es eine Tatsache, daß an dem Türklopfer ganz und gar nichts Besonderes war, abgesehen von seiner Größe. Auch ist es Tatsache, daß Scrooge ihn abends und morgens, seitdem er das Haus bewohnte, gesehen hatte und daß Scrooge von dem, was man mit Phantasie bezeichnet, so wenig besaß wie sonst jemand in der City von London, eingerechnet – wenn es erlaubt ist, das zu sagen, – den Stadtrat, die Aldermen und die Zünfte. Man muß auch darauf hinweisen, daß Scrooge, außer heute nachmittag, mit keinem Wörtchen an seinen seit sieben Jahren verstorbenen Kompagnon gedacht hatte. Und nun möge mir jemand, wenn er es kann, erklären, warum Scrooge, als er seinen Schlüssel in das Türschloß steckte, in dem Klopfer, ohne daß sich dieser verändert hatte, keinen Türklopfer, sondern Marleys Gesicht erblickte.



Ja, Marleys Gesicht. Es war nicht in so undurchdringliches Dunkel gehüllt, wie die andern Gegenstände im Hofe, sondern von einem unheimlichen Leuchten umgeben, wie ein verfaulter Hummer in einem dunklen Keller. Das Gesicht war nicht böse oder zürnend, sondern sah Scrooge an, wie ihn Marley gewöhnlich angesehen hatte, die gespenstische Brille auf die gespenstische Stirn hinaufgerückt. Das Haar starrte seltsam in die Höhe, wie von Wind oder heißer Luft gehoben; und obgleich die Augen weit offen standen, waren sie doch ohne alles Leben. Dies und die leichenhafte Farbe machten das Gesicht schrecklich; aber seine Schrecklichkeit schien mehr in etwas anderem zu liegen und außerhalb seiner Macht als ein Teil seines Ausdrucks.



Als Scrooge fest auf die Erscheinung blickte, war es wieder ein Türklopfer.



Zu sagen, er wäre nicht erschrocken, oder sein Blut hätte nicht ein Gruseln empfunden, das ihm seit seiner Kindheit unbekannt geblieben war, wäre eine Unwahrheit. Aber er nahm sich mit Gewalt zusammen, legte die Hand wieder an den Schlüssel, drehte ihn um, trat ein und zündete seine Kerze an.



Allerdings zögerte er einen Augenblick, ehe er die Tür schloß, und starrte erst vorsichtig dahinter, als fürchte er wirklich, durch den Anblick von Marleys Kopf erschreckt zu werden. Aber hinter der Tür war nichts als die Schrauben, die den Klopfer festhielten; und so sagte Scrooge: »Ach was!« und warf sie zu.



Der Knall erscholl durch das Haus wie ein Donner. Jedes Zimmer im Obergeschoß, und jedes Faß in des Weinhändlers Keller drunten schien mit seinem besonderen Echo zu antworten. Scrooge war nicht der Mann, der sich durch Echos ins Bockshorn jagen ließ. Er schloß die Tür zu, ging über den Hausflur und die Treppe hinauf, und zwar langsam und das Licht aufputzend, während er hinaufstieg. Man kann ungefähr veranschlagen, daß sich eine sechsspännige Equipage über eine Treppe aus der guten alten Zeit oder auch durch ein schlechtes neues Reichsgesetz kutschieren ließ; und ich möchte behaupten, man hätte über die Treppe bei Scrooge einen Totenwagen hinauftransportieren k�