Charles Dickens
Weihnachtserzählungen - 308 Seiten
Anspruchsvolle Weihnachtserzählungen von Charles Dickens
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Weihnachtserzählungen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Impressum neobooks
Neue, durchgesehene Ausgabe unter Verwendung der
Übertragungen von Carl Kolb und Julius Seybt.
Titel der Originalausgaben: »Doctor Marigold« - »Mrs. Lirripers’
Lodgings« - »Mrs. Lirripers’ Legacy« - »The Holly-Tree« -
»A Christmas Tree« - »The Poor Relation’s Story« - The
Schoolboy’s Story« - »Mugby Junction« - »The Haunted
House« -
»Somebody’s Luggage«
Sponsored
by
Santa Claus
15. Auflage
Verlag Arthur Moewig GmbH, Rastatt
September 1985
© 1977 by Verlag Arthur Moewig GmbH, Rastatt
Gesamtausstattung: Creativ Shop München
Satz: Alfred Utesch, Hamburg
Druck und Bindung: Salzer-Ueberreuter, Wien
Printed in Austria
Inhalt
Doktor Marigold
Erstes Kapitel. Muß gleich genommen werden
Zweites Kapitel. Muß fürs ganze Leben genommen werden 24
Mrs. Lirripers Fremdenpension
Erstes Kapitel. Wie Mrs. Lirriper das Geschäft führte
Zweites Kapitel. Ein paar Worte, die der erste Stock selbst
hinzufügte
Mrs. Lirripers Vermächtnis
Erstes Kapitel. Mrs. Lirriper berichtet, wie es weiterging und wie
sie über den Kanal fuhr
Zweites Kapitel. Mrs. Lirrper berichtet, wie Jemmy herauskam
Die Stechpalme
Erster Ast. Ich
Zweiter Ast. Der Stiefelputzer
Dritter Ast. Die Rechnung
Ein Christbaum
Die Geschichte des armen
Verwandten
Die Geschichte des Schuljungen
Der Eisenbahnknotenpunkt bei
Mugby
Erstes Kapitel. Gebrüder Barbox
Zweites Kapitel. Gebrüder Barbox und Co.
Drittes Kapitel. Hauptlinie: Der Junge in Mugby
Das Spukhaus
Erstes Kapitel. Die Sterblichen in dem Haus
Zweites Kapitel. Der Geist in Master B.s Zimmer
Eines Reisenden Gepäck
Erstes Kapitel. Wie er es zurückließ, bis es wieder abgeholt
würde
Zweites Kapitel. Seine Stiefel
Drittes Kapitel. Sein Paket in dem braunen Papier 243
Viertes Kapitel. Sein wunderbares Ende
Doktor Marigold
Erstes Kapitel
Muß gleich genommen werden
Ich bin ein fahrender Händler, und der Name meines Vaters war
Willum Marigold.
Zu seinen Lebzeiten vermuteten einige Leute, sein Name sei
William, aber mein Vater behauptete stets hartnäckig, nein, er
hieße Willum. Was mich angeht, so begnüge ich mich damit, die
Sache von folgendem Standpunkt aus zu betrachten: Wenn es
einem Mann in einem freien Lande nicht gestattet sein soll, seinen
eigenen Namen zu kennen, was kann ihm da wohl noch in einem
Land, wo Sklaverei herrscht, erlaubt sein? Wenn man die Sache
vom Standpunkt des Registers aus betrachtet, so kam Willum
Marigold auf die Welt, bevor noch Register sehr im Schwange
waren –
und ebenso verließ er sie auch wieder. Außerdem würden sie
ihm sehr wenig zugesagt haben, wenn sie zufälligerweise schon
vor ihm aufgekommen wären.
Ich wurde an der Staatsstraße geboren, und mein Vater holte
einen Doktor zu meiner Mutter, als das Ereignis auf einer
Gemeindewiese eintrat. Dieser Doktor war ein sehr freundlicher
Gentleman und wollte als Honorar nichts annehmen als ein
Gentleman und wollte als Honorar nichts annehmen als ein
Teetablett, und so wurde ich aus Dankbarkeit und als besondere
Aufmerksamkeit ihm gegenüber Doktor genannt. Da habt ihr
mich also, Doktor Marigold.
Ich bin gegenwärtig ein Mann in mittleren Jahren, von
untersetzter Gestalt, in Manchesterhosen, Ledergamaschen und
einer Weste mit Ärmeln, an der hinten stets der Riegel fehlt. Man
kann ihn so oft ausbessern, wie man will, er platzt immer wieder,
wie die Saiten einer Violine. Ihr seid sicher schon im Theater
gewesen und habt gesehen, wie einer der Violinspieler, nachdem
er an seiner Violine gehorcht hatte, als flüstere sie ihm das
Geheimnis zu, sie fürchte, nicht in Ordnung zu sein, an ihr
herumdrehte, und auf einmal hörtet ihr, wie die Saite platzte.
Genauso geht es auch mit meiner Weste, soweit eine Weste und
eine Violine einander gleich sein können.
Ich bevorzuge einen weißen Hut und liebe es, um den Hals ein
lose und bequem geschlungenes Tuch zu tragen. Sitzen ist meine
Lieblingsstellung, und was meinen Geschmack in bezug auf das
Tragen von Schmuck angeht, so habe ich etwas für
Perlmuttknöpfe übrig. Da habt ihr mich wieder, in Lebensgröße.
Da der Doktor ein Teetablett annahm, so werdet ihr vermuten,
daß bereits mein Vater vor mir ein fahrender Händler war. Darin
habt ihr ganz recht; er war auch einer.
Es war ein hübsches Tablett. Man sah darauf eine gewichtige
Dame, die auf einem gewundenen Kiesweg zu einer kleinen
Dame, die auf einem gewundenen Kiesweg zu einer kleinen
Kirche auf einer Anhöhe hinaufging. Auch zwei Schwäne waren
in derselben Absicht herbeigeflattert. Wenn ich sie eine
gewichtige Dame nenne, so meine ich damit nicht, daß sie
besonders breit gewesen wäre; denn in dieser Beziehung war
meiner Ansicht nach nicht viel mit ihr los, aber sie war dafür um
so höher: ihre Höhe und Schlankheit war, mit einem Wort
gesagt, die Höhe von Höhe und Schlankheit.
Ich habe dieses Tablett oft gesehen, seitdem ich die unschuldig
lächelnde (oder, was wahrscheinlicher ist, quäkende) Ursache
dafür war, daß der Doktor es in seinem 5
Sprechzimmer auf einem Tisch gegen die Wand gelehnt
aufstellte. Stets, wenn mein Vater und meine Mutter in diesem
Teil des Landes waren, steckte ich meinen Kopf (ich hatte
damals flachsblonde Locken, wie ich meine Mutter habe
erzählen hören, obwohl ihr ihn jetzt nicht eher von einem alten
Besen unterscheiden könntet, als bis ihr an den Stiel kämet und
entdecktet, daß dieser nicht ich bin) zu des Doktors Tür hinein,
und der Doktor freute sich stets über meinen Besuch und sagte:
»Aha, mein Herr Kollege! Komm herein, kleiner Dr. med. Hast
du Lust, ein Sechspencestück einzustecken?«
Man kann nicht ewig weitermachen, wie ihr wißt, und das konnte
auch mein Vater nicht, ebensowenig wie meine Mutter. Falls ihr
aber nicht, wenn eure Zeit gekommen ist, auf einmal abrückt,
aber nicht, wenn eure Zeit gekommen ist, auf einmal abrückt,
dann werdet ihr es stückweise tun, und es ist zwei gegen eins zu
wetten, daß euer Kopf das erste Stück ist. Nach und nach verlor
mein Vater den seinen, und meine Mutter verlor den ihren. Es
war ganz harmlos, aber es versetzte die Familie, wo ich sie
untergebracht hatte, in Unruhe. Das alte Paar begann, obwohl es
sich zur Ruhe gesetzt hatte, sich gänzlich und ausschließlich dem
fahrenden Handelsgeschäft zu widmen und war ständig damit
beschäftigt, den Besitz der Familie auszuverkaufen. Wenn das
Tischtuch zum Essen aufgelegt wurde, begann mein Vater mit
den Tellern und Schüsseln zu rasseln, wie wir es bei unserem
Geschäft tun, wenn wir Geschirr zum Ausschreien aufsetzen;
bloß hatte er das Geschick dafür verloren und ließ sie meist
fallen, so daß sie zerbrachen. So wie die alte Dame gewohnt
gewesen war, im Karren zu sitzen und dem alten Herrn auf dem
Trittbrett die Gegenstände einen nach dem anderen zum Verkauf
hinauszureichen, in genau der gleichen Weise händigte sie ihm
jeden Posten aus dem Besitz der Familie aus, und sie verkauften
die Ware in ihrer Phantasie von morgens bis abends.
Schließlich ruft der alte Herr, als er und die alte Dame im selben
Zimmer krank im Bett liegen, in der alten marktschreierischen
Weise aus, nachdem er zwei Tage und zwei Nächte lang kein
Wort gesprochen hatte:
»Nun, guckt einmal her, meine wackeren Burschen – als der
Nachtigall-Klub im Dorfe legt' Ios, im Wirtshaus zum Kohlkopf
und Hasen; sie hätten gar prächtig gesungen bloß, daß sie Stimm'
und Hasen; sie hätten gar prächtig gesungen bloß, daß sie Stimm'
und Gehör nicht besaßen – nun, guckt einmal her, meine
prächtigen Burschen alle, hier ist ein Arbeitsmodell eines
verbrauchten alten Händlers, ohne einen Zahn im Mund und mit
einem Leiden in jedem Knochen: so lebensähnlich, daß es
ebenso gut wäre, wenn es nicht besser wäre, ebenso schlimm,
wenn es nicht schlimmer wäre, und ebenso neu, wenn es nicht
abgenutzt wäre. Bietet für das Arbeitsmodell des alten Händlers,
der zu seiner Zeit mehr Tee mit den Damen getrunken hat, als
nötig wäre, um den Deckel von einem Waschkessel abzuheben
und ihn um so viel tausend Meilen höher als der Mond in die Luft
zu führen als nichts mal nichts, geteilt durch die Nationalschuld,
übertrage nichts auf die Armensteuer, drei ab und zwei dazu.
Nun, meine Eichenherzen und Strohmänner, was bietet ihr für die
Partie? Zwei Schilling, einen Schilling, zehn Pence, acht Pence,
sechs Pence, vier Pence. Zwei Pence? Wer hat zwei Pence
gesagt? Der Gentleman in dem Vogelscheuchenhut? Ich schäme
mich für den Gentleman in dem Vogelscheuchenhut. Ich schäme
mich wirklich für ihn wegen seines Mangels an Patriotismus. Nun
will ich euch mal sagen, was ich mit euch machen werde. Guckt
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her! Ich gebe euch noch ein Arbeitsmodell von einer alten Frau
dazu, die den alten Händler heiratete vor so langer Zeit, daß es
auf ein Ehrenwort in Noahs Arche stattfand, bevor das Einhorn
hereinkommen konnte, das Aufgebot zu verhindern, indem es ein
Lied auf seinem Horn blies. Nun denkt einmal an! Guckt her!
Was bietet ihr für beide zusammen? Ich will euch sagen, was ich
Was bietet ihr für beide zusammen? Ich will euch sagen, was ich
mit euch machen werde.
Ich bin gar nicht böse auf euch, weil ihr's euch so lange überlegt.
Guckt her! Wenn ihr mir bloß ein Angebot macht, das eurer
Stadt ein wenig Ehre einbringt, gebe ich euch noch eine
Wärmflasche umsonst dazu und borge euch eine Röstgabel fürs
ganze Leben. Nun, was sagt ihr zu dieser glänzenden Offerte?
Sagt zwei Pfund, sagt dreißig Schilling, sagt ein Pfund, sagt zehn
Schilling, sagt fünf, sagt zweieinhalb. Ihr sagt nicht einmal
zweieinhalb? Ihr sagt zweieinviertel? Nein. Für zweieinviertel
kriegt ihr die Partie nicht. Eher würde ich sie euch schenken,
wenn ihr bloß hübsch genug wärt.
Heda! Frau! Schmeiß den alten Mann und die alte Frau in den
Karren, spann den Gaul vor und fahre sie fort und begrabe sie!«
Das waren Willum Marigolds, meines Vaters, letzte Worte, und
sie wurden von ihm und von seinem Weib, meiner Mutter, an ein
und demselben Tag wahrgemacht, was ich am besten wissen
muß, da ich als Leidtragender hinter ihnen hergegangen bin.
Mein Vater ist zu seiner Zeit ein reizender Kerl im
Geschäftszweig des fahrenden Handels gewesen, wie seine
Worte vor dem Tod bewiesen haben. Aber ich bin noch
tüchtiger als er. Das sage ich nicht, weil ich von mir selbst rede,
sondern weil es von allen, die die Möglichkeit hatten, Vergleiche
zu ziehen, allgemein anerkannt worden ist. Ich habe meine Sache
studiert. Ich habe mich mit anderen öffentlichen Sprechern
studiert. Ich habe mich mit anderen öffentlichen Sprechern
verglichen – Parlamentsmitgliedern, Volksrednern,
Kanzelpredigern, Advokaten –, und wo ich sie gut fand, habe ich
ein Stückchen Phantasie von ihnen geborgt, und wo ich sie
schlecht fand, habe ich sie in Ruhe gelassen. Nun will ich euch
aber was sagen. Ich bin entschlossen, in mein Grab zu steigen mit
der Erklärung, daß von allen Berufen, denen in Großbritannien
unrecht geschieht, die Hausierer am schlimmsten dran sind.
Warum bilden wir nicht einen Stand? Warum besitzen wir keine
Privilegien? Warum zwingt man uns, einen Hausierschein zu
lösen, während von den politischen Hausierern nichts dergleichen
verlangt wird? Wo ist denn der Unterschied zwischen ihnen und
uns? Abgesehen davon, daß wir billig sind, während sie dem
Land sehr teuer zu stehen kommen, sehe ich keinen Unterschied,
der nicht zu unseren Gunsten ausfiele.
Denn seht einmal her! Nehmen wir an, es ist Wahlzeit. Ich stehe
am Samstagabend auf dem Trittbrett meines Karrens. Ich hole
eine Partie gemischter Artikel hervor. Ich sage:
»Guckt her, meine freien und unabhängigen Wähler, ich will euch
so eine Gelegenheit geben, wie ihr sie alle euer Lebtag noch nicht
gehabt habt, und auch in den Tagen davor nicht. Jetzt will ich
euch mal zeigen, was ich mit euch machen werde. Hier ist ein
Rasiermesser, das euch noch ratzekahler rasieren wird als die
Armenbehörde; hier ist ein Bügeleisen, das sein Gewicht in Gold
wert ist; hier ist eine Bratpfanne, die kunstvoll mit dem Geruch
von Beefsteak-Essenz imprägniert ist, so daß ihr für den Rest
von Beefsteak-Essenz imprägniert ist, so daß ihr für den Rest
eures Lebens bloß Brot und Schmalz darin zu braten braucht,
und ihr werdet bis an den Hals mit Fleisch angefüllt sein; hier ist
eine echte 7
Chronometer-Taschenuhr in einem so starken Silbergehäuse,
daß ihr damit an die Tür klopfen könnt, wenn ihr aus einer
Gesellschaft spät nach Hause kommt, und euer Weib und eure
Kinder aufwecken, sodaß der Klopfer für den Briefträger
reserviert bleibt; und hier habt ihr ein halbes Dutzend Teller, die
ihr als Zimbeln verwenden könnt, um das Baby zu beruhigen,
wenn es schreit. Halt! Ich tue noch einen anderen Artikel dazu
und schenke ihn euch, und das ist ein Teigholz; und wenn das
Baby dieses bloß gut in den Mund hineinbekommen kann, wenn
es Zähne kriegt, und sich das Zahnfleisch einmal damit reibt,
dann werden die Zähne doppelt durchkommen und das Baby
wird dabei lachen, als würde es gekitzelt. Haltet noch einmal! Ich
tue noch einen Artikel dazu, weil mir eure Gesichter nicht
gefallen, denn ihr seht mir nicht wie Käufer aus. Ich weiß, ich
verliere an euch, und weil ich lieber verlieren will, als heute abend
kein Geld einzunehmen, ist da noch ein Spiegel, in dem ihr sehen
könnt, wie häßlich ihr ausseht, wenn ihr nicht bietet. Na, was
sagt ihr jetzt?
Also los! Sagt ihr ein Pfund? Ihr nicht, denn ihr habt keins. Sagt
ihr zehn Schilling?
Ihr nicht, denn ihr seid mehr im Abzahlungsgeschäft schuldig.
Ihr nicht, denn ihr seid mehr im Abzahlungsgeschäft schuldig.
Nun, dann will ich euch mal sagen, was ich mit euch machen
werde. Ich lege alles auf einen Haufen auf das Trittbrett des
Karrens – hier habt ihr es! Rasiermesser, Bügeleisen,
Bratpfanne, Chronometer-Taschenuhr, Teller, Teigholz und
Spiegel – nehmt es mit für vier Schilling und ich gebe euch ein
Sechspencestück für eure Plackerei!«
So rede ich, der billige Hausierer. Aber am Montagmorgen steigt
auf diesem selben Marktplatz der teure Hausierer auf die
Rednerbühne – seinen Karren –, und was sagt er?
»Nun, meine freien und unabhängigen Wähler, ich will euch so
eine Gelegenheit geben« (er fängt genauso an wie ich), »wie ihr
alle euer Lebtag noch nicht gehabt habt, und das ist die
Gelegenheit, mich ins Parlament zu schicken. Nun will ich euch
sagen, was ich für euch tun werde. Hier habt ihr die Interessen
dieser prächtigen Stadt, die ich über die ganze zivilisierte und
unzivilisierte Erde erheben werde. Hier ist der Bau eurer
Eisenbahn durchgesetzt und die Eisenbahn eurer Nachbarstadt
abgelehnt. Hier sind alle eure Söhne bei der Post angestellt. Hier
ist Britannia, die euch zulächelt. Hier sind die Augen Europas, die
auf euch ruhen. Hier ist allgemeine wirtschaftliche Blüte für euch,
Fleisch in Hülle und Fülle, goldene Kornfelder, fröhliche
Heimstätten und zufriedene Herzen, alles in einem, und das bin
ich selbst.
Wollt ihr mich nehmen, wie ich hier stehe? Ihr wollt nicht? Gut,
Wollt ihr mich nehmen, wie ich hier stehe? Ihr wollt nicht? Gut,
dann will ich euch sagen, was ich mit euch machen werde. Guckt
her! Ich tue alles dazu, was ihr verlangt. Hier! Kirchensteuern,
Abschaffung der Kirchensteuern, höherer Malzzoll, kein
Malzzoll, allgemeine Schulbildung bis zur höchsten Stufe oder
allgemeine Unwissenheit bis zur tiefsten, vollständige
Abschaffung der Prügelstrafe im Heer oder ein Dutzend
Stockschläge für jeden Soldaten regelmäßig einmal im Monat.
Unrechte der Männer oder Rechte der Frauen – ihr braucht bloß
zu sagen, was es sein soll, nehmen oder lassen, und ich bin ganz
und gar eurer Meinung und die Partei gehört euch zu euren
eigenen Bedingungen. Nun, ihr wollt sie immer noch nicht
nehmen? Gut, dann will ich euch sagen, was ich mit euch machen
werde. Hört zu! Ihr seid so freie und unabhängige Wähler, und
ich bin so stolz auf euch, und ihr seid ein so edler und
erleuchteter Wahlkreis, und ich ersehne so sehr die Ehre und
Würde, 8
euer Abgeordneter zu sein, was bei weitem das Höchste ist, zu
dem sich der menschliche Geist aufschwingen kann – daß ich
euch sagen will, was ich mit euch machen werde. Ich tue noch
alle Schenken in eurer prächtigen Stadt umsonst dazu.
Seid ihr jetzt zufrieden? Immer noch nicht? Ihr wollt die Partie
immer noch nicht nehmen? Nun denn, ehe ich den Gaul
einspanne und davonfahre und das Angebot der nächsten
allerprächtigsten Stadt mache, die entdeckt werden kann, will ich
euch nochmals sagen, was ich mit euch machen werde. Nehmt
euch nochmals sagen, was ich mit euch machen werde. Nehmt
die Partie, und ich will zweitausend Pfund in den Straßen eurer
prachtvollen Stadt verstreuen, sodaß jeder das Geld aufheben
kann. Genügt noch nicht? Dann seht einmal her. Das ist das
Alleräußerste, was ich tun werde. Es sollen
zweitausendfünfhundert sein. Und ihr wollt immer noch nicht?
Heda, Frau! spanne den Gaul – doch nein, noch einen
Augenblick, ich möchte euch schließlich nicht wegen einer
Kleinigkeit den Rücken kehren – es sollen
zweitausensiebenhundertundfünfzig Pfund sein. Da! Nehmt die
Partie zu euren eigenen Bedingungen, und ich zähle
zweitausendsiebenhundertundfünfzig Pfund auf das Trittbrett des
Karrens hin, die in den Straßen eurer prächtigen Stadt verstreut
werden sollen, so daß jeder das Geld aufheben kann. Was sagt
ihr jetzt? Nun kommt! Besser könnt ihr es nicht mehr treffen,
höchstens schlimmer. Ihr nehmt es? Hurra! Wieder hineingelegt,
und der Sitz ist mein!«
Diese teuren Hausierer seifen das Volk schändlich ein, während
wir billigen das niemals tun. Wir sagen den Leuten die Wahrheit
ins Gesicht und verschmähen es, ihnen zu schmeicheln. Was
Verwegenheit beim Anpreisen der Ware angeht, so sind wir die
reinen Waisenkinder gegen die teuren Hausierer. In unserem
Handel gilt es als Regel, daß man über eine Flinte besser
schwadronieren kann als über jeden anderen Artikel, den wir aus
dem Karren hervorholen, mit Ausnahme von einem Paar
Brillengläser. Aber wenn ich einen Vortrag halte, was die Flinte
vermag und was mit der Flinte schon alles geschossen worden
vermag und was mit der Flinte schon alles geschossen worden
ist, dann gehe ich doch nicht halb so weit wie die teuren
Hausierer, wenn sie nicht über ihre Flinten, wohl aber über ihre
Kanonen reden – ihre großen Kanonen, die ihre Drahtzieher
sind. Außerdem bin ich ein selbständiger Geschäftsmann – ich
werde von niemandem mit einem Auftrag auf den Markt
geschickt, wie es bei denen der Fall ist. Und ferner wissen meine
Flinten nichts von dem, was ich zu ihrem Lob sage, während ihre
Kanonen es wissen, und die ganze Gesellschaft sollte sich in
Grund und Boden schämen. Das sind einige meiner Gründe für
die Behauptung, daß die Hausierer in Großbritannien schlecht
behandelt werden; und deshalb gerate ich in Wut, wenn ich an
die großen Leute denke, die glauben, sie dürften auf uns
herabsehen.
Ich warb um meine Frau von dem Trittbrett des Karrens aus. So
war es tatsächlich.
Sie war ein junges Mädchen von Suffolk, und es geschah auf
dem Marktplatz von Ipswich, dem Laden des Kornhändlers
genau gegenüber. Ich hatte sie schon am Sonnabend zuvor an
einem Fenster stehen sehen und hatte sie gleich hoch
eingeschätzt. Sie gefiel mir, und ich sagte mir: »Falls sie noch
nicht vergeben ist, will ich diese Partie nehmen.« Am nächsten
Sonnabend stellte ich den Karren auf demselben Fleck auf. Ich
war bester Laune, das Publikum lachte in einem fort, und die
Sachen gingen ab wie geschmiert. Schließlich zog ich aus meiner
Westentasche 9
Westentasche 9
eine kleine, in Fließpapier eingewickelte Partie hervor und
begann folgendermaßen, wobei ich zu dem Fenster, an dem sie
stand, emporblickte:
»Nun hier, ihr blühenden Mädels von England, ist ein Artikel, der
letzte Artikel vom heutigen Verkauf, den ich nur euch, ihr
lieblichen Kinder von Suffolk, die ihr vor Schönheit überströmt,
anbiete, und den ich keinem lebendigen Manne für tausend Pfund
überlassen würde. Was mag das wohl sein? Ich will euch sagen,
was es ist. Es ist aus gediegenem Gold, und es ist nicht
zerbrochen, obwohl es in der Mitte ein Loch hat, und es ist
stärker als jede Fessel, die je geschmiedet wurde, obgleich es
schmäler ist als der dünnste Finger unter meinen zehn. Weshalb
gerade zehn? Weil, als meine Eltern mir mein Vermögen
vermachten, wie ich euch wahrheitsgemäß versichere, zwölf
Laken, zwölf Handtücher, zwölf Tischdecken, zwölf Messer,
zwölf Gabeln, zwölf Eßlöffel und zwölf Teelöffel da waren, aber
bei meinen Fingern fehlten zwei am Dutzend, und ich habe sie
niemals beschaffen können. Nun, was ist es sonst noch? Hört zu,
ich will's euch sagen. Es ist ein Reif aus massivem Gold,
eingewickelt in ein silbernes Haarwickelpapier, das ich mit
eigener Hand von den glänzenden Locken der unvergänglich
schönen alten Dame in Threadneedle Street in der Londoner
City (*Die Bank von England*) genommen habe – ich würde
das nicht behaupten, wenn ich euch nicht das Papier vorzeigen
könnte, sonst würdet ihr es selbst von mir nicht glauben. Nun,
könnte, sonst würdet ihr es selbst von mir nicht glauben. Nun,
was ist es sonst noch? Es ist eine Männerfalle und eine
Handschelle, ein Schließeisen und eine Beinfessel, alles in Gold
und alles in einem. Nun, was ist es sonst noch? Es ist ein Ehering.
Nun will ich euch sagen, was ich damit machen werde. Ich
werde diesen Artikel nicht für Geld anbieten, sondern ich will ihn
derjenigen unter euch Schönen geben, die jetzt lachen wird. Bei
dieser will ich morgen früh Punkt halb zehn mit dem
Glockenschlag einen Besuch machen und mit ihr spazierengehen,
um das Aufgebot zu bestellen.«
Sie lachte, und der Ring wurde ihr hinaufgereicht. Als ich am
nächsten Morgen zu ihr komme, sagt sie:
»Du lieber Himmel! Da seid Ihr ja! Es kann Euch doch nicht
Ernst gewesen sein?«
»Da bin ich«, sage ich, »und ich bin für immer der Eurige, und es
ist mein heiliger Ernst.«
So wurden wir getraut, nachdem wir dreimal aufgeboten worden
waren – was, nebenbei bemerkt, ganz unseren
Geschäftsgebräuchen entspricht und wieder einmal zeigt, wie
sehr diese Gebräuche die ganze Gesellschaft durchdringen.
Sie war kein böses Weib, aber sie hatte ein reizbares
Temperament. Wenn ich diesen Artikel unter Preis hätte
loswerden können, so hätte ich sie für kein anderes Weib in ganz
England hergegeben. Das soll nicht heißen, daß ich sie in
Wirklichkeit hergegeben habe, denn wir lebten zusammen, bis sie
starb, und das waren dreizehn Jahre. Nun, meine Lords und
Ladies und mein ganzes verehrtes Publikum, ich will euch in ein
Geheimnis einweihen, wenn ihr mir auch nicht glauben werdet.
Dreizehn Jahre reizbares Temperament in einem Palast würden
die Schlimmsten unter euch auf eine harte Probe stellen, aber
dreizehn Jahre reizbares Temperament in einem Karren würden
die Besten unter euch auf die Probe stellen. In einem Karren ist
man so sehr aufeinander angewiesen, müßt ihr verstehen. Es gibt
Tausende von Ehepaaren unter euch, die in fünf und sechs
Stockwerke hohen Häusern wie Öl auf dem Wetzstein 10
miteinander auskommen und die in einem Karren zum
Scheidungsrichter laufen würden. Ob das Rütteln des Karrens es
vielleicht schlimmer macht, das weiß ich nicht; aber in einem
Karren geht es einem auf die Nerven und läßt einen nicht los.
Böse Worte in einem Karren sind noch böser und Ärger in
einem Karren ist noch ärgerlicher.
Und dabei hätten wir ein so schönes Leben haben können! Ein
geräumiger Karren, an dem die großen Artikel draußen
aufgehängt waren, während das Bett, wenn wir auf der Fahrt
waren, zwischen den Rädern untergebracht war; ein eiserner
Topf und ein Kessel, ein Kamin für die kalten Tage, ein Ofenrohr
für den Rauch, ein Hängesims und ein Schrank, ein Hund und ein
Pferd. Was kann man noch mehr verlangen? Man macht halt auf
Pferd. Was kann man noch mehr verlangen? Man macht halt auf
einem Rasenplatz an einem Feldweg oder an der Landstraße,
man fesselt dem alten Gaul die Beine und läßt ihn grasen, man
zündet sein Feuer auf der Asche des vorigen Besuchers an, man
schmort seinen Braten, und man möchte den Kaiser von China
nicht zum Vater haben. Aber wenn man ein reizbares
Temperament im Karren hat, das einem böse Worte und die
härtesten Handelsartikel an den Kopf wirft, wie ergeht es einem
dann? Versucht einmal, eure Gefühle in diesem Fall
auszudrücken!
Mein Hund wußte genauso gut wie ich, wann sie in der richtigen
Verfassung war.
Noch bevor sie loslegte, pflegte er einmal aufzuheulen und
auszureißen. Woher er es wußte, war mir schleierhaft; aber er
wußte es so sicher und bestimmt, daß er aus dem tiefsten Schlaf
erwachte, aufheulte und davonlief, wenn es wieder einmal soweit
war.
Zu solchen Zeiten wünschte ich, ich steckte in seiner Haut.
Das Schlimmste aber war dies: Wir hatten eine Tochter, und ich
liebe Kinder von ganzem Herzen. Wenn sie nun wütend war, so
schlug sie das Kind, und das wurde so unerträglich, als das Kind
vier oder fünf Jahre alt war, daß ich oft mit der Peitsche über der
Schulter neben dem alten Gaul hergegangen bin, schlimmer
weinend und schluchzend als die kleine Sophy. Denn wie konnte
weinend und schluchzend als die kleine Sophy. Denn wie konnte
ich dagegen einschreiten? Mit einem solchen Temperament und
in einem Karren ist nicht daran zu denken, wenn es nicht zu einer
Prügelei kommen soll. Es liegt an der natürlichen Größe und den
Raumverhältnissen eines Karrens, daß es dann zu einer Prügelei
kommen muß.
Passierte das dann wirklich einmal, so wurde das arme Kind
noch mehr geängstigt als zuvor, und es erging ihm in der Regel
auch noch übler, und seine Mutter beklagte sich bei den
Nächstbesten, die uns begegneten, und da hieß es dann: »Da hat
dieser gemeine Kerl von einem Händler sein Weib geschlagen.«
Und dabei war die kleine Sophy so ein braves Kind! Wie sie
aufwuchs, fühlte sie sich immer mehr ihrem armen Vater zugetan,
obwohl er so wenig tun konnte, um ihr beizustehen. Sie hatte
wunderbar dichtes, glänzendes Haar, das in natürlichen Locken
ihr Gesicht umrahmte. Ich staune jetzt über mich selbst, daß ich
nicht in Raserei verfiel, wenn ich zusehen mußte, wie sie vor ihrer
Mutter um den Karren davonlief, und wie ihre Mutter sie dann
bei diesem Haar packte, zu Boden riß und auf sie losschlug.
Ich sagte, sie sei so ein braves Kind gewesen, und ich habe
Grund dazu.
»Mache dir das nächstemal nichts daraus, Vater«, pflegte sie mir
zuzuflüstern, während ihr Gesichtchen noch gerötet und ihre
leuchtenden Augen noch feucht 11
waren. »Wenn ich nicht laut schreie, dann kannst du wissen, daß
es nicht sehr weh tut. Und selbst wenn ich laut schreie, dann will
ich Mutter bloß dazu bringen aufzuhören und mich in Ruhe zu
lassen.«
Was habe ich das liebe kleine Wesen ertragen sehen – um
meinetwillen –, ohne aufzuschreien!
Doch kümmerte sich in anderen Dingen ihre Mutter sehr um sie.
Ihre Kleider waren stets sauber und nett, und ihre Mutter war
unermüdlich dabei, sie in Ordnung zu halten. So unlogisch geht es
im Leben zu. Ich glaube, unser Aufenthalt in sumpfigen
Gegenden bei schlechtem Wetter war die Ursache, daß Sophy
schleichendes Fieber bekam. Aber wie dem auch sei, sowie sie
es bekam, wandte sie sich für immer von ihrer Mutter ab, und
nichts konnte sie dazu bewegen, sich von ihrer Mutter Hand
anrühren zu lassen. Sie erschauerte und sagte: »Nein, nein, nein«,
wenn diese ihr einen Dienst leisten wollte; sie verbarg dann ihr
Gesicht an meiner Schulter und klammerte sich fest an meinen
Hals.
Das Geschäft ging aus verschiedenen Gründen schlechter als je,
am meisten aber war die Eisenbahn daran schuld, und ich glaube,
daß sie uns Händlern zuletzt noch vollends den Garaus machen
wird. So war denn zur Zeit, als die kleine Sophy so krank war,
an einem Abend kein Heller mehr in der Kasse; wollte ich es
nicht so weit kommen lassen, daß wir nichts mehr zu essen und
nicht so weit kommen lassen, daß wir nichts mehr zu essen und
zu trinken kaufen konnten, so mußte ich den Karren aufstellen.
Das tat ich also.
Ich konnte das liebe Kind nicht dazu bringen, sich hinzulegen
oder mich loszulassen, und ich hatte auch gar nicht das Herz
dazu; so stellte ich mich denn auf das Trittbrett, während sie sich
an meinem Hals festklammerte. Sie lachten alle, als sie uns so
sahen, und ein Schafskopf von einem Bauer (den ich deswegen
haßte) machte das Angebot: »Zwei Pence für sie!«
»Nun, ihr Bauerntölpel«, sage ich, mit einem Gefühl, als hinge
mein Herz wie ein schweres Gewicht am Ende einer zerrissenen
Fensterleine, »ich warne euch, daß ich im Begriff bin, euch das
Geld aus der Tasche zu zaubern. Denn ich will euch so viel mehr
geben, als euer Geld wert ist, daß ihr in Zukunft, wenn ihr am
Sonnabend euren Lohn ausgezahlt kriegt, immer nach mir
Ausschau halten werdet, um das Geld bei mir anzulegen. Aber
ihr werdet vergeblich warten, und warum? Weil ich mein Glück
dadurch gemacht habe, daß ich meine Waren en gros um
fünfundsiebzig Prozent unter Einkaufspreis losgeschlagen habe,
und infolgedessen nächste Woche als Herzog ins Oberhaus
berufen werde. Nun laßt mich wissen, was ihr heute abend
braucht, und ihr sollt es kriegen. Aber vor allem, soll ich euch
sagen, warum ich diese Kleine an meinem Hals hängen habe? Ihr
wollt das nicht wissen? Nun sollt ihr's erst recht hören. Sie ist
eine von den Elfen. Sie kann wahrsagen. Sie kann mir alles über
euch zuflüstern und mir genau sagen, ob ihr eine Sache kaufen
euch zuflüstern und mir genau sagen, ob ihr eine Sache kaufen
wollt oder nicht.
Braucht ihr zum Beispiel eine Säge? Nein, sie sagt, ihr braucht
keine, weil ihr zu ungeschickt seid, um mit ihr umzugehen. Sonst
wäre hier eine Säge, die für einen tüchtigen Mann ein Segen fürs
ganze Leben wäre – für vier Schilling, für dreieinhalb, für drei, für
zweieinhalb, für zwei, für achtzehn Pence. Aber keiner von euch
soll sie zu irgendeinem Preis kriegen, wegen eurer bekannten
Ungeschicklichkeit, deretwegen die Sache reiner Mord würde.