Auerhaus. Königs Erläuterungen.

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Auerhaus. Königs Erläuterungen.
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KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN

Band 337

Textanalyse und Interpretation zu

Bov Bjerg

AUERHAUS

Wolfgang Reitzammer

Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen


Zitierte Ausgaben: Bjerg, Bov: Auerhaus. Stuttgart: Ernst Klett Sprachen, 2016. Zitatverweise dieser Ausgabe sind mit K gekennzeichnet. Bjerg, Bov: Auerhaus. Berlin: Aufbau Verlag, 2017. Zitatverweise dieser Ausgabe sind mit A gekennzeichnet.

Über den Autor dieser Erläuterung: Wolfgang Reitzammer, geb. 1951, Studiendirektor a. D., Seminarleiter und -lehrer für das Fach Sozialkunde, unterrichtete am Christian-Ernst-Gymnasium Erlangen Deutsch, Sozialkunde und Geschichte; Schulbuchautor, Verfasser didaktischer Aufsätze, Tätigkeit als Herausgeber, Dozent für Deutsch und Sozialkunde an der FH, am Pädagogischen Institut Nürnberg und an der Volkshochschule, Verantwortlicher des Kultur-Blogs www.cooltourist.de.

3. Auflage 2021

ISBN 978-3-8044-7038-5

© 2017 by Bange Verlag GmbH, 96142 Hollfeld

Alle Rechte vorbehalten!

Titelabbildung: © ullstein bild – Mayall

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INHALT

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

2. Bov Bjerg: Leben und Werk

2.1 Biografie

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

3. Textanalyse und -Interpretation

3.1 Entstehung und Quellen

3.2 Inhaltsangabe

3.3 Aufbau

3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken

Der Ich-Erzähler

Frieder Wittlinger

Vera

Cäcilia Schreiner

Pauline

Harry

3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen

3.6 Stil und Sprache

Die Erzählhaltung

Die Erzähltechnik

Die Sprachebene

Jugendsprache

Bildliche Vergleiche

Syntax

3.7 Interpretationsansätze

Zentrale Dingsymbole im Roman

Gattungsbezug: Auerhaus als Adoleszenzroman

Auerhaus als utopischer Roman über das richtige Leben

Der Schülersuizid – Gründe für Frieders „Freitod“

Der Roman als „Mixtape“

Die Intertextualität im Roman

Um ein Leben reden: Formen der Kommunikation im Roman

4. Rezeptionsgeschichte

5. Materialien

Die Songs im Roman

Alfred Adler: Wozu leben wir?

Alex Rühle: Schwäbische Lagune

Bov Bjerg: Deadline

6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen

Aufgabe 1 *

Aufgabe 2 ***

Aufgabe 3 ***

Aufgabe 4 **

Literatur

Zitierte Ausgaben

Weitere Ausgabe

Weitere Werke des Autors

Vergleichbare Primärliteratur

Sekundärliteratur

Rezensionen

Internet-Adressen (Stand März 2017)


1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

Damit sich jeder Leser in unserem Band rasch zurechtfindet und das für ihn Interessante gleich entdeckt, hier eine Übersicht:

Im 2. Kapitel wird Bov Bjergs Leben und Werk kurz vorgestellt. Dazu wird auch der zeitgeschichtliche Hintergrund der Jahre 19801986 erläutert.

 Bov Bjerg wurde 1965 geboren und hat sich nach einem Studium der Politik- und Literaturwissenschaft etwa ab dem Jahr 1989 – wohnhaft in Berlin – vor allem schriftstellerisch betätigt. Sein erster Roman erschien im Jahre 2008.

 Die frühen 80er Jahre, in denen der Roman spielt, sind geprägt durch die Folgen des RAF-Terrorismus in Deutschland, durch die erste Kanzlerschaft von Helmut Kohl und durch die Etablierung der Partei DIE GRÜNEN als neue Fraktion im Deutschen Bundestag.

Im 3. Kapitel bieten wir eine Textanalyse und -interpretation.

Auerhaus – Entstehung und Quellen:

Der Roman ist im Oktober 2015 im Verlag Blumenbar, einem Imprint des Berliner Aufbau Verlags, erschienen.

Der Verfasser sagt, er habe sich beim Schreiben einfach nur daran erinnern müssen, was er selbst als Abiturient in einer WG erlebt habe. Einzelne Passagen des Romans habe er vor der Veröffentlichung auf Lesebühnen vorgetragen.

Inhalt:

Der Roman besteht aus drei Hauptkapiteln mit sehr unterschiedlicher Länge. Darin wird die Geschichte von sechs Jugendlichen erzählt, die in ihrem letzten Schuljahr in einer Wohngemeinschaft zusammenleben.

Chronologie und Schauplätze:

 

Der Roman spielt im Zeitraum von etwa einem Jahr (ca. 1982/83) in einem kleinen Dorf auf der schwäbischen Alb. Vier Jugendliche gehen in der nahegelegenen Stadt auf ein Gymnasium und stehen kurz vor dem Abitur, sie ziehen ins Auerhaus, zwei weitere Jugendliche stoßen hinzu. Durch Rückblenden und Vorausschauen werden auch frühere Entwicklungen und die Zukunft der einzelnen Personen thematisiert.

Personen:

Die Hauptpersonen sind

Der Ich-Erzähler:

 Nachname: Höppner

 zwischen 18 und 19 Jahre alt

 besucht die Abschlussklasse (= 13. Jahrgangsstufe) des Gymnasiums

 jobbt neben der Schule auf einer Hühnerfarm

 lebt am Anfang noch mit seinen zwei jüngeren Schwestern bei seiner Mutter und deren Freund

 fühlt sich für seinen suizidgefährdeten Freund Frieder verantwortlich

 scheitert wegen eines fehlenden Punktes beim Abitur und versagt dann bei der anstehenden mündlichen Prüfung

 um der Einberufung zur Bundeswehr zu entgehen, verlegt er seinen Wohnsitz später nach West-Berlin

Frieder Wittlinger:

 zwischen 18 und 19 Jahre alt

 besucht die Abschlussklasse (= 13. Jahrgangsstufe) des Gymnasiums

 hat mit den Schlaftabletten seiner Mutter und mit zwei Liter griechischem Wein einen Selbstmordversuch unternommen, wurde aber von seinem Vater im letzten Moment noch aufgefunden

 zieht als therapeutische Maßnahme in die Wohngemeinschaft

 macht nach dem Abitur eine Lehre als Fahrradmechaniker

 begeht dann doch noch „erfolgreich“ Selbstmord

 hochbegabt, aber unfähig zur Anpassung an gesellschaftliche Normen

 ein tendenziell anarchischer Typ, der immer hart an der Illegalität agiert

Vera:

 zwischen 18 und 19 Jahre alt

 besucht die Abschlussklasse (= 13. Jahrgangsstufe) des Gymnasiums

 befreundet mit dem Ich-Erzähler

 entschließt sich zur Teilnahme an der Wohngemeinschaft

Cäcilia Schreiner:

 zwischen 18 und 19 Jahre alt

 besucht die Abschlussklasse (= 13. Jahrgangsstufe) des Gymnasiums

 schließt sich aus sozialer Verantwortung der Wohngemeinschaft an

 ist aber die erste, die sich aus der Gemeinschaft des Auerhauses wieder löst, weil sie wohl befürchtet, dass der schlechte Ruf ihrer Mitbewohner ihre berufliche Karriere gefährden könnte

Pauline:

 zusammen mit Frieder Insassin der Nervenheilanstalt

 dort ist sie wegen Brandstiftung eingeliefert worden

 wird später auch Mitglied der Wohngemeinschaft

 muss am Ende für zehn Jahre ins Gefängnis wegen einer Brandstiftung mit Todesfolge

Harry (Harald Calabrese):

 Elektrikerlehrling aus Stuttgart

 weil er sich als schwul outet, wird er von seinem Vater verprügelt

 wird später auch Mitglied der Wohngemeinschaft

 verdient in der Stadt nebenbei Geld als Strichjunge und als Drogendealer

Stil und Sprache:

 Der Roman verwendet durchgehend die Ich-Erzählhaltung. Daraus folgt fast zwangsläufig, dass beide möglichen Erzählperspektiven vorhanden sind: die Außensicht und die Innensicht. Der Standort des Erzählers ist mitten im Geschehen, dennoch hat er nur eine begrenzte Sicht auf die Dinge. Dies hängt auch damit zusammen, dass es sich bei dem Ich-Erzähler um einen ca. 18-jährigen Jugendlichen handelt.

 Als sprachliche Darbietungsweisen werden verwendet: der epische Bericht, der Kommentar des Ich-Erzählers, einmontierte Versatzstücke (Zeitungsnachrichten), die direkte Rede und die indirekte Rede.

 Die Sprachebene ist – passend zu dem Ich-Erzähler – eine Form der Jugendsprache. Dementsprechend erweist sich der Satzbau im Roman als überwiegend kurzschrittig und parataktisch.

Als Interpretationsansätze bieten sich an:

 Die Betrachtung und Deutung der zentralen Dingsymbole im Roman,

 der Gattungsbezug des Romans als Adoleszenzroman und der Vergleich mit ähnlichen Werken,

 der inhaltliche Schwerpunkt von Auerhaus als ein utopischer Roman über das richtige Leben,

 die Frage nach den Gründen für den Selbstmord von Frieder und der Vergleich mit anderen Romanen, die Selbstmorde von Jugendlichen thematisieren,

 die Rolle der Musik für die Protagonisten des Romans,

 die Beziehung des Romans Auerhaus zu anderen vorkommenden Texten (Intertextualität) und

 die Formen der verbalen und nonverbalen Kommunikation im Roman.


2. Bov Bjerg: Leben und Werk


Bov Bjerg (* 1965)

© picture alliance / Frank May


2.1 Biografie


JAHR ORT EREIGNIS ALTER
1965 Heiningen, eine Gemeinde im Landkreis Göppingen, Baden-Württemberg, am Fuße der Schwäbischen Alb mit ca. 5000 Einwohnern, ca. 5 km von Göppingen, ca. 50 km von Stuttgart entfernt Geburt; bürgerlicher Name: Rolf Böttcher
ab 1984 Berlin/Amsterdam/Leipzig Studium der Linguistik, Politik- und Literaturwissenschaften Absolvent des Deutschen Literaturinstituts Leipzig 19
ab 1989 Berlin Gründung der Literaturzeitschrift „Salbader“ Initiierung mehrerer Berliner Lesebühnen: Dr. Seltsams Frühschoppen, Mittwochsfazit und die Reformbühne Heim & Welt Mitarbeit im Musikkabarett Zwei Drittel als Schauspieler, Autor und Koch 24
ab 1992 Berlin Verfasser der Kolumne Nachgefragt für die Berliner Stadtzeitung „scheinschlag“ 27
ab 1997 Berlin Redakteur der Satirezeitschrift „Eulenspiegel“ Verfasser des Kabarettistischen Jahresrückblicks Leiter von Kursen für Erwachsene (Improvisation und Schreiben) und Jugendliche (deutsch/tschechisch, Szenisches Schreiben) 32
2004 Berlin Literarisches Debüt mit der Kurzgeschichte Howyadoin 39
2008 Berlin Erscheinen des ersten Romans Deadline 43
2015 Berlin Großer Erfolg und literarischer „Durchbruch“ mit dem Roman Auerhaus 50
2016 Berlin Die Modernisierung meiner Mutter (Erzählungen) erscheint. 51


2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

ZUSAMMENFASSUNG

Die frühen 80er Jahre, in denen der Roman spielt, sind geprägt durch die Folgen des RAF-Terrorismus in Deutschland, durch die erste Kanzlerschaft von Helmut Kohl und durch die Etablierung der Partei DIE GRÜNEN als neue Fraktion im Deutschen Bundestag.

Da man davon ausgehen kann, dass der Roman auch autobiografische Züge trägt, lässt sich das Geschehen in die Jahre 1982/83 einordnen. Zeittypische Elemente, die im Roman auftauchen, sind:

Der Kassettenrekorder

Ende August 1963 wurde auf der Internationalen Funkausstellung in West-Berlin die Philips Compact Cassette vorgestellt – zusammen mit dem ersten Kassettenrekorder. Der Kassettenrekorder war ein handliches und tragbares Gerät zur Aufnahme von Audio-Signalen, er sollte die damals populären, aber sehr unpraktischen Spulentonbandgeräte ablösen. Kompaktkassetten waren wiederbespielbare Magnetbänder mit Laufzeiten von 45 bis 120 Minuten. Seitdem wurden weltweit ca. 100 Milliarden Kassetten verkauft. 1979 brachte die Firma Sony den sogenannten Walkman auf den Markt, ein noch kleineres Abspielgerät, das man leicht mit sich führen konnte. Schon ab 1983 eroberte die Compact Disc (CD) die Wohnstuben; ihr großer Vorteil ist das verschleißfreie optische Laser-Abtastverfahren und der Wegfall von Störgeräuschen. Bei der Kompaktkassette gab es dagegen immer die Gefahr des „Bandsalats“ und ein störendes Rauschen bei längerer Benutzung. Mit dem Siegeszug der digitalen Tonaufzeichnung (z. B. MP3-Format) nahm die Bedeutung von Kassettenrekordern seit dem Ende der 1990er Jahre stetig ab.

Gewissenprüfung, Kriegsdienstverweigerung, Wehrpflicht, Zivildienst, Wohnort in West-Berlin, um der Wehrpflicht zu entgehen

In der Bundesrepublik Deutschland galt am Anfang der 80er Jahre der Artikel 12 a GG: „(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften … verpflichtet werden … (2) Wer aus Gewissengründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden.“[1] Absatz 2 bezog sich dabei auf den Artikel 4 Absatz 3 GG: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“[2]

Deswegen musste man nach oder vor der Musterung einen Antrag auf Verweigerung des Kriegsdienstes stellen. Danach wurde man vor einer dreiköpfigen Kommission zu einer mündlichen Gewissensprüfung geladen. Diese Kommission sollte überprüfen, ob der Verweigerer stichhaltige Gewissengründe vortragen kann. Dabei wurden teilweise auch Fangfragen gestellt, wie sie der Ich-Erzähler auf den Seiten K 91 f./A 133–135 des Romans Auerhaus beschreibt.

1977 sollte die umstrittene Gewissensprüfung durch ein neues Gesetz der damaligen SPD/FDP-Regierung abgeschafft werden. Eine einfache Erklärung (sog. „Postkartenregelung“) sollte genügen. Dieses Gesetz wurde vom Bundespräsidenten Walter Scheel wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht unterschrieben und vom Bundesverfassungsgericht als nicht verfassungskonform beurteilt. Damit galt zunächst wieder die alte Regelung.

Als Kompromiss wurde 1983 vom Bundestag eine Gesetzes-änderung beschlossen, nach der ein Kriegsdienstverweigerer eine ausführliche, stichhaltige schriftliche Begründung seiner Motive vorlegen musste.

 

Aufgrund des besonderen entmilitarisierten Status der Stadt Berlin (stand bis 1990 unter der Verwaltung der vier Siegermächte) unterlagen Männer, die ihren Wohnsitz in West-Berlin hatten, nicht der Wehrpflicht. Dies wurde erst mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrags vom 3. 10. 1990 hinfällig.

Im Jahre 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt; damit war auch der Zivildienst als Ersatzdienstpflicht abgeschafft.

RAF-Terrorismus

Als erste Generation der RAF („Rote Armee Fraktion“) bezeichnet man gemeinhin die Gruppe von deutschen Terroristen, die sich seit Anfang 1970 um die zentralen Figuren Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof bildete und die bis Ende 1974 nicht nur zahlreiche Banküberfälle, sondern auch Bombenanschläge auf amerikanische Militäreinrichtungen, deutsche Sicherheitsbehörden und ihre Vertreter sowie Medienunternehmen mit einer Gesamtbilanz von vier Toten und 41 Verletzten verübten.

Mit der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm im April 1975 begann eine neue Qualität des Terrorismus in Deutschland: es wurde rücksichtsloser, brutaler und internationaler vorgegangen als je zuvor. Gleichzeitig verübte die RAF gezielte Mordanschläge gegen führende Persönlichkeiten in Staat und Wirtschaft, so gegen den Generalbundesanwalt Siegfried Buback (7. April 1977) und den Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank Jürgen Ponto (30. Juli 1977). Als am 5. September 1977 Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer mit dem Ziel entführt wurde, die Inhaftierten in Stuttgart-Stammheim freizupressen und am 13. Oktober 1977 palästinensische Terroristen zur Unterstützung die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführten, eskalierte die Situation.

Es kam zu einer Odyssee des entführten Flugzeugs von Rom über Larnaka/Zypern, Dubai/Bahrain, Aden/Jemen nach Mogadischu/Somalia, zur Ermordung des Flugkapitäns Schumann, zur Befreiung der Geiseln durch die GSG 9, zum Tod dreier Entführer. Darauf folgten die Selbstmorde von Baader, Raspe und Ensslin in Stuttgart-Stammheim und die Ermordung Hanns-Martin Schleyers.

Am Anfang der 1980er Jahre gab es eine programmatische Neuausrichtung der RAF, die im sogenannten Mai-Papier von 1982 „Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front“ deutlich wird. Ausgehend von der Kritik der Ereignisse des Jahres 1977 wurde ein Strategiewechsel der RAF angekündigt. Bei der Umsetzung dieser Strategie scheiterte die RAF zunächst im Dezember 1984 mit einem Anschlag auf die NATO-Schule in Oberammergau. Im Januar und Februar 1985 wurden in abgestimmten Aktionen mit der Action Directe (AD) der französische General René Audran und der Industrielle Ernst Zimmermann ermordet. Wenig später übernahm die RAF gemeinsam mit der AD die Verantwortung für den Anschlag auf die US-Airbase in Frankfurt im August 1985, bei dem zwei Menschen getötet und 23 verletzt wurden.

Bis 1990 fanden fünf weitere gezielte Morde statt, im Juli 1986 an Siemens-Vorstandsmitglied Karl Heinz Beckurts und seinem Fahrer Eckhard Groppler, im Oktober 1986 an Gerold von Braunmühl, Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt, im November 1989 am Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen. Dagegen scheiterten Anschläge 1988 auf den Finanzstaatssekretär Hans Tietmeyer und 1990 auf den Staatssekretär im Bundesinnenministerium Hans Neusel.

Am 1. April 1991 schließlich wurde der Vorsitzende der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder das letzte Opfer eines Mordanschlags der RAF. Im März 1998 verfasst die RAF ihre Auflösungserklärung und stellt fest, dass die „Stadtguerilla in Form der RAF [...] nun Geschichte“[3] ist.

Die Telefonzelle

Öffentliche Münztelefonzellen wurden zunehmend unrentabel, da die Betriebskosten für die 1984 in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen ca. 130.000 Telefonzellen die Einnahmen von jährlich rund 250 Millionen DM überstiegen. Damals waren noch rund 2,3 Millionen Haushalte in Deutschland auf Telefonzellen angewiesen. Ende 2015 gab es nur noch insgesamt ca. 27.000 öffentliche Telefonzellen.

Das Symbol Telefonzelle (vgl. im Roman Auerhaus Seite K 46 f./A 66) verweist auf die besondere Kommunikationssituation der Bewohner des Auerhauses in den frühen 80er Jahren: sie besaßen kein Smartphone, keinen Computer mit Internetanschluss, kein Festnetztelefon im Haus, vermutlich auch keinen Fernsehapparat. Deshalb spielt die direkte Kommunikation auch eine sehr große Rolle: man redet miteinander!

Weitere Ereignisse in der Jahren 19821986


JAHR EREIGNIS
1982 Helmut Kohl wird deutscher Bundeskanzler (1. Oktober)
1983
1984 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident Die Hungerkatastrophe in Äthiopien bewirkt eine Welle der Hilfsbereitschaft
1985 Rede von Richard von Weizsäcker zum 40-jährigen Ende des Zweiten Weltkriegs Michail Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU; in den folgenden Jahren werden in der Sowjetunion Wandlungsprozesse eingeleitet, die unter den Schlagwörtern Perestroika und Glasnost bekannt werden
1986 Nach einer Attentatsserie von Libyern, unter anderem auf die West-Berliner Diskothek La Belle, verhängen die USA ein Wirtschaftsembargo gegen das nordafrikanische Land und fliegen Luftangriffe auf Tripolis und Bengasi Atomreaktor-Katastrophe in Tschernobyl (26. April) Großdemonstration gegen Raketenstationierung im Hunsrück

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