Frag nicht warum

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B. WaldegardFrag nicht warumDie Liebe oft seltsam verschlungene Wege geht

Impressum

Copywrite © 2014 B. Waldegard

Herstellung und Verlag: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-8616-8



1

Das Taxi rollte auf Gudrun zu, ohne dass sie den Arm erhoben hätte. Mit ihrem modischen Koffer auf Rädern, passender Umhängetasche und dem marineblauen Kostüm musste sie hier offensichtlich fremd erscheinen. Der kleine Bahnhofsvorplatz, der selbst das Stationsgebäude nicht über den Status eines verschachtelten Wohnhauses hinausheben konnte, schien sie als Fremdkörper umschließen zu wollen. Oft verirrte sich hier wohl niemand her, der nicht in diese Umgebung hineingeboren war. Trotzdem schien ihr die Kiefer über das Dach des kleinen Hotels gegenüber hinweg, zuzuwinken.

„Willkommen!“

Der Chauffeur riss die Tür auf. Sie wunderte sich, dass es hier überhaupt Taxen gab.

„Möchten Sie einsteigen?“

„Ja, zur Burg Göde bitte.“

Er schien sie merkwürdig zu mustern, aber wahrscheinlich bildete sie sich das nur ein. Der Taxifahrer stieg aus und verstaute ihr Gepäck im Kofferraum. Dann hielt er ihr den Wagenschlag auf und sie ließ sich in die Polster gleiten. Etwa fünfzehn Minuten fuhren sie durch das flache Land. Nicht sehr schnell, die Strassen waren in mäßigem Zustand und das Taxi schon einen Tag älter. Nachdem sie den kleinen Ort verlassen hatten, gab es nur noch einen geteerten Weg, der sich durch einen lichten Wald schlängelte. Dann wurde diese heitere Kulisse plötzlich beiseite geschoben, und hinter einem Wassergraben entdeckte Gudrun ihr Ziel. Burg Göde.

Sie war etwas enttäuscht. Ihr zugewandt lag hinter einer Holzbrücke ein verwitterter niedriger Klinkerbau mit Resten eines früheren Verputzes. Winzige Fenster blickten sie feindselig an. Dahinter ragte der Haupttrakt mit massivem Rundturm und wuchtigem Ziegeldach hervor. Eine kleine Wasserburg also, wehrhaft und düster. Wie konnte man heutzutage nur darin leben?

„Na dann, viel Spaß“, sagte der Fahrer, als er ihr den Koffer herausgegeben und den Fahrpreis in Empfang genommen hatte. Er war nicht sehr gesprächig gewesen. Aber das passte irgendwie zu der Landschaft, fand sie.

„Soll ich warten?“, fragte er noch. „Vielleicht ist niemand da. Oder werden Sie erwartet?“

„Ja, ich bin angemeldet, vielen Dank.“

Sie schritt schon mit ihren hochhackigen Schuhen, die hier völlig fehl am Platze waren, über die Brücke, die nur mit dicht an dicht gelegten Planken belegt war. Hin und wieder konnte sie darunter das Wasser sehen. Sie musste sehr vorsichtig gehen. Die Schuhe hätte sie besser im Zug wechseln sollen. Sie schaute so konzentriert nach unten, dass sie beinahe gegen das zweiflügelige Eichentor gelaufen wäre, das den runden Torbogen ausfüllte. Normalerweise kommen hier die Besucher sicher zu Pferd oder mit der Kutsche an, und nicht in Stadtschuhen und einem Rollkoffer aus schwarzem Stoff in der Hand, dachte sie.

Wieso war sie eigentlich hier? Sie wurde etwas unsicher. Ob das ein kluger Entschluss gewesen war? Aber sie stellte getroffene Entscheidungen generell nicht mehr in Frage. Also war sie hier. Um Herrn Sörensen wieder zu sehen. Ein Jahr hatten sie zusammen bei Frederic & Söhne gearbeitet, Import und Export. Er als Kaufmann, sie als Chefsekretärin. Noch immer war sie dort angestellt und hatte jetzt Urlaub. Vor einem Jahr war Sörensen auf seine ererbte Burg gezogen und hatte seinen Beruf an den Nagel gehängt. Nebenbei schrieb er schon damals Bücher, jetzt wohl seine Hauptbeschäftigung. Sie kannte seine Werke. Drei bis jetzt, alle mit erotischem Inhalt. Nicht unangenehm zu lesen.

Eigentlich waren sie nicht direkt befreundet. Sie mochten sich, ohne Zweifel, waren auch einige Male zusammen ausgegangen. Aber sie konnte noch nicht einmal sagen, ob sie miteinander per Du waren, oder nicht. Er hatte sie manchmal Gudrun genannt, aber im Büro waren sie immer sehr förmlich miteinander gewesen.

Beim Abschied hatte er gesagt: „Komm’ doch mal vorbei. Hier ist meine Adresse. Ich habe ausreichend Fremdenzimmer und die Gegend ist herrlich zum Urlaub machen, absolut ruhig. Postkarte genügt.

Nun, sie hatten nicht nur Postkarten geschrieben. Zuletzt war ein sehr netter Brief eingetroffen, alles per „Sie“, und so hatte sie sein wiederholtes Angebot angenommen und ihre Ankunft angekündigt. Wenn sie ehrlich war, hatte sie nicht so sehr ihr Wiedersehen mit Sörensen gereizt, als die mysteriöse Burg, von der er immer schwärmte. Und jetzt war sie noch nicht einmal von der Bahn abgeholt worden. Sie hatte niemanden um Rat gefragt, obwohl es doch sicher etwas ungewöhnlich war, so allein hier in der Einsamkeit aufzukreuzen. Ihre Mutter war besorgt gewesen, aber sie hatte sich nicht beeinflussen lassen. Sie war immer selbständig gewesen, und für das Ungewöhnliche, Mondäne, Geheimnisvolle. Auch für das Wagnis. Gerade!

2

Energisch zog sie an der Klingelschnur und hörte den Widerhall der Glocke. Erneute Stille. Dann eine Stimme: „Ich komme schon. Moment!“ Eine vergitterte Klappe öffnete sich und dahinter erschien ein unbekanntes Gesicht, das sie einen kurzen Moment wortlos anstarrte. Dann wurde ein Riegel zurückgeschoben und ein Torflügel öffnete sich. Der Mann war gedrungen, von kräftiger Statur, im offenen Hemd und in Bluejeans.

„Kommen Sie rein“, sagte er, „Sie werden schon erwartet. Herzlich willkommen auf Burg Göde.“ Er trat mit einer einladenden Handbewegung beiseite.

„Danke“, sagte Gudrun, „sind Sie der Hausmeister?“ Sofort ärgerte sie sich über die törichte Frage. Dazu war er viel zu jung, womöglich hatte sie ihn beleidigt. Aber wer weiß, wie heutzutage solch’ alte Burgen geführt werden. Leicht war das sicher nicht.

„So kann man es auch nennen“, lachte er und streckte ihr die kräftige Hand hin. „Ich heiße Karl.“ Dann nahm er ihr den Koffer ab, schob den Riegel wieder vor und zeigte auf den Hauptbau. „Geh’n wir.“

Als er ihren prüfenden Blick bemerkte, der das schmucklose Mauerwerk streifte, fügte er noch hinzu: „Drinnen ist es gemütlicher.“

Aus dem düsteren Torbogen kamen sie auf einen quadratischen Hof mit einem Ziehbrunnen in der Mitte. Daneben stand zu ihrer Überraschung ein altes Rolls-Royce Modell. Und sie hatte sich doch schon so auf Pferde eingestellt. Nicht, dass sie reiten konnte, aber Pferde gehörten ihrer Meinung nach zu einer richtigen Burg. Aber das hier war ja sowieso nur eine Miniaturausgabe. Sie schaute sich neugierig um. Neben dem Tor waren wohl mal die Wohnungen der Bediensteten gewesen. Ein schmaler, geduckter Winkelbau, der sich an das Hauptgebäude anschloss. Rechts grenzte eine Mauer den Hof zum Wassergraben hin ab. Der „Palas“, eine sehr schmeichelhafte Bezeichnung, war zweigeschossig mit hohen schmalen Fenstern, durch viele Sprossen geteilt. Einzig die Haustür hatte ein steinernes Schmuckportal.

„Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier“, sagte ihr Begleiter, der ihre musternden Blicke verfolgt hatte.

Als sie die drei halbkreisförmigen Stufen hinaufgingen, öffnete sich die Tür und ER stand vor ihr. Breitbeinig, groß und schlank, mit Rollkragenpullover und modisch enger Hose. Sie kannte ihn nur in korrekter Businesskleidung mit dezenter Krawatte. Seine strahlende Art nahm sie sofort gefangen und sie wehrte sich nicht, als er sie in seine Arme schloss und auf den Mund küsste. Gudrun war sprachlos und wurde puderrot. Karl grinste über beide Ohren. Erich Sörensen ließ den Arm auf ihren Schultern und zog sie nach drinnen. Erst jetzt sagte er: "Ich freue mich sehr, dass du gekommen bist. Ich darf doch Gudrun sagen, oder?“ Was hätte sie antworten sollen? Sie war überrumpelt.

„Warum hast du denn nicht ein Telegramm mit der genauen Ankunftszeit geschickt? Dann hätten wir dich vom Bahnhof abholen können. Du bist sicher mit dem alten Asmussen gekommen. Aber jetzt bist du da. Lass dich anschauen.“

Er schob sie mit beiden Händen von sich und musterte sie ungeniert von oben bis unten. Ihr blondes Haar, das ihr über die Schultern fiel, ihr ovales, längliches Gesicht mit der etwas zu spitzen Nase, jede Kurve ihres für diese Umgebung etwas zu kurzen Kostüms, ihre endlos langen Beine und die unpassenden hochhackigen Schuhe.

„Hat es dir die Sprache verschlagen?“, fragte er lachend. Tatsächlich, sie hatte bisher noch kein Wort über ihre Lippen gebracht.

„Ich bin etwas überrascht und verwirrt“, stammelte sie und musterte die achteckigen braunen Fliesen der Halle.

„Das macht nichts. Das trägt zu deinem reizenden Anblick bei“, sagte Erich, umfasste ihre Taille und zog sie vorwärts. „Hauptsache, du bist da.“

Karl steuerte mit ihrem Koffer auf eine dunkle, reich geschnitzte Treppe zu, die die ganze Halle auszufüllen schien. Mehr nahm Gudrun im Moment nicht wahr, denn wie ein Schulmädchen hielt sie ihren Blick gesenkt, als Erich sie an der Treppe vorbei auf eine Glastür hin führte. Dahinter verbarg sich ein kleiner Wintergarten mit ovalem Grundriss, mit engsprossigen Fenstern über die ganze Höhe und üppigen Pflanzen davor. Rechts eine Sitzgruppe aus Korbmöbeln mit rot karierten Kissen, um einen Kamin platziert, der die Rundung des Ovals fortsetzte. Der ganze Raum war nicht größer als etwa fünf mal sieben Meter, wirkte aber durch die ungewöhnliche Form und die hohen Fenster großzügig. Sie wusste sofort, dass sie sich hier wohlfühlen würde. Die Sonne warf bizarre Schatten auf die Fliesen und hinter dem Wassergraben konnte sie den Wald sehen. Eine Burg mit so einem Raum konnte nichts Furchterregendes beherbergen.

 

„Nun setz dich erst mal“, sagte Erich und drückte sie in einen Sessel. „Wir werden noch genügend Zeit haben, uns alles genau anzusehen. Diese Burg sieht außen unscheinbar aus, aber sie ist sehr gemütlich und leicht zu bewirtschaften.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Und sie birgt manches Geheimnis. Hast du schon gegessen?“

Nein, sie hatte noch nichts im Magen außer dem Frühstück zuhause. Er ging, um das zu organisieren. Gudrun war froh, ein paar Minuten allein zu sein. Ob man in dem Wasser Fische angeln konnte? Gemütlich im Sessel, ein Buch in der Hand, hinter sich ein prasselndes Kaminfeuer und die Angelrute zum Fenster hinaushaltend. Wenn ein Karpfen anbiss würde sie „Hallo“ sagen und ihm die Küche zur Massage empfehlen. Wenn nicht, machte es auch nichts. Sie fühlte sich bereits als Burgherrin, aber wenn sie an die Kemenaten dachte, wurde ihr wieder etwas flau im Magen. Der Erich war doch etwas zu selbstsicher. Wie er sie so einfach geküsst hatte … Vor dem Hausknecht Karl wollte sie kein Theater machen, aber in Zukunft würde sie doch erst einmal Distanz halten. Was glaubte er denn, wer sie war?

Als Erich wieder eintrat, saß sie gedankenverloren mit dem Rücken zur Tür und blickte zum Fenster hinaus. Noch ehe sie sich umdrehen konnte hatte er sie schon auf den Nacken geküsst und berichtet, dass angerichtet sei.

„Vielleicht hättest du dich erst frisch machen wollen, aber da es schon halb drei ist dachte ich, dass Essen wichtiger ist. Hier kannst du dir wenigstens die Hände waschen.“ Er zeigte ihr die Toilette, die nachträglich in den Wintergarten hineingebaut wurde, mit Tür zur Halle.

Das Esszimmer lag gegenüber der Treppe, ein unheimlich gemütlicher Raum, trotz seiner Größe von etwa 50 Quadratmetern. Das kam von dem großen Perserteppich unter dem runden Esstisch, der bemalten dunklen Ledertapete und der schweren Kassettendecke aus dunklem Holz. Hinter dem massiven Tisch mit sechs Stühlen stand eine alte Uhr in der Ecke, gegenüber war sie mit einem großen Kamin aus weißen Kacheln und einer Sesselgruppe ausgefüllt. Neben einer Glasvitrine war offensichtlich die Tür zur Küche, aus der jetzt eine junge hübsche Frau mit weißem Häubchen und Schürze heraustrat. Gudrun hatte es nicht anders erwartet. Von Erich wurde sie als Brigitta vorgestellt. Nichts weiter. Ob sich hier alle duzten?

Brigitta servierte gebackene Hähnchen, grüne Bohnen und Brot. Sie entschuldigte sich, dass sie wegen der ungewissen Ankunftszeit keine Kartoffeln fertig habe. Zum Gericht gab es einen leichten Wein, den Gudrun begierig trank. Erich prostete ihr zu, aß aber nichts.

„Wir haben schon gegessen“, sagte er. Gudrun wunderte sich, fragte aber nicht, wer „wir“ sei. Brigitta war stehen geblieben und füllte Bohnen nach. Sie hatte wohlgeratene Formen, leicht zur Fülle neigend. Die braunen Haare trug sie zum Knoten zurückgebunden. Der dunkle Kittel, den sie unter der Schürze trug, war um einen Knopf zu weit geöffnet. Es störte Gudrun nicht, aber sie registrierte es. Die Frau ließ sich weit in den Ausschnitt blicken. Auch merkte sie, dass Brigitta die direkte Anrede vermied. Sie sagte nicht „Gnädige Frau“ oder so. Heutzutage sagt man das wohl auch nicht mehr.

Nach dem Essen tranken sie die Flasche Wein zu Ende, entspannt in den Sesseln sitzend. Man versank tief darin und Gudrun konnte in Ruhe die schöne Einrichtung betrachten.

„Früher hing hier alles voller Geweihe“, erzählte Erich. „Aber ich habe sie, bis auf das eine dort, auf den Dachboden verbannt. Dies ist ein besonders schöner Zwölfender, den mein Großvater geschossen hat. Ich mache mir nichts aus der Jagd und habe sie verpachtet. Außer dem Erdgeschoss im Hauptbau habe ich überhaupt alles modernisiert. Die früheren Stallungen sind jetzt Wirtschaftsräume und Garagen. Jetzt gibt es hier auch Strom und fließend Wasser. Der Ziehbrunnen im Hof ist nur noch Dekoration.“

Obwohl sie merkte, wie stolz Erich auf alles war, hatte Gudrun kein Bedürfnis, sich jetzt die restlichen Räume anzusehen. Der Wein drückte sie in die Polster. Ihr Rock hatte sich nach oben verschoben, aber es fehlte ihr an Energie, ihn zurechtzurücken. Brigitta, die gerade den Tisch säuberte, schien leicht spöttisch herüber zu blicken, als Erich sich zu ihr auf die Lehne setzte und, ihren Kopf an den Haaren zurückziehend, einfach auf den Mund küsste. Alles was sie dabei dachte war, dass er hätte warten können, bis das Mädchen aus dem Raum gegangen war. Dabei schaute sie ganz ungeniert zu. Gudrun wollte sich innerlich empören, aber ein neuer Kuss ließ sie dahinschmelzen.

Dann erhob er sich und zog sie mit sich. „Du willst dich sicherlich etwas waschen und ausruhen.“ Im ersten Moment musste sie sich leicht auf ihn stützen. Beim Vorbeigehen strich ihr Brigitta flüchtig über die Haare. Das verwirrte sie so sehr, dass sie kaum wahrnahm, wie sie die Treppe hinauf gekommen war. Irgendwo spielte jemand einen Walzer von Chopin auf dem Klavier. War das das „wir“? Und wieso streicheln hier junge hübsche Köchinnen den Besuch? Fragen über Fragen. Oben trat sie schnell auf den Balkon hinaus. Frische Luft musste jetzt gut tun. Der Balkon lag direkt über dem Wintergarten. Er hatte die gleiche ovale Form. Erich war ganz dicht hinter sie getreten und presste sie gegen die massive Steinbrüstung. „Du bist sehr schweigsam“, stellte er fest.

„Das verwirrt mich hier alles ein wenig“, war ihre Antwort.

„Wieso denn? Was meinst du?“

Sie wusste es nicht und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. „Ich möchte mich jetzt Umziehen“, sagte sie und drückte ihn leicht weg.

Er gab sie sofort frei. Durch eine Art Galerie führte er sie in einen Ankleideraum und von da in ein kleines Schlafzimmer. Ihr Koffer lag bereits auf einem riesengroßen Himmelbett. Sie war augenblicklich begeistert. „Darf ich hier schlafen?“, fragte sie etwas ungläubig.

Erich nickte. Gudrun ließ sich auf das Bett fallen und stellte befriedigt fest, dass das alte Bett eine moderne Matratze aus Schaumgummi hatte. Er zeigte ihr noch den Weg zum Bad, der durch den Ankleideraum und eine Sauna führte und ließ sie dann allein.

3

Sie hatte geduscht, ihre Sachen ausgepackt und im Schrank verstaut. Jetzt lag sie, nur mit Höschen und Büstenhalter bekleidet, auf dem Bett. Für nachher hatte sie sich das hellbraun-weiß gestreifte Wollkleid zurechtgelegt, das ihre Figur so richtig zur Geltung brachte. Aber noch war sie zu faul, es anzuziehen.

Sie versuchte sich klar zu machen, was sie hier wohl erwarten würde. Eine neue Entdeckung beunruhigte sie, aber auf eine unbestimmte Art wurde sie davon auch erregt. Keine der Türen ließ sich abschließen, da in keiner ein Schlüssel steckte. Ob das Absicht war? Trotzdem zog sie sich nicht an. Es war sicher nur ihre Urlaubsphantasie oder der zu dieser Tageszeit ungewohnte Wein, verbunden mit den Anstrengungen der Reise.

Mit welchen Erwartungen war sie eigentlich hergekommen? Zu einem fast fremden Mann, der auf einer einsamen Burg allein lebte. Nein, nicht allein. Da war noch eine junge Köchin, die den Besuch streichelte und offensichtlich noch eine andere Rolle hatte und jemand der Chopin spielte. Dazu ein Hausknecht, oder was immer er war, der dem Besuch die Hand reichte.

Sie musste eingenickt sein. Als sie die Augen aufschlug, blickte sie geradewegs in Erichs Gesicht. Er lehnte lässig an der offenen Tür, von der sie sicher war, dass sie die geschlossen hatte. Aber eben nicht verschlossen. Ging ja nicht. Augenblicklich versuchte sie, sich mit der Bettdecke zuzudecken. Aber da sie ja drauf lag, verhaspelte sie sich und es gelang ihr nur unvollständig. „Ohh!“, rief sie erschrocken. Wenn er jetzt noch gelacht hätte, hätte sie ihn angebrüllt und auf sofortiger Abreise bestanden. Aber er lachte nicht, sondern sagte in liebenswürdigem Ton wie selbstverständlich: „Hast du gut geschlafen? Kaffee ist im Wintergarten serviert. Ich warte unten auf dich. Wir könnten dann noch etwas spazieren gehen.“

Schon war er weg und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Erst jetzt erreichte ihre Empörung die Oberfläche, aber es war niemand mehr da, dem sie sie zeigen konnte. Wozu sich dann empören? Wie lange mochte er sie so betrachtet haben? Schließlich, im Bikini hätte er auch nicht mehr gesehen. Also, was soll’s.

Das Kleid war schnell übergestreift, der Schmuck angelegt und das Haare durchfrisiert. Da sie die Laufschuhe anzog, musste sie auch noch Strümpfe raussuchen .Dann machte sie sich auf den Weg nach unten.

In der Galerie schaute sie sich kurz um. Ein Kamin neben der Tür, eine Liege unter einem Regal mit allerhand Krimskrams, ein Schreibtisch, zwei Sessel. Der Blick aus dem Fenster der gleiche wie vom Balkon. Was sie aber faszinierte, waren die Bilder an der Wand. Fotografien. Portraitstudien von Mädchen. Sie zählte elf. So sahen also ihre „Vorgängerinnen“ aus. Sie war überzeugt, dass es ihre Vorgängerinnen waren. Dabei hatte sie doch gar kein „Verhältnis“ mit Erich. Noch nicht. Obwohl nur Portraits, hatte sie das Gefühl, dass keines der Mädchen etwas an hatte. Sie musste sich beeilen, konnte also nur flüchtig hinschauen, aber die eine konnte Brigitta sein. Konnte, vielleicht, wenn man sich ihre Haare aufgesteckt vorstellte … Brigitta war sowieso kein Name für eine Köchin, die hießen immer …, eben anders. Und das wagt sich dieser Kerl, mit ihr zusammen in einem Haus ...

Nun, sie würde ihren Urlaub genießen, aber es nie so weit kommen lassen. Sie dachte den Gedanken nicht zu Ende und ging schnell nach unten. Mit ihrem strahlendsten Lächeln betrat sie den Wintergarten.

Hier fühlte sie sich sicher. Erich erhob sich galant und rückte ihr einen Sessel zurecht. Der Duft des Kaffees und die noch immer hereinflutenden Sonnenstrahlen, flach von Westen her, drängten ihre Empörung erst einmal beiseite. Sie nahm sich aber vor, wachsam zu sein.

Erich plauderte sehr amüsant. Er erzählte ihr die Geschichte dieser Burg. Wie es vorher ausgesehen hatte, als er klein war, wie er sie später von seinem Vater erbte, und wie er sie hatte umbauen lassen. Mit viel Mühe, Zeit und Geld. Aber jetzt war alles fertig. Vielleicht sollte man von draußen noch etwas tun.

Gudruns Kleid war schon wieder zu kurz, besonders jetzt, da sie Strümpfe anhatte. Aus irgendeinem altmodischen Grund hatte sie sich nie zu Strumpfhosen entschließen können. Abgesehen davon zeigte sie gern ihre schlanken Beine und amüsierte sich, wenn die Männer Stielaugen bekamen, sobald sie ein Strumpfband entdeckten. Jetzt aber zupfte sie und war froh, als Erich den Aufbruch vorschlug.

Auf dem Hof bewunderte sie das mit Holzschindeln gedeckte Runddach über dem Brunnen. Sonst war der kleine Hof ohne Zierart, von einigen Büschen und eingefassten Blumenrabatten abgesehen. Erich öffnete eine Pforte in der westlichen Begrenzungsmauer, sie traten auf ein Holzpodest und stiegen einige Stufen zu einem bereitliegenden Kahn hinunter. Langsam ruderte er sie einmal um die gesamte Anlage, auch unter der Brücke hindurch. Von unten stellte sie sich den Anblick vor, wie sie darüber balanciert war. Unwillkürlich presste sie ihre Beine zusammen, da Erich ihr gegenüber saß. So konnte sie auch nicht die Enten streicheln, obwohl er sagte, sie würden es sich gefallen lassen .Sicher stimmte das gar nicht und er wollte nur ihre steife Figur etwas in Bewegung bringen. Sie ärgerte sich schon wieder über sich selbst. Hosen wären besser gewesen.

Sie legten am Ufer an und er half ihr galant aus dem schwankenden Kahn. Als er auf dem Waldweg seinen Arm um ihre Hüfte legte, hatte sie nichts einzuwenden. Warum auch. Es war sehr romantisch und erholsam, so durch den Wald zu wandern. Ohne den Arm wäre es nur erholsam gewesen.

Etwa eine dreiviertel Stunde mochten sie gelaufen sein, zuletzt über eine Wiese auf eine Anhöhe zu. Dort kehrten sie in eine Gastwirtschaft ein und wurden respektvoll gegrüßt. Für Gudrun fiel ein artiges „Guten Abend, gnädige Frau!“ ab. Das schmeichelte ihr und schläferte ihre Wachsamkeit ein. Wohl eher wegen des scharfen Schnapses, der zum Schinken gereicht wurde. So kam es, dass er sie gleich außerhalb des Hauses wieder lange küssen und fest an sich drücken konnte. Eng umschlungen gingen sie zurück. Es war schon dunkel, als sie den Kahn wieder erreichten. Sie war schließlich alt genug, dachte sie, immerhin fünfundzwanzig, modern eingestellt, unabhängig, selbständig und hatte Urlaub. Der hatte gerade erst angefangen. Und gar nicht zu schlecht.

 

Erich küsste sie, als er ihr aus dem Kahn heraushalf, er küsste sie, bevor er oben die Pforte aufsperrte, und er küsste sie erneut, als sie in der düsteren Halle standen. Erst dann drehte er die Beleuchtung an. Die Ahnen rings an den Wänden blickten sie emotionslos an. Kein Gruß, kein Willkommen, aber auch keine Feindseligkeit. Dann, als könne er Gedanken lesen, schob er sie in den Wintergarten und drückte sie in einen Sessel. Beim Schein der flackernden Buchenscheite saßen sie nebeneinander und hielten sich an den Händen. Gudrun war jetzt überzeugt, dass es ein Urlaub werden würde, wie sie ihn sich im Unterbewusstsein vorgestellt hatte: ruhig, erholsam und mit einer kleinen Liebelei gewürzt. Was interessierte sie Brigitta. Die musste jetzt allein irgendwo sitzen oder sich von Karl trösten lassen.

Das Holz war schon heruntergebrannt und sie fröstelte leicht, als sie plötzlich seine Hand auf ihrem Bein spürte. Wie kam die da hin? Sie musste auf der Hut sein, denn die Hand hatte Aufwärtstendenz und verfing sich bereits im Kleidersaum. Und wenn schon, dann nicht hier im Wintergarten. Sie stand deshalb auf und sagte, sie müsse ins Bett. Sie sagte es mehr so dahin als abweisend und sie gingen Händchen haltend die Treppe hinauf.

In der Galerie fragte sie ihn, warum seine Ahnen alle so hübsche Mädchen gewesen seien. Lachend antwortete er nur: „Kein Warum“, und verschloss ihren Mund mit einem Kuss. Dann machte er sich los und erklärte, dass er hier auf der Couch schlafen würde und wünschte ihr eine Gute Nacht.

Gudrun war erleichtert aber gleichzeitig auch etwas enttäuscht. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen zu einem letzten Kuss und verschwand im Ankleidezimmer. Sie war dankbar, dass sich die Türen nicht abschließen ließen, denn so war sie der Entscheidung: Auflassen oder Abschließen, enthoben. Im Urlaub sollte man die Dinge auf sich zukommen lassen.

Die Sachen legte sie wie immer ordentlich zusammen, zog das rosa Babydoll an, kroch unter die Decke und löschte das Licht mit einer Ziehschnur mit dicker Quaste.

In der Dunkelheit lauschte sie auf ihr Herz und überdachte den Tag. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie sich Erichs Besuch im Bett wünschen sollte oder nicht. Verschiedene unbekannte Geräusche im Haus ängstigten sie, erweckten aber auch eine eigenartige Spannung. Einmal wollte sie die Tür verbarrikadieren, dann wieder zu ihm ins Zimmer gehen. Mal sagte sie sich, dass der Urlaub ja gerade erst angefangen habe, mal meinte sie, dass er sicher viel zu kurz sei. Aber sie blieb liegen, unfähig sich zu rühren und vor allem auch zu ängstlich, um irgendein Körperteil außer der Nase, unter der Bettdecke vorschauen zu lassen. Schließlich schlief sie ein, wie eine Katze zusammengerollt.