Das Erbe der Macht - Band 24: Schattenkrieg

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Aus der Reihe: Das Erbe der Macht #24
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Das Erbe der Macht - Band 24: Schattenkrieg
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Table of Contents

Schattenkrieg

Was bisher geschah

Prolog

1. Die Herrin vom See

2. Erzählungen

3. Feuer und Blut

4. Armageddon

5. Das Wiedersehen

6. Zwei Wege

7. Das erste Ziel

8. Trümmer

9. Schatten einer Freundschaft

10. Enthüllung

11. Das erste Volk

12. Splittertod

13. Schwarze Flammen

14. Die Steppe der Ahnen

15. Die Festung der Einsamkeit

16. Kriegsgebiet

17. In Londons Schatten

18. Schatten und Blut

19. Rückschlag

20. Als der Morgen graute

21. Der Hass des Zauberers

22. Ein König, dessen Macht gebrochen

23. Die Zwillingsarmee

24. Ein Stab, zu führen

25. Eine Zeitbombe

26. Wo einst verloren

27. Im Schein des Blutes

28. Lebenslinie

29. Todesfluch

30. Der letzte Schritt

31. Im schwarzen Eis

32. Der letzte Sprung?

33. Ein Meer aus Schatten

34. Ein letztes Aufbegehren

35. Der letzte Ausweg

36. In der Liebe und im Krieg …

37. Ein letztes Leben, ein letzter Tod

38. Über die Grenze

39. Im Licht der alten Zeit

40. Vereinte Macht

41. Splitterzeit

42. Ein Wall aus Glück

43. Sieg und Niederlage

44. Hinter schwarzen Mauern

Epilog

Seriennews

Glossar

Impressum

Das Erbe der Macht

Band 24

»Schattenkrieg«

von Andreas Suchanek


Was bisher geschah

Die alte Ordnung ist gefallen.

Bran holt zum großen Schlag aus und fegt das Castillo, die Lichtkämpfer und Schattenkrieger hinweg. Hinter der Maske des Gegners von Leonardo und Johanna verbirgt sich in Wahrheit Merlin von Avalon, der im Onyxquader heranreifte, um mit der Macht vom Anbeginn das ewige Leben und die absolute Herrschaft zu erlangen.

Die Monolith-Reisenden Leonardo da Vinci, Grace Humiston, Clara Ashwell, Tomoe Gozen und Anne Bonny entdecken ein geheimnisvolles Splitterreich, das vollständig ausgestorben ist. Ein Mentiglobus enthüllt, dass eine große Anzahl Magier dem Untergang von Iria Kon entkommen konnte. Sie erbauten eine neue Zivilisation. Mit diesen Informationen setzen sie die Reise fort, gelangen zurück in die normale Welt … und landen mitten in einer Katastrophe.

Gemeinsam mit Kevin reist Alex in die Vergangenheit, denn in einer früheren Inkarnation traf Jen ein Fluch. Dieser wird nun aktiv und droht, sie zu töten. Im alten Venedig geling es ihnen, den Fluch zu lösen und sie finden den Essenzstab des absoluten Schutzes. Kevin bringt diesen mit zurück in die Gegenwart.

Merlin nimmt Nostradamus gefangen und tötet diesen, wodurch alle Essenzstäbe explodieren, die von ihm oder einem seiner Vorgänger angefertigt wurden.

Eine Katastrophe von gewaltigen Ausmaßen nimmt ihren Lauf.


Dickicht wich von Kraftschlägen getroffen beiseite, in der Ferne zwitscherten Vögel.

»Wo sind wir?«, fragte Patricia Ashwell.

Merlin machte sich nicht die Mühe, ihr zu antworten. Viel zu sehr war er in seine Erinnerungen vertieft. Die vertraute Erde, der Duft der Wälder, Gesteine und Moose. Mit Absicht hatte er diesen Fleck der Welt gemieden, allen vorgegaukelt, wie nutzlos er war.

Hinter ihm führte Patricia einen schnellen Lokalisierungszauber durch. »Das ist Nordamerika.«

Vor ihnen erschien jener Platz, an dem es zum letzten Mal geöffnet worden war. »Hier habe ich vor langer Zeit ein Spiel gewagt. Die Unsterblichen führten hier das Ritual durch, um Nagi Tanka im Körper von Piero in das entfernteste Splitterreich der Existenz zu verbannen. Sie wussten nicht, dass ich es so wollte.«

»Ich kenne die Geschichtslektüre zu den Splitterreichen der Ferne«, bewies Patricia erneut ihr Wissen. »Sie waren mit der Erschaffung des Walls nicht länger erreichbar. War das eine Lüge?«

»Die Informationen sind korrekt.«

Sie erreichten das Zentrum des magischen Kreises. Vor sich sah er sie alle, die Feinde von damals. Johanna von Orleans, Leonardo da Vinci, Kleopatra, Johannes Fugger und Sir William Wallace. Nicht zu vergessen Cixi, die zum Zeitpunkt des Rituals jedoch nicht mehr am Leben gewesen war. Der Strudel hatte Piero mitgetragen, am Ziel angekommen, war er in einen der Särge gelegt worden.

»Was tun wir dann hier?« Patricia sah sich mit abschätzigen Blicken um. Sie mochte die Wildnis nicht, liebte die Struktur des Überschaubaren.

»Die Rebellen sind durch die Vernichtung ihrer Essenzstäbe mit sich selbst beschäftigt«, erklärte Merlin. »Dadurch kann ich den letzten Schritt in meinem Plan einleiten. Ich ruhte im Onyxquader, der Wall war meine Idee. Somit war mir klar, dass die äußersten Splitterreiche nicht mehr erreichbar sein würden.«

Patricia lächelte. »Du hast Maßnahmen ergriffen.«

»Ein Zauber, den ich an den Särgen verankert habe. Um ihn zu erhalten und so zu verknüpfen, dass er jederzeit funktioniert, benötigte ich nur eine Erdung. Den stärksten Anker, den ich erschaffen konnte.« Ein triumphierendes Lächeln konnte er sich nicht verkneifen.

In einer fließenden Bewegung ließ er seine Arme durch die Luft wirbeln, schuf lautlos einen Zauber. Mit der Macht des Walls griff er nach der Apparatur unter Paris, das erste Kettenglied. Insgesamt vier Verbindungen existierten, sie reichten hinaus zu Splitterreichen, in denen er identische Konstruktionen hinterlassen hatte. Auf diese Art entstanden Ketten, die sich mit dem Ursprung verbanden – den Särgen in der Burg.

»Ich weiß, dass du es bemerkst«, flüsterte er an seine Gegenspielerin gerichtet. »Doch du kannst mich nicht aufhalten.«

 

Die Herrin vom See lag auf der Lauer. Sie hatte all ihre Kraft darauf verwendet, die Särge zu finden.

Merlin sandte chaotische Magie durch die Verbindung und riss die Sarkophage aus Stein aus der Burg hierher in die Welt. Als der letzte die Burg verließ, verging das entfernteste Splitterreich. Schockwellen rasten durch die magischen Ankerlinien und vernichteten die Apparatur unter Paris. Eine gewaltige Explosion zerriss Noxanith, Hexenholz und die Edelsteine.

Doch er achtete sorgsam darauf, keinen Fehler zu begehen. Die Magie enthüllte ihm lediglich, wo der erste Sarg angekommen war, und selbst dieses Ziel war nicht mit einem Sprung direkt erreichbar. Gegen die Macht der Herrin vom See, das Schicksal graduell zu verändern, konnte er auch mit dem Wall nicht konkurrieren. Da sie nicht sehen konnte, wo ihr Ziel sich befand, die genutzte Magie chaotisch war, konnte sie keine Veränderung wirken.

»Erneut habe ich dich ausgetrickst.« Zufrieden ließ er die Magie zerfasern. »Es ist geschafft. Begeben wir uns zum Anfang. Alle Dominosteine wurden platziert.« Er blickte zum Horizont. »Und der erste ist soeben gefallen.«


Sie hatten ihr Ziel erreicht.

Der Monolith hatte wieder feste Form angenommen, nachdem er Clara, Anne, Tomoe, Grace und ihn hierher getragen hatte. Doch Leonardo war zu verblüfft über die Personen im Eingangsbereich des Kellerraums, als dass er der Umgebung darüber hinaus Beachtung schenkte.

War Einstein etwa ebenfalls Teil der neuen Ordnung? Nicht anders war es zu erklären, dass er neben Chloe O’Sullivan stand, die schuldbewusst seinen Blick erwiderte.

Doch was Leonardo noch mehr zu schaffen machte, war die Person, die er hier am wenigsten erwartet hatte. Jemand, den er in den letzten Monaten vergessen hatte. Von jenem Zeitpunkt an, als der Onyxquader zerbrochen war, hatte er sie nicht mehr gesehen.

»Was geht hier vor?«, fragte er.

Die Antwort kam als Explosion, die ihn zur Seite schleuderte. In einem Moment stand er noch, im nächsten lag er am Boden. Feuerflammen erblühten, in seinen Ohren klingelte es. Seine Hüfte brannte wie Feuer.

»Die Essenzstäbe sind explodiert!«, rief Chloe.

Leonardo stöhnte. Blut verklebte seine Augen. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Grace lag mit dem Rücken zu ihm, hatte ihren Essenzstab gerade wieder wegstecken wollen. Wo ihr rechter Arm gewesen war, gab es nur noch einen blutigen Stumpf. Die Hitze hatte die Blutgefäße verschlossen, sonst wäre sie innerhalb der nächsten Sekunden gestorben.

Weniger Glück hatte Anne gehabt. Ihr Essenzstab war mit dem Säbel verbunden, die Eisenschrapnelle hatten ihren Oberkörper perforiert. Das Blut tränkte bereits ihr weißes Hemd.

»Stabilisiere sie«, befahl die Frau, die Leonardo hier nicht erwartet hatte.

»Wie?! Ich habe keinen Essenzstab mehr.« Chloe kauerte bereits neben Clara und untersuchte die bewusstlose Freundin.

Irgendwo hinter ihm stöhnte Tomoe auf. Gut. Das bedeutete, sie war nicht tot.

Einstein ging neben Leonardo in die Knie. »Es freut mich, dich zu sehen, mein Freund. Nun ja, die Umstände lassen zu wünschen übrig. Nun weiß ich jedenfalls, weshalb mein Essenzstab nicht mit mir aus der Bühne zurückgekehrt ist. Da dürfte die Archivarin ihre Hand im Spiel gehabt haben.«

Der besorgte Blick, mit dem Albert einen Punkt an Leonardos Hüfte musterte, ließ Schlimmstes erahnen. Im Verlauf seines Lebens hatte es oft übel ausgesehen, manchmal war Leonardo dem Tod nur knapp vom Essenzstab gesprungen. Der war allerdings bisher auch niemals explodiert.

»Ihr Puls ist weg!«, schrie Chloe in einem Anflug von Panik. »Clara!« Sie begann mit einer Herzmassage.

»Wie ich so schön sage, Zeit ist relativ.« Einsteins Finger flogen durch die Luft. »Zurücktreten, Miss O’Sullivan, wenn ich bitten darf. Tempus tardius, tempus reversus.«

Die magischen Symbole in der Luft zerfielen und regneten als feines Flimmern auf Clara herab.

»Damit vergeht die Zeit langsamer für sie«, erklärte Albert. »Leider hält meine Essenz das nicht lange durch.«

»Ich kümmere mich um Grace.« Chloe wiederholte den Zauber, hatte sich die Symbole offensichtlich eingeprägt.

Die Welt versank in nebulösen Schatten. Weit entfernt erklang ein Geräusch, wie ein Singen aus tausend Kehlen. Leonardo wusste, was das bedeutete.

»Das Opernhaus«, flüsterte er.

Zeit verstrich. Minuten oder Stunden, er konnte es nicht mehr sagen. Die Dunkelheit verschwand irgendwann und machte einer angenehmen Kühle Platz.

»Bleib liegen, deine Hüfte wächst gerade nach.«

»Wenigstens sind wir genau bei der richtigen Person für Verletzungen gelandet.« Er lächelte Teresa zu, nur um sich verwirrt aufzurichten. »Wo bin ich?«

»Chloe, Albert und ich haben dich hier hochgetragen«, erwiderte die ehemalige Oberste Heilmagierin des Castillos.

Sie befanden sich in einem gemütlichen Wohnzimmer. Durch eine breite Fensterfront erblickte Leonardo das nahe Meer, Sonnenlicht fiel herein. An den Wänden hingen Gemälde unterschiedlicher Epochen, der Schreibtisch war befüllt mit vergilbtem Papier. In einer Vitrine schwebte eine Rüstung.

»Es war knapp«, sagte Tomoe.

Sie saß ihm gegenüber auf der Couch, neben ihr Clara Ashwell. Auf einem umgedrehten Stuhl, die Arme über der Lehne verschränkt, saß Chloe O’Sullivan.

»Wo sind Anne und Grace?«, fragte er.

»Ich musste einen Heilkreis erschaffen. Ihre Verletzungen sind so schwer, dass es einige Tage dauern wird, bis die beiden wieder erwachen«, erklärte Teresa.

Leonardo nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis. Seine Hüfte schmerzte, als er sich in eine sitzende Position bewegte. »Wie ist das möglich? Wer bist du wirklich?«

Teresa blieb stehen und verschränkte die Arme. »Jemand, der heilen möchte.«

»Sie ist die Herrin vom See«, warf Chloe ein. »Beschleunigen wir das Ganze doch ein wenig.«

Albert kam mit einem Tablett herein, auf dem Tassen mit Tee und Kaffee standen. »Manche Dinge – darunter vorlaute Menschen – ändern sich wohl nie.« Er zwinkerte Chloe zu.

»Und du bist augenscheinlich nicht mehr Merlins Helferin.« Leonardo betrachtete sie von oben bis unten.

Chloe berichtete von dem Ritual, das ihre gute Seite aus der Zeit vor dem Pakt des falschen Glücks von jener aus der Zeit danach aufgespalten hatte. Sie hatte über ihr böses Ich triumphiert, doch am Ende war Merlin aufgetaucht und hatte sie in eine Schlucht geworfen.

»Ich wäre gestorben, wenn …«

»… das Schicksal nicht ein wenig gebogen worden wäre«, fiel ihr nun Teresa ins Wort. »Sagen wir einfach, es ist meine ganz spezielle Gabe. Hier und da vermag ich einzugreifen und einen Faden im Geflecht der großen Weberin anzupassen.« Sie lächelte sphinxhaft. »Eine Magierin wird zur Springerin. Eine andere überlebt einen schrecklichen Sturz. Im Castillo war ich Oberste Heilmagierin, doch davon wusste niemand mehr.«

Es dauerte eine Weile, bis Leonardo die Worte begriff. Und es stimmte: Von dem Augenblick an, als der Onyxquader zerbrochen war, hatte er Teresa nicht mehr gesehen, nichts von ihr gehört. Ja, er hatte keine Erinnerung mehr an sie gehabt. Stattdessen hatten alle nur noch von der Obersten Heilmagierin gesprochen – der neuen –, als wäre diese schon immer da gewesen.

»Wieso erinnere ich mich?«, fragte er.

»Weil ich euch allen hier an meinen Erinnerungen, meinem Schicksal teilhaben lasse«, erklärte sie. »Für den Rest der Welt war ich nie Teil des Spiels. Sieht man von den vier Trägern des alten Paktes ab. Veränderungen haben auf jene keine Auswirkung, ihre Erinnerungen bleiben unangetastet.«

Was nicht viel geholfen hatte.

Alexander Kent war dank Johanna ein Nimag ohne Magie gewesen und Jenifer Danvers damit beschäftigt, ihn zurückzuholen. Selbst die Unsterblichen waren also nicht gegen eine Schicksalsalternierung gefeit.

»Wieso hast du nicht einfach dafür gesorgt, dass der Wall nie entstand?!« Leonardo hätte sofort gewusst, wie er eine derartige Macht einsetzen würde. »Oder tust es jetzt?«

»So einfach ist das nicht.« Mit ihrem grau melierten schwarzen Haar, das zu einem Dutt gebunden war, wirkte Teresa wie eine elegante, aber strenge Gouvernante. »Wenn ich zu stark eingreife, zerreißt das Gewebe des Schicksals. Das wäre das Ende von allem. Es sind nur winzige Fäden, denen ich einen neuen Platz geben darf.«

»Chloes ins Leben zurückzuholen, war sicher kein kleiner Faden«, merkte Clara an.

»Ich habe ihren Tod verhindert, das ist etwas anderes«, stellte Teresa klar.

»Und welcher Magierin hast du die Fähigkeit zum Springen verliehen?«, hakte Leonardo nach.

»Madison Sinclair«, beantwortete sie bereitwillig.

»Wozu?«

»Ich kann die Zukunft nicht sehen«, erklärte sie. »Es sind lediglich Muster, die ich beeinflusse. Was daraus wird, kann ich oftmals selbst nur erahnen.«

Der Schmerz ließ langsam nach und Leonardo stellte erfreut fest, dass seine Hüfte so gut wie neu war. »Also schön. Erzähl es uns. Ich will alles wissen.«

Und sie berichtete.


Die Geschichte – meine Geschichte – begann vor so langer Zeit, dass ich die Anfänge selbst vergessen habe.« Teresa lächelte versonnen. »Damals nannten sie mich Herrin vom See, in den Generationen darauf folgten andere Bezeichnungen. Obgleich ich niemals alterte, lebte ich doch nicht von Gnaden der Zitadelle.«

Instinktiv nahm Leonardo sich eine Kaffeetasse vom Tablett, obwohl er lieber etwas Stärkeres gehabt hätte. »Woher kam die Langlebigkeit dann?«

»Morgana war die erste Unsterbliche, Merlin der erste Magier des neuen Morgens. Mein Ursprung liegt davor. Aber das ist unwichtig. Letztlich war es die Zitadelle, die den Anbeginn zurücktrieb und mit der Waffe, geschmiedet in den Feuern der alten Götzen, erschufen wir Stabilität. Uther Pendragon war der Erste, sein Sohn Artus baute Camelot zu einem gewaltigen Reich aus. Damals legten wir alle große Hoffnung in ihn und übersahen, dass Merlin sich der Dunkelheit zuwandte.«

»Wodurch erstmals der Pakt des falschen Glücks geschlossen wurde«, warf Einstein ein. Auf die verblüfften Blicke Leonardos hin ergänzte er: »Die Archivarin hat mich in der Bühne besucht und es mir erzählt.«

»Wir standen erneut vor dem Ende. Um die Flamme des Schicksals zu stabilisieren und damit auch die Zitadelle, wurde der Pakt geschlossen, der heute Alexander Kent, Jennifer Danvers, Mordred und die Namenlose verbindet.« Teresa lächelte. »Als er damals zum ersten Mal im Castillo auftauchte, wusste ich, dass die beiden am Ende zueinanderfinden würden. Sie haben sich auch in früheren Inkarnationen ständig angebrüllt und sind dann übereinander hergefallen.«

Clara schmunzelte.

»Weiter«, verlangte Leonardo.

»Mäßige deinen Ton.« In Teresas Augen erschien etwas Uraltes, Ursprüngliches, das ihn bis in die Fasern erschütterte. »Meine Macht gewährt viele Möglichkeiten, doch ebensolche Beschränkungen. Merlin hat lange nach dem Onyxquader gesucht, der einst Kelch und Lade war und so viel mehr. Dabei verbarg er sich vor meinem Blick und die alten Kreaturen sorgten dafür, dass sein Faden aus dem Gewebe des Schicksals verschwand.«

Leonardo hatte das Gefühl, auf ein gewaltiges Schachspiel zu blicken, das über Zeiten hinweg von zwei Seiten gespielt worden war. Der Anbeginn gegen die Zitadelle. Sie wussten so wenig über beide. »Es lag mir fern, dich zu beleidigen.«

Sie überging seinen Kommentar. »Was er tat, blieb jedoch nicht verborgen. Merlin setzte alles daran, vier Wesen zu schaffen. Bösartig, gebunden an etwas, das die Wirklichkeit selbst zu zerfetzen vermag.«

»Piero«, flüsterte Leonardo.

Allein der Name seines Sohnes riss die alte Wunde erneut auf.

»Auch«, bestätigte Teresa. »Ich begreife es noch nicht zur Gänze, aber sie spielen eine Rolle. Seine Schatten, dazu ausersehen, den Krieg auf eine gänzlich neue Ebene zu tragen. Mit ihnen …«

»Was will er denn noch?!« Chloes Finger hatten sich so fest um die Stuhllehne geschlossen, dass es Leonardo nicht gewundert hätte, wäre das Holz gebrochen. »Jeder auf Iria Kon ist ihm hörig, die Unsterblichen werden auf der ganzen Welt gejagt und in den Immortalis-Kerker geworfen. Er kontrolliert die Sprungportale und kann selbst innerhalb von Sekunden überall sein. Oh, und seine Zauber spricht er lautlos, mit der Macht des Walls hinter sich!«

 

Diese Zusammenfassung ließ sogar etwas der unerschöpflichen Energie Einsteins aus dessen Blick verschwinden.

»Ist das nicht offensichtlich?«, fragte Teresa. »Der Anbeginn hat Merlin positioniert, damit dieser dessen Rückkehr ermöglicht. Beide haben ein bestimmtes Ziel.«

»Sie wollen, dass die Zitadelle fällt«, sagte Clara. »Alle Ereignisse führen auf dieses Ziel hin.«

»Aber das ist lächerlich.« Tomoe hatte bisher still auf ihrem Platz gesessen, bewegungslos wie eine Statue. »Merlin besitzt die Macht des Walls, aber der Wall wurde von der Zitadelle initiiert. Er kann sie nicht zu Fall bringen. Und was den Anbeginn betrifft … Wir wissen nichts darüber – oder fast nichts –, aber die alten Wesen haben den Krieg damals verloren.«

Alle Augen richteten sich auf Teresa.

»Doch ihre Nester sind noch überall zu finden«, sprach diese nach Sekunden der Stille. »Die Nutzung der Artefakte wurde stärker, sie sind weiter verteilt denn je.«

»Aber was können wir …?« Leonardo stoppte, als ein mit Bruchstellen übersäter Bergkristall auf dem Tisch rot leuchtete.

Teresa eilte dorthin, nahm ihn auf und schloss die Augen. Sekunden später riss sie diese wieder auf. »Es war keine Attacke auf euch allein. Ich dachte, dass Merlin gezielt die Monolith-Reisenden anvisiert hat, weil ihr seine Geheimnisse aufdeckt. Aber das ist falsch.«

Es dauerte einen Augenblick, bis Leonardo ihre Worte zuordnen konnte. »Die Essenzstäbe!« Er sprang auf. »Es sind mehr als nur unsere?«

Teresa antwortete nicht, doch in ihrem Gesicht arbeitete es. »Es gibt nur eine Möglichkeit, sie alle zu zerstören. Der Stabmacher. Er hat Nostradamus getötet.«

Tomoe erhob sich geschmeidig. »Damit wären alle betroffen, die einen seiner Stäbe tragen.«

»Möglicherweise sogar noch mehr«, flüsterte Teresa.

»Wir müssen in die Zuflucht!«, rief Chloe.

»Ich packe ein paar Dinge zusammen, haltet euch bereit.« Damit verschwand die Herrin vom See aus dem Raum.

»Was ist während unserer Abwesenheit geschehen?«, fragte Leonardo. »Welche Zuflucht?«

Chloe berichtete ihm von dem springenden Castillo, in das sich die Rebellen gegen die neue Ordnung zurückgezogen hatten. Und von den Toten der Blutnacht. Selbst Tomoe hatte nicht alle Einzelheiten gekannt, war sie doch aus Frankfurt geflohen, bevor die Reise ihren Anfang genommen hatte.

Die Wucht der Namen traf Leonardo. Die Grants hatten Schreckliches erlebt, so viele treue Kämpfer verbrannt in einem einzigen Zauber.

»Deshalb hat er die Unsterblichen alle in den Immortalis-Kerker gesteckt«, sagte Clara leise. »Auf diese Weise schickt die Zitadelle niemand neuen. Nostradamus war da wohl eine Ausnahme, weil sein Tod Merlin von Nutzen war.«

Mit einem gewaltigen Koffer kehrte Teresa zurück in das Zimmer. In einem freien Bereich des Raums zeichnete sie mit dem Finger magische Symbole auf die Bodendielen. Ein Kreis entstand.

»Tretet bitte ein.« Sie winkte hektisch. »Los, los.«

»Was ist mit Grace und Anne?«, fragte Tomoe.

»Denen passiert nichts«, erwiderte Teresa. »Das Haus ist besser gesichert als jede Festung, die du in deinem langen Leben kennengelernt hast. Außerdem ist es unter einer Illusionierung verborgen. Die beiden werden in ein paar Tagen ohne Kratzer aufwachen.«

Endlich befanden sich alle innerhalb des Kreises.

»Was wird das?«, fragte Leonardo. »Ich habe diese Symbole noch nie gesehen.«

»Lass dich überraschen. Benötigt viel Essenz, funktioniert aber tadellos.« Teresa ließ ihre Gelenke knacken. »Man braucht eine Richtung und vorzugsweise eine exakte Vorstellung des Ziels, andernfalls kann es gehörig danebengehen.« Sie hob ihre Hand. Die Flammen der Essenzsymbole loderten auf Hüfthöhe. »Es ist ein Sprungkreis.«

Leonardo erinnerte sich an die längst vergangene Zeit, als sie noch mit ähnlichen Kreisen gereist waren. Hierfür waren Artefakte vom Anbeginn zum Einsatz gekommen und die Nebeneffekte hatten den Beipackzettel jedes Medikaments in den Schatten gestellt.

Bevor er eine entsprechende Frage stellen konnte, führte Teresa den Zauber aus.

»Corpus Disparere. Corpus Aportate.«

Die Umgebung wurde durchsichtig, wie ein Fernsehbild, das von einem anderen überlagert wurde.

Sie erschienen inmitten von Chaos, Blut und Tod.