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Buch lesen: «Ansichten der Natur», Seite 6

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Diesen und so manchen anderen Naturgenuß entbehren die nordischen Völker. Viele Gestirne und viele Pflanzenformen, von diesen gerade die schönsten (Palmen, hochstämmige Farren und Pisanggewächse, baumartige Gräser und feingefiederte Mimosen), bleiben ihnen ewig unbekannt. Die krankenden Gewächse, welche unsere Treibhäuser einschließen, gewähren nur ein schwaches Bild von der Majestät der Tropenvegetation. Aber in der Ausbildung unserer Sprache, in der glühenden Phantasie des Dichters, in der darstellenden Kunst der Maler ist eine reiche Quelle des Ersatzes geöffnet. Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft die lebendigen Bilder einer exotischen Natur. Im kalten Norden, in der öden Heide kann der einsame Mensch sich aneignen, was in den fernsten Erdstrichen erforscht wird, und so in seinem Innern eine Welt sich schaffen, welche das Werk seines Geistes, frei und unvergänglich wie dieser, ist.

Über den Bau und die Wirkungsart der Vulkane in den verschiedenen Erdstrichen

(Diese Abhandlung wurde gelesen in der öffentlichen Versammlung der Akademie zu Berlin den 24. Jan. 1823.)

Wenn man den Einfluß betrachtet, welchen seit Jahrhunderten die erweiterte Erdkunde und wissenschaftliche Reisen in entfernte Regionen auf das Studium der Natur ausgeübt haben, so erkennt man bald, wie verschiedenartig derselbe gewesen ist, je nachdem die Untersuchung auf die Formen der organischen Welt oder auf das tote Erdgebilde, auf die Kenntnis der Felsarten, ihr relatives Alter und ihre Entstehung gerichtet war. Andere Gestalten von Pflanzen und Tieren beleben die Erde in jeglicher Zone: sei es wo in der meergleichen Ebene die Wärme des Luftkreises nach der geographischen Breite und den mannigfaltigen Krümmungen der isothermen Linien oder wo sie fast scheitelrecht, an dem steilen Abhange der Gebirgsketten, wechselt. Die organische Natur gibt jedem Erdstrich seinen eigenen physiognomischen Charakter; nicht so die unorganische, da wo die feste Rinde des Erdkörpers von der Pflanzendecke entblößt ist. Dieselben Gebirgsarten, wie gruppenweise sich anziehend und abstoßend, erscheinen in beiden Hemisphären vom Äquator an bis zu den Polen hin. In einem fernen Eilande, von fremdartigen Gewächsen umgeben, unter einem Himmel, wo nicht mehr die alten Sterne leuchten, erkennt oft der Seefahrer, freudig erstaunt, den heimischen Tonschiefer, die wohlbekannte Gebirgsart des Vaterlandes.

Diese Unabhängigkeit der geognostischen Verhältnisse von der gegenwärtigen Konstitution der Klimate mindert nicht den wohltätigen Einfluß, welchen zahlreiche, in fremden Weltgegenden angestellte Beobachtungen auf die Fortschritte der Gebirgskunde und der physikalischen Geognosie ausüben; sie gibt diesen Wissenschaften eine eigentümliche Richtung. Jede Expedition bereichert die Naturkunde mit neuen Pflanzen- und Tiergattungen. Bald sind es organische Formen, die sich an längst bekannte Typen anreihen und uns das regelmäßig gewebte, oft scheinbar unterbrochene Netz belebter Naturbildungen in seiner ursprünglichen Vollkommenheit darstellen, bald sind es Bildungen, welche isoliert auftreten, als entkommene Reste untergegangener Geschlechter oder als unbekannte, Erwartung erregende Glieder noch zu entdeckender Gruppen. Eine solche Mannigfaltigkeit gewährt freilich nicht die Untersuchung der festen Erdrinde. Sie offenbart uns vielmehr eine Übereinstimmung in den Gemengteilen, in der Auflagerung verschiedenartiger Massen und in ihrer periodischen Wiederkehr, welche die Bewunderung des Geognosten erregt. In der Andeskette wie in dem Zentralgebirge Europas scheint eine Formation gleichsam die andere herbeizurufen. Gleichnamige Massen gestalten sich zu ähnlichen Formen: in Zwillingsberge Basalt und Dolerit, als prallige Felswände Dolomit, Quadersandstein und Porphyr, zu Glocken oder hochgewölbten Domen der glasige, feldspatreiche Trachyt. In den entferntesten Zonen sondern sich gleichartig, wie durch innere Entwickelung, größere Kristalle aus dem dichten Gewebe der Grundmassen ab, umhüllen einander, treten in untergeordnete Lager zusammen und verkündigen oft als solche die Nähe einer neuen, unabhängigen Formation. So spiegelt sich, mehr oder minder klar, in jedem Gebirge von beträchtlicher Ausdehnung die ganze unorganische Welt; doch um die wichtigen Erscheinungen der Zusammensetzung, des relativen Alters und der Entstehung der Gebirgsarten vollständig zu erkennen, müssen Beobachtungen aus den verschiedensten Erdstrichen miteinander verglichen werden. Probleme, die dem Geognosten lange in seiner nordischen Heimat rätselhaft geschienen, finden ihre Lösung nahe am Äquator. Wenn die fernen Zonen, wie schon oben bemerkt ward, uns nicht neue Gebirgsarten liefern, d. h. unbekannte Gruppierungen einfacher Stoffe, so lehren sie uns dagegen die großen, überall gleichen Gesetze enthüllen, nach denen die Schichten der Erdrinde sich wechselseitig tragen, sich gangartig durchbrechen oder durch elastische Kräfte gehoben werden.

Bei dem eben geschilderten Gewinn, den das geognostische Wissen aus Untersuchungen zieht, welche große Länderstrecken umfassen, darf es uns nicht befremden, daß eine Klasse von Erscheinungen, die ich hier vorzugsweise behandle, lange um so einseitiger betrachtet worden ist, als die Vergleichungspunkte schwieriger, man könnte fast sagen mühevoller, aufzufinden waren. Was man bis gegen das Ende des verflossenen Jahrhunderts von der Gestalt der Vulkane und dem Wirken ihrer unterirdischen Kräfte zu wissen glaubte, war von zwei Bergen des südlichen Italiens, dem Vesuv und dem Ätna, hergenommen. Da der erste zugänglicher ist und (wie fast alle niedrigen Vulkane) häufiger auswirft, so hat ein Hügel gleichsam zum Typus gedient, nach welchem man sich eine ganze ferne Welt, die mächtigen aneinandergereihten Vulkane von Mexiko, Südamerika und den asiatischen Inseln, gebildet dachte. Ein solches Verfahren mußte mit Recht an Virgils Hirten erinnern, welcher in seiner engen Hütte das Vorbild der Ewigen Stadt, des königlichen Roms, zu sehen wähnte.

Allerdings hätte eine sorgfältigere Untersuchung des ganzen Mittelmeeres, besonders der östlichen Inseln und Küstenländer, wo die Menschheit zuerst zu geistiger Kultur und edleren Gefühlen erwachte, eine so einseitige Naturansicht vernichten können. Aus dem tiefen Meeresgrunde haben sich hier, unter den Sporaden, Trachytfelsen zu Inseln erhoben: dem azorischen Eilande ähnlich, das in drei Jahrhunderten dreimal, fast in gleichen Zeitabständen, periodisch erschienen ist. Zwischen Epidaurus und Trözene, bei Methone, hat der Peloponnes einen Monte nuovo, den Strabo beschrieben und Dodwell wieder gesehen hat: höher als der Monte nuovo der Phlegräischen Felder bei Bajä, vielleicht selbst höher als der neue Vulkan von Xorullo in den mexikanischen Ebenen, welchen ich von mehreren tausend kleinen, aus der Erde herausgeschobenen, noch gegenwärtig rauchenden Basaltkegeln umringt gefunden habe. Auch im Becken des Mittelmeeres bricht das vulkanische Feuer nicht bloß aus permanenten Kratern, aus isolierten Bergen aus, die eine dauernde Verbindung mit dem Inneren der Erde haben: wie Stromboli, der Vesuv und der Ätna. Auf Ischia am Epomäus und, wie es nach den Berichten der Alten scheint, auch in der Lelantischen Ebene bei Chalkis sind Laven aus Erdspalten geflossen, die sich plötzlich geöffnet haben. Neben diesen Erscheinungen, welche in die historische Zeit, in das enge Gebiet sicherer Traditionen fallen und welche Carl Ritter in seiner meisterhaften Erdkunde sammeln und erläutern wird, enthalten die Küsten des Mittelmeeres noch mannigfaltige Reste älterer Feuerwirkung. Das südliche Frankreich zeigt uns in der Auvergne ein eigenes geschlossenes System aneinandergereiheter Vulkane: Trachytglocken, abwechselnd mit Auswurfskegeln, aus denen Lavaströme bandförmig sich ergießen. Die lombardische seegleiche Ebene, welche den innersten Busen des Adriatischen Meeres bildet, umschließt den Trachyt der Euganeischen Hügel, wo Dome von körnigem Trachyt, von Obsidian und Perlstein sich erheben: drei auseinander sich entwickelnde Massen, welche die untere Kreide und den Nummuliten-Kalk durchbrechen, aber nie in schmalen Strömen geflossen sind. Ähnliche Zeugen alter Erdrevolutionen findet man in vielen Teilen des griechischen Kontinents und in Vorderasien, Ländern, welche dem Geognosten einst reichen Stoff zu Untersuchungen darbieten werden, wenn das Licht dahin zurückkehrt, von wo es zuerst über die westliche Welt gestrahlt, wenn die gequälte Menschheit nicht mehr der wilden Barbarei der Osmanen erliegt.

Ich erinnere an die geographische Nähe so mannigfaltiger Erscheinungen, um zu bewähren, daß der Kessel des Mittelmeeres mit seinen Inselreihen dem aufmerksamen Beobachter alles hätte darbieten können, was neuerlichst unter mannigfaltigen Formen und Bildungen in Südamerika, auf Teneriffa, oder in den Alëuten, der Polargegend nahe, entdeckt worden ist. Die Gegenstände der Beobachtungen fanden sich allerdings zusammengedrängt; aber Reisen in ferne Klimate, Vergleichungen großer Länderstriche in und außerhalb Europa waren nötig, um das Gemeinsame der vulkanischen Erscheinungen und ihre Abhängigkeit voneinander klar zu erkennen.

Der Sprachgebrauch, welcher oft den ersten irrigen Ansichten der Dinge Dauer und Ansehen verleiht, oft aber auch instinktmäßig das Wahre bezeichnet –, der Sprachgebrauch nennt vulkanisch: alle Ausbrüche unterirdischen Feuers und geschmolzener Materien; Rauch- und Dampfsäulen, die sporadisch aus den Felsen aufsteigen, wie bei Colares nach dem großen Erdbeben von Lissabon; Salsen oder feuchten Kot, Asphalt und Hydrogen auswerfende Lettenkegel, wie bei Girgenti in Sizilien und bei Turbaco in Südamerika; heiße Geiser-Quellen, die, von elastischen Dämpfen gedrückt, sich erheben; ja im allgemeinen alle Wirkungen wilder Naturkräfte, welche ihren Sitz tief im Innern unseres Planeten haben. In Mittelamerika (Guatemala) und auf den Philippinischen Inseln unterscheiden die Eingeborenen sogar förmlich zwischen Wasser- und Feuer-Vulkanen, Volcanes de agua y de fuego. Mit dem ersteren Namen bezeichnen sie Berge, aus welchen bei heftigen Erdstößen und mit dumpfem Krachen, von Zeit zu Zeit, unterirdische Wasser ausbrechen.

Ohne den Zusammenhang der soeben genannten Phänomene zu leugnen, scheint es doch ratsam, dem physischen wie dem oryktognostischen Teile der Geognosie eine bestimmtere Sprache zu geben und mit dem Worte Vulkan nicht bald einen Berg zu bezeichnen, der sich in einen permanenten Feuerschlund endigt, bald jegliche unterirdische Ursache vulkanischer Erscheinungen. Im gegenwärtigen Zustande der Erde ist freilich in allen Weltteilen die Form isolierter Kegelberge (die des Vesuvs, des Ätna, des Pics von Teneriffa, des Tunguragua und Cotopaxi) die gewöhnlichste Form der Vulkane; ich habe sie von dem niedrigsten Hügel bis zu 18 000 Fuß Höhe über der Meeresfläche anwachsen sehen. Aber neben diesen Kegelbergen findet man auch permanente Feuerschlünde, bleibende Kommunikationen mit dem Inneren der Erde, auf langgedehnten zackigen Rücken, und zwar nicht einmal immer in der Mitte ihrer mauerartigen Gipfel, sondern am Ende derselben, gegen den Abfall hin: so der Pichincha, der sich zwischen der Südsee und der Stadt Quito erhebt, und den Bouguers früheste Barometerformeln berühmt gemacht haben; so die Vulkane, welche in der zehntausend Fuß hohen Steppe de los Pastos sich erheben. Alle diese Gipfel von mannigfaltigen Gestalten bestehen aus Trachyt, einst Trapp-Porphyr genannt: einem körnigen, rissig-zerklüfteten Gesteine, zusammengesetzt aus Feldspatarten (Labrador, Oligoklas, Albit), Augit, Hornblende und bisweilen eingemengtem Glimmer, ja selbst Quarz. Wo die Zeugen des ersten Ausbruchs, ich möchte sagen das alte Gerüste, sich vollständig erhalten haben, da umgibt die isolierten Kegelberge zirkusartig eine hohe Felsmauer, ein Mantel, aus aufgelagerten Schichten zusammengesetzt. Solche Mauern oder ringförmige Umgebungen heißen Erhebungskrater: eine große, wichtige Erscheinung, über welche der erste Geognost unserer Zeit, Leopold von Buch, dessen Schriften ich auch in dieser Abhandlung mehrere Ansichten entlehne, unserer Akademie vor fünf Jahren eine so denkwürdige Abhandlung vorgelegt hat.

Mit dem Luftkreise durch Feuerschlünde kommunizierende Vulkane, konische Basalthügel und glockenförmige, kraterlose Trachytberge: letztere bald niedrig, wie der Sarcouy, bald hoch, wie der Chimborazo, bilden mannigfaltige Gruppen. Bald zeigt uns die vergleichende Erdkunde kleine Archipele, gleichsam geschlossene Bergsysteme, mit Krater und Lavaströmen in den Kanarischen Inseln und den Azoren, ohne Krater und ohne eigentliche Lavaströme in den Euganeen und dem Siebengebirge bei Bonn; bald beschreibt sie uns Vulkane, in einfachen oder doppelten Ketten aneinandergereiht, viele hundert Meilen lange Züge, entweder der Hauptrichtung der Gebirge parallel, wie in Guatemala, in Peru und Java, oder die Axe der Gebirge senkrecht durchschneidend, wie im tropischen Mexiko. In diesem Lande der Azteken erreichen feuerspeiende Trachytberge allein die hohe Schneegrenze und folgen einem Breitenkreise, wahrscheinlich auf einer Kluft ausgebrochen, die in einer Ausdehnung von 105 geographischen Meilen den ganzen Kontinent, vom Stillen Meer bis zum Atlantischen Ozean, durchschneidet.

Dieses Zusammendrängen der Vulkane, bald in einzelne rundliche Gruppen, bald in doppelte Züge, liefert den entscheidendsten Beweis, daß die vulkanischen Wirkungen nicht von kleinlichen, der Oberfläche nahen Ursachen abhangen, sondern daß sie große, tief begründete Erscheinungen sind. Der ganze östliche, an Metallen arme Teil des amerikanischen Festlandes ist in seinem gegenwärtigen Zustande ohne Feuerschlünde, ohne Trachytmassen, vielleicht selbst ohne Basalt mit Olivin. Alle amerikanischen Vulkane sind in dem Asien gegenüberliegenden Teile vereinigt, in der meridianartig ausgedehnten, 1800 geographische Meilen langen Andeskette.

Auch ist das ganze Hochland von Quito, dessen Gipfel der Pichincha, der Cotopaxi und Tunguragua bilden, ein einziger vulkanischer Herd. Das unterirdische Feuer bricht bald aus der einen, bald aus der andern dieser Öffnungen aus, die man sich als abgesonderte Vulkane zu betrachten gewöhnt hat. Die fortschreitende Bewegung des Feuers ist hier seit drei Jahrhunderten von Norden gegen Süden gerichtet. Selbst die Erdbeben, welche so furchtbar diesen Weltteil heimsuchen, liefern merkwürdige Beweise von der Existenz unterirdischer Verbindungen: nicht bloß zwischen vulkanlosen Ländern, was längst bekannt ist, sondern auch zwischen Feuerschlünden, die weit voneinander entfernt liegen. So stieß der Vulkan von Pasto, östlich vom Flusse Guaytara, drei Monate lang im Jahr 1797 ununterbrochen eine hohe Rauchsäule aus; die Säule verschwand in demselben Augenblick, als 60 Meilen davon das große Erdbeben von Riobamba und der Schlammausbruch der Moya dreißig- bis vierzigtausend Indianer töteten.

Die plötzliche Erscheinung der azorischen Insel Sabrina, am 30. Januar 1811, war der Vorbote der fürchterlichen Erdstöße, welche weit westlich, vom Monat Mai 1811 bis zum Junius 1813, fast unaufhörlich, erst die Antillen, dann die Ebene des Ohio und Mississippi, und zuletzt die der Ebene gegenüberstehenden Küsten von Venezuela oder Caracas erschütterten. Dreißig Tage nach der gänzlichen Zerstörung der schönen Hauptstadt des Landes erfolgte der Ausbruch des lange ruhenden Vulkans von Sankt Vincent in den nahen Antillen. Eine merkwürdige Naturerscheinung begleitete diesen Ausbruch. In demselben Augenblick, als diese Explosion erfolgte, am 30. April 1811, wurde in Südamerika ein schreckenerregendes unterirdisches Getöse in einem Landstrich von 2200 geographischen Quadratmeilen vernommen. Die Anwohner des Apure, beim Einfluß des Rio Nula, verglichen dies Getöse, ebenso als die fernsten Küstenbewohner von Venezuela, mit der Wirkung schweren Geschützes. Nun werden aber von dem Einfluß des Rio Nula in den Apure, durch welchen ich in den Orinoco gekommen bin, bis zum Vulkan von Sankt Vincent in gerader Richtung 157 geographische Meilen gezählt. Dies Getöse, welches sich gewiß nicht durch die Lüfte fortpflanzte, muß eine tiefe unterirdische Ursache gehabt haben. Seine Intensität war kaum größer an den Küsten des antillischen Meeres, dem ausbrechenden Vulkan näher, als in dem Innern des Landes, in dem Flußbecken des Apure und Orinoco.

Es würde zwecklos sein, die Zahl solcher Beispiele, die ich gesammelt, zu vermehren; aber um an eine Erscheinung zu erinnern, die für Europa historisch wichtiger geworden ist, gedenke ich nur noch des bekannten Erdbebens von Lissabon. Gleichzeitig mit demselben, am 1. Nov. 1755, wurden nicht nur die Schweizer Seen und das Meer an den schwedischen Küsten heftig bewegt; selbst in den östlichen Antillen, um Martinique, Antigua und Barbados, wo sie nie über 28 Zoll erreicht, stieg die Flut plötzlich zwanzig Fuß hoch. Alle diese Phänomene beweisen, daß die unterirdischen Kräfte entweder dynamisch, spannend und erschütternd in Erdbeben, oder produzierend und chemisch verändernd in den Vulkanen sich äußern. Sie beweisen auch, daß diese Kräfte nicht oberflächlich, aus der dünnen Erdrinde, sondern tief aus dem Innern unseres Planeten durch Klüfte und unausgefüllte Gänge nach den entferntesten Punkten der Erdfläche gleichzeitig hinwirken.

Je mannigfaltiger der Bau der Vulkane, d. h. der Erhebungen ist, welche den Kanal umschließen, durch den die geschmolzenen Massen des inneren Erdkörpers an die Oberfläche gelangen, desto wichtiger ist es, diesen Bau mittelst genauer Messungen zu ergründen. Das Interesse dieser Messungen, die in einem andern Weltteile ein besonderer Gegenstand meiner Untersuchungen gewesen sind, wird durch die Betrachtung erhöht, daß das zu Messende an vielen Punkten eine veränderliche Größe ist. Die philosophische Naturkunde ist bemüht, in dem Wechsel der Erscheinungen die Gegenwart an die Vergangenheit anzureihen.

Um eine periodische Wiederkehr oder überhaupt die Gesetze fortschreitender Naturveränderungen zu ergründen, bedarf es gewisser fester Punkte, sorgfältig angestellter Beobachtungen, die, an bestimmte Epochen gebunden, zu numerischen Vergleichungen dienen können. Hätte auch nur von tausend zu tausend Jahren die mittlere Temperatur des Luftkreises und der Erde in verschiedenen Breiten oder die mittlere Höhe des Barometers an der Meeresfläche bestimmt werden können, so würden wir wissen, in welchem Verhältnis die Wärme der Klimate zu- oder abgenommen, ob die Höhe der Atmosphäre Veränderungen erlitten hat. Eben dieser Vergleichungspunkte bedarf man für die Neigung und Abweichung der Magnetnadel, wie für die Intensität der magnetisch-elektrischen Kräfte, über welche im Kreise dieser Akademie zwei treffliche Physiker, Seebeck und Erman, ein so großes Licht verbreitet haben. Wenn es ein rühmliches Geschäft gelehrter Gesellschaften ist, den kosmischen Veränderungen der Wärme, des Luftdrucks, der magnetischen Richtung und Ladung beharrlich nachzuspüren, so ist es dagegen die Pflicht des reisenden Geognosten, bei Bestimmung der Unebenheiten der Erdoberfläche hauptsächlich auf die veränderliche Höhe der Vulkane Rücksicht zu nehmen. Was ich vormals in den mexikanischen Gebirgen, am Volcan de Toluca, am Popocatepetl, am Cofre de Perote oder Nauhcampatepetl und am Xorullo, was ich in den Andes von Quito am Pichincha versucht, habe ich Gelegenheit gehabt, seit meiner Rückkehr nach Europa, zu verschiedenen Epochen am Vesuv zu wiederholen. Wo vollständige trigonometrische oder barometrische Messungen fehlen, können sie schon durch scharf gefaßte Höhenwinkel, die an genau bestimmten Punkten genommen sind, ersetzt werden. Die Vergleichung solcher in verschiedenen Zeitepochen gemessenen Höhenwinkel kann oft sogar der Komplikation vollständiger Operationen vorzuziehen sein.

Saussure hatte den Vesuv im Jahr 1773 zu einer Zeit gemessen, wo beide Ränder des Kraters, der nordwestliche und südöstliche, ihm gleich hoch schienen. Er fand ihre Höhe über der Meeresfläche 609 Toisen oder 3654 Pariser Fuß. Die Eruption von 1794 verursachte einen Absturz gegen Süden, die Ungleichheit der Kraterränder, welche das ungeübteste Auge selbst in großer Entfernung unterscheidet. Wir maßen, Leopold von Buch, Gay-Lussac und ich, im Jahr 1805 den Vesuv dreimal, und fanden den nördlichen Rand, der der Somma gegenüber steht, la Rocca del Palo, genau wie Saussure, den südlichen Rand aber 75 Toisen (450 F.) niedriger als 1773. Die ganze Höhe des Vulkans hatte damals gegen Torre del Greco hin (nach einer Seite, gegen welche seit 30 Jahren das Feuer gleichsam vorzugsweise hinwirkt) um 1 / 8 abgenommen. Der Aschenkegel verhält sich zur ganzen Höhe des Berges am Vesuv wie 1 zu 3, am Pichincha wie 1 zu 10, am Pic von Teneriffa wie 1 zu 22. Der Vesuv hat also von diesen drei Feuerbergen verhältnismäßig den höchsten Aschenkegel; wahrscheinlich schon darum, weil er, als ein niedriger Vulkan, am meisten durch seinen Gipfel gewirkt hat.

Vor wenigen Monaten (des Jahres 1822) ist es mir geglückt, nicht bloß meine früheren Barometermessungen am Vesuv zu wiederholen, sondern auch, bei dreimaliger Besteigung des Berges, eine vollständigere Bestimmung aller Kraterränder zu unternehmen. Diese Arbeit verdient vielleicht darum einiges Interesse, weil sie die lange Epoche großer Eruptionen zwischen 1805 und 1822 umfaßt und vielleicht die einzige in allen ihren Teilen vergleichbare Messung ist, welche man bisher von irgendeinem Vulkan bekanntgemacht hat. Sie beweist, daß die Ränder der Krater, nicht bloß da, wo sie (wie am Pic von Teneriffa und an allen Vulkanen der Andeskette) sichtbar aus Trachyt bestehen, sondern überall ein weit beständigeres Phänomen sind, als man bisher nach flüchtig angestellten Beobachtungen geglaubt hat. Nach meinen letzten Bestimmungen hat sich der nordwestliche Rand des Vesuvs seit Saussure, also seit 49 Jahren, vielleicht gar nicht, der südöstliche Rand, gegen Bosche Tre Case hin, welcher 1794 um 400 Fuß niedriger ward, kaum um 10 Toisen (60 F.) verändert.

Wenn man in öffentlichen Blättern, bei der Beschreibung großer Auswürfe, so oft der gänzlich veränderten Gestalt des Vesuvs erwähnt findet; wenn man diese Behauptungen durch die pittoresken Ansichten bewährt glaubt, welche in Neapel von dem Berge entworfen werden: so liegt die Ursache des Irrtums darin, daß man die Umrisse der Kraterränder mit den Umrissen der Auswurfskegel verwechselt, welche zufällig in der Mitte des Kraters auf dem, durch Dämpfe gehobenen Boden des Feuerschlundes sich bilden. Ein solcher Auswurfskegel, von Rapilli und Schlacken locker aufgetürmt, war in den Jahren 1816 und 1818 allmählich über dem südöstlichen Kraterrand sichtbar geworden. Die Eruption vom Monat Februar 1822 hatte ihn dergestalt vergrößert, daß er selbst 100 bis 110 Fuß höher als der nordwestliche Kraterrand (die Rocca del Palo) geworden war. Dieser merkwürdige Kegel nun, den man sich in Neapel als den eigentlichen Gipfel des Vesuvs zu betrachten gewöhnt hatte, ist bei dem letzten Auswurf, in der Nacht vom 22. Oktober, mit furchtbarem Krachen eingestürzt: so daß der Boden des Kraters, der seit 1811 ununterbrochen zugänglich war, gegenwärtig 750 Fuß tiefer liegt als der nördliche, 200 Fuß tiefer als der südliche Rand des Vulkans. Die veränderliche Gestalt und relative Lage der Auswurfskegel, deren Öffnungen man ja nicht, wie so oft geschieht, mit dem Krater des Vulkans verwechseln muß, gibt dem Vesuv zu verschiedenen Epochen eine eigentümliche Physiognomie; und der Historiograph des Vulkans könnte aus dem Umriß des Berggipfels, nach dem bloßen Anblicke der Hackertschen Landschaften im Palaste von Portici, je nachdem die nördliche oder südliche Seite des Berges höher angedeutet ist, das Jahr erraten, in welchem der Künstler die Skizze zu seinem Gemälde entworfen hat.

Einen Tag nach dem Einsturz des 400 Fuß hohen Schlackenkegels, als bereits die kleinen, aber zahlreichen Lavaströme abgeflossen waren, in der Nacht vom 23. zum 24. Oktober, begann der feurige Ausbruch der Asche und der Rapilli. Er dauerte ununterbrochen 12 Tage fort, doch war er in den ersten 4 Tagen am größten. Während dieser Zeit wurden die Detonationen im Innern des Vulkanes so stark, daß die bloße Erschütterung der Luft (von Erdstößen hat man durchaus nichts gespürt) die Decken der Zimmer im Palaste von Portici sprengte. In den nahegelegenen Dörfern Resina, Torre del Greco, Torre dell‘Annunziata und Bosche Tre Case zeigte sich eine merkwürdige Erscheinung. Die Atmosphäre war dermaßen mit Asche erfüllt, daß die ganze Gegend, in der Mitte des Tages, mehrere Stunden lang in das tiefste Dunkel gehüllt blieb. Man ging mit Laternen in den Straßen, wie es so oft in Quito, bei den Ausbrüchen des Pichincha, geschieht. Nie war die Flucht der Einwohner allgemeiner gewesen. Man fürchtet Lavaströme weniger als einen Aschenauswurf: ein Phänomen, das in solcher Stärke hier unbekannt ist und durch die dunkle Sage von der Zerstörungsweise von Herculanum, Pompeji und Stabiä die Einbildungskraft der Menschen mit Schreckbildern erfüllt.

Der heiße Wasserdampf, welcher während der Eruption aus dem Krater aufstieg und sich in die Atmosphäre ergoß, bildete beim Erkalten ein dickes Gewölk um die neuntausend Fuß hohe Aschen- und Feuersäule. Eine so plötzliche Kondensation der Dämpfe und, wie Gay-Lussac gezeigt hat, die Bildung des Gewölkes selbst vermehrten die elektrische Spannung. Blitze fuhren schlängelnd nach allen Richtungen aus der Aschensäule umher, und man unterschied deutlich den rollenden Donner von dem inneren Krachen des Vulkans. Bei keinem andern Ausbruche war das Spiel der elektrischen Schläge so auffallend gewesen.

Am Morgen des 26. Oktobers verbreitete sich die sonderbare Nachricht: ein Strom siedenden Wassers ergieße sich aus dem Krater und stürze am Aschenkegel herab. Monticelli, der eifrige und gelehrte Beobachter des Vulkans, erkannte bald, daß eine optische Täuschung dies irrige Gerücht veranlaßt habe. Der vorgebliche Strom war eine große Menge trockener Asche, die aus einer Kluft in dem obersten Rande des Kraters, wie Triebsand, hervorschoß. Nachdem eine die Felder verödende Dürre dem Ausbruch des Vesuvs vorangegangen war, erregte, gegen das Ende desselben, das eben beschriebene vulkanische Gewitter einen wolkenbruchartigen, aber lange anhaltenden Regen. Solch eine Erscheinung charakterisiert, unter allen Zonen, das Ende einer Eruption. Da während derselben gewöhnlich der Aschenkegel in Wolken gehüllt ist und da in seiner Nähe die Regengüsse am stärksten sind, so sieht man Schlammströme von allen Seiten herabfliegen. Der erschrockene Landmann hält dieselben für Wasser, die aus dem Innern des Vulkans aufsteigen und sich durch den Krater ergießen; der getäuschte Geognost glaubt in ihnen Meerwasser zu erkennen oder kotartige Erzeugnisse des Vulkans, sogenannte Éruptions boueuses, oder, nach der Sprache alter französischer Systematiker, Produkte einer feurig-wässrigen Liquefaction.

Wenn die Gipfel der Vulkane (und dies ist meist in der Andeskette der Fall) über die Schneeregion hinausreichen oder gar bis zur zwiefachen Höhe des Ätna anwachsen, so werden, des geschmolzenen und einsinternden Schnees wegen, die soeben beschriebenen Inundationen überaus häufig und verwüstend. Es sind Erscheinungen, die mit den Eruptionen der Vulkane meteorologisch zusammenhängen und durch die Höhe der Berge, den Umfang ihrer stets beschneiten Gipfel und die Erwärmung der Wände der Aschenkegel vielfach modifiziert werden; aber als eigentliche vulkanische Erscheinungen dürfen sie nicht betrachtet werden. In weiten Höhlen, bald am Abhange, bald am Fuß der Vulkane, entstehen unterirdische Seen, die mit den Alpenbächen vielfach kommunizieren. Wenn Erdstöße, welche allen Feuerausbrüchen der Andeskette vorhergehen, die ganze Masse des Vulkans mächtig erschüttern, so öffnen sich die unterirdischen Gewölbe, und es entstürzen ihnen zugleich Wasser, Fische und tuffartiger Schlamm. Dies ist die sonderbare Erscheinung, welche der Wels der Cyclopen (Pimelodes Cyclopum) gewährt, den die Bewohner des Hochlandes von Quito Prefiadilla nennen und den ich, kurz nach meiner Rückkunft, beschrieben habe. Als nördlich vom Chimborazo in der Nacht vom 19. zum 20. Junius 1698 der Gipfel des 18 000 Fuß hohen Berges Carguairazo einstürzte, da bedeckten Schlamm und Fische, auf fast zwei Quadratmeilen, alle Felder umher. Ebenso wurden, sieben Jahre früher, die Faulfieber der Stadt Ibarra einem ähnlichen Fischauswurfe des Vulkans Imbaburu zugeschrieben.

Ich gedenke dieser Tatsachen, weil sie über den Unterschied zwischen dem Auswurf trockener Asche und schlammartiger, Holz, Kohle und Muscheln umwickelnder Anschwemmungen von Tuff und Traß einiges Licht verbreiten. Die Aschenmenge, welche der Vesuv neuerlichst ausgeworfen, ist, wie alles, was mit den Vulkanen und anderen großen, schreckenerregenden Naturerscheinungen zusammenhängt, in öffentlichen Blättern übermäßig vergrößert worden; ja zwei neapolitanische Chemiker, Vicenzo Pepe und Giuseppe di Nobili, schrieben sogar, trotz der Widersprüche von Monticelli und Covelli, der Asche Silber- und Goldgehalt zu. Nach meinen Untersuchungen hat die in 12 Tagen gefallene Aschenschicht gegen Bosche Tre Case hin, am Abhange des Konus, da wo Rapilli beigemengt waren, nur drei Fuß, in der Ebene höchstens 15 bis 18 Zoll Dicke erreicht. Messungen dieser Art müssen nicht an solchen Stellen geschehen, wo die Asche, wie Schnee oder Sand, vom Winde zusammengeweht oder durch Wasser breiartig angeschwemmt ist. Die Zeiten sind vorüber, wo man, ganz nach Art der Alten, in den vulkanischen Erscheinungen nur das Wunderbare suchte, wo man, wie Ktesias, die Asche des Ätna bis nach der indischen Halbinsel fliegen ließ. Ein Teil der mexikanischen Gold- und Silbergänge findet sich freilich in trachyt-artigem Porphyr; aber in der Vesuvasche, die ich mitgebracht und die ein vortrefflicher Chemiker, Heinrich Rose, auf meine Bitte untersucht hat, ist keine Spur von Gold oder Silber zu erkennen.