Nur auf LitRes lesen

Das Buch kann nicht als Datei heruntergeladen werden, kann aber in unserer App oder online auf der Website gelesen werden.

Buch lesen: «Kleine Romane und Novellen», Seite 18

Schriftart:

– »Es ist ärgerlich, dass du so spät kommst, du hättest mit uns zu Mittag gegessen.«

Antonio antwortete, er habe gegessen, ehe er entflohen sei, er sei daher nicht mehr hungrig, und könne ganz wohl bis morgen warten; zudem, fuhr er fort, werden die Lebensmittel hier nicht sehr reichlich sein, und ich fange ebenso gerne erst morgen an, als dass ich die Portion der Andern schmälere.

Giacomo machte eine Miene, die er sich durch folgende Worte übersetzen konnte: Es ist wahr, wir leben nicht im Überfluss, allein wir haben das Notwendige.

Antonio hatte geglaubt, seine alten Kameraden blass, abgemagert und halb tot vor Hunger wieder zu sehen: weit entfernt davon fand er sie im Gegenteil munter, aufgelegt und ganz wohl. Maria war immer stark, frisch, und ihr Kind hatte nicht gelitten; Antonio hatte geglaubt, sie nährten sich von Wurzeln und wilden Früchten, und als er seine Augen auf der Platte umher warf, auf der sie gelagert waren, sah er Knochen, völlig abgenagt zwar, aber weil sie abgenagt waren, musste auch Fleisch daran gewesen sein. Wie war dieses Fleisch in die Hände dieser auf der Spitze eines Felsens vereinzelter und verlorener Mensch. gelangt? er konnte es nicht begreifen; er glaubte einen Augenblick, es komme irgend ein Hirte aus der Umgegend durch einen verborgenen Weg, einen unterirdischen Pfad zu den Banditen; aber bald leuchtete ihm ein, dass, wenn es einen Ausweg gäbe, durch den man herkommen könnte, man auch auf dem, nämlichen Wege würde entwischen können; und wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte sich Giacomo gewiss nicht damit belustigt, zwölf Tage oben auf seinem Berge sitzen geblieben zu sein, wie ein Hahn auf seinem Kirchturme; er begriff den Handel noch weniger, und hatte sich dem Teufel verschreiben mögen, wenn dies nicht schon beinahe geschehen gewesen wäre.

Der Augenblick, Wachen auszustellen, kam; Antonio bot dem Hauptmann seine Dienste an, der sie zurückwies, indem er sagte, dass er von den Gemütsbewegungen, die er empfunden, und dem Weg, den er gemacht, ermüdet sein müsse, und dass die Reihe den nächsten und zweit folgenden Tag an ihn kommen werde.

Zehn Minuten nachher schlief Jedermann mit Ausnahme der Wachen und Antonios.

Den folgenden Tag erwachte Jeder heiter, gleich den Vögeln, welche man unten am Berge singen hörte; Antonio allein war matt, denn sein Geist wachte hartnäckig, und er hatte die ganze Nacht kein Auge schließen können. Um sieben Uhr Morgens sah der Anführer auf eine Liste, deutete auf einen Mann mit dem Finger, und sagte: »an dir ist die Reihe.« Der Mann ging mit zwei Banditen weg, ohne zu antworten. Antonio bot sich zu dieser Expedition an, welche sie auch sein möge. Es ist unnötig, antwortete Giacomo, ohne in eine Erklärung einzugehen; drei Mann sind hinreichend. Nach zwei Stunden kamen die drei Mann zurück. Antonio betrachtete den vom Hauptmann Bezeichneten ganz aufmerksam: er hatte einige Risse im Gesicht und an den Händen; dies war Alles.

Vier Stunden später sah der Hauptmann nach der Sonne und sagte: Es ist Zeit zum Mittagessen.

Mann für Mann setzte sich auf den Grasboden; man brachte das Essen herbei: es bestand aus drei Rebhühnern, einem Hasen, und der Halste eines Lamms von acht bis zehn Tagen. Der Hauptmann schnitt selbst die Portionen mit einer Unparteilichkeit vor, welche dem Henker des Königs Salomo Ehre gemacht hätte. Wasser hatte man nach Belieben: eine Quelle rieselte an dem Gipfel des Bergs selbst hervor. Von Brot sprach Niemand, und Antonio war so betäubt von Dem, was er sah, dass er sich selbst fragte, ob der Backofen oder das Mehl fehle, um welches zu machen.

– »Damit haben wir genug bis morgen um die gleiche Stunde, sagte der Hauptmann zu Antonio, denn hier halten wir nur Eine Mahlzeit, und du siehst, dass wir uns dabei nicht schlechter befinden. Die Mäßigkeit ist eine halbe Tugend, und nach dieser Rechnung haben wir zwanzig zusammen zehn Tugenden. Laß es dir also gesagt sein, und schnüre deinen Leibgürtel, damit die Verdauung bei dir so langsam als möglich von Statten gehe. Antonio schnitt ein Gesicht, das für ein Lächeln gelten sollte, und fing hierauf mit drei seiner Kameraden an, Mora zu spielen: damit brachte er zwei Stunden hin. Nach Verlauf dieser Zeit klopfte ihm der Anführer auf die Schulter; er kam, ihm einen Spaziergang auf dem Plateau vorzuschlagen. Antonio folgte ihm hastig. Giacomo ließ den Banditen bei diesem Ausflug auf’s Neue alle Einzelheiten seiner Gefangenschaft und seiner Flucht wiederholen. Antonio, immer die Geschichte fort erzählend, die er schon einmal vorgebracht hatte, warf die Augen rechts und links umher. Auf einmal bemerkte er den Eingang einer Grotte.

– »Was ist das? fragte er mit gleichgültiger Miene den Hauptmann.«

»Unsere Küche, antwortete dieser lakonisch.«

– »Ah! ah! machte Antonio.«

– »Willst du sie besuchen? sagte der Hauptmann.«

– »Gerne, erwiderte der Bandit angelegentlich.«

– »Wir haben sie so verborgen, fuhr Giacomo fort, damit die Franzosen den Rauch nicht sehen.«

– »Gut ausgedacht, entgegnete Antonio

– »Denn, wenn sie ihn gewahr würden, so zweifelten sie bei der jetzigen Hitze nicht, dass wir nur Feuer anmachten, um unsere Lebensmittel zu kochen, und sie sollen auf dem Glauben bleiben, wir leiden daran Mangel.«

– »Was das betrifft, Hauptmann, sagte der Bandit, so versichere ich dich, dass sie in gegenwärtiger Stunde glauben, du und deine Leute leben von der Luft, oder ihr essen einander selbst auf.«

– »Die Dummköpfe! rief der Hauptmann achselzuckend aus.«

Antonio nahm, ohne Etwas zu sagen, seinen Teil an jenem Ehrentitel hin, trat in die Grotte ein, und untersuchte sie sorgfältig; er sondierte ihre Mauern mit Fauststoßen, und die Mauern gaben einen matten Laut zurück, als unzweideutigen Beweis ihrer Dicke, er stampfte mit dem Fuß auf den Boden, kein Widerhall zeigte eine verborgene Höhlung an; er erhob die Augen gegen das Gewölbe; aber es hatte keine andere Öffnung, als eine natürliche Spalte, durch welche der Rauch ausging. Hinten auf dem Herd war noch Feuer, und auf beiden Seiten desselben Feuerblöcke von grob zu gehauenem Holze, die noch den Ladestock eines Karabiners trugen, welcher als Bratspieß beim Zurüsten des Mittagessen gedient hatte.

– »Zu was dient dieses Loch?« fragte Antonio, mit dem Finger auf eine Vertiefung deutend, die er zuerst nicht bemerkt hatte, und die seine Augen, sich an die Dunkelheit gewöhnend, so eben erst ansichtig wurden.

– »Unsere Speisekammer, sagte der Anführer.«

– »Und sie ist ohne Zweifel gut versehen? versetzte Antonio mit zweifelhafter Miene.«

– »Ja, nicht schlecht; übrigens kannst du sie sehen.«

Antonio stieg auf einen Stein, der hingelegt worden zu sein schien, um eine Art von Schemel zu bilden, bestimmt, die Verbindung zu erleichtern; als er sich auf seine Zehenspitzen erhob, gelang es ihm, in die Vertiefung hineinzusehen. Er erblickte darin die Überbleibsel des Lammes, von dem ein Teil zum Mittagessen verzehrt war, zwei oder drei Rebhühner, und einiges kleine Geflügel von der Gattung der Amseln und Krammetsvögel.

– »Teufel! Hauptmann, sagte Antonio, die Fersen auf die Erde setzend, und eine seiner Hände auf die Ecke der Speisekammer angelehnt lassend, Ihr habt Lieferanten, die sich auf die Lebensmittel verstehen, und wenn sie Such dieselben auch nicht reichlich liefern, so haben sie doch wenigstens eine köstliche Auswahl.«

– »Ja, antwortete der Kapitän lachend; die armen Teufel arbeiten wie für sich selbst.«

Antonio blickte den Hauptmann mit einer Miene an, welche sichtlich sagen wollte: der Teufel hole mich, wenn ich Etwas daran begreife; allein Giacomo schien diesen forschenden Blick nicht wahrzunehmen, und aus der Grotte herausgehend, setzte er seinen Spaziergang fort. Antonio folgte ihm. Er war wieder auf den Gedanken zurückgekommen, dass die Bauern die Nacht benutzten, um der Bande Lebensmittel zuzutragen.

Der Rest des Tags verstrich, ohne dass die Rede weiter auf die Küche oder die Lebensmittel gekommen wäre: man hätte sagen mögen, es habe Jeder besorgt, dadurch, dass er ein solches Gespräch anknüpfte, den Hunger aufzuwecken, welcher im Grunde jedes Magens sein Wesen zu treiben anfing.

Um neun Uhr Abends bezeichnete der Hauptmann den Antonio zur Wache. Er nahm einen Karabiner, stopfte seinen Gürtel mit Patronen voll, und machte eine Bewegung, sich auf seinen Posten zu begeben; aber alsbald stehen bleibend, sagte er:

– »Hauptmann, wenn Jemand auf mich zukäme, soll ich auf ihn schießen?«

– »Ohne Zweifel, antwortete Giacomo

– »Aber wäre es etwa. . . «

–»Wer?«

– »Ihr versteht mich?«

– »Nein.«

– Ein Freund z. B., und machte eine Gebärde, welche seinen Gedanken ausdrückte, indem er den Zeigefinger seiner rechten Hand an seinen der ganzen Länge nach offenen Mund brachte.«

– »Ein Freund? wiederholte der Hauptmann; Dummkopf! wenn uns keiner vom Himmel herabsteigt; wir sind zu gut bewacht, als dass einer von der Erde zu uns komme.«

– »Potztausend! ich wusste es nicht, sagte Antonio, sich auf seinen Posten begebend.«

Die Nacht war ruhig, und kein Freund noch Feind kam, die Wache Antonios zu beunruhigen. Bei Anbruch des Tages ließ ihn der Hauptmann ablösen. Er kam oben auf der Platte an, und hörte den Hauptmann wie den vorigen Tag zu einem seiner Kameraden sagen: an dir die Reihe, und wie den vorigen Tag ging der bezeichnete Mann, ohne ein Wort zu sagen, von zwei Banditen begleitet, weg.

Antonio war niedergedrückt von Mattigkeit; er hatte zwei Tage und zwei Nächte keine Ruhe genossen. Er suchte etwas Schatten, machte sich ein Kopfkissen von einem Büschel Heidekraut, wickelte sich in seinen Mantel, und schlief mit geschlossener Faust, bis man ihn zum Mittagessen weckte.

Die Mahlzeit war diesen Tag, wie die gestrige, sehr ausgesucht an Wildbret. Antonio bemerkte dabei dieselbe Ordnung in der Verteilung, denselben Überfluss an Wasser, dieselbe Abwesenheit von Brot. Den folgenden Tag ging Alles wieder den gleichen Gang; der zweitfolgende Tag brachte gleichfalls keine Veränderung in der Lebensweise mit sich. Kurz, sechs Tage verstrichen, und Antonio hatte seine sechs Mahlzeiten zur bestimmten Stunde gemacht, ohne dass er noch hätte erraten können, durch welches Mittel die wundervolle Speisekammer ihren Proviant wieder erneure.

Am Morgen des siebenten Tages ging Antonio ganz tiefsinnig am äußersten Rande des Felsens, der auf das Meer schaute, spazieren; er bedachte, dass ihm nur noch vierundzwanzig Stunden übrig seien, um ein Geheimnis zu entdecken, das er seit sieben Tagen vergebens suchte. Kaum hatte er seine Augen auf das Tal geworfen, als er den verfluchten Obrist an der nämlichen Stelle, an der er geschworen hatte, zu ihm zurückzukehren, mit gerichtetem Fernrohr und den dicken Doktor an seiner Seite erblickte. An der Bewegung, die der Obrist machte, als er ihn wahrnahm, sah Antonio, dass er ihn erkannt habe, denn er gab seine Fernrohre dem Regimentsarzt, der seinerseits hineinschaute, und mit dem Kopfe nickte, als wenn er sagen wollte: Sie haben Recht, Obrist; wahrlich er ist es!

– »Ia, ja, ihr habt Recht, sagte Antonio zu sich selbst, er ist es richtig, es ist richtig der Dummkopf, es ist richtig der einfältige Antonio. Dann betrachtete er mit besonderer Aufmerksamkeit die schönen Bäume, welche die ihn mit so viel Eifer belauernde Gruppe umgaben, und fragte sich, welchen er wohl wählen solle, um am angenehmsten daran gehängt zu werden. Er war gerade auf’s Tiefste in diese Betrachtungen versunken, als er sich auf die Schultern geklopft fühlte; er drehte sich lebhaft um, und sah den Hauptmann hinter ihm.«

– »Ich suchte dich, sagte Giacomo.«

– »Mich? Hauptmann.«

– »Ja, an dir ist die Reihe.«

– »An mir die Reihe? fragte Antonio.«

– »Ja, ohne Zweifel, an dir die Reihe.«

– »Und was zu thun?«

– »Proviant zu holen, beim Henker.«

– »Ah! machte der Bandit.«

– »Vorwärts, eile dich, sagte Giacomo; du siehst wohl, dass dich deine Kameraden da unten erwarten. Die Augen Antonio’s folgten der durch die Hand des Hauptmanns angezeigten Richtung, und er sah in der Tat zwei seiner Kameraden, die ihm mit dem Kopfe zuwinkten.«

– »Hier bin ich, sagte Antonio, und stieß zu ihnen, ohne eine Minute zu verlieren.«

Alle drei gingen jetzt vorwärts nach einem Teil des Felsens, der so vollkommen, senkrecht und von einer solchen Höhe war, dass der Obrist es für unnötig gehalten hatte, weder Posten noch Schildwachen auszustellen. Am Rande des Abgrundes angelangt, und während Antonio diesen mit der Ruhe eines Bergbewohners betrachtete, machte einer seiner Gefährten einige Schritte bei Seite, durchstöberte ein Eichengebüsch, zog einen Sack und ein Seil daraus hervor, hängte, zu Antonio zurückkommend, diesem den Sack an den Hals, und zog ihm das Seil unter den Armen durch.

– »Was Teufel beginnt ihr? sagte dieser, da diese Zeremonie ihn nach und nach beunruhigte. Einer der Männer legte sich jetzt ausgestreckt auf den Boden, dergestalt, dass nur sein Kopf allein über dem Abgrund hing, «

– »Tue wie ich, sagte er hierauf zu Antonio

Antonio gehorchte, und legte sich dicht an seinen Kameraden.

– »Siehst du diesen Baum? fragte er, ihm mit dem Finger eine Tanne zeigend, die in den Spalten des Felsens hervorschoss, zwanzig Fuß über dem Grund des Tals.«

– »Ja, antwortete Antonio.«

– »Siehst du hinter dieser Tanne eine Vertiefung.«

– »Ja, antwortete Antonio

– »Nun gut, in dieser Vertiefung ist ein Adlernest, wir werden dich bis zur Tanne hinablassen, mit einer Hand hältst du dich daran fest, und mit der andern suchst du im Nest herum, und was du findest, schiebst du in diesen Sack.«

– »Wie! Die jungen Adler? sagte Antonio

– »Nein, nicht, sondern das Wildbret, dass ihnen der Vater und die Mutter bringt, und wovon wir drei Viertel essen, und sie das Weitere.«

Antonio sprang auf.

– »Und wer hat diesen Einfall gehabt? fragte er.«

– »Zum Henker, wer? der Hauptmann, antwortete der Bandit.«

– »Großartig, rief ganz laut Antonio aus, sich an die Stirne schlagend!!! Und das ist der Mann, den ich verraten werde, setzte er ganz leise und seufzend hinzu.«

In der Tat, Giacomo, auf gejagt wie ein wildes Tier, abgeschlossen auf einer Felsspitze ohne Verbindung mit der Erde, hatte die Adler des Himmels dazu benützt, seine Lieferanten zu sein, und die Banditen der Luft und des Gebirges teilten mit einander wie Brüder.

Am Abend verschwand Antonio.

III.
Maria

Den andern Tag ließ der Obrist sein Regiment unter die Waffen treten; nach der Musterung sagte er:

»Wer unter euch getraut sich, in drei Schüssen auf hundert und fünfzig Schritte Entfernung unaufgelegt mit seinem Munitionsgewehre jedes mal eine Flasche sicher zu treffen.«

Drei Mann traten vor.

– »Wir wollen einen Versuch machen, sagte der Obrist.«

Eine Flasche wurde in der angegebenen Entfernung aufgestellt.

Einer der Schützen zerbrach die drei Flaschen; Jeder der zwei andern zerbrach nur eine.«

– »Dein Name? sagte der Obrist zu Dem, der diesen außerordentlichen Beweis seiner Geschicklichkeit gegeben hatte.«

– »André, antwortete der Voltigeur, mit der einen Hand auf seine Flinte gelehnt, und mit der andern seinen Schnurrbart streichend; – und bereit. Ihnen zu dienen, wenn es mir einmal möglich sein sollte, setzte er mit jener Schulterbewegung hinzu, die nur dem Manne eigen ist, der zehn Jahre den Tornister getragen hat.«

– »Siehst du jenen Adler, der sich über uns im Kreise dreht.«

Der Voltigeur machte sich mit der Hand ein Dach vor die Augen, und erhob den Kopf.

– »Wohl! man sieht ihn, mein Obrist, antwortete er. Dann setzte er mit der innigen Behaglichkeit des mit sich selbst zufriedenen Soldaten, hinzu: Gott sei ’Dank, man ist nicht blind.«

– »Nun gut, fuhr der Obrist fort, es gilt zehn Louisd’or für dich, wenn du ihn tötest.«

– »Auf diese Entfernung? versetzte der Voltigeur.«

– »Auf diese oder jede andere.«

– »Im Flug?«

– »Im Flug oder ruhend, das ist ganz deine Sache. Stell dich Tag und Nacht auf die Lauer, wenn es sein muss. Ich spreche dich sechsunddreißig Tage von jedem Dienste frei.«

– »Nun gut, mein Kuckuck, hörst du? sagte der Voltigeur zum Adler, als wenn der König der Luft es hätte hören können, nimm deine Haube in Acht: weiter sage ich dir Nichts.«

Hierauf fing er mit der geschäftigen Sorgfalt des Jägers an, seine Flinte in gehörigen Stand zusetzen, schraubte einen neuen Stein darauf, fuhr mit einem Lappen im Lauf herum, wählte unter seinen zwölf Patronen diejenigen aus, deren Kugeln zu seinem Kaliber zu passen schienen, füllte seine Feldflasche mit Branntwein, nahm ein Kommissbrot unter den Arm, und entfernte sich, ein militärisches Liedchen trällernd, dessen Refrain war:

 
Und wenn der Gendarm
Ein traurig Leben hat.
So hat ein vornehm Leben
Der Feldsoldat.
 

Was bewies, dass der Voltigeur vollkommen zufrieden mit seiner Lage und dem erhabenen Rang war, den sie ihm in der Gesellschaft anwies.

Der Obrist setzte sich außerhalb seines Zelts nieder, und folgte dem Manne mit den Augen, auf dessen Geschicklichkeit seine ganze Hoffnung ruhte, als er ihn darauf in einem kleinen Tannenwäldchen, das den Fuß des Weges bedeckte, aus dem Gesicht verloren hatte, lenkte er seine Blicke wieder auf den Adler, der nach und nach, immer jenen kreisförmigen, den Raubvögeln eigenen Flug beschreibend, dem Gipfel des Felsens sich genähert hatte. Plötzlich ließ er sich mit der Schnelle des Blitzes herab; bald darauf machte er sich, wieder mit einem Hasen in die Höhe steigend, mit seiner Beute in die Öffnung des Felsens, worin sein Nest war.

Fünf Minuten später erschien er wieder, und setzte sich auf die Spitze eines hervorspringenden Felsens.

Kaum hatte er seine Flügel an den Körper gelegt, als ein Flintenschuss losging. Der Adler fiel.

Zehn Minuten nachher trat André aus einem kleinen Gehölz, sein Wild mit sich tragend.

– »Hier ist die indianische Henne, sagte er, sei» königliches Wildbret zu den Füßen des Obristen werfend: es ist ein Männchen.«

– »Und hier sind deine zehn Louisd’or, erwiderte dieser.«

– »Fallen ebenso viel für das Weibchen? fuhr André fort.«

– »Das Doppelte, versetzte der Obrist.«

– »Zwanzig Louisd’or? entschuldigen Sie ein wenig! Sie müssen trotz dem einen sonderbaren Geschmack haben, diesen Preis für ein solches Geflügel zu zahlen, das nicht einmal dazu taugt, um Suppen für Trainsoldaten daraus zu machen; aber basta, man muss über eine Geschmackssache nicht streiten wollen. Sie sollen Ihr Weibchen haben, und wenn Sie es ausbälgen wollen, so werden Sie ein paar hübsche Tiere haben.«

– »Du verstehst? zwanzig Louisd’or, sagte der Obrist.«

– »Genug, genug, antwortete André, indem er die zehn, welche er so eben verdient hatte, in seine Westentasche schob. Man hat gehört. Sein Sie ruhig, man wird nicht ohne das Ding zurückkommen.«

Dann begab er sich auf den Weg, und pfiff sein Lieblingslied.

Diesmal kam er erst den andern Morgen zurück; aber wie gestern hatte er Wort gehalten.

– »Ah! machte der Obrist, vor Freude in die Höhe springend.«

– »Lungen und Leber durch pafft, sagte André, auf seine Tasche schlagend.«

Der Obrist sah ihn lachend an.

– »Was machst du? fuhr er fort.«

– »Sie sehen es, ich schlage zum Rückzug.«

– »Nimm, sagte der Obrist, ihm seine Börse reichend.«

– »Rückt in s Quartier ein, meine Rekruten, sagte André, die neu angekommenen in seinen Beutel schiebend, ihr findet dort die Alten, und könnt Ihnen viel von mir erzählen.«

»Jetzt, sagte der Obrist, kannst du dich entfernen: ich hab? dich nicht mehr nöthig.«

– »Sie wollen nicht, dass ich sie Ihnen rupft?«

– »Danke.«

– »Drum, um diesen Preis wäre ich es Ihnen wohl schuldig. Die Sache ist Ihnen lästig? Nehmen Sie an, ich hätte Nichts gesagt, Obrist, und nicht beleidigt; nur bitte ich Sie um Ihre Kundschaft.«

Bei diesen Worten zog André die Beine zusammen, brachte seinen Körper in steift Stellung, machte den militärischen Gruß, und ging weg.

– »Hauptmann, sagte den andern Tag der Bandit, der vom Proviantiren kam, zu Giacomo, es war Nichts in dem Nest.«

– »Sind die jungen Adler ausgeflogen? rief der Hauptmann bebend aus.«

– »Nein, sie sind noch darin; allein, man muss glauben, Vater und Mutter haben gefunden, sie fressen zu viel, und sie seien dann überdrüssig geworden, sie zu ätzen.«

– »Es ist gut, sagte Giacomo: man lebt heute, wie man kann, von den Überbleibseln von gestern.«

Den folgenden Tag wollte Giacomo selbst auf Verproviantierung ausgehen; er ließ sich das Seil um den Leib befestigen und ließ sich hinab. Am Nest angelangt, fuhr er mit der Hand darin umher: die zwei jungen Adler waren Hungers gestorben. Er nahm sie.

– »Der niederträchtige Antonio hat uns verraten, sagte der Anführer.«

An diesem Tage aßen die Banditen einen der jungen Adler.

Den andern Tag aßen sie die Hälfte des zweiten.

Den nächstfolgenden Tag die zweite Hälfte.

Nach dem Essen näherte sich Giacomo dem Rand des Felsens und sah den Obrist, dessen Fernrohr nach dem Gipfel des Berges gerichtet war. Er sprach mit dem Doktor, dessen Arrest er an dem Tage aufgehoben harte, an dem ihm hinterbracht worden war, durchweiche Mittel Giacomo und seine Banditen sich mit Lebensmitteln versahen. Der Obrist erblickte ihn, hängte an der Spitze seines Degens ein weißes Tuch auf und bewegte es, indem er es in der Luft schwang. Giacomo verstand, dass man ihm anbot, zu unterhandeln. Er rief Maria, hieß sie ihre Schürze losbinden, befestigte sie an das Ende einer Stange als eine Fahne, und pflanzte die Stange auf dem höchsten Punkte des Berges auf. Der Obrist sah, dass man bereit war, seine Vorschläge anzuhören: er frug nach einem Freiwilligen, um sie zu überbringen. André trat vor.

Die Gesandtschaft war nicht ohne einige Gefahr; die calabrischen Räuber setzten ihre Ehre nicht darein, die bei solchen Gelegenheiten zwischen gewöhnlichen Feinden angenommenen Gebräuche regelmäßig zu achten. Selbst außerhalb des Gesetzes stehend, konnten sie den Parlamentär wohl außerhalb des Rechts stellen: auch bat André seinen Obrist um die Erlaubnis, ihm ein paar Worte allein zu sagen. Auf die Seite getreten, zog André die so Louisd’ors aus der Tasche, welche er drei Tage vorher von seinem Obrist erhalten hatte, und gab sie ihm in die Hand.

– »Was soll das bedeuten?« sagte der Obrist.

– »Es bedeutet, erwiderte André, dass wenn diese Schlingel da oben mir meinen Laufpass gäben, was, unter uns gesagt, Obrist, wohl geschehen könnte, ich keine Lust habe, sie zu meinen Erben zu machen. Demnach, mein Obrist, schicken Sie die zwanzig Louisd’or hier an meine alte Mutter, und die zehn anderen geben Sie der Marketenderin unserer Kompanie; ein braves Mädchen, die unsere Wäsche gratis wascht, und das Trinken auf Borg verabreicht, und die sich Abends im Lager rechts vom Peloton niederlegt und sich den andern Morgen auf der andern Seite befindet links.«

Der Obrist versprach André, seine letzten Verordnungen gewissenhaft zu erfüllen, wenn ihm ein Unglück zustoßen sollte und gab ihm seine Verhaltungsbefehle. Er sicherte Allen das Leben zu, mit Ausnahme von Giacomo.

André begab sich auf den Weg, und begann den Berg mit jenem wundervollen Selbstvertrauen des französischen Soldaten zu ersteigen, das sich auf zwei Punkte stützt: den Mut, welchen er hat, und die Beredsamkeit, die er zu haben glaubt. Auf dem Gipfel angelangt, befand er sich fünfzig Schritte von der Wache Giacomo’s, welche ihm in calabrischem Dialekt zurief: Wer dass – Parlamentär, antwortete André ruhig und setzte seinen Weg fort. – Wer dass rief zum zweiten mal die Schildwache. – Man sagt dir, Parlamentär, Dummkopf, wiederholte André mit stärkerer Stimme, und wieder einige Schritte vorwärts machend. – Wer dass rief zum dritten mal der Bandit, seinen Karabiner an die Schulter anlegend. – Ah so, ja du hast also nicht verstanden? sagte André, indem er mit aller Anstrengung seiner Lungen schrie und jede Silbe von der nächstfolgenden Silbe trennte: – Par – la – men- tär, – Par – la – men tär, bist du’s zufrieden?

Es schien, dass das von André italienisierte Wort nicht die Wirkung hervorbrachte, die er von demselben erwartete, denn in dem Augenblick, wo er diesen Beweis von Philologie gegeben hatte, erreichte die Kugel das Tschakobeschläg des Voltigeurs, riß die Kopfbedeckung, welche ihr Eigentümer so nachlässig gewesen war, nicht durch das Sturmband fest zu machen, in den Abgrund.

– »Kind der – Wölfin, sagte André, der seine römische Geschichte kannte, du hast da ein schönes Meisterwerk gemacht, geh. . . Ein Tschako, in dessen Futter mehr als dreißig Briefe von meinen Liebschaften waren, und von denen mir immer eine lieber als die andere war, weiter Ah, Räuber! du willst also, dass ich dich umbringe!!!«. . .

Diese letztere Ausrufung war ihm durch die Annäherung des Banditen entrissen worden, der, sehend, dass André in seiner Eigenschaft als Parlamentär keine Waffen hatte, herbeigeeilt war, um Den mit seinem Dolch abzufertigen, den er mit seinem Karabiner verfehlt hatte.

André griff maschinenmäßig mit der Hand nach der Stelle, an der er seinen Säbel hätte finden sollen, aber er begegnete hier nur der Scheide. Zu gleicher Zeit sah, er, nur einen Fuß von seiner Brust, den Dolch des Banditen blinken. Durch eine Bewegung, schnell wie der Gedanke, erfasste er mit seiner Hand die Faust seines Gegners. Der Stoß, der ihn treffen sollte, blieb also in der Luft, und ein Kampf entspann sich zwischen diesen beiden Männern.

Das Terrain, auf dem er Statt hatte, war eine Art Weg, der sich auf der einen Seite an einen senkrecht emporragenden Felsen lehnte und auf der andern sich schräg gegen einen Abgrund von zweitausend Fuß Tiefe senkte. Dieser enge Raum, mit glattem und trockenem Gras bedeckt, das die Hitze glitschig machte, war selbst für Die nicht ohne Gefahr, die ihn nur allein und mir Vorsicht wandelten; auch begriff Jeder der beiden Kämpfer die Gefahr der Lage und fing an, alle Hilfsmittel seiner Stärke und alle List seiner Verschlagenheit anzuwenden, um sich so viel als möglich vom Rande zu entfernen, denn es war wenig Aussicht vorhanden, dass Einer den Andern hinabstürzte, ohne selbst in dem Falle mitgerissen zu werden. Alle Versuche des Banditen beschränkten sich daher darauf, seine Faust von dem Zwinger, in dem sie eingeengt war, loszumachen, während André alle seine Kräfte zusammennahm, ihn daran zu verhindern. Jeder hatte übrigens um den Hals seines Gegners die Hand geschlungen die ihm frei geblieben war, und zwar so gut, dass diese beiden Menschen, die gegen einander von einer so unbändigen Mordlust beseelt waren, Jemanden, der sie in einer gewissen Entfernung gesehen hätte, wie zwei Brüder vorgekommen wären, die einander in den Armen lägen und sich nach einer langen Abwesenheit wieder zusammenfänden.

So blieben sie einige Zeit unbeweglich, ohne dass weder der Eine noch der Andere hätte voraussehen können, wem der Vorteil bliebe. Endlich begannen die Knie des Banditen zu zittern, seine Lenden bogen sich langsam zurück, sein Kopf sank, wie der Gipfel eines Baums, der sich biegt, dann wankten seine Füße vom Loden, er fiel schwerfällig wie eine entwurzelte Eiche, André in seinem Fall mitziehend, und durch eine dem hilfesuchenden Menschen maschinenmäßig eigene Bewegung öffnete er seine Hand, die André in der seinigen gezwängt hielt, und der Dolch, derselben alsbald entschlüpfend, fiel einen halben Fuß vom Abgrund.

Jetzt ging der Kampf um eine und dieselbe Sache fort, der Bandit suchte mit dem Fuß den Dolch in den Abgrund zu stoßen, André suchte sich desselben zu bemächtigen; aber um das eine, wie um das andere zu erreichen, mussten Beide sich dem Rande nähern. Von Zeit zu Zeit warfen ihre brennenden Augen einen Blick auf den Schlund, gegen den sie Beide unbemerkt vorrückten, ohne ein Wort zu sprechen, ohne eine Drohung auszustoßen, dann wurden ihre Glieder durch ein heftigeres Aneinander klammern steif. Endlich schien André bis an’s Ende den Vorteil über seinen Gegner erhalten zu sollen, dessen Kehle er mit der einen Hand zudrückte, während die Finger der andern beinahe den Griff des Dolchs berührten. Er machte eine letzte Anstrengung, und erreichte ihn. Der Bandit sah, dass er verloren war. Sein Entschluss zu sterben, war sogleich gefasst, aber zu sterben, indem er seinen Feind mit sich riss. Er stemmte daher seinen Fuß an den Felsen an, ohne dass André dieses gewahrte, und in dem Augenblick, wo der Dolch über seiner Brust blinkte, zog er sein Bein straff wie eine Schwungfeder an, und André, der auf ihm lag, fühlte, dass er mit ihm in den Schlund gleite. Ein fürchterlicher Schrei ertönte: es war der doppelte Fluch dieser zwei Menschen, es war der mächtige und letzte Abschied des Geschöpfs von der Schöpfung. Der Bandit und der Soldat hatten den festen Boden verloren.

Ein anderer Schrei antwortete ihm: Giacomo war es, der diesen ausstieß. Durch den Flintenschuss angezogen, war er herbeigeeilt, hatte von Ferne den Kampf gesehen, und langte im Augenblick an, wo er sich durch den gemeinsamen Fall der beiden Feinde endigte. Er streckte den Arm aus, als ob er sie hätte zurückhalten können, dann, sie verschwinden sehend, sprang er mit der Behändigkeit eines Jaguar’s auf den äußersten Rand eines Felsens, der den Abgrund überragte; warf seine gierigen Augen in den Schlund, und sah im Grunde den zerschellten Körper des Banditen, den das Wasser eines Bergstroms mit sich fortriss.

– »Kamerad! sagte in diesem Augenblick eine Stimme, die einige Fuß unter ihm herauf scholl, Kamerad!«

Giacomo wendete die Augen nach der Richtung, von der der Schall herkam und erblickte André reitend auf einem Baum, der aus den Ritzen des Felsens hervorspross.

Im Anfang ihres Falls hatten sich die beiden Gegner losgelassen und André hatte das Glück gehabt, sich an diesem rettenden Baum festzuklammern, dann hatte er es so gut gemacht, dass es ihm gelungen war, sich rittlings darauf zu setzen, indem er über seinem Kopfe zehn Fuß nackter Felsen hatte, die er nicht erklimmen konnte und unter seinen Füßen den Abgrund, in den ihm der Bandit vorangegangen war.

– »Ah! rief Giacomo erstaunt aus; wer bist du?«

– »Potztausend! da ist einer, der französisch spricht; und wir werden einander wenigstens verstehen, sagte André, auf seinem Baum eine festere Haltung annehmend, als er es bis jetzt getan hatte.«

– »Wer ich bin? Ich bin André Frochot, gebürtig aus Corbeil, bei Paris, Voltigeur im 34ten Linienregiment, welchem der Kaiser den Beinamen das Blitzschnelle gegeben hat.«