Das Harem des Sultans - Teil 1: Rana

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Das Harem des Sultans - Teil 1: Rana
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Das Harem

“Vielen Dank!” Rana verbeugte sich leicht, als sie die ältere Dame verabschiedete, die ihr gerade einen ihrer Körbe abgekauft hatte. Die junge Frau flechtete sie selbst, auch wenn ein großer Teil ihres Bestandes noch von ihrer Großmutter stammte. Seit diese jedoch nicht mehr da war, war Rana auf sich allein gestellt. Doch sie kam auch allein ganz gut über die Runden und so beschwerte sie sich nicht.

Der Markt war voll wie immer, der Geruch von Gewürzen und frischem Brot hing in der Luft. Die Musik eines Straßenkünstlers drang an Ranas Ohren. Das Geschäft an diesem Tag lief enttäuschend; wenn sie in der nächsten Woche mehr als Brot und eine kleine Schüssel Reis am Tag essen wollte, musste sie noch mehr verkaufen, bevor es dunkel wurde. Doch die meisten älteren Damen und Bediensteten, aus denen Ranas Kundschaft hauptsächlich bestand, hatten ihre Einkäufe schon früher am Tag erledigt.

Als sie schon beinahe alle Hoffnung aufgegeben hatte und sich bloß noch an der kühlen Abendbrise erfreuen und ihre schmerzenden Füße entspannen wollte, hörte sie eine melodische, dunkle Stimme hinter sich: “Entschuldigt, darf ich Euch einen Moment lang aufhalten?”

“Natürlich.” Rasch wandte sie sich um und senkte ihren Kopf, bevor ihr Blick auf den stattlichen Mann vor ihr fiel. Er war groß, beinahe anderthalb Köpfe größer als sie, muskulös und in ein langes, dunkles Gewand gekleidet. Schulterlange Locken unter einem Tuch umrahmten sein ebenmäßiges Gesicht, in dem zwei pechschwarze Augen prangten, die sie forsch von oben bis unten musterten.

“Das sind ganz wundervolle Körbe, die Ihr dort habt. Darf ich sie mir einmal ansehen?”

“Oh, vielen Dank.” Rana präsentierte ihm einige verschiedene Körbe und musste sich zusammenreißen, um ihren Blick von seinen Augen abzuwenden. In diesem Moment erschien er ihr wie vom Himmel gesandt, der Käufer, den sie brauchte, um genug Geld bis zum nächsten Markt zusammenzubekommen.

“Stellt Ihr sie selbst her?”

“Ja, das tue ich. Auch wenn einige noch von meiner Großmutter stammen. Sie war sehr gut darin.”

“Ich verstehe.” Er strich mit den Fingern über das Flechtwerk, doch seine Augen ruhten auf Ranas Gesicht. “Ich nehme drei davon. Ihr wollt doch sicher rechtzeitig nach Hause zu Eurem Ehemann, nicht wahr?”

“Ehemann?”, gab Rana überrascht zurück und rang mit sich, ob sie freundlich bleiben oder den Fremden in die Schranken weisen sollte. Wollte er herausfinden, ob sie ein leichtes Mädchen war? “Ich bin noch nicht verheiratet.”

“Entschuldigt meine Neugier. Wie heißt Ihr, meine Liebe?” Er reichte ihr einige Münzen, ohne dass sie ihm einen Preis genannt hatte.

“Rana, mein Herr.”

“Und seid Ihr öfter hier, Rana?”

“Ja, jede Woche.”

“Sehr gut. Ich werde mich daran erinnern, sobald ich einen neuen Korb brauche.” Er grinste und Rana blickte stirnrunzelnd auf das Geld in ihrer Hand. Als sie sich von ihrer Irritation darüber, wie viele Münzen er ihr überreicht hatte, befreit hatte und aufsah, um ihm die überzähligen Geldstücke zurückzugeben, hatte er sich bereits umgedreht und schob sich durch die Menge.

“Entschuldigung!”, rief sie ihm noch hinterher, doch er hörte sie nicht mehr.

Verwundert trat sie den Heimweg an, die klingenden Münzen in der Tasche. War das ein Versehen gewesen? Oder hatte der Fremde unlautere Absichten und wollte sie mit seinem Geld davon überzeugen, sich von ihm verführen zu lassen? Als sie das Haus erreicht hatte, in dem sie ein Zimmer bei einer alten Witwe gemietet hatte, war sie froh darüber, ihre Last endlich absetzen zu können. Ghita, ihre Vermieterin, saß, wie meistens am Abend, mit einer Handarbeit am Fenster.

“Rana, mein Mädchen!”, begrüßte sie sie und kniff die Augen zusammen, um sie besser sehen zu können. “Du siehst erschöpft aus. Komm doch erst einmal rein und trink einen Tee!”

Die nächste Woche verging wie die meisten in Ranas erwachsenem Leben: Tagsüber flechtete sie Körbe, half Ghita mit der Hausarbeit und führte einige Reparaturen für Stammkunden aus, die sie zu Hause aufsuchten. Abends trank sie Tee an ihrem Fenster, ruhte die wunden Hände aus und schaute den spielenden Nachbarskindern zu.

Doch in dieser Woche schlich sich manchmal der attraktive Fremde in ihre Gedanken, der ihr auf dem letzten Markt begegnet war. Nie zuvor hatte sie das Bedürfnis gehabt, einen Mann zu berühren. Sein Bild jedoch, und insbesondere seine Augen, tauchten immer wieder in ihren Gedanken auf und lösten ein nie gekanntes Kribbeln, ganz tief in ihrer Magengrube, aus. Viele einsame Stunden verbrachte Rana damit, sich auszumalen, wie sie ihn wiedertreffen würde, worüber sie miteinander sprechen würden.

Eine Woche verging und auch, wenn sie sich eine Enttäuschung eigentlich ersparen wollte, konnte sie die Aufregung und Vorfreude nicht ganz unterdrücken, die sie in der Nacht wachgehalten hatten. Wie gewohnt machte sie sich pünktlich zum Sonnenaufgang auf den Weg. Die meisten Stände waren gerade aufgestellt worden, die ersten frischen Brote lagen in den Auslagen und warteten auf hungrige Käufer. Die Gassen füllten sich zunehmend und mit jedem neuen Sonnenstrahl, der zwischen den Häusern hindurch fiel, wurde es zugleich ein wenig gedrängter.

Obwohl Rana es für unwahrscheinlich hielt, dass der Fremde wirklich wieder auftauchen würde, ertappte sie sich dabei, wie sie die Menge nach ihm absuchte. Doch statt seine hochgewachsene Gestalt zwischen den Menschen auftauchen zu sehen, hörte sie plötzlich eine laute Stimme hinter sich: “Wie ist dein Name, Korbhändlerin?”

Sie wandte sich um und erblickte zwei Schlosswachen, die in voller Rüstung vor ihr standen.

“Rana, mein Herr”, gab sie rasch zurück und verbäugte sich leicht. Was hatte sie getan, um die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich zu ziehen? War sie in Schwierigkeiten?

“Wir haben Befehl, dich ins Schloss zu bringen. Komm mit.” Er fasste ihren Arm und führte sie mit sich. Rana dachte gar nicht daran, Wiederstand zu leisten. Sie spürte förmlich, wie ihr Herz von innen fest gegen ihren Brustkorb hämmerte. Ob es um das Geld ging, das der Fremde ihr gegeben hatte? Hatte er erst später gemerkt, wie viel es eigentlich gewesen war und hatte und es bereut? Und was, wenn sie aus der Sache wieder rauskam? Jetzt, nachdem so viele Menschen gesehen hatten, wie sie von Palastwachen abgeführt wurde, würde man sicher nichts mehr bei ihr kaufen wollen.

Schweigend führten sie sie bis zu dem großen Tor, das sie noch nie durchschritten hatte. Die Last auf ihrem Rücken drückte zunehmend auf dem langen Weg.

“Hier lang!” Rana schritt hindurch und richtete ihren Blick auf den eleganten, weißen Palast am Ende des Weges. Ein Hof aus ebenso weißem Marmor erstreckte sich zu ihren Füßen und beinahe ehrfürchtig tat sie die ersten Schritte auf dem glatten Material.

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