Buch lesen: «Die Großmeister des Mordes: Alfred Bekker präsentiert 12 Strand Krimis», Seite 16

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»Ich bin bereit.«

»Dann lass uns den Job erledigen.«

Sie setzten sich in ihr »Einsatzfahrzeug«. Gallo nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Corrington fuhr los.

»Ich werde New York verlassen«, sagte Eddie Gallo während der Fahrt.

»Wohin wirst du gehen?«, fragte Jack Corrington, obwohl es ihn nicht besonders interessierte.

»Ich habe ein Kind in L. A.«

Corrington sah seinen Kurzzeit-Komplizen überrascht an. »Du hast ein Kind?«

Gallo nickte. »Ein Mädchen.«

»Wie alt?«

»Sechs Monate.«

»Wer ist die Mutter?«, fragte Corrington.

»Phyllis Drake«, antwortete Gallo. »Steiler Zahn. Geile Biene. Heiße Braut. Sie hat hier bei einem kleinen Fernsehsender gearbeitet. Ich habe sie flachgelegt, und das blieb nicht ohne Folgen.«

»Warum ist Phyllis nicht in New York geblieben?«, fragte Corrington. »Warum ist sie mit dem Baby nach Los Angeles gegangen?«

»Sie ist Schauspielerin und möchte zum Film«, erklärte Gallo. »Ein Hollywoodproduzent hat ihr eine Rolle angeboten, und sie hat mit beiden Händen zugegriffen.«

»Und wer kümmert sich um das Baby?«

»Die Kleine ist bei einer Tagesmutter.«

Vor ihnen tauchte das Areal der »Grodin Labs« auf. Damit war die Unterhaltung beendet. Eine merkliche Spannung ergriff von den beiden Einbrechern Besitz. Jack Corrington parkte das Fahrzeug. Sie stiegen aus. Wenn wir hierher zurückkehren, werden wir das Nervengift »Grodin« – das tausendmal tödlicher ist als »Sarin« - bei uns haben, dachte Corrington. Es war mit Nic Orlando vereinbart, dass sie ihn während des Einsatzes auf dem Laufenden hielten. Eddie Gallo holte sein Handy heraus und setzte sich mit dem Boss in Verbindung.

»Wir haben das Ziel erreicht«, berichtete er.

»Seid ihr schon drin?«, wollte Orlando wissen.

»Noch nicht. Aber in zehn Minuten.«

»Okay. Dann meldest du dich wieder.«

Corrington öffnete den Kofferraum. Zwei schwarze Reisetaschen standen darin. Er nahm eine an sich. Gallo griff nach der andern. Gleich darauf liefen sie über ein unkrautbestandene Grünfläche und blieben erst stehen, als sie den Gitterzaun erreichten, der das Gelände einfriedete, auf dem Brian Grodins privates Forschungszentrum aufragte. Mit zwei Bolzenschneidern schufen sie eine Öffnung, durch die sie mühelos schlüpfen konnten, und kurz darauf schleuderten sie Enterhaken aus Aluminium, an denen Seile befestigt waren, die mehr als zwei Tonnen hätten tragen können, zum Flachdach hoch.

Corrington schulterte seine Reisetasche und kletterte am Seil hinauf. Gallo war fast genauso schnell. Da sie dunkle Kleidung trugen, verschmolzen sie förmlich mit der Nacht. Das Dach war mit »Beulen« aus Plexiglas übersät.

Am Tag drang durch sie Licht in die darunter liegenden Räume. Zielstrebig näherten sich die Gangster einem ganz bestimmten Lichtfenster.

Mit Hilfe eines zwar kleinen, aber sehr leistungsstarken Akku-Schraubers drehten sie insgesamt acht Muttern von daumendicken Bolzen. Dann hoben sie die Plexiglashaube gemeinsam zur Seite und glitten an dünnen Seilen in einen breiten Gang hinab.

»Jetzt sind wir drinnen, Boss«, meldete Eddie Gallo.

»Sehr gut.« Nic Orlando klang sehr zufrieden. »Das waren noch nicht einmal zehn Minuten.«

»Wir liegen bestens im Zeitplan.«

»Sobald ihr das Gas habt, will ich es wissen.«

»Ich rufe dann wieder an«, versprach Gallo.

Die Tür, durch die sie mussten, war elektronisch gesichert. Doch fünf Minuten später war sie es nicht mehr. Während Gallo die Video-Überwachung routiniert außer Gefecht setzte, knackte Corrington mit einem batteriegespeisten Dechiffriergerät den Tür-Code und überlistete mehrere hoch empfindliche Sensoren, die gewaltig Alarm geschlagen hätten, wenn er sich ihrer nicht angenommen hätte. Alles lief wie am Schnürchen.

Jack Corrington ertappte sich dabei, wie er vor sich selbst zugab, dass der Boss recht daran getan hatte, darauf zu bestehen, dass Eddie Gallo bei diesem Einbruch mitmachte.

Ich hätte nicht gedacht, dass wir so hervorragend harmonieren und einander ergänzen würden, ging es ihm durch den Kopf. Dass ich Eddie als Mensch nach wie vor nicht mag, ist eine andere Geschichte.

Sie arbeiteten sich genau nach Plan vor. Es gab keine Verzögerungen und keine Pannen. Der Coup war von Nic Orlando optimal vorbereitet worden.

Corrington fragte sich, wie der Boss an die vielen wichtigen Informationen – die bis ins kleinste Detail stimmten - gekommen war, und die für Gallo und ihn jetzt so immens hilfreich waren. Er kam zu der Überzeugung, dass Orlando jemanden in diesem privaten Forschungszentrum bestochen haben musste. Gekauft, dachte er. Oder erpresst. Irgendwie unter Druck gesetzt. Er kann dieser Person mit brutaler Gewalt gedroht haben. Oder mit Mord. Der Möglichkeiten gibt es viele.

Das Nervengas befand sich in einem verschlossenen Safe. Doch auch diesen Code vermochte Jack Corringtons cleveres kleines Elektronik-Gerät – es war magnetisch und haftete am glatten, weiß lackierten Metall - im Handumdrehen zu eruieren und auf dem Display mit roten Ziffern sichtbar zu machen. Es rasselte danach kurz in den Eingeweiden des Panzerschranks, und dann ließ sich die fünfzehn Zentimeter dicke Stahltür öffnen, als hätte man vergessen, sie abzuschließen. Das von Brian Grodin weiterentwickelte und in seiner tödlichen Wirkung erheblich »verbesserte« Sarin, das nun Grodin hieß, befand sich in einem handlichen Metallzylinder.

»Sieht gar nicht so gefährlich aus«, stellte Eddie Gallo schwach lächelnd fest.

Corrington nahm den Behälter beinahe ehrfürchtig, auf jeden Fall aber mit viel Respekt, aus dem Safe.

Gallo wiegte den Kopf. »Damit kannst du halb New York umbringen. Vielleicht sogar die ganze Stadt. Jeden Menschen. Jeden Hund. Jede Katze. Jede Maus. Jede Ratte. Jede Kakerlake. Jeden Kanarienvogel …«

Corrington betrachtete den Zylinder und murmelte: »Ich komme mir vor wie ein apokalyptischer Reiter.«

Eddie Gallo griff wieder nach seinem Mobiltelefon und meldete Nic Orlando, dass sie das Nervengas in ihren Besitz gebracht hatten.

Kapitel 8

Mein Telefon läutete. Ich schreckte hoch. Meine Hand zuckte zum Hörer. Ich meldete mich schlaftrunken. Ich hatte gerade geträumt, der silbergraue VW Phaeton wäre gefunden worden, die Printexperten hätten bestens verwertbare Fingerabdrucke entdeckt und zweifelsfrei festgestellt, dass sie Robert Redford gehörten. Schwachsinn. Aber so sind Träume manchmal. Absurd und jenseits aller Logik und Vernunft.

Am andern Ende war ein Mann, der – das nahm ich an – mit verstellter Stimme sprach. »Ich hoffe, ich habe Sie geweckt, Agent Trevellian«, sagte er provokant.

Ich brauste auf. »Was zum …« Ich brach ab und versuchte meinen Ärger in den Griff zu bekommen. »Wer sind Sie?«

»Smith. John Smith.«

Der Name war mit Sicherheit erfunden.

»Wissen Sie, wie spät es ist?«, fragte ich scharf.

»Natürlich weiß ich das, G-man«, spöttelte Smith.

»Was wollen Sie?«, schnappte ich. Es gab absolut keinen Grund, freundlich zu sein.

»Während Sie faul in Ihrem Bett herumkugeln, sind andere sehr aktiv«, sagte Smith.

»Was wollen Sie?«, fragte ich noch einmal.

»Was ich will? Nun, ich möchte, dass Sie mir Ihr Ohr leihen, dass Sie mir ganz genau zuhören. Wäre das möglich?«

»Kommen Sie morgen zu mir ins Büro«, erwiderte ich. »Dann höre ich Ihnen zu, so lange Sie wollen.«

»Vorsicht, Trevellian!«, zischte der Anrufer. »Sie spielen mit dem Leben vieler Menschen.«

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, dass ich im Besitz eines Nervengases bin, das Brian Grodin in seinem privaten Forschungszentrum hergestellt hat«, klärte mich John Smith schneidend auf. »Ich kann damit eine Menge Schaden anrichten. Der Anschlag auf die Tokioter U-Bahn am 20. März 1995 wäre ein Dreck dagegen. Sie können Mr Grodin fragen. Er wird es Ihnen bestätigen.«

Ich sprang aus dem Bett.

»Na, sind Sie jetzt wach?«, höhnte John Smith, als hätte er das gesehen.

Pinky hatte von etwas Großem gehört. Hatte er mir davon berichten wollen? Vom Diebstahl eines extrem tödlichen Nervengases?

»Woher wussten Sie von diesem Nervengas?«, fragte ich. »Grodin hat bestimmt nicht in alle Welt hinausposaunt, woran er arbeitet.«

»Jemand hat mir davon erzählt.«

Ich bemühte mich, hinter Smiths Geheimnis zu kommen. Diese Stimme. Diese verstellte Stimme. Hatte ich sie schon mal gehört? Durfte ich davon ausgehen?

»Und Sie haben es gestohlen«, sagte ich gallig, während es in meinem Kopf mächtig ratterte. Da waren Stimmen. Und Namen. Und wieder Stimmen. Und noch mehr Namen. Aber es gelang mir nicht, Smiths Stimme zu identifizieren.

»Sie sagen es«, bestätigte John Smith so sanft und gütig, als wären wir seit Jahren die besten Freunde.

»Wieso rufen Sie ausgerechnet mich an?«, wollte ich wissen.

»Sind Sie nicht mehr beim FBI?«

»Doch. Aber ich bin bei weitem nicht der einzige Special Agent.«

Er gab mir Recht.

»Hatten wir schon einmal miteinander zu tun?«

Er ließ meine Frage unbeantwortet.

»Und was nun?«, fragte ich so frostig, als könnte ich Smith auf diese Weise tiefgefrieren.

Er lachte. »Das fragen Sie mich? Sie sind der Bulle. Strengen Sie ausnahmsweise mal Ihren Grips an.« Er wurde schlagartig ernst, verlor jeglichen Humor. »Ich will Geld, Trevellian. Viel Geld.«

»Wie viel ist für Sie viel Geld?«, erkundigte ich mich.

»Zwanzig Millionen Dollar«, kam es knallhart aus dem Hörer.

»Zwan …« Mir blieb die Luft weg.

» …zig Millionen«, ergänzte John Smith trocken. »Ganz recht.«

Hinter meiner Stirn schien sich ein Brummkreisel zu drehen. »Und wer soll Ihnen die geben?«, fragte ich heiser.

»Sie. Das FBI. Die Stadt New York. Der Staat New York. Die USA. Wer blecht, ist mir im Grunde genommen egal. Mir ist nur eines wichtig, dass ich demnächst dieses hübsche Sümmchen einsacken kann.«

»Zwanzig Millionen …«

»Das klingt nur so viel«, behauptete Smith, als wollte er mich trösten. »Denken Sie an die hohen Inflationsraten, mit denen wir ständig zu kämpfen haben. Was bekommt man denn heutzutage noch für einen Dollar? Alles wird permanent teurer. Ich muss die Summe so hoch ansetzen, damit die Geldentwertung sie nicht schneller auffrisst, als ich in den Genuss kommen kann, mich daran zu erfreuen … Sie sind ab sofort meine Kontaktperson, Trevellian. Sorgen Sie dafür, dass Sie für mich jederzeit erreichbar sind. Es darf keine Panne geben. Ich werde das Geschäft, das in New Yorks Kriminalgeschichte einmalig ist, mit Ihnen abwickeln. Mit Ihnen und mit niemandem sonst. Sie sind der Koordinator einer ganz großen, einzigartigen Transaktion. Darauf dürfen Sie stolz sein. Ich werte Sie dadurch enorm auf, hebe Sie weit aus der anonymen Masse Ihrer zahlreichen Kollegen, deren Namen nie jemand erfahren wird, heraus. Ihre Memoiren werden ein Bestseller werden. Überlegen Sie sich schon mal einen passenden Titel für Ihr Buch. Es wird sich verkaufen wie die berühmten warmen Semmeln. Sie werden durch mich reich werden. »

Ich hätte dem Kerl gern Auge in Auge gegenübergestanden. Würde es jemals dazu kommen? Würde ich zum Stolperstein dieses überheblichen Gangsters, der sich offenbar für den größten und unschlagbarsten Schurken aller Zeiten hielt, werden?

»Genug gepennt, Trevellian«, tönte er. »Jetzt wird gearbeitet. Werfen Sie die Maschine an. Legen Sie die erforderlichen Hebel um. Niemand weiß besser als Sie, welche das sind. Ich bin im Besitz eines Nervengases, das – im wahrsten Sinne des Wortes - unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit gelangen darf. Weil die Öffentlichkeit daran krepieren würde. Es liegt in Ihrer Hand, das zu verhindern, Mr FBI, Special Agent Jesse Trevellian. Sollte ich das Gefühl haben, dass Sie mich zu linken versuchen, nimmt das Unheil unweigerlich seinen Lauf. Also – verhelfen Sie mir zu meinen zwanzig Millionen, dann gebe ich das Grodin zurück und schließe Sie in mein tägliches Abendgebet ein.«

»Ich wette, Sie haben noch nie in Ihrem Leben gebetet«, knurrte ich.

»Stimmt.« Smith lachte. »Aber es hört sich gut an. Deshalb habe ich es gesagt.«

*

Selten war ein Coup so reibungslos abgelaufen wie dieser. Jack Corrington war beruhigt. Und er hatte jetzt auch sehr viel weniger gegen Eddie Gallo als noch vor ein paar Stunden, denn schließlich war Eddie maßgeblich an diesem zufriedenstellenden Erfolg beteiligt.

Corrington steckte den Grodin-Behälter in seine Jacke und zog den Reißverschluss hoch. Jetzt bist du eine lebende Bombe, Mann, dachte er. Wenn einer auf dich schießt und den Behälter trifft, geht New York unter. Oder wenn du vom Dach fällst und der Behälter dabei kaputt geht. Oder … Ach was, es wird schon nichts passieren.

»Rückzug!«, zischte er seinem Komplizen zu.

Gallo – der pflegeleicht gewordene - nickte. Sie kehrten um. Als sie die Seile erreichten, an denen sie heruntergeklettert waren, sagte Gallo: »Sekunde.«

Er eilte davon.

»Wohin willst du?«, fragte Corrington gepresst.

Gallo antwortete nicht.

»Eddie!«

Gallo verschwand um die Ecke.

»Eddie, was soll das? Komm zurück!«

Jack Corrington hörte, wie eine Tür geöffnet wurde. Stimmen. Schreie. Zwei Schüsse. Dann – Stille. Corrington stand wie vom Donner gerührt da.

Gallo erschien. »Okay. Verschwinden wir.«

Corrington sah ihn entgeistert an. »Was war das?«

Gallo griff mit beiden Händen nach seinem Seil.

»Verdammt, was hast du getan?«, wollte Corrington wissen.

»Später. Hauen wir ab.« Gallo kletterte hoch. »Komm schon. Oder willst du hier Wurzeln schlagen?«

Geschockt und benommen kletterte auch Jack Corrington nach oben. Eddie Gallo war sehr viel schneller. Sobald Gallo auf dem Dach war, drehte er sich um und streckte Corrington die Hand entgegen. Doch dieser ergriff sie nicht.

Er war unvorstellbar wütend und verstört. Gallo richtete sich auf. Es schien ihm egal zu sein, dass sein Komplize jetzt sauer auf ihn war.

Nachdem auch Corrington das Dach erreicht hatte, wiederholte er seine Frage mit wutverzerrtem Gesicht. »Verdammt, was hast du getan?«

»Ich habe die beiden Securitys umgelegt«, antwortete Gallo gefühlskalt, und als wäre dies die selbstverständlichste Sache von der Welt für ihn.

»Warum?«, fragte Corrington verständnislos. »Das war doch gar nicht nötig.«

»Glaube mir, es war nötig.«

»Sie haben vom Einbruch doch überhaupt nichts mitbekommen. Hattest du etwa Angst, sie würden uns in den Rücken schießen? Die war völlig unbegründet.«

»Weiter. Der Boss wartet auf das Grodin.«

Eddie Gallo ließ sich auf keine Diskussion ein. Er trachtete, das Areal des privaten Forschungszentrums so rasch wie möglich zu verlassen. Jack Corrington folgte ihm – zornbebend und außer sich vor Wut und Empörung.

Ich hätte wissen müssen, dass es Ärger gibt, wenn dieser Hurensohn mitmacht, hallte es in seinem Kopf. Ich hätte mich weigern sollen, mit Eddie zu arbeiten. Er ist ein herzloser Bastard, der sogar dann über Leichen geht, wenn es nicht sein muss. Ich hasse ihn.

Gallo schlüpfte als Erster durch das Loch im Zaun. Corrington wenige Augenblicke später. Als Gallo in den Wagen steigen wollte, packte ihn Corrington hart und riss ihn kraftvoll herum.

»Dreh jetzt nicht durch, Junge«, knurrte Eddie Gallo verdrossen. Ein gefährlicher Unterton schwang in seiner Stimme mit.

»Ich will wissen, warum du das getan hast!«

»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.«

»Doch, das bist du. Weil ich diesen Coup leite.«

Gallo maß seinen Komplizen verächtlich. »Tust du das?«, fragte er mit hörbarem Zweifel.

»Du warst damit einverstanden, dass ich bei dieser Aktion das Sagen habe.«

»Vergiss die beiden Wachleute«, sagte Gallo rau. »Du kannst noch so keifen, sie werden nicht mehr lebendig, und das ist gut so.«

»Ich habe gesagt, dass ich großen Wert darauf lege, dass die Sache ohne Blutvergießen abgeht«, blaffte Corrington. »Ihr wart alle meiner Meinung.«

»Das waren wir nur, um dich zu beruhigen«, erklärte Eddie Gallo.

Corrington riss die Augen auf. »Was soll das heißen? War etwa von Anfang an geplant, dass du die Wachmänner killst?«

Gallo lachte überheblich. »Was dachtest du denn? Klar war das von Anfang an so geplant. Ich habe vorhin nicht eigenmächtig gehandelt, sondern in Nic Orlandos Auftrag.«

»Warum?«

»Steig endlich ein«, sagte Gallo ungeduldig.

»Warum?«

»Was glaubst du, von wem der Boss die ganzen Insider-Infos hatte?«

»Von den Wachleuten?«

»Von einem der beiden«, sagte Gallo. »Und damit er nicht plaudern kann, wenn die Bullen ihn zu sehr in die Mangel nehmen, habe ich ihn ausgeknipst. Ich habe eine Sicherheitslücke geschlossen.«

»Was ist mit dem zweiten Wachmann? Warum hast du auch ihn …?«

»Weil er mein Gesicht gesehen hat«, gab Eddie Gallo trocken zur Antwort.

»Du hast mich reingelegt«, stieß Corrington wutentbrannt hervor. »Ihr Scheißkerle habt mich alle reingelegt.«

Gallo griente. »Sieht ganz danach aus. Ich würde an deiner Stelle kein Drama draus machen, sondern mich einfach damit abfinden. Was geschehen ist, ist geschehen. Das lässt sich nicht mehr ändern.«

»Glaubst du, ich tue das einfach mit einem Schulterzucken ab?«, fauchte Jack Corrington.

Gallo sah ihn an, als wollte er sagen: »Ach, halt doch die Luft an, du armes Würstchen. Greine hier nicht blöd herum, du weicher Bruder. Nimm die unverrückbaren Fakten einfach hin wie ein Mann.«

Doch er fragte statt dessen: »Hast du eine andere Möglichkeit?«

Corrington nickte heftig. »O ja. Die habe ich.«

»Welche denn?«, erkundigte sich Gallo ungläubig.

»Zum Beispiel diese«, sagte Corrington hasserfüllt und streckte den Komplizen mit einem einzigen wuchtigen Faustschlag nieder.

*

»Hallo?«, kam es krächzend aus dem Hörer.

»Hier spricht Jesse, Milo.«

»Oh, Mann, Jesse …« Mein Partner gähnte gequält und vorwurfsvoll. »Kannst du nicht schlafen?«

»Du wirst gleich ebenso hellwach sein wie ich«, prophezeite ich ihm.

»Du musst mindestens einen guten Grund haben, mich um diese Zeit zu wecken, sonst …«

»Ich habe zwanzig Millionen Gründe«, fiel ich ihm ins Wort, und dann berichtete ich ihm von John Smiths Anruf.

Als er hörte, was gestohlen worden war, stieß er die Luft pfeifend aus. »Grundgütiger.«

»Du sagst es.«

»Kann es sein, dass sich jemand einen schlechten Scherz mit dir erlaubt hat?«

»So hat das Ganze nicht geklungen«, gab ich zurück.

»Alle Mächte«, stöhnte mein Kollege. »Wir müssen Mr McKee informieren.«

»Das tue ich gleich nachher. Spring in die Wäsche und warte an unserer Ecke auf mich.«

»Okay«, sagte Milo. »Bis gleich.«

Ich legte auf und setzte mich unverzüglich mit unserem Chef in Verbindung. Er war noch im Field Office. Wieder einmal. Ich fragte mich: Wann schläft dieser Mann eigentlich? Jonathan D. McKee war ein Phänomen.

Der Assistant Director hörte sich schweigend an, was ich zu melden hatte. Danach sagte er: »Ich erwarte Sie und Milo umgehend in meinem Büro, Jesse.«

»Wir sind schon unterwegs, Sir«, gab ich zurück und beendete das Gespräch.

Dann zog ich mich hastig an und verließ mein Apartment. Wenig später fuhr ich durch eine Stadt, die demnächst mit Leichen gepflastert sein würde, wenn Smith sein Geld nicht bekam. Ich rief mir seine Stimme zum wiederholten Male ins Gedächtnis. Sie klang ganz deutlich in meinen Ohren.

Wer war dieser Mann? Mit wem hatte ich telefoniert? Ich kam einfach nicht drauf. Mir war nur eines klar: Dass er seine Stimme wohl kaum verstellt hätte, wenn er sicher hätte sein können, dass ich sie noch nie gehört hatte.

*

»Das Ding läuft«, sagte Nic Orlando zu Craig Travis. Er rieb sich zufrieden die Hände und prüfte dann, ob sein Krawattenknopf korrekt saß. »Die Mission befindet sich auf einem sehr guten Weg.«

Travis grinste breit. »Mr Grodin hätte auf sein giftiges Baby besser aufpassen müssen.«

»Er hätte wohl nicht im Traum daran gedacht, dass man es ihm stehlen könnte, sonst hätte er es bestimmt sicherer verwahrt«, sagte Orlando.

»Und jetzt ist er es los.« Travis lachte. »So ein Pech aber auch.«

»Wir haben den Coup mustergültig geplant«, sagte Orlando stolz. Er zupfte ein paar Fusseln von seinem Ärmel. In seinen Augen schienen Dollar-Zeichen zu tanzen. »Es war goldrichtig, zu warten, bis Jack Corrington wieder draußen ist. Er und Eddie Gallo sind einfach die Besten.«

»In meinen Augen ist es auch ein genialer Schachzug, Trevellian zum Laufburschen zu machen«, befand Travis. Er wollte dem Boss damit nicht schmeicheln. Es war seine ehrliche Meinung. »Der G-man wird alles tun, um zu verhindern, dass seine Stadt zum Leichenhaus wird.«

»Tja, alles steht und fällt damit, dass man die richtigen Leute an der Hand hat.«

»Und wie man sie – ihren Fähigkeiten entsprechend - einsetzt«, ergänzte Travis.

Nic Orlando warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war Zeit, dass sich Eddie Gallo wieder meldete und berichtete, dass die beiden Securitys tot waren.

Vor allem Hermes Baker. Von ihm hatte Orlando die wertvollen Informationen bekommen. Ohne sie wäre der Coup unvergleichlich schwieriger abzuwickeln gewesen.

Orlando hatte dem Sicherheitsmann fünf Millionen versprochen. Dieser großen Versuchung hatte Baker einfach nicht widerstehen können.

Vor allem deshalb nicht, weil er mit einer schwer kranken Frau verheiratet war, die nur mit einer Operation, die er sich nicht leisten konnte, zu retten gewesen wäre. Diese Notlage hatte Orlando ausgenutzt.

Geschickt, wie er fand. Und ohne jemals ernsthaft die Absicht zu haben, dem Sicherheitsmann tatsächlich fünf Millionen zu überlassen.

Inzwischen ist vermutlich Mr Baker tot, dachte Orlando zynisch. Und Ms Baker wird ihm demnächst folgen, weil kein Arzt bereit ist, sie ohne Bezahlung zu operieren. Das Schicksal kann manchmal schon sehr grausam sein. Das Telefon läutete. Orlando griff nach dem Hörer.

»Ja?«

Er rechnete damit, dass am andern Ende Eddie Gallo war. Das war tatsächlich der Fall. Orlando rechnete aber auch mit einer weiteren Erfolgsmeldung, damit konnte Gallo jedoch nicht dienen. Der Einbrecher nuschelte so undeutlich, dass Orlando ihn nicht verstand.

»Wie war das?«, fragte Nic Orlando ärgerlich.

Gallo nuschelte wieder.

»Verdammt noch mal, kannst du nicht etwas deutlicher sprechen?«, schnauzte Orlando ins Telefon. »Ich verstehe dich nicht. Ist Hermes Baker erledigt?«

»Ja, Boss.«

»Und der andere?«, fragte Orlando.

»Auch.«

»Wunderbar.«

»Aber …«

»Was – aber?« Orlando kniff die Augen zusammen. Unruhe begann in ihm zu wachsen. »Hat es irgendein Problem gegeben?«

»Das kann man wohl sagen.«

»Rede!«, verlangte Orlando nervös.

»Jack war damit nicht einverstanden.«

»Womit war er nicht einverstanden?«, wollte Nic Orlando wissen.

»Dass ich die beiden Securitys …«

»Er soll sich nicht in die Hosen scheißen«, blaffte der Gangsterboss. Er verzog missmutig das Gesicht.

»Er sagte, wir hätten ihm versprochen, dass die Sache ohne Blutvergießen abgeht.«

»Wo gehobelt wird, fallen Späne«, kam es frostig über Orlandos Lippen. »Seid ihr schon auf dem Weg hierher?«

»Nein, Boss.«

»Nein?«, schrie Orlando. »Verdammt, was …«

»Jack hat die Nerven weggeschmissen«, berichtete Eddie Gallo.

»Was heißt das im Klartext?« Orlando wurde immer lauter. Es wetterleuchtete in seinen Augen.

Craig Travis hörte gespannt zu. Sein Blick hing an Orlandos zornbebenden Lippen. Was er bisher mitbekommen hatte, gefiel ihm nicht.

»Er ist durchgedreht«, berichtete Eddie Gallo. »Hat von einer Sekunde zur andern den Verstand verloren. Ist explodiert. Hat mich k.-o.-geschlagen.«

»Er hat dich …« Orlando war fassungslos. Er wechselte den Hörer vom linken Ohr zum rechten. »Und weiter?«

»Als ich zu mir kam …«

»Sag nicht, dass er abgehauen ist«, stieß Orlando aufgewühlt hervor.

»Es ist leider so, Boss«, sagte Gallo kleinlaut. Er hätte begreiflicherweise lieber eine erfreulichere Botschaft für Nic Orlando gehabt.

»Mit dem Grodin?«, fragte Orlando heiser.

»Mit dem Gas«, musste Gallo bestätigen.

»Verdammt, wie konntest du dich von ihm ausknocken lassen?«, schrie Orlando vorwurfsvoll. »Wie war das möglich?«

»Ich war nicht darauf vorbereitet, Boss«, rechtfertigte sich Gallo.

»Du hättest damit rechnen müssen«, bellte Orlando wütend. »Wer weiß, was dieser Irre jetzt anstellt. Er gefährdet den ganzen Coup. Und zwar höchst massiv. Suche ihn! Bring ihn hierher! Oder leg ihn um! Das ist mir egal. Ich will das Grodin haben. Hörst du? Ich brauche das Gas. Es stehen zwanzig Millionen Dollar auf dem Spiel.«

Orlando legte auf und setzte seinen Stellvertreter, der das meiste bereits mitgekriegt hatte, von dem schrecklichen Malheur umfassend in Kenntnis.

Er befahl Craig Travis, sich ebenfalls an der Suche nach dem durchgeknallten und damit unzurechnungsfähig gewordenen Jack Corrington zu beteiligen.

Mit den beiden Gorillas Chris Keeslar und Jeff Fahey. Travis nickte und wollte das Penthouse verlassen. Da läutete Orlandos Telefon erneut, und Travis blieb noch. Diesmal war der Anrufer Jack Corrington.

»Jack, du gottverfluchter Kretin!«, brüllte Nic Orlando sofort los. »Was hast du getan? Bist du von allen guten Geistern verlassen?«

»Es hat Tote gegeben, Nic.«

»Na, wenn schon?«

»So hatten wir das nicht besprochen«, sagte Jack Corrington vorwurfsvoll.

»Ach, scheiß drauf«, polterte Orlando. »Wir müssen alle mal abtreten.«

»Der Coup sollte ohne Blutvergießen ablaufen«, sagte Corrington. »Ich hätte nicht mitgemacht, wenn ich gewusst hätte …«

»Verdammt noch mal, für wen hältst du dich?«, brüllte Orlando außer sich vor Zorn. Noch nie hatte ihn jemand so sehr in Rage gebracht. Er war nahe dran, an die Decke zu gehen. »Ich hätte Mittel und Wege gefunden, dich zu zwingen, mitzumachen, Arschloch. Was glaubst du, mit wem du es zu tun hast? Was denkst du, wer du bist? Ein selten dämlicher Armleuchter bist du. Ein Schlappschwanz. Ein Jammerlappen. Ein Schwächling. Eine Niete. Ein Vollidiot ohne Mumm und Hirn.« Er zerrte hektisch an seinem Krawattenknopf, lockerte ihn und öffnete den Hemdkragen. Sein Gesicht war puterrot. Er schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch. »Okay«, sagte er, sobald er sich etwas beruhigt hatte. »Okay, Jack. Und jetzt lass uns mal ganz vernünftig miteinander reden. Ja?«

Corrington schwieg.

»Wo bist du?«, fragte Orlando.

Corrington schwieg.

»Du hast etwas, das mir gehört, Jack.«

»Wieso gehört es dir?«, fragte Corrington. »Hast du es gestohlen oder ich?«

»Du hast es in meinem Auftrag gestohlen!«, stellte der Gangsterboss energisch klar. »Ohne mich wüsstest du nicht einmal, dass es das Grodin gibt.«

»Es wäre besser gewesen, auch du hättest nie davon erfahren«, entgegnete Corrington frostig.

Es zuckte unkontrolliert in Orlandos Gesicht. Es fiel ihm unheimlich schwer, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Hör zu, Jack«, sagte er. »Du bringst mir jetzt das Gas – und alles ist vergeben und vergessen. Dir sind die Nerven durchgegangen. Dafür habe ich Verständnis. Das war nach dreieinhalb Jahren dein erster Coup. Ich kann mich sehr gut in deine Lage versetzen. Du stehst unter enormem Stress, und plötzlich legt dein Komplize zwei Sicherheitsmänner um. Damit hast du nicht gerechnet. Es brachte dich aus der Fassung, hat dich von der Rolle geworfen. Aber nun musst du dich wieder einkriegen, Junge. Es geht um zwanzig Millionen Dollar. Das ist kein Pappenstiel. Du darfst dieses einmalige Geschäft nicht verpatzen. Also sei vernünftig und liefere das Gas, wie vereinbart, hier ab.«

Corrington schwieg wieder.

»Jack?«

Corrington sagte nichts.

»Jack!«

Stille am andern Ende. Aber Corrington war noch dran.

»Zwing mich nicht, dir Craig, Chris und Jeff auf den Hals zu hetzen, Jack«, sagte der Gangsterboss mit drohendem Unterton. »Es wäre ein Fehler, zu glauben, dass sie dich nicht finden. Du wärst selbst in der Hölle nicht vor ihnen sicher.«

Corrington legte auf.

Einfach so.

*

Ich stoppte meinen Sportwagen kurz, Milo stieg ein und ich fuhr weiter. Ich sah meinem Partner an, dass er noch nicht in allerbester Form war. Aber war ich das etwa schon?

»Wieso müssen sich Menschen mit so etwas befassen?«, sagte mein Kollege rau. »Mit der Entwicklung eines so tödlichen Gases, meine ich.«

»So sind Forscher nun mal«, gab ich zurück. »Sie sehen es als ihre Bestimmung an, allem und jedem auf den Grund zu gehen und der Natur ein Geheimnis nach dem andern zu entreißen. Sie spalten Atome, erforschen Gene, durchleuchten unsere Erbmasse … Jeder versucht auf seine Weise seiner Berufung gerecht zu werden. Manchmal schaffen sie Heilsames, bisweilen aber auch Tod bringendes.«

Man sagt von New York zwar, es wäre eine Stadt, die niemals schläft, doch am Tag hätten wir wegen des wesentlich dichteren Verkehrs das Field Office sehr viel später erreicht. Während man Milo und mir schon aus hundert Metern Entfernung ansah, dass wir geradewegs aus dem Bett kamen, machte Mr McKee einen sehr frischen, höchst agilen Eindruck. Wenn wir ihn nicht so gut gekannt hätten, hätten wir vermutlich angenommen, dass er gedopt war.

»Hat sich dieser John Smith noch einmal bei Ihnen gemeldet, Jesse?«, erkundigte sich unser Chef.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Sir.«

»Beim Raub des Nervengases kamen zwei Sicherheitsmänner ums Leben«, berichtete der Assistant Director. »Sie wurden mit Kopfschüssen getötet. Die wenigen Spuren, die die Täter hinterlassen haben, deuten darauf hin, dass sie zu zweit waren.«