Mein Jakobsweg durch Israel – Wanderungen durch das Heilige Land

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Mein Jakobsweg durch Israel – Wanderungen durch das Heilige Land
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Bodo Scholz

Mein Jakobsweg

durch Israel –

Wanderungen durch

das Heilige Land

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Titelfoto © Sam Spiro (FOTOLIA)

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Für meine viel zu früh verstorbene Ehefrau.

Mein heiß geliebter Schatz,

warum hat gerade dich,

diese schlimme Krankheit befallen?

Ich kann immer noch nicht fassen,

dass du nicht mehr auf dieser Welt bist.

Du warst die pure Lebendigkeit.

Und gerade dich traf die Grausamkeit

dieser Krankheit.

Wo auch immer du bist,

ich umarme dich ganz fest.

Viele Menschen werden dich nie vergessen.

In unserer Erinnerung lebst du weiter.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

Bad Liebenstein, 19.3.15

Bad Liebenstein, 30.3.15

Bad Liebenstein, 11.4.15

Im Flugzeug auf dem Weg von Kiew nach Tel Aviv, 24.4.15

Tel Aviv, 25.4.15

Tel Aviv, 26.4.15

Tel Aviv, 27.4.15

Tel Aviv, 28.4.15

Tel Aviv, 29.4.15

Netanya, 30.4.15

Tiberias, 30.4.15

Tiberias, 1.5.15

Tiberias, 3.5.15

Tiberias, 4.5.15

Zefat, 5.5.15

Tiberias, 5.5.15

Tiberias, 6.5.15

Tiberias, 7.5.15

Jerusalem, 7.5.15

Jerusalem, 8.5.15

Jerusalem, 9.5.15

Jerusalem, 10.5.15

Jerusalem, 11.5.15

Flughafen Kiew-Boryspil, 12.5.15

Nachwort

Dank

Vorwort

Fast alle Dialoge wurden in englischer Sprache geführt. Der Einfachheit halber schrieb ich immer gleich die deutschen Übersetzungen nieder.

Eigennamen der Menschen habe ich verändert.

Auf einen Fotoapparat habe ich verzichtet. Vor zwei Jahren verkaufte ich meine sehr gute Kamera. Ich wollte mehr schreiben, davon hielt mich die Kamera ab. Wer heute Bilder von der Klagemauer oder orthodoxen Juden haben will, der bekommt davon viele mit wenigen Klicks in bester Qualität via Internet.


Bad Liebenstein, 19.3.15

In einem reichlichen Monat geht meine Israel-Reise los. Das günstige Flugticket für den Hin- und Rückflug von Frankfurt am Main via Kiew nach Tel Aviv mit Ukraine International Airlines habe ich bereits vor zwei Monaten gekauft.

„Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ von Amos Oz, zwei Romane von Zeruya Shalev und einige andere Bücher über Israel habe ich gelesen.

Amos Oz am 14.11.14 im Deutschland Radio: „Literatur ist die beste Art, ein anderes Land zu erkunden. Hätte ich zuerst ein Flugticket gekauft, um für drei Wochen nach Deutschland zu reisen, hätte ich Museen und Kirchen besucht, historische Stätten und schöne Landschaften gesehen. Ich hätte mit Leuten geredet, Fotos gemacht, und wäre wieder nachhause geflogen. Aber wenn ich einen guten deutschen Roman lese, werde ich in die Wohnzimmer eingeladen, die Kinderzimmer, selbst in die Schlafzimmer. Da kommt kein Tourist hin. Und deshalb ist die beste – und billigste – Art ein fremdes Land kennenzulernen: ein guter Roman.“

Mein Ziel ist es, nicht nur Israels Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Das Land will ich kennenlernen und mit seinen Menschen reden.

Ich bin Schachspieler und hatte die Hoffnung, an einem Schachturnier in Israel teilzunehmen und so mit israelischen Schachfreunden unkompliziert ins Gespräch zu kommen. Im Internet wurden Turniere in Hebräisch offeriert, die Übersetzungen ins Deutsche und die englischen Angaben halfen mir trotz stundenlanger Stöberei nicht.

Ich wandte mich an die Sektion Schach des Makkabi Deutschland (jüdischer Sportverband in Deutschland) mit der Bitte um Mithilfe. Zunächst wurde mir gesagt, dass ich eine Mail mit der Adresse eines Schachfreundes bekomme, der sich in der israelischen Schach-Szene auskennt. Nichts geschah. Nach telefonischer Rücksprache wurde mir erneut die zugesagte Mail zugesichert. Nichts geschah.

Ich erreichte dann noch einen anderen jüdischen Schachfreund, der mir empfahl, mich an den israelischen Schachverband zu wenden. Aus der Homepage dieses Verbandes ermittelte ich vier Mailadressen und schickte an alle vier Adressen den gleichen englischen Text, in dem ich um Mithilfe bei der Anmeldung meiner Person für ein Schachturnier in Israel bat. Ich bekam nicht eine Antwort.

Das waren meine ersten Erfahrungen mit den Israelis. Natürlich lag mir jedwedes Pauschalisieren fern.

Allerhand Zeit ist mit diesem Rumgemehre vergangen. Ich hätte eher anfangen und stringenter organisieren sollen. Hätte, hätte, hätte – jetzt ist jetzt.

Vor einer Woche buchte ich mir eine Hostel-Unterkunft in Tel Aviv für die ersten vier Nächte, stellte dabei fest, dass ich reichlich spät dran war, da viele Quartiere für Ende April bereits ausgebucht waren. Alles kommt jetzt auf einmal. Ein paar andere Sachen regeln und meiner Arbeit muss ich auch noch nachgehen.

Ursprünglich wollte ich mit Koffer reisen und nur Tagesausflüge machen.

Ich bin Arzt für Orthopädie in einer Rehabilitationsklinik. Zeitlich kann ich es mir natürlich nicht leisten, ewig mit den Patienten über Privates zu reden. Dennoch war es mir in meinem ärztlichen Leben immer wichtig, mit meinen Patienten auch etwas über ihr sonstiges Leben zu reden und nicht nur deren Leiden fabrikmäßig abzuarbeiten – einige Worte mit ihnen über ihren Beruf oder ihren Heimatort zu wechseln. So berichtete mir ein Patient und ehemaliger Deutsch-Lehrer vor einem Monat mit Begeisterung von Landolf Scherzers Wander-Reportage „Immer geradeaus. Zu Fuß durch Europas Osten.“ Das Buch selbst habe ich noch nicht gelesen, lediglich ein paar Rezensionen und Inhaltsangaben. Das gab mir den Anstoß, meine Pläne zu ändern. Ich bin doch kein Weichei. Wenn der 68jährige Landolf Scherzer durch den relativ gefährlichen Osten Europas allein wandern konnte, so kann ich mit meinen 51 Jahren natürlich auch durch das zivilisierte Israel „immer geradeaus“ wandern und so werde ich nach vier Tagen Tel Aviv „immer geradeaus“ Richtung Nordost zum See Genezareth wandern. Ich habe genügend Zeit, der Weg ist das Ziel. Laut Landkarte wird ein leichter Bogen um das Westjordanland erforderlich sein.

Mit langen Wanderungen habe ich nur wenig praktische Erfahrungen. Nun ja, gegebenenfalls kann ich mir in Israel zur Not noch notwendige Sachen kaufen.

 

Einen guten Rucksack, ein schnell trocknendes leichtes Handtuch, zwei warme atmungsaktive Unterhemden, einen atmungsaktiven Regenponcho (den ich auch über meinen Rucksack werfen kann) werde ich mir noch heute im Internet bestellen. Meine sonstige Ausrüstung ist nach meiner Ansicht okay.

Mein allerliebster Schatz,

ich glaube nicht an den Himmel nach dem Leben. Niemand weiß, ob es ihn wirklich gibt. Ich hoffe, du hast ihn und schaust mir von dort oben zu und freust dich für mich, dass ich versuche mein Leben ohne dich zu gestalten. Ich denke jeden Tag an dich.

Du warst die pralle Lebendigkeit und Lebensfreude. Warum musste ausgerechnet dich diese brutale Krankheit so früh treffen?

Du warst die Liebe meines Lebens.

Ich umarme dich ganz fest.

(Meine Frau litt und verstarb an ALS.)

Bad Liebenstein, 30.3.15

Vor 1 ½ Stunden habe ich die Lektüre des Buches „Wenn ich dich je vergesse, oh Jerusalem …“ von Angelika Schrobsdorff beendet. Ich war niedergeschlagen. Einige neue Sachen über Israel erfuhr ich, der Grundtenor des ganzen Buches deprimierte mich mächtig. Beim Lesen hoffte ich auf freudige Textstellen, es kamen keine. Fazit dieser Israel-Abhandlung: Seit Jitzchaks Rabins Tod ist alles zu spät mit dem Friedensprozess. Eine Besserung der großen Misere ist nicht in Sicht. Ich hatte das Gefühl, Israel ist ein Land in totaler Depression ohne Freude. Ob ich die Reise storniere? Ich trauere um meine liebe Frau, will nicht noch trauriger werden.

Ich rief meinen Cousin und seine Frau an. Sie waren schon zweimal in Israel, zuletzt vor zwei Jahren. Bei der geführten Reise spazierten sie durch mehrere Städte des Landes. Von einer traurigen Grundstimmung spürten sie überhaupt nichts. Nach ihrem Eindruck erfreuten sich die meisten Menschen ihres Lebens. Das baute mich wieder auf, ich werde wie geplant durch Israel wandern.

Bad Liebenstein, 11.4.15

Meine bestellten Sachen sind noch nicht eingetroffen. Ich schaue nicht jeden Tag nach meinen Mails, zudem werden manche korrekte Nachrichten bei gmx unter Spam hinterlegt. Heute bekam ich nun raus, dass ich fälschlicherweise mit den Angaben meiner alten Visa-Card meine Wanderausrüstung bestellt hatte. Seit einem Monat habe ich jedoch eine neue Visa-Card, die alte war nicht mehr gültig. Gerade habe ich meine Bestellungen aktualisiert. Ich hoffe, alles klappt noch. Es wird jetzt wirklich eng. In zwei Wochen will ich schon in Israel sein. Wenn es ganz blöd kommt, bin ich dort und verbringe die ersten Tage mit dem Besorgen meiner notwendigen Ausrüstung, während hier das bestellte Zeug ankommt.

Komme eher aus der Hefe, Scholz!!

Eigentlich bin ich ja ein ordentlicher, vorausschauender Mensch – wie man sieht nur eigentlich – nicht immer. Ein bisschen Schlamperei ergibt manchmal auch etwas Abenteuer und neue Erfahrungen.

Im Flugzeug auf dem Weg von Kiew nach Tel Aviv, 24.4.15

Mein Trip hat begonnen. Die notwendigen Klamotten sind zum Glück noch alle eingetroffen.

Die Boeing-Maschinen der Ukraine International Airlines und der Flughafen Kiew machen einen sehr guten Eindruck, äußerlich kann ich keinen Unterschied zu westeuropäischen Flugzeugen und Flughäfen finden.

Vor 11 Monaten war ich mit meiner geliebten Frau – sie leider schon im Rollstuhl – auf einer Kreuzfahrt. Das Schiff startete in Antalya und kam dort wieder an. Das Schwarze Meer und Antalya überfliege ich gerade.

Mein heiß geliebter Schatz,

ich umarme dich ganz fest und danke dir für die schöne, wenn auch teilweise sehr schwere Zeit, die wir gemeinsam hatten. Nach einer anderen Frau ist mir noch nicht.

Ich hege so viele schöne Erinnerungen an dich. Dein Grabstein ist nach deinen Wünschen gestaltet. Der einzige Grabstein mit Bild gleich am Eingang des Steinbacher Bergfriedhofs. Du wolltest ein Bild von dir mit Katze auf deinem Grabstein haben. Den Wunsch haben wir dir erfüllt. Wir wählten das Bild von unserer Wanderung um Meran vor fünf Jahren. Du liebtest Katzen, hieltest fremden Katzen nur die Hand und sie kamen meistens gleich zu dir. Sie spürten wohl gleich deine Katzenliebe. Auf dem Foto lächelst du mit der Katze auf deinem Arm ganz versonnen. Ich denke, du würdest dich über dein schönes Denkmal freuen.

Eine schöne Trauerfeier bekamst du. „My way“ von Frank Sinatra, was wir beide sehr mögen, wurde in der Steinbacher Kirche vor 120 Trauergästen gespielt. Ohne mein Zutun spielte die Organistin auch „Candle in the wind“.

Horst, immerhin ein Freund deines Ex-Mannes sagte mir beim Kaffee danach: „Was du geleistet hast, ich könnte es nicht. Als Jäger kann ich tot machen, pflegen kann ich wohl nicht.“

Ich erwiderte, dass er bei schwerer Krankheit eines nahen Angehörigen sicher nicht weggerannt wäre, sondern sich auch irgendwie dem Problem gestellt und sich gekümmert hätte. Dessen bin ich mir ganz sicher.

Er sagte auch noch: „Ich habe schon viele Trauerfeiern miterlebt, aber das war die Schönste.“

Beides freute mich ganz besonders an diesem traurigen Tag.

Deine Tochter geht einen guten Weg, du wärst stolz auf sie. Wir verstehen uns gut.

Vorhin beim Qualmen auf dem Kiewer Flughafen machte auf der nebligen Raucherinsel mit Stehtisch in der Mitte ein circa 40jähriger Ukrainer eine gerade im Duty-Free-Shop gekaufte Whisky-Flasche auf. Wir wechselten wenige Worte in Russisch. Er war in Begleitung zweier Frauen und wollte mir auch gleich Whisky einschenken. Sie wollten auch nach Tel Aviv. Ich dachte, es wären Neu-Israelis aus der Ukraine. Nein, er arbeitet nur in Tel Aviv. Ich hoffte schon, dass diese netten Menschen mich vom Tel Aviver Flughafen in die Stadt mitnehmen würden. Er sagte mir, ich solle ein Sherut-Taxi nehmen. Wäre ja zu schön gewesen. Vielleicht war es gut so, denn meine Mami hat mir gesagt, ich soll nicht bei fremden Menschen ins Auto steigen – ha, ha, ha.

Jetzt im Flugzeug sitzt ein streng dreinschauender Mann neben mir, circa 30 Jahre alt, sehr kurzer schwarzer Igel-Haarschnitt. Er nickte nur kurz zur Begrüßung und wirkte recht abweisend. Er erinnerte mich an einen meist ernsten Schulkameraden. Nach einer Weile fragte ich ihn doch, ob er in Tel Aviv wohne. Er sprach kaum Englisch und konnte mir nicht antworten – auch ein ukrainischer Arbeiter in Israel?

Das Essen und Bier hier an Bord muss man bezahlen. Es sind normale Gasstätten-Preise. Der Mann nahm nur das kostenlose Mineralwasser. Nun, das hat nichts zu sagen. Vielleicht kommt er schon in einer Stunde an einen reich gedeckten Tisch in Tel Aviv.

Anne Frank schrieb ihr Tagebuch zumeist an ein Phantom namens Kitty. Die Literaturwissenschaftler mutmaßen, wer Kitty war, niemand weiß es wirklich.

Ich will mein Tagebuch zumindest teilweise auch an jemanden schreiben.

Nicht an dichMein lieber Schatz.

Ich wäre bei manchem Gedanken über Frauen zu gehemmt. Sei nicht böse. Du könntest manchmal sagen, bei mir hattest du solche Gedanken nicht oder denkst du auch an mich, wenn du laufend über Ornella Muti oder Frau Pumpelhuber schreibst.

Wie wäre es denn mit BV=Beichtvater. BV bedeutete bei der Nationalen Volksarmee der DDR „Besonderes Vorkommnis“, oft mit gewissen Vergehen von Soldaten verbunden. Unser Oberoffizier nannte unsere Pionier-Kompanie einst BV-Kompanie, weil sich die BV’s in unserer Truppe häuften.

BV=Beichtvater – ist gut – ein vertrauenswürdiger Mensch, der das Beichtgeheimnis bis in seinen Tod hütet und mir Absolution erteilt. Vielleicht macht das viele Rheinländer, Italiener, Spanier, Südamerikaner, Bayern so entspannt. Die gehen fremd, lassen killen, killen manchmal selbst, gehen zur Beichte und leben dann mit Absolution und Frohsinn weiter. So ungefähr erklärte mir das ein Katholik. Weil ich damals noch kein Tagebuch führte, weiß ich leider nicht mehr, wer es war.

Weißt du noch, mein lieber Schatz – der ehemalige katholische Pfarrer von Bad Liebenstein zeigte uns den Beichtstuhl seiner neuen modernen Kirche und berichtete uns freudig, dass er sich nach der Beichte immer sehr erleichtert fühle. Katholisches Leben, das wir Nicht-Katholiken gar nicht richtig erlebt und vollends verstanden haben.

Der schwere belastende Stein ist mit der Beichte abgeworfen.

Dazu dienst du mir jetzt – Mein lieber BV.

Ich stelle dich mir als ein Gemisch aus mir vertrauten Freunden, Vorgesetzten, Lehrern, meinen Eltern, meiner Schwester vor. Ihr lasst mich an Eurer Schulter ausheulen und gebt mir als mein BV Absolution.

Tel Aviv, 25.4.15

4:10 Uhr. Es ist Schabbat – der wöchentliche jüdische Feiertag vom Sonnenuntergang am Freitag bis zum Sonnenuntergang am Samstag, auch Sabbat genannt. Der Sonntag ist in Israel ein normaler Arbeitstag.

In den meisten Teilen Israels ist jetzt weitestgehende Stille. Die meisten Juden schlafen jetzt brav, ob sie nun gläubig sind oder säkular. Ein säkularer Jude ist ein Jude, der ohne Glauben lebt.

Hier im Zentrum Tel Avivs – dem säkularen Zentrum des Landes – ticken die Uhren anders. Einige Nachtschwärmer wandeln noch durch die City. Oft lachen sie und unterhalten sich laut. Ich bin bei McDonald’s am Rothschild-Boulevard unweit der Ecke zur Allenby Road eingekehrt und habe gerade einen Chicken-Mac mit Pommes verzehrt. Ein halber Becher Cola wartet noch auf seine Vernichtung. Ein Schwarzer räumt auf. Müll liegt auf dem Fußboden rum. Meinen Tisch in der Ecke habe ich mir zum Schreiben mit Servietten gereinigt. Er blitzt nicht vor Sauberkeit, jedoch okay, es klebt nichts. Von Cola-Resten zusammenklebende Tagebuchseiten würden mich wirklich belasten. Im Leben ist niemals alles perfekt und auf Reisen schon gar nicht. Meinen Reiseführer und die aktuellen Tagebuchseiten werde ich unterwegs gut zusammengepackt in einer Plastiktüte im Rucksack verstauen. Der Reiseführer gehört meinem Cousin – ein sehr korrekter Bauingenieur. Ob ihm das stinkt, dass ich den Reiseführer einfach mitgenommen habe?

Vieles habe ich in den wenigen Stunden seit meiner Landung 23:30 Uhr erlebt:

Kaum hatte ich das Flugzeug verlassen, passte mich eine Frau des Flughafensicherheitsdienstes ab. Die anderen Passagiere neben mir durften weiter gehen. Vielleicht hielt sie mich an, weil ich schon als einsamer Wanderer erkennbar war. Ich bin frisch rasiert, dennoch traf es mich.

Sie wollte meinen Pass sehen und fragte, was ich in Israel wolle.

Ich erwiderte. „Tourist.“

„Reisen Sie allein?“

„Ja.“

Sie durchblätterte die letzten Seiten meines Reisepasses. Der Pass ist erst ein reichliches Jahr alt. Es sind nur Stempel von Sotschi und Antalya vom letzten Jahr drin. Mit Stempeln aus dem arabischen Raum oder gar vom Erzfeind Iran wäre ich wohl terrorismusverdächtig? „Wo sind Sie untergebracht?“

„In einem Hostel in Tel Aviv.“

„Zeigen Sie mir die Buchung!“

„Okay.“ Ich holte die Buchung aus meinem Brustbeutel und gab sie ihr.

Sie gab mir den Reisepass zurück und schaute sich die Hostel-Buchung an.

Nun reichte es mir langsam. „Ich dachte ich wäre hier in einem freien Land, das mutet ja schon an wie …“

„Ja wie denn? Sagen Sie es!“

„Wissen Sie, ich komme aus Ostdeutschland und ich denke so ein bisschen an unseren alten Geheimdienst ›Stasi‹.“

Sie verzog keine Miene und drehte noch den Zettel um.

Da der Wald mir leid tut, nutze ich leere Papierrückseiten zum Ausdruck. Die Rückseite des Blattes war ein alter Gehaltsschein meiner Frau.

Ich zog oben an dem Formular und sagte dazu: „Das ist nur die Rückseite, die ist privat und ganz allein meine Sache.“

Sie ließ den Zettel los und ich ging grußlos von dannen. Im Buch „Guten Morgen, Tel Aviv!“ von Katharina Höftmann las ich bereits, dass man in Israel oft resolut auftreten muss, sonst geht man unter. Auch das wollte ich selbst erfahren.

 

Ich hatte schon Bedenken, dass die Sicherheitsbeamtin mich per Funk bei der regulären Passkontrolle als verdächtige Person meldet und ich näher untersucht werde. Dem war nicht so.

Wegen des momentanen Schabbat fuhren keine Busse und keine Sherut-Taxis nach Tel Aviv. Ich konnte nur mit einem normalen Taxi fahren, was natürlich teurer wäre. Ich als Wandersmann könnte doch gleich mit dem Wandern in dieser Nacht beginnen. Ein Sicherheitsmann sagte mir, dass ich dafür fünf Stunden bräuchte. Später stellte ich fest, dass ich es in der Hälfte der Zeit geschafft hätte. Zu meiner Sicherheit hätte ich aber auf das Morgengrauen gewartet, wäre dann erst losmarschiert und hätte nichts von der ungläubigen Schabbat-Nacht hier in Tel Aviv mitbekommen.

Mit einem schwedischen Paar teilte ich mir ein Taxi. Wir schwatzten ganz nett über Schweden, Deutschland und darüber, was wir vorhaben.

Belanglose Dinge will ich dirMein verehrter BVnicht erzählen.

Irgendwann will ich auch nach Schweden, jetzt ist jedoch Israel mein Thema.

Der Taxifahrer sprach kein Englisch oder tat nur so. Das Navi sprach russisch. Mit meinen russischen Brocken bekam ich heraus, dass er vor 28 Jahren von Sewastopol nach Israel übersiedelte.

Die Schweden wurden zuerst raus gelassen und zahlten 2/3 des Preises laut Taxameter an mich. Der Taxifahrer fuhr dann noch etwas im Kreise und am Ende kam zu dem Taxameterpreis noch eine Steuer hinzu. So verlor ich etwas Geld zusätzlich.

Als ich mit dir, mein lieber Schatz, vor drei Jahren in Istanbul war, karrte uns der Taxifahrer auch erst mal ein bisschen quer durch die Istanbuler Nacht. Auf der Hotelbuchung war damals keine Telefonnummer, da konnte er sich nochmals dumm stellen. Nach einem kleinen Wutausbruch von mir kamen wir dann doch an. Offenbar sind das die gängigen internationalen Tricks der Taxifahrer, doofe Ausländer abzuzocken. Nun, so wohlhabend sind die Taxifahrer in der Regel nicht.

Vom Taxi aus sah ich schon, dass das mitternächtliche Leben in Tel Aviv floriert. Etwa 1:00 Uhr kam ich im Hostel an, zahlte, packte die wichtigsten Dinge in meinen kleinen faltbaren Tagesrucksack und ließ meinen großen Rucksack dort in der Ecke stehen. Das Hostel ist nur zwei Minuten vom Meer entfernt. Die Uferstraße ist gut beleuchtet und es waren noch einige harmlos anmutende Menschen unterwegs. Eigentlich wollte ich bis zum Morgengrauen auf dem Flughafen pennen. Für die wenigen Stunden wollte ich nicht den ganzen Tagespreis eines Quartiers bezahlen, dazu war ich zu geizig, zudem sollte die erste Wanderung vom Flughafen in das Quartier gleich mein erstes Ferienerlebnis werden. Früher in der Schule mussten wir Schüler immer nach den Sommerferien einen Aufsatz über unser schönstes Ferienerlebnis schreiben.

Nun, es ist anders gekommen und ich habe ein wenig den säkularen Tel Aviver Schabbat erlebt.

Die Uferstraße war gut beleuchtet. Am Rande des breiten uferseitigen Fußweges schliefen einige Penner, dahinter fing der Strand an. Der lag im Halbdunkel, dahin traute ich mich nicht. So ganz wohl fühlte ich mich in den ersten Stunden nicht, ganz allein mitten in der Nacht einer großen Stadt eines mir noch fremden Landes. Dass die Kriminalität nicht allzu hoch hier ist, wusste ich. Ein Londoner Hotelangestellter sagte mir vor Jahren, dass – egal, wo du bist auf dieser Welt – dein äußerliches Bild für deine Sicherheit das Wichtigste sei. Ein torkelnder, hilfloser Mensch lädt Kriminelle immer ein. Ein aufrecht marschierender athletischer Mann bietet weniger Angriffsfläche. Die absolute Sicherheit gibt es nirgends. Leben heißt auch etwas wagen.

Die Allenby Road ist unweit vom Quartier. Ich freute mich, dass das Hostel so nahe dem Strand und dem Zentrum ist. In der Allenby Road und im südlichen Rothschild Boulevard pulsierte das Leben. Junge Leute – um die 20 Jahre alt – grölten vor Lokalen, aus denen Musik schallte. Niemand war aggressiv. Hier fühlte ich mich sicher. Ich bummelte in der Allenby Road hin und her, trank an einem Imbiss draußen sitzend ein israelisches Bier. Ich ging auch in einige Nebenstraßen, nach wenigen Metern war jeweils Stille und ich fühlte mich weniger sicher, obwohl keine zwielichtigen Typen zu sehen waren. Es könnten jedoch plötzlich einige auftauchen und mir den Weg zum Zentrum abschneiden. An irgendwas muss man ja auch irgendwann sterben. Hier jedoch? – sehr unwahrscheinlich. Die Temperatur ist angenehm mild. Mit einer dünnen Jacke kann man gut draußen sitzen.

Ein Cafe am Rothschild-Boulevard machte einen angenehmen Eindruck. Junge leisere Menschen saßen draußen und drinnen, tranken Kaffee, Bier oder Mixgetränke, unterhielten sich und lachten häufig. Ich rauchte gerade, da fragte mich ein dunkelblonder, ungefähr 25jähriger Mann, ob ich ein Feuerzeug hätte. Ich gab ihm Feuer, er bedankte sich. Er saß mit einem Gleichaltrigen am Nachbartisch, wir kamen ins Gespräch. Er erklärte mir, dass hier am Rothschild-Boulevard in der Schabbat-Nacht das Leben pulsiert. Er kommt aus dem Süden Tel Avivs, da ist es jetzt ruhig, wie es sich normalerweise mitten in der Nacht für den Schabbat gehört.

Er fragte mich, woher ich sei.

Ich antwortete. „Aus der Schweiz.“

Das hatte ich mir zurechtgelegt. Ich weiß, dass von einigen israelischen Familien ein Großteil der Vorfahren von den Nazis vergast oder erschossen wurden. So lange ist das alles nicht her – nur 70 Jahre, viele Erinnerungen der Älteren sind noch frisch. Ich verstehe vollends, wenn solche Menschen nichts mit den Deutschen zu tun haben wollen. Sechs Millionen Juden ermordet, das sind so viele, wie jetzt in Israel leben. Welch grauenhafte Wahrheit.

Amos Oz boykottierte bis Ende der 60er Jahre alles Deutsche bis auf die deutsche Literatur. Mittlerweise ist er besuchsweise gern in Deutschland und hat deutsche Freunde. An den Abenden in Deutschland und Österreich kann er noch immer nicht einschlafen. In anderen Ländern geht es ihm nicht so.

So hatte ich mir also zurechtgelegt, dass ich aus der Schweiz, konkret aus Basel bin. Zu Basel hatte ich mich auch noch belesen. Mit dieser kleinen Notlüge wollte ich einfach schnelle vorurteilslose Gespräche mit Israelis gewährleisten. Ich wollte nicht an der Notlüge festhalten und mich beim näheren Gespräch natürlich als Deutscher outen. Der Leser mag jetzt denken, jetzt verleugnet er sein Deutschtum. Das mag sein. So viele Lügen und Halbwahrheiten begegnen uns Tag für Tag – in der Werbung, in den Medien, bei vielen Mitmenschen. So erlaubte ich mir eben auch diese kleine Notlüge für erste Begegnungen mit Israelis. Man möge die Umstände betrachten und mir verzeihen.

Ich las von einer Israelin, die gut Deutsch spricht und sich im Ausland immer als Österreicherin ausgibt, weil sie es leid ist, mit Wildfremden laufend über den Staat Israel zu diskutieren.

Der junge Mann ging auf meine falsche Identität ein und erwiderte, dass einige Israelis in der Schweiz Skiurlaub machen.

Später fragte ich die jungen Männer, ob sie Aschkenasim seien. Sie waren ganz überrascht, dass ich wusste, was Aschkenasim sind. Nein, sie seien beide Sephardim mit marokkanischen und irakischen Wurzeln.

Die Sephardim sind die Nachfahren der Juden aus Portugal, Spanien, Nordafrika, Jemen, Irak, Iran und anderen Länder dieser Gebiete. Sie sehen den Arabern sehr ähnlich, selbst Insider können sie äußerlich oft nicht von den Arabern unterscheiden.

Die Aschkenasim sind die Nachfahren der Juden aus Mittel- und Osteuropa mit heller Haut, mit dunkelblonden, teilweise hellblonden, rotblonden, schwarzen, aber fast nie pechschwarzen Haaren.

Viele Jahre dominierten die Aschkenasim die israelische Gesellschaft, die Sephardim hatten bei der Erlangung einflussreicher Positionen deutlich schlechtere Karten.

Diese beiden jungen Männer hatten als Sephardim nur einen leichten dunklen Hautteint und die Haare des anderen jungen Mannes waren dunkel, jedoch nicht pechschwarz. Die dunkelblonden Haare des ersteren kamen wohl von einer Tönung. Ihre Eltern beschäftigte die Dominanz der Aschkenasim über die Sephardim sehr. Mittlerweile seien sie aber alle eine große jüdische israelische Familie mit gleichen Chancen für alle.

Ich fragte: „Wenn in einem Krankenhaus ein neuer Chefarzt in irgendeiner Abteilung benötigt wird und es zwei Kandidaten für diese Position gibt, einen aschkenasischen und einen sephardischen Juden. Haben beide die gleichen Chancen heutzutage, den Chefarztposten zu erreichen?“

Sie überlegten kurz und nickten. Ob das immer so sei, sei dahingestellt. Offenbar kannten sie sich nicht im Krankenhaus-Milieu aus. Das war mir auch egal. Mit meiner Frage ging es mir lediglich um die Vergabe führender Posten, egal auf welchem Arbeitsgebiet. Mittlerweile sind die Chancen der Sephardim offenbar besser.

Ich fragte noch, wann denn die Sonne aufgehen wird.

„Ungefähr 6:00 Uhr morgens.“

Ich beschloss, etwas den Rothschild-Boulevard bei Nacht zu erkunden und mich dann einfach eine halbe Stunde an den Strand zu legen und die Augen eine halbe Stunde zuzumachen. Ich habe gute Erfahrungen mit solchen kurzen Regenerationspausen. Während der beiden Flüge schlief ich etwas, dennoch ist mein Biorhythmus leicht vergewaltigt und ganz frisch fühle ich mich nicht. Von den ärztlichen Bereitschaftsdiensten kenne ich das. Mit steigendem Alter habe ich ein zunehmendes Bedürfnis nach einem stabilen Tag-Nacht-Rhythmus. Zum Glück muss ich nicht regelmäßig ganze Nachtschichten schrubben.

Die Bauhausarchitektur des Rothschild-Boulevards bewunderte ich im Halbdunkeln, am Ende des Boulevards steht das Nationaltheater Habimah mit einem großen freien Platz davor. Die zwei jungen Männer traf ich nach einer Stunde nochmals. Die meisten Lokale waren nunmehr geschlossen. Irgendwie musste ich noch die wenigen Stunden bis zum Tagesanbruch vertrödeln. Ich suchte noch ein Lokal, wo ich gemütlich etwas essen und schreiben kann und so bin ich hier bei McDonald’s gelandet.

5:40 Uhr, ich habe eine reichliche Stunde intensiv geschrieben und kaum aus dem Fenster geschaut. Draußen kommt Tageslicht auf und ich sehe den Rothschild-Boulevard erstmalig bei Tageslicht.

Auf, auf zum berühmten Strand von Tel Aviv! Hoffentlich rauscht das Meer. Als Landei liebe ich das Meerrauschen. Ich war schon mehrmals an der Nord- und Ostsee, als das Meer mehrere Tage nicht rauschte – deprimierend. Da hätte ich mich auch an das Ufer einer Thüringer Kiesgrube setzen können.

11:20 Uhr: Ich sitze in einem Cafe unweit der Küste. An einem Tisch schreibt es sich eben doch am besten. Mit übergeschlagenen Beinen auf einer Bank ist es unbequemer.

Wieder ist vieles in den letzten Stunden passiert. Am Meer gegen 6:00 Uhr angekommen, freute ich mich, dass das Meer ein bisschen rauscht. Erstaunlich viele Menschen joggten schon an der Uferpromenade und auf dem vom Meer überspülten Sandstreifen.