Hurra! Ich bin kein Engel

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Hurra! Ich bin kein Engel
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edition lichtland

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Stadtplatz 4, 94078 Freyung

Deutschland

Gestaltung: Edith Döringer, Satz: Melanie Lehner

Bild Federn: Kamil Hajek/Shutterstock.com

1. Auflage 2016

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags

zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,

Übersetzungen und die Einspeicherung und

Verarbeitung in elektronischen Systemen.

eISBN: 978-3-942509-77-0

ISBN der gebundenen Ausgabe: 978-3-942509-55-8

www.lichtland.eu


You pick up a book, flick to the dedications page and this is it: The one that was dedicated to YOU! ♥

Es sangen und spielten: Victor, Ezra, Nadia, Maria, Georg & Katharina, Franz, Johannes,

Felix, Irmi, Andy & family, Shirley & Malcolm, Rudi, Großeltern, Ahnen & VorReiter,

B.Hans, Elisabeth, Sepp, Susanne, Birgit, Sidney, Hannelore, Heinz, Edith, Melanie, Elizabeth & crew, Raphaela, Stephanie, Noni, Monika, Jo, Andi, Kai, Marianne, Patrizia, Lopa, Giampiero, Gill & Alan, Helen, Ebi, Michael, Carolina, Charlie, Philipp, Hilda, Magda, Vivi, Libby, Marian, Glen, Richard, alle Tanten & (Cowboy) Onkel, cousins & the whole clan, V. Hermann & Herr Bauer, C. Holch, Dank an Simone Weber und Wolfgang T. Büttner für VomFach-Inspiration, June, Björk, Britta, Elise, Rod, Emerenz, Amira, Byron K., Seth, Rilke, alle Gspinnerten, dreamers, friends, relatives, neighbours, clients, artists, Querdenker, underdogs, alle lebendigen Toten & all my fellow cosmonauts:

This one is for you! ♥ Cheers.

Inhaltsverzeichnis

Welcome! ♥
Schön, dass Sie da sind.

Kennen Sie das Gefühl, sich zu verbiegen beim Versuch, ich zu bleiben, sich nicht in ein man verformen zu lassen? Sich in Rollen zu verlieren, Ansprüche und Images zu bedienen, außer Reichweite der inneren Stimme zu kreisen?

Auf der Pauschalreise durch die Sinnangebote, wenn das kann das alles gewesen sein? leise anklopft, lassen Sie Fernsehabende, ein paar Bier zu viel und sechs Wochen Urlaub nicht als Leben durchgehen. Bestehen darauf, ohne Rettungsring auf unbestimmte Ziele zuzutreiben – auf diesen Silberstreif am Horizont, den Sie nie aus den Augen verloren haben? Wollen sich herauswagen aus dem Vorgestanzten, den dusollstdumusst-mandarfnicht-sogehtdasnicht-Äquator überqueren, ungeahnte Welten aufspüren?

Hinein ins Buchstabenboot, Anker lichten, treiben lassen, Nase in den Wind, Surfen durch Galaxien, durch Dasein und Weggetretensein! Um der Erfahrungen willen haben wir uns in diesen AllTag gezwängt, um Fragen aufzuwerfen, Gefühle testzufahren, Hürden zu nehmen, Dimensionen zu entschlüsseln. Schürfen wir tiefer und höher, durchleuchten Konventionen auf ihren Sinngehalt, schwingen das Fähnchen eines Revolutiönchens und graben verschütt gegangene Freiheiten aus!

Dieser Aufsatz tarnt sich als Buch, Sätze sind Eintrittskarten in eine Show, die längst begonnen hat. Bleiben wir nicht beim möglicherweise hätte ich, eisen uns los aus dem das wäre schön gewesen und hauchen Visionen neues Leben ein: so stelle ich mir das Miteinander, die Arbeit, die Welt vor. Entwischen den Fängen des Grauschleiers und lassen uns die Träume nicht austreiben!

Denken über Grenzen des Konsensus hinaus, tasten uns Gedankengänge entlang, lassen die Scheuklappen im Wohnzimmer liegen und klopfen Übereinkünfte auf ihre NeuzeitTauglichkeit ab. Legen die W-Klassikerreihe wieder auf, im AntwortenPluralismus herrscht Fragenmangel: Warum? Warum nicht? Wohin? Wie? Machen uns auf hinter die Kulissen der fünf Sinne, auf die Heldenreise vom Warten und Neben-SichStehen, über Abstecher ins AußerSichSein zum BeiSichBleiben und ÜberSichHinauswachsen. GedankenTanken ist im Angebot, Essays zu LebensWeisen, wahre Gerüchte, match reports von der Spielwiese für die Seele. Die Hauptfiguren heißen sie, er, wir, Sie, Mensch, Engel und Haiku, wie im richtigen Leben.

Dieses Buch hat das gleiche Schicksal erlitten wie viele Menschen: Es hat jahrelang versucht, sich zu verbiegen und in ein vorhandenes Format zu zwängen, vergeblich. Bis es eingesehen hat, dass es aus dem Katalogisieren herausgewachsen ist, weil es sich nicht mehr dafür interessiert, wo es ordentlich dazugeheftet werden kann. Es möchte sich auf keinen Teilbereich spezialisieren, weil es sich für das GanzeGlorreicheAlles! interessiert. Es nimmt sich heraus, einzigartig zu sein, so AußerGewöhnlich wie jedes Individuum. Zu Vielem eine Meinung zu haben und diese zu äußern ohne dazugehörige Doktortitel vorzuweisen. Es ist gerne unbefugt, weil es ihm im SchubladenDenken zu eng wird. Es wollte sich auch nicht zwischen unterhaltend oder anspruchsvoll entscheiden, sondern sich treu bleiben und den Mut haben, neue Formate zu erschaffen. Rahmen sprengen, Skizze sein, assoziative Collage – lebendig wie das Leben selbst! Dieses Buch hat allen Mut zusammengenommen und schreckt vor nichts Faszinierendem zurück: in Poetisches hineinschmecken, Philosophisches erwägen, bei der Theologie vorbeischauen, sich mit der Heilkunst unterhalten, mit der Lautmalerei flirten?

Leser dürfen eigene Wege finden, EinleitungHaupteilSchluss war gestern. Niemand muss mehr Handlungssträngen folgen, selbst Seitenzahlen sind nur noch vage Richtlinien. Abschweifungen sind erlaubt, Exkurse, die in KontemplationsGegenden verleiten: Innehalten, Gedanken weiterspinnen, Gefühlen nachhorchen ...? LeserInnen dürfen machen, was sie wollen, sogar zwischen Kapiteln umherspringen und einfach da aufschlagen, wo es sie gerade hinzieht – Sachen gibt’s!

Ein Potpourri aus Erlebtem und Erdachtem in zwei Sprachen, in einer HinundHerChronologie, die das Leben schrieb. Sprunghaft ist sie und durchlässig, sie reckt sich nach dem Unendlichen wie die Mentalwelten jeder virtuellen Realität. Vermeintliche Grenzen auf-schreiben, um-denken, ver-drehen und sehen wo das hinführt?

Enjoy.

Von einer, die auszog, das Fürchten zu verlernen. Leben in der Fremde!

Es ist angerichtet, der Urschrei seit Jahrzehnten verjährt. Sie stolpert eine KalenderTimeline entlang, durch die hauseigene Universalinszenierung. In der Hauptrolle als Nebendarstellerin sind ihre Minuten durch Sanduhren vertropft, im Zwölfertakt zu Monaten geronnen. Sie hat sich als Undercover Reporterin auf die eigene Story angesetzt, um dem Erzählstrang auf die Schliche zu kommen, der einzelne Lebensläufe in ein Gesamtkunstwerk verwebt. Die Geschichte aller in der einen, updates reloaded im Sekundentakt, billionenfach. Mitwirkende sind in Parallel-Lebensläufe verstrickt, Lichtjahre entfernt in der Wohnung gegenüber. Wo schneiden sich ihre Geraden im Unendlichen? Vormittage, unablässig verfolgt von Nachmittagen und Mitternächten zählen durch, dreihundertfünfundsechzigmal, bis sie vornüberfallen und Silvesterraketen zischend eine neue Runde einleuchten. Die Handlung: sich auf einen Weg machen, von Umwegen verabschieden, Auswege erfinden.

Grenzgänge, die Tage so lang, die Jahre so kurz.

Die ersten 28 Jahre lang hatte sie die Zukunft festgenagelt, Pläne in Zement gegossen und im Gehirn eingefroren, als Versicherung gegen die Unberechenbarkeit, mit der das Leben sie von hinten anfällt. Jetzt wird alles anders, sie zieht über Los, sechs Monate Ausland als bescheidener Anfang ins NeueIch. London heißt weg vom Alten, es ist herzensklar von Anfang an, kein Brighton oder Birmingham, nichts mittelgroß-mittelklein Britisches kommt in Frage, die Hauptstadt muss es sein. 15 Millionen für den Anfang, die Bordkarte als roller coaster-Ticket ins Gewohnt-Ungewohnt, gewaltige eineinhalb Flugstunden entfernt, ein Katzensprung ans andere Ende ihrer Welt.

Der rote Teppich ist eine Metalltreppe auf Rollen, schrittweise schlägt sie auf britischem Boden auf. Gebucht ist nichts, den Landeswechsel hatte sie freihändig tanzen wollen, ohne die Sicherungsseile reservierter Halbpensionen. Bis zum Anbruch der Dunkelheit muss eine Schlafstätte aufgetrieben sein, mulmig wird ihr ob dieses spontanen Mutes zum Anlass temporärer Emigration. Es ist Ende August, Notting Hill Carnival, alle Quartiere sind überbucht. Hang on – in einer Stadt, die niemals schläft! Falls sie keine Unterkunft auftreibt, würde sie tanzend darauf verzichten und mitgebrachtes Gepäck wegsperren. In London sind auch Schließfächer anders: statt Münzeinwurf und Schlüsselchen eine Halle mit PersonalWesen und Röntgenmaschinen, Koffer werden durchleuchtet und erst nach bestandenem Bombenuntauglichkeitstest deponiert. Jetzt einen Club auftreiben, der ganznächtig offen bleibt. Time OutMagazine, Fahrkarte, Non Members queue, vorrücken, Tür auf. Wärme, Lichter, Beats, geschafft.

Es ist Liebe auf den ersten Schritt. Das Übersehen ist eingestellt, der Seitensprung in die Fremde wird mit Aufmerksamkeitshochs belohnt. Sie sieht Schönheit an allen Ecken, hinter allen Enden, lässt sich ihren Namen auf der Zunge zergehen und lernt, ihn richtig auszusprechen: Landen. My Love. Hat als FrischVerliebte Augen für den herben Charme einer Stadt, die mit hübsch nichts zu tun haben will, sich Augen und Herzen preisgibt, die Unbeachtetes als Wesentlich entziffern. Ihre Neue ist eine labile Angelegenheit, abgeschabt, ausgebessert, improvisiert. Eine Konglomeration aus ExDörfern, leise vor sich hingewuchert, nie auf Reißbrettern entworfen. Sozialwohnungsblöcke haben sich in Nobelstraßenzügen angesiedelt, Gegensätze gehen eine Beziehung ein, freiwillig und notgedrungen. Häuser wachsen neben ihr in den Himmel hinein, sie darf aufspringen. Architektonische Moderne schießt neben AltEhrwürdigem aus dem Boden. Die jahrhundertealte Kirche schlägt die Augen auf und findet sich von glasverkuppelten Bürotürmen eingekesselt. Mulitpliziert ihren versteinerten Charme in den Spiegelfassaden der neuen Nachbarn, hocherfreut.

 

Die Bassgitarre ist mitgekommen, wenn schon temporär auswandern, dann mit Stil. Der Instrumentenkoffer ist ihre kreative Uniform, Abzeichen der Künstlergarde, Mitgliedsausweis in den Selbstentwurf Kosmopolitin. Von Menschenmengen geschoben, zwischen Körpern schwimmend, treppauf treppab mit Musik- und Monsterkoffer. Das Aller-Nötigste hatte sich summiert und multipliziert, sobald alle Eventualitäten zusammengefaltet waren und auch noch mitkommen wollten. Sechs Monate sind eine lange Zeit, vor allem in Minuten umgerechnet und ganz alleine in diesem wilden Westen, der eher nordöstlich liegt, also auf der Karte irgendwie oberhalb?

Sie trifft Australier und Neuseeländer auf permanenter Durchreise – I’m doing Europe in 4 weeks! RucksacktouristenStröme werden von Spontanunternehmern in Hostels umgelenkt. Stockbetten in enge Zimmer geschlichtet, Matratzen in Plastik eingeschweißt, sie kann bleiben, eine ganze Woche lang.

Ohne Job keinen Mietvertrag, ohne Wohnsitznachweis keine Anstellung, ohne Anstellung keine Bankverbindung. BürokratieLogik, die nur ein Herz auf dem rechten Fleck auflösen kann. Ein Herz, das sich traut, VorschriftsMäßiges zu überspringen, Risiken auf die eigene Kappe zu nehmen – the kindness of strangers. Freundliche Fremde, die ihr ein Zimmer vermieten, obwohl sie weder Festanstellung noch Bankverbindung angeben kann. Die hinter Schaltern sitzen und ihr ein Konto einrichten, obwohl sie den permanent job erst noch ergattert muss.

Happy End, sie sperrt die Tür auf, betritt das winzige Zimmer und schaut sich um. Der Blick aus dem Fenster zeigt Victorian terraced houses, die Zeitreise in ihr erstes eigenes Reich vorerst vollendet. Sie darf bleiben so lange sie möchte und Miete zahlt. Die Fremde ist ein Blumenmeer, Tapeten- und Vorhangmuster ringen um optische Vorherrschaft. In einer Erste-Hilfe-Aktion tapeziert sie die Wände mit trendigen Seiten aus ebensolchen Magazinen. 70ies vibes lassen sich damit nicht auslöschen, aber ein Anfang ist gemacht, der Umgebung ein zaghafter Stempel aufgedrückt.

Die silberhaarige landlady hat überschüssige Zeit zur Verfügung, in der sie gerne nach dem Rechten sieht. Alle Bewohner sind angehalten, Zimmertüren abzusperren, um etwaigen Einbrechern das Weiterkommen innerhalb des Hauses zu erschweren. Als jemand versucht, durch ihr nächtlich angelehntes Fenster einzusteigen, ordnet sie das der Rubrik Abenteuer zu, shaken not stirred. Auch als sie in ein durchwühltes Zimmer zurückkehrt, verstört sie das nicht in Grund und Boden genug, um alle Hausregeln zu befolgen. Sie volontiert als crazy lady, die vorsagt und -lebt: die beste Versicherung ist die Konzentration auf das Gute im Menschen!

Revolutionsvorschlag: Love makes you safe, never fear.

Die Mitbewohner sind in ihrer Vernünftigkeit nicht der erhoffte easy going trendy bunch, lassen sich maßregeln und sind eine Katastrophe für eine Deutsche: andere Deutsche! Worst case scenario. Franzosen, Russen, Japaner, Italiener, Nigerianer bauen sich Freundeskreise aus Landsleuten zusammen, Deutsche erkennt man an der Aufschrift über der Stirn: no Germans, please! Auch sie will sich mit OriginalEngländern anfreunden, doch waschechte Londoner born and bred sind eine Rarität in der Metropolis. Hauptzutaten sind Eingereiste und Zugewanderte wie sie selbst, sie stürzt sich erwartungsvoll hinein in diese Internationale. Zieht um und weiter, mit Monsterkoffer und temporär entliehenem Einkaufswagen. Besitztümer, die Möbelpackern Jobs verschafft hätten, sind noch keine angehäuft. Sie liebt die Schwerelosigkeit eines Lebens, das sich per Hand verlegen lässt.

Nächster Stop: die sagenumwobene Brick Lane. Sorgfältig das lässigste Outfit übergestülpt, Augen mit Kohlstift vergrößert – das Bewerbungsgespräch mit den future flatmates ist erfolgreich bestanden. Was tut man nicht alles für einen Platz an der Sonne: wunschlistengemäß sind alle Mitbewohner Teilzeitkünstler, -musiker oder fließende Übergänge. Tom aus Wales, Mattin und Leire aus Bilbao, Spanien? No, from the Basque country! wird sie korrigiert und hat wieder etwas dazugelernt. Die Fähigkeit, sich konstant ein- und zurechtweisen zu lassen ist eine für Auswanderer essentielle Lebenskunst. Ihr Lieblingscartoon ist mit umgezogen, Außerirdische fliegen in einer Untertasse durch die Küche, einer fragt: Glaubt ihr eigentlich an Menschen? Wenn Fabelwesen Abwechslung brauchen, schauen sie in anderen Frequenzen vorbei.

Neonreklame taucht ihre Nächte in Zwielicht, dunkel wird es nie, nur buntflackernd. Sie schlendert Prachtstraßen entlang, bewinkt Pferdekutschen mit Königinnen, deren Hüte und Handtaschen einer anderen Realität entliehen sind. Stolpert nach durchtanzten Nächten über vermüllte Hinterhöfe, fühlt dem nie versiegenden Verkehr den Puls und sich auf den Zahn. Verfällt ihm, Hals über Kopf, dem Moloch, der sich auf Nichtfunktionieren als Regelzustand eingependelt hat. Immer irgendwo außer Betrieb, lahmgelegt von Baustellen, Zwischenfällen, Unvorhersehbarem, Vorhersehbarem. Im Herbst sind Züge wegen leaves on the tracks verspätet – großartige Durchsagen, wenn sie die Lautsprechergeräusche dechiffrieren könnte! Es gelingt ihr selten, Akustisches beim ersten Hören zu entschlüsseln, niemand wiederholt sich unaufgefordert, niemand spricht Englisch wie in Büchern oder Lernprogrammen. Ohren verkrampfen im Lautesalat, Worte stolpern von Zungen, fallen aus dem Mund, einem freundlich lächelnden Gegenüber ins Gesicht. Kopf leicht nach vorne geneigt, Augenbrauen hochgezogen in der Haltung bemühten Verstehens, dann das Aus: Sorry? Sie sehnt sich danach, in der Lieblingsfremdsprache draufloszuradebrechen, ohne über Grammatik zu stolpern, Hirnwindungen nach Vokabeln zu verkrampfen. Das Gehirn schlägt unpassende Worte vor, flirrt, bringt Nervenenden zum Glühen und sich selbst mit einem Kurzschluss zum Stillstand. Kommunikationsunfälle, Frontalzusammenstöße, lost in translation.

London, it’s me! I’m ready, occasionally steady, let’s go.

Per Anhalter durch die Matrix – Müssen muss Mensch gar nix

Londoner Vibes sind unberechenbar, impossible is nothing. Straßenkämpfe verlegen sich aus der virtuellen in die reale Realität, Laub und signalling problems entziehen den Zügen ihre fahrplanmäßig verordnetete Zuverlässigkeit. Weiter geht es immer. Zu Fuß zur Arbeit oder Ewigkeiten auf einen Bus warten, der noch nicht voll ist. We’ll work from home, oh well. London isn’t finished yet, and it never will be. Sie lebt in aufregenden Zeiten: Morgen- und Abendland sagen sich Guten Tag, der Westen studiert den Körper und liefert die Anatomie, der Osten untersucht den Energiefluss und steuert die Chakren bei. WeltAnschauungen ergänzen und bereichern sich, kreieren layers, entwerfen Traditionsmodelle neu: der Organismus nicht mehr als biologische Maschine, sondern als alchemistisches Wunderwerk, Energieströme inklusive. Die Quantenphysik entlarvt Gegenstände als fleischgewordene Illusion und auch die Zeit als Steckenpferd der Erdinkarnierten. Lichtfrequenzen sind die Geometrie der Materie, sie paddelt in einer Energiesuppe und decodiert Schwingung, übersetzt Strings in Form, Farbe, Geschmack, Geräusch. Ihre fünf Sinne stricken hauchdünne Masken aus Zeit, Raum und Materie, was verbirgt sich dahinter, darunter? And who cares im täglichen Leben, wo es Rechnungen zu bezahlen und Termine einzuhalten gilt, holografisches Universum hin oder her?

Sie führt sich per Download erleuchtete Konzepte zu Gemüte, das Leben geht weiter. Materie existiert nicht und sie muss sie dauernd wegputzen? Die Quantenphysiker werfen ihr Gleichungen an den Kopf und lassen sie stehen inmitten der theoretischen Mathematik und der fremden Stadt. Erklären die Realität per Formel zur Illusion ohne eine Gebrauchsanweisung mitzuliefern. Sie will nicht länger ein Buch zuschlagen und mit dem dumpfen Knall die Ideen zurück in die Welt des Gedruckten verbannen. Wissen, das jahrtausendelang von Meister zu auserwählten Jüngern weitergeflüstert wurde, ist als App zu haben. Wie glücklich, gesund und erfolgreich sein geht, kann sie herunterladen und im Fernsehen anschalten: Nach erfolgreichem Materialisieren des Traumpartners geht es mit dem Traumauto in den Traumurlaub, zurück im Traumeigenheim wird dem Traumjob nachgegangen, kurz unterbrochen von einer erneuten Traumreise? Wenn ihr Leben anders aussieht, wendet sie die Manifestations-Technik nicht richtig an, underachieving yet again? Patentrezepte gehen in Millionenauflagen über Ladentische, der Globus hält Kurs auf nächste Station Paradies im Plattenbau? Her mit den Konzepten, je ausgefallener desto besser: Gedanken haben Formen und organisieren sich in morphogenetischen Resonanzfeldern? Energie fließt der Aufmerksamkeit hinterher, attention energises, macht MenschSein zum spannenden Kreativspiel? Sie kann sich fernsteuern lassen oder neue Felder initiieren? Wildbach oder Kanal, lokal, kosmisch – jede ungewohnte Umgebung assistiert ihr dabei, selbstauferlegten Einschränkungen auf die Spur zu kommen. Sie macht sich ans fröhliche Zertrümmern ausgedienter Tabus, her mit den mikroskopischen Großtaten! Eine zündende Idee macht den Anfang, ein Funkenmariechen reicht, um Freudenfeuer zu entfachen.

What‘s real? Am Morgen danach sieht die Welt ganz anders aus.

Das Uhrzeit-Joch: Zu spät? ist es nie

Sie liebt die Adoptivstadt wie eine eigene, schweißt sich die rosarote Brille in die Netzhaut, keine Gewohnheit darf sich einschleichen. Kein Abstumpfen, BlindWerden für UnscheinbarSchönes, das sich geduldig anstaunen lässt ehe Blicke weiterspringen zum Übernächsten. Durch Augen Hochspannungsleitungen ins Herz, Alltag transformiert in vollblütiges Leben. Im Doppeldecker nach oben, dem Licht entgegen, Gegenverkehr weiß, Rücklichter rot. Kriechtiere aus Blech schlängeln sich Windungen entlang, nächtliche Straßen ein flackerndes Mosaik endloser Wagenreihen, pulsierende Venen und Arterien der Stadt. Mikro- im Makrokosmos.

Sie fühlt sich nicht älter, geschweige denn alt. Die interne Uhr vertickt die Jahre in einem Rhythmus, der mit keinem offiziellen Kalender übereinstimmt. Gestern noch in der Schule, wacht sie heute als Tante auf? Sitzt übermorgen unter der Trockenhaube und nippt Haselnusslikör? Dabei ist die Studentin nie ausgezogen, auch die Draufgängerin, Partyfee und die ängstliche Kleine sind in ihr lebendig geblieben. Die Kulissen sind verschoben, sie spielt Haus eine Nummer größer, WäscheklammerWände haben sich zu Ziegelmauer und Zentralheizung verwachsen. Der Kinderwagen ist größer als der, den sie als Sechsjährige vor sich herschob. Sie ist wieder Mama, aber das Kind kein Teddybär. Die Zahlen auf den Geburtstagskarten hochgetickt, ist sie übergelaufen, hat Seiten gewechselt im Rollenspiel, nun angebliches Mitglied einer älteren Generation? Auch wenn Zeit nicht existiert besteht ihr Tag aus vierundzwanzig Stunden, die eine vierte Dimension erschaffen. Mit der Landung auf der Erde hat sie sich dem ZeitRaum unterworfen, materialisiert als Fleisch und Blut gewordene Überzeugung, der Körper ein Geschenk mit Verfallsdatum. Im Laufe der Jahre ein wenig verschlissen, gezeichnet von Operationen, Schwangerschaft und Schwerkraft. Ihr RaumSchiff, das Ideen in chemische Reaktionen übersetzt, mit Lächeln und Lieblingsstiefeln richtig schön. Ganz gelandet ist sie noch nicht in diesem Corpus Delicti, aber sie haben sich besser kennengelernt im Laufe der Jahre, haben Frieden geschlossen. Dankbarkeit für perfektes Funktionieren war zuviel verlangt vom Teenager, die ihre Maße an anderen misst. Nach Jahrzehnten treuer Dienste hat sie das Vergleichen heruntergedrosselt, ausgesöhnt durch Wesen, für die er Eingangsportal zum blauen Planeten war. Nicht ohne aufzuschwellen an unorthodoxen Stellen ob der bodysnatchers, die Besitz von ihr ergriffen. Den Bauch noch nicht zum Alibi gerundet, erbricht sie in hastig hervorgezogene Tüten, im Schutz der Hauseingänge fragenden Blicken entzogen. Gegen Ende bläht sich die Kugel auf und zerrt sie hinter sich her, bis an die Grenzen des Erträglichen, dann darüber hinaus. Mothership. Jemand hat sich ihren Körper geliehen, um darin zu wachsen. Hat das Kommando übernommen, lässt sie nicht mehr schlafen, alle Behendigkeit muss sie aufgeben. Sie fühlt sich reduziert auf ein überdimensionales Gestell, das sich Stützstrümpfe überquält, auf dem Rücken liegend wie ein Käfer. Voller Kurzatmigkeit, Wunder und Verheißung.

 

Sind Geburtstage ein Grund älter zu werden? Hält sie das Kind, hält sie sich am Kind fest? Sie trägt ihn nach oben, er wacht nicht auf, als sie ihn hinlegt. Bald wird sie ihn nicht mehr tragen können. Sie deckt ihn zu, mit Tränen in den Augen, weil er gehen wird eines Tages, nach Hause kommen in ein anderes Haus. Sie hält ihn, aber nicht fest, weil sie ihn liebt wie einen Sohn. Scheiden tut nur weh in der zeitverzögerten Zeit, nicht im raumlosen Raum.

Sie bleibt stehen, dreht sich um und sieht alles genau an. Erinnert sich, dass es gut ist. Die Welt reduziert auf Atemzüge. Zeit zieht Fäden, dreht durch im Crescendo bis das Zahnrad aus dem Uhrzeigertakt springt, Abhänge hinabholpert, sich überschlägt, zersplittert. Sie hat die Unendlichkeit durchschaut: sie verkleidet sich als Einheiten, die in Abständen hervorkommen. Sie ist ein Auslaufmodell, das sich ständig neu erfindet. Ein perpetuum mobile, das Blüten hervorbringt und Früchte, Frequenzen, Jahreszeiten und Atome in einem der Wahrnehmung angepassten Tempo vorüber ziehen lässt. Die ewig gleiche Frage drängt sich auf und ins Bewusstsein zurück, macht der Kontemplation den Garaus und ruft: Wie spät ist es? – Woher soll sie das wissen? Sie will sich noch so viel er-leben. Aber es gibt viel zu tun: DasFestderLiebe steht vor der Tür, sie muss Geschenke besorgen, kühl und trocken und vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt lagern und nach dem Öffnen innerhalb von zwei Tagen aufbrauchen? FreudeSchenken verkompliziert sich, da der monetäre Wert keine Anhaltspunkte liefert, wie viel Entzücken etWas hervorruft. Wenn sie sich für DasRichtige entschieden hat, muss sie die Freude im Einzelhandel erwerben oder online erklicken, geschmackvoll und individuell verpacken und zur richtigen Zeit am richtigen Ort abliefern? Für die All I want for Christmas is you-Notbremse ist es zu spät, Glühwein sei Dank bringt sie die Präsente durcheinander und verehrt dem Mädchen das blaue Technikspielzeug, dem Jungen eine rosa Schürze. Die Welt gerät aus den Fugen! Sie muss noch so viel lernen: festlich bewirten, richtig würzen, entspannt gastgeben, einen entspannten Gast abgeben, mit Stäbchen essen, mit Gefühlen umgehen, freudvolles Basteln mit Kindern, Coupons einsenden, adäquat vorfreuen, amtliche Kennzeichen an den dafür vorgesehenen Stellen deutlich sichtbar anbringen, herumfuhrwerken, sich unentbehrlich machen, dann alles wieder wegräumen und umtauschen? Die Freude ist keine Ausnahme, auch sie braucht einen guten Start in ihr kleines Leben. Sie benötigt gewisse Voraussetzungen, um zu gedeihen, sich auszubreiten, um sich zu greifen. Die wichtigste Zutat ist eine Person, die mit ihr umgehen kann. Die das studiert hat oder sonstwoher weiß, wie das geht mit dem SichFreuenKönnen. Denn die Freude ist Anarchistin und koppelt sich gerne von Lebensumständen ab, taucht unter und wieder auf, wo es ihr gefällt. Gelegentlich lässt sie sich mit Zutaten zum Bleiben überreden: Frühstück im Bett, Kurzurlaub auf Balkonien, ein Tässchen Pause? An anderen Tagen helfen selbst schwere Geschütze nicht. Die Freude hat es nicht leicht, Opfer zu finden, denn SichÜberhäufenLassen ist eine schwierige Aufgabe: rechte Maße erwägen, nachmessen ob sie über- oder unterschritten wurden, Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigen – Rohstoffverbrauch, entstandene Abfallbelastung, gerechte Güterverteilung, global, lokal und im Kreise der Familie? Widerstandsloses Akzeptieren von GutGemeintem inklusive erforderlichen WeiterleitungsMaßnahmen ist nur fortgeschrittenen Beschenkten möglich. Reflexartiges Heimzahlen des Guten mit Noch-Besserem ist in diesem Stadium der Lebenskunst nicht mehr erforderlich. Schenkende müssen dann nicht mehr vor den Kopf gestoßen werden und unverrichteter Freude wieder abziehen, weil es das! wirklich! nicht! gebraucht hätte. Die SchenkAnwärter hatten es gut gemeint, aber jetzt stehen sie da mit ihrem LiebesBeweis und müssen sich rechtfertigen mit Sonderangeboten, Schnäppchen, Secondhand und ichwolltedochnur? Das Leben ist nicht so engstirnig wie Knecht Ruprecht, es möchte keine Leviten lesen, sondern Füllhörner auskippen, wahllos. Ohne sich damit abzumühen, wer wann wie brav war oder warum nicht. Es hat keine Angst vor unerwünschten Nebenwirkungen und schlägt die FreudeamGeben nie mit Verwöhn- oder VerziehArgumenten in die Flucht. Das einzige Hindernis, das die Großzügigkeit nicht überspringen kann, ist die höfliche Ablehnung.

Welches HoheGut materialisiert sich, wenn sie tief in die Tasche greift? Bei Blumen und sonstigen Genussmitteln freuen sich Gewerbetreibende, deshalb klappt das mit der Verschwendung nicht: sobald sie Geld zum Fenster hinauswirft, steht JemandIne bereit und fängt es auf. Freut sich, wirft es weiter! Sobald Überfluss nicht mehr eingedämmt wird, tritt er über die Ufer und befruchtet die Umgebung. Füllt die Reisekasse der Nichte oder fließt weiter in global abgelegenere Gegenden, wo noch die eine oder andere Ebbe herrscht.

Zu viel ist ein Missverständnis. Zu viel lässt sich durch unendlich teilen und ist dann immer genau richtig.

Revolutionsvorschlag: Überleitung weglassen!

Die Tastatur als Konzertflügel, fliegende Finger, das Stakkato der Leertaste, flashback. Die Affäre mit den Tasten nimmt im Wahlunterricht ihren Anfang: die Lehrbeauftragte rezitiert das A-S-D-F-J-K-L-Ö Mantra, suchende Finger kreieren Codes. Winzige Hämmer krallen Schriftzeichen in Papier, die Reißwunden mit Tinte gefüllt. Zurückschieben per Hand, ein Klingeln der akustische Startschuss in die nächste Zeile. Dem Gesang der Sirenen widerstehen, die sie ins ZweiFingerHacksystem zurückverführen wollen, auf allen Zehnen durch Fehler- und Langsamkeitswüsten, auf leise klickende WortschlangenSafari. Zurück in die Antike, wo sie eine der ihren ist, vom Stamme der Kreaturen mit gebundenem Rücken. Die ältere Generation kann sich nur schwer an das Fiepen der Scanner gewöhnen, erinnern sich an Bücherentleihen untermalt vom Aufschlagen der Stempel. Die Enkel haben Eselsohren und Papplesezeichen aufgegeben und lassen sich in neuester Inkarnation direkt von Bildschirmen ablesen. Das Seitenrascheln hat als Akustikeffekt überlebt, Spielerei eines nostalgischen Programmierers.

Pizza aus dem Ofen, glitschige Seiten aufeinander geklappt: Calzone-Sandwich, Fusion

Cuisine leicht gemacht. In einer Hand halten, mit der anderen weitertippen und aufpassen, dass kein Käsetomatenschleim in die Tastatur tropft. Wenn sie Glück hat, bleibt eine halbe Stunde. Mit Eigenzeit wird gegeizt, sobald sie nicht mehr Vorstandsvorsitzende ihrer Tageseinteilung ist. Wenn Fremdbestimmung sie nicht Tagträumen lässt, Kritzeln Durchatmen WahrNehmen, sinkt die Stimmung am Boden der Tatsachen vorbei in die Minustemperaturen. Ihr Masterplan sah keine Kinder vor, weil das doch jede/r kann, sich fortpflanzen? Ein Instinkt, der in Verpflichtungen festzurrt, kostbare Energien abzieht, die der Kreativität abhanden kommt? Dann trifft sie ihn und alles kommt anders. Sie wachen eines Tages auf und wollen es doch, ein Kind. Dann noch eins und dann fehlt noch jemand. WunderVollAnstrengend. Der Kinderwunsch beinhaltete keinen WindelwechselWunsch, der wird jedoch mitgeliefert, inklusive Exkrement, einkaufen, essenmachen, waschen, abwaschen, niemand hatte ihr gesagt, dass ElternSein nie aufhört, sogar AnsHausFesseln und EinsamMachen kann, vorüber-Gehend? Über ihre Grenzen hinausgezogen schlägt sie auf im neuen Tag, rutscht aus auf guten Vorsätzen und naiver Unterschätzung immerwährender 24StundenSchichten. Tastet sich in den Ausnahmezustand als Regel vor und in Erschöpfungsuniversen herum, in denen sich Minuten wie Tage anfühlen, lotet aus. Das Kleinste schreit, Eltern-Annahmen zufolge überstimuliert, unterstimuliert? Das Kind ist durch Fragenkataloge – hungrig, nass, müde, erkältet? – nicht aus der Ruhe zu bringen und schreit gemütlich weiter. Hört auf, fängt wieder an. ‚Schreien ist jetzt angesagt, nichts für ungut. Muss nur gerade laute Luft rauspusten!‘ Sobald sie das Buch Perfektionismus leichtgemacht: So erkennen Sie schlechte Eltern – 828 eindeutige Indizien! zuklappen, geht es besser. Locker ist schwierig, wenn sie es krampfhaft versucht. Gestank riecht nach Leben. Auf ins Bad, Dusche an, genüßlich menschliche Überreste schrubben, fertig ist das Wellness Wochenende. Sie weiß auch in Momenten der Überforderung, wie bald sie der Zeit mit den MiniMenschen nachtrauern wird, feuchtäugig und herzschwer. Hört sich bereits sagen, wie schnell sie verflogen ist.