Wladimir Iljitsch Lenin – Basiswissen #09

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Wladimir Iljitsch Lenin – Basiswissen #09
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Bert Alexander Petzold

Wladimir Iljitsch Lenin – Basiswissen #09

Leben (1870–1924), Werke, Bedeutung

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Herausgeber: Bert Alexander Petzold

Copyright © 2021 by Bert Alexander Petzold

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Erstausgabe by Amor Verlag GmbH,

Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig

E-Book-ISBN: 978-3-98587-009-7


Der Titel erscheint in der Reihe BASISWISSEN

und ist ebenfalls als Hörbuch überall im Handel erhältlich:

Bert Alexander Petzold

Wladimir Iljitsch Lenin – Basiswissen

Leben (1870–1924), Werke, Bedeutung

gelesen von René Wagner

Laufzeit: 104 Minuten

Hörbuch-ISBN: 978-3-947161-59-1


Alle Titel und ausführliche Informationen unter:

www.amorverlag.de

In der Reihe BASISWISSEN erscheinen klar strukturierte Biografien bedeutender Persönlichkeiten in verständlicher Sprache. Zusätzlich werden wichtige geschichtliche Ereignisse und die Beziehungsgeflechte der Akteure erläutert. Zusammenhänge werden dadurch besser und schneller verstanden. Logische und nachvollziehbare Kapitelstrukturen sowie präzise Zeitleisten geben zusätzlich Orientierung. Bei den Hörbüchern der Reihe erleichtern professionelle Lesungen anerkannter SprecherInnen den Wissenszugang. Folgende Titel der Reihe sind als E-Book und Hörbuch lieferbar.

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE #01

E-Book-ISBN 978-3-98587-001-1 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-51-5

FRIEDRICH SCHILLER #02

E-Book-ISBN 978-3-98587-002-8 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-52-2

BERTOLT BRECHT #03

E-Book-ISBN 978-3-98587-003-5 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-53-9

MAX FRISCH #04

E-Book-ISBN 978-3-98587-004-2 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-54-6

WOLFGANG AMADEUS MOZART #05

E-Book-ISBN 978-3-98587-005-9 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-55-3

LUDWIG VAN BEETHOVEN #06

E-Book-ISBN 978-3-98587-006-6 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-56-0

FRIDA KAHLO #07

E-Book-ISBN 978-3-98587-007-3 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-57-7

ANDY WARHOL #08

E-Book-ISBN 978-3-98587-008-0 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-58-4

WLADIMIR ILJITSCH LENIN #09

E-Book-ISBN 978-3-98587-009-7 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-59-1

LEO TROTZKI #10

E-Book-ISBN 978-3-98587-010-3 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-60-7

FRIEDRICH HEGEL #11

E-Book-ISBN 978-3-98587-011-0 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-61-4

JEAN-PAUL SARTRE #12

E-Book-ISBN 978-3-98587-012-7 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-62-1

ANNE FRANK #13

E-Book-ISBN 978-3-98587-013-4 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-63-8

SOPHIE UND HANS SCHOLL #14

E-Book-ISBN 978-3-98587-014-1 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-64-5

GESCHICHTE DEUTSCHLANDS #15

E-Book-ISBN 978-3-98587-015-8 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-65-2

GESCHICHTE DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA (USA) #16

E-Book-ISBN 978-3-98587-016-5 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-66-9

WILLIAM SHAKESPEARE #17

E-Book-ISBN 978-3-98587-017-2 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-71-3

THOMAS MANN #18

E-Book-ISBN 978-3-98587-018-9 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-72-0

FRANZ KAFKA #19

E-Book-ISBN 978-3-98587-019-6 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-73-7

ERNEST HEMMINGWAY #20

E-Book-ISBN 978-3-98587-020-2 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-74-4

FRANZ JOSEPH HAYDN #21

E-Book-ISBN 978-3-98587-021-9 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-75-1

JOHANN SEBASTIAN BACH #22

E-Book-ISBN 978-3-98587-022-6 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-76-8

PABLO PICASSO #23

E-Book-ISBN 978-3-98587-023-3 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-77-5

SALVADOR DALÍ #24

E-Book-ISBN 978-3-98587-024-0 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-78-2

IMMANUEL KANT #25

E-Book-ISBN 978-3-98587-025-7 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-79-9

FRIEDRICH NIETZSCHE #26

E-Book-ISBN 978-3-98587-026-4 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-80-5

ALBERT EINSTEIN #27

E-Book-ISBN 978-3-98587-027-1 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-86-7

SIGMUND FREUD #28

E-Book-ISBN 978-3-98587-028-8 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-87-4

GESCHICHTE ISRAELS #29

E-Book-ISBN 978-3-98587-029-5 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-88-1

GESCHICHTE CHINAS #30

E-Book-ISBN 978-3-947161-89-8 Hörbuch-ISBN 978-3-98587-030-1


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Inhalt

1. Kindheit, Jugend und Familie (1870–1877)

2. Ein begabter Schüler und Student (1877–1892)

3. Lenin wandelt sich zum Marxisten (1892–1894)

 

4. Karges Leben in der Verbannung und im Exil (1895–1904)

5. Die erste Revolution von 1905 (1905–1907)

6. Die Bildung einer bolschewistischen Kaderpartei (1903–1913)

7. Erster Weltkrieg und seine Auswirkungen (1914–1918)

8. Die Große Sozialistische Oktoberrevolution (1917–1918)

9. Der erste kommunistische Regierungschef (1918–1924)

10. Zusammenfassung

11. Zeitleiste

1. Kindheit, Jugend und Familie (1870–1877)

Wladimir Iljitsch Uljanow, der sich später Lenin nannte, wurde am 22. April 1870 in Simbirsk, einer Stadt mit damals knapp 30.000 Einwohnern, geboren. Die Wolga ist ein breiter Fluss im europäischen Teil Russlands und mit über 3.500 km Länge einer der längsten und mit über 200 Nebenflüssen zugleich einer der wasserreichsten Flüsse Europas – sowie einer der größten der Erde. In Lenins Todesjahr 1924 wurde seine Geburtsstadt Simbirsk in Uljanowsk umbenannt und trägt seitdem bis heute Lenins Nachnamen. Uljonowsk liegt 900 Kilometer östlich von Moskau und hat sich inzwischen zu einer Großstadt mit über 600.000 Einwohnern entwickelt. Als Wladimir Iljitsch Uljanow geboren wurde, war Simbirsk eine typische, mittelgroße Stadt in der russischen Provinz und durch das Leben von Kleinbürgern und Bauern geprägt, die zumeist in flachen Holzhäusern entlang der Wolga lebten.

Russland wurde um 1870 vom absolutistischen Herrscher Zar Alexander III. regiert, der wie seine Vorgänger keine freie Presse zuließ und jegliche politische Opposition gnadenlos verfolgte. Gegner des Zaren wurden zumeist in den fernen Osten Russlands nach Sibirien in die Verbannung geschickt oder verhaftet und umgebracht. Erst wenige Jahre vor Wladimir Iljitsch Uljanows Geburt war in Russland die Leibeigenschaft aufgehoben worden. 80 % der Bevölkerung lebten damals direkt von der Landwirtschaft. Wirtschaftlich und kulturell war Russland äußerst rückständig geblieben und seine Entwicklung lag weit hinter der Mitteleuropas zurück. Lediglich 700.000 Industriearbeiter gab es zu dieser Zeit im Land, eine im Vergleich zur großen Ausdehnung Russlands eher geringe Anzahl.

Lenins tiefgläubiger Vater, Ilja Uljanow, wurde 1831 geboren und entstammte einer christlich geprägten bäuerlichen Familie mit einfachen Lebensverhältnissen. Mit finanzieller Unterstützung der Familie konnte er das Gymnasium besuchen und anschließend mit großem Fleiß erfolgreich ein Studium der Physik und Mathematik an der Universität Kasan abschließen. 1855 wurde Lenins Vater Oberlehrer am Adelsinstitut in Pensa und ab 1869 Inspektor und Direktor von Volksschuleinrichtungen, deren Anzahl er kontinuierlich erweiterte. Dabei förderte er besonders fortschrittliche Lehrer. 1882 wurde Ilja Uljanow vom Zaren in den Erbadelsstand erhoben.

Lenins Mutter, Marija Alexandrowna Uljanowa, wurde 1835 geboren und stammte aus der deutschen Familie Blank, die wie viele andere Deutsche und Schweizer ins russische Reich eingewandert waren und als Gutsbesitzer noch über Leibeigene bestimmt hatten. Ihr Vater, also Lenins Großvater mütterlicherseits, war Arzt ins St. Petersburg gewesen. Dessen Frau, Lenins Großmutter mütterlicherseits, stammte aus der Lübecker Großbürgerfamilie Groschopf, zu der auch schwedische Vorfahren gehörten. Lenins Mutter, Marija Alexandrowna Uljanowa, war eine ruhige, stille Person die eine wertorientierte, typisch deutsche Erziehung erhalte hatte, bei der Fremdsprachen wie Englisch, Französisch und die deutsche Sprache der Vorfahren sowie Literatur und Musik im Mittelpunkt standen. Im Jahre 1863 absolvierte sie eine staatliche Prüfung zur Lehrerin, übte ihren Beruf allerdings nie aus, denn ebenfalls im Jahre 1863 heiratete sie Lenins Vater, den Lehrer Ilja Nikolajewitsch Uljanow, den sie über Freunde in Pensa kennengelernt hatte. Als eheliche Mitgift stand Lenins Mutter ein Fünftel des väterlichen Gutes zu, was jedoch nach der Abschaffung der Leibeigenschaft deutlich verkleinert worden war.

Lenins Eltern lebten zunächst in der Messestand Nischni-Nowgorod, dort wurden die drei jüngeren Geschwister Lenins geboren. Im Herbst 1869 zogen die Uljanows nach Simbirsk um, wo am 22. April 1870, Wladimir Iljitsch geboren wurde.

Wladimir Iljitsch Uljanow, der spätere Lenin, wuchs demnach in einer religiös geprägten, bürgerlichen, kulturell liberalen Familie auf, die großen Wert auf die Bildung ihrer Kinder legte, denn besonders Lenins Vater wusste um die Bedeutung von Bildung, die auch seinen sozialen Aufstieg ermöglicht hatte. Wladimir Iljitsch wurde als viertes Kind seiner Eltern geboren und bekam noch vier jüngere Geschwister. Er verlebte eine glückliche Kindheit und war ein aufgeweckter, fröhlicher Junge mit einem ansteckenden Lachen.

2. Ein begabter Schüler und Student (1877–1892)

Sein autoritärer Vater war als Volksschulinspektor oft auf Reisen unterwegs, und so blieb die strenge religiöse, aber auch liberale Erziehung der Kinder die Sache von Lenins Mutter, die sie zu fleißigen und leistungswilligen Mitmenschen erzog. Sie förderte Wladimir Iljitschs Neugier auf Unbekanntes, seine hohe Arbeitsdisziplin und seinen unbändigen Fleiß beim Lernen. Es verwundert wenig, dass Wladimir Iljitsch bereits im Alter von neun Jahren auf das Gymnasium wechseln durfte. Seine Lehrer waren voll des Lobes über den sehr guten, außerordentlich begabten und akkuraten Schüler mit der schnellen Auffassungsgabe. Sie lobten ebenso sein stets umsichtiges und kameradschaftliches Verhalten anderen Mitschülern und den Lehrern gegenüber. Die allseits geschätzte Familie Uljanow war in den gesellschaftlichen Kreisen von Simbirsk anerkannt und weit davon entfernt, oppositionelle Tätigkeiten, die gegen den Zaren Alexander des III. gerichtet waren, gutzuheißen, geschweige denn diese zu unterstützen.

Als Lenins Vater im Alter von 55 Jahren im Januar 1886 völlig unerwartet an einer Hinblutung verstarb, war die Familie zwar plötzlich auf sich allein gestellt, jedoch materiell abgesichert. Die Witwenrente von etwa 100 Rubel monatlich hätte nur geringen Lebensstandard ermöglicht, jedoch kamen Einnamen aus der Verpachtung eines Landguts hinzu, das die Eltern aus der ehelichen Mitgift von Lenins Mutter erworben hatten.

Der sechzehnjährige Wladimir Iljitsch war zwar vaterlos geworden, jedoch prägte ein ganz anderes Ereignis den jugendlichen Lenin ein Jahr später, 1887, tiefgreifend. Es war die Hinrichtung seines geliebten Bruders Alexander. Für den jugendlichen Wladimir Iljitsch war sein Bruder Alexander sein großes Vorbild, er war sein Idol. Alexander, der ebenfalls ein hervorragender Schüler und Student war, hatte sich der revolutionären Organisation „Narodnaja Wolja“ (Wille des Volkes) angeschlossen. Gemeinsam mit seinen Verbündeten plante er ein Attentat auf den Zaren. Die zaristische Geheimpolizei vereitelte die Pläne und verhaftete Alexander. Ein Gericht verurteilte Alexander zur Höchststrafe. Trotz des vergeblichen Versuchs der Mutter, mittels eines Gnadengesuchs beim Zaren persönlich die Strafe abzumildern, wurde Alexander Uljanow im Mai 1887 in St. Petersburg gemeinsam mit vier Mitangeklagten durch den Strang hingerichtet. Fortan wurde die Familie Uljanow in Simbirsk gemieden und ausgegrenzt.

Der siebzehnjährige Lenin wurde auf eine harte Probe gestellt, denn in den Tagen unmittelbar vor der Hinrichtung seines Bruders Alexander begannen seine Abiturprüfungen. Unbeirrt und durch große Willenskraft erzielte Wladimir Iljitsch sehr gute Noten und wurde beim Abschluss des Gymnasiums mit der Goldmedaille ausgezeichnet. Der schmerzliche Verlust des geliebten Bruders war eine Zäsur im Leben des jungen Lenins, denn er wurde dadurch ebenso zum erbitterten Gegner des Zaren. Die revolutionären Ansichten seines Bruders interessierten ihn plötzlich, er las eifrig die ihm von Alexander hinterlassenen Bücher wie jenes des in der Verbannung lebenden Sozialrevolutionärs Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski, der für eine Gesellschaft ohne Grenzen und Klassenunterschiede eintrat.

Wladimir Iljitsch hatte zahlreiche intellektuelle Interessen wie Literatur und Altphilologie, zudem wurde er ein hervorragender Schachspieler. Er wollte unbedingt das Werk seines Bruders vollenden, erkannte jedoch schnell, dass das repressive System des russischen Zarismus nicht bloß mit einem Attentat zu überwinden sei, sondern nur mittels grundlegender Veränderungen der Gesellschaft, die notfalls mit Gewalt einzuleiten und durchzusetzen wären. Immer wieder erzählte Lenin später Vertrauten, dass sein Werdegang unmittelbar mit den Ereignissen um die Verhaftung und Hinrichtung seines Bruders zusammenhing. Sie hatten ihm die Augen geöffnet und auch das religiöse Erbe seiner Erziehung überwinden lassen.

Wladimir Iljitsch durfte nicht in St. Petersburg studieren, so wurde er mit 17 Jahren Student der Rechtswissenschaften an der Universität Kasan und geriet dort ebenfalls nach kurzer Zeit in das Visier der Polizei, denn seit der Verhaftung des Bruders wurde die gesamte Familie geheimpolizeilich überwacht.

Zu dieser Zeit 1887 hatte die Bespitzelung und Unterdrückung von Andersdenkenden im zaristischen Russland einen weiteren Höhepunkt erreicht. Praktisch alle Studentenkreise wollten eine Veränderung und viele von ihnen unterstützten revolutionäre Ideen, die Abschaffung des Zarismus forderten. Überhaupt nahm die Verbreitung der Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels in Studentenkreisen rasant zu. Marx und Engels gut zu finden, war modern geworden und entsprach dem allgemeinen Zeitgeist der studentischen Jugend. Der junge Lenin beteiligte sich immer wieder an studentischen Protesten, wurde schließlich verhaftet und musste einige Tage mit weiteren 40 Verhafteten im Gefängnis einsitzen. Als Konsequenz der Beteiligung an den Protesten wurde Wladimir Iljitsch der Universität verwiesen und musste Kasan verlassen, obwohl die gesamte Familie Uljanow gerade erst nach Kasan umgezogen war. Der Vater des späteren Ministerpräsidenten der Provisorischen Regierung, Alexander Kerenski, Fjodor Kerenski, der Lenins Lehrer am Gymnasium gewesen war und darum wusste, was für ein mustergültiger Schüler der junge Lenin gewesen war, bemühte sich erfolglos um die Aufhebung der Strafmaßnahme.

Von den Behörden wurde festgelegt, dass Wladimir Iljitsch fortan unter Polizeiaufsicht auf dem Gutshof der Blankschen Großeltern in dem abgeschiedenen Dorf Kokuschkino zu leben habe. Seine ältere Schwester Anna musste bereits dort in großer Einsamkeit leben, denn sie war im Frühsommer 1887 zusammen mit ihrem Bruder Alexander verhaftet und verurteilt worden.

Ein ganzes Jahr musste der junge Lenin in der Einsamkeit verbringen und nutzte die Zeit mit intensivem Selbststudium zu historischen Umbrüchen der Menschheitsgeschichte und ging, wie in bürgerlichen Kreisen damals üblich, zur Jagd. Im Oktober 1888 konnte er und seine Familie endlich wieder nach Kasan zurückkehren und eine Stadtwohnung anmieten. Sein studentisch geprägtes Umfeld versorgte den Achtzehnjährigen fortan mit Büchern zu revolutionären Fragestellungen, die er eifrig durcharbeitete. Darunter befand sich vermutlich eine Ausgabe des „Kapitals“ von Karl Marx. Immer häufiger traf er nun mit bäuerlichen Revolutionären zusammen.

Im Mai 1898 kaufte Lenins Mutter der Familie ein eigenes Landgut nahe der Stadt Samara und die Familie zog dorthin um. Die zaristische Geheimpolizei registrierte aufmerksam, wer sich alles im Gut des Dorfs Alakajewka einquartierte, neben der Mutter nämlich die jungen Revolutionäre Anna und Wladimir Iljitsch.

Der junge Lenin fremdelte mit dem trostlosen Landleben in der kargen Gegend und seiner Stellung als Gutsbesitzer und den Aufgaben als dessen Verwalter, die er lustlos und mit wenig finanziellem Verständnis erfolglos ausübte. Daraufhin beschloss die Mutter, ihm die Gutsleistung zu entziehen und das Gut fortan zu verpachten. Wladimir Iljitsch vermied den Kontakt zu den ansässigen verarmten Pachtbauern und ging ihnen aus dem Weg, auch um Konflikten vorzubeugen und sich offenbar mit dem augenscheinlichen Elend dieser Menschen nicht auseinanders etzen zu müssen. Ihn interessierten andere Dinge und größere Zusammenhänge. Er war ein kluger Intellektueller, wie viele seiner späteren revolutionären Kampfgenossen, liebte Wanderungen, erzog geduldig seine jüngeren Geschwister und lebte vom Geld seiner Familie.

 
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