Dunkle Geschichten aus dem alten Wien

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Dunkle Geschichten aus dem alten Wien
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Barbara Wolflingseder

Dunkle

Geschichten

aus dem Alten Wien



ISBN 9783990401828


© 2012 und 2013 by Pichler Verlag in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Wien · Graz · Klagenfurt

Alle Rechte vorbehalten

Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop

Umschlaggestaltung: Bruno Wegscheider

Buchgestaltung: Alfred Hoffmann

Reproduktion: Pixelstorm, Wien

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014


„Dieser Raum erzählt uns unsere Geschichte“ (Adolf Loos): der Stephansplatz. Aquarell von Rudolf von Alt, 1834.


Zauber der alten Stadtlandschaft: Blick von der Elisabethbrücke in die Kärntner Straße. Gemälde von Carl Moll, 1897.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Die „Kapuzinergräuel“ am Neuen Markt

Die eingemauerte Nonne

Scheiterhaufen lodern auf der Gänseweide

Ein Mörder aus gutem Haus

Der Ehemann als Folterknecht

Tierische Belustigungen

Die schwere Last der schönen Greißlerin

Im Kampf gegen Napoleon Bonaparte

Wiens feschester Mörder

Skandal in prominenten Kreisen

Der Sündenbock von Gumpendorf

Die Hexe vom Brünnl

Ein schauderhafter Fund im Abzugskanal

Das Blutjahr 1874

Ein mörderisches Ehepaar

Die einzige Hinrichtung einer Frau in der Ära Franz Joseph

Quellen und Literatur

Bildnachweis

Dank

Die Autorin

Blick vom Nußberg auf das Kahlenbergerdorf und die Stadt Wien. Gemälde von unbekanntem Meister, um 1830.

VORWORT

Anstatt die Leser mit einem langweiligen Vorwort zu inkommodieren, überlasse ich die Einleitung zu meinen dunklen Geschichten lieber dem unvergesslichen Peter Hammerschlag:

Die Ballade vom Lustmörder Alois Blawatschek oder Angewandte Psychonanalyse

Alle Jahre einmal im Quartale

Packte es den Alois Blawatschek.

Blawatschek an ihm war das Brutale,

Doch das Alois war ein lieber Schneck.

Und der Mädchen schlanke Sommerhälslein

Wuchsen braun aus duftigem Batist.

Gerne hätte Alois wie ein Gelslein

Hingestochen – nämlich: hingeküsst -

Doch er zahlte ihnen bloß ein Seitel

Und er war und blieb ein Mann voll Charme.

Dachte Blawatschek an Taschenfeitel,

Fiel ihm Alois hemmend in den Arm.

Eines Abends saß er bei den Schrammeln,

Denn das war sein angestammter Sitz,

Da begann um ihn sich zu versammeln

Dr. med. et phil. Knut Horowitz:

„Sie sind einer von den seltnen Fällen!

Lagen Sie im Mutterleibe schief?

Pflegen Sie beim Liebesakt zu bellen?

Träumen Sie? Wie oft, wie lang, wie tief?

Hatten Sie als Kind schon Mörderhände?

War die Frau Mama nicht schizophren?

Herr, ihr linkes Nasenloch spricht Bände!

Reagier’n Sie ab – sonst wer’n Sie sehn!"

Blawatschek griff sich ans Unterkieferl,

Kratzte es und schlenderte hinaus.

Dort tranchierte er das Psycho-Schlieferl

Und vergrub den Leichnam hinterm Haus.

Rein war nun sein Seelchen, wie ein Spiegel.

Himmelwärts schwamm blau Virginier-Rauch …

„Fräulein Mizzerl!! Gollasch und zwei Krügel,

Und den schwarzen Dokter zahl ich auch!"

Alois warf sein kleines Taschenmesser

Hinter Grinzing in den Abendwind.

Überhaupt: es war ihm schon viel besser,

Und er sah die Mädchen, wie sie sind.



Die Entdeckung des Klosterkerkers bei den Kapuzinern. Zeichnung von Vinzenz Katzler in Moriz Bermanns „Dunklen Geschichten aus Österreich“ (Wien 1868).

DIE „KAPUZINERGRÄUEL“ AM NEUEN MARKT

Der Skandal um die Klosterkerker

Anno Domini 1782, das Kloster der Kapuziner am Neuen Markt: Es ist die Nacht vom 23. zum 24. Februar, als Pater Innocentius von einem Laienbruder geweckt wird. Er werde dringend benötigt, teilt ihm dieser mit, und solle ihm auf Befehl des Guardians1 umgehend folgen. Wohin, wird ihm nicht verraten. Der Laienbruder geht mit einer Laterne voran und führt den Ordenspriester in den Keller. Sie schreiten durch mehrere finstere Gänge und Kammern, es ist dem verwunderten Pater ein völlig unbekanntes Terrain. Ein Türschloss wird knarrend aufgesperrt, plötzlich stehen sie in einem düsteren Kerkerraum. Was Pater Innocentius dort erblickt, beschreibt er später er mit folgenden Worten:

Vor mir lag ein langgestreckter Greis, in abgenütztem Habit, unter wollener Decke, auf einem Strohsacke; die Capuze deckte sein graues Haupt; sein schneeweißer Bart reichte bis an den Gürtel. Neben der Bettstelle ein alter elender Strohstuhl, ein alter schmutziger Tisch, darauf eine Lampe. Ich sprach einige Worte zu dem Sterbenden, er hatte die Sprache bereits verloren.

Den Häftling, bei dem es sich um den aus Ungarn stammenden Frater Nikomedes handelt, habe am Vortag der Schlag getroffen, erfährt Pater Innocentius. Und da keiner außer dem Pater der ungarischen Sprache mächtig sei, solle er dem Greis den letzten Segen spenden. Der alte, verwahrloste Mann gibt seinem Besucher durch einen Händedruck zu verstehen, dass er seine Worte hören könne. Worte des Trostes und der Hoffnung auf ewige Seligkeit, wie es der Pater in seinen Memoiren ausdrückt: Nach viertelstündigem, schweren Todeskampfe war er dort; sein Leiden hienieden geendigt.

Bevor der Pater den Laienbruder wieder zu sich ruft, sieht er sich genauer im Gefängnis um und schwört bei der Hülle des Entseelten, […] diesen Greuel bei dem Kaiser anzuzeigen. Er erkundigt sich nach den näheren Umständen und wird dabei in Kenntnis gesetzt, dass Frater Nikomedes seit 52 Jahren hier unten vegetiere, weil er den Prior einen Dummkopf geheißen habe. Er selbst habe nur die Aufsicht und werde deshalb auch „Löwenwärter“ genannt, erzählt der redselige Laienbruder. Ein Klosterwitz, plaudert er launig weiter, der sich auf die „Löwen“, wie man die Gefangenen nennt, beziehe. Pater Innocentius, im bürgerlichen Namen Ignaz Aurelius Feßler, kann sich für diesen „Witz“ nicht erwärmen. Noch nie hat er etwas so Abscheuliches gesehen. Den Eindruck dieser Barbarei wird er zeit seines Lebens nicht mehr loswerden. Aber es bricht nun auch etwas in ihm durch, was sein Inneres schon lange beschäftigt.

 

An den Lehren der römisch-katholischen Kirche, mit denen er seit seiner Kindheit gespeist worden ist, hat er mit zunehmender Bildung und Erfahrung immer mehr gezweifelt. Nun sind diese Zweifel so groß geworden, dass er seinem Leben endgültig eine neue Richtung geben will. Zunächst aber muss er irgendwie auf die ungeheuren Zustände, die im Kapuzinerkloster herrschen, aufmerksam machen.

Pater Innocentius I. alias Ignaz Aurelius Feßler

Ignaz Aurelius Feßler kam 1756 im damals ungarischen Zurány2, heute Zurndorf, zur Welt, wo er zweisprachig aufwuchs. Nach dem Gymnasium versuchte er einen Platz bei den Jesuiten zu finden, wurde aber aufgrund seiner Jugend zurückgewiesen; 1773 trat er daher im Kloster Mór bei Stuhlweißenburg in den Kapuzinerorden ein. Er erhielt den Namen „Innocentius“ und wurde sechs Jahre später zum Priester geweiht. Zu einem Zeitpunkt, als er im Unglauben erstarret war, wie er selbst schreibt. Er verbrachte die meiste Zeit mit Studien, las unzählige Bücher und fand Trost in den philosophischen Schriften Senecas. Nach Aufenthalten in diversen Klöstern führte ihn sein Ordensweg schließlich zu den Kapuzinern am Neuen Markt.

Die ersten zwölf Kapuzinerpatres waren 1599, zum Zeitpunkt der einsetzenden Gegenreformation, nach Wien gekommen, wo sie zunächst in verschiedenen Klöstern Quartier gefunden hatten. 1617 stiftete Kaiserin Anna von Tirol dem Orden eine Kirche am Mehlmarkt (heute Neuer Markt) und legte testamentarisch fest, dass unter dem dazugehörigen Kloster eine Gruft errichtet werden solle, in der sie samt ihrem Gemahl Kaiser Matthias beigesetzt werden möchte. Als Anna 1618 und der Kaiser ein Jahr später starben, war der Bau noch nicht fertig. Man deponierte die Särge zunächst im Königinnenkloster der Hl. Clara in der Dorotheergasse und überführte sie 1633 in die fertiggestellte Kapuzinergruft.

Nach mehreren Erweiterungen besteht die Kaisergruft heute aus acht Grabstätten, in denen über 140 Habsburger bestattet wurden.

Dass sich unter dem Kapuzinerkloster auch Kerker befanden, in denen man Mönche, die gegen die Klosterregeln verstoßen hatten, bis ins 18. Jahrhundert zur Strafe einsperrte und aufs Grausamste behandelte, ist heute kaum vorstellbar – die Kapuziner waren jedoch nicht der einzige Orden, der diese Praxis kannte. Obwohl Maria Theresia 1769 bereits erste gesetzliche Maßnahmen zur Aufhebung der Stifts- und Klosterkerker getroffen und ihr Sohn Joseph II. im Zuge der Säkularisation31782 diese Gesetze verschärft hatte, stieß man immer wieder auf diese unerlaubten Verliese. Diese Klostergeheimnisse an die Öffentlichkeit zu bringen, war ein gefährliches Unterfangen, welches für den „Verräter“ leicht mit einer ebensolchen Strafe enden konnte. Die schreckliche Nacht, die Ignaz Aurelius Feßler nie mehr vergessen konnte, gab ihm jedoch den Mut, den Kaiser persönlich über die „Kapuzinergräuel“ im Wiener Hauptkloster des Ordens zu unterrichten.

Der Lobkowitzplatz mit dem Kapuzinerkloster. Gemälde von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, um 1759/​61 (Detail).

Brachte den Skandal um die Klosterkerker ins Rollen: Ignaz Aurelius Feßler. Gemälde von János Rombauer, 1821.


Der Reformer Kaiser Joseph II., Gemälde von Joseph Hickel.

Der Brief an den Kaiser

Am 25. Februar, zwei Tage nach dem Besuch Feßlers in der Unterwelt des Kapuzinerklosters, wartete ein Student namens Pokorny im Kontrollorgang in der Hofburg auf das Erscheinen Josephs II. Pokorny war ein Vertrauter Feßlers, den der Geistliche schon mehrmals um Botengänge ersucht hatte, bei denen Verschwiegenheit oberstes Gebot war. Diesmal sollte er dem Kaiser einen Brief übergeben. Der Kontrollorgang befand sich im Mezzanin des Leopoldinischen Traktes, in dem der um Volksnähe bemühte Herrscher seine Audienzen abhielt. Jeder Bürger seines Reiches konnte hier ohne bürokratische oder zeremonielle Hürden sein Anliegen vorbringen.

Als der Kaiser aus der Tür seines Kabinetts trat, überreichte ihm Pokorny den Bericht seines Auftraggebers:

Gnädigster Kaiser und Herr!

Die Menschheit ruft zu Ew. Majestät Thron, um Rettung, Schutz und strenge Gerechtigkeit gegen ihre Unterdrücker, besonders wenn diese die ganze Welt durch den Schein der Frömmigkeit und Religiosität betrügen und in ihren geheiligten Mauern Grausamkeiten verüben, welche Ew. Majestät an Weltlichen gewiß mit aller Strenge der Gesetze züchtigen würden.

Vier Kapuziner schmachten heute noch in einem unterirdischen Klostergefängniß auf dem neuen Markt […] Der Weg zu dieser Mörderhöhle des Mönchsdespotismus führt auf dem Neumärkter Kloster durch die Küche rechter Hand hinein in das Waschhaus, dann gerade fort in die Speisekammer, von hieraus eine kleine Thür, durch die man etliche Stufen hinuntersteigt, sodann links in einen engen finstern Gang kommt, wo linkerhand die wohlverwahrten Behältnisse der Gefangenen, welche die Kapuziner „Löwen“ nennen, sind.

Ich habe Ew. Majestät hiermit als fühlender Mensch und als treuer Bürger und Unterthan, in Wahrheit die schaudervolle Hölle […] angezeigt. Ich hielt mich dazu verpflichtet; kommt es aber jemals heraus, daß ich es war, der der Menschheit diesen Dienst geleistet hat, so bin ich selbst für immer geopfert und verloren. Der Mönchsgeist hat tausend Mittel und Wege, seine Opfer zu erhaschen, wo sie weder das Auge des Regenten, noch das Schwert der Gesetze erreichen kann. Ich bitte daher um Ew. Majestät Allerhöchsten Schutz und um Verschwiegenheit meines Namens.

Ew. Kaiserl. Königl. Majestät

Allergetreuester Unterhan, P. Innocentius, Kapuziner in dem Kloster auf dem Neuen Markt

Die „Löwen“

Der Theologe Peter F. Barton beschreibt in seinem Buch Ignaz Aurelius Feßler. Vom Barockkatholizismus zur Erweckungsbewegung die Gründe für die Inhaftierung der weiteren Mönche. So hatte der mittlerweile 56-jährige Pater Paternus einst an den Nachmittagen unerlaubte Ausflüge gemacht, von denen er zwar immer pünktlich zurückgekehrt, die zu unterlassen er aber nicht bereit gewesen war. Für dieses Vergehen saß er schon seit 15 Jahren im unterirdischen Gefängnis. Pater Florentinus, nunmehr 73 Jahre alt, hatte den Guardian, der ihn wiederholt beschimpft hatte, geohrfeigt und war bereits 42 Jahre in Gefangenschaft. Beide Patres waren bei ihrer Arretierung nicht wahnsinnig gewesen, sind es allerdings durch die jahrelange Kerkerhaft geworden.

Besonders drastisch liest sich die Geschichte des Laienbruders Nemesian. Er hatte die Anweisung seines Novizenmeisters, in allen Menschen Gott zu lieben und zu ehren, als junger Mann allzu wörtlich genommen und war vor allen Besuchern und Straßenpassanten niedergekniet, sie um ihren Segen bittend. Um sein theologisches Verständnis zu schulen, wurde über ihn lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Bruder Nemesian, der von Joseph II. aus dem Kerker befreit wurde, muss eine Natur von Stahl und Eisen gehabt haben, denn er zählte 80 Jahre, wovon er 53 Jahre im Kerker verlebt hatte!, berichtet der Schriftsteller Carl Julius Weber.

Neue Regeln für die Klöster

Feßlers Brief an den Kaiser hatte zur Folge, dass eine Untersuchungskommission, an deren Spitze der als Theaterzensor bekannte Regierungsrat Franz Karl Hägelin stand, ins Kapuzinerkloster geschickt wurde. Der überraschte Guardian zeigte sich völlig ahnungslos und blieb selbst nach dreimaliger Aufforderung, die Männer in den geheimen Keller zu führen, stur bei seiner Auskunft, es gäbe „da unten“ keinen Kerker. Erst als die Kommission sich selbst einen Weg durch die von Feßler genau beschriebenen Gänge und Kammern bahnte, wurden die Schreckensgestalten, deren Anblick ebensoviel Entsetzen als Mitleid einflößte, wie Moriz Bermann schrieb, entdeckt.

Joseph II., zu dessen wichtigsten Reformbestrebungen es gehörte, Aberglauben, religiösen Fanatismus und die Macht des Klerus zurückzudrängen, verordnete nun in mehreren Klöstern Visitationen, um etwaige weitere Kerker aufzuspüren. Die verbotenen Gefängnisse, die man dabei entdeckte, wurden sofort aufgelassen. Das Kapuzinerkloster am Neuen Markt war also bei weitem kein Einzelfall. Ab dem 3. März 1783 mussten wahnsinnig gewordene Geistliche zum nächstgelegenen Kloster der Barmherzigen Brüder gebracht werden, wo sie auf Kosten des jeweiligen Herkunftsklosters gepflegt werden mussten.

Dem Wiener Erzbischöflichen Konsistorium4 wurde in einem Schreiben mitgeteilt:

Seine K. K. Majestät haben über dem in betreff der fürgetragenen Untersuchung, bei den Kapuzinern auf dem neuen Markte allhier erstatteten allergehorsamsten Vortrag durch allerhöchstes Hofdekret […] an die Regierung unter anderm herabgelangen lassen: daß der hiesige Guardian der Kapuziner auf dem Neumarkte, da er sich durch Beibehaltung der verbothenen Klosterkerker sehr strafbar gemacht, seines Amtes entsetzet und für die Zukunft aller Ämter unfähig erklärt werden solle; aufdaß aber die bereits in diesem Kloster existirenden Klosterkerker desto sicherer vertilget würden, so wäre die Vorkehrung zu treffen, womit selbe alsogleich zu Holzgewölben zugerichtet, die doppelten Thüren und harten Verschließungen weggethan, und mit einem Worte all-jenes auf die Seite geräumet würde, welches sie zum ferneren Gebrauche für Gefängniße fähig machen könnte; diejenigen Geistlichen, welche unter dem Namen als Wahnwitzige in dießen Behältnißen verwahret würden, müßten alsobald, wenn es noch nicht geschehen, in andere ordentliche Zellen übersetztet, und für ihre Herstellung all-mögliche Sorge getragen werden; wonach dem Kloster die Weisung zu geben, von Seiten des Politici aber darauf ein obachtsames Aug zu tragen sey.


In der Kapuzinergruft. Stich von William H. Bartlett, 1840.

1784 entzog Kaiser Joseph II. den Kapuzinern am Neuen Markt einen Teil ihrer Gärten und befahl, dort längs der Planke Häuser zu errichten. So kam die Plankengasse, die vorher Neuburgerstraße hieß, zu ihrem Namen. Das Bittgesuch von Pater Innocentius bewirkte auch, dass Kaiser Joseph II. im selben Jahr strengere Auflagen schuf, was die Bildung des Klerus anbelangte. Außerdem sollte den Missständen in den Klöstern endgültig ein Riegel vorgeschoben werden.

Vom Kapuzinerpater zum Freimaurer

Welch schillernde Persönlichkeit Feßler war, zeigt sein weiterer Lebenslauf. Um mögliche böse Folgen seines mutigen Handelns abzuwenden, berief ihn der Kaiser als Lektor für orientalische Sprachen und Altes Testament an die Universität Lemberg. Vor seiner Abreise, die für den 23. Februar 1784 geplant war, kam es zu gröberen „Komplikationen“, die Feßler beinahe das Leben gekostet hätten.

Dem Pater fehlte das Geld für die Reise. Bis auf seine Bücher besaß er nichts. Völlig unerwartet erhielt er zwei Reisegeschenke. Der Hofsekretär Grossinger überreichte ihm einen Dolch, der sich noch als lebenswichtig herausstellen sollte, und Joseph II. veranlasste, dass er von Rom aus einen kostenlosen Platz in einer „Diligence“5 sowie 150 Silbergulden Reisegeld erhalten sollte. Am 20. Februar begab sich Feßler etwas später als gewöhnlich zu Bett. In der Erwartung, dass er um Mitternacht bereits schlafen würde, stürzte sein fanatischer Klosterbruder Pater Sergius in seine Zelle. Ein großes Fleischermesser schwingend, warf er sich mit dem Rufe „Morere haeretice!“ auf den verhassten Repräsentanten aufgeklärter Bildung, um ihm das Messer in die Brust zu stoßen, so Barton. Geistesgegenwärtig fasste Pater Innocentius nach Grossingers Dolch und konnte den Angriff gerade noch abwehren. Der verwundete Sergius lief zurück in seine Zelle, wo er sich, bewaffnet mit zwei weiteren Fleischermessern, verbarrikadierte. Feßler weckte den Guardian, der sofort sechs Laienbrüder zum rabiaten Pater schickte. Die Zellentüre wurde aufgebrochen, Sergius mit langen Stangen entwaffnet und in die Korrektionszelle gesperrt.

 

Um Kloster und Orden Unannehmlichkeiten zu ersparen, informierten Feßler und der Guardian Pater Nicephorus den Präsidenten der geistlichen Hofkommission, Franz Karl Kressel, darüber, dass Pater Sergius in der Nacht vom Wahnsinn befallen worden sei, und erwähnten mit keinem Wort den Überfall. Ihre Bitte, Sergius der Obhut der Barmherzigen Brüder zu übergeben, erfüllte Kressel ohne zu zögern. Nach drei Jahren ging es mit der Karriere des „Messerhelden“ jedoch wieder bergauf. Im Ofener Kapuzinerkloster erhielt Pater Sergius das ehrenvolle Amt des Sonntagspredigers.

Am 22. Februar gaben Freunde und Mitbrüder für Feßler eine Abschiedsfeier. Wien zu verlassen, fiel ihm nicht leicht. Was sein Mut und seine Entschlossenheit in dieser Stadt durchgesetzt hatten, berichtete der Dichter Zacharias Werner im Jahre 1807: Man erinnert sich seiner hier in und außer seinem gewesenen Kloster noch mit viel Achtung und Theilnahme.

In Lemberg unterrichtete Feßler nicht nur, sondern begann auch seine schriftstellerische Karriere und verfasste etliche historische Romane. Dabei ging es ihm primär darum, seine philosophischen Ansichten und seine Weltanschauung mitzuteilen. 1784 wurde er Mitglied in der Lemberger Freimaurerloge „Phoenix zur runden Tafel“. Sechs Jahre später konvertierte Ignaz Feßler zur lutherischen Konfession.

In Berlin, wo er sich 1796 niederließ, lernte er den Philosophen Johann Gottlieb Fichte kennen. Mit ihm gemeinsam reformierte er die Regeln der Freimaurerloge „Royal York zur Freundschaft“. Feßler soll von durchaus streitbarem Charakter gewesen sein, er überwarf sich einige Jahre später mit seinen Logenbrüdern und trat aus dem Freimaurerbund wieder aus.

Zar Alexander I. engagierte ihn an die Alexander-Newskij-Akademie in St. Petersburg, wo er orientalische Sprachen und Philosophie unterrichtete. 1833 wurde er Generalsuperintendent und betrachtete es als seine Aufgabe, den lutherischen Glauben in Russland zu festigen. Auch setzte er sich für die Genehmigung der Freimaurerei in Russland ein.

Kinder hatte Ignaz Aurelius Feßler keine, wohl aber war er verheiratet. Und das gleich dreimal. Von seiner ersten Frau ließ er sich sogar scheiden, was damals sicherlich eine Seltenheit war.

Am 15. Dezember 1839 starb dieser freigeistige, geniale und durchaus sonderbare Kirchenmann in St. Petersburg.

So sehr Kaiser Joseph II. auch für großen Unmut bei der Bevölkerung gesorgt haben mag, indem er seine Untertanen mit unzähligen und teilweise absurden Gesetzen überhäufte, für seine engagierten Reformen im kirchlichen Bereich waren ihm dennoch viele dankbar. Der evangelische Theologe, Erbauungsschriftsteller und Erzähler Christian Friedrich Sintenis widmete ihm 1782 folgendes Gedicht:

Nonnenlied auf Kayser Joseph den Zweyten

Daß Joseph nichts als Segen schuf,

Daß er für Millionen Tröster

Geworden sey, drang in die Klöster

Sogar der feyerliche Ruf.

Er steuerte von seinem Thron

Dem Glaubenshaß, dem Volksverwüster;

Da lernten Duldung seine Priester,

Und Tugend ward Religion.

Er sah im Land viel Sclavenpein;

Da bebt’ er, gab der Menschheit Rechte

An Israel und Böhmens Knechte,

Und führte goldne Freyheit ein.

Unlängst warf er den Vaterblick

Auch auf viel tausend Mädchenseelen.

Er sah sie Gott zu Ehren quälen,

Und gab sie an die Welt zurück.

(…)

1

Vorsteher eines Franziskaner-, Minoriten- oder Kapuzinerkonvents

2

Heute Zurndorf im Burgenland

3

Verstaatlichung von Kirchenbesitz

4

Die Verwaltungsbehörde des Bistums

5

Postkutsche in Stil der französischen Monarchen


Grausige Legende aus dem mittelalterlichen Wien: die eingemauerte Nonne. Zeichnung von Vinzenz Katzler.