Liebe im Wüstensand

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Liebe im Wüstensand

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2018

Copyright Cartland Promotions 1976

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~ 1870

»O nein, Papa! Ich könnte Lord Bantham niemals heiraten!«

Vitas Stimme klang entschlossen, doch ihr Vater, General Sir George Ashford, entgegnete: »Ich verstehe durchaus, daß sein Antrag dich überrascht, Vita, aber deine Mutter und ich sind der Meinung, daß er der geeignete Gemahl für dich ist.«

»Aber er ist alt, Papa! Er ist dein Freund! Ich hätte nie geglaubt, daß er sich überhaupt für mich interessiert!«

»Bantham ist zurückhaltend und besitzt Würde, woran es den meisten jungen Männern heutzutage mangelt«, erklärte der General ungehalten. »Salopp ausgedrückt, würde man wohl sagen: Er trägt sein Herz nicht auf der Zunge. Trotzdem liebt er dich und möchte dich heiraten.«

»Das ist einfach lächerlich! Er ist viel zu alt!«

Kaum war es heraus, wurde Vita bewußt, daß sie einen Fehler begangen hatte. Ihr Vater war fünfundvierzig gewesen, als sie geboren wurde, und Lord Bantham war gerade erst vierzig Jahre alt.

Doch der bloße Gedanke an eine Vermählung mit ihm erfüllte sie mit Grauen.

Gewiß wollte sie irgendwann einmal heiraten, und es gab genügend gutaussehende junge Männer, die ihr bereits ihr Herz zu Füßen gelegt hatten. Daß sämtliche bisherigen Bewerber um ihre Hand von ihrem Vater als Mitgiftjäger bezeichnet und abgewiesen worden waren, hatte sie nicht gestört.

Mit achtzehn Jahren hatte sie noch viel Zeit, sagte sie sich.

Es war nicht sonderlich verwunderlich, daß sie es nicht eilig hatte, unter die Haube zu kommen. Vita war so schön, daß sie jedem Mann, dem sie begegnete, den Kopf verdrehte.

Sie hatte ein schmales Gesicht mit ebenmäßigen Zügen, rotblondes Haar, das in sanften Locken ihr Gesicht umspielte, und blaue Augen mit langen dunklen Wimpern, deren Farbe ins Violett spielte, wenn sie zornig oder erregt war. Ihr Teint war auffallend hell, nur die Wangen hatten die zarte Röte wilder Rosen.

Was die Männer jedoch besonders in ihren Bann schlug, war ihre sprühende Lebensfreude, die jeden, der mehr als eine Minute in ihrer Gesellschaft verbrachte, in helles Entzücken versetzte.

Kein Name hätte besser zu ihr gepaßt als der, den ihr Vater ihr gleich nach ihrer Geburt gegeben hatte.

Wie alle englischen Väter war er der festen Überzeugung gewesen, sein erstes Kind müsse ein Stammhalter sein. Doch Vitas Geburt hatte Lady Ashford beinahe das Leben gekostet.

Als der General dann seine blau angelaufene, knapp dem Erstickungstod entronnene kleine Tochter sehen durfte, hatte er erleichtert aufgeatmet, weil nicht nur das Kind, sondern auch seine Mutter überlebt hatte.

»Es ist ein Mädchen, Sir George!« hatte der Doktor betont herzlich verkündet, wohl wissend, daß man gewöhnlich dem Arzt die Schuld gab, wenn der ersehnte Erbe ausgeblieben war.

»Das sehe ich«, erwiderte der General trocken.

»Welchen Namen wollen Sie ihr geben?« fragte der Doktor. »Sie hat einen ungeheuren Lebenswillen bekundet, obwohl die Chancen schlecht für sie standen.«

»Dann kann sie nur Vita heißen«, entschied der General in einem Anflug von Mutterwitz, für den man ihn in seinem Club rühmte.

Er und seine Gemahlin hatten sich bereits eine Reihe von Namen für den erwarteten Sohn ausgedacht. Die Tatsache, daß ihnen eine Tochter geschenkt worden war, traf sie völlig unvorbereitet, und als Lady Ashford wieder einigermaßen bei Kräften war, protestierte sie heftig gegen die Namenswahl ihres Gatten.

Doch mit der Entschlossenheit, die ihm seinen hohen Rang beim Militär eingebracht hatte, beharrte er auf seinem Willen und behauptete, das Kind sei bereits auf diesen Namen ins Geburtenregister eingetragen.

Als dann die Taufe stattfand, ließ Lady Ashford dem Vornamen ihrer Tochter die Namen Hermione, Alice und Helena beifügen, doch es blieb bei Vita, und mit jedem Jahr erwies das Mädchen sich dieses Namens würdiger.

Während sie nun im Salon von Ashford House in Leicestershire ihrem Vater gegenüberstand, sah Vita bezaubernd aus, trotz der zornfunkelnden Augen und der trotzigen Miene.

Ihr Vater hatte sie von klein auf maßlos verwöhnt, doch ihr war bewußt, daß es sehr schwer sein würde, sich seinem Willen zu widersetzen und sich zu weigern, Lord Bantham zu heiraten.

Nach Überzeugung ihrer Mutter konnte Vita ihren Vater häufig um den Finger wickeln, doch zuweilen, wenn er überzeugt davon war, daß es zu ihrem Besten war, könnte er erstaunlich schwierig sein.

Sie konnte sich nicht erklären, weshalb ihr nicht früher aufgefallen war, daß Lord Bantham sich für sie interessierte.

Vermutlich war ihr das deshalb entgangen, weil er so eng mit ihrem Vater befreundet war, sonst hätte sie längst spüren müssen, daß er ernsthafte Absichten hegte.

Sie wußte auch ohne die euphorischen Worte ihres Vaters, daß Lord Bantham als ausgesprochen gute Partie galt. In den gesellschaftlichen Kreisen, in denen die Ashfords verkehrten, war ein unverheiratetes Mädchen endlosen Spekulationen und listigen Schachzügen ausgesetzt, bis es endlich den schützenden Hafen der Ehe erreichte.

Da Vita sich ihrer Schönheit und auch ihres Reichtums durchaus bewußt war, hatte sie bereits seit ihrer Schulzeit eine feste Vorstellung, was sie vom Leben erwartete.

Sehr früh schon hatte sie am gesellschaftlichen Leben außerhalb der Unterrichtsräume teilnehmen dürfen. Sie galt als exzellente Reiterin und durfte bereits mit acht Jahren an Parforcejagden teilnehmen. Da sie mutig war und absolut ohne Furcht, war sie bald der Liebling aller auf den elegantesten und exklusivsten Jagdgesellschaften, die in Leicestershire stattfanden.

Ihr Vater war ein hervorragender Pferdekenner, und es bereitete ihm Vergnügen, seine kleine Tochter auf die Jagd mitzunehmen.

So genoß Vita schon als Kind große Freiheiten und war mit fünfzehn Jahren gebildeter und selbstsicherer als die meisten ihrer Altersgenossinnen.

Ihre kindliche Erscheinung, die zartgliedrige Gestalt und ihre großen, staunenden Augen erregten überall Aufsehen, und so wurde sie von allen Erwachsenen, mit denen sie in Berührung kam, nach Strich und Faden verwöhnt.

Erst mit siebzehn Jahren, nach ihrem Schulabschluß, wurde sie von den anderen Damen als ernsthafte Konkurrenz betrachtet und ihre zauberhafte Erscheinung mit neidischen Blicken verfolgt.

Vita war so klug, zu erkennen, daß ihr Vater und ihre Mutter entschlossen waren, sie sobald wie möglich mit einem respektablen Mann ihrer Wahl zu vermählen, damit sie den Gefahren, die ihre Schönheit mit sich brachte, entging.

Daß ihre Wahl auf Lord Bantham gefallen war, erfüllte sie mit Entsetzen, wenn sie auch ehrlich zugeben mußte, daß ihre Eltern gute Gründe für ihre Entscheidung anführen konnten.

Lord Bantham war einer der reichsten Männer in England und galt als untadelig. Er gehörte nicht den Kreisen an, deren frivoles Treiben die Klatschpresse beschäftigte und von Ihrer Majestät, der Königin, zutiefst verabscheut wurden.

Er war eine der Säulen des House of Lords. Als Kenner des Landlebens und der dort auftretenden Probleme gehörte er nahezu jedem Ausschuß und jedem Komitee an, das sich mit der Wahrung und Pflege des englischen Landlebens befaßte, und seine Besitztümer, seine Häuser und Güter suchten weit und breit ihresgleichen.

Als standesgemäße Partie war er unübertrefflich, aber als Mann . . .

Vita schauderte bei dem Gedanken.

Wieder fiel ihr Blick auf das Kinn ihres Vaters, das Entschlossenheit verriet.

Sir George war in seiner Jugend ein gutaussehender Mann gewesen und wirkte auch jetzt noch ungemein attraktiv.

Sie blickte zu ihrer Mutter hinüber und sah ihren besorgten, Verzeihung heischenden Gesichtsausdruck, der ihr verriet, daß ihre Mutter die Entscheidung für Lord Bantham unterstützen würde und von ihr keine Hilfe zu erwarten war.

Ich muß klug vorgehen, sagte sie sich.

»Bantham kann dir alles bieten, was du dir erträumst«, hörte sie ihren Vater sagen. »Du wirst zu den vornehmsten Gastgeberinnen von London zählen, denn er hat sich immer schon gewünscht, die politische Prominenz zu sich bitten zu können. Zudem verfügt er über das berühmteste Gestüt weit und breit.«

Er wußte, daß letzteres seiner Tochter besonders zusagen würde.

Der General besaß selbst zahlreiche Pferde, aber es waren meist nur Tiere, die er und Vita während der Jagdsaison im Winter ritten.

Das bedeutete jedoch nicht, daß er nichts für Pferderennen übrig hatte. Vita hatte ihn oft schon nach Newmarket oder Epsom begleitet, und im vergangenen Jahr hatte sie von der königlichen Loge aus dem Rennen von Ascot beigewohnt.

Lord Bantham hatte den Goldpokal gewonnen, und der General, der eine große Summe auf Sieg gesetzt hatte, war begeistert gewesen.

Sie hatten Lord Bantham zum Sieg seines Pferdes gratuliert, und rückblickend gestand Vita sich ein, daß er ihre Hand länger als schicklich gehalten hatte. Doch das taten die meisten Männer, wenn sie Gelegenheit dazu hatten, und fast alle gerieten ins Stottern, wenn sie ihr in die Augen sahen.

Nicht so Lord Bantham. Vita konnte sich nur erinnern, daß er ihr an jenem Tag langweiliger und mürrischer erschienen war als je zuvor.

Viele Freunde ihres Vaters waren fröhlich und amüsant. Sie bekamen glänzende Augen, wenn sie mit ihr flirteten, sie neckten oder mit Komplimenten überschütteten.

Lord Bantham hingegen hatte sie nur angesehen, doch sie war viel zu sehr mit ihren redegewandteren Verehrern beschäftigt gewesen, um Notiz davon zu nehmen.

 

»Die Bantham-Juwelen sind überwältigend«, sagte Lady Ashford plötzlich. »Ich erinnere mich, sie an Lady Bantham, der Mutter Seiner Lordschaft, anläßlich eines Hofballs gesehen zu haben. Sie war buchstäblich mit Diamanten übersät, und die übertrafen selbst jene der Königin.

»Vita benötigt im Augenblick wenig Schmuck«, erklärte der General, »sie wird jedoch später einmal erkennen, daß Diamanten die Schönheit einer Frau besonders zur Geltung bringen.«

Sie versuchten es mit allen Mitteln, sie in eine Ecke zu drängen, aus der sie nicht entrinnen konnte, stellte Vita bei sich fest, und es kostete sie große Mühe, ihren Vater betörend anzulächeln.

»Das alles kommt so überraschend für mich, Papa«, sagte sie. »Du mußt mir Zeit lassen, darüber nachzudenken. Außerdem gibt es so vieles, was du mir erklären mußt, weil ich darüber nicht Bescheid weiß.«

Sie wußte, daß ihr Vater ihrer rührenden Bitte nicht widerstehen konnte. Seine grimmige Miene wich einem zärtlichen Ausdruck.

Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich.

»Du weißt genau, Liebes, daß mein einziger Wunsch ist, dich glücklich und in angemessener gesellschaftlicher Stellung zu sehen.«

Sein Blick wanderte zu seiner Gemahlin, bevor er fortfuhr: »Wir werden alt, deine Mutter und ich, und möchten dich versorgt wissen.«

Er stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Vor allem bist du eine sehr reiche junge Dame, und ich habe mir schon oft gewünscht, deine Patin wäre nicht so großzügig gewesen!«

»Niemand könnte Lord Bantham unterstellen, ein Mitgiftjäger zu sein«, bemerkte Lady Ashford.

Ihre Art, selbstverständliche Dinge zu erwähnen, reizte ihren Gemahl häufig zu Unmutsäußerungen. Diesmal schwieg er und beugte sich über seine Tochter, um ihr einen Kuß auf die Stirn zu geben.

»Wir werden später darüber sprechen, wie du vorgeschlagen hast, Vita.«

»Danke, Papa!«

Vita stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihrem Vater einen Kuß zu geben, bedachte ihre Mutter mit einem Lächeln und verließ dann leichtfüßig den Raum. Sie lief nach oben in ihr Schlafzimmer, schloß die Tür hinter sich und starrte mit vor Zorn dunklen Augen und zusammengepreßten Lippen ins Leere.

Wie hatte das nur geschehen können? Wie hatte diese Hiobsbotschaft sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen können, so daß sie völlig unvorbereitet war, als sei die Bombe eines Anarchisten vor ihren Füßen explodiert?

»Ich will ihn aber nicht heiraten! Ich will nicht!« sagte sie, ohne zu bemerken, daß sie laut gesprochen hatte und ihre Worte von den Wänden ihres Schlafgemachs widerzuhallen schienen.

Sie ging zum Kaminsims, griff nach dem Klingelzug und läutete so heftig, daß Sekunden später eine Zofe mit besorgter Miene im Zimmer erschien.

»Was ist denn passiert, Miss Vita?«

»Mein Reitkostüm . . . schnell! Und laß ein Pferd für mich satteln, . . . nein, ich gehe selbst in den Stall. Hilf mir nur beim Umkleiden!«

Das Mädchen begann ihr Kleid aufzuhaken.

»Wo ist Martha?« fragte Vita.

»Unten. Sie hat Teepause, Miss. Sie wußte sicherlich nicht, daß Sie sich jetzt schon umkleiden wollen.«

»Natürlich nicht.«

Sie hatte plötzlich Sehnsucht nach Martha, ihrer Gouvernante aus Kindertagen, der sie stets all ihren Kummer anvertraut hatte.

Doch Martha hatte ihre festen Gewohnheiten, und dazu gehörte, daß sie um diese Zeit mit der Haushälterin eine Tasse Tee trank. Erst wenn die Teepause vorüber war, würde sie ihre Pflichten wieder aufnehmen.

Emily, die Vita und somit auch Martha diente, half ihrer jungen Herrin in das Reitkostüm aus dunkelgrünem Samt, das die Schönheit ihrer Haut betonte und einen rötlichen Schimmer auf das goldblonde Haar zauberte.

Ungeduldig, mit einem flüchtigen Blick in den Spiegel, setzte Vita den hohen Reithut mit dem zarten Tüllschleier auf, griff zu Reitpeitsche und Handschuhen und verließ das Haus über die Hintertreppe, um ihrem Vater nicht zu begegnen.

Wenn sie mit ihm zusammengetroffen wäre, hätte er darauf bestanden, sie zu begleiten, und sie ersucht, zu warten, bis er sich umgekleidet hatte.

Er sah es nicht gern, wenn sie allein ausritt, doch Vita nahm darauf keine Rücksicht und lehnte auch das Angebot eines der Reitknechte ab, sie zu begleiten.

»Ich unternehme nur einen kleinen Übungsritt durch den Park.«

»Wenn Sie mich fragen, Miss, dann wird’s höchste Zeit, daß die Jagdsaison beginnt und Sie sich wieder mal austoben können«, bemerkte der alte Stallmeister.

»Da haben sie recht, Headlam«, erwiderte Vita. »Um nicht ganz einzurosten, brauche ich ein bißchen Bewegung, ebenso wie die Pferde.«

»Dafür sorg’ ich schon, Miss«, sagte Headlam grinsend.

Er half ihr in den Sattel und blickte ihr dann wohlgefällig nach, als sie davonritt und das vor Ungeduld tänzelnde Pferd so geschickt in Zaum hielt, daß er vor sich hinmurmelte, was er schon tausendmal festgestellt hatte: »Aye, sie ist ganz der alte Herr!«

Außer Sichtweite der Stallungen auf dem weichen Rasen des Parks ließ Vita dem Pferd freien Lauf.

Nach einem scharfen Galopp, der Farbe auf ihre Wangen zauberte und einige goldblonde Löckchen um ihre Stirn wehen ließ, lenkte sie ihr Pferd auf ein langgestrecktes, niedriges Gebäude zu, das im Schutz einiger Bäume lag.

Bevor sie das Eingangstor erreichte, kam ihr ein Reiter entgegen, dessen Freude über ihr Erscheinen unverkennbar war.

»Ich habe nach dir Ausschau gehalten«, sagte er, »hatte dich aber nicht so früh erwartet.«

»Ich wollte gleich nach dem Lunch kommen«, erwiderte Vita, »aber es kam etwas dazwischen, und ich mußte dich unbedingt sofort sehen.«

Der Klang ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen.

Er war ein gutaussehender junger Mann, schlank und drahtig, und von Kopf bis Fuß ein Gentleman. Doch ihm haftete nichts von der Eleganz und Lässigkeit der Herren an, die sich im Mayfair Salon um Vita zu scharen pflegten oder sie auf Bälle begleiteten, bei denen sie stets der strahlende Mittelpunkt war.

Charles Fenton war der Sohn des Gutsverwalters.

Sein Vater hatte unter Sir George gedient, und als beide die Armee verlassen hatten, war der General mit der Bitte an Major Fenton herangetreten, sich um seine Güter zu kümmern.

Diesen Schritt hatte er noch nie bereut, denn Major Fenton erwies sich als fähiger Gutsverwalter und hatte es zu seiner Lebensaufgabe gemacht, den Ashford-Besitz zu vergrößern.

So hatte es sich von selbst ergeben, daß Vita und Charles zusammentrafen und er sich in sie verliebte.

Sie nahm das als selbstverständlich hin und mochte Charles sehr gern, doch als Verehrer nahm sie ihn nicht ernst, aus dem einfachen Grund, weil er niemals als ernsthafter Bewerber in Frage kam.

Der Standesunterschied und die Tatsache, daß Vita eine reiche Erbin war, machten es Charles unmöglich, um ihre Hand anzuhalten.

Doch er war dankbar, daß er ihr Freund sein durfte.

»Was ist geschehen?« fragte er jetzt.

»Papa will, daß ich Lord Bantham heirate!«

»Lord Bantham?« rief Charles empört aus. »Der ist doch viel zu alt für dich ... Er könnte dein Vater sein!«

»Das weiß ich doch. Sie wollen mir Sicherheit geben, indem sie mich in einen Käfig ... in ein Gefängnis sperren!«

Vita stieß diese Worte voller Bitterkeit hervor.

»Was willst du tun?« fragte Charles. »Hast du deinem Vater begreiflich gemacht, daß du diesen alten, langweiligen Kerl nicht heiraten willst?«

»Ich wollte es«, erwiderte Vita, »aber Papa hat sich bereits entschieden. Du weißt, wie starrköpfig er sein kann.«

Charles Fenton nickte.

Ihre Pferde gingen im Schritt nebeneinander her, während Charles’ Blick das zarte Gesicht des Mädchens streifte.

»Du könntest doch niemals einen Mann heiraten, den du nicht liebst«, sagte er mit bewegter, tiefer Stimme.

»Nein, aber wie soll ich das Papa beibringen?«

»Kannst du ihn nicht anflehen, dich nicht zu einem solchen Schritt zu zwingen?« fragte Charles, der sich nicht vorstellen konnte, daß es ein Mann fertigbrachte, Vita eine Bitte abzuschlagen oder sich zu weigern, ihr einen Gefallen zu tun.

Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Ich bin erst achtzehn. Selbst wenn Papa mich nicht gewaltsam zum Altar zerrt, kann er mir doch das Leben ziemlich schwermachen, wenn ich mich seinem Wunsch nicht füge.«

»Wie denn?« fragte Charles.

»Im vergangenen Jahr mißfiel Papa, daß ein gewisser junger Kavalier mir den Hof machte, und erteilte ihm Hausverbot. Ich weigerte mich, seinem Wunsch zu gehorchen, den jungen Mann nie wiederzusehen.«

»Was geschah?« Charles konnte nicht verhindern, daß es ihm einen Stich versetzte, weil Vita mit einem anderen Verehrer zusammen gewesen war.

»Papa drohte mir.«

Vita lachte, als sie Charles’ empörte Miene bemerkte.

»Nicht mit Gewalt!« erklärte sie. »Papa hat mich noch nie in meinem Leben geschlagen. Auch Mama nicht. Er hatte sich eine viel wirksamere Strafe ausgedacht.«

»Welche denn?«

»Er drohte mir, ich dürfe so lange nicht mehr ausreiten, bis ich mich seinem Wunsch gefügt hätte.«

Vita seufzte.

»Kannst du dir vorstellen, was es für mich bedeutet hätte, meine geliebten Pferde nicht mehr sehen zu dürfen, weil die Stallburschen angewiesen waren, mich nicht einmal mehr in die Nähe der Stallungen zu lassen?«

»Grausam und gemein wäre das gewesen!« ereiferte sich Charles.

»Papa hatte aber noch andere Möglichkeiten, um meinen Gehorsam zu erzwingen«, fuhr Vita fort. »Er verwaltet mein Vermögen, und er hätte mir verbieten können, nach London zu fahren und mir neue Garderobe zu kaufen. Einmal hat er mir sogar gedroht, er werde mich zu meiner Großtante Edith nach Somerset schicken!«

»Du darfst uns nicht verlassen!«

»Wenn ich bleibe, müßte ich mich Papas Willen fügen«, sagte Vita leise wie zu sich selbst.

Sie atmete tief durch und fuhr dann fort: »Weißt du, worum es geht, Charles? Sie befürchten, ich könnte so werden wie meine Cousine Jane, weil ich ihr ähnlich bin. Genau das könnte eintreffen, wenn sie Zwang auf mich ausüben.«

»Deine Cousine Jane?« wiederholte Charles. »Kenne ich sie?«

»Wir haben oft über sie gesprochen«, erwiderte Vita ungeduldig. »Jane Digby war viermal verheiratet und hatte so viele Liebhaber, daß man sie nicht mehr zählen konnte. Sie ist jetzt mit einem arabischen Scheich verheiratet.«

»Ach, du meinst Lady Ellenborough!« rief Charles Fenton.

»Lord Ellenborough war ihr erster Gemahl«, sagte Vita, »und ich könnte mir vorstellen, daß er genauso war wie Lord Bantham! Bedeutend, reich und vornehm. Die Digbys zwangen ihre Tochter bereits mit siebzehn zu dieser Heirat, weil sie einfach zu schön war und sie Angst um sie hatten. Ebenso ergeht es Mama und Papa mit mir.«

Sie schwieg einen Augenblick und fügte dann hinzu: »Ich glaube, die Sache mit William Steele war der Auslöser, mich schnellstens unter die Haube zu bringen.«

»Wer ist William Steele?« fragte Charles eisig.

»Ach, nur einer dieser gutaussehenden jungen Lebemänner«, erwiderte Vita wegwerfend. »Er hält nach einer reichen Erbin Ausschau. Da er aber ausgesprochen hübsch und elegant ist, reden sich alle Mädchen ein, in ihn verliebt zu sein. Mir machte es Spaß, ihn den anderen wegzunehmen, weiter nichts.«

Sie hielt inne.

»Irgendjemand muß Papa etwas über William und mich ins Ohr geflüstert haben«, fuhr sie dann fort, »jedenfalls hat er ein schreckliches Theater gemacht.«

»Und deshalb hat er entschieden, daß du Lord Bantham heiratest?« fragte Charles. »O Vita, wenn du doch nicht so schön und bezaubernd wärest!«

Vita schenkte ihm ein Lächeln, das unwiderstehlich war.

»Vielen Dank für das Kompliment, Charles«, sagte sie, »tatsächlich ist das im Augenblick eher eine Last für mich. Wie kann ich einer Ehe mit Lord Bantham nur entgehen?«

»Du mußt dir etwas einfallen lassen«, erwiderte Charles düster.

»Das weiß ich doch.« Vitas Stimme klang wütend, als sie fortfuhr: »Wie können sie nur so kurzsichtig sein, dem gleichen Verhaltensmuster zu folgen, das Jane so viel Kummer und Leid zugefügt hat? Sie lief mit Prinz Felix Schwarzenberg weg, weil sie ihn liebte, aber Lord Ellenborough hat sie nie geliebt. Deshalb war sie in ihrer ersten Ehe auch so unglücklich.«

 

»Ich glaube, jede Frau wäre unglücklich an der Seite eines Mannes, den sie nicht liebt«, bemerkte Charles.

»Sag das mal Papa!« rief Vita erregt. »Du hast natürlich recht, Charles. Ich denke genauso und bin fest entschlossen, niemals einen Mann zu heiraten, der mir gleichgültig ist, den ich nicht einfach unwiderstehlich finde, so daß ich ohne ihn nicht mehr leben kann.«

»Könntest du nicht Lord Bantham bitten, auf dich zu verzichten?« schlug Charles vor.

»Glaubst du im Ernst, das hätte einen Sinn?« fragte Vita verächtlich. »Er bildet sich doch ein, mir eine Gunst zu erweisen. Schließlich sind seit Jahren alle möglichen Damen der Gesellschaft hinter ihm her, weil sie ganz versessen darauf sind, die berühmten Bantham-Diamanten zu tragen und seinen langweiligen Reden im House of Lords zu lauschen.«

»Er hat viele schöne Pferde«, warf Charles ein.

»Das ist das einzige, was für ihn spricht!« erklärte Vita heftig. »Leider müßte ich ihn heiraten - nicht seine Pferde.«

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Glaubst du, Cousine Jane wäre von zu Hause fortgelaufen, wenn sie geahnt hätte, wie ihr Leben aussehen würde an der Seite eines ungeliebten Mannes? O mein Gott, ich wünschte, ich könnte sie fragen.«

»Lebt sie nicht in Syrien?« fragte Charles.

»Sie lebt mit ihrem arabischen Scheich in der Wüste, und sie besitzen ein Haus in Damaskus«, sagte Vita. »Das weiß ich von Bevil Ashford, einem Verwandten, der vor einem Monat hier war.«

»Ist er nicht im diplomatischen Dienst?«

»Ja. Bevil gilt als ,vielversprechend‘. Er hat sich in Rußland und Norwegen einen Namen gemacht und war zuletzt in Syrien. Dort hat er auch Cousine Jane getroffen.«

»Was erzählte er über sie?«

»Er sagte, sie sei sehr schön trotz ihrer zweiundsechzig Jahre.«

»Bei dem Leben, das sie geführt hat, ist das erstaunlich.«

»Vielleicht hält die Liebe sie jung.«

»In dem Alter kann sie doch nicht mehr verliebt sein!« rief Charles ungläubig.

»Das zeigt, wie wenig du darüber weißt!« entgegnete Vita unwillig. »Bevil sagt, sie sei sehr verliebt in ihren Scheich, wie sie wahrscheinlich auch ihre beiden anderen Gatten, ihre königlichen Liebhaber und zahllose andere Männer geliebt hat.«

»So willst du doch nicht etwa werden?« fragte Charles schockiert.

»Cousine Jane wurde mir stets als schlechtes Vorbild hingestellt«, erinnerte sich Vita. »Die Familie spricht nur hinter vorgehaltener Hand über sie. Alle Neuigkeiten über Jane werden von meinen Tanten, Großtanten, Vettern und Cousinen genüßlich durchgehechelt, jeder Skandal, in den sie verwickelt war, wird begierig breitgetreten.«

Vita fügte lachend hinzu: »Was die ganze Bande vor Wut beinahe platzen läßt, ist die Tatsache, daß sie immer noch schön und glücklich ist.«

Sie maß Charles mit forschendem Blick.

»Du mißbilligst es auch. Ist das nicht bemerkenswert? Keiner kann es ertragen, wenn eine Frau, die gesündigt hat, nicht in Sack und Asche umherläuft und sich die Augen ausweint, damit man sich in Großmut üben und ihr vergeben kann. Doch Cousine Jane empfindet keine Reue und will keine Vergebung!«

»Woher willst du das wissen?«

»Sie hat mächtiges Aufsehen erregt, als sie vor dreizehn Jahren nach England zurückkehrte und die Familie sich aus purer Neugier, nicht aus Zuneigung, um sie scharte.«

»Warum kehrte sie zurück?«

»Ich vermute, sie hatte Heimweh, stellte hier jedoch fest, daß ihr Zuhause da ist, woran ihr Herz hängt«, erwiderte Vita. »Und das ist Syrien für sie.«

»Das mutet mich alles ein wenig sonderbar an.«

»Ich war damals zu jung, um an dem Familientreffen teilnehmen zu dürfen«, fuhr Vita versonnen fort. »Sie war fünfzig, doch alle, die sie gesehen haben, mußten zugeben, daß sie noch immer schön war, und nach ihrer Abreise sprachen sie über nichts anderes mehr.«

Sie lächelte.

»Früher hieß es immer: ,Erwähnt sie nicht vor dem Kind.‘ Doch als ich älter wurde, sammelte ich alles, was ich über Cousine Jane in Erfahrung bringen konnte, und setzte es wie Teile eines Geduldsspiels zu einem vollständigen Bild zusammen. Mit Bevils Hilfe erfuhr ich dann das Neueste über sie.«

»Ich verstehe nicht, weshalb dich das so interessiert«, sagte Charles steif. »Deine Familie hat recht, Vita. Keine anständige Frau würde einen Araber heiraten und mit ihm in der Wüste leben.«

»Ich finde das alles schrecklich aufregend.«

»Wenn du dort wärst und es mit eigenen Augen sehen könntest, würdest du dieses Leben zweifellos primitiv, schäbig und zuweilen sogar gefährlich finden.«

»Es ist gefährlich!« bestätigte Vita. »Das weiß ich von Bevil. Aber es muß aufregend sein, über einen Beduinenstamm zu herrschen und nichts mehr mit den Intrigen und gesellschaftlichen Ränkespielen zu tun zu haben, die das Leben in England beherrschen.«

Sie hielt kurz inne.

»Und nicht irgendjemanden heiraten zu müssen, den man verabscheut - jemanden wie Lord Bantham!«

»Du mußt ihn nicht heiraten«, sagte Charles. »Niemand, nicht einmal dein gesetzlicher Vormund, kann dich zwingen, Ja zu sagen, wenn du vor dem Altar stehst.«

Vitas Augen blitzten.

»Wäre das nicht amüsant, auf die Frage des Pfarrers: ,Willst du diesen Mann zu deinem rechtmäßigen Gatten nehmen?‘, nein zu sagen?«

»Einen solchen Skandal würdest du doch nicht hervorrufen wollen!« rief Charles entsetzt.

»Warum denn nicht?« fragte Vita. »Ich kann tun, was ich will.«

»Aber das würdest du doch nicht wollen«, sagte er in schmeichelndem Ton. »Du bist so schön, Vita, so vollkommen, daß niemals jemand etwas Häßliches über dich sagen könnte.«

Er hielt inne und fuhr dann mit leiser Stimme fort: »Du weißt, daß mir nichts so sehr am Herzen liegt wie dein Glück. Ich würde mein Leben dafür geben, wenn ich dir helfen könnte, aber leider bin ich machtlos.«

Vita lächelte ihn wieder strahlend an.

»Du bist sehr lieb, Charles, und du weißt, wie gern ich dich habe und wie sehr ich dir vertraue. Du mußt mir helfen . . . ich . . . ich kann das einfach nicht tun.«

»Wie kann ich dir denn helfen?« fragte Charles verzweifelt.

Vita blieb ihm die Antwort schuldig, und er fuhr nach einer Weile fort: »Ich kann nicht glauben, daß du einverstanden wärst, mit mir fortzugehen. Wenn du dich jedoch für diesen Schritt entscheiden würdest, brauche ich dir nicht zu sagen, was das für mich bedeuten würde.«

»Lieber, lieber Charles!« sagte Vita. »Ich glaube nicht, daß

das eine Lösung wäre. Sie würden uns irgendwann auf stöbern, und die Folge wäre, daß Papa deinen Vater fristlos entlassen würde und wir uns nie mehr sehen könnten.«

»Aber wie könnte ich dir denn sonst helfen?« fragte Charles verzweifelt.

»Es tut mir gut, mit dir darüber zu reden und zu wissen, daß du auf meiner Seite bist. Alle anderen werden sagen: ,Dein Vater weiß am besten, was gut für dich ist.‘ ,Du mußt tun, was dein Vater will.‘ ‚Wie soll ein Mädchen von achtzehn wissen, was es will?‘«

»Aber du weißt es doch«, sagte Charles.

»Natürlich weiß ich es«, erwiderte Vita, »und ich bin fest entschlossen, Lord Bantham auf keinen Fall zu heiraten, und wenn er der letzte Mann auf der Welt wäre!«

Sie unterbrach sich und sagte dann: »Hast du dir mal seine Hände angesehen, Charles? Er hat kurze, breite Finger. Ich ... ich könnte es nicht ertragen, von ihnen berührt zu werden.«

»Vita, sag bitte nicht so was!« flehte Charles sie schmerzlich bewegt an und gab seinem Pferd unwillkürlich die Sporen, daß es einen Satz nach vorn machte.

Es dauerte einige Sekunden, bis Vita ihn eingeholt hatte.

»Habe ich dich unglücklich gemacht, Charles?« fragte sie bekümmert.

»Du machst mich immer unglücklich«, erwiderte er. »Es ist, als blicke man zu einem wunderschönen Stern am Himmel auf, der unerreichbar ist, aber ohne den das Leben leer und sinnlos wäre.«

»O Charles, wie romantisch!« rief Vita.

Sie sah ihn mit ihren schönen großen Augen an und sagte dann: »Wenn ich dich lieben würde, dann würde ich mit dir fortlaufen. Wir würden uns irgendwo verstecken, wo uns keiner findet, und einfach nur glücklich sein, weil wir zusammen sein könnten.«