Geliebte Dominica

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Geliebte Dominica
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Geliebte Dominica

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2017

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1. ~ (1888)

Lord Hawkston atmete in tiefen Zügen die laue, weiche Luft ein. Erst jetzt kam ihm wirklich zum Bewußtsein, wie sehr er im kalten England die Wärme vermißt hatte, die seinen ganzen Körper zu durchdringen schien und die verkrampften Muskeln lockerte. Langsam ging er über den Rasen und ließ sich vom süßen Duft von Magnolien, Jasmin und Oleander umfächeln.

Während der sechsundzwanzig Tage dauernden Überfahrt hatte er sich wie ein Kind auf sein Wiedersehen mit Ceylon gefreut, wo er sechzehn Jahre seines Lebens verbracht hatte.

Weit davon entfernt, ein Romantiker zu sein, war er im Gegenteil als äußerst unnahbar, hart gegen sich und andere, ja sogar als rücksichtslos bekannt, wenn es seinen Zwecken diente. Der Erfolg war ihm nicht in den Schoß gefallen, er hatte sich ihn Schritt für Schritt erkämpfen müssen, und das war ihm nur gelungen, weil er das sich selbst gesteckte Ziel nie aus den Augen verlor.

Als er jetzt durch den herrlichen Garten der Residenz des Generalgouverneurs, Queens House genannt, schlenderte, weilte er in Gedanken bereits auf seiner Teeplantage im Norden der Insel. In wenigen Tagen würde er seine alten Freunde, seine Kulis und das schöne Haus wiedersehen, das nach seinen Entwürfen nicht weit von der Hütte entstanden war, die ihm nach dem Kauf der Plantage zunächst als Heim gedient hatte.

Als er an diesem Abend den unwiderstehlichen Drang verspürte, mit seinen Erinnerungen und Gefühlen allein zu sein, wartete er, bis sich der Gouverneur und seine Gäste zur Ruhe begeben hatten. Dann trat er hinaus in die Mondnacht.

In diesem Augenblick überquerte jemand den Rasen, und Lord Hawkston blieb im Schatten eines großen Bambusgewächses stehen, weil er nicht die geringste Lust zu einer Unterhaltung verspürte. Im Mondlicht, das voll auf das Gesicht des Näherkommenden fiel, erkannte er einen jungen Soldaten, der mit ihm auf demselben Schiff gereist war. Er gehörte zu einer Gruppe von Offizieren, die nach einem Europaurlaub zu ihren militärischen Pflichten nach Ceylon zurückkehrte. Lord Hawkston hatte sich zwar bei den Mahlzeiten mit ihnen unterhalten, da sie mit ihm zusammen am Kapitänstisch saßen, sich aber sonst weitgehend zurückgezogen, da er sich zu alt fühlte, um sich an ihrem lebhaften Geplauder und ihren ständigen Frotzeleien zu beteiligen. Dabei war ihm Captain O’Neill ernster und verantwortungsbewußter vorgekommen als seine Kameraden.

Vorsichtig näherte sich der junge Mann dem Haus, das wie die meisten Kolonialhäuser eine eindrucksvolle Vorderfront bot, während sich nach hinten hinaus zwei übereinander liegende Reihen von Veranden erstreckten. In den Zimmern dahinter schliefen die Bewohner bei offenen Türen. Unter einer Veranda blieb der Captain stehen und stieß einen leisen Pfiff aus. Gleich darauf kam eine weiß gekleidete Frau mit offenem Haar aus dem Schlafzimmer und beugte sich über das Geländer. Ob sie etwas sagte, war nicht zu verstehen, jedenfalls begann der junge Mann nach oben zu klettern. Das war nicht schwer, denn die stützenden Säulen aus gedrehtem Eisen boten selbst dem ungeübtesten Kletterer einen sicheren Halt. Sekunden später schwang sich der junge Mann über das Geländer.

Einen Augenblick lang verharrte das Paar in einer leidenschaftlichen Umarmung, dann verschwand es im Dunkel des Schlafzimmers.

Lord Hawkston zog hörbar den Atem ein. Obwohl er wußte, wen Captain O’Neill um diese nachtschlafende Zeit besuchte, spürte er weniger Ärger als blankes Erstaunen über dessen Kühnheit. Die Frau, die der junge Mann so heiß geküßt hatte, war niemand anders als Emily Ludgrove, die Lord Hawkston nach Ceylon begleitet hatte, weil sie seinen Neffen, Gerald Warren, heiraten sollte.

Als Lord Hawkston vor achtzehn Jahren - damals hieß er noch Chilton Hawk - beschloß, nach Ceylon zu gehen, war er einundzwanzig Jahre alt. Für ihn bestand nicht die leiseste Aussicht, den Familientitel oder das Vermögen zu erben, und die geringen Mittel seines Vaters gestatteten ihm kein bequemes Leben in England. Mit seiner Volljährigkeit kam er in den Besitz von tausend Pfund, und ein Bericht über ertragreiche Kaffeeplantagen in Ceylon inspirierte ihn zu dem Gedanken, dort sein Glück zu suchen.

Ceylon schien in jenen Tagen am anderen Ende der Welt zu liegen. Zehn Jahre früher hatte es einen Kaffeeboom erlebt, als englische Siedler nicht nur die Energie, sondern auch das Kapital mitbrachten, um es in Plantagen zu investieren.

Chilton Hawk hatte sich in Oxford mit einem Schotten angefreundet, der drei Jahre zuvor nach Ceylon gegangen war und enthusiastische Briefe schrieb über die Möglichkeiten, die dort für einen ehrgeizigen jungen Mann existieren.

Sein Vater war überrascht über seinen Entschluß, Kaffeepflanzer werden zu wollen.

„Leg dich nicht fest, mein Junge“, sagte er. „Sieh dich erst einmal um, vielleicht hast du in Indien und Singapore bessere Aussichten.“

Doch Chilton Hawk hatte kaum einen Fuß auf ceylonesischen Boden gesetzt, da wußte er auch schon, daß er nur hier leben und arbeiten wollte. Und arbeiten mußte er - wie schwer, merkte er erst, als er zweihundertfünfzig Hektar Land gekauft hatte und daran ging, es vom Urwald zu befreien. Zu diesem Zweck mußte er achtzig Mann anheuern, wobei im Hintergrund ständig die Angst lauerte, daß ihm das Geld ausgehen könnte, bevor er fertig war.

Gleich nach seiner Ankunft hatte er Glück. Sein Oxford-Freund machte ihn mit einem erfahrenen, fünfunddreißigjährigen schottischen Pflanzer namens James Taylor bekannt, der ob seiner Tüchtigkeit von jedermann respektiert wurde.

James Taylor faßte eine spontane Zuneigung zu dem jungen Mann, der gerade aus England gekommen war und riet ihm, Land in der Nähe seiner eigenen Loolecondera-Plantage, die inmitten der Bergregion lag, zu kaufen. Wie Taylor zog die Schönheit der Hügellandschaft auch Chilton Hawk in ihren Bann, und es dauerte nicht lange, da paßte er sich der fremden Umgebung an.

James Taylor stand ihm mit Rat und Tat zur Seite, sei es bei der Beschaffung von tüchtigen Tamilen-Kulis oder beim Bau der ersten Hütte. Wenn es nottat, ermutigte er ihn und half ihm während der ersten Monate beim Roden und Pflanzen, wobei Chilton Hawk härter arbeitete als jeder seiner Männer.

Später dachte er manchmal, daß das die glücklichste Zeit in seinem Leben gewesen war. Er baute etwas auf, war sein eigener Herr, und wenn er alles verlor, was er besaß, konnte er dafür nur sich selbst die Schuld geben. Und ohne James Taylors Freundschaft wäre genau das geschehen.

Zehn Jahre Kaffeeboom hatten Chilton Hawk in dem Glauben bestärkt, daß der Reichtum zum Greifen nahelag. Doch mit einem Schlag waren die großen Tage des Kaffees vorbei. Eine sich schnell ausbreitende Blattkrankheit, auch Kaffeerost genannt, vernichtete die ganze Ernte. Lord Hawkston konnte nie das Entsetzen vergessen, das ihn beim Anblick seiner vom Pilz befallenen Kaffeepflanzen überkommen hatte. Diese Katastrophe hatte den Hoffnungen der meisten Europäer und Ceylonesen ein Ende gesetzt.

Für Chilton Hawk bedeutete seine Freundschaft mit Taylor seine Rettung vor dem Ruin. Dieser hatte im Jahre 1866 von einem Aufseher des Königlichen Botanischen Gartens in Peradeniya einige Teesetzlinge bekommen und sie versuchsweise in Loolecondera angepflanzt. Als sich das erfolgversprechend anließ, überredete er Chilton, ebenfalls auf einem Teil seines Landes Tee anzubauen. Dadurch stand dieser wenigstens nicht unmittelbar vor dem Nichts, er krempelte die Ärmel hoch und bepflanzte auch den Rest seiner Plantage mit Tee.

In der Zwischenzeit beschäftigte sich Taylor bereits mit einem neuen Projekt, einer Anlage, wo aus den Teeblättern das Fertigprodukt hergestellt wurde, was es in Ceylon noch nie gegeben hatte. Überall erwachten neue Hoffnungen, als bekannt wurde, daß Taylors Plantage wie auch die angrenzende durch den Anbau von Tee wieder Ertrag brachten. Chilton Hawk, der rund um die Uhr arbeitete, gewann das Vermögen zurück, das er schon verloren geglaubt hatte.

Selbst in seinen kühnsten Träumen war er nicht auf den Gedanken gekommen, daß ihm Titel und Familienbesitz in England zufallen könnten. Beim Verlassen der Heimat standen zwischen ihm und dieser Möglichkeit fünf Menschenleben, die durch Tod auf dem Schlachtfeld, Unfälle oder altersbedingt dahingerafft worden waren. Im Jahre 1886 erreichte ihn die schier unglaubliche Nachricht, daß er nach dem Tode seines Onkels der neue Lord Hawkston geworden war.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren, wenn es ihm auch wie die Amputation eines Armes oder Beines vorkam, seine Plantage zurücklassen zu müssen, die sich inzwischen auf sechshundert Hektar vergrößert hatte. Gleichzeitig war auch seine Selbständigkeit gewachsen, was sich gar nicht umgehen ließ. Manchmal vergingen drei oder vier Wochen, ohne daß er jemand anders als seine Kulis zu Gesicht bekam. Dann saß er allein in seinem großen Haus, das er auf einem Hügel erbaut hatte, um während der heißen Jahreszeit jeden Lufthauch einzufangen. Da es andererseits im Winter recht kühl werden konnte, besaß er nach englischer Mode einen großen offenen Kamin, in dem bei Bedarf ein Holzfeuer brannte.

Chilton Hawk gewöhnte sich an die Einsamkeit. Er las viel und gern, doch noch öfter ging er nach einer gut zubereiteten und servierten Mahlzeit früh zu Bett, um bei Sonnenaufgang aufzustehen und sich wieder in die Arbeit zu stürzen.

Als er nach London zurückkehrte, hatte er völlig vergessen, daß dort ein Gentleman ein elegantes, müßiges Leben führte, ohne Arbeit, ohne Eile und ohne Ehrgeiz außer dem einen, die leeren Stunden mit Vergnügungen zu füllen.

 

Auf dem Familiensitz erwartete ihn viel Arbeit. Sein Onkel, der die letzten Jahre seines Lebens krank gewesen war, hatte vieles vernachlässigt. Neue Methoden mußten eingeführt, Maschinen gekauft und Gebäude repariert werden. Und als Familienoberhaupt mußte er sich um eine anspruchsvolle und ermüdende Familie kümmern.

Seine erste Aufgabe bestand darin, jemand zu finden, der seinen Platz auf der Plantage in Ceylon einnehmen konnte. In seinem Neffen Gerald Warren, dem einzigen Sohn seiner ältesten Schwester, glaubte er den idealen Stellvertreter gefunden zu haben. Und weil er sich um seine Besitzung Sorgen machte, die er in der Obhut eines ceylonesischen Vormannes zurückgelassen hatte, schickte er den jungen Mann so überstürzt dorthin, wie es ihm andernfalls nie in den Sinn gekommen wäre. Mit vierundzwanzig Jahren sollte Gerald seiner Meinung nach imstande sein, die Plantage zu leiten, die Profit abwarf und keine schwere körperliche Arbeit mehr erforderte, wie er sie vor sechzehn Jahren hatte leisten müssen. Gerald hatte bereitwillig alle Vorschläge seines Onkels akzeptiert, wobei Lord Hawkston erst nachträglich erfuhr, daß er zu Hause nicht besonders glücklich war, weil er sich mit den meisten Verwandten überworfen hatte.

Vor der Abfahrt verlobte er sich noch mit Miss Emily Ludgrove, der Tochter eines Landedelmannes aus der Nachbarschaft. Deren Familie hatte sich bisher gegen diese Verbindung gesträubt, weil sie Gerald für einen jungen Mann ohne Zukunftsaussichten hielt, bei dem nichts darauf hindeutete, daß er je mehr Geld haben würde als den kleinen Zuschuß, den ihm seine verwitwete Mutter geben konnte. Das Interesse seines Onkels an ihm änderte die Sachlage, und obwohl die Verlobung nicht offiziell verkündet wurde, herrschte Übereinstimmung, daß das junge Paar innerhalb von Jahresfrist heiraten sollte.

„Ich werde dir deine Braut selbst nach Ceylon bringen“, versprach sein Onkel.

„Müssen wir wirklich ein ganzes Jahr warten?“ fragte Gerald.

„Ich fürchte ja“, erwiderte sein Onkel, „schon, weil ich nicht glaube, daß ich meine Geschäfte hier vor Ablauf von zwölf Monaten abwickeln kann.“

Es dauerte sogar achtzehn Monate, bevor sie England verließen, und Emily schien sich darüber nicht besonders zu grämen. Ihre Familie sah keinen Grund für eine eilige Heirat, und als Lord Hawkston bereit zur Abreise war, verzögerte sich diese noch einmal um zwei Monate, da ein paar Kleinigkeiten bei Emilys Brautausstattung fehlten. Doch endlich schifften sie sich in Southampton ein, und Lord Hawkston telegrafierte seinem Neffen, daß er sie in Colombo abholen solle.

Geralds Briefe waren während der letzten Monate spärlich geworden. Zuerst traf alle vierzehn Tage ein Bericht über die Geschehnisse auf der Plantage ein, dann nur noch alle vier Wochen und schließlich in unregelmäßigen Abständen ein paar flüchtig hingekritzelte Zeilen.

Von Geralds zukünftiger Frau sah Lord Hawkston wenig. Mit ihrem Vater, den er für einen außerordentlich langweiligen Mann hielt, hatte er wenig gemein und war außerdem zu beschäftigt, um sich gesellschaftlichen Verpflichtungen zu widmen. Er war so lange allein gewesen, daß er höfliche Konversation und Klatsch ermüdend und lästig fand.

Seine eigenen Verwandten fanden ihn schwierig und behandelten ihn mit einer gewissen Scheu, was ihn nicht etwa störte, sondern ihm sogar recht gut in den Kram paßte.

Auch auf dem Schiff hielt er sich weitgehend für sich, wobei er trotzdem bemerkte, daß Emily von den jungen Offizieren ein gerütteltes Maß an Aufmerksamkeit zuteilwurde. Die Bälle, Scharaden, Kostümfeste und Konzerte an Bord bereiteten ihr allem Anschein nach das größte Vergnügen. Nicht aufgefallen war ihm, daß sich Captain Patrick O’Neil mehr um sie bemühte als die anderen.

Jetzt bedauerte er, nicht achtsamer gewesen zu sein und übersehen zu haben, daß das Mädchen auf der Reise ihr Herz, vor allem aber den Kopf verloren hatte. Er fragte sich, was zum Teufel er tun sollte. Eines stand fest, unter diesen Umständen würde er einer Heirat Emilys mit seinem Neffen nicht zustimmen.

Vielleicht war es gut, daß Gerald verhindert gewesen war, sie in Colombo abzuholen. In Queens House hatte sie eine Nachricht erwartet, daß er erkrankt war, jedoch bei ihrem Eintreffen auf der Plantage wieder wohlauf zu sein hoffte.

Lord Hawkstons erste Reaktion war Ärger. Seinem Plan zufolge hätten Emily und Gerald sofort nach der Ankunft in Colombo heiraten sollen. Während sie sich auf der Hochzeitsreise befanden, wollte er allein zur Plantage fahren.

In diesem Augenblick kam ihm schlagartig zum Bewußtsein, daß es keine Hochzeit geben würde und daß er Gerald die Neuigkeit überbringen durfte, daß er sich anderweitig nach einer Frau umsehen mußte.

Ich werde das verdammte Mädchen mit dem nächsten Schiff nach Hause schicken, beschloß er. Die Schönheit der Nacht hatte ihren Zauber verloren. Er ging zum Haus zurück, wobei er sich bemühte, nicht an die beiden jungen Menschen im Schlafzimmer des oberen Stockwerkes zu denken.

Am nächsten Morgen nahm Lord Hawkston in aller Frühe das Frühstück ein. Als er gerade vom Tisch aufstehen wollte, wurde ihm ein Besucher gemeldet. Einigermaßen erstaunt folgte der dem Diener den langen Korridor entlang und fand in einem Wohnzimmer zu seinem Entzücken seinen alten Freund James Taylor.

Taylor war jetzt fünfzig Jahre alt und trug einen langen Bart. Er wog über zweihundertfünfzig Pfund, und einer seiner Finger war so dick wie drei eines gewöhnlichen Mannes. Wenn er lächelte, verlieh das seinem Gesicht mit den tiefliegenden Augen und der langen Nase einen seltsamen Charme.

„Ich habe gehört, daß Sie wieder da sind, Chilton“, sagte er zur Begrüßung.

„James, welche Freude! Wie geht es Ihnen? Es ist ja eine Ewigkeit her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“

„Ich habe Sie vermißt“, brummte James Taylor. „Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun, daß Sie inzwischen zu hochgestiegen wären, um wieder zu uns zurückzufinden.“

„Wenn Sie wüßten, wie sehr ich mich nach Ceylon gesehnt habe“, erwiderte Lord Hawkston. „Zu Hause habe ich kaum weniger hart gearbeitet als hier, nur auf andere Weise. Es war nicht leicht.“

Taylor lächelte.

„Nichts was Sie oder ich getan haben, war jemals leicht, Chilton, trotzdem nehme ich an, daß Sie es geschafft haben.“

„Ich hoffe es jedenfalls“, meinte der Lord. Als ihm in diesem Augenblick Emily einfiel, verfinsterte sich seine Miene. „Erzählen Sie mir von meinem Neffen.“

„Das ist einer der Gründe, warum ich gekommen bin“, sagte Taylor.

Etwas in seinem Ton ließ Lord Hawkston aufhorchen. Er warf seinem Freund einen scharfen Blick zu.

„Hat der Junge sich eingelebt und gute Arbeit geleistet?“ fragte er. „Ich möchte die Wahrheit wissen.“

„Die ganze Wahrheit?“

„Mit weniger würde ich mich nicht zufriedengeben.“

„Sie sollen sie haben“, erwiderte Taylor. „Wir sind alte Freunde und waren immer offen miteinander. Es bleibt mir daher nichts anderes übrig, als Ihnen reinen Wein einzuschenken. Sie müssen in Bezug auf den jungen Mann etwas unternehmen, da er sich anscheinend nicht an die Einsamkeit gewöhnen kann. Wir beide wissen, wie schwer die langen Abende zu ertragen sind, wenn man mit niemandem reden kann und meilenweit reiten muß, um ein freundliches Gesicht zu sehen.“

Obwohl Taylor ruhig und sachlich gesprochen hatte, fragte Lord Hawkston in scharfem Ton: „Was tut er? Trinken?“

James Taylor nickte.

„Und was noch?“ Als nicht gleich eine Antwort erfolgte, fuhr er beschwörend fort: „Ich will die Wahrheit wissen, James. Eine Verpackung in himmelblauem Seidenpapier taugt mir wenig.“

„Na schön. Er hat sich mit einem Eingeborenenmädchen eingelassen und sich nicht an die Regeln gehalten.“

Lord Hawkston versteifte sich sichtbar.

„Auf welche Weise?“

„Wir beide wissen, daß es für einen jungen Mann hier draußen durchaus üblich ist, sich eine Mätresse aus einem nahegelegenen Dorf oder einer Nachbarplantage zu nehmen.“

Der Engländer nickte. Es war für einen Pflanzer lediglich nicht ratsam, sich mit einer seiner eigenen Arbeiterinnen einzulassen.

„Einen Monat nach seiner Ankunft nahm sich Ihr Neffe ein ceylonesisches Mädchen zur Geliebten. Jetzt hat er sie hinausgeworfen und weigert sich, zu zahlen.“

Lord Hawkston stand auf.

„Es fällt mir schwer, das zu glauben.“

„Trotzdem ist es wahr und hat, wie Sie sich wohl denken können, einiges Aufsehen erregt.“

Lord Hawkston schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Ich möchte die Einzelheiten hören.“

Eine Liebschaft zwischen einem weißen Pflanzer und einem Eingeborenenmädchen unterlag gewissen Regeln, die von beiden Seiten akzeptiert wurden. Gewöhnlich wurden die Bedingungen vom Vater des Mädchens ausgehandelt. Sie lebte in einem nahegelegenen Dorf, vielleicht sogar auf seinem Grund und Boden, aber nicht offen mit ihm zusammen. Und da diese Mädchen sehr schön, sanft und liebenswürdig waren, erlebte so mancher junge Mann eine glückliche Zeit mit ihnen. Die Ceylonesen hielten es für eine Ehre, wenn eine ihrer Landsmänninnen die Geliebte eines weißen Pflanzers wurde, und wenn er ihrer müde war, haftete kein Makel an ihr. Die Abfindung, die sie dann erhielt, erleichterte es ihr, unter ihren eigenen Leuten einen Mann zu finden. Die Trennung verlief im allgemeinen ohne Komplikationen, solange das Mädchen gerecht behandelt wurde.

Daß Gerald so blöde gewesen sein sollte, gegen dieses ungeschriebene Gesetz zu verstoßen, lag außerhalb Lord Hawkstons Vorstellungskraft.

James Taylor erklärte, was geschehen war. Gerald hatte gleich nach seiner Ankunft angefangen zu trinken. Da ihn der Betrieb auf der Plantage langweilte, hatte er alles dem Vormann überlassen. Stattdessen fuhr er nach Kandy, der nächstgelegenen Stadt, wo man ein gewisses Maß an Vergnügungen fand. Später schloß er sich den übel beleumundeten Pflanzern an, die ihr Leben in Colombo genossen und Plantage Plantage sein ließen.

Diese kostspieligen Besuche fanden ein Ende, als sein Geld zur Neige ging, worauf ihm nichts anderes übrigblieb, als zu Hause zu sitzen und zu trinken. Seine einzige Gesellschaft war Seethan, eine junge Ceylonesin, die ihm von Anfang an gefallen hatte.

„Wie ging es weiter?“ wollte Lord Hawkston wissen.

„Vor etwa einem Monat, nachdem Gerald wieder einmal zu tief ins Glas geschaut hatte, soll es eine heftige Szene gegeben haben. Er beschuldigte das Mädchen, ihm einen Siegelring entwendet zu haben, der sich später, soviel ich weiß, unter einem Möbelstück wiederfand.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er verächtlich fort: „Gerald behauptete steif und fest, daß nur Seethan den Ring gestohlen haben könne, und das Mädchen geriet verständlicherweise vor Wut außer sich, weil sie sich keiner Schuld bewußt war.“

Lord Hawkston konnte sich gut vorstellen, wie gekränkt das Mädchen gewesen sein mußte. Die auf den Plantagen arbeitenden Ceylonesen waren als überaus ehrlich bekannt, ihm selbst war in all den Jahren, die er hier lebte, nie auch nur der geringste Gegenstand abhanden gekommen.

„Gerald warf Seethan aus dem Haus und weigerte sich, ihr das ihr zustehende Geld zu geben“, sagte Taylor. „Sie sei eine Diebin und hätte daher nichts zu beanspruchen.“

Lord Hawkston sprang auf.

„Dieser Narr!“ rief er. „Dieser verdammte Narr!“

„Da kann ich Ihnen nur beipflichten“, sagte James Taylor. „Als mir die Geschichte zu Ohren kam, suchte ich ihn auf, nur war er leider nicht in der Verfassung, sich meine Vorwürfe anzuhören. Aber wenigstens entdeckte ich auf seinem Schreibtisch Ihr Telegramm, erfuhr so Ihren Ankunftstermin und eilte her, um Ihnen Bericht zu erstatten.“

„Das war höchst anständig von Ihnen, James.“

„Sie schrieben in Ihrem Telegramm, daß Sie und Emily am Freitag eintreffen würden“, fuhr Taylor fort. „Heißt das, daß Sie Gerald eine Ehefrau mitgebracht haben? Ich habe schon derartige Gerüchte gehört, und Sie wissen ja, wie schnell sich diese hier verbreiten.“

„In meiner Begleitung befindet sich eine junge Frau, mit der sich Gerald vor seiner Abreise verlobte“, erklärte Lord Hawkston. „Unglücklicherweise mußte ich inzwischen feststellen, daß ihre Interessen anderswo liegen. Eine Hochzeit kommt daher nicht mehr in Frage.“

James Taylor stieß einen leisen Pfiff aus.

„Also noch mehr Probleme“, sagte er. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das bedaure. Eine vernünftige Ehefrau hätte Gerald vielleicht wieder auf den rechten Weg bringen können. Mit ihrer Hilfe hätte er das Trinken einschränken und die Einsamkeit überwinden können, der er offensichtlich nicht gewachsen ist.“

 

„Ich werde mich bemühen, eine Frau für ihn zu finden, aber das wird nicht Emily Ludgrove sein.“

James Taylor warf einen Blick auf die Uhr.

„Wenn ich den Morgenzug nach Kandy noch erreichen will, muß ich gehen“, sagte er. „Ich hielt es für meine Pflicht, Sie auf das vorzubereiten, was Sie erwartet. Hoffentlich wendet sich noch alles zum Guten. Wenn Sie Zeit haben, besuchen Sie mich, ich möchte Ihnen ein paar interessante Experimente zeigen.“

„Sie wissen, daß ich nichts lieber tue“, entgegnete der Engländer. „Vielen Dank, daß Sie sich wieder einmal als guter Freund erwiesen haben.“

„Ich wäre gern der Überbringer besserer Nachrichten gewesen“, bemerkte Taylor, „aber etwas anderes wird Sie mehr erfreuen. Der Tee-Export hat inzwischen eine Rekordhöhe erreicht. Meine Plantage blüht und gedeiht, und die Ihre wird es auch tun, wenn Sie sie wieder in die Hand nehmen. Sie werden gebraucht, Chilton.“

„Führen Sie mich nicht in Versuchung“, rief der Lord. „Sie wissen, daß ich nirgends lieber bin als hier.“

Taylor legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter.

„Darüber müssen wir später noch einmal sprechen.“

Nachdem er seinen Freund zur Tür begleitet hatte, ließ sich Lord Hawkston seufzend in einen Sessel sinken. Zuerst mußte er sich mit Emily auseinandersetzen, dann konnte er sich immer noch überlegen, wie er Gerald die Sache beibringen sollte.

Zwanzig Minuten später trat Emily Ludgrove in das Wohnzimmer, wo er auf sie wartete. Wie immer sah sie bezaubernd aus. Ihr nach der neuesten Mode geschnittenes Kleid, das sie vor der Abreise in London gekauft hatte, brachte ihre schlanke Gestalt perfekt zur Geltung, und die Farbe betonte das Blau ihrer Augen und ihr goldblondes Haar. Noch nie war ihm ihre Schönheit so zum Bewußtsein gekommen. Plötzlich hielt er es selbst für eine absurde Idee, sie auf einer einsamen Teeplantage einzusperren, wo kein männliches Auge außer dem ihres Gatten sie bewundern konnte.

„Guten Morgen, Mylord“, sagte sie mit dem koketten Augenaufschlag, den sie für jeden Mann bereithielt, ob jung oder alt, der mit ihr allein war.

„Guten Morgen, Emily“, erwiderte er die Begrüßung. „Würden Sie bitte einen Augenblick Platz nehmen? Ich habe mit Ihnen zu reden.“

„Das klingt ja direkt gefährlich“, meinte sie. „Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Ich möchte Sie davon informieren, daß ich für Sie auf dem ersten passenden Schiff, das nach England fährt, eine Passage buchen werde.“

Ihre Augen weiteten sich ungläubig, doch bevor sie einen Einwand erheben konnte, sprach er weiter.

„Der Zufall wollte es, daß ich mich gestern nacht im Garten aufhielt, als Captain O’Neill Ihnen einen höchst ungehörigen Besuch abstattete.“

Nach kurzem Schweigen sagte sie trotzig: „Captain O’Neill hat mich gebeten, seine Frau zu werden.“

„Das war wohl auch das mindeste, was er tun konnte“, bemerkte Lord Hawkston trocken.

„Und ich lag bisher mit mir im Widerstreit, ob ich seinen Antrag annehmen sollte oder nicht“, fügte sie hinzu.

„Die Wahl liegt bei Ihnen“, sagte er, „entweder Sie nehmen die Werbung des Captains an, oder ich schicke Sie mit dem nächsten Schiff nach England zurück.“

„Sie können sich wohl denken, wie meine Antwort ausfallen wird, Mylord. Übermitteln Sie Gerald meine Entschuldigung. Andererseits zweifle ich daran, daß wir nach der langen Trennung ein gemeinsames Glück gefunden hätten.“

Lord Hawkston mußte sich eingestehen, daß sie angesichts ihrer Lage eine Haltung zeigte, die er ihr nicht zugetraut hätte.

Emily erhob sich.

„Wenn Sie mir sonst nichts mehr zu sagen haben, werde ich mich zurückziehen und Captain O’Neill einen Brief schreiben, der ihn, wie er mir versichert, zum glücklichsten Mann unter der Sonne macht.“

„Ich habe nichts mehr zu sagen, denn an meiner Meinung über Ihr Benehmen sind Sie vermutlich nicht interessiert.“

„Warum sollte ich“, erwiderte sie schnippisch. „Sie haben schon lange vergessen, wie es ist, jung zu sein. Alt werde ich noch früh genug, in der Zwischenzeit will ich mein Leben genießen, und es gibt genügend Männer, die mir mit dem größten Vergnügen dabei behilflich sein werden.“

Ohne etwas zu entgegnen, verbeugte er sich ironisch, als sie an ihm vorbei zur Tür rauschte.

Dort drehte sie sich noch einmal um und sagte in zuckersüßem Ton: „Ach, bitte, sagen Sie Gerald, wie sehr ich es bedaure, ihn in Verzweiflung zu stürzen. Ich hoffe sehr, daß wir trotzdem Freunde bleiben werden.“

Bevor Lord Hawkston eine passende Erwiderung einfiel, hatte sie auch schon das Zimmer verlassen. Trotz seines Ärgers konnte er sich ein Lachen nicht verkneifen. So starke Nerven hatte er nicht hinter ihr vermutet. Unwillkürlich drängte sich ihm der Gedanke auf, daß sie die passende Ehefrau gewesen wäre, um Gerald den Kopf zurecht zu setzen. Aber dieses Kapitel war nun ein für allemal abgeschlossen.

Sein Freund James Taylor hatte sicherlich in seiner Annahme recht gehabt, daß Gerald eine vernünftige Frau fehlte. Die Frage war nur, wo er sie hernehmen sollte.

Er stand am Fenster und sah in den Garten hinaus, der ein wahres Farbenmeer bildete. Da wuchsen purpurne Orchideen, Hibiskus in allen Rottönen und die weißen, trompetenähnlichen Frangipanis. Die ganze Szenerie war wie für die Liebe geschaffen.

Wie sollte er nur für seinen Neffen eine Frau finden, wo ihm das für sich selbst nicht gelungen war. Inzwischen war er siebenunddreißig Jahre alt und hatte sich damit abgefunden, Junggeselle zu bleiben.

Als er nach England zurückkehrte, erwarteten seine Verwandten, daß er heiraten würde. Immer wieder wurde er mit jungen Witwen oder Mädchen zusammen eingeladen, die aus irgendeinem Grund nicht den passenden Partner gefunden hatten. Keine von ihnen hatte seinen Verstand angesprochen, geschweige denn sein Herz angerührt. Dabei war er sich darüber im klaren, daß er seine Ansprüche zu hoch geschraubt hatte. So reserviert und kalt er äußerlich wirkte, so brannte in seinem Inneren die Sehnsucht nach einer Liebe, die der nicht nachstand, die er dem Inselparadies Ceylon gegenüber empfand.

Wenn er manchmal auf der Veranda seines Hauses stand und die gen Himmel ragenden Berge und unten im Tal den kristallklaren Fluß bewunderte, erweckte die ihn umgebende Schönheit einen Widerhall in ihm, der dem Begehren zu einer außerordentlich attraktiven Frau glich. Gefühle wachten in ihm auf, die an Intensität mit nichts zu vergleichen waren. So stellte er sich die Liebe vor, wobei er gleichzeitig versuchte, sich über seine Hirngespinste lustig zu machen.