Die zärtliche Versuchung

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Die zärtliche Versuchung
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Die Zärtliche Versuchung

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2015

Copyright Cartland Promotions 1985

9781782136835

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1816 ~ 1.

Die Marquise trank einen Schluck Madeira.

„Der Arzt“, sagte sie, „hat mir jede Art von Alkohol strengstens verboten, aber dein Besuch muß gefeiert werden.“

„Tut dir der Aufenthalt hier denn gut, Mama?“

Die Stimme des Marquis klang besorgt, was seiner Mutter nicht entging.

Der blasierte Ton, der im Kreis des Prinzregenten Mode war, war ihr wohl bekannt. Sie hütete sich davor, es auszusprechen, aber die arrogante Art der jungen Leute war ihr zuwider.

„Ja“, antwortete sie. „Die Schmerzen sind durch die Bäder erheblich zurückgegangen, aber Harrogate ist langweilig und ich sehne mich nach meinem Zuhause.“

Der Marquis stand auf, ging zum Kamin und lehnte sich gegen den Sims.

Die Suite, die seine Mutter im besten und teuersten Hotel von Harrogate bewohnte, war elegant, doch recht nüchtern eingerichtet. Die Marquise hatte jedoch eine Menge persönlicher Dinge mitgebracht, und die Atmosphäre war daher sehr angenehm.

Auf einem Beistelltisch stand eine Miniatur ihres Sohnes, weiche Seidenkissen lagen auf den düsteren Damastbezügen der Sitzmöbel, Silberdöschen zierten Kommoden und Fensterbänke, und in der ganzen Suite waren Vasen mit frischen Blumen verteilt.

Und das Wichtigste - die Marquise hatte natürlich ihre zwei kleinen Spaniel mitgebracht, die den Marquis stürmisch begrüßt hatten.

„Du hast es aber recht gemütlich hier“, sagte der Marquis, offensichtlich erstaunt, daß auch ein Hotel seine Vorteile haben konnte.

„Es geht“, entgegnete die Marquise. „Und was führt dich hierher? Ich bin überzeugt davon, daß du ein Anliegen hast. Du machst doch nicht die lange Reise, weil du sehen willst, ob ich entsprechend untergebracht bin.“

Während sie sprach, ruhte der Blick der Marquise bewundernd auf ihrem Sohn. Niemand, fand sie, sah besser aus, war besser angezogen und wirkte männlicher.

Der Marquis hatte breite Schultern und sehr schmale Hüften - sehr zur Verzweiflung seines Schneiders und Hemdenmachers. Es war nicht in Mode, Muskeln zu haben, aber der Marquis war der beste Boxer seines Herrenklubs in der Bond Street. Auch im Fechten war er so perfekt, daß er kaum einen Partner fand, der sich mit ihm hätte messen können. Dazu kam, daß er einer der elegantesten und weltgewandtesten jungen Herren Londons war und von allen beneidet wurde.

Auf andere wirkte er gleichgültig, zynisch und unbeeinflußbar, doch seine Mutter wußte, daß er sehr freundlich, sehr verantwortungsbewußt und mitfühlend und zum Teil auch sehr lieb und anhänglich sein konnte.

„Wenn ich das Gefühl hätte, Mama“, sagte er, und die Marquise wußte, daß es ehrlich gemeint war, „daß du meine Gesellschaft brauchst, würde ich überallhin kommen.“

„Sicherlich“, entgegnete die Marquise. „Aber sag mir den wirklichen Grund.“

„Ich habe beschlossen zu heiraten, Mama.“

„Gallen!“ Die Marquise war so erschrocken, daß sie schnell das Glas wegstellte. Sie schlug die Hände zusammen und sah ihren Sohn an. „Das ist doch nicht dein Ernst! Nach all den Jahren hast du jemanden kennengelernt, den du wirklich zu deiner Frau machen willst!“

„Ich habe mich zur Heirat entschlossen, Mama, weil ich einen Erben brauche“, sagte der Marquis. „Und daß ich eine Frau haben will, die aus guter Familie kommt und mich nicht zu Tode langweilt, versteht sich wohl von selbst.“

„Und für wen hast du dich entschieden?“

„Ich habe um die Hand von Lady Beryl Fern angehalten“, antwortete der Marquis. „Da ich vermeiden wollte, daß du in der Gazette von dem Verlöbnis deines Sohnes liest, habe ich Beryl und ihren Vater gebeten, absolutes Schweigen zu bewahren, bis ich mit dir gesprochen habe.“

„Lady Beryl Fern“, sagte die Marquise langsam. „Natürlich ist sie mir ein Begriff.“

„Sie ist unumstritten das hübscheste Mädchen Englands“, erklärte der Marquis. „Da sind sich alle einig. Der Prinz nennt sie sogar die Unvergleichliche.“

Der spöttische Unterton in der Stimme des Marquis war unverkennbar.

Seine Mutter runzelte die Stirn. „Was für ein Mädchen ist sie, Gallen?“ fragte sie.

„Sie liebt die Fröhlichkeit und ist das Herz und die Seele von allen Festen, an denen sie teilnimmt. Sie wird die Empfangsräume und Salons von Havingham House aufhellen und dafür sorgen, daß der Familienschmuck, den du so selten trägst, wieder von allen bewundert wird.“

„Meine Frage war anders gemeint, Gallen“, sagte die Marquise.

Ihr Sohn ging vom Kamin zum Fenster und sah auf die Bäume hinaus, die hier im Norden gerade erst ausschlugen.

„Was willst du denn sonst wissen, Mama?“ fragte er nach einer Weile.

„Du weißt ganz genau, was ich wissen will“, entgegnete die Marquise. „Bist du verliebt?“

„Ich bin dreiunddreißig, Mama“, sagte der Marquis zögernd, „und mit dreiunddreißig ist man über die Schwärmereien eines Jünglings hinaus.“

„Dann heiratest du also nur, um einen Sohn zu zeugen.“

„Ich kann mir keinen besseren Grund für eine Ehe vorstellen“, sagte der Marquis.

„Ich hätte dir so gewünscht, daß du dich verliebst.“

„Ich bin zu alt für so einen Unsinn - das habe ich dir eben schon gesagt.“

„Das ist kein Unsinn, Gallen. Dein Vater und ich, wir waren unendlich glücklich, und ich habe immer gehofft, daß du einmal das Glück finden wirst, das wir genießen durften, bis dein Vater von mir genommen wurde.“

„Heutzutage gibt es keine Frauen mehr wie dich, Mama.“

Die Marquise seufzte. „Ich habe deinen Vater auf einer Gartenparty kennengelernt“, sagte sie. „Wie oft hat er erzählt, ich sei von einem weißen Licht umgeben gewesen, als er mich zum ersten Mal sah!“

„Das hat mir Papa auch erzählt.“

„Ich habe ihn erst bemerkt, als er mir vorgestellt wurde“, fuhr die Marquise mit weicher Stimme fort. „Aber als er meine Hand berührte, geschah etwas sehr Merkwürdiges.“ Sie schüttelte den Kopf, als könne sie es immer noch nicht ganz fassen. „Ich habe mich auf der Stelle in ihn verliebt. Ich wußte sofort, daß er der Mann meiner Träume ist. Ich habe immer daran geglaubt, daß es diesen Mann irgendwo auf der Welt gibt, hatte aber Angst gehabt, ihn nicht finden zu können.“

„Das Glück war auf deiner Seite, Mama.“

„Das war nicht Glück, Gallen, das war das Schicksal. Die Eltern deines Vaters hatten ihn mit der Tochter des Herzogs von Newcastle verheiraten wollen, doch wir wußten, daß nichts in der Welt uns mehr trennen konnte.“

Eine leichte Ungeduld befiel den Marquis. Er wußte das alles, und es war ihm immer etwas peinlich, wenn seine Mutter von seinem Vater erzählte. Seine Eltern hatten sich so abgöttisch geliebt, daß seine Kindheit von ihrem Glück überstrahlt war. Daß sie nur ein Kind gehabt hatten, war ihr einziger Kummer gewesen, und weil der Marquis seine Mutter liebte, hatte er nach dem Tod seines Vaters stets versucht, sich um sie zu kümmern und sie zu beschützen. Sie brauchte ihm nicht zu sagen, was es bedeutete, so verliebt zu sein, wie seine Eltern es gewesen waren. Er hatte es selbst erfahren, wußte aber, daß es ihm nie wieder passieren würde.

„Die Zeiten haben sich geändert, Mama“, sagte er. „Die Liebe ist außer Mode gekommen - nur beim Prinzregenten nicht.“

„Du kannst die Liebe und Seine Königliche Hoheit nicht in einem Atemzug nennen, Gallen“, sagte die Marquise fast vorwurfsvoll. „Denk nur daran, wie er die arme Mrs. Fitzherbert behandelt hat! Und ich war immer überzeugt davon, daß sie wirklich verheiratet sind. Und dann diese alberne Lady Hereford - ich kann die Frau nicht ausstehen.“

Der Marquis lachte. „Er gibt uns allen ein Beispiel, Mama. Du kannst also kaum erwarten, daß mir im Carlton House die idyllische Liebe begegnet.“

„Und deshalb hast du kaltblütig beschlossen, Lady Beryl zu heiraten.“

„Wir werden gut miteinander auskommen, Mama“, entgegnete der Marquis. „Wir sprechen dieselbe Sprache, wir haben die gleichen Freunde, und wenn nach einer gewissen Zeit jeder seine eigenen Wege geht, so wird das mit größter Diskretion und Vorsicht gehandhabt werden. Es wird keinerlei Skandal geben, und wir werden alle aufkommenden Probleme friedlich lösen.“

Die Marquise schwieg, doch ihr Blick war so unglücklich, daß ihr Sohn zu ihr ging und ihre Hand nahm.

„Bitte, mach dir meinetwegen keine Sorgen, Mama. Das ist mir wirklich das Wichtigste. Schließlich besteht doch keinerlei Grund, warum Beryl und ich nicht ein halbes Dutzend gesunder Enkel produzieren sollten, was dich sehr freuen wird - habe ich recht?“

Die schmale Hand der Marquise lag in der ihres Sohnes. „Dein Vater und ich haben immer das Beste für dich gewollt, Gallen“, sagte sie. „Leider muß ich gestehen, daß das, was du vorhast, das Zweitbeste zu sein scheint.“

„Du gehst immer noch von deinem Leben aus, Mama“, erwiderte der Marquis. „Ich bin zufrieden, und mehr kann man nicht verlangen.“

„Doch, das kann man, und ich tue es“, entgegnete die Marquise. Sie drückte die Hand ihres Sohnes. „Du denkst doch nicht immer noch an das Mädchen, das dich so - miserabel behandelt hat?“ fragte sie.

Als habe sie Angst, ihn zu verletzen, klang ihre Stimme zögernd, doch der Marquis lachte nur.

„Weiß Gott nicht, Mama“, sagte er. „Diese Wunden sind verheilt. Ich war damals noch ein Grünschnabel, und die erste Liebesaffäre ist wohl immer etwas zu gefühlsbetont.“

 

Er ließ die Hand seiner Mutter los und ging zum Kamin zurück. Er sah in das Feuer. Daß der Marquise, die ihm kein Wort geglaubt hatte, plötzlich die Tränen in die Augen stiegen, bemerkte er nicht.

Es war eine lange Zeit her. Der Marquis war damals erst einundzwanzig gewesen. Das Mädchen, in das er sich verliebt hatte, war sehr schön und sehr verwöhnt gewesen. Er hatte es auf idealistische Weise verehrt und angebetet, und das hatte dieses Mädchen nicht verstanden.

Die Marquise wußte, daß ihr Sohn diesem Mädchen Herz und Seele zu Füßen gelegt hatte, doch das junge Ding war darauf herum getrampelt und hatte aus materiellen Gründen und wohl auch wegen des Titels einen Herzog geheiratet.

Die Marquise würde niemals den Blick ihres Sohnes vergessen, als er damals nach Hause gekommen war. Er hatte kein Wort darüber verloren, es wäre ihm unmöglich gewesen, aber er hatte sich in ein Schneckenhaus zurückgezogen, um niemanden merken zu lassen, wie sehr er verletzt war.

Und von diesem Augenblick an hatte er sich verändert. Aus dem lachenden, glücklichen, sorgenlosen Jungen war ein Mann geworden, der von Jahr zu Jahr zynischer und gelangweilter wurde.

Lediglich während seiner Dienstzeit bei seinem Regiment hatte er eine Begeisterungsfähigkeit gezeigt, die sie für ihn glücklich gemacht hatte, obwohl sie vor Angst halb krank gewesen war, er könne fallen oder in Gefangenschaft geraten.

Als er nach dem Tod seines Vaters vom Militärdienst entbunden worden und nach Hause gekommen war, um sich um sie und die Besitzungen zu kümmern, war ihr ein Stein vom Herzen gefallen.

Es hatte viele Frauen im Leben ihres Sohnes gegeben. Einige davon hatte die Marquise kennengelernt, aber die meisten lebten in einer Welt, zu der sie keinen Zugang hatte und auch nicht haben wollte. Sie wußte, daß ihm alle diese Frauen nichts bedeuteten. Sein Herz war nie beteiligt.

Sie hatte das Mädchen, das ihm so weh getan hatte, verflucht. Und jetzt verfluchte sie es noch mehr, denn es war daran schuld, daß ihr geliebter Sohn eine Vernunftehe eingehen wollte. Die Marquise war jedoch zu klug, diese Gedanken zu äußern.

„Und wann wirst du heiraten, Gallen?“ fragte sie.

„Noch vor Ende der Saison“, antwortete der Marquis. „Der Prinz, das nehme ich zumindest an, wird uns anbieten, den Empfang im Carlton House abzuhalten. Wir müssen eine Unzahl von Leuten einladen, und das Stadthaus von Beryls Vater in der Curzon Street ist dafür zu klein.“

„Und was für ein Mensch ist Graf Fernleigh?“ fragte die Marquise. „Soweit ich mich erinnern kann, ist er ein ausnehmend gutaussehender Mann.“

„Er ist recht sympathisch und umgänglich“, antwortete der Marquis vorsichtig. „Im Gegensatz zu seiner Frau und seiner Tochter Beryl liebt er das Landleben. Die beiden Damen hingegen lassen keinen Ball und keinen Empfang aus.“ Ein fast abfälliges Lächeln glitt über das Gesicht des Marquis. „Beryls Mutter hat es sich in den Kopf gesetzt, ihre Tochter zum Gespräch von ganz London zu machen, und das ist ihr hundertprozentig gelungen.“

Die Marquise erinnerte sich an die Gräfin Fernleigh. Sie war eine Frau, mit der sie nicht das Geringste gemein hatte.

„Ich werde die Gräfin natürlich aufsuchen, wenn ich von hier abgereist bin“, sagte sie. „Ich hatte allerdings vorgehabt, nach Hause und nicht nach London zu fahren.“

Mit ,nach Hause’ meinte die Marquise eine Villa, die auf dem großen Besitz des Marquis in Huntingdonshire stand.

Der Marquis wußte, daß seine von Arthritis geplagte Mutter London mied, wo es nur ging, und sich viel lieber mit ihren Hunden auf dem Land aufhielt.

„Du brauchst nicht vor der Hochzeit nach London zu kommen“, sagte er. „Sobald es dir paßt, lade ich den Grafen und natürlich Beryl aufs Schloß ein.“ Er lächelte. „Das hat alles Zeit“, fuhr er fort. „Ich nehme allerdings an, daß Beryl bereits voll damit beschäftigt ist, ihre Aussteuer zusammenzukaufen.“

„Und du, Gallen?“

„Der Prinz nimmt einen Großteil meiner Zeit in Anspruch“, antwortete der Marquis. „Ich habe die mehr oder weniger freundschaftliche Abmachung mit ihm getroffen, ihn zu Pferderennen oder anderen Amüsements zu begleiten, die unter Tags stattfinden, und kann mir dafür die überfüllten und meist stickigen Partys sparen, die Seine Königliche Hoheit am Abend so gern besucht.“

„Und was tust du statt dessen?“ fragte die Marquise.

„Das ist eine sehr indiskrete Frage, Mama“, entgegnete der Marquis und zwinkerte ihr zu.

Seine Mutter lachte. „Ich habe nicht gefragt, was du bisher mit deinen Abenden angefangen hast“, sagte sie. „Ich weiß sehr wohl, daß du in dem Ruf stehst, ein Frauenheld zu sein. Ich meine, was machst du jetzt? Ich nehme an, Lady Beryl wünscht, daß du sie zu den überfüllten und stickigen Partys begleitest - wie du dich ausdrückst.“

„Als verlobter Mann bleibt man nicht ungestraft, Mama“, sagte der Marquis. „Aber ich versichere dir, daß ich nach wie vor lieber Bridge spiele, als mich auf Festen herumzutreiben, und ich habe nicht die geringste Absicht, mir jede Nacht um die Ohren zu schlagen, ob nun Beryl oder der Prinz mich dazu verführen wollen oder nicht.“

Die Marquise lächelte. „Ich weiß, daß du neue Pferde hast, und nehme an, daß du sie einreiten willst. Und du bist ja schon immer sehr früh am Morgen ausgeritten.“

„Ja, zwölf Vollblutpferde. Ich freue mich schon, wenn ich sie dir vorführen kann.“

„Und ich freue mich darauf, sie zu sehen.“

Für Pferdeliebhaber war einer der großen Vorteile des Friedens mit Frankreich die Tatsache, daß wieder Pferde eingeführt werden konnten. Der Marquis hatte sich aus Syrien Stuten kommen lassen, die vor einem Monat eingetroffen waren. Wenn er von seinen Pferden sprach, klang seine Stimme zufriedener und glücklicher als eben noch, wo er von seiner zukünftigen Frau gesprochen hatte.

Im Februar, ehe die Marquise nach Harrogate gefahren war, waren ungarische Pferde angekommen, und die Marquise hatte zu ihrer größten Freude in ihrem Sohn wieder den glücklichen Menschen gesehen, der er früher gewesen war.

„Ist Lady Beryl eine gute Reiterin?“ fragte sie jetzt.

„Sie sitzt gut im Sattel“, antwortete der Marquis. „Und bei den Jagden wird sie natürlich eines meiner Pferde reiten. Da fällt mir ein, daß ich die Jagdhütte in Leicestershire renovieren lassen muß.“ Er lächelte mokant. „Die Junggesellenpartys, die ich dort abhielt, haben den Zustand der Einrichtung nicht verbessert, und ich fürchte, daß eine Frau die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, wenn sie zu sehen bekäme, wie es dort im Moment aussieht.“

„Dein Vater und ich haben dort sehr glückliche Tage verbracht“, sagte die Marquise.

„Wie überall“, entgegnete der Marquis. „Bitte, Mama, es hat doch keinen Sinn. Ich bin eben nicht Papa.“ Er ging zu ihr und nahm wieder ihre Hand. „Ich brauche dir nicht zu sagen“, fuhr er fort, „daß es nie wieder eine so schöne und so liebenswerte Frau wie dich geben wird. Hör also bitte damit auf, dich darüber zu beschweren, daß ich mich mit dem Zweitbesten zufriedengeben muß.“

„Ich will doch nur dein Glück, Gallen“, sagte die Marquise leise.

„Du mußt es mir glauben, Mama, ich bin zufrieden.“ Die Marquise konnte sich nicht helfen, sie fand den Ton ihres Sohnes zynisch.

Einige Meilen vom mondänen Harrogate mit seinen heilsamen Quellen, seinen teuren Hotels und aristokratischen Gästen entfernt, aber immer noch in Yorkshire, lag das Dorf Barrowfield. In der Nähe von Leeds gelegen, war es ein Dorf mit ärmlichen, heruntergekommenen und düsteren Häusern, auf deren Dächern eine dünne Schicht Kohlenstaub lag.

Außerhalb des Dorfes standen auf einem Hügel eine häßliche Kirche aus grauem Naturstein und daneben ein ebenso häßliches, unnötig großes Pfarrhaus. In der Küche mit dem großen, altmodischen Herd und dem Steinfußboden versuchte eine grauhaarige, propere Haushälterin, einem reichlich unbedarften jungen Ding beizubringen, wie man einen Hammelschlegel übergoß.

„Paß doch wenigstens auf, Ellen“, sagte die ältere Frau streng. „Ich habe dir schon x-mal erklärt, daß man die Sauce über das Fleisch gießen muß, und zwar löffelweise.“

„Das tue ich doch“, entgegnete das junge Ding.

„Eben nicht“, schimpfte die Frau. „Du rührst in der

Bratpfanne herum und denkst dabei an etwas ganz anderes.“

Die Küchentür ging auf, und ein junges Mädchen kam hereingestürmt. „Abby! Abby!“

Abigale, denn das war der volle Name der Haushälterin, drehte sich zu dem jungen Mädchen um. Mit den blonden Haaren und den tiefblauen Augen hätte man es als typisch englisch beschreiben können, wäre das Gesicht nicht von einer seltenen Schönheit gewesen, die keineswegs einem bestimmten Typ angehörte. Die Augen waren groß und so tiefblau, daß man an einen Gebirgssee dachte, wenn man sie sah.

„Was gibt es denn, Miss Torilla?“ fragte Abby.

„Ich habe einen Brief bekommen, Abby“, antwortete das junge Mädchen. „Einen Brief von Lady Beryl, und stell dir vor, Abby, sie hat sich verlobt und wird bald heiraten.“

„Wird aber auch langsam Zeit“, sagte Abby mit der Vertrautheit einer alten Hausangestellten. „Sie wird einundzwanzig, und bei all ihren Erfolgen in London müßte sie doch längst verheiratet sein.“

„Jetzt ist sie immerhin verlobt“, sagte Torilla. „Und stell dir vor, sie schreibt, daß ich unbedingt kommen soll.“ Sie sah auf den Brief in ihrer Hand und las vor : „,Du mußt Brautjungfer werden, Torilla. Ich möchte nur eine haben, denn unnötig viel Konkurrenz ist nicht gut.’“ Torilla lachte. „Als ob auch nur ein Mädchen mit Beryl konkurrieren könnte!“

Abby nahm diese Bemerkung kommentarlos hin, und Torilla las weiter: „,Du mußt so schnell wie möglich kommen. Auf der Stelle. Es gibt noch so irrsinnig viel zu tun, und ich möchte Dich bitten, mir dabei zu helfen. Außerdem wird es so viele Einladungen geben, weil alle Leute meinen Verlobten kennenlernen wollen.’“

„Und wer ist der Verlobte?“ fragte Abby.

Torilla starrte auf den Brief. „Du wirst es nicht glauben, Abby“, antwortete sie, selbst erstaunt, „aber das schreibt sie nicht.“ Sie schüttelte lachend den Kopf. „Ist das nicht typisch Beryl?“ fragte sie. „Das Wichtigste hat sie schon immer vergessen. Ich sehe schon, ich werde von früh bis spät auf sie aufpassen müssen - das heißt, wenn Papa mich fahren läßt.“ Zweifel trat in die großen blauen Augen.

„Er muß dich fahren lassen, Torilla“, sagte Abby. „Was du allerdings anziehen sollst, weiß der Himmel.“

„Das ist meine geringste Sorge“, erwiderte Torilla. „Beryls Kleider passen mir wie angegossen, und sie hat mich schon immer alles anziehen lassen, was ich wollte, sogar ihre Reitsachen.“ Ihr Blick wurde sehnsüchtig. „Glaubst du, Onkel Hector läßt mich reiten? Wieder einmal auf einem wirklich guten Pferd sitzen zu dürfen - es wäre zu schön!“

„Aber natürlich“, sagte Abby im Brustton der Überzeugung. „Dein Onkel hat dich doch schon als Kind immer reiten lassen.“

„Ich glaube, Pferde habe ich hier am meisten vermißt“, sagte Torilla.

„Du mußt hier sehr viel vermissen, Torilla“, entgegnete Abby. „Wenn du ehrlich bist, wirst du es zugeben.“

Die Haushälterin nahm die braune Schürze ab, die sie über die weiße gebunden hatte.

„Ich mache mich auf der Stelle daran, deine Sachen zu packen, Torilla.“

„Um Gottes willen - bitte nicht!“ rief Torilla. „Ich muß erst Papa fragen. Vielleicht hat er etwas dagegen, daß ich heim fahre.“ Sie blickte nachdenklich vor sich hin. „Für mich ist Fernford immer noch wie ein Zuhause", fügte sie hinzu. „Aber vielleicht ist das auch nicht verwunderlich, wenn man siebzehn Jahre dort gelebt hat.“

„Das ist allerdings nicht verwunderlich, Torilla“, sagte Abby. „Fernford ist dein Zuhause. Wenn deine Mama nicht gestorben wäre, wärst du heute noch dort. Wir hätten nie hierher kommen sollen, ich denke das fast stündlich.“

Torilla lächelte. Wie oft die gute Abby das betonte! „Aber du weißt doch, was es für Papa bedeutet“, sagte sie.

Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als sie die Haustür ins Schloß fallen hörte.

„Da ist er!“ rief sie. „Bring schnell das Essen auf den Tisch, Abby, sonst läuft er wieder mit leerem Magen davon. Und ich frage ihn jetzt gleich.“

Torilla verließ die Küche und lief durch den schmalen, düsteren Gang, der zu der reichlich theatralischen Diele führte.

Reverend Augustus Clifford, der Vikar von Barrowfield, hängte gerade seinen Hut auf. Er war ein gutaussehender Mann, der älter aussah, als er in Wirklichkeit war. Seine Haare waren fast völlig grau, sein hageres Gesicht hatte tiefe Falten. Er wirkte wie ein Mensch, der sich zu viel zumutete und über seine Kräfte lebte.

 

Seine Miene war besorgt, doch als er Torilla auf sich zukommen sah, lächelte er.

„Siehst du, Torilla“, sagte er, „ich bin ausnahmsweise einmal pünktlich.“

„Das ist lieb von dir, Papa. Das Essen ist auch schon fertig. Es wäre jammerschade gewesen, wenn die Hammelkeule, die uns Shipton geschenkt hat, zu lange im Rohr gewesen wäre.“

„Ja, natürlich“, sagte der Vikar. „Wenn sie groß genug ist, dann könnten wir doch eigentlich...“

„Nein, Papa“, schnitt ihm Torilla das Wort ab, „wir können niemandem etwas davon abgeben. Bitte, komm mit ins Eßzimmer, ich muß dir nämlich etwas erzählen.“

Der Vikar nickte, und sie gingen zusammen in das kleine, dunkle Zimmer, dessen Fenster nach Norden zeigten.

Sie hatten ein paar gute Möbelstücke mitgebracht, als sie hierher umgezogen waren, aber die Vorhänge waren aus einem einfachen Stoff, und trotz aller Mühe, die sich Torilla und Abby gegeben hatten, sie so zu raffen, wie sie es von Fernleigh Hall her kannten, wirkten sie billig.

Elizabeth, die jüngere Schwester der Gräfin von Fernleigh, hatte Augustus Clifford geheiratet, als dieser Hilfspfarrer der Gemeinde von St. George am Hanover Square in London gewesen war.

Um seiner Frau einen Gefallen zu tun, hatte ihn der Graf von Fernleigh als Vikar in seinen kleinen Sprengel von Fernford geholt, und so war es gekommen, daß Torilla und Beryl zusammen auf dem Besitz in Hertfordshire aufgewachsen waren. Für die beiden Kusinen war dieses Arrangement sehr erfreulich gewesen, und die Tatsache, daß Beryl zwei Jahre älter war als Torilla, hatte nie etwas ausgemacht. Torilla war die weitaus klügere der beiden jungen Mädchen, und wenn jemand im Unterricht hinterher gehinkt war, dann nicht sie, sondern Beryl.

Da die Gräfin von Fernleigh fast das ganze Jahr über in London gelebt hatte, hatte Beryl mehr Zeit mit ihrer Tante als mit ihrer Mutter verbracht. Sie hatte Mrs. Clifford geliebt, und als diese eines kalten Winters völlig unerwartet gestorben war, war sie fast ebenso untröstlich gewesen wie Torilla.

Durch den Tod der Mutter hatte sich Torillas Leben völlig geändert. Ihr Vater hatte nur eine Möglichkeit gesehen - das Haus zu verlassen, in dem er mit seiner Frau so glücklich gewesen war. Er hatte nicht mehr in der ruhigen Landgemeinde arbeiten wollen, wo es im Grunde wenig zu tun gab. Deshalb hatte er um Versetzung in eine der ärmsten Gegenden des Nordens gebeten und war zwei Monate nach dem Tod seiner Frau nach Barrowfield berufen worden.

Alles war so schnell gegangen, daß Torilla kaum begriffen hatte, welche Veränderung sich anbahnte, bis sie sich plötzlich in einer völlig fremden Umgebung wiederfand und nur noch Abby hatte, an die sie sich in ihrem Unglück klammern konnte. Für Augustus Clifford hatte die Veränderung Ablenkung von seinem Kummer und vor allem die berufliche Erfüllung gebracht, die er letztlich sein ganzes Leben lang gesucht hatte. Von dem Wunsch getrieben, Menschen zu helfen, die weniger begütert waren als er selbst und von sehr sozialem Denken beseelt, hatte er sich mit aller Kraft auf die Probleme und Schwierigkeiten gestürzt, denen er im Elend dieser Bergbausiedlung begegnet war.

In seinen Bemühungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Gemeindemitglieder wäre Augustus Clifford ohne Schlaf und ohne Essen geblieben, hätten nicht Torilla und Abby dafür gesorgt, daß er einen gewissen Rhythmus einhielt.

Jeder Pfennig seines spärlichen Gehalts und des geringen Privatvermögens, den er erübrigen konnte, wurde für wohltätige Zwecke ausgegeben. Sie hätten gehungert, hätte nicht Abby darauf bestanden, genug Haushaltsgeld zu bekommen, sobald das Gehalt überwiesen war.

Als sie sich jetzt an den Eßtisch setzten, wußte Torilla, daß die Hauptschwierigkeit darin bestand, von ihrem Vater das Geld für die Reise zu bekommen.

„Ich habe heute einen Brief von Beryl erhalten, Papa“, sagte sie, als sich der Vikar gerade ein Glas Wasser eingoß und Abby den Hammelschlegel brachte.

„Von Beryl?“ fragte Augustus Clifford, als sei ihm dieser Name kein Begriff.

„Beryl heiratet bald, Papa. Sie fragt, ob ich nicht kommen und ihr bei den Vorbereitungen helfen kann. Außerdem soll ich Brautjungfer werden.“

„Ach, Beryl!“ rief der Vikar und machte sich daran, das Fleisch aufzuschneiden.

„Du hast doch nichts dagegen, Papa, oder?“ fragte Torilla.

„Nein, nein, natürlich nicht“, entgegnete Augustus Clifford. „Aber ich glaube kaum, daß wir es uns leisten können.“

„Wenn ich mit der Postkutsche fahre“, sagte Torilla, „und Abby hier bleibt - sie muß ja hier bleiben, damit sich jemand um dich kümmert -, dann wird es nicht so teuer.“

Anfangs hatte sie gehofft, Abby mitnehmen zu können, doch jetzt wußte sie, daß es unmöglich war. Nicht nur wegen des Geldes, sondern vor allem, weil ihr Vater allein nicht zurechtkam. Abby schaffte weitaus besser als sie, den Vater dazu zu bewegen, etwas zu essen und genügend zu schlafen.

„Ich hatte mir vorgenommen“, sagte der Vikar, „jeden roten Heller, den wir abknapsen können, Mrs. Coxwood zukommen zu lassen. Sie erwartet das neunte Kind, und ihre älteste Tochter hat die Schwindsucht.“

„Die Coxwoods tun mir von Herzen leid, Papa“, entgegnete Torilla, „aber du weißt so gut wie ich, daß Mr. Coxwood jeden Freitagabend in der Wirtschaft sitzt und den halben Wochenlohn vertrinkt.“

„Ich weiß, ich weiß“, sagte Augustus Clifford, „aber der Mann hat es auch nicht leicht. Kein Wunder, wenn er ab und zu ein Glas trinkt.“

„Und seine Kinder verhungern läßt“, fügte Torilla hinzu.

„Die zweite Tochter wird diesen Monat fünf, und ich glaube, sie wollen sie zum Arbeiten ins Bergwerk schicken.“

„Oh nein!“ rief Torilla. „Das ist ja grauenvoll. Weißt du noch, wie schlecht es der kleinen Barnsby gegangen ist? Wenn ein Kind den ganzen Tag im Schacht bis zu den Waden im Wasser steht, ist es aber auch kein Wunder, wenn es Lungenentzündung bekommt.“

Der Vikar stieß einen tiefen Seufzer aus. „Sie müssen wenigstens kräftig essen, Torilla.“

„Und Sie ebenfalls, Sir“, sagte Abby, die gerade ins Eßzimmer zurückkam. Sie stellte zwei Schüsseln auf den Tisch. Eine mit Kartoffeln, die andere mit Kohl.

„Ich habe genug hier“, sagte Augustus Clifford und sah auf das winzige Stück Fleisch, das auf seinem Teller lag.

„Ich nehme diese Hammelkeule nicht vom Tisch, Sir, bis Sie nicht anständig gegessen haben.“

Abby hatte den liebevoll strengen Ton einer Kinderfrau angenommen, die mit einem widerspenstigen Zögling spricht.

Der Vikar schnitt sich noch zwei hauchdünne Scheiben Fleisch ab und legte sie auf seinen Teller.

Nachdem Abby so lange gewartet hatte, bis sich der Vikar auch noch Kartoffeln und Kohl aufgetan hatte, wartete sie, bis Torillas Teller leer war.

„Bist du so lieb, Torilla, und holst mir den Auflauf aus dem Rohr?“ sagte sie dann.

„Ja, gern“, antwortete Torilla.

Abby gab ihr die Fleischplatte, und Torilla ging damit in die Küche. Sie wußte, daß Abby sie hinausgeschickt hatte, um allein mit dem Vikar sprechen zu können.

Sie war noch kaum aus dem Zimmer, als Abby auch schon tief Luft holte. „Miss Torilla hat Ihnen doch gesagt, Sir“, begann sie, „daß sie nach Fernleigh Hall eingeladen worden ist.“

„Ja, das hat sie mir gesagt“, entgegnete der Vikar. „Aber leider wird sie nicht fahren, weil wir es uns nicht leisten können. Auch die Postkutsche kostet Geld, und bis Hertfordshire ist es ein weiter Weg.“

„Aber es wird höchste Zeit, Sir - wenn Sie mir die Offenheit verzeihen -, daß Miss Torilla endlich wieder einmal unter anständige Menschen kommt.“

Augustus Clifford sah erstaunt hoch, und Abby sprach weiter, ehe er zu Wort kommen konnte.

„Ist Ihnen eigentlich klar“, fuhr sie fort, „daß Miss Torilla nun schon fast zwei Jahre hier ist und kaum ein Wort mit einer Lady oder einem Gentleman gewechselt hat? Ihre Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie wüßte, wohin das arme Mädchen geraten ist. Jawohl - das ist die Wahrheit.“