Die Kunst des Loslassens

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Die Kunst des Loslassens
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa


Jhana Verlag im Buddha-Haus:

Inhalt

Vorwort

Lehrreden

Die erste und zweite meditative Vertiefung Teil 1

Die erste und zweite meditative Vertiefung Teil 2

Die dritte meditative Vertiefung

Die vierte meditative Vertiefung

Die fünfte meditative Vertiefung

Die sechste meditative Vertiefung

Die siebte meditative Vertiefung

Die achte und neunte meditative Vertiefung

Glossar

Vorwort

Das vorliegende Buch beruht auf Vorträgen, die Ayya Khema in einem vierwöchigen Meditationskurs im November 1994 gehalten hat. Für dieses Werk wurden die acht Vorträge ausgewählt und bearbeitet, die sich mit den acht meditativen Vertiefungen befassen. Insgesamt wurden in diesem Seminar 36 Kassetten aufgenommen, sodass die acht Vorträge einen Auszug aus dem gesamten Seminar darstellen. Diese Vorträge wurden deshalb ausgewählt, weil sie die ausführlichsten Erklärungen von Ayya Khema zu den meditativen Vertiefungen enthalten, denn in einem vierwöchigen Meditationskurs hatte sie viel Zeit, um diese fortgeschrittenen Inhalte ihren Schülern zu vermitteln. Wenn Ayya Khema auf Begriffe Bezug nimmt, die sie an anderer Stelle erklärt hat und die hier nicht vorkommen, so werden sie im Glossar erläutert. Die ersten vier, die feinkörperlichen, meditativen Vertiefungen basieren auf der kürzeren Lehrrede über das Gleichnis von der Elefantenspur, Mittlere Sammlung 27 (Jhana Verlag 2001), und die vier nicht-körperlichen meditativen Vertiefungen auf der kürzeren Lehrrede bei Gosinga, Mittlere Sammlung 31. Ayya Khema zitiert jeweils den Teil der Lehrrede, der die meditativen Vertiefungen zum Inhalt hat. Bei den einzelnen meditativen Vertiefungen werden die betreffenden Zitate jeweils zu Beginn der Erklärungen angeführt.

Dass der Jhana Verlag im Jahr des zehnten Todesjahres von Ayya Khema ein Buch von ihr zu den Vertiefungen herausbringt, hat zum einen den Grund, dass sie eine Meisterin der meditativen Vertiefungen war und ihr Lehrer, der Ehrwürdige Ñāṇarāma Mahāthera, sie damit beauftragte, diese verloren gegangene Kunst im Westen zu lehren. Zum anderen sind die Menschen im Westen immer mehr dazu bereit, diese Lehren auch über Bücher zu empfangen, und das Bedürfnis der Menschen danach wächst unaufhaltsam.

Es ist mir eine Freude und ich bin von großer Dankbarkeit erfüllt, diese wunderbaren und tiefgründigen Lehren von Ayya Khema zu bearbeiten und sie damit einem breiten Leserkreis zugänglich zu machen.

Mögen viele Menschen Glück und Segen damit erfahren!

Traudel Reiß

März 2007

Auszug Mittlere Sammlung 27
Die kürzere Lehrrede über das Gleichnis von der Elefantenspur

19. „Nachdem er so diese fünf Hindernisse überwunden hat, die Unvollkommenheiten des Herzens, die die Weisheit schwächen, tritt er ganz abgeschieden von Sinnesvergnügen, abgeschieden von unheilsamen Geisteszuständen, in die erste Vertiefung ein, die von anfänglicher und anhaltender Hinwendung des Geistes begleitet ist, und verweilt darin, mit Verzückung und Glückseligkeit, die aus der Abgeschiedenheit entstanden sind. Brahmane, dies nennt man einen Fußabdruck des Tathāgata, etwas, woran der Tathāgata gekratzt hat, etwas, das den Abdruck des Tathāgata trägt, aber ein edler Schüler kommt noch nicht zu dem Schluss: ,Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, das Dhamma ist vom Erhabenen wohl verkündet, die Sangha praktiziert gut.‘“

20. „Wiederum tritt ein Bhikkhu mit der Stillung der anfänglichen und anhaltenden Hinwendung des Geistes (zum Meditationsobjekt) in die zweite Vertiefung ein, die innere Beruhigung und Einheit des Herzens ohne anfängliche und anhaltende Hinwendung des Geistes enthält, und verweilt darin, mit Verzückung und Glückseligkeit, die aus der Konzentration entstanden sind. Brahmane, auch dies nennt man einen Fußabdruck des Tathāgata, etwas, woran der Tathāgata gekratzt hat, etwas, das den Abdruck des Tathāgata trägt, aber ein edler Schüler kommt noch nicht zu dem Schluss: ,Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, das Dhamma ist vom Erhabenen wohl verkündet, die Sangha praktiziert gut.‘“

21. „Wiederum tritt ein Bhikkhu mit dem Verblassen der Verzückung, in Gleichmut verweilend, achtsam und wissensklar, voll körperlich erlebter Glückseligkeit, in die dritte Vertiefung ein, von der die Edlen sagen: ,Glückselig verweilt derjenige, der voll Gleichmut und Achtsamkeit ist‘, und verweilt darin. Brahmane, auch dies nennt man einen Fußabdruck des Tathāgata, etwas, woran der Tathāgata gekratzt hat, etwas, das den Abdruck des Tathāgata trägt, aber ein edler Schüler kommt noch nicht zu dem Schluss: ,Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, das Dhamma ist vom Erhabenen wohl verkündet, die Sangha praktiziert gut.‘“

22. „Wiederum tritt ein Bhikkhu mit dem Überwinden von Glück und Schmerz und dem schon früheren Verschwinden von Freude und Trauer, in die vierte Vertiefung ein, die auf Grund von Gleichmut Weder- Schmerzhaftes-noch-Angenehmes und Reinheit der Achtsamkeit in sich hat, und verweilt darin. Brahmane, auch dies nennt man einen Fußabdruck des Tathāgata, etwas, woran der Tathāgata gekratzt hat, etwas, das den Abdruck des Tathāgata trägt, aber ein edler Schüler kommt noch nicht zu dem Schluss: ,Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, das Dhamma ist vom Erhabenen wohl verkündet, die Sangha praktiziert gut.‘“

Auszug Mittlere Sammlung 31
Die kürzere Lehrrede bei Gosinga

14. „Gut, gut, Anuruddha. Aber gibt es noch irgendeinen anderen übermenschlichen Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, das ihr erlangt habt, indem ihr jenes Verweilen übertraft, indem ihr jenes Verweilen zum Aufhören brachtet?“

„Warum nicht, ehrwürdiger Herr? Ehrwürdiger Herr, wann immer wir wollen, treten wir mit dem völligen Überwinden der Formwahrnehmung, mit dem Verschwinden der Wahrnehmung der Sinneseinwirkung, mit Nichtbeachtung der Vielheitswahrnehmung, indem wir uns vergegenwärtigen ,Raum ist unendlich‘, in das Gebiet der Raumunendlichkeit ein und verweilen darin. Ehrwürdiger Herr, dies ist ein übermenschlicher Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, welches wir erlangt haben, indem wir das vorhergehende Verweilen übertrafen, indem wir jenes Verweilen zum Aufhören brachten.“

15. „Gut, gut, Anuruddha. Aber gibt es noch irgendeinen anderen übermenschlichen Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, das ihr erlangt habt, indem ihr jenes Verweilen übertraft, indem ihr jenes Verweilen zum Aufhören brachtet?“

„Warum nicht, ehrwürdiger Herr? Ehrwürdiger Herr, wann immer wir wollen, treten wir mit dem völligen Überwinden des Gebiets der Raumunendlichkeit, indem wir uns vergegenwärtigen ,Bewusstsein ist unendlich‘, in das Gebiet der Bewusstseinsunendlichkeit ein und verweilen darin. Ehrwürdiger Herr, dies ist ein übermenschlicher Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, welches wir erlangt haben, indem wir das vorhergehende Verweilen übertrafen, indem wir jenes Verweilen zum Aufhören brachten.“

16. „Gut, gut, Anuruddha. Aber gibt es noch irgendeinen anderen übermenschlichen Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, das ihr erlangt habt, indem ihr jenes Verweilen übertraft, indem ihr jenes Verweilen zum Aufhören brachtet?“

„Warum nicht, ehrwürdiger Herr? Ehrwürdiger Herr, wann immer wir wollen, treten wir mit dem völligen Überwinden des Gebiets der Bewusstseinsunendlichkeit, indem wir uns vergegenwärtigen ,da ist nichts‘, in das Gebiet der Nichtsheit ein und verweilen darin. Ehrwürdiger Herr, dies ist ein übermenschlicher Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, welches wir erlangt haben, indem wir das vorhergehende Verweilen übertrafen, indem wir jenes Verweilen zum Aufhören brachten.“

17. „Gut, gut, Anuruddha. Aber gibt es noch irgendeinen anderen übermenschlichen Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, das ihr erlangt habt, indem ihr jenes Verweilen übertraft, indem ihr jenes Verweilen zum Aufhören brachtet?“

„Warum nicht, ehrwürdiger Herr? Ehrwürdiger Herr, wann immer wir wollen, treten wir mit dem völligen Überwinden des Gebiets der Nichtsheit in das Gebiet von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung ein und verweilen darin. Ehrwürdiger Herr, dies ist ein übermenschlicher Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, welches wir erlangt haben, indem wir das vorhergehende Verweilen übertrafen, indem wir jenes Verweilen zum Aufhören brachten.“

 

18. „Gut, gut, Anuruddha. Aber gibt es noch irgendeinen anderen übermenschlichen Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, das ihr erlangt habt, indem ihr jenes Verweilen übertraft, indem ihr jenes Verweilen zum Aufhören brachtet?“

„Warum nicht, ehrwürdiger Herr? Ehrwürdiger Herr, wann immer wir wollen, treten wir mit dem völligen Überwinden des Gebiets von Weder-Wahrnehmung-noch- Nichtwahrnehmung in das Aufhören von Wahrnehmung und Gefühl ein und verweilen darin. Und unsere Triebe sind vernichtet durch unser Sehen mit Weisheit. Ehrwürdiger Herr, dies ist ein übermenschlicher Zustand, Klarheit des Wissens und der Schauung, die der Edlen würdig ist, ein angenehmes Verweilen, welches wir erlangt haben, indem wir das vorhergehende Verweilen übertrafen, indem wir jenes Verweilen zum Aufhören brachten. Und, ehrwürdiger Herr, wir sehen kein anderes angenehmes Verweilen, das höher oder erhabener als dieses ist.“

„Gut, gut, Anuruddha, es gibt kein anderes angenehmes Verweilen, das höher oder erhabener als dieses ist.“

Die erste und zweite meditative Vertiefung
Teil 1

Zu Beginn zitiere ich den ersten Abschnitt der Lehrrede über die meditativen Vertiefungen, bevor ich die Erklärungen dazu ausführe: „Nachdem er so diese fünf Hindernisse überwunden hat, die Unvollkommenheiten des Geistes, die die Weisheit schwächen, tritt er ganz abgeschieden von Sinnesvergnügen, abgeschieden von unheilsamen Geisteszuständen, in die erste meditative Vertiefung ein, die von anfänglicher und anhaltender Hinwendung des Geistes begleitet ist, und verweilt darin mit Verzückung und Glückseligkeit, die aus der Abgeschiedenheit entstanden sind. Brahmane, dies nennt man einen Fußabdruck des Tathāgata, etwas, woran der Tathāgata gekratzt hat, etwas, das den Abdruck des Tathāgata trägt, aber ein edler Schüler kommt noch nicht zu dem Schluss: ,Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, das Dhamma ist vom Erhabenen wohl verkündet, die Sangha praktiziert gut.‘“

Die erste meditative Vertiefung ist also noch nicht das Ende des Weges. Der Weg zur Konzentration, den der Buddha lehrte, besteht in der Ansammlung von edler Tugend, das heißt, die Tugendregeln befolgen und genügsam sein in der Sinneskontrolle, in der Achtsamkeit, in der Wissensklarheit sowie in dem Aufgeben der fünf Hindernisse zur Zeit der Meditation, was bedeutet, nicht zu denken.

Bei den Hindernissen, die am Anfang dieses Absatzes erwähnt werden, sollten wir uns ins Gedächtnis rufen, dass sie unseren Geist schwächen. Je öfter wir sie zulassen, desto schwächer wird er. Die Schwäche besteht darin, dass der Geist weder klar sehen kann noch einspitzig ist. Vor allen Dingen fehlt die Läuterung, sodass ständig zu viel unnötiger Ballast im Geist herumschwirrt.

Der Begriff „abgeschieden“ wird immer im Zusammenhang mit der ersten meditativen Vertiefung verwendet. Weil jedoch manchmal der Zusatz „von Sinnesvergnügen“ oder „von unheilsamen Geisteszuständen“ fehlt, glauben Menschen, die das lesen oder auch hören, dass sie unbedingt woanders sein müssten, als sie sich gerade befinden. Natürlich ist es hilfreich, bei einem intensiven Meditationskurs die Fähigkeit der Konzentration in sich zu verankern, aber dies sollte dann auch zu Hause möglich sein. In einer äußerlich abgeschiedenen Situation können wir lernen, das in einem intensiven Meditationskurs Gelernte wieder aufzufrischen, sodass wir gestärkt werden. Jedoch müssen wir weder abgeschieden von unserer Familie noch von unserem Job sein; auch müssen wir nicht in den Wald gehen. Wir sollten jedoch in der Lage sein, die Sinnesvergnügen und die unheilsamen Geisteszustände auch dann loszulassen, wenn wir im Alltag zu Hause meditieren und das im Meditationskurs Gelernte und Geübte fortsetzen wollen, auch wenn es uns schwer fallen sollte.

Wir können die erste meditative Vertiefung von drei Aspekten aus betrachten: Zum einen ist es die praktische Seite, zum anderen das Gemütsbewegende und als Drittes kommt die Einsicht, die aus der meditativen Vertiefung entsteht. Der praktische Aspekt ist für diejenigen von Bedeutung, die die erste meditative Vertiefung noch nicht gemacht haben oder vielleicht gar nicht wissen, was sie ist. Dieser Aspekt wird in der Lehrrede beschrieben mit: „Die erste meditative Vertiefung, die von anfänglicher und anhaltender Hinwendung des Geistes begleitet ist“, was auf Pāli vitakka-vicāra heißt. Das bedeutet, dass wir uns zu Beginn der Meditation zum Meditationsobjekt hinwenden müssen. Wenn wir nicht konzentriert sind, so wiederholen wir ständig das Hinwenden zum Meditationsobjekt, entweder zum Atem oder zur Gehmeditation oder zur liebenden Güte oder zum Körper bei der Stück-für-Stück Methode. Dieses wiederholte Sichhinwenden zum Meditationsobjekt ist ein automatisches Gegenmittel gegen Lässigkeit und Trägheit des Geistes, das dritte unserer fünf Hindernisse. Natürlich können wir uns im Alltag nicht auf dieses Hilfsmittel in der Meditation verlassen. Denn wie oft und wie lange meditieren wir im Alltag? Auch in der Zeit außerhalb der Meditation müssen wir etwas gegen die Unlust und die Unzufriedenheit tun. Trotzdem haben wir hier für die Meditation ein ausgezeichnetes Hilfsmittel.

Auf die anfängliche Hinwendung folgt die anhaltende Hinwendung des Geistes, denn nur durch längere Konzentration können wir in die erste meditative Vertiefung gelangen. Die anhaltende Hinwendung ist das automatische Hilfsmittel gegen den Zweifel, das fünfte Hindernis. Kann sich der Geist dem Meditationsobjekt anhaltend zuwenden, dann sagt er ganz klar: „Schau, ich kann es ja doch!“ Damit endet zwar die Konzentration, aber wenn wir dies schon einmal gekonnt haben, dann können wir uns ja wieder konzentrieren. Der Geist gibt auch nur beim ersten Mal diese Kommentare ab. Auf jeden Fall hilft uns dieses Erleben sehr, den Zweifel an dem Pfad, an der Meditationsmethode oder an des Buddhas spirituellem Genie loszulassen. Erst wenn wir selbst in eine Mango gebissen haben, wissen wir fraglos, wie sie schmeckt. Bis dahin haben wir uns darauf verlassen müssen, was uns andere darüber erzählt haben. Das konnten wir entweder glauben oder auch nicht. Jedoch vermittelt das Hören davon nicht den Geschmack, dies kann nur das eigene Erleben tun.

Sobald der Zweifel kleiner wird, vergrößert sich das Vertrauen. Das wiederum führt dazu, dass sich Liebe und Hingabe vermehren, denn Vertrauen, Liebe und Hingabe gehen Hand in Hand. Je mehr Vertrauen und Hingabe vorhanden sind, desto leichter fällt uns die Meditation. Mit Liebe und Hingabe wird auch das ganze Leben bedeutend einfacher als mit Zweifelsucht. Zweifel bedeutet nichts glauben, sondern immer wieder irgendetwas finden wollen, das nicht ganz stimmt, was aber nicht dasselbe ist wie untersuchen. Die mit Zweifel behafteten Fragen beginnen meistens mit: „ja, aber“. Der Buddha hat empfohlen, weder zu glauben noch zu zweifeln, sondern selbst auszuprobieren. Dazu benötigen wir Vertrauen. Je weniger wir zweifeln, desto mehr können wir vertrauen und uns hingeben.

Bei der anhaltenden Hinwendung des Geistes kann in praktischer Hinsicht Folgendes gesagt werden: Wir beginnen die Meditation mit liebender Güte für uns selbst, sodass wir uns sicher und geborgen fühlen, wobei auch Dankbarkeit sehr hilfreich sein kann. Dazu können wir Dankbarkeit dafür empfinden, dass wir die Gelegenheit haben zu meditieren. Während der Meditation etikettieren wir jeden aufkommenden Gedanken, sodass diese immer wieder zerbrechen. Wir geben uns dem Atem hin und fühlen uns darüber beglückt, dass der Atem immer weiter existiert. Und wir lassen die Welt fallen. Dazu sage ich immer: Die Welt will in diesem Moment nichts von uns, wieso wollen wir etwas von ihr? Alles läuft wunderbar ohne uns weiter. Ist das nicht herrlich, wie alles so weiterläuft und wir müssen gar nicht dabei sein? Wieso müssen wir an irgendetwas denken, was mit der Welt zu tun hat? Es ist total unnötig, sich mit den Gedanken in die Welt hinein zu begeben, wenn wir meditieren wollen. All das sind praktische Hilfsmittel, die es dem Geist erleichtern, einmal länger beim Atem zu bleiben.

In der Lehrrede heißt es weiter: „Und verweilt darin mit Verzückung und Glückseligkeit, die aus der Abgeschiedenheit entstanden sind.“ Wie ich bereits erwähnt habe, ist es ein Trugschluss zu meinen, das Wort „Abgeschiedenheit“ bedeute, dass wir ganz woanders sein müssten. Im Gegenteil, denn, wenn ein Mensch die erste meditative Vertiefung schon längere Zeit praktiziert und sie ganz automatisch kann, dann kann er sie sogar unter allen Umständen erleben. Die Abgeschiedenheit bedeutet einzig und allein, dass wir uns von den Sinnesvergnügen und den unheilsamen Geisteszuständen für die Zeit der Meditation absondern. Daraus können wir entnehmen, dass die Meditation ein erstklassiges Läuterungsmittel darstellt, wenn sie länger anhält und wir sie immer wieder üben. Denn sie funktioniert nämlich nur, wenn wir die Sinnesvergnügen und die unheilsamen Geisteszustände zur Zeit der Meditation aufgeben. Wenn es sich nur um eine Sekunde handelt, dann haben wir eine Sekunde der Läuterung. Wenn es sich um eine Stunde handelt, dann haben wir natürlich viel mehr Läuterung.

Da diese Läuterung automatisch geschieht, steht kein Krampf dahinter, weder: „Ich muss“, noch: „Jetzt muss ich alles aufgeben“, noch: „Jetzt muss ich der Welt entsagen.“ Die Läuterung geschieht automatisch, wenn wir wirklich meditieren, das heißt die meditativen Vertiefungen erleben. Dieser Punkt der automatischen Läuterung in den meditativen Vertiefungen ist vielleicht der wichtigste, denn es ist kein reines Vergnügen, wenn wir uns immer wieder mit dem eigenen Hass und der eigenen Gier herumschlagen. Wenn wir die meditativen Vertiefungen immer wieder praktizieren und uns selbst genau beobachten, dann wird uns diese automatische Läuterung auch selbst nach einiger Zeit der Praxis klar. Und es wird uns bewusst, dass etwas geschehen ist, worüber wir uns freuen können. Je mehr wir uns freuen, desto mehr Vertrauen und Liebe zum Pfad empfinden wir und können nicht mehr davon abgebracht werden.

Das anhaltende Hinwenden zum Meditationsobjekt müssen wir so lange üben, bis der Atem entweder nicht mehr zu finden ist oder aber so fein wird, dass wir ihn kaum noch spüren. Das ist dann ein ganz deutliches Zeichen dafür, dass die Konzentration stark genug geworden ist, um nach innen zu gehen. In diesem Moment geschieht es häufig, dass das entzückende Empfinden der ersten meditativen Vertiefung spontan hochkommt. Möglicherweise haben wir uns aber auch schon so lange mit dem Atem abgegeben, dass wir dies immer weiterführen wollen, obwohl es gar nicht mehr nötig wäre in dem Moment. Stattdessen können wir dann absichtlich nach innen gehen und dort die Empfindungen wahrnehmen. Dieses In-sich-hinein-Gehen könnten wir damit vergleichen, dass wir uns in die Mitte unseres Körpers begeben.

Das Empfinden, das dabei hochkommt, hat viele verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten sowie Stärken: Es kann schwach, mittelmäßig oder stark sein; es kann überwältigend oder ansatzmäßig sein, wie ausgeprägt auch immer die Konzentration ist. Am häufigsten kommen die folgenden Wahrnehmungen vor: Leichtigkeit des Körpers, die Körpergrenzen lösen sich auf, innere Wärme, die sich ausbreitet, ein Kribbeln, Rieseln, ein Gefühl, als ob wir uns erheben. Manchmal fühlt es sich so an, als ob uns die Körperhaare zu Berge stehen. Auf jeden Fall ist die Empfindung entzückend, denn sonst handelt es sich um etwas anderes und ist somit kein geeignetes Meditationsobjekt. Im Allgemeinen müssen wir zu diesem Erleben keine Fragen stellen, denn wir spüren selbst, ob es entzückend ist.

Die entzückende Empfindung wird in dieser Lehrrede mit Verzückung bezeichnet. Das Wort „Verzückung“ ist zwar eine korrekte Übersetzung, aber dennoch nicht ganz bezeichnend, weil Verzückung eher ein emotionales Gefühl ist, wir jedoch in dem Moment noch mit dem körperlichen Empfinden beschäftigt sind. Wir richten die Achtsamkeit einzig und allein auf diese körperliche Empfindung. Sollten wir die entzückende Empfindung nur an einer kleinen Stelle spüren, was manchmal vorkommen kann, so müssen wir uns damit beschäftigen, die Empfindung langsam, sanft und liebevoll Schritt für Schritt über uns auszubreiten, sodass sie sich dann eines Tages über den ganzen Körper verbreitet und zu spüren ist.

Diesen ersten Schritt nenne ich „über die Schwelle treten“. Dabei lassen wir jegliche Methode los und erfahren ein erstes Erleben des inneren Seins. Dieses Erleben des inneren Seins muss natürlich weiterhin geübt werden, ehe es weitergeht und sich in den weiteren meditativen Vertiefungen fortpflanzt. Dies ist sozusagen die Eintrittshalle. Beim ersten Mal sagt der Geist vielleicht: „Was war denn das? Das ist aber nett, das möchte ich wiederhaben.“ Damit ist das Erleben beendet, und wir müssen von vorne beginnen. Das heißt, dass jeder Gedanke die meditative Vertiefung beendet. Jedoch ist die erste meditative Vertiefung noch nicht so tief, dass wir keinen Gedanken mehr haben könnten, aber wir sollten diese so schnell wie möglich loslassen und immer wieder zu der Empfindung zurückkehren.

 

Wenn wir dies öfter geübt haben und auch schon weiter als bis zur ersten meditativen Vertiefung gekommen sind, dann können wir das ohne Weiteres immer wieder erleben. Sobald der Geist abschweift, können wir sofort zu der entzückenden Empfindung zurückkehren. Sollte uns dies nicht gelingen, dann beginnen wir von Neuem mit dem Atem. Vielleicht fällt es uns auch leichter, mit der Liebenden-Güte-Meditation dorthin zu kommen. Welchen Weg wir wählen, ist unwichtig, denn es sind alles nur Methoden, was der Buddha wohl als Einziger so benannt hat.

Jede Methode bezweckt entweder Ruhe oder Einsicht, weiter nichts. In der ersten meditativen Vertiefung erleben wir den Anfang der Ruhe. Die Methode ist sozusagen der Schlüssel, den wir in das Schlüsselloch stecken, um die Tür aufzuschließen und über die Schwelle zu treten. Dann finden wir in uns etwas, von dem wir – wenn wir es noch nie gemacht haben – gar nicht wussten, dass es in uns existiert. Weshalb weiß die Menschheit im Ganzen nicht, dass das existiert? Das ist ein interessantes Phänomen und je mehr Bücher ich über religiöse Pfade lese, desto mehr wird mir bewusst, dass dieser Weg verschüttet worden ist. Dabei lese ich nicht nur buddhistische Bücher, sondern auch die von anderen Religionen. Dieser Weg ist in allen Religionen vorhanden und ist fast überall verloren gegangen. Ich vermute, dass der Grund dafür darin liegt, dass es den Menschen zu mühsam vorkam. Manche Menschen kommen sehr schnell in die meditativen Vertiefungen. Sehr oft erinnern sich diejenigen, die das sehr schnell können, an Kindheitserlebnisse, wo sie das erlebt haben, ohne natürlich zu wissen, was das war. Dann haben sie es jedoch wieder verloren, weil die Welt auf sie einstürmte.

Dies ist der Pfad des Geistes, und Meditation ist die Wissenschaft des Geistes mit ihrer eigenen Terminologie. Wir alle können die Anweisungen nachvollziehen, wenn wir gewillt sind, uns der Sache hinzugeben, wie wir das bei jeder anderen Wissenschaft auch tun. Die Meditation ist erklärbar, wiederholbar, und jeder menschliche Geist, der fähig ist, sich zu konzentrieren, kann diesen Weg gehen. Dazu gehört auf der gemütsbetonten Ebene, also auf der zweiten, dass viele Menschen unterschwellig einen Weg suchen, der sie heraushebt aus dem, was ich immer die Marktplatzmentalität nenne. Dort stürmt die Dualität auf uns ein, und wir geraten immer wieder in Versuchung, in dieser Dualität uns selbst, das Ich, zu finden. Denn das ist natürlich in der Dualität, in dieser Relativität, in der wir leben, vorhanden. Suchende Menschen gibt es heutzutage mehr als noch in der jüngeren Vergangenheit.

Die meditative Vertiefung ist der Weg des menschlichen Geistes, und er wurde von vielen christlichen Mystikern im Mittelalter praktiziert, die jedoch andere Worte als der Buddha dafür verwendet haben, aber es handelt sich um genau dasselbe. Interessanterweise erleben es auch Menschen zufällig, aber dann wissen sie natürlich nicht, was das war. Sie suchen einen Zugang dazu, weil dieser ihnen nicht bewusst war, denn es ist ja zufällig gekommen. Wir müssen nicht auf einen Zufall warten, denn es ist keine Glückssache, sondern es ist die Fähigkeit zur Konzentration, weiter nichts. Es beginnt damit, dass wir unsere Achtsamkeit auf den Atem oder auf liebende Güte lenken und dann weitermachen.

Dem Erleben dieses Entzückens müssen auf der praktischen Ebene drei Dinge folgen, was für alle meditativen Vertiefungen und sogar für jegliche Meditation gilt. Noch bevor die Zeit der Meditation abgelaufen ist oder aber sobald wir die Konzentration verloren haben, rekapitulieren wir, wie wir dahin gekommen sind, bevor wir nach der Meditation die Augen öffnen. Diesen Punkt untersuchen wir besonders dann, wenn wir denken, dass die Meditation besser war als sonst. Dazu können wir uns folgende Fragen stellen: Haben wir vor oder während der Meditation irgendetwas anders gemacht als sonst? Haben wir länger Liebende-Güte-Meditation für uns selbst gemacht? Waren wir vor der Meditation achtsamer als sonst? Haben wir bei der Meditation anders gesessen? Oder haben wir etwas anderes gegessen? Wir erinnern uns so gut wie möglich an jedes Hilfsmittel, das der Meditation vorangegangen ist, sodass sie keine Glückssache ist, sondern ein bewusster Weg dorthin, den wir immer wieder einschlagen können. Eines Tages ist der Weg so klar, dass wir das Rekapitulieren nicht mehr benötigen. Aber zu Beginn ist es sehr hilfreich, besonders wenn es uns noch schwerfällt, die meditative Vertiefung zu erleben.

Als Zweites stellen wir fest: Auch das ist vergänglich. Haben wir dieses Entzücken erlebt, so ist es unumgänglich nötig zu sehen, wie auch das auseinanderfällt. Meistens freuen wir uns darüber, dass unsere Knieschmerzen oder die Rückenschmerzen oder der Ärger vergänglich sind. Dass jedoch das Angenehme genauso vergänglich ist, müssen wir uns erst vor Augen halten und nicht einfach oberflächlich sagen: „Ich weiß schon, auch das ist vergänglich; ich kann es ja wieder machen.“ Darum geht es nicht. Wir können zwar etwas Ähnliches wiederholen, aber nie wieder dasselbe. Was wir zu der Zeit der konzentrierten Meditation erlebt haben, wie kurz oder lang es immer gewesen sein mag, ist zu Ende. Das sollten wir in einer solchen Tiefe erkennen, dass uns die Vergänglichkeit in Fleisch und Blut übergeht und sie überhaupt keine Frage mehr darstellt. Dann wissen und erleben wir auf einer tiefen Ebene, dass alles, was wir berühren oder womit wir uns beschäftigen oder was überhaupt existiert, immerzu vergeht. Alles fließt. Hier bei den meditativen Vertiefungen ist es wichtig zu erkennen, wie auch diese wegfließen.

Als Drittes fragen wir uns: Was lernen wir aus diesem Erlebnis? Der Geist ist geneigt zu sagen: „Das war schön! Das ist ja besser, als den Atem zu beachten. Das werde ich gleich wieder machen.“ Das ist jedoch kein Lernschritt, sondern Begierde, die wir als solches erkennen sollten. Wenn wir uns nämlich auf irgendeiner Ebene auf Begierde einlassen, auch wenn wir glauben, sie sei noch so spirituell, so bleibt es immer noch Begierde, die neue Begierden ermöglicht und hervorruft. Hier werden immer wieder Fehler gemacht, vor allen Dingen wenn wir glauben, dass spirituelle Begierden berechtigt seien und nicht schaden. Aber Begierde ist Begierde, egal, ob sie spirituell oder weltlich ist.

Bei dem dritten Schritt handelt es sich um die Einsichtsebene, die von größter Wichtigkeit ist. Der Einsichtsschritt geschieht im Prinzip automatisch, denn ein Geist, der öfter die meditative Vertiefung erlebt, will wissen, was das bedeutet, und will erkennen. Ein Geist, der sich schon konzentrieren kann, hat bereits Einspitzigkeit in sich gefördert, und ein einspitziger Geist kann etwas durchdringen. Das ist wie bei einem Werkzeug, dessen Spitze wir schärfen, damit es besser funktionieren kann.

Zunächst erkennen wir durch die Konzentration, dass wir ein ganz anderes Körpergefühl in uns tragen als das Körpergefühl, das wir sonst spüren. Das neue Körpergefühl ist vollkommen unabhängig von Krankheit oder Schmerzen, es hängt lediglich von der Konzentration des Geistes ab. Dieses entzückende Gefühl, das wir in uns tragen, zeigt uns auch, dass wir schon bei der ersten meditativen Vertiefung eine neue Ebene berühren, die ganz anders ist als die weltliche Ebene, bei der wir unseren Körper im Allgemeinen mit seiner Schwere, mit seinen Schwierigkeiten, mit seinen Fähigkeiten und auch mit seinen Unfähigkeiten erleben. In der ersten meditativen Vertiefung erleben wir bereits ein anderes Bewusstsein und damit auch einen anderen Körper, der zwar genauso aussieht wie immer, aber das Körpergefühl hat sich stark verändert. Das ist ein eindringlicher Beweis dafür, dass das Bewusstsein alles ist, worauf es ankommt. Dieses Erleben überträgt sich dann auf den Körper, sodass sich dieser ganz anders anfühlt.