Smartphone Sweetheart

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Smartphone Sweetheart

1  Smartphone Sweetheart

2  1 – Ein Telefonbuch und H. G. Wells

3  2 – John Doe und Mr. M

4  3 – Ein Hauch von Nähe

5  4 – Hals über Kopf

6  5 – Hi!

7  6 – Wir sollten umziehen!

8  7 – Ein Virus namens Liebe

9  8 – Küsse in der Dunkelheit

10  9 – Im Rausch

11  10 – Geständnisse

12  11 – Ja, das ist es

Smartphone Sweetheart

Ava Patell & Kim Pearse

Gay Romance

Ava Patell & Kim Pearse

c/o

Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

Titelfoto mit freundlicher Genehmigung von: www.pixabay.com

1 – Ein Telefonbuch und H. G. Wells

»Weißt du, genau das ist dein Problem.«, meinte Hanni jetzt und setzte damit das Gespräch fort, das sie bisher geführt hatten, während sie an ihrem Whisky nippte. Das war eine der vielen Sachen, die er so an ihr liebte. Er kannte sonst keine Frau, die sich so gut im Whisky-Segment auskannte wie sie. Sie hasste Cocktails. Wo andere Frauen mit Vorliebe Süßes oder Sahniges bestellten, das in schillernd bunten Farben daherkam, griff sie auf die bernsteinfarbene, hochprozentige Flüssigkeit mit dem rauchigen Aroma und der öligen Konsistenz zurück.

Deprimiert rührte er mit dem Strohhalm in seinem Glas herum. Das Seufzen kam tief aus seiner Kehle und Hanni neben ihm grummelte. Sie hatte sich ihr langes, straßenköter-blondes Haar zu einem Messi-Bun auf dem Kopf zusammen gebunden. Hanni war eine besondere Person. Sie war groß für eine Frau, sie hatte lange Beine, ihre Hüfte war eine Spur zu schmal, ihre Brüste etwas zu groß. Außerdem hatte sie ein kesses Mundwerk. Ihre Nase war klein, ihre Lippen voll und ihre Augen standen vielleicht eine Spur zu weit auseinander, aber vielleicht war es gerade das, was ihre Ausstrahlung ausmachte. Aus ihrer Frisur hatten sich über den Verlauf des Tages einige Strähnen gelöst und es sah dennoch so aus als wäre es gewollt. Über ihrem schlichten, grauen Shirt trug sie eine weiße Strickjacke im Oversized-Look und dazu Skinny-Jeans. Ihre Füße steckten in glänzenden, schwarzen Turnschuhen. Seine beste Freundin wusste einfach, wie man sich kleidete.

»Du bist eben einfach nicht wirklich sexy.«, konstatierte sie jetzt weiter, während sie den Whisky im Glas schwenkte. Er sah sie an und hob eine Augenbraue.

»Wow. Danke. Du verstehst es wirklich, mich aufzubauen, Hanni.«, meinte Emmett.

Sie gluckste. »Ach komm, Em. Als wäre das was Neues für dich. Du bist niedlich. Das ist ja nichts Schlimmes. Aber du bist eben nicht sexy. Nicht sehr. Und das fehlt eben vielen Männern.« Sie lächelte aufmunternd und Emmett fragte sich, wann genau in den letzten Minuten ausgerechnet sie zur Männer-Versteherin schlechthin mutiert war.

»Aber das ist doch auch nicht schlimm. Du musst nur den einen Mann finden, der weniger auf sexy steht, sondern mehr auf niedlich. Einen...mit einem Helferkomplex oder so was. Wie wäre es...mit dem Papst?«

Nun musste Emmett doch lachen. Sie war nicht auf den Mund gefallen und sie verstand es, ihn auch jetzt noch zum Lachen zu bringen. Nach dem vierten Korb in drei Monaten. Er würde sich einfach damit abfinden, Single zu bleiben. Es gab genug Katzen im Tierheim, die er sich in die Wohnung holen konnte, um als verschroben gelten zu können.

»Ich denke nicht, dass der Papst auch nur halbwegs mein Alter hat.«

Sie kicherte. »Wenn er so aussehen würde wie Jude Law in ›The Young Pope‹ wäre es doch glatt eine Überlegung wert, oder?«

Da konnte er nicht widersprechen. »Aber der Papst ist im Moment leider Papst Franziskus und der ist 81 Jahre alt.«

Sie winkte ab und verzog das Gesicht, während sie an ihrem Drink nippte. »Bäh. Hör mir auf mit deinem viel zu großen Allgemeinwissen. Das ist noch so eine Sache. Niemand mag Besserwisser.« Mit dem Zeigefinger deutete sie auf ihn.

Emmett schob die Unterlippe vor. »Ich lese eben gerne.« Nicht nur das, Bücher waren sprichwörtlich sein Leben.

»Ja, ja. Und ich mag das ja auch an dir. Aber das schreckt die Kerle ab.«

Er runzelte die Stirn und sah sie fragend an. »Wieso das denn?«

Sie sah für einen Moment in ihr Glas und schien nachzudenken. Ihre Stirn legte sich in Falten. »Weißt du, was ich mich schon immer gefragt habe? Wie die so ein Fass herstellen für Whisky. Damit der darin gelagert werden kann…«

Er hob eine Augenbraue. Das war ein abrupter Themenwechsel, aber auch das war er nach so vielen Jahren Freundschaft gewohnt. Auch wenn es ihm immer noch schwerfiel, diesen heftigen Themenwechseln zu folgen. »Also das ist wirklich interessant. Es beginnt mit der Auswahl des richtigen Holzes. Echter schottischer Whisky und Kentucky Straight Bourbon dürfen nur in Eichenfässern gelagert werden. Und da gibt es zwei Eichenarten, die hauptsächlich verwendet werden. Einmal die amerikanische Weißeiche und dann die...« Er stutzte, da Hanni ihn unbeweglich mit großen Augen abwartend ansah.

»Was?« , fragte er irritiert.

Sie gluckste. »Okay. Keine weiteren Fragen. Das scheucht dann auch noch die Typen auf, die vorher auf deinen Niedlichkeitsfaktor angesprungen sind. Niedlich und schlau, das passt wirklich nicht zusammen.«

Er grummelte und machte kleine Blasen in seiner Cola. Emmett hatte wirklich keine Ahnung, ob sie nun wirklich etwas von Männern verstand oder sich das alles einfach nur zurechtlegte.

»Ja, siehst du? Niedlich. Ich will dich ständig in den Arm nehmen.« Sie kicherte. Dann lehnte sie sich zu ihm. »Nein, aber mal im Ernst. Du bist gut so wie du bist. Nur manchmal denke ich...dir fehlt ein wenig Spontaneität.« Er sah sie an.

»Hanni, ich mag mein Leben eben geordnet.«

Sie winkte ab. »Das meine ich ja auch nicht. Aber wann... Wann hast du das letzte Mal etwas gemacht, das nicht ganz so... sicher ist?«

Einen Moment überlegte Emmett, strich sich durch das Haar. »Ich bin letzte Woche bei Rot über eine Ampel gelaufen.«, fiel ihm dann ein und sie ließ für eine Sekunde den Kopf auf die Tischplatte sinken. Ein Ausdruck purer Verzweiflung.

»Oh Gott...«, stöhnte sie gequält. Dann ruckte ihr Kopf wieder hoch. »Ich hab eine Idee!« Im nächsten Moment sprang sie auf und lief die paar Schritte zur Bar. Da sie hier Stammgäste waren, war der Barkeeper Heath nicht im Mindesten überrascht als ihn Hanni um ein Telefonbuch bat. Viel überraschender war der Umstand, dass er tatsächlich eines unter der Bar hervorkramte. Wer benutzte so was heute noch? Es sah alt aus, zerpflückt und ziemlich abgenutzt. Hanni lächelte, schlug es willkürlich auf und riss eine Seite heraus.

»Hey!«, schimpfte der Barkeeper, doch als sie ihm eine Kusshand zuwarf, schüttelte er nur lächelnd den Kopf und sah ihr nach, als sie zurück an den Tisch ging und sich setzte. Dann griff sie nach Emmetts Handy. Der blinzelte.

»Sag mal, was machst du da?« Sie rief sein Nachrichtenprogramm auf und tippte eine Nummer ein. Dann knüllte sie die Seite zusammen.

»Wir wissen beide nicht, wem die Nummer gehört, aber du schreibst jetzt eine Nachricht dahin. Egal was. Das überlasse ich dir. Los.«

Er starrte auf sein Handy. Dann auf Hanni. »Du hast 'nen Knall. Ich bin 28 Jahre alt. Ich bin zu alt für solche Art von Streichen. Das ist doch...kindisch.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Spontan. Etwas wagen. Schon vergessen? Und damit tut man doch niemandem weh. Sieh es als eine Art Therapie an. Kleine Schritte und so ein Kram. Über deinen eigenen Schatten springen. Oder wie man das sonst noch so nennt.«

Emmett sah auf seine Uhr, trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum und konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, einem wildfremden Menschen um diese Uhrzeit eine Art Klingelstreich der Neuzeit zu spielen.

»Es ist bereits halb elf. Was, wenn der- oder diejenige schon schläft? Oder...«

»Oh um Himmels Willen, Em! Jetzt mach einfach! Schreib!«

Er hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Sich für die nächsten Wochen anzuhören was für ein Hasenfuß er war oder das Handy zu nehmen und die Nachricht zu tippen. Die zweite Lösung wäre einfacher bei einer Frau wie Hanni als Freundin.

»Nicht lange nachdenken.«, mahnte diese nun, während er noch seinen Gedanken nachhing. »Einfach schreiben.«

Emmett sah auf den blinkenden Cursor in dem kleinen Nachrichtenfeld. »Na gut. Schön. Du hast gewonnen.« Einen Moment überlegte er doch und zögerte erneut. Dann tippte er:

Die Errungenschaften der Zivilisation sind nur eine Anhäufung von Torheiten, die unweigerlich auf ihre Schöpfer zurückfallen und sie am Ende vernichten werden.‹ Für eine Sekunde biss er sich auf die Unterlippe. Dann tippte er auf Senden und drehte sein Handy um, legte es auf die Tischplatte.

 

»Gut. Ich hab's gemacht.« Irrationalerweise schlug ihm das Herz bis zum Hals. Es war nur eine Nachricht und dennoch fühlte er sich schlecht. Hanni kicherte.

»Und?«

Er holte tief Luft. »Ich fühle mich furchtbar.«, gestand er.

Sie lachte auf. »Aber du hast es getan und das war gut! Das war mal etwas anderes und das zeigt doch, dass du spontan sein kannst. Und das ist gut . Wir arbeiten einfach daran und du findest schon noch den Typen, der dich genau so nimmt wie du bist, Em. Und mal ganz im Ernst. Ein bisschen Spontaneität hat noch niemandem geschadet. Dann klappt es auch mit dem Traumprinzen.« Nun ja. Es war immerhin schön, dass es einen Menschen auf dieser Welt gab, der daran glaubte.

+++

Blind griff Matthew Louis nach seinem Handy. Es hatte ruhig neben ihm auf der Couch gelegen, dann kurz vibriert. Er konnte sich schon vorstellen, von wem die Nachricht war und war daher umso überraschter, als nicht der übliche Name auf seinem Display prangte, sondern eine ihm völlig unbekannte Nummer. Matthew las die Nachricht zweimal, die Augenbrauen zusammen gezogen. Welcher Irre schickte ihm denn um diese Uhrzeit ein Zitat von Herbert George Wells, einem der größten Science-Fiction-Visionäre der Welt? Und dann auch noch, ohne die Nummer zu unterdrücken. Zeitreisen und Science-Fiction-Romane waren zwar überhaupt nicht sein Ding, aber dafür hatte er ja Noah, seinen 8-jährigen Neffen, der total auf diesen Typ Geschichten ansprang. Kopfschüttelnd schob Matthew das Handy wieder auf die Couch. Sicher nur ein Streich von Glenda. Die Geschäftspartnerin seines Arbeitgebers schrieb ihm ständig Nachrichten, was er noch zu bedenken oder zu tun hatte. Er richtete seinen Blick auf den Laptopbildschirm vor sich, ging seine Präsentation für übermorgen weiter durch und entschied sich für eine andere Grafik für Seite drei. Doch seine Gedanken blieben nicht lange bei den Grafiken und Buchstaben vor ihm auf dem Bildschirm, sondern wanderten zurück zu dem so bedeutungslos scheinenden Vorfall. So ein Streich sah Glenda gar nicht ähnlich. Was, wenn sich jemand verwählt hatte? Konnte man sich in einem Nachrichtenprogramm verwählen? »Hm...«, machte Matthew leise in die Stille seines Hotel-Wohnzimmers hinein, griff nach dem hohen Glas auf dem Tisch und leerte es. Der Geschmack des Aspirins haftete noch lange an seinem Gaumen und für einen Moment verzog er den Mund. »Na schön...« Erneut griff er nach seinem Blackberry und legte die Finger auf die digitale Tastatur. »Wie war das gleich?«, murmelte er zu sich selbst, bevor er zu tippen begann.

Stärke ist das Ergebnis der Not, Schwäche ist ein Preis der Sicherheit.‹ Matthew nickte leicht. So müsste es stimmen und er zögerte nicht, die Nachricht an einen vermeintlich fremden Menschen zu schicken. Als er das Handy beiseiteschob, schüttelte er doch über sich selbst den Kopf. Er hätte gar nicht darauf eingehen sollen. Übermorgen würde ihn Glenda damit aufziehen. Wenn er sich die brünette Mittvierzigerin vorstellte, war er froh, noch knapp zwei Tage in Los Angeles zu haben, bevor er zurück musste. Er mochte seine Arbeit bei Welsh & Baker, auch wenn er sie nur als Sprungbrett ansah. In den Jahren seiner Anstellung bei dem Private Equity Unternehmen hatte er einiges gelernt, was in seinem Wirtschaftsstudium zu kurz gekommen war. Wie er Investoren dazu brachte, ihnen zu helfen, junge Unternehmen aufzunehmen oder mit ihnen gemeinsam den Börsengang zu bestreiten zum Beispiel.

Erneut wendete er seine Aufmerksamkeit der Präsentation zu, ging sie weiter durch und klappte schließlich den Laptop zu, schob ihn in die Tasche und stellte alles, was er brauchen würde, neben die Eingangstür seines Hotelzimmers. An einem Haken der Garderobe hing sein Anzug für übermorgen auf einem Bügel, sicher verstaut in einer Kleiderhülle. Matthew trat auf den kleinen Balkon, der zu seinem Zimmer gehörte, lehnte sich auf die Brüstung und ließ seinen Blick über das nächtliche L.A. gleiten.

+++

Das Handy machte sich in Emmetts Tasche bemerkbar, als er schon im Bus auf dem Weg nach Hause saß. Die Straßen waren dunkel, nur erhellt von den Laternen und den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Autos. Es hatte gleichermaßen etwas Mystisches als auch Bedrohliches, besonders da jetzt noch leichter Nieselregen einsetzte. Manchmal wünschte Emmett sich, er hätte ein Auto, wurde aber aus seinen Gedanken gerissen, als sein Handy vibrierte. Er dachte, Hanni würde ihm schreiben, aber er kannte die Nummer nicht und als er die Nachricht öffnete, schoss ihm vor Scham das Blut in die Wangen. Eine Weile sah er darauf. H. G. Wells. Die oder der Fremde hatte das Zitat also erkannt... Schon alleine das war verrückt genug, aber noch verrückter war, dass dieser Mensch auch noch geantwortet hatte. Und dann ebenfalls mit einem Zitat. Tropfen hingen an der Fensterscheibe des Busses und Emmett sah sein eigenes Spiegelbild darin. Rote Wangen. Verlegenheit und Scham.

»Ich kann so was einfach nicht, Hanni.«, flüsterte er zu sich selbst und fiel damit sicherlich unter die Rubrik ›der Irre, der des Nachts unterwegs ist und mit sich selbst spricht‹. Genau der Typ Mensch, neben dem man spät am Abend oder früh in der Nacht nicht sitzen wollte. So weit war es jetzt schon gekommen.

Bitte entschuldigen Sie. H. G. Wells war ein schlauerer Mensch als ich und hätte sich nie auf so einen kindischen Streich eingelassen.‹

Vermutlich war dies schon der nächste Schritt in seinem Irrsinn, denn er hätte es einfach gut sein lassen können. Doch diese Entschuldigung war ihm ein echtes Bedürfnis. Seine Mutter sollte nicht behaupten können, sie hätte ihn falsch erzogen. Prompt fühlte er sich besser. Mit einer Entschuldigung tat man niemandem weh. Und ihm selbst nahm diese kleine Geste das nagende, kleine, fiese Gefühl ab, das ihn belastet hatte. Er war einfach nicht spontan. Und er war auch nicht mutig. Egal was Hanni versuchte, er würde sich dahingehend wohl nie ändern, weil das einfach Teil seiner Persönlichkeit war. Und so etwas ließ sich so schnell nun einmal nicht ändern. Wenn überhaupt. Sein Blick ging wieder nach draußen. Dieses kleine Intermezzo, das für ihn aufregend gewesen war, war nun beendet.

+++

Im Bett liegend las Matthew die Nachricht, allerdings antwortete er nicht. Ein Streich also doch, aber nicht von Glenda wie er gedacht hatte, denn die hätte sich spätestens jetzt verraten und sich schon gar nicht entschuldigt oder sich selbst als kindisch bezeichnet. Er legte das Handy beiseite und nahm sich vor, nicht mehr darauf einzugehen. Ein Streich, der offensichtlich missglückt war. Tiefer rutschte er in die Laken und war bemüht darum, noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen bevor ihn am Sonntagmorgen sein Biorhythmus kurz vor neun Uhr weckte. Er verließ das Zimmer und frühstückte in der Lobby des Hotels. Das Frühstück war gut, das Ambiente angenehm und beruhigend. Seine Anstellung brachte es mit sich, dass er viel reiste, um sich mit Investoren zu treffen oder mit den Gründern von Firmen, an denen sein Chef, Henry Baker, interessiert war. Eines Tages würde das vielleicht ein Ende haben, aber noch war er auf diesen Mann angewiesen, wenn er weiter die Miete seiner Wohnung zahlen wollte. Erst als er am späten Vormittag auf sein Handy sah, um seine E-Mails zu kontrollieren, erinnerte sich Matthew an diese merkwürdige Begebenheit des gestrigen Abends. Lächelnd schüttelte er den Kopf und wandte seinen Blick aus dem Seitenfenster des Taxis, in dem er sich befand. Wahrscheinlich ein junges Mädchen, das im Beisein ihrer Freundinnen gezwungen wurde, so eine Nachricht zu schreiben oder sie hatten sich alle überlegt, wie witzig es wäre, einem Fremden zu texten. Vielleicht steckte auch eine romantische Vorstellung geprägt durch Film und Fernsehen dahinter.

Er hatte sich heute einiges vorgenommen. Wenn er schon in L.A. war und den heutigen Tag frei hatte, wollte er auch etwas von der Stadt sehen. Beverly Hills interessierte ihn weniger, aber die Crystal Cathedral kannte er noch nicht und der Taxifahrer, der vor ihm im Wagen saß und zu der leisen Musik, die das Autoradio von sich gab, den Kopf hin und her wog, hatte ihm ein Restaurant in Little Tokio empfohlen. Erst als er am Abend zurück im Hotel durch das mehr als bedrückende Fernsehprogramm schaltete, kam ihm der Gedanke an diesen unbekannten Menschen erneut. Er tauschte Fernbedienung durch Handy aus.

Bei einem Mann wie Wells, der solche Geschichten in sich getragen hat, weiß man nie, auf was er sich eingelassen hätte und auf was nicht.‹ Wieso genau er das ausgerechnet jetzt schrieb, wusste Matthew selbst nicht. Es war eine Impulshandlung. Beinahe perplex sah er auf sein Handy, als er die Nachricht abgeschickt hatte.

+++

Der Tee war kalt und hatte inzwischen einen unansehnlichen Film entwickelt. Der Käse auf seinem Brötchen wellte sich an den Ecken bereits nach oben und dennoch war auf seinem Bildschirm nicht viel mehr zu sehen als am Morgen. Tief seufzte Emmett. Er wurde durch das leise Piepsen seines Handys aus seiner Trance gerissen und sah darauf. Überrascht hob er die Augenbrauen. Er hatte mit Vielem gerechnet, aber damit sicherlich nicht. Nicht mit einer Nachricht des Fremden. Immerhin schien er oder sie ihm nicht böse zu sein. Kopfschüttelnd lächelte er über sich selbst, entdeckte das Brötchen, das dort schon seit heute Morgen auf dem Teller lag und rümpfte die Nase. Dann erhob er sich, räumte den Schreibtisch auf und schob ein paar Pommes in den Ofen. Der Tee landete im Ausguss, die Tasse stellte er in die Spüle und das Brötchen landete im Müll. Auch, wenn er im Grunde absolut dagegen war, Essen wegzuwerfen, passierte es ihm deutlich zu oft. Berufskrankheit. Die Eieruhr zeigte noch ein paar Minuten, bis die Pommes fertig wären und von der Küche aus blickte er zu seinem Handy, welches noch immer auf seinem Schreibtisch lag. Er merkte erst, dass er sich bewegt hatte, als er es wieder in die Hand nahm.

Und das waren nur die Geschichten, die er mit der Welt geteilt hat. Niemand weiß, was er noch in seinem Kopf mit sich herumgetragen hat.‹ Der Mann war seiner Zeit weit voraus gewesen und hatte mit seinen Visionen vielleicht sogar dazu beigetragen, dass die Welt heute so aussah wie sie nun einmal aussah. Etliche Meilen entfernt jedoch machte sich Matthew solche Gedanken nicht, als nur ein paar Minuten später eine Antwort auf seine Nachricht kam.

Sie würden sich sehr gut mit meinem Neffen verstehen.‹ Die Nachricht war schnell getippt und noch schneller abgeschickt. Erst als sie geschrieben stand, stutzte Matthew. Jetzt zog er auch noch seine Familie mit hinein! Entschlossen wählte er Glendas Nummer. Er musste abklären, ob das nicht doch auf ihren Mist gewachsen war.

»Ich möchte, dass du mir schwörst, dass du mir in den letzten Tagen keine Nachrichten geschickt hast, die nichts mit der Arbeit zu tun hatten.« Glenda schnaubte am anderen Ende und Matthew rollte mit den Augen. »Tu es einfach, ja?«

»Gut, schön! Ich war brav. Bist du jetzt beruhigt?«

»Hm...« Matthew war auf den Balkon des Hotelzimmers getreten und schob seine Hand auf die Brüstung. »Ja. Beruhigter zumindest.«

»Gut, dann jetzt zum Geschäftlichen. Die Präsentation steht?«

»Natürlich.«

»Hast du diese unsägliche Grafik auf Seite drei noch mal geändert?« Diesmal war es Matthew, der schnaubte.

»Weißt du, du hättest mir auch sagen können, dass sie dir nicht gefällt.« Glendas Grinsen konnte er beinahe körperlich spüren. »Ich hab sie geändert.«

»Guter Junge.«

Matthew musste lächeln. »Ich mach das hier schon und dann komme ich zurück. Gegen 17 Uhr müsste ich da sein, bist du da noch im Büro?«

»Bin ich. Dann sehen wir uns gegen fünf.« Glenda legte auf, ohne sich zu verabschieden. Eine schreckliche Marotte und wie so oft grummelte er leise, sagte ›Bis dann.‹ zu sich selbst und ließ das Handy sinken. Während Henry Baker in der Firma für den geschäftlichen Teil zuständig zu sein schien, regelte Glenda alles aus dem Hintergrund. Niemand, der Glenda Welsh kannte, würde darauf kommen, dass Henry eigentlich der Kopf der Firma war, denn bei Welsh & Baker lief nur alles so rund, weil Glenda von morgens bis abends ein Auge darauf hatte. Nicht umsonst hatte sie dafür gesorgt, dass ihr Name vor Henrys genannt wurde.

Während Matthew den Blick vom Fernseher abwandte und über die nächtliche Stadt gleiten ließ, schüttelte Emmett über sich selbst den Kopf in seiner kleinen Wohnung.

 

Das war verrückt. Wieso ließ er es nicht einfach sein? Er griff nach dem Wasserkocher und machte sich einen neuen Tee, lief hinüber zum PC und speicherte seine Arbeit ab. Als er das Wasser über den Beutel gab, leuchtete bereits die Anzeige für eine neue Nachricht.

»Huh.«, machte er leise und war verwundert über diese doch recht persönliche Offenbarung. Die Person am anderen Ende dieses elektronischen Gerätes hatte immerhin eine Familie, hatte Kontakt zu ihr und es war davon auszugehen, dass sie sich mit Kindern verstand.

Wie alt ist denn Ihr Neffe?‹ , tippte er und schickte die Nachricht ab. Ein fremder Mensch, der einen Neffen hatte und H. G. Wells kannte. Das war dennoch keine sehr ausufernde Charakterbeschreibung, aber im Moment sogar besser als die fünf Seiten, die er heute auf seinem Laptop zustande gebracht hatte. Und selbst die waren ihm wie eine Zangengeburt vorgekommen. Über den Äther hinweg bahnten sich die Worte ihren Weg auf Matthews Handy und dort zeigte ein kleines blinkendes Symbol auf dem Display den Eingang einer neuen Nachricht. Matthew las die Antwort der fremden Frau oder des fremden Mannes.

Er wird acht dieses Jahr und ist ein großer Science-Fiction-Fan .‹, schrieb er zurück.

Der Ofen in der kleinen Wohnung piepste und signalisierte Emmett damit, dass sein Essen fertig war. Er holte die Pommes heraus, verbrannte sich wie immer dabei am Backblech und gab ordentlich Ketchup dazu. Dann setzte er sich mit seinem Tee, dem Essen und dem Handy vor den Fernseher. Er brauchte ein paar Minuten Abstand von der Arbeit. Doch auch beim Zappen durch das Programm fühlte Emmett sich nicht besser. Es lief nur Müll. Da bot das Handy neben ihm weit mehr Zerstreuung, denn es zeigte inzwischen eine neue Nachricht an.

Das ist gut. Kinder mögen mich in der Regel, also könnte Ihre Aussage stimmen.‹ Es war wirklich so. Er kam mit Kindern ausgesprochen gut klar. Mit Frauen im Allgemeinen auch. Nur mit erwachsenen Männern haperte es und während er darüber nachdachte, woran genau das liegen mochte, las Matthew lächelnd die Antwort.

»Ja, könnte sie.«, sagte er leise zu sich selbst, schrieb aber nicht mehr zurück. Stattdessen nahm er sich seine Badehose sowie eines der Hotelhandtücher und ging sich im hoteleigenen Schwimmbad verausgaben. Anschließend legte er sich ins Bett. Er musste morgen unbedingt ausgeruht sein. Wenn alles glatt gehen würde, hatte er einen weiteren Schritt auf seiner persönlichen Leiter getan. Tatsächlich lief am nächsten Morgen alles wie er es sich vorgenommen hatte und er konnte mehr als zufrieden zum Flughafen fahren. Während auf der Erde eine dicke Wolkendecke einen Blick auf die Sonne unmöglich machte, konnte Matthew über den Wolken in ihr strahlendes Gesicht sehen. Der Flieger landete pünktlich und so konnte er sich noch mit Glenda und Henry über die nächsten Schritte unterhalten. Auf dem Rückweg im Taxi rief Matthew sein Nachrichtenprogramm auf, um seiner Schwester zu schreiben, dass er gut angekommen war. Sein Blick fiel auf eine andere Unterhaltung. Noch immer hatte die Nummer keinen Namen, er hatte sie inzwischen aber als ›Mrs./Mr. Unbekannt‹ abgespeichert. Sinnlos wahrscheinlich, denn ihre Unterhaltung schien am Ende. Zumindest momentan.