Was ist Volksmusik?

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Armin Griebel Was ist Volksmusik? Versuch über ein immerwährendes Thema

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Armin Griebel

Was ist Volksmusik?

Versuch über ein immerwährendes Thema

Auf die Frage, was für ihn Volksmusik sei, antwortete der Kabarettist Andreas Rebers: »Musik, die glücklich macht und die man selbst produzieren kann, die man nicht konsumiert, sondern man ist Teil davon.« Die Frage stellte Christoph Well, ehemaliges Mitglied der bayerischen Musik- und Kabarettgruppe Biermösl Blosn. Er konfrontiert damit die Studiogäste seiner Sendung »Stofferls Wellmusik« auf BR Heimat und entlockt ihnen Meinungen zur und Erfahrungen mit Volksmusik. Die Antwort der Jazzmusikerin Conny Kreitmeier, Sängerin und Gitarristin der Band Heimatdamisch: »Musik, die für de Leit [die Leute] is«, ergänzte Well mit dem Nachsatz: »und von de Leit, oder?«

Alle drei bedienen sich bei 250 Jahre alten Vorstellungen von »Volkspoesie«, die, von Johann Gottfried Herder am Übergang zur Moderne vorgebracht, im Kontext von Aufklärung und Romantik wirkmächtig wurden und offenbar bis heute virulent sind.

Anders als Herders Wortverbindung »Volkslied« ist die übergreifende Bildung »Volksmusik« für die Gesamtheit von Lied, Musik und Tanz relativ jung. Sie taucht erst in den 1920er-, 1930er-Jahren als ideologische Prägung im Zusammenhang völkischer Identitätskonzepte auf. Die in der Jugendbewegung entwickelte Vorstellung, dass in der Volksmusik Singen, Tanzen, Musizieren ganzheitlich zusammengehörten, bestimmt heute die Volksmusikpflege. Allgemein verbreitet wurde der Begriff Volksmusik während der NS-Herrschaft, wo er den Platz des neutralen Begriffs Laienmusik einnahm und im Sinne der rassistischen Volkstumsideologie gegen »Entartete Musik« ins Feld geführt wurde. »Deutsche Volksmusik« aus alter, wertvoller Überlieferung sollte in der Tanzmusik ausländische Tanzmoden und »Jazz« ersetzen. Über den Rundfunk verbreitete sich das propagierte Verständnis von »Volksmusik«.

Nach 1945 wurde in der volkskundlichen Forschung ideologisch abgerüstet und das ideologieanfällige »Volk«, nach dem die Wissenschaft benannt ist, als wissenschaftliche Kategorie verabschiedet. In der Volksmusikforschung blieben das Volk und sein Lied weiterhin das Hauptthema. Walter Wioras (1906–1997) essenzialistisch-normativer Forschungsansatz bestimmte lange die Diskussion, ebenso die Dichotomie von echt und unecht, zwischen Volkslied und Minderwertigem, die Johann Gottfried Herder mit der Einführung des Begriffs Volkslied 1771 heraufbeschworen hatte. Volkslied gab es in einem »ersten Dasein«, in »ursprünglicher« Funktion, und einem »zweiten Dasein«, als gepflegtes kulturelles Erbe. »Volk«, so die der Geologie entlehnte Metapher, sei der »Inbegriff der seelisch-gesellschaftlichen Grundschichten der Bevölkerung«. Mit diesen Grundschichten sei das »echte« Volkslied verbunden. Es sei aber fast nur noch in seinem »zweiten Dasein«, als Wiederbelebung durch die Volksmusikpflege, anzutreffen.

Die Volksmusikpflege, die im 20. Jahrhundert in touristisch erschlossenen Regionen der Alpen in Schwung kam, operiert seither mit einem Lied- und Spielgut, das sie zuvor einer wertenden Selektion unterzogen und in dieser Auswahl zum standardisierten Kanon erhoben hatte. Davon abweichende Sing- und Musizierpraxen werden nicht als Weiterentwicklung der Volksmusik, sondern als Schwund- oder Verfallsstufen gedeutet.

Im frühen 20. Jahrhundert entstanden in der lebensreformerischen Jugendbewegung Vorstellungen von einem schichtenübergreifenden Volkstanz. Tanzformen, die dem Bild, das man vom tradierten Tanz hatte, nahekamen, fand man im Norden Deutschlands und im skandinavischen Raum. Volkstanz sollte Gegenentwurf zu den als dekadent empfundenen städtischen Tanzmoden sein, aber auch in die ländliche Bevölkerung hineinwirken, der man seine Tänze auf Wanderfahrten vorführte. Eine Generation später erkannten jugendbewegte Forscher auf ihren Volkstanz-Sammelfahrten im süddeutschen Raum angesichts der überlieferten Paartänze und der dazu gesungenen anzüglichen Vierzeiler, dass die romantische Fiktion vom zart erotischen Ausdruckstanz nicht der Tanzwirklichkeit auf dem Dorf entsprach.

Auf der Suche nach der deutschen Volksmusik

Fast 40 Wochen lief der Film Sound of Heimat in den Kinos. Gedreht und produziert in den Jahren 2011/2012, zeigt er ein Spektrum dessen, was seine Macher als Volksmusik identifizieren, aber auch, was in ihrem Verständnis »Volksmusik« ausmacht. Von der Kritik wurde der Film für seine »Volksmusik ohne Deutschtümelei und fernab von Musikantenstadl und Co.« gelobt und 2014 mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik als bester Musikdokumentarfilm ausgezeichnet. Sein Protagonist, ein in Köln lebender Jazzmusiker aus Neuseeland, dem eine unvoreingenommene Sicht von außen zugeschrieben wird, trifft auf der Suche nach der »Deutschen Volksmusik«, für die er Deutschland kreuz und quer bereist, auf ganz unterschiedliche Musikpraxen und Aufführungsformen. So etwa den GewandhausChor Leipzig, der sein Volksliedengagement dem inzwischen nicht mehr allgemein verbreiteten Kanon Deutsches Volkslied widmet und dessen empfindsamer Liedvortrag zu Anfang des Films immer wieder Teile des Kinopublikums zum Mitsingen bewog. Das Jodeln als Selbsterfahrungserlebnis im Allgäu und die experimentelle Volkslied-Performance der ostdeutschen Sängerin Bobo werden gleichermaßen als Volksmusik vorgestellt. Man trifft im Dialekt singende Singrunden, die sich regelmäßig in Kölner Kneipen treffen, einen Bandoneonspieler aus dem Erzgebirge, der zu DDR-Zeiten mit volkstümlicher Unterhaltungsmusik unterwegs war, ergraute Shanty-Sänger und Deutschfolk-Veteranen in Flensburg und nicht zuletzt, beim Party-Act »Antistadl« in Bamberg, wild agierende Bands, die traditionelle fränkische Volkstanzmusik mit Pop-Elementen mischen und damit das Publikum zu entfesseltem Tanzen und Mitsingen animieren.

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