Alles Liebe - zum Fest der Hiebe

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Alles Liebe – zum Fest der Hiebe

erotische Weihnachtsgeschichten


Autoren

Lilly Grünberg, Sira Rabe, Lilly An Parker, Christiane Gref, Tobias Bachmann, Thomas Backus und Jennifer Schreiner entführen in »Alles Liebe – zum Fest der Hiebe« in lustvolle Weihnachtswelten und erotische Fantasien, zu prickelnden Familienessen, interessanten Arbeitsstunden und verführerischen Spielen rund um die (be)sinnlichsten Feiertage.

Haben Sie sich schon immer für unser Business-Angebot vom »Office Escort« interessiert? Stehen Sie auf Weihnachtsüberraschungen, -rollenspiele oder zuckersüße Versuchungen?

Nie war Weihnachten heißer!


Alles Liebe – zum
FEST DER HIEBE


WWW.Elysion-Books.com ELYSION-BOOKS TASCHENBUCH BAND 4078 1. Auflage: September 2014

VOLLSTÄNDIGE TASCHENBUCHAUSGABE

ORIGINALAUSGABE

© 2014 BY ELYSION BOOKS, LEIPZIG

ALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG: © Ulrike Kleinert

www.dreamaddiction.de FOTOS: © Bigstock LAYOUT & WERKSATZ: Hanspeter Ludwig www.imaginary-world.de Korrektorat und Lektorat: Inka-Gabriela Schmidt www.das-elfenkind.de

PRINTED IN POLAND

ISBN 978-3-942602-57-0

Mehr himmlisch heißen Lesespaß finden Sie auf:

www.Elysion-Books.com

Inhalt

Literarische Verführung

Lilly Grünberg

Boléro

Jona Mondlicht

Gutes Mädchen oder böses Mädchen?

Thomas Backus

Inas Besinnung

Christiane Gref

Man sieht sich zweimal – Michaelas Geschichte

Jennifer Schreiner

Wiedersehen – Nils Geschichte

Jennifer Schreiner

Eine fesselnde Bescherung

Tobias Bachmann

Traumhafte Weihnachten

Antje Ippensen

Merry XXX-Mas – Frivole Weihnachten

Lilly An Parker

Merry XXX-Mas – Feiereien

Lilly An Parker

Die Domina von St. Blasius

Sira Rabe

Autoren

Leseprobe »Office Escort«

Literarische Verführung

Lilly Grünberg


Mit hellem Gebimmel wurden einer oder mehrere eintretende Kunden angekündigt. Sabrina sah die kleinen Glöckchen an der Ladentüre vor ihrem geistigen Auge hin- und herschwingen. Leise verdrückte sie sich zwischen die hinteren Buchreihen, bückte sich zu dem Karton, der dort stand und begann die neuen Buchlieferungen einzusortieren. Geschichte und Fachbücher, das war ihre Domäne. Ganz im Gegensatz zu ihren beiden Kolleginnen, die sich lieber um Belletristik, Garten- und Kochbücher kümmerten, oder zur Zeit beim Durchblättern der neuesten Advents- und Weihnachtsartikel in Schreie des Entzückens ausbrachen.

Einer der Kunden verfügte über eine besonders angenehme männliche Stimme, nicht zu tief, aber voller Volumen. Leider ging seine Frage im Gewirr der vielen Geräusche unter. Weihnachtliche Lieder erklangen schon seit Tagen aus den Lautsprechern und mischten sich mit dem Stimmengewirr der Käufer. Dazwischen mischte sich dann und wann das Bimmeln eines Glöckchens und das eher quäkende »Ho, ho, ho …« eines pummeligen Nikolaus’, den ein Bewegungsmelder in Gang setzte, sobald jemand an ihm vorbei ging.

Angestrengt horchte Sabrina, verstand aber dennoch nicht, was der Mann sagte, obwohl sie für einen Augenblick ihre Arbeit unterbrach und sich darauf konzentrierte. Vielleicht benötigte er ein spezielles Fachbuch, das in ihren Zuständigkeitsbereich fiel, aber zuerst bestellt werden musste. Angesichts des umfangreichen Sortiments des Buchhandels war es praktisch unmöglich, wirklich jedes Buch vorrätig zu haben.

Leider blieb es Sabrina nicht immer erspart, auch zu den ihr lästigen Themen zu beraten, wenn sie personell gerade unterbesetzt waren, wie im Augenblick. Ihre Kollegin Lena war für zwei Wochen zum Skifahren in die Berge abgehauen und Sabrina beneidete sie darum von ganzem Herzen. Das Wetter war für Anfang Dezember geradezu ideal. Frau Holle hatte ihre Betten über den Bergen reichlich ausgeschüttelt und die Schneehöhen boten ideale Verhältnisse für Wintersportler. Ihrer eigenen, eher blassen, nur von ein paar vorwitzigen Sommersprossen befleckten Haut würden ein paar höhenintensive Sonnenstrahlen bestimmt auch gut tun. Aber freie Tage waren erst zu Weihnachten in Sicht.

»Entschuldigung, könnten Sie mir bitte weiterhelfen?«

Sabrina war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht gehört hatte, dass sich jemand genähert hatte. Die Stimme erkannte sie jedoch sofort wieder und schaute den Mann, der ihr jetzt gegenüber stand, interessiert an. Ein Mann Mitte vierzig, schwarzer Kurzhaarschnitt, dezent gebräunte Haut und Dreitagebart sah sie freundlich durch seine moderne, schmale Brille an. Männlich, selbstbewusst, aber ohne Arroganz. Mit einem kurzen taxierenden Blick verabreichte Sabrina ihm in Gedanken das Prädikat: Attraktivität und Sympathiefaktor Kategorie Zwei. Nicht, dass sie jemals eine Eins vergeben hätte. »Ihre Kollegin hat mich zu Ihnen nach hinten geschickt.« Er machte eine entschuldigende Geste. »Da vorne ist gerade die Hölle los.”

Das stimmte allerdings. Sabrina war so auf die Einsortierung der Bücher konzentriert und zugleich mit ihren privaten Überlegungen beschäftigt gewesen, dass sie völlig ausgeblendet hatte, nach vorne zu gehen und zu helfen. Quengelige Kinder, genervte Mütter, dazwischen die etwas brüchige Stimme eines Senioren.

Ihre Kollegin Mona hatte bestimmt jedes Kinder- und Jugendbuch, das neu war, mindestens zweimal selbst gelesen und wartete nur darauf, den richtigen Mann kennenzulernen, um möglichst bald selbst Mama zu werden und ihrem Sprössling vorlesen zu dürfen. In Sachen Buchgeschenke zu Weihnachten war sie gerade voll in ihrem Element: Eltern und Großeltern beraten.

Abgesehen davon interessierten Mona nur noch Liebesromane, am liebsten mit einem satten Schuss Erotik, für Sabrina ein geradezu unerträglicher Gedanke. In ihren Augen war dieses Zeug durchwegs Schund. Wenn sie las, wollte sie ihr Wissen erweitern und nicht ihre Zeit mit unnützem Inhalt verschwenden.

Ganz Profi in ihrem Job lächelte Sabrina den Mann freundlich an. Er suchte bestimmt ein Sachbuch. »Aus welchem Fachbereich ist denn das Buch, das Sie suchen?«

Grübchen bildeten sich an seinen Mundwinkeln, als sein Lächeln breiter wurde und eine Reihe makelloser Zähne freigab. »Nun, wie man es nimmt – ich suche einen erotischen Liebesroman.« Seine Augen schienen vor Erwartung zu blitzen.

Sabrina fühlte sich, als hätte man ihr einen Schlag in die Magengrube versetzt. »Liebesroman?«, murmelte sie. Na klar. Bestimmt war das ein Geschenk für seine Frau oder Freundin. Schließlich stand ja Weihnachten vor der Tür, und wenn »Mann« nichts Besseres einfiel, konnte er mit einem Buch bei einer Leseratte immer punkten. »Wissen Sie denn, welche Buchtitel die Dame in letzter Zeit gelesen hat, damit Sie ihr nichts schenken, was sie schon hat?«

Sein Blick schien sie bis tief in ihr Innerstes zu durchbohren. Sie wäre ihm gerne ausgewichen, von dieser Intensität eigentümlich berührt, aber irgendwie fesselten sie diese graugrünen großen Augen, so dass es ihr nicht gelang, ihren Blick abzuwenden.

Er schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Ich werde das Buch nicht verschenken. Es ist für mich. Und da ich schon einiges gelesen habe, zu viel, um es einzeln aufzuzählen, interessieren mich vor allem die Neuerscheinungen.«

Von ihrer falschen Vermutung schien er nicht im Mindesten unangenehm berührt. Im Gegenteil, offensichtlich stand er ganz und gar zu seiner Vorliebe.

 

Das durfte nicht wahr sein! Ein ausgesprochen männlicher, attraktiver Typ, der schnöde Liebesromane las? Sabrinas Beurteilung sank auf Note 3. Und ausgerechnet sie sollte ihn beraten? Sabrina knurrte innerlich. Ob Mona wohl gewusst hatte, was der Mann suchte und ihn absichtlich zu ihr geschickt hatte, um sie zu ärgern? »Oh, na ja, hm, das wird schwierig.« Sabrina drehte sich um und ging zwei Regale weiter. Im Augenwinkel sah sie, wie er ihr folgte. Sie deutete mit einer Handbewegung über die Buchreihen, die ordentlich in Reih und Glied standen. Einige Bücher namhafter Autoren, von denen man gute Verkäufe erwarteten, waren auf speziellen Ständern platziert, mit dem Cover zum Betrachter. »Das ist alles, was wir haben”, säuselte Sabrina so freundlich wie möglich. »Sie können sich gerne umsehen oder sich auch dort hinsetzen und in Ruhe hinein schnuppern.« Sie deutete mit ihren rot lackierten Fingernägeln auf eine kleine Sitzecke mit zwei gemütlichen Sesseln und einem Beistelltisch. Der dahinter stehende Wasserbehälter war fast leer und der Stapel frischer Becher war ebenfalls bis auf wenige geschrumpft. Sie würde sich als nächstes darum kümmern müssen.

Ihr Gegenüber zuckte fast unmerklich mit den Schultern. »Können Sie mir nicht direkt etwas von den Neuerscheinungen empfehlen, damit ich nicht solange suchen muss?«

Hitze stieg in Sabrinas Gesicht auf, als sie zu dem Mann aufsah, der gut einen halben Kopf größer war als sie. Bei ihrem Gardemaß von einsneunundsiebzig eher eine Seltenheit. Sie pustete eine Strähne ihrer rostroten Locken zur Seite, die sich aus dem schwarzen Band gelöst hatte, das ihre schulterlange Mähne zusammenhielt. Verdammt, das war ihr schon lange nicht mehr passiert, dass sie jemand so in Verlegenheit brachte. Noch dazu war dieser jemand sehr gut aussehend und machte den Eindruck, als ob er gute Manieren hätte – und intelligent wäre. Wobei, woran erkennt man Intelligenz? Er hatte wache, interessierte Augen – oder bildete sie sich das nur ein? Auf jeden Fall entsprach er nicht ihrem Bild, das sie von Leuten hatte, die diesen Mist lasen.

Sabrina bemühte sich, unter seinem durchdringenden Blick ruhig zu bleiben. Wann war sie zuletzt so nervös gewesen? »Nein, tut mir leid. Aber bei Romanen kenne ich mich gar nicht aus. Da müssten Sie warten, bis meine Kollegin Zeit für sie hat.«

»Ach, das ist aber schade. Lesen Sie denn keine Romane?«

Er sprach leise, so dass jemand, der auf der anderen Seite des Regals stünde, ihn nicht verstehen würde. Seine Stimme war betörend sanft und mit einem sinnlichen Vibrieren darin, wodurch sich der Aufruhr, der Sabrina erfasst hatte, von Sekunde zu Sekunde verstärkte. »Doch«, presste sie mühsam heraus. Wenn er doch wenigstens mal woanders hinschauen würde, zum Beispiel auf das Bücherregal, statt sie unverhohlen anzustarren. Mit diesen ungewöhnlichen Augen, die ihr jetzt noch viel dunkler und betörender vorkamen. »Doch, ich lese schon auch mal einen Roman. Aber eher selten, und nur wenn es um einen historischen Hintergrund geht. Ich befasse mich nicht mit diesem …« Sie stockte.

»Mit diesem Schund?«, komplettierte er amüsiert ihren Satz.

Hoffentlich lief sie nicht aus lauter Verlegenheit rot an. Ihre Wangen und Ohren fühlten sich wärmer an als zuvor. Was war nur los mit ihr? Es brachte sie doch sonst niemand so schnell aus der Fassung. Plötzlich war es sehr heiß in der Buchhandlung. Bestimmt hatte die verfrorene Mona wieder die Heizung zu weit aufgedreht. Sabrina sehnte sich nach dem kühlenden Luftzug eines Deckenventilators. Schweißperlen standen in ihrem Rücken und sie hätte sich gerne unbemerkt ihre Stirn abgewischt.

»So wollte ich das nicht sagen. Geschmäcker sind ja zum Glück verschieden, sonst würden nicht so viele Bücher gekauft werden …«, versuchte sie, die Situation zu retten. Sie hatte gerade eine der Grundregeln für Buchhändler und Buchverkäufer verletzt: niemals dem Kunden zeigen, was man von seinen Interessen hält.

Sein Lächeln verunsicherte sie noch mehr. Sie hätte besser damit umgehen können, wenn er aufgrund ihrer abwertenden Meinung eingeschnappt gewesen wäre.

»Natürlich wollten Sie das so nicht sagen, aber vermutlich haben Sie es gedacht. Das macht ja auch nichts. So wie es aussieht, könnte wohl eher ich sie zu diesem Thema beraten, als sie mich«, schmunzelte der Fremde.

»Ja, bestimmt. Ich werde mal sehen, ob meine Kollegin mittlerweile Zeit hat. Sie kennt sich bei diesen Büchern wirklich besser aus.«

Als Sabrina sich hektisch umdrehte, stieß sie gegen einen Ständer, auf dem die Sonderedition einer Erotikreihe präsentiert wurde. Sie wäre rücklings gestürzt, hätte der Käufer nicht in letzter Sekunde mit kräftiger Hand ihren Arm gepackt und dies verhindert.»Hoppla!«

Für einen Augenblick sahen sie sich direkt in die Augen und sein Blick brannte sich tief in ihr Innerstes, dann löste er seinen Griff und Sabrina schaute sich irritiert nach den herabgefallenen Büchern um.»So ein Mist!«, entfuhr es ihr. Hoffentlich hatte keines der Bücher Schaden genommen. Jedenfalls hatte sie sich jetzt vollends blamiert. Keine Ahnung von Liebes- und Erotikromanen und dann auch noch ein Verhalten wie der Elefant im Porzellanladen.

Als sie sich bückte, ging der Kunde ebenfalls in die Hocke, um ihr zu helfen. Es kam Sabrina vor, als würde sie von den schönen, nackten Frauen auf den Buchumschlägen verhöhnt. Ausnahmslos waren sie so fotografiert, dass sie den Betrachter direkt anschauten.

Der Fremde schmunzelte und hielt ihr mit gezieltem Griff eines der Bücher entgegen. »Das hier ist beispielsweise eines meiner Lieblingsbücher. Die Autorin beschreibt, wie die Protagonistin einen Aushilfsjob in einem Bordell annimmt, also wohlgemerkt, als Animierdame, nicht als Hure. Aber dann wird ein Kunde auf sie aufmerksam, der so attraktiv ist und so hartnäckig um sie wirbt, dass sie ihm irgendwann nicht mehr widerstehen kann und – schwups – ist sie mittendrin in einem äußerst erotischen Abenteuer. Man kann das Buch nicht weglegen, ehe man es ausgelesen hat.«

So ein Blödsinn. Sabrina hatte keinen blassen Schimmer, was sie mit seiner Ausführung anfangen sollte. Einerseits interessierte sie der Inhalt dieses oder ähnlicher Bücher überhaupt nicht. Gefühlskitsch bis hin zum Porno. Oberflächliche Unterhaltungslektüre, unrealistisch. Andererseits, ermahnte sie sich noch einmal, lautete eine der Regeln in ihrem Job, immer freundlich zu bleiben und den Kunden nicht vor den Kopf zu stoßen. Immerhin lebte sie davon, dass die Leser bei ihr Bücher kauften, egal ob Fachbuch oder Roman, und ob sie selbst diesen Geschmack teilte, war vollkommen

unerheblich.

Aber als könne er ihre Gedanken erraten, fuhr der Fremde mit seiner Erklärung fort: »Wissen Sie, es ist ja nicht wichtig, ob die Story der Realität entspricht. Es könnte so passieren, vielleicht – Hauptsache es ist sinnlich, spannend, und – ah, da ist ja auch der neue Roman der Autorin. Ich dachte, der kommt erst nächsten Monat raus.« Er nahm eines der anderen Bücher in die Hand, richtete sich auf, überflog die Kurzbeschreibung auf der Rückseite des Buches und nickte zufrieden. »Genau, das ist es. Von dieser Autorin kann man einfach alles lesen. Das nehme ich.«

Er sah Sabrina mit zufriedener Miene an. »Sie sollten sich wirklich mal eines von diesen Büchern vornehmen.« Dann lächelte er wieder. »Damit wir uns beim nächsten Mal darüber unterhalten können. Auf Wiedersehen.«

Sabrina schaute ihm sprachlos hinterher. Dieser arrogante Schnösel erlaubte sich tatsächlich, ihr einen Buchtipp zu geben. Ihr Blut kochte vor Empörung. Den Teufel würde sie tun, diesen Mist zu lesen! Reine Zeitverschwendung.

Wie doch die äußere Fassade täuschen konnte. Sie wäre niemals darauf gekommen, dass dieser gut aussehende Mann Frauenromane las, erotische wohlgemerkt. Vielleicht sah er ja doch nicht ganz so gut aus? Ach was. Kopfschüttelnd kehrte Sabrina zu dem Karton mit den Büchern zurück, die ausgepackt werden sollten, und fuhr mit dem Einsortieren fort.


Es vergingen etwa zwei Wochen und Sabrina hatte die Begegnung mit dem merkwürdigen Fremden völlig aus ihrem Gedächtnis gestrichen, als er plötzlich wieder die Buchhandlung betrat. Sabrina hörte zunächst nur seine Stimme, die sie sofort wieder erkannte, ging hinter einem Regal in Deckung und spähte vorsichtig durch eine kleine Lücke zwischen zwei Büchern hindurch. Auch diesmal sah er wieder wie aus dem Ei gepellt aus, dem Schneetreiben vor der Tür angemessen mit Schal und dicker Jacke bekleidet.

Ruckartig wandte sie sich ab und flüchtete leise zwischen den Regalen hindurch in den dahinter liegenden Mitarbeiterbereich. Nein, sie wollte diesem Kunden nicht begegnen und die Diskussion über seine unseligen Bücher von Neuem aufnehmen. Sie würde einfach ein paar Minuten auf der Toilette bleiben und ihm auf diese Weise ausweichen. Bis sie hinauskam, hatte er sich bestimmt schon für ein neues Buch entschieden, bezahlt und war wieder gegangen. Sollten doch ihre Kolleginnen sich um seine Wünsche kümmern, die für dieses Genre Feuer und Flamme waren.

Sabrina schaute kurz nach links, nach rechts und atmete erleichtert auf. Gefahr vorüber. Zehn lange Minuten hatte sie es ausgehalten, um der unerwünschten Begegnung auszuweichen, und die Zeit genutzt, ihr Makeup ein wenig aufzufrischen. Mit forschen Schritten ging sie zwischen den Regalen nach vorne und wäre beinahe mit dem Kunden zusammengestoßen, als er unverhofft hinter einem Regal hervortrat.

»Hoppla – da sind Sie ja! Ihre Kolleginnen wollten schon eine Vermisstenanzeige aufgeben«, begrüßte er sie lächelnd.

»Ach ja?«, entgegnete Sabrina kurz angebunden, was ihr Gegenüber aber gar nicht wahrzunehmen schien.

»Es ist schön, dass ich Sie antreffe, ich wollte Ihnen nämlich unbedingt sagen, dass das Buch super geschrieben ist. Das wird bestimmt ein Bestseller. Haben Sie es schon gelesen?«

»Nein«, entgegnete Sabrina wahrheitsgemäß. »Und das werde ich auch nicht. Dieses nicht und die anderen auch nicht«, fügte sie unwilliger hinzu, als sie wollte. Warum konnte er sie nicht einfach mit diesem Mist in Ruhe lassen? Schön, wenn es ihm gefiel, so kam Umsatz in die Kasse. Aber das bedeutete nicht, dass sie sich dafür interessieren musste. Forsch versuchte sie sich an ihm vorbei zu schieben, aber er ging nicht auf die Seite und sie sah verärgert zu ihm auf.

Der Fremde lachte. »Und ich dachte schon, Sie wären über die Inhalte schockiert. Mag ja vorkommen, wenn man das erste Mal so einen Erotikroman liest und merkt, wie anregend das sein kann.« Er zwinkerte sie verschwörerisch an. »Aber wenn Sie noch nie eines gelesen haben, dann können Sie sich ja gar kein Urteil erlauben. Das sollten wir ändern.«

Er nahm sie sanft am Oberarm und zog sie mit sich.

Dieser unverschämte Kerl, was fiel ihm ein! Sabrinas Kopf begehrte auf und forderte eine Gegenmaßnahme, ihre Gliedmaßen waren jedoch wie gelähmt. Sie schaffte es weder, sich seinem Griff zu entwinden, noch zu widersprechen. Endlich ließ er ihren Arm los, aber nur, um ein Buch aus dem Regal zu nehmen und ihr resolut in die Hand zu drücken. »Hier, fangen Sie damit an. Ein sanfter und romantischer Einstieg in die Welt der Liebe und die Sinnlichkeit der Unterwerfung.«

Unterwerfung? Sabrinas Nackenhaare sträubten sich. Und überhaupt – was hatte sein forschender Blick zu bedeuten? »Es ist wirklich gut geschrieben. Glauben Sie mir, Sie werden nicht aufhören zu lesen, ehe Sie auf der letzten Seite angekommen sind.«

Das hatte er schon einmal behauptet und sie hatte es dennoch nicht gelesen.»Na gut, wenn Sie meinen«, versprach sie, um ihn loszuwerden und tatsächlich schien diese Schutzbehauptung zu wirken, denn er verabschiedete sich mit einem warmen Händedruck und wünschte ihr einen schönen Feierabend.

Sabrina wartete noch eine Weile, nachdem der Kunde die Buchhandlung verlassen hatte, dann stellte sie das Buch ins Regal zurück. Allerdings nicht, ohne zuvor den Klappentext gelesen zu haben. Kopfschüttelnd ging sie danach wieder an ihre Arbeit. Leute, die dieses Zeug lasen, hatten bestimmt irgendwelche Persönlichkeitsprobleme oder waren ganz einfach pervers.


Der Stachel der Unwissenheit saß allerdings tief. Viel tiefer, als Sabrina sich zunächst eingestehen wollte. Schlaflos wälzte sie sich im Bett herum. Die Stimme des Fremden und seine Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Es war wie ein Echo, das immer und immer wieder angestimmt wurde, wie der Ohrwurm eines lästigen Liedes, das man im Radio gehört hat.

 

Vielleicht musste sie dem Kerl ein kleines bisschen recht geben, aber nur ein ganz kleines bisschen, mehr wäre ein Zuviel der Selbsterkenntnis gewesen. Es stimmte schon. Über Literatur, die sie noch nie gelesen hatte, durfte sie sich keine Meinung erlauben. Also würde sie das ändern. Sie würde diese Lücke schließen, nur um sich selbst (und ihm) zu beweisen, dass sie intuitiv mit ihrem Urteil richtig gelegen war.

Gleich am nächsten Morgen steckte sie ein Exemplar des von ihm so hoch gelobten Romans in ihre Handtasche. Eine unerklärliche Unruhe erfasste sie, mit dem Lesen zu beginnen. Wie sollte sie dem Kunden gegenüber treten, wenn er wieder kam und sie erneut mit ihrer Unwissenheit provozierte? Nein, das würde ihr nicht noch einmal passieren. Da sie zur Gattung der Schnellleser gehörte, würde sie das Buch am heutigen Abend verschlingen. Es war ja auch unwesentlich, ob sie jedes Wort las. Ein schnelles Überfliegen würde sicherlich genügen, und dabei konnte sie sich selbst davon überzeugen, dass diese Texte das Papier nicht wert waren, auf das man sie druckte.

Ungeduldig erwartete Sabrina den Abend. Aber als sie endlich Feierabend hatte und zuhause ankam, scheute sie sich, das Buch aufzuschlagen. Das war doch albern, was sie vorhatte. Wo bitte schön stand geschrieben, dass sie sich in allen Genres auskennen und von allem etwas gelesen haben musste? Am besten erst mal kochen, ihr Magen knurrte schon unwillig. Am besten sie warf den Backofen an und schob eine tiefgefrorene Gemüserolle hinein, dann könnte sie ohne Aufwand in gut zwanzig Minuten etwas Leckeres essen …

Während Sabrina auf das erlösende »Drrr« der Zeitschaltuhr wartete, starrte sie das Buch an, das vor ihr auf dem Küchentisch lag. Schon alleine dieser Umschlag war eine Provokation. Diese nackte Frau, die die rücklings in einem goldenen Ring lag] und den Betrachter herausfordernd ansah. War das nicht sexistisch, entwürdigend? Die Frau als bloßes Lustobjekt darzustellen?

Sabrina schnaubte. Ich könnte ja einfach nur mal die erste Seite lesen. Mit resoluter Handbewegung schlug Sabrina das Buch auf und blätterte die innere Titelseite um.

Der Einstieg war relativ harmlos. Eine junge Frau vermisste ihre beste Freundin, es regnete in Strömen, sie ging alleine shoppen. Doch die Autorin kam schnell zur Sache. Nicht irgendein Modegeschäft war das Ziel, sondern ausgerechnet ein Sexshop, und die Protagonistin suchte diesen auf, um sich einen Vibrator zu kaufen. Schon nahm das Schicksal seinen Lauf …

Das schnarrende »Drrr« riss Sabrina in die Gegenwart zurück. Ungeduldig beförderte sie den Gemüsestrudel auf den bereit gestellten Teller und setzte sich wieder an den Küchentisch. Während sie wie automatisiert Bissen um Bissen in ihren Mund beförderte, las sie von Neugierde gepackt weiter. Schließlich erhob sie sich, ließ den Teller stehen, und zog vom Küchenstuhl auf das bequemere Sofa im Wohnzimmer um, nun bereits beim dritten Kapitel angelangt und erwartete mit steigender Spannung, was weiter geschehen würde.

Die Empfindungen der Personen übertrugen sich auf ihren Körper. Sie sehnte, fühlte und litt mit ihnen. Dann folgte die erste Sexszene und Sabrina dachte, nur diese eine würde sie lesen, auch wenn es sie vielleicht anwidern würde, und dann hätte sie sich ausreichend genug informiert, um das Buch aus der Hand zu legen und mitreden zu können.

Aber es kam ganz anders. Sabrina empfand ein sinnliches Kribbeln, ein heißes ungestilltes Verlangen, je mehr sie den Text auf sich wirken ließ, sich zum einen wünschte und andererseits gleichzeitig fürchtete, das selbst auszuprobieren, was die Hauptdarstellerin erlebte. Dies war nicht einfach nur eine Liebesgeschichte. Dies war nicht einfach nur irgendein blöder Erotikroman. Es ging nicht nur um Sex und Leidenschaft. Das Thema war ein erregendes und sinnliches Spiel aus Dominanz und Unterwerfung, aus unterschiedlichen Neigungen, die mit dem passenden Partner ausgelebt werden durften, so dass Sabrina völlig vergaß, dass sie eigentlich nur ein paar Seiten hatte lesen wollen.

Die Handlung sprach ihr Innerstes an, und noch viel mehr, es regte ihre Sehnsucht nach einem Leben zu zweit, nach Liebe und nach Zärtlichkeit. Von Zeit zu Zeit begann es in ihrem Unterleib zu kribbeln. Nein, konnte es sein, dass diese Geschichte sie ein wenig erregte?

Als Sabrina es nach ihrem langen anstrengenden Arbeitstag trotz der spannenden Geschichte schließlich nicht mehr schaffte, sich zu konzentrieren und ihre Augen offenzuhalten, war es schon weit nach Mitternacht. Sehr viel später, als sie sonst zu Bett ging. Sie blieb einfach auf dem Sofa liegen, knipste das Licht der Leselampe aus und zog die Decke, in die sie sich gekuschelt hatte, bis über die Schultern.


»Nun, wie geht es Ihnen? Gibt es etwas Neues?«

Sabrina fuhr herum. »Sie schon wieder! Müssen Sie mich immer so erschrecken, Herr …?«

»Oh, tut mir leid, das wollte ich wirklich nicht.« Ihr Gegenüber machte eine zerknirschte Miene. »Und ich habe mich wohl letztes Mal nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir. Joachim Krummer. Aber nennen Sie mich doch bitte einfach Jo.«

Sein Lächeln strahlte, als ginge darum, mit einer Zahnpastawerbung zu überzeugen, und sein unschuldiger Dackelblick war nicht weniger umwerfend. Damit bekam er bestimmt jede rum.

Jede andere, korrigierte Sabrina in Gedanken, sie aber würde sich davon nicht einnehmen lassen. Außerdem, wenn er solche Bücher las, dann stand er bestimmt auch nur auf Frauen, die dem Schönheitsideal dieser Protagonistinnen entsprachen. Zwar haderte Sabrina nicht mit ihrer etwas fülligeren Figur und dem prallen Busen, dafür naschte und aß sie einfach viel zu gern. Andererseits war ihr bewusst, dass Frauen mit Kleidergröße 42 sich noch so gut kleiden mochten – Männer standen einfach mehr auf Modellmaße.

»Sabrina Tanner«, erwiderte sie der Höflichkeit halber.

»Nun Sabrina – haben Sie auf meine Empfehlung gehört und das Buch inzwischen gelesen?«

Zu gerne hätte sie verneint, es lag ihr auf der Zunge, ihm entgegen zu schmettern, dass ihn das überhaupt nichts anginge. Aber dieser Kerl hatte etwas an sich, etwas Magisches, das sie völlig aus dem Konzept brachte. Ehe sie dazu kam, ihm zu antworten, sprach er bereits weiter, leise, mit einem eigenartigen Unterton, der hier nicht hingehörte. »Sie haben es gelesen, ich sehe es. Es steht in Ihren wunderschönen Augen geschrieben.«

Das fehlte ihr noch, dass er versuchte sie mit Schmeicheleien zu umgarnen. Zwar gab es nicht viele Frauen, die außergewöhnlich grüne Augen hatten wie sie. Das war ihr sehr wohl bewusst, und diese Farbe passte sowohl zu ihrem Teint mit den Sommersprossen als auch zu ihrer naturroten Haarfarbe. Nixe hatte sie deswegen einer ihrer früheren Liebhaber genannt. Dennoch. Er sollte sie in Ruhe lassen!

Jetzt lächelte er wieder, aber anders als zuvor. Wissend, selbstbewusst. Dabei sinnlich, geradezu verführerisch. Ehe Sabrina begriff, was er vorhatte, beugte er sich auf einmal zu ihr herunter, legte seine Hand in ihren Nacken, zog sie sanft an sich und küsste sie. Sein Kuss war köstlich und zugleich fordernd, die Frische von Pfefferminz drang in ihren Mund ein und seine Zunge suchte die ihre, klopfte zärtlich an und kostete sie.

Schwindel ergriff Sabrina und sie hatte Angst, dass ihre Beine wegsackten.

»Wann hast du Feierabend? Ich hole dich ab«, fragte er, kaum dass er sie losgelassen hatte. Dem bestimmenden Tonfall nach zu urteilen war dies jedoch nur eine rhetorische Frage. Ihm ging es wohl zu gut?

Sabrina stieß ihn abrupt von sich weg. »Was fällt Ihnen ein! Ich werde mich nicht mit Ihnen treffen.«

Er gab ein tiefes und ein wenig spöttisches Kichern von sich. Als er seine Hand ausstreckte, um ihr Kinn zu heben, wich sie einen Schritt zurück. Ein weiterer Kuss war überflüssig. Sie würde sich nicht einlullen lassen, und auch weder einem Treffen noch einer Diskussion über Romane nachgeben. Bleib mir von der Pelle!

»Hast du etwa Angst vor mir, Sabrina?«

»Blödsinn!«, fauchte sie.

»Also, wann hast du Feierabend? Ich möchte nur mit dir etwas essen gehen, dich zu einem Gläschen Wein einladen, zu einer kleinen Plauderstunde. Mehr nicht.«

Wie kam er dazu, sie auf einmal zu duzen? »Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich versteh gar nicht, warum …«

Mit einer herrischen Geste stoppte er ihre Argumentationsversuche. Sein flehendes »Bitte. Bitte sagen Sie nicht Nein.« passte nicht zu seinem dominanten Auftreten, und dennoch lag darin so viel Inbrunst, soviel Gefühl, dass Sabrina beinahe glauben mochte, es wäre ihm wirklich ein Herzensbedürfnis, mit ihr auszugehen.

»Ich kann nicht«, murmelte sie mit einem letzten Funken Widerstand. Sie musste sich umdrehen und ihn stehen lassen, sie musste ihre Augen von ihm abwenden, um ihm widerstehen zu können, sie musste …

»Warum? Niemand wartet auf dich«, hauchte er.

»Woher wollen Sie …«

Sabrina verstummte unter seinem Blick. Wieder dieser unwiderstehliche und durchdringende Dackelblick, als müsste er auf der Stelle, direkt hier vor ihren Augen zusammenbrechen, falls sie es wagte, noch einmal Nein zu sagen.

»Also gut«, seufzte Sabrina. »Fünf nach sechs bin ich fertig, Herr Krummer.«

»Jo«, erwiderte er mit einem strahlenden Lächeln. »Nennen Sie mich bitte einfach Jo.«


Es gelang ihr nicht sich zu konzentrieren. Zerstreut prüfte Sabrina schon zum dritten Mal den Inhalt der Kasse. Und jedesmal erhielt sie ein anderes Ergebnis.