Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band

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Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band
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Anonym

Erzählungen aus 1001 Nacht

2. Band

Impressum

Texte: © Copyright by Anonym

Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

gunter.50@gmx.net

Inhalt

Impressum

Zweiunddreißigste bis einhundertsechste Nacht

Die Geschichte des Barbiers

Des Barbiers Erzählung von seinem ersten Bruder

Des Barbiers Erzählung von seinem zweiten Bruder

Des Barbiers Erzählung von seinem dritten Bruder

Des Barbiers Erzählung von seinem vierten Bruder

Des Barbiers Erzählung von seinem fünften Bruder

Des Barbiers Erzählung von seinem sechsten Bruder

Der Schluss der Geschichte des Schneiders

Die Geschichte Nur al-Din Alis und des Mädchens Anis al-Dschalis

Die Geschichte Ghanim bin Ayyubs, des Verstörten, des Sklaven der Liebe

Die Geschichte des ersten Eunuchen namens Bukhait

Die Geschichte des zweiten Eunuchen namens Kafur

Zweiunddreißigste bis einhundertsechste Nacht
Die Geschichte des Barbiers

»Ich lebte in Bagdad zur Zeit Al-Mustansir bi'llahs, des Sohnes Al-Mustasi bi'llahs, des damaligen Kalifen, eines Fürsten, der die Armen und Bedürftigen liebte und die Gesellschaft der Gelehrten und Frommen suchte. Eines Tages aber geschah es, daß er ergrimmte wider zehn Räuber, die auf den Straßen des Kalifen raubten, und er befahl dem Präfekten von Bagdad, sie am Tage des großen Festes vor ihn zu führen. Da zog der Präfekt aus, nahm sie gefangen und schiffte sich ein mit ihnen in einem Boot. Ich erblickte sie, als sie das Boot bestiegen, und sagte zu meiner Seele: ›Diese sind sicher versammelt, um eine Hochzeit zu feiern; ich glaube, sie wollen den Tag in diesem Boot verbringen und essen und trinken, und niemand soll teilhaben an ihrem Gelage als ich.‹ So stand ich auf, ihr Herren, und im Übermaß meiner Höflichkeit und im vollen Ernste meines Verständnisses stieg ich zu ihnen ins Boot und begann, mich mit ihnen zu unterhalten. Sie ruderten quer hinüber zu dem anderen Ufer und landeten dort; doch die Wachen und Hüter des Friedens kamen mit Ketten herbei und legten sie den Räubern um den Hals. Und mit den anderen allen fesselten sie auch mich; nun saget, ist es nicht Beweis genug für meine Höflichkeit und für meine Wortkargheit, daß ich den Mund hielt und nicht einmal mit ihnen sprach? In Ketten führten sie uns fort und schleppten uns am nächsten Morgen vor Al-Mustansir bi'llah, den Beherrscher der Gläubigen, und er befahl, den zehn Räubern den Hals zu brechen. Und als sie alle auf dem Blutleder saßen, trat der Schwertträger vor und zog das Schwert und schlug die Köpfe einen nach dem anderen ab, bis er den zehnten getroffen hatte und nur noch ich zurückblieb. Und der Kalif sah mich an und fragte den Träger des Schwertes: ›Was fehlt dir, daß du nur neun Köpfe abschlägst?‹ ›Allah verhüte‹, versetzte er, ›daß ich nur neun abschlüge, wenn du mir befiehlst, zehn abzuschlagen!‹ Sprach der Kalif: ›Mich dünkt, du hast nur die Hälse von neunen getroffen, und der da vor dir steht, das ist der zehnte.‹ ›Bei deiner Wohltätigkeit!‹ erwiderte der Henker, ›ich habe zehn geköpft.‹ ›So zähle sie!‹ rief der Kalif; und als sie die Köpfe zählten, siehe, da waren es zehn. Und der Kalif sah mich an und sagte: ›Weshalb bewahrst du zu solcher Stunde Schweigen, und wie kommst du in die Gesellschaft dieser Menschen des Blutes? Sag mir den Grund, denn wahrlich, du bist hoch in den Jahren, aber dein Verstand ist schwach.‹ Als ich nun diese Worte aus dem Munde des Kalifen hörte, sprang ich auf und sagte: ›Wisse, o Fürst der Gläubigen, ich bin der schweigsame Schaykh, und so geheißen, um mich von meinen sechs Brüdern zu unterscheiden. Ich bin ein Mann von ungeheurer Gelahrtheit; und der Ernst meines Verständnisses, die Findigkeit meines Witzes und die Kargheit meiner Rede, all das ist ohne Grenzen, und von Beruf bin ich Barbier. Gestern aber ging ich in der Frühe aus und sah diese Leute, als sie zu einem Boote gingen; und da ich glaubte, sie seien auf dem Wege zu einer Hochzeitsfeier, so schloß ich mich ihnen an und mischte mich unter sie. Nach einer Weile aber kamen die Wachen und Hüter des Friedens und legten ihnen Ketten um den Hals, und mit den anderen auch um meinen; im Übermaß meiner Höflichkeit aber hielt ich den Mund und sprach kein Wort; und das war nichts als Großmut von meiner Seite. Sie führten uns in deine Gegenwart, und du gabst Befehl, den zehnen den Kopf abzuschlagen; und doch gab ich mich dir noch nicht zu erkennen, und schweigend blieb ich stehen vor dem Träger des Schwertes, und einzig aus der Fülle meiner Großmut und Höflichkeit, die mich trieb, ihr Schicksal zu teilen. Aber mein ganzes Leben lang habe ich so edel an den Menschen gehandelt, und sie vergelten mir mit der ärgsten und schmählichsten Vergeltung!‹ Als der Kalif nun meine Worte hörte und erfuhr, daß ich ein Mensch von übermäßiger Großmut und von so wenigen Worten wäre, ein Mensch, in dem kein Vorwitz lebte (wie doch dieser Jüngling behauptete, den ich aus Todesgefahr gerettet habe, und der es mir so schmählich vergalt), da lachte er in unbändigem Lachen, bis er auf den Rücken fiel. Und er sprach zu mir: ›O Schweiger, gleichen dir deine sechs Brüder an Weisheit und Wissen und Kargheit der Rede?‹ und ich erwiderte: ›Nimmer waren sie wie ich! Du wirfst Schimpf auf mich, o Beherrscher der Gläubigen, und es steht dir nicht an, mich mit meinen Brüdern auf die gleiche Stufe zu stellen; denn jeder von ihnen hat infolge der Fülle seiner Rede und infolge seines Mangels an Höflichkeit und Ernst irgend ein Brandmal davongetragen. Der eine ist einäugig, ein zweiter gelähmt, ein dritter stockblind, ein vierter der Ohren und der Nase beraubt, einem fünften sind beide Lippen abgeschnitten, und der sechste ist bucklig und ein Krüppel. Und glaube nicht, o Beherrscher der Gläubigen, ich gehe mit Worten verschwenderisch um; aber ich muß dir unbedingt deutlich machen, daß ich ein Mensch von höherem Wert und von weniger Worten bin als irgendeiner von ihnen. An jedem meiner Brüder hängt eine Geschichte, wie er zu seinem Körperfehler kam, und diese Geschichten will ich dir erzählen.‹ So lieh der Kalif sein Ohr

Des Barbiers Erzählung von seinem ersten Bruder

›Wisse denn, o Beherrscher der Gläubigen, mein erster Bruder, Al-Bakbuk, der Schwätzer, ist bucklig. Er erlernte in Bagdad das Schneidergewerbe, und er nähte in einem Laden, den er von einem sehr begüterten Manne gemietet hatte; der Hausherr aber wohnte über dem Laden, und unten im Hause war noch eine Kornmühle. Eines Tages nun, als mein Bruder, der Bucklige, in seinem Laden saß und schneiderte, hob er von etwa den Kopf und sah in einem überdachten Fenster eben dieses Hauses, dem aufgehenden Monde gleich, eine Dame, die die Vorübergehenden betrachtete. Und als mein Bruder sie erblickte, wurde sein Herz von Liebe zu ihr erfaßt, und den ganzen Tag lang starrte er sie an und vergaß darüber zu schneidern, bis es Abend war. Am nächsten Morgen aber öffnete er seinen Laden und setzte sich hin, um zu nähen; doch so oft er einen Stich stach, blickte er hinauf zum Fenster und sah sie wie am Tage zuvor; und seine Leidenschaft und seine Vernarrtheit wuchsen immer mehr. Und als er am dritten Tage wieder an seiner gewohnten Stelle saß und sie anstarrte, erblickte sie ihn, und da sie merkte, daß ihn die Liebe zu ihr erfaßt hatte, lächelte sie ihm zu, und er lächelte zurück. Da verschwand sie und schickte gleich darauf ihre Sklavin mit einem Stück rotgeblümter Seide zu ihm. Und die Sklavin sprach ihn an und sagte: ›Meine Herrin grüßt dich und wünscht, daß du ihr in deiner Geschicklichkeit und deinem guten Willen aus dieser Seide ein Hemd zuschneidest und es mit deinen besten Fäden reizend nähest.‹ Versetzte er: ›Hören und Gehorchen,‹ schnitt ein Hemd für sie zu und nähte es am selben Tage fertig. Und als der Morgen tagte, kam das Mädchen wieder und sagte: ›Meine Herrin grüßt dich und fragt, wie du die Nacht verbracht hast; denn sie vermochte nicht vom Schlaf zu kosten, weil ihr Herz mit dir beschäftigt war.‹ Und sie legte jetzt ein Stück gelber Seide vor ihn hin und sagte: ›Meine Herrin entbietet dir, ihr zwei Paar Hosen aus dieser Seide zu zuschneiden und sie noch heute zu nähen.‹ ›Hören und Gehorchen‹, erwiderte er; ›grüße sie für mich mit vielen Grüßen und sage ihr: Dein Sklave tut nach deinem Befehl, und so befiehl ihm, was du willst.‹ Und er setzte sich hin und schnitt zu und nähte nach Kräften, und nach einer Stunde erschien die Dame am Fenster und grüßte ihn durch Zeichen, senkte die Blicke und lächelte ihn an; so begann er die Gewißheit zu spüren, daß er bald eine Eroberung machen würde. Und sie ließ ihn nicht vom Fleck, bis er die beiden Hosen beendet hatte. Dann verschwand sie und schickte die Sklavin, der er sie übergab; sie aber nahm sie und ging ihrer Wege. Und als es Nacht war, da warf er sich auf sein Teppichbett und wälzte sich bis zum Morgen hin und her; dann stand er auf und setzte sich in seinen Laden. Und alsbald kam das Mädchen zu ihm und sagte: ›Mein Herr verlangt nach dir.‹ Als er das hörte, da fürchtete er sich in höchster Furcht; die Sklavin aber sagte, als sie seine Angst bemerkte: ›Deiner harrt nichts Arges; nichts als Gutes wartet auf dich. Meine Herrin wünscht, daß du mit meinem Herrn Bekanntschaft schließest.‹ Des freute sich der Schneider, mein Bruder, in höchster Freude und folgte ihr; und als er vor seinen Hausherrn trat, den Gatten der Dame, da küßte er vor ihm den Boden, und der Herr des Hauses gab seinen Gruß zurück und reichte ihm ein großes Stück Leinen und sagte: ›Mache mir Hemden aus diesem Stoff und nähe sie gut‹; und mein Bruder versetzte: ›Hören ist Gehorchen.‹ Und er machte sich sofort ans Werk und schnitt und nähte, bis er um die Zeit des Nachtmahls zwanzig Hemden beendet hatte, denn er nahm sich keine Frist zum Essen. Und der Hausherr fragte ihn: ›Was ist der Lohn dafür?‹ und er versetzte: ›Zwanzig Dirhems.‹ So rief der Herr der Sklavin zu: ›Bringe mir zwanzig Dirhems her‹; jedoch mein Bruder sagte: ›Bei Allah, ich will nichts aus deiner Hand annehmen.‹ Und er trug sein Schneidergerät in seinen Laden zurück, obgleich er keinen roten Heller mehr besaß. Doch er machte sich wieder für sie an die Arbeit; und in seinem Eifer und Fleiß aß er drei Tage lang nichts als ein Stück Brot, und trank nichts als ein wenig Wasser. Und als die drei Tage verstrichen waren, kam die Sklavin und sagte zu ihm: ›Was hast du vollbracht?‹ Sprach er: ›Sie sind fertig,‹ und trug die Hemden zu dem Gatten der Dame, der ihn bezahlen wollte; er aber sagte aus Furcht vor ihr: ›Ich will nichts nehmen,‹ kehrte in seinen Laden zurück und verbrachte infolge seines Hungers die Nacht ohne Schlaf.

 

Nun hatte die Dame ihrem Gatten gesagt, wie es mit ihm stände (mein Bruder aber wußte davon nichts); und die beiden hatten sich verabredet, ihn umsonst für sich arbeiten zu lassen, um ihn zum besten zu haben und auszulachen. Am nächsten Morgen ging er in seinen Laden, und als er dasaß, kam die Sklavin und sagte zu ihm: ›Sprich mit meinem Herrn.‹ Und er begleitete sie zu dem Gatten der Dame, der ihm sagte: ›Ich möchte, daß du mir fünf Gewänder mit langen Ärmeln schneidest.‹ Und er schnitt sie zu und nahm den Stoff und ging davon. Dann nähte er sie und brachte sie dem Herrn, und der lobte seine Arbeit und bot ihm einen Beutel Silbers. Doch als er die Hand ausstreckte, um ihn zu nehmen, blinzelte die Dame ihm zu (sie stand aber hinter ihrem Gatten), und er erwiderte: ›O mein Herr, es hat keine Eile, dafür ist immer noch Zeit.‹ Und er verließ das Haus demütiger und ärmer als ein Esel, denn wahrlich, fünf Dinge waren in ihm vereinigt: Liebe, Armut, Hunger, Nacktheit und schwere Arbeit. Und immer noch tröstete er sich mit der Hoffnung, die Gunst der Dame zu gewinnen. Doch als er all ihre Arbeit vollendet hatte, da spielten sie ihm einen neuen Streich und vermählten ihn ihrer Sklavin; und als er nachts bei ihr zu schlafen gedachte, sagten sie zu ihm: ›Lege dich heute in der Mühle nieder, und morgen wird alles gut gehn.‹ Und da mein Bruder meinte, sie hätten einen guten Grund dafür, so übernachtete er allein in der Mühle. Nun hatte der Gatte den Müller angewiesen, die Mühle vom Schneider drehen zu lassen; und als die Nacht halb verstrichen war, kam der Müller herein und sagte: ›Dieser unser Ochs ist unbrauchbar geworden, und er steht still, statt im Kreis zu gehen; er will die Mühle heute nacht nicht drehen, und doch haben wir viel Vorrat an Korn, das gemahlen werden muß. Aber ich werde ihn mit Gewalt einspannen, und er soll es mir noch vor morgen mahlen, da die Leute ungeduldig ihres Mehles warten.‹ Und er füllte die Trichter mit Korn, trat mit einem Strick zu meinem Bruder, band ihn ihm um den Hals und rief: ›Jüh hopp! Herum mit der Mühle! Du Ochs, du meinst wohl, du brauchst nichts zu tun als zu fressen und zu seichen und zu kacken!‹ Und er nahm eine Peitsche und schwang sie auf Schultern und Waden meines Bruders, und der begann zu heulen und zu schreien; aber niemand kam ihm zu Hilfe, und er mußte bis kurz vor Tagesanbruch den Weizen mahlen. Da kam der Hausherr und sah meinen Bruder ins Joch gespannt, derweilen der Müller ihn peitschte, und ging wieder fort. Und als der Tag da war, ging der Müller nach Hause und ließ ihn halbtot im Joch. Bald darauf kam die Sklavin und band ihn los und sagte: ›Ich und meine Herrin trauern sehr um das, was geschehen ist, und wir haben den Kummer mit dir getragen.‹ Doch er hatte nach all den Schlägen und der Arbeit in der Mühle keine Zunge mehr, um ihr zu antworten. Und er zog sich zurück in seine Wohnung, und siehe, der Schreiber, der seinen Ehevertrag geschrieben hatte, trat ein, begrüßte ihn und sagte: ›Allah gewähre dir ein langes Leben! Möge deine Hochzeit gesegnet sein! Dieses dein Antlitz spricht mir von heiterem Tun und Scherzen, und von Umarmungen und Küssen die ganze Nacht hindurch.‹ ›Allah gewähre dem Lügner keinen Frieden, o du tausendfacher Hahnrei!‹ erwiderte mein Bruder, ›bei Allah, ich habe die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen nichts getan als an Stelle des Ochsen die Mühle gedreht!‹ ›Erzähle mir deine Geschichte‹, sagte der Schreiber; und mein Bruder erzählte ihm alles, was ihm widerfahren war, und jener sagte: ›Dein Stern stimmt nicht zu ihrem Stern; doch wenn du willst, so will ich den Vertrag für dich ändern,‹ und er fügte hinzu: ›Nimm dich in acht, daß nicht ein neuer Betrug deiner harrt.‹ Und mein Bruder erwiderte ihm: ›Sieh zu, ob du einen Ausweg findest.‹ Und der Schreiber verließ ihn, und Al-Bakbuk saß in seinem Laden und wartete, daß jemand Arbeit brächte, durch die er seines Tages Brot verdienen könnte. Plötzlich aber kam die Sklavin zu ihm und sagte: ›Sprich mit meiner Herrin.‹ ›Geh von mir, o mein gutes Mädchen,‹ erwiderte er, ›zwischen mir und deiner Herrin soll es keinen Verkehr mehr geben.‹ Und das Mädchen kehrte zu ihrer Herrin zurück und berichtete ihr, was mein Bruder geantwortet hatte; und alsbald steckte die Dame den Kopf zum Fenster hinaus und weinte und sagte: ›Weshalb, o mein Geliebter, soll es keinen Verkehr mehr geben zwischen mir und dir?‹ Er aber gab keine Antwort. Und sie weinte und beschwor ihn und beteuerte, was ihm in der Mühle widerfahren war, sei nicht mit ihrer Billigung geschehen, und sie sei an all dem ohne Schuld. Und als er ihre Schönheit sah und ihre Lieblichkeit und ihre süße Stimme hörte, da wich der Gram, der ihn ergriffen hatte, aus seinem Herzen, er ließ ihre Entschuldigung gelten und freute sich ihres Anblicks. Und er grüßte sie und sprach mit ihr, und saß und schneiderte derweilen; und schließlich kam die Sklavin zu ihm und sagte: ›Meine Herrin grüßt dich und teilt dir mit, daß ihr Gatte heute nacht im Hause eines guten Freundes zu schlafen gedenkt. Wenn er also fort ist, so komme du zu uns und verbringe die Nacht mit meiner Herrin in herrlichstem Genusse bis zum Morgen.‹

Nun aber hatte ihr Gatte sie gefragt: ›Wie sollen wir es anfangen, ihn von dir fortzutreiben?‹ und sie hatte gesagt: ›Laß mich, ich werde ihm noch einen Streich spielen und ihn zum Gelächter für die ganze Stadt machen.‹ Doch mein Bruder wußte nichts von der Arglist der Frauen. Und als es dunkel war, kam die Sklavin und führte ihn ins Haus, und als die Dame ihn erblickte, da rief sie aus: ›Bei Allah, o mein Herr, ich habe mich sehr nach dir gesehnt.‹ ›Bei Allah,‹ erwiderte er, ›küsse mich schnell, bevor du mir anderes gibst.‹ Kaum aber hatte er das gesagt, so trat der Gatte der Dame aus dem nächsten Zimmer herein, ergriff ihn und sagte: ›Bei Allah, ich will dich nicht gehen lassen und dich dem Hauptmann der Stadtwache ausliefern.‹ Und mein Bruder demütigte sich vor ihm; doch er wollte nicht auf ihn hören und führte ihn vor den Präfekten, der ihm hundert Peitschenhiebe erteilen und ihn auf ein Kamel setzen ließ, auf dem er durch die ganze Stadt geführt wurde, während die Wachen ausriefen: ›Solches ist der Lohn für jeden, der den Harim ehrenwerter Männer verletzt!‹ Und obendrein fiel er noch vom Kamel und brach sich das Bein und wurde lahm. Der Präfekt aber verbannte ihn aus der Stadt, und er zog aus und wußte nicht, wohin er sich wenden sollte; ich aber hörte davon, und da ich um ihn besorgt war, so ging ich ihm nach und führte ihn heimlich zurück in die Stadt und stellte seine Gesundheit wieder her und nahm ihn auf in mein Haus, allwo er noch lebt.‹ Und der Kalif lachte sehr über meine Geschichte und sagte: ›Du hast gut gehandelt, o Samit, o Schweiger, o Wortkarger!‹ und er hieß mich ein Geschenk annehmen und davongehen. Ich aber sagte: ›Ich will nichts von dir nehmen, es sei denn, daß ich dir zuvor erzähle, was all meinen anderen Brüdern widerfahren ist; doch glaube deshalb nicht, ich sei ein Mann der vielen Worte.‹ Und der Kalif lieh sein Ohr

Des Barbiers Erzählung von seinem zweiten Bruder

Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, mein zweiter Bruder hieß Al-Haddar, das ist der Plapperer, und er war der Gelähmte. Nun geschah es eines Tages, als er ausging an seine Geschäfte, daß ein altes Weib ihn ansprach und sagte: ›Warte ein wenig, mein Guter, daß ich dir von etwas rede, was du für mich tun sollst, wenn es dir zusagt, und ich will Allah bitten, es dir zu vergelten.‹ Und mein Bruder blieb stehen, und sie fuhr fort: ›Ich will dir zu einem gewissen Etwas auf den Weg verhelfen, so du mit Worten nicht verschwenderisch umgehst.‹ ›Heraus damit,‹ sprach er; und sie: ›Was sagest du zu einer schönen Wohnung und einem schönen Garten mit fließenden Wassern und blühenden Blumen und wachsenden Früchten und altem Wein und einem hübschen jungen Gesicht, dessen Eigentümerin du umarmen magst vom Abend bis zum Morgen? Und wenn du tust, was ich dir sage, so sollst du etwas sehen, was sehr zu deinem Vorteil ist.‹ ›Und ist all das vorhanden in der Welt?‹ fragte mein Bruder; und sie versetzte: ›Ja, und es soll dein sein, so du vernünftig bist und müßige Neugier und viele Worte lässest und tust, was ich dir befehle.‹ ›Ich bin es wahrlich zufrieden, o meine Herrin,‹ erwiderte er; ›wie kommt es, daß du von allen Menschen gerade mich erwählst, und was gefällt dir an mir so gut?‹ Sprach sie: ›Hieß ich dich nicht mit Worten kargen? Halte den Mund und folge mir. Wisse, die junge Dame, zu der ich dich bringen werde, geht gern ihren eigenen Weg, und sie haßt es, daß er durchkreuzt wird, und alle haßt sie, die ihr widersprechen; wenn du ihr also gehorchst, so wirst du von ihr erhalten, was du begehrst.‹ Und mein Bruder sagte: ›Ich will sie in nichts durchkreuzen.‹ Und sie ging weiter, und mein Bruder folgte ihr, hungrig auf das, was sie ihm geschildert hatte, bis sie ein schönes, weites, stattliches und vortrefflich eingerichtetes Haus betraten, das von Eunuchen und Sklaven wimmelte und von oben bis unten die Zeichen des Reichtums trug. Und als sie ihn in das obere Stockwerk führte, sagten die Leute des Hauses zu ihm: ›Was willst du hier?‹ Aber die Alte erwiderte ihnen: ›Haltet den Mund und stört ihn nicht; er ist ein Handwerker, und wir haben Arbeit für ihn.‹ Und sie führte ihn in einen schönen großen Pavillon, in dessen Mitte ein Garten lag, nie sah ein Auge einen schöneren; dort hieß sie ihn sich setzen auf ein hübsches Polster. Und er saß noch nicht lange, so vernahm er ein lautes Geräusch, und herein trat eine Schar von Sklavinnen, die eine Dame umringten, dem Monde gleich in der Nacht seiner Fülle. Und als er sie sah, da stand er auf und verneigte sich vor ihr, und sie hieß ihn willkommen und winkte ihm, sich zu setzen; und als er sich setzte, sprach sie zu ihm: ›Allah bringe dich zu Ehren! Geht es dir gut?‹ ›O meine Herrin,‹ versetzte er, ›es geht mir sehr gut.‹ Da ließ sie Speisen bringen, und man setzte ihr ihre leckeren Gerichte vor; und sie setzte sich nieder, um zu essen, und tat, als liebe sie meinen Bruder sehr, und scherzte mit ihm, ob sie sich auch derweilen des Lachens nicht enthalten konnte; aber so oft er sie ansah, hob sie die Hand auf die Sklavinnen, als lache sie über diese. Und mein Bruder (der Esel!) verstand von all dem nichts; und im Übermaß seiner lächerlichen Leidenschaft bildete er sich ein, die Dame sei in ihn verliebt und werde ihm bald gewähren, was er wünschte. Als sie gegessen hatten, trug man den Wein auf, und herein kamen zehn Mädchen, Monden gleich, und sie trugen gestimmte Lauten in den Händen und begannen mit vollen Stimmen süß und traurig zu singen, und ihn faßte das Entzücken an; so nahm er der Dame den Becher aus der Hand und trank ihn stehend aus. Und auch sie trank einen Becher Weins, und mein Bruder sagte (immer noch stehend): ›Dein Wohl‹, und verneigte sich. Sie reichte ihm einen zweiten Becher, und er trank auch ihn aus; sie aber schlug ihn scharf ins Genick. Da wollte mein Bruder im Zorn zum Hause hinaus; aber die Alte folgte ihm und brachte ihn zurück. Er machte kehrt, und die Dame hieß ihn sich setzen, und er setzte sich ohne ein Wort. Und wieder schlug sie ihn ins Genick; und auch der zweite Schlag genügte ihr noch nicht; all ihre Sklavinnen mußten ihn gleichfalls noch schlagen, derweilen er fortwährend zu der Alten sagte: ›Nie sah ich Schöneres als dies.‹ Sie aber ließ nicht ab zu rufen: ›Genug, genug, ich beschwöre dich, o meine Herrin!‹ Doch das Mädchen schlug ihn, bis er fast ohnmächtig wurde. Und mein Bruder stand auf, um einem Rufe der Natur zu folgen, aber die Alte holte ihn ein und sagte: ›Gedulde dich noch ein wenig, und du gewinnst, was du dir wünschest.‹ ›Wie lange soll ich noch warten?‹ erwiderte mein Bruder, ›dies Schlagen hat mich geschwächt.‹ ›Sowie sie vom Weine heiß ist,‹ versetzte sie, ›wirst du gewinnen, was du wünschest.‹ Und er kehrte auf seinen Platz zurück und setzte sich, und all die Sklavinnen standen auf, und die Dame befahl ihnen, ihn mit Pastillen zu beräuchern und ihm das Gesicht mit Rosenwasser zu besprengen. Zu ihm aber sprach sie: ›Allah bringe dich zu Ehren! Du hast mein Haus betreten und meine Bedingungen eingehalten; denn wer mich durchkreuzt, den schicke ich hinweg, und wer geduldig ist, erhält, was er begehrt.‹ ›O meine Gebieterin,‹ sagte er, ›ich bin dein Sklave und in deiner hohlen Hand!‹ ›So wisse,‹ fuhr sie fort, ›mich hat Allah zu einer leidenschaftlichen Freundin lustiger Scherze gemacht; und wer immer eingeht auf meine Launen, der erhält, was immer er wünscht.‹ Und sie befahl ihren Mädchen, mit lauten Stimmen zu singen, so daß die ganze Gesellschaft entzückt war; und dann sprach sie zu einer von ihnen: ›Nimm deinen Herrn und tu, was nötig ist, und bringe ihn mir alsbald zurück.‹ Und das Mädchen nahm meinen Bruder (doch er wußte nicht, was sie mit ihm beginnen wollte); aber die Alte holte ihn ein und sagte: ›Sei geduldig! Es bleibt nur noch wenig zu tun!‹ Und sein Gesicht wurde hell, und er stand auf vor der Dame, während die Alte immerfort sagte: ›Sei geduldig, jetzt wirst du gleich gewinnen, was du wünschest!‹ bis er sagte: ›Sage mir, was dieses Mädchen mit mir tun soll.‹ ›Nichts als Gutes,‹ erwiderte sie, ›so wahr ich dein Opfer bin! Sie soll dir nur die Augenbrauen färben und den Bart auszupfen.‹ Sprach er: ›Die Farbe auf den Augenbrauen geht beim Waschen wieder ab, aber wenn man mir den Schnurrbart auszupft, das tut weh.‹ ›Nimm dich in acht,‹ rief die Alte, ›daß du sie nicht durchkreuzest! Denn ihr Herz verlangt nach dir.‹ Und so ließ mein Bruder sich geduldig die Brauen färben und den Schnurrbart auszupfen; und das Mädchen kehrte zu ihrer Herrin zurück und sagte ihr Bescheid. Sprach sie: ›Jetzt bleibt nur noch eins zu tun; du mußt ihm den Bart scheren, daß er glatt wird im Gesicht.‹ Und das Mädchen kehrte zu ihm zurück und sagte ihm, was ihre Herrin ihr befohlen hatte; und mein Bruder (der Dummkopf!) erwiderte ihr: ›Wie soll ich dulden, was mich in den Augen der Leute entehrt?‹ Doch die Alte sagte: ›Sie will es so, damit du bist wie ein bartloser Jüngling, und damit kein Haar auf deiner Backe bleibt, das ihr die zarten Wangen kratzt und sticht; denn sie ist leidenschaftlich in dich verliebt. Also sei geduldig, und du erreichst dein Ziel.‹ Und mein Bruder war geduldig und tat, was sie befahl, und als er wieder vor die Dame geführt wurde, siehe, da waren ihm die Brauen rot gefärbt, und der Schnurrbart war ihm ausgezupft, das Kinn rasiert und die Wangen geschminkt. Und erst erschrak sie über ihn; dann machte sie sich lustig und lachte, bis sie auf den Rücken fiel, und sagte: ›O mein Herr, wahrlich, du hast dir durch deine gute Natur mein Herz gewonnen!‹ Und sie beschwor ihn bei ihrem Leben, vor ihr zu tanzen, und er stand auf und sprang herum, und im ganzen Hause gab es kein Kissen, das sie ihm nicht an den Kopf warf; und ebenso taten all ihre Mädchen, die ihn zudem noch mit Orangen und Limonen und Zitronen bewarfen, bis er von den Nackenschlägen und dem Bewerfen mit Kissen und Früchten in Ohnmacht fiel. ›Nun hast du erreicht, was du wünschest,‹ sagte die Alte, als er wieder zu sich kam; ›jetzt harren deiner keine Schläge mehr, und nur noch wenig bleibt zu tun. Sie ist gewohnt, sich von niemandem fangen zu lassen, bis sie ihr Kleid und ihre Hose abgelegt hat und splitternackt ist; dann wird sie dir befehlen, daß auch du die Kleider ablegst und laufest; und sie wird vor dir herlaufen und vor dir fliehen; du aber folge ihr von Ort zu Ort, bis dein Stachel steht; dann wird sie sich dir ergeben‹; und sie fügte hinzu: ›Zieh deine Kleider jetzt gleich aus.‹ Und er stand auf, von Sinnen fast, legte seine Kleidung ab und zeigte sich ganz nackt. – –«

 

Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die Zweiunddreißigste Nacht da war, fuhr sie also fort: »›Ich vernahm, o glücklicher König, daß die Alte zu des Barbiers zweitem Bruder sagte: ›Zieh deine Kleider aus‹; und er stand auf, fast von Sinnen, und zog sich aus und zeigte sich splitternackt. Und auch die Dame zog sich aus und sagte zu meinem Bruder: ›Wenn du etwas willst, so laufe mir nach, bis du mich fängst‹. Und sie lief ihm fort, und er lief ihr nach, und sie stürzte in ein Zimmer nach dem anderen, und stürzte aus einem Zimmer nach dem anderen, und mein Bruder setzte ihr wie ein Verrückter in rasendem Verlangen nach, derweilen ihm die Rute in furchtbarer Größe stand. Und schließlich stürzte sie in einen dunklen Raum, und er ihr nach; aber plötzlich trat er auf eine Stelle, die unter ihm nachgab; und ehe er noch wußte, wo er war, sah er sich mitten auf dem vollen Markt, im Basar der Lederhändler, die die Preise von Häuten und Fellen ausriefen, und kauften und verkauften. Und als sie ihn so sahen, nackt, mit stehender Rute, rasiert, und mit gefärbten Brauen und geschminkten Backen, da schrien sie und klatschten ihn aus, und begannen mit den Häuten auf seinen nackten Leib zu schlagen, bis er ohnmächtig hinfiel. Und sie warfen ihn auf einen Esel und führten ihn vor den Hauptmann der Wache. Sprach der Wali: ›Was ist dies?‹ Sprachen sie: ›Dieser Bursche fiel plötzlich in diesem Zustand aus des Veziers Haus auf uns nieder.‹ Und der Wali ließ ihm hundert Peitschenhiebe verabfolgen und verbannte ihn aus Bagdad. Ich aber ging ihm nach und brachte ihn heimlich in die Stadt zurück und gab ihm ein Taggeld, damit er leben konnte; und doch hätte ich, wäre nicht meine Großmut, seinesgleichen von mir weisen können.‹ Und der Kalif lieh das Ohr