Das Sägewerk

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Das Sägewerk
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Die französische Originalausgabe wurde 1975 unter dem Titel La Scierie von Pierre Gripari bei Éditions L’ Âge d Homme in Lausanne herausgegeben.

Der Übersetzer dankt dem Deutschen Übersetzerfonds und der Robert Bosch Stiftung für die großzügige Unterstützung seiner Arbeit.


E-Book-Ausgabe 2020

© 1975 Éditions L’ Âge d’ Homme, Lausanne

© 2020 Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin

Covergestaltung Julie August unter Verwendung eines Holzschnittes © Karl Schmidt-Rottluff / VG Bildkunst Bonn 2020.

Das Karnickel zeichnete Horst Rudolph. Alle Rechte vorbehalten.

Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.

Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

ISBN: 978-3-8031-4292-4

Auch in gedruckter Form erhältlich: 978-3-8031-2832-4

www.wagenbach.de

Ich schreibe, weil ich glaube, dass ich etwas zu sagen habe. Über mein Leben zwischen dem achtzehnten und dem zwanzigsten Lebensjahr, zwischen meinem nicht bestandenen Abitur und dem Militärdienst.

Ich bedaure, dass ich während dieser Zeit keine Notizen gemacht habe, aber immerhin kann ich mich damit trösten, dass das einfach nicht möglich war. Keine Zeit und vor allem die Erschöpfung.

Nachdem ich mich den ganzen Sommer auf die Abiturprüfungen im Oktober vorbereitet und nebenher als Page im Hôtel de France in Blois gearbeitet hatte, habe ich es nun also vergeigt. Das wundert mich nicht. Es schien mir von Anfang an aussichtslos. Ich habe mein Bestes gegeben. Wer die angespannte Müdigkeit der Arbeitstage und die vor Anstrengung brennenden Augen in der Nacht kennt, wird mich verstehen.

Ich habe keinen Beruf. Das Einzige, was mich interessiert, ist die Marine. Ich möchte mich verpflichten, doch mein Bruder, der auch mein Vormund ist, verweigert mir seine Einwilligung. Der Gedanke an Büroarbeit ist mir zuwider, ich habe genug vom Schreiben, das hat mich schon einmal betrogen, und ich habe genug davon, den ganzen Tag herumzusitzen und Anweisungen von blassen Hohlköpfen zu befolgen. Ich weiß, dass ich kräftig bin. Ich werde eine Arbeit suchen, für die man kräftig sein muss. Nur was? In der Gegend, in der ich wohne, am Flusslauf der Loire, gibt es nur Arbeit im Ackerbau. Aber die Bauern gehen mir auf die Nerven mit ihrem ständigen Genörgel und ihren Unmengen an Geld, die sie wie die letzten Arschlöcher vor den anderen verstecken. Ich suche drei oder vier Tage. Ich gehe in eine Gießerei, eine Mühle und eine Fabrik, die Stahlfedern herstellt. Eines Morgens komme ich zu einem kleinen Sägewerk, in dem vor allem Holzkisten hergestellt werden. Hier finde ich meine erste Anstellung als Sägewerksarbeiter; eine Arbeit, die beinahe unmenschlich hart ist, dafür aber Eindrücke hinterlässt, die man niemals wieder vergisst.

Es ist Dezember. Ich gehe zu einem langen Holzschuppen, an dem Fetzen von Teerpappe kleben, das ganze Gelände dahinter ist mit weißem Reif überzogen. Bei feuchtem Wetter muss es hier unglaublich schlammig sein, Lastwagenräder haben breite und tiefe Spuren in den Boden gegraben. Die starre, gefrorene Erde ist überall zerfurcht, zerwühlt und aufgeworfen. Man sieht, dass hier sehr schwere und sehr unförmige Dinge gerollt oder gezogen werden. Ich bemerke einen losen Haufen von Baumstämmen, die nachlässig von Lastwagen abgeladen wurden. Später werde ich erfahren, dass diese Stämme Rundholz genannt werden, dass es sich dabei um Pappeln handelt und dass sie sich nur mit großer Mühe bewegen lassen. Auf dem Gelände sind zwei Männer gerade dabei, mit einer Trummsäge eine Pappel in gleich lange Stücke zu zersägen. Ich gehe zu ihnen: »Ist der Chef da?« »Ja, drinnen.«

Ich betrete einen gut fünfundzwanzig Meter langen Holzschuppen und stehe vor einer großen Maschine, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Überall entlang der Wände stehen kleinere Maschinen, ich erkenne nur eine Kreissäge, an der ein Kerl steht, den ich schon ein-, zweimal in Saint-Dyé gesehen habe. Ganz hinten in der Halle sind Arbeiter, die, mit Hämmern bewaffnet, Holzbretter von unterschiedlicher Größe zusammenbauen. Beim Näherkommen erkenne ich, dass sie Flaschenkisten montieren. Jeder hat einen Haufen unterschiedlich großer Bretter vor sich liegen. Sie arbeiten sehr schnell.

Als ich eintrete, ist keine der Maschinen in Betrieb. Man hört nur die verschiedenartigen Klänge der Hammerschläge und das stählerne Geräusch der Trummsäge, die in das Holz vordringt. Alle Köpfe drehen sich in meine Richtung. Ich sehe mir die Leute nur kurz an, die meisten von ihnen sind Männer, dann treffen meine Augen plötzlich auf die von Pressurot, dem Chef.

Der Mann ist ein Kraftpaket. Eine Baskenmütze beschattet seine großen Augen, er trägt eine Brille mit einem großen Gestell und hat zwei Goldzähne. Sein volles Gesicht ist das eines Typen, der weiß, wie man sich durchs Leben schlägt. Er trägt eine rote Lammfelljacke, deren Kragen bis zu den Ohren hochgeklappt ist, und eine braune Cordhose. Seine Füße stecken in großen Holzschuhen.

Er hat mich kommen sehen und mustert mich gründlich, als ich mich ihm nähere. Er ahnt bereits, dass ich ihn nach Arbeit fragen werde. Ich weiß das, und das demütigt mich. Alle Blicke folgen mir, kein Laut ist mehr zu hören. Ich gehe gerade auf ihn zu: »Ich bin der jüngere Sohn von M. P., aus Saint-Dyé, ich habe keine Arbeit. Kann ich bei Ihnen arbeiten?«

Er blickt mich blöd an (später werde ich sehen, dass ihn dieser Gesichtsausdruck nur selten verlässt), dann öffnet sich sein riesiger Mund, und er antwortet: »Najaaa …« Er kratzt sich am Hinterkopf, sodass ihm seine abgetragene Baskenmütze beinahe über die Nase rutscht. »Also gut, Bursche, komm morgen mit einer Beißzange und einem Hammer, ich könnte dich an den Kisten gebrauchen, du wirst Nägel einschlagen.« Er deutet mit einer Handbewegung auf die Arbeiter am hinteren Ende der Halle, die, unterbrochen von gelegentlichem Flüstern, ihre Arbeit wieder aufgenommen haben. Ich sage: »Wann?« »Um sieben.« »Einverstanden. Danke.«

Als ich ihm die Hand gebe, bemerke ich, dass ihm ein Finger fehlt.

Im Grunde bin ich nicht gerade begeistert. Das bisschen, was ich von meiner zukünftigen Tätigkeit gesehen habe, wirkt nicht sehr verlockend. Ich wollte eine Arbeit finden, die Kraft verlangt. Die Tatsache, dass unter den Kistenbauern auch zwei Frauen sind, lässt mich die Arbeit geringschätzen. Beim Hinausgehen bemerke ich zum ersten Mal das Sägemehl. Alles, jeder noch so kleine Winkel in der Halle, ist davon bedeckt. Es sieht schön aus. Als ich an einem Brett vorbeikomme, nehme ich eine Handvoll auf. Es fasst sich weich an. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass mich allein der Anblick oder der Geruch von Sägemehl zwei Jahre später an Dinge erinnern wird, die alles andere als witzig sind.

Zu Hause erzähle ich Yvonne, dass ich eine Arbeit gefunden habe und wo ich angestellt bin. Sie sagt, dass dort auch ein Belgier arbeitet, der in Saint-Dyé wohnt. Außerdem kommt der Kerl, der mir schon aufgefallen ist, aus Saint-Dyé, und seine Tochter, die an den Kisten arbeitet. Sie soll sehr geschickt sein. Kaum das erste Gerede, und schon kommt Neid auf. Der Belgier ist offenbar ein Säufer und berüchtigt für seine Stärke. Der andere ist klein, mager und kümmerlich, vor allem aber ist er boshaft. Seine Tochter ist anscheinend so geschickt im Kistenzusammenbauen, dass jeder im Werk neidisch auf sie ist. Man muss wissen, dass die Kistenbauer pro Stück bezahlt werden. Die Arbeiter an den Maschinen werden pro Stunde bezahlt.

Mich kümmern diese Geschichten im Augenblick noch wenig. Später werde ich leider mehr als genug darüber erfahren. Wie dem auch sei, ich bin jetzt ein Arbeiter, und das macht mir Angst. Ich kenne diese Welt nicht. An diesem Abend schlafe ich schlecht ein.

Am nächsten Morgen, es ist Donnerstag, der 14. Dezember 1950, stehe ich um sechs Uhr auf. Nach dem Frühstück fahre ich um halb sieben mit dem Fahrrad zum Sägewerk. Vor mir liegen vier Kilometer, und es ist schweinekalt. Vereinzelt sehe ich die roten Rücklichter der Leute, die nach Muides zur Arbeit fahren.

Als ich den Betrieb erreiche, bin ich völlig durchgefroren. Alles sieht anders aus. Gestern war ich tagsüber hier. Jetzt beleuchtet nur eine kleine Lampe einen spärlichen Teil der Halle. Vor allem fällt mir der Geruch auf, der süßlich-harzige Geruch von frisch gesägtem Holz, der jedem sofort auffällt, der ihn nicht gewohnt ist.

Der Franzose aus Saint-Dyé und seine Tochter sind schon da. Sein Spitzname ist Bibi. Die Tochter heißt Jacqueline. Er kniet vor dem Ofen und pustet auf einen feuchten Heuhaufen, über dem Holzbrettchen aufgeschichtet sind, aus denen Flüssigkeit sickert. Die Luft ist feucht und kalt. Er flucht: »Scheiße, verdammte! Irgendwann schmeiß ich den beschissenen Ofen noch raus!« Er wendet sich zu mir um: »Das geht auf keine Kuhhaut! Hier arbeiten zehn Leute, mit dir jetzt elf, und nichts, um ein Feuer zu machen. Schöner Dreck, dieses Scheißloch hier!«

Ich wundere mich. Bald werde ich erfahren, dass es eine der Lieblingsbeschäftigungen der Arbeiter ist, über ihren Chef zu schimpfen. Ich bekomme eine erste Ahnung vom stillen und erbarmungslosen Krieg, den die Arbeiter gegen ihren Boss führen und den ich auch später an jedem Arbeitsplatz erlebt habe.

 

Ich antworte nichts.

Ein anderer kommt: Er reicht mir die Hand. Er ist herzlich, doch sein Blick ist falsch und böse. Später werde ich erfahren, dass er ein Gendarm im Ruhestand ist, der in Muides wohnt.

Außerdem gibt es einen Spanier, der zu niemandem ein Wort sagt und im Eck neben dem kalten Ofen hockt.

Auf Außenstehende muss die Halle in diesem Augenblick einen seltsamen Eindruck machen: ein wirres Durcheinander von Holzbrettern in allen Größen, reglosen Maschinen, die sich undeutlich im Halbdunkel abzeichnen, Holzspänen und Holzkisten mit der Aufschrift:

CROIX DE LORRAINE – Argenteuil

– alles unter einer Staubschicht, leblos und vereist.

Pressurot kommt, seine Begrüßung dröhnt durch

die Halle: »Guten Morgen, Kinder! An die Arbeit!«

Ich antworte als Einziger, ganz leise. Alle Augen richten sich auf die alte Standuhr, deren Pendel gleichmäßig glänzt. Sieben Minuten vor sieben. Wortlos geht jeder an seinen Platz, die Hände in den Taschen, den Rücken gebeugt. Die beiden, die gestern an der Trummsäge gearbeitet haben, kommen zuletzt, unausgeschlafen und ungewaschen. Der eine ist klein, jung, gedrungen. Der andere ist grauhaarig, groß, hager und hat viele Falten. Er hat einen Tick: Manchmal verdreht er seine rot durchäderten Glubschaugen. Der Kleine ist Gauthier. Den Alten nennen sie Jules. Wortlos nehmen sie ihre Säge von der Wand und beginnen zu arbeiten, wie am Vortag.

Währenddessen macht mich Pressurot mit meiner Aufgabe bekannt und erklärt, was er von mir erwartet. Schnelle, sorgfältige, am besten tadellose Arbeit. Und natürlich, dass ich gut liefere, das sei in meinem wie in seinem Interesse.

Ich muss verschiedene Bretter zu Flaschenkisten zusammenbauen. Mit ein bisschen Übung gehe das ganz von alleine, sagt er. Am Anfang solle ich achtgeben, keine Fehler beim Zusammenbauen zu machen und mir nicht auf die Finger zu hämmern. Zum Glück war ich schon immer recht geschickt. Nichtsdestotrotz werden meine Hände, wenn sie durch den ständigen Kontakt mit den kalten Nägeln und dem kalten Holz ganz steifgefroren sind, noch ein paar schöne Schläge mit dem Hammer abbekommen.

Meine Schülerhände, die niemals gelitten haben, werden bald ihr Handwerk lernen. Ein schmerzhaftes Handwerk. Ich versuche, so schnell wie möglich zu arbeiten. Das ist dumm. Aber ich will besser sein als die anderen. Man hat mir gesagt, dass ein Anfänger in der ersten Zeit nicht mehr als zwölf Kisten pro Tag schafft. Ich will mehr, ich will die anderen beeindrucken. Erstens aus Eitelkeit, zweitens, weil ich merke, dass die anderen Arbeiter jede meiner Handbewegungen ganz genau beobachten, und mir das nicht gefällt. Ihre Welt ist nicht die meine. Sie sind sich zwar nicht sicher, doch sie spüren, dass ich aus einer wohlhabenderen Klasse komme als sie. Ich hebe mich von ihnen ab, und das, obwohl ich äußerlich genauso aussehe wie sie. Tatsächlich war ich noch nie in meinem Leben so schlecht gekleidet wie heute: Ich trage alte Lederschuhe, eine Art abgetragene Skihose, einen geflickten blauen Pullover und ein blaues, weißgepunktetes Halstuch. Auf dem Kopf eine amerikanische Schirmmütze aus Leinen.

Doch das ändert nichts, meine Art, meine Redeweise ist anders als ihre, und obwohl sie mich noch nicht kennen, misstrauen sie mir.

Also arbeite ich, so schnell ich kann, bis plötzlich ein Geräusch zu hören ist, das ich nicht zuordnen kann und das mich den Kopf heben lässt. Es ist das Geräusch des stählernen Sägeblatts, das, angetrieben von zwei gusseisernen Scheiben, langsam zu rotieren beginnt. Zunächst ist das Geräusch noch tief und unklar, mit zunehmender Geschwindigkeit wird es immer klarer und höher. Die Säge wurde angestellt – die Säge, diese verdammte Maschine, die mir über achtzehn Monate so zu schaffen machen wird. Und das Sägeblatt: niemals müde, und man braucht bis zu zehn Männer, um es zu füttern, es zu sättigen.

Diese Sägebank ist recht klein, zwei Männer genügen, um sie zu versorgen. Später sollte ich leistungsfähigere Blockbandsägen sehen, an denen die oben erwähnten zehn Mann zu schaffen hatten.

Das Blatt hat die Arbeitsgeschwindigkeit erreicht, es leuchtet hell unter dem Schein der darüberhängenden Lampe.

Gauthier und Jules packen ein Stück Pappel und werfen es auf den Laufwagen – ein metallisches Scheppern. Die beiden sind die Säger.

Gauthier verkeilt den Block sorgfältig mit kleinen Holzstücken und richtet ihn aus – wozu? Ich weiß es nicht. Als alles fertig ist, holen die beiden noch einmal tief Luft, dann schieben sie behutsam den Laufwagen über die Walzen. Der am Rand des Laufwagens festgekeilte Block nähert sich langsam dem Blatt – plötzlich ein lautes, reißendes Geräusch und eine Fontäne von frischem Sägemehl: Die Säge ist ins Holz eingedrungen.

Niemals werde ich dieses Bild vom Aufeinandertreffen von Sägeblatt und Holz vergessen. Dieser Moment ist immer wieder spannend. Man nennt dieses Aufeinandertreffen auch Angriff. In einem Sägewerk beobachtet jeder den Angriff, der einfache Arbeiter ebenso wie der alte Säger, der mit gerunzelter Stirn mit seiner Säge leidet, oder der Schleifer, der bereits am Klang erkennt, ob das Sägeblatt stumpf ist oder nicht.

Gauthiers nach unten gezogene Mundwinkel und seine gerunzelte Stirn erstarrten im Augenblick des Angriffs. Er sah leidend aus. In Jules’ Gesicht, dessen Falten im Licht deutlich zu sehen waren, lag vor allem eine extreme Müdigkeit. Weit nach vorne gebeugt schoben die beiden den schweren Laufwagen mit dem schweren Block. Als der Block gesägt war, kam der nächste an die Reihe, so lange, bis es kein abgelängtes Holz mehr zum Sägen gab. An ihren Gesichtern konnte ich sehen, wie mühevoll diese Arbeit für sie war. Wenig später erfuhr ich, dass sie jeden Tag zehn Stunden dasselbe machten.

Wir arbeiten bis Mittag. Um zwölf Uhr versammeln wir uns mit unseren Henkelmännern in den Händen um den Ofen, der immer noch nicht heizt. Keine Möglichkeit, unser Essen aufzuwärmen. Pressurot wünscht uns einen guten Appetit und geht zum Mittagessen nach Hause. Sobald er draußen ist, fieberhafte Aktivität. Bibi holt Tannenbretter, die seit letztem Sommer lagern und schön trocken sind. Er schaltet die Kreissäge an, sägt das Holz in kleine Stücke und schmeißt sie in den Ofen, der langsam zu heizen beginnt. Das ist zwar Diebstahl, aber wenn wir es wenigstens für eine Stunde warm haben wollen, dann bleibt uns keine andere Wahl. Pressurot erlaubt uns nur, junges Pappelholz zu verbrennen. Doch das brennt nicht, und für die Arbeiter gibt es kein Brennholz. Es gibt also nur Feuer, wenn Pressurot nicht da ist. Diejenigen, die nah am Ofen arbeiten, haben es warm. Mir hat man leider gesagt: »Du bist jung, da hat man noch warmes Blut. Mir war mit achtzehn nie kalt« und mich an den Werktisch gestellt, der am weitesten vom Ofen entfernt liegt. Zwischen zwei Türen, den ganzen Tag im eiskalten Luftzug. Wer schon einmal in einem Sägewerk war, weiß, dass oft Wind und Regen durch Ritzen oder fehlende Bretter dringen. Es geht nicht darum, die Arbeiter vor Wind und Wetter zu schützen. Es geht um die Sägebank, das gesägte Holz, die zusammengebauten Kisten, kurz: um die Produktion.

Nach zweimal fünf Stunden Arbeit am selben Fleck sind meine Füße so steifgefroren, dass es sich anfühlt, als hätte ich Holzklötze in den Socken. Meine Hände gehorchen mir nicht mehr. Trotzdem arbeite ich, so schnell es geht, ich will zeigen, dass ich nicht ungeschickter bin als andere. Deshalb haue ich mir auf die Finger. In der Kälte tut das entsetzlich weh.

Zum ersten Mal in meinem Leben friere ich am ganzen Körper. Ich zittere, überall, doch ich konzentriere mich voll und ganz auf meine Aufgabe. Erst später, wenn ich die Arbeit gewohnt bin, werde ich die Kälte bewusst wahrnehmen und meine Gefühle analysieren können.

Mein erster Tag geht bald zu Ende. Um halb fünf kam die Dunkelheit und mit ihr der Nebel. Die Beleuchtung ist angeschaltet. Um sechs Uhr fünfunddreißig erscheint der Chef mit einem Buch in der Hand. »Wie viele Kisten hast du, Junge?« »Dreiundzwanzig.« »Alle Achtung, das ist gut. Du schlägst dich wie ein Löwe. Gefällt es dir?« Kraftlos sage ich Ja. Dabei wäre jetzt der Moment … Er geht durch die Halle und notiert die Arbeit der anderen Kistenbauer.

Plötzlich schlägt eine Uhr halb sieben. Augenblicklich sind die kleineren Maschinen ausgeschaltet, eine Minute später auch die Bandsäge. Große Stille. Wortlos räumt jeder seinen Arbeitsplatz auf. Alles ist trostlos und eisig. Pressurot sagt etwas Dummes wie: »Nicht sehr warm, oder? Und bei so einem Wetter muss man auch noch arbeiten.« Die Arbeiter gehen nacheinander hinaus, entweder wortlos oder sie grummeln noch kurz: »Schönen Feierabend noch …«

Es ist seltsam. Ich habe den Eindruck, als würden sich die Arbeiter nicht leiden können. Es wird drei Monate dauern, bis ich die Geschichten aus dem Sägewerk durchblicke. Es sind keine schönen Geschichten.

Mir ist dermaßen kalt, dass ich kaum auf mein Rad komme. Ich fahre gemeinsam mit Bibi und seiner Tochter. Er ist der Erste, der mir sagt, worauf es im Sägewerk ankommt: »Erstens: Halt immer die Klappe. Du hörst alles, du siehst alles, und du machst es wie ich: Du sagst nichts, kapiert? Den Typen, die mit uns arbeiten, kann man nicht trauen. Sie grinsen dir ins Gesicht und schwärzen dich hinter deinem Rücken beim Boss an. Pressurot ist ein Dreckskerl, hörst du? Wenn du irgendwann weißt, was ich über ihn weiß, und wenn du gesehen hast, was ich gesehen habe, dann wirst du mich verstehen. Außerdem ist er pleite. Deinen Lohn wird er dir nur scheibchenweise auszahlen. Vergiss nicht, was ich dir sage, Junge, ich bin wie ein Vater für die Arbeiter. Pressurot kann übrigens von Glück sagen, dass er mich hat. Niemand würde gerne die Arbeit machen, die ich da drin mache. Das ist ein Leben wie in der Strafkolonie. Und das seit drei Jahren mittlerweile. Außer mir hat noch niemand länger als ein Jahr durchgehalten. Seit ich da drin bin, habe ich zweihundert Kerle kommen und gehen sehen. Ah! Ich habe mich schön abgerackert, so eine gottverdammte Scheiße. Aber du wirst schon sehen, bist ja nicht blöd!«

In der Tat, ich sollte bald sehen.

Ich sollte sehen, dass Pressurot blank war, dass sich die Arbeiter gegenseitig das Leben zur Hölle machten und dass Bibi der König aller Arschlöcher war. König, das ist nicht übertrieben, ich habe noch nie jemanden gesehen, der so hinterhältig, so dumm, so großmäulig und so verlogen war wie er.

Später habe ich ihn drangekriegt, den Bibi, und zwar richtig. Es wird sich noch zeigen, wie.

Als er seine Ansprache beendet hat, erreichen wir Saint-Dyé, und ich flüchte mich schnell ins Haus. Ich sage Yvonne, dass ich ganz gut zurechtkomme, und wir reden ein wenig über Bibi. Yvonne hat sich umgehört, es sieht so aus, als dürfe man dem Kerl nicht über den Weg trauen. Anscheinend stiftet er Unfrieden, sobald er den Mund aufmacht. Langsam wird mir wieder warm, um acht Uhr gehe ich ins Bett. Mein Kopf und meine Füße schmerzen.