0014 Zwei Engel in geheimer Mission

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0014 Zwei Engel in geheimer Mission
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ANNEKATRIN WARNKE


Zwei Engel

in geheimer Mission

Roman


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 9783865065483

© 2013 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelgrafik: fotofolia

Satz: Brendow PrintMedien, Moers

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

www.brendow-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

DIE AKTEURE DES ­AGENTEN-DRAMAS

EIN HIMMLISCHER ­MONO-PROLOG

0014 - ZWEI ENGEL IN GEHEIMER MISSION


DIE AKTEURE DES
AGENTEN-DRAMAS

Hinter den Kulissen

Ernesto ist ein Engel, der Menschen nicht besonders mag. Seinen Spitznamen „Ernie“ findet er furchtbar.

Berthold ist seit Ewigkeiten Ernestos Partner bei Undercover-Einsätzen. Er nennt sich gerne „Bert“ und ist ein Engel, der Menschen ziemlich wunderbar findet.

Der Commander ist ein Oberengel und direkter Vorgesetzter von Ernie und Bert.

Angelina und Raphael sind zwei Schutzengel, die zurzeit Urlaub haben. Deshalb ist es ihnen oft langweilig.

Auf der Gemeindebühne

Pastor Michael ist 39 und ein liebevoller Gemeindehirte. Er ist freundlich und friedliebend. Konflikte mag er gar nicht.

Irene ist mit Michael verheiratet. Sie ist 35, leidet an ihrer Kinderlosigkeit und manchmal auch an ihrem Mann.

Walter ist 61 und gefühlt schon immer Ältester der Gemeinde. Er favorisiert einen autoritären Führungsstil.

Bärbel ist 60 und Walters Frau. Sie hat gelernt, dass der Mann in einer Ehe das Haupt ist. Die beiden haben zwei erwachsene Kinder.

Horst ist 53 und ebenfalls Ältester der Gemeinde. Er ist freundlich, fröhlich und kann keine Witze erzählen.

Rosie ist 49, Lehrerin und verheiratet mit Horst. Sie ist eine gute Seelsorgerin. Das Ehepaar hat keine Kinder.

Corinna ist 39 und noch nicht lange Älteste in der Gemeinde. Sie ist praktisch, geistreich und akut in Gefahr.

Jürgen ist 42, erfolgreich in der Werbebranche und Corinnas Mann. Die zwei haben drei Teenager.

Thomas ist Mitte 50, ein bisschen dröge und der Gemeinde­kassierer. Seine Kinder sind erwachsen, er ist schon Opa.

Scarlet ist ebenfalls Mitte 50 und die Ehefrau von Thomas. Sie ist sehr geschwätzig und geht den Leuten manchmal auf die Nerven.

Miriam ist 26, Jugendreferentin der Gemeinde und Single. Sie ist eine quirlige Person, außerdem sehr wahrheitsliebend. Diplomatie ist nicht ihre Stärke.

Rudi ist 78, Witwer und Gemeindeglied. Es lohnt sich, über das, was er zu sagen hat, nachzudenken.

Ewa ist 19, alleinstehend und Gemeindeglied. Sie ist eine angehende Studentin aus Kamerun und bringt frischen Wind in die Gemeinde.

Timo ist Anfang 30, Single und Gemeindeglied. Er ist neu bekehrt und hat eine faszinierende Ausstrahlung.

Thorsten ist Anfang 30, geschieden und Kantor in einer Kirchengemeinde. Er ist ein begabter Musiker und hat ein Herz für die Ökumene.

In Nebenrollen u. a.:

Die drei Kinder von Corinna und Jürgen, Walters Mutter, eine Haushälterin, ein Hausmeister, ein Bürgermeister, ein Traummann und Oma Gerke.


EIN HIMMLISCHER
­MONO-PROLOG

Zeitpunkt: Mitte November 2011

Es ist zum „Aus-der Haut-fahren“! Also, das würde ich jetzt jedenfalls tun, wenn ich eine Haut hätte. Aber Engel haben natürlich keine Haut. Wir sind Geistwesen. Obwohl – wir können zur Verkleidung in jede Art von Haut schlüpfen. Das konnte ja schon unser gefallener Fürst ganz am Anfang der leidigen Menschheitsgeschichte. Seine gruselige Performance als Schlange im Paradies hat uns erst mal darauf gebracht, dass wir Engel in der Lage sind, jede Gestalt anzunehmen, die wir wollen. Oder eher: sollen. Leider bedeutet das für einige von uns, dass wir immer mal wieder eine Zeit lang undercover als Mensch auf dieser Erde leben müssen. Weil der Schöpfer irgendeinen unerforschlichen Plan damit verfolgt.

Und gerade hat mein Telepath-Pieper signalisiert, dass ich mal wieder an der Reihe bin. Es ist übrigens richtig, dass wir Engel Tag und Nacht und ohne Pause für die Menschen im Einsatz sind. Aber natürlich nicht jeder einzelne Engel. Wir sind fast unendlich viele und haben ein gut funktionierendes Schichtsystem.

Nicht richtig ist es, dass Engel Gedanken lesen können. Wenn wir das könnten, wären wir ja fast allwissend. Sind wir aber nicht. Wir können nur dann in die Herzen der Menschen schauen, wenn die Chefs uns das erlauben. Warum sie das bei dem einen tun und beim anderen nicht, entzieht sich unserer Kenntnis.

Ich finde ja, dass mein letzter Einsatz noch nicht lange genug zurückliegt. Der war in einer amerikanischen Freikirche, nachdem ein Mensch namens John F. Kennedy ermordet worden war. Die politische Situation hatte einer der Gemeindeglieder zum Anlass genommen, sich als Prophet aufzuspielen. Er war ein übler Rassist und redete nur Müll. Leider verpackte er den so gut und überzeugend, dass mehr und mehr Mitglieder der Gemeinde ihm hinterherliefen. Dieser Einsatz hat mich echt Nerven gekostet! In meinem Telepath-Display sehe ich, dass inzwischen auf Erden das Jahr 2011 geschrieben wird. Meine Güte! Dann hatte ich ja bloß rund 50 Menschenjahre Urlaub! Ist ja wohl ’nen Witz! Jetzt geht der ganze Stress also wieder von vorne los! Für eine gewisse Zeit werde ich als Mensch verkleidet in irgendeiner Gemeinde leben müssen. Ziel bei so was ist immer, diese Gemeinde wieder allein auf den Schöpfer und seinen Sohn auszurichten. Also – wenn es nach mir ginge, würde ich den treulosen Tomaten nicht hinterherlaufen. Die sind es doch nicht wert, dass die Chefs sich so um sie bemühen. Aber mich fragt ja keiner.

Das Schlimmste ist, dass ich noch nicht mal alleine arbeiten kann. Die Chefs schicken uns immer als Zweierteam zum Einsatz. Aus irgendeinem, nicht nachvollziehbaren Grund habe ich seit ewiger Zeit Berthold als Partner. Dieser Kollege ist eine echte Nervensäge! Mit seiner guten Laune kann der einem jeden Spaß verderben! Und ich möchte überhaupt mal wissen, wer diesem Kerl seinen Namen verpasst hat. Berthold heißt so viel wie „Glänzender Herrscher“! Der Glanz dieses Engels geht gegen Null – abgesehen davon, dass er in Menschengestalt meistens von einem Ohr zum anderen strahlt, weil er so ’ne Art Dauergrinsen spazieren trägt. Der Anblick ist ziemlich widerwärtig. Herrschen tut er übrigens auch nicht. „Unsere Berufung ist es, den Menschen zu dienen“, sagt er immer, wenn ich der Meinung bin, wir müssten sie mal gewaltig erschrecken. Ohne Angst und Zittern ändern die sich doch nie!

Aber Berthold findet selbst für die unmöglichsten Exemplare noch Erklärungen und Entschuldigungen. Er will tatsächlich VERSTEHEN, warum sie sind, wie sie sind. Gräbt dann ihre Familiengeschichte aus und geht dabei zurück bis fast zur Sintflut. Oder er spürt sämtliche Verletzungen auf, die erklären könnten, warum einer ist, wie er ist. Und darüber hält er mir dann lange Vorträge und wirbt um Verständnis. Das ist so ermüdend!

Fast noch schlimmer sind Bertholds dämliche Scherze und seine Vorliebe fürs Fernsehen. Letztere hat er bei dem Einsatz nach Kennedys Tod entwickelt. Wann immer es seine Zeit zuließ, hing er vor der Glotze. Damals war er derjenige, der den menschlichen Part übernommen hatte, ich war als unsichtbare Stütze und Informant an seiner Seite. Bertholds Lieblingsserie war „Bezaubernde Jeannie“. Die ist genauso albern wie er: Ein Astronaut wird von einem kurvenreichen, weiblichen Dschinn tyrannisiert. Dieses Wesen nennt den NASA-Mann, der sie aus ihrer Flasche befreit hatte, zwar „Meister“, aber macht, was sie will. Mithilfe ihres Augenzwinkerns zaubert sie munter drauf los und bringt den Astronauten immer wieder in unmögliche Situationen. Berthold saß kichernd vor diesem Schwachsinn und war fast untröstlich, wenn er eine Folge verpassen musste. Lächerlich, das Ganze!

Leider steht er immer noch auf Film und Fernsehen! Einmal, während unserer Sabbatzeit, habe ich ihn besucht. Die Chefs möchten es nun mal, dass wir hin und wieder mit den Kollegen auch privaten Kontakt haben. Bertholds Apartment ist ein Albtraum! Es wird von einer Riesenleinwand und einem Ungetüm von Kuschelsofa beherrscht. Außerdem gibt es einen Cola-Automaten und eine Popcorn-Maschine. Bei meinem Besuch musste Berthold mir unbedingt eine Kindersendung vorführen, die er kürzlich entdeckt hatte – „Sesamstraße“ heißt der Quatsch. Zu den Hauptfiguren gehören zwei Puppen namens Ernie und Bert. Das sind zwei höchst unterschiedliche Charaktere – der eine geht dem anderen ziemlich auf den Keks. „Ist das nicht herrlich, Ernesto“, quietschte Berthold vergnügt, „die beiden da sind wie wir! Ernie und Bert! So werden wir uns jetzt nennen! Passt wie die Faust aufs Auge. Bloß, dass in der Sesamstraße Bert der Griesgram ist.“

 

Jetzt fing er auch noch an wie blöd zu kichern. „Ernie“, gackerte er, „versuch doch mal, ein bisschen wie Ernie zu werden – also locker und vergnügt!“ Natürlich habe ich mir verbeten, dass mein edler Name so albern verhunzt wird! „Ernie“ – wie furchtbar! Der Chef hat mich „Ernesto“ genannt, was „Ernst, Eifer, Kampf, Streit“ bedeutet. Der Name strahlt Würde aus und entspricht meiner Persönlichkeit. Aber natürlich hat Berthold sich nicht um meine Wünsche gekümmert. Als er mich das fünfte Mal „Ernie“ genannt hat, bin ich entrüstet davon geschwebt. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen.

Und nun geht der nervige Alltag mit Berthold also erneut los. Diesmal werde ich wieder die arme Socke sein, die auf unbestimmte Zeit als Mensch leben muss. In regelmäßigen Abständen werde ich eine telepathische Mail nach oben schicken müssen, die meine individuellen Begegnungen und Erfahrungen zusammenfasst. Berthold wird diese Berichte aus seiner Perspektive ergänzen. Er kann ja überall dort in dieser Gemeinde als unsichtbarer Beobachter sein, wo ich – die meiste Zeit gefangen in einem Körper – nicht sein kann. Außerdem bekommt er Einblick in die Gedanken vieler Menschen und hat Zugang zur himmlischen Datenbank, wo er jederzeit abrufen kann, was die Kollegen bereits über jemanden gesammelt haben. Nur wenn ich alleine bin und keine Gefahr besteht, dass jemand meine Wandlung mitbekommt, kann ich auch auf der Erde in den Geistwesen-Modus wechseln.

Alle unsere Nachrichten werden aufmerksam gelesen und wir bekommen entsprechende Anweisungen. Das Gesamtdossier wird dann später im himmlischen Archiv gelagert. Am Ende der Zeiten werden diese Bücher dann aufgeschlagen. Jeder Mensch wird sein Leben noch mal vor sich ablaufen sehen.

Es macht mich ja durchaus stolz, als Autor zu dieser umfangreichen Bibliothek beizutragen. Höchst ärgerlich finde ich es allerdings, den Ruhm mit einem Co-Autor teilen zu müssen! Zumal Berthold ein Händchen dafür hat, alle wunden Punkte, die ich entdecke – und das sind gewöhnlich zahlreiche! – irgendwie schönzureden. So kann man doch nicht arbeiten!

Zu allem Überfluss habe ich mit Berthold seit Jahrtausenden einen Deal. Der unsichtbare Beobachter darf den Treffpunkt bestimmen, an dem das Zweierteam zum ersten Mal den neuen Auftrag bespricht. Wenn ich zu entscheiden habe, treffen wir uns ausschließlich in einem himmlischen Konferenzraum. Der Abschied auf Zeit von hier oben fällt mir schon schwer genug! Da möchte ich die wunderbare Atmosphäre bis zum Schluss auskosten. Berthold dagegen findet die Erde spannend. Er ist eben völlig durchgeknallt! Er besteht grundsätzlich auf einen irdischen Treffpunkt und möchte, dass ich dabei schon mal übe, wieder einen Körper zu haben.

Seine schrägste Idee bisher hatte er vor etwa 3000 Jahren bei meinem Kurzeinsatz in einer Löwengrube. Da haben wir uns unbedingt in der Voliere im Festsaal des Königs Darius treffen müssen – als zwei Papageien! Weil wir bei solchen Begegnungen telepathisch miteinander kommunizieren, kriegt niemand unsere Gespräche mit. Aber solche Inszenierungen sind würdelos und überflüssig! Zumal diese Voliere damals direkt vis-à-vis der Showbühne stand. Die ganze Zeit hatten wir die erotischen Verrenkungen der halb nackten Tänzerinnen im Blick. Ich hasse so was, kann an menschlichen Körpern so gar nichts Anziehendes finden. Was einige meiner Kollegen am Anfang der Menschheitsgeschichte dazu trieb, mit Frauen Kinder zu zeugen, werde ich nie verstehen! Auch das ist bei Berthold natürlich anders. Deshalb ist er ja so auf diese unsägliche Jeannie abgefahren! Ich fürchte mich schon vor dem Szenario, das er sich für den neuen Auftrag ausgedacht hat!


HINTER DEN KULISSEN

T-Mail von Ernesto

Betreff: Bericht Teambesprechung /

Beschwerde über meinen Kollegen Berthold

(Auftrag 12298EB)

Datum: 03. Dezember 2011

Hochverehrter Erzengel,

es tut mir leid, aber ich muss gleich zu Beginn des neuen Auftrags eine Beschwerde loswerden. Ich bin ja nun schon eine Weile auf der Erde, um alles gut vorzubereiten. Die Zusammenarbeit mit Kollege Berthold ist wirklich eine Zumutung! Wie schon mehrmals, bitte ich auch diesmal inständig, meinem Wunsch nach einem neuen Partner nachzukommen. Berthold ist den Menschen einfach zu sehr zugetan! Seine Begeisterung für ihre Ideen und Erfindungen ließe mir den Dampf aus den Ohren kommen, wenn ich gerade welche hätte. Befinde mich aber derzeit im Geistwesen-Modus. Das muss einfach zwischendurch mal sein, wenn ich alleine bin.

Rate mal, was Berthold sich diesmal zum Planungstreffen unseres Einsatzes ausgedacht hat! Unser Einsatzort ist ja eine mittelgroße Gemeinde im Ruhrgebiet. Mein erstes öffentliches Erscheinen ist für Heiligabend geplant. Wenn das Planungstreffen schon unbedingt auf der Erde stattfinden muss, hätte es dafür genug gemütliche Orte gegeben. Aber nein! Der Kollege brauchte wieder das ganz große Kino! Er hat mich für einen neblig-feuchten Novemberabend auf den Kölner Dom bestellt. AUF den Dom, wohlgemerkt, nicht etwa IN den Dom. Und um sein Szenario perfekt zu machen, musste es natürlich ein Ort sein, der in Menschengestalt nicht zugänglich ist. Ich sollte auf dem Wasserspeier, der als „Schlappohrengreif“ bekannt ist, als Eule auf ihn warten. Er fand, die Gestalt einer Eule wäre perfekt unauffällig. Ja klar – eine Eule mitten in Köln ist ja überhaupt nichts Ungewöhnliches!

Aber gut! Leider war Berthold für das Planungstreffen dieses Auftrags der Bestimmer. Und so hockte ich also kurz vor Mitternacht, bei knapp über Null Grad, auf dem Schlappohrengreif vom Kölner Dom. Genosse Erzengel, du weißt, dass wir als Geistwesen keine Kälte spüren. Aber wenn wir einen Körper haben, spüren wir plötzlich alles Mögliche! Die feuchte Kälte kroch unter mein Gefieder und ich hätte laut mit den Zähnen geklappert, wenn ich welche gehabt hätte! Berthold war natürlich nicht pünktlich und ich hatte schon erwogen, einfach einen Abflug zu machen, da bemerkte ich plötzlich diese Maus zu Füßen des Schlappohrengreifs. Genosse, du weißt auch, dass wir Engel jedes Lebewesen achten und niemals eines einfach so töten würden. Aber es ist nun mal so, dass wir die Instinkte und Gefühle der Spezies empfinden, in die wir uns verwandelt haben. Diese kleine Maus also weckte den Jagdinstinkt der Eule in mir. Blitzschnell schlug ich zu und wollte sie gerade mit meinen Klauen ergreifen, da stellt sie sich auf die Hinterbeine, wird auf einmal ganz grün, ist plötzlich doppelt so groß wie ich, lässt ein mächtiges Wutgebrüll los und fletscht furchterregend ihre Zähne.

Ehrlich, Genosse Erzengel, hätte ich ein Herz, es hätte vor Schreck aufgehört zu schlagen! Dann hörte ich Bertholds nerviges Kichern in meinen Gedanken. Die grüne Monstermaus war verschwunden, stattdessen saß eine Eule auf dem Wasserspeier neben mir. Ich hätte schwören können, die hatte das dümmliche Grinsen meines Kollegen im Gesicht.

„So herrlich dämlich!“, gackerte es in meinem Kopf, „super, Ernie! Genau so habe ich mir den Effekt vorgestellt!“ Dann faselte Berthold irgendwas von einem relativ neuen Action-Film, den er in meiner zukünftigen Wohnung auf DVD gesehen habe. Unter den Helden sei auch der „Hulk“ gewesen, ein Mensch, der, immer wenn er zornig wird, zu einem riesigen grünen Monster mutiert. Es sei faszinierend, wie die Menschen in den letzten 50 Jahren ihre Filmtechnik perfektioniert hätten. Ob ich mir diesen Film mal mit ihm zusammen ansehen wolle? Und ob ich die menschliche Kreativität, die sich Bahn bricht, trotz der eingeschränkten Möglichkeiten, nicht auch großartig fände?

Nein! Das fand ich definitiv nicht. Und ich finde auch, die Chefetage sollte Berthold seine alberne Vorliebe nicht länger durchgehen lassen! Aber bestimmt wird auch diese Bitte um einen ernsthafteren Kollegen wieder nicht erhört.

Deshalb jetzt noch ein paar Fakten zur Auftragsabwicklung: Ich muss zugeben, trotz seiner engelunwürdigen Persönlichkeitsstörungen hat Berthold unser neues Projekt gut vorbereitet. Ich werde Mitte Dezember in eine Zweizimmerwohnung in der Nähe der Gemeinde einziehen, die mein neues Wirkungsfeld ist. Der derzeitige Mieter ging Anfang Dezember für ein Jahr ins Ausland. Berthold hat nun in Gestalt dieses jungen Mannes beim Vermieter die Erlaubnis erbeten, für einige Monate untervermieten zu dürfen. Jetzt muss ich mich demnächst nur noch in meiner menschlichen Rolle, die ihr mir zugewiesen habt, beim Vermieter anmelden. Dann haben wir einen fest definierten Ort in der irdischen Zeit, an dem ich Besuch empfangen oder einen Hauskreis einladen kann.

Apropos ... über „Hauskreise“, „Lobpreis“, „Gästegottesdienste“ und andere Entwicklungen während der letzten 50 Jahre in der christlichen Szene hat Berthold mich umfassend informiert. Dazu nur dies: Ich finde nicht, dass die Szene sich während meiner Sabbatzeit verbessert hat. Und ich frage mich ernsthaft, warum der Chef diesen modernen, verlorenen Schafen hinterherrennt. Berthold meint natürlich, eine ganze Reihe von denen wäre der Mühe wert. Warum nur muss ich ausgerechnet mit diesem stets positiv denkenden Genussengel zusammenarbeiten?

Bitte, setz dich doch für einen Partnerwechsel ein!

Es grüßt dich mit himmlischen Grüßen und großem Heimweh: Ernesto


SCHAUPLATZ GEMEINDE

T-Mail von Bert an den Planungsstab

Betreff: Erste Kontaktaufnahme des Kollegen Ernie mit dem Zielobjekt (Auftrag 12298EB)

Datum: 24. Dezember 2011

Endlich geht es los. Heute war Ernie zum ersten Mal in seiner Verkleidung in der Zielgemeinde. (Ich hatte einen spontanen Schutzengeleinsatz in der Nähe zu fliegen und muss mich hier ganz auf Ernies Bericht stützen.) Weil er den Übergang zwischen Ewigkeit und Zeit noch nicht ganz hingekriegt hat, war er viel zu früh da. Die Türen waren schon offen, aber er traf nur auf den Hausmeister. Dieser war noch überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung und klagte dem verfrühten Gast sein Leid: „Kommen Sie ruhig schon rein“, sagte er, „ich muss nur noch ein bisschen aufräumen. Sehen Sie diese beiden groß gewachsenen, verkrüppelten Pflanzen hier?“ Ernie nickte – was hätte er sonst tun sollen? Die beiden hässlichen Gewächse in ihren riesigen, altrosa Übertöpfen waren leider nicht zu übersehen. „Es ist ein Kreuz mit dieser Gemeinde“, fuhr der Hausmeister fort, „jedes zahlende Gemeindeglied hält das Gemeindehaus für sein Zuhause.“

„Aber das ist doch prima!“, entgegnete Ernie enthusiastisch. Er meint, der fröhliche Gesichtsausdruck, den er dabei machte, wäre erste Sahne gewesen. So viel Schauspielkunst traue ich dem ollen Griesgram aber gar nicht zu. Auf jeden Fall hat er wohl gesagt: „Die Menschen sollen sich hier doch zu Hause fühlen?“

„Sicher, sicher“, murmelte der Hausmeister, „aber hier fühlen sich die meisten zu sehr zu Hause. Alles, was sie in ihren eigenen vier Wänden nicht mehr gebrauchen können – weil es zu groß, zu hässlich oder einfach überflüssig geworden ist –, parken sie hier. Und fühlen sich dabei noch als edle Spender. Kommen Sie mal mit aufs Damenklo!“ Natürlich ging Ernie mit.

Im Damenklo fing er dann an, den Hausmeister zu verstehen. Auf einem Sims oberhalb der drei Waschbecken, vor dem Spiegel, standen drei äußerst hässliche, hundekopfgroße Porzellanfische. Und wir sprechen nicht von der Hundekopfgröße eines Zwergpudels, sondern von der einer Riesendogge. Die Objekte glänzten in Weiß und Hellblau mit aufgerissenen, pinken Fischmäulern. Durch den Spiegel schien ihre Anzahl dem Betrachter bedrohlich verdoppelt. Passend zu diesem schrecklichen Anblick war auf dem Rand des mittleren Waschbeckens ein Seifenspender in Form eines Tintenfisches platziert – in Grau mit dunkelblauem Kopf und ebensolchen Saugnäpfen.

 

„Verstehen Sie jetzt, was ich meine?“, fragte der Hausmeister. „Jede Abart ihres schlechten Geschmacks vermachen die Leute ungefragt dem Gemeindehaus. Immer vorausgesetzt, sie wollen den Plunder selbst nicht mehr haben und finden ihn zum Wegschmeißen zu schade. Andererseits nehmen sie aber auch alles von hier mit, was sie gebrauchen können. Kommen Sie mal mit in die Küche!“ Der Hausmeister geriet jetzt immer mehr in Rage, war aber gleichzeitig froh darüber, endlich mal jemanden gefunden zu haben, der sich seine Tiraden anhört. Energisch zog er Ernie hinter sich her. In der wirklich großzügigen, modernen Küche, die leider seit Monaten vergeblich auf Freiwillige zur Grundreinigung wartete, zog der Hausmeister eine Schublade auf. „Was sehen Sie?“, fragte er Ernie.

„Zwei verbogene Büroklammern und eine zerknickte Filtertüte“, antwortete dieser.

„Eben!“, erzürnte sich Herr Krause. „Eigentlich liegen hier Tesa-Film, Uhu, eine Haushaltsschere der oberen Preisklasse und andere nützliche Dinge. Aber weil jedes zahlende Mitglied denkt, das Gemeindehaus wäre sein Zuhause, entwendet hier jeder, was er gebrauchen kann. Vielleicht findet sich das Zeug irgendwann im Bastelsortiment des Kindergottesdienstes wieder. Oder das Deko-Team legt es dermaleinst zurück. Wahrscheinlicher ist aber, dass jemand alles mit nach Hause genommen hat. Weil er es da gut gebrauchen konnte – und meint, durch seine regelmäßigen Spenden Anteil an allem zu haben, was sich hier im Hause so befindet.“

Nach dieser, für seine Verhältnisse, langen Rede schwieg der gute Geist der Gemeinde erschöpft. Und auch Ernie wusste nichts mehr dazu zu sagen. Was für ein chaotischer Haufen, dachte er bloß. Hier fehlt ja jedes Gefühl für Anstand. Diese Sichtweise war nun so gar keine gute Startbedingung für sein Einleben in diese Gemeinde. Aber da er bei jedem Auftrag schlecht gelaunt und pessimistisch anfängt, ist es eigentlich nicht so wichtig, was Ernie zurzeit noch denkt. Am Ende wird er diese Gemeinde vielleicht doch noch lieb haben. Wunder geschehen!

T-Mail von Ernesto

Betreff: Erster Kontakt zum Zielobjekt

(Auftrag 12298EB)

Datum: 25. Dezember 2011

Sehr geehrter Erzengel!

Gestern an Heiligabend war ich nun das erste Mal im Gottesdienst unserer Zielgemeinde. Berthold schwebte dort die ganze Zeit unsichtbar herum – ohne dass ich ihm verraten hatte, in welche Rolle ich geschlüpft war. Bestimmt versucht er später wieder, alles schönzureden, was in dem Gottesdienst passiert ist. Das ist so was von anstrengend, wenn man einfach nur ein neutraler Beobachter im Blick auf die dunklen Seiten sein will! Im Gegensatz zu mir ist Berthold überhaupt nicht objektiv! Ich bitte darum, das beim Gesamtdossier gebührend zu berücksichtigen.

Heiligabend wurde dominiert von einem Krippenspiel. Ausgerechnet so was! Ich hasse diese dilettantischen Versuche unbegabter Kinder, das heilige Wunder nachzuspielen, das damals geschah! Als Berthold mich mit Videoszenen auf die christliche Gemeinde im dritten Jahrtausend nach Geburt des Juniorchefs vorbereitet hat, hat sich mir bei den meisten der dort dokumentierten Krippenspiele der Magen rumgedreht! Das ist ja vor allem eine Spielwiese für selbstverliebte Technikfreaks einer Gemeinde. In den letzten Jahren sind wohl besonders Nebelmaschinen sehr beliebt. Die bedauernswerten Darsteller von Maria und Josef müssen sich häufig mit ihrem schlecht zusammengebastelten Papp-Esel hustend und keuchend durch die Schwaden kämpfen. Und dann die grellen Blitze und Donnerhalle, mit denen der Verkündigungsengel gerne in Szene gesetzt wird! Bei dem beängstigenden Lärmgewitter hocken sämtliche Kleinkinder trotz des „Fürchtet euch nicht“ zitternd und jammernd unter ihrem Stuhl. Ja! Krippenspiele-Gucken gehört definitiv nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen auf dieser Erde!

Ich muss aber zugeben, dass dieses Krippenspiel gar nicht sooooo schlecht war. Unsere Zielgemeinde scheint ein Händchen für Theaterarbeit zu haben. Also – ich hätte die ganze Geschichte selbstverständlich besser inszeniert. Aber immerhin: Für eine Tesa-Film klauende Gemeinde war dieses Krippenspiel gar nicht mal so übel!

Zu Beginn trafen sich im Jahr 0012 drei Kids auf dem Markplatz von Nazareth. Sie unterhielten sich über ihren gleichaltrigen Kumpel Jesus, den Sohn von Familie Zimmermann. Also, ich finde, da hat sich mal jemand echt Gedanken gemacht! Nämlich darüber, dass der Sohn vom Chef zwischen seiner Geburt und seinem öffentlichen Auftreten mit 30 ja ein ganz normales Leben gelebt hat. Gerade auch als Kind. So mit Spielen, Freunden und aufgeschlagenen Knien. Über die Geheimnisse im Leben ihres Freundes Jesus haben die Kids sich dann Fragen gestellt. War er wirklich als Kleinkind in Ägypten? Und wieso steht in Marias Küche so ein reich verziertes Schatzkästchen? Die Zimmermanns sind doch arm wie Tempelmäuse! In Rahmenhandlungen wurde dann Licht in diese Fragen gebracht. Natürlich anhand der Weihnachtsgeschichte.

Gar nicht doof, das Ganze! Dass die Zielgemeinde zu relativ kurzweiligen, bisweilen überraschenden Krippenspielen in der Lage ist, lässt mich ja hoffen. Allerdings ist das auch nur den Fähigkeiten und dem Einsatz der Jugendreferentin zu verdanken. Das ist eine quirlige Person namens Miriam. Die hat das Krippenspiel nicht nur mit den Kindern und Jugendlichen eingeübt, sondern es auch selbst geschrieben. Sie scheint sehr kreativ zu sein. Was mir auch an ihr gefällt, ist ihr Herz für die gesamte Kirche Christi. So was ist ja nicht selbstverständlich. Viele Gemeinden schmoren am liebsten im eigenen Saft und sind nur darauf bedacht, die eigenen Mitgliederzahlen zu erhöhen. Miriam dagegen setzt auf die Idee „Christen gemeinsam für die Stadt“. Sie arbeitet eng mit den Jugendleitern von drei anderen Kirchen zusammen. Die veranstalten regelmäßig gemeinsame Jugendgottesdienste. Gerade arbeiten sie sogar an einem richtig großen Projekt: Sie wollen im Sommer ein selbst entwickeltes Musical mit christlicher Botschaft in der Stadthalle aufführen. Ich muss mich da in der nächsten Zeit noch mal schlauer machen. Vielleicht ist – dank Miriam – in dieser Gemeinde noch nicht Hopfen und Malz verloren.

Andererseits – der Pastor geht gar nicht! Michael heißt der Mann. Der hat die Begrüßung und den Segen heute gemacht und dabei ständig fröhlich gelächelt. Genosse Erzengel – was ist das denn für ein Weichei? Könnt ihr auf der Führungsetage nicht mal drauf achten, dass wenigstens die Gemeindespitzen mit kompetenten Menschen besetzt werden? Da reicht mir ein Blick, um zu wissen, dass der null Biss hat! Dem tanzen seine Schäfchen bestimmt auf der Nase rum! Lasst es euch gesagt sein: Menschenfreundlichkeit und ein fröhliches Gemüt reichen längst nicht, um Pastor zu sein! Wenn ihr wollt, dass sich in dieser Gemeinde was bewegt, dann müsst ihr mal einen richtig harten Hund hier einstellen! Pastor Michael ist da mit Sicherheit nicht der richtige Mann für. Hallo?! Könnt ihr da vielleicht mal von oben eingreifen? Und den Mann ersetzen? Ich bin sicher, das würde die Gemeinde enorm nach vorne bringen.

Mit herzlichen Grüßen: Dein Mitengel Ernesto

T-Mail von Bert an den Planungsstab

Betreff: Bericht über den Aufnahmegottesdienst der neuen Mitglieder sowie die Arbeitsweise von Pastor Michael (Auftrag 12298EB)

Datum: 05. März 2012

Persönliche Anmerkung: Lieber Commander Erzengel,

wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe, hat sich mein Kollege Ernie schon jetzt negativ über den Pastor unserer Zielgemeinde ausgelassen. Um einer einseitigen Berichterstattung entgegenzuwirken, folgt hier ein Bericht über den Aufnahmegottesdienst dreier neuer Mitglieder (ich habe das Gefühl, dass diese für unseren Einsatz hier noch eine wichtige Rolle spielen werden). Dieser gibt sicher einen sehr viel profunderen Einblick in Michaels Arbeitsweise, als die Verunglimpfungen meines verehrten Kollegen!

Im Gottesdienst am gestrigen Sonntag wurden drei neue Mitglieder in die Zielgemeinde aufgenommen. Ich muss sagen, Pastor Michael hat das sehr gut gemacht – Menschen der Gemeinde vorzustellen und für sie zu beten ist einfach eine seiner Stärken. Auch, dass die Predigt diesmal von einem Gemeindeältesten übernommen wurde, kam ihm zugute. Michael predigt nicht mehr gerne, seitdem er es sich verboten hat, das ehrlich und mit Leidenschaft zu tun. Die erste leidenschaftliche – und in seinen Augen grandiose – Predigt seines Lebens hatte ihn beinahe das Pastorenamt gekostet. Das ist fast 13 Jahre her, musst du wissen. Als Jungpastor mit 26 Jahren war er bereits einige Monate der Hirte einer kleinen, konservativen Gemeinde im Sauerland gewesen, als ihn ein Bibelwort ganz persönlich getroffen hatte: „Ihr hattet Böses im Sinn, aber Gott hat es gutgemacht“, so in etwa sagte Josef es zu seinen Brüdern, nachdem er sich ihnen als gemachter Mann in Ägypten präsentierte.

Um seiner damaligen Gemeinde diese Wahrheit zu demonstrieren, hatte er sich für eine Predigt mit Bildbetrachtung entschieden. Dafür hatte er das wohl bekannteste Werk des Fotokünstlers Andres Serrano ausgesucht. Auf den ersten Blick zeigt es nur Jesus am Kreuz als Mittelpunkt in einem Meer gelblich-brauner Farbe. Blasphemisch wirkt das Werk, wenn man weiß, wie es entstanden ist: Serrano hat ein billiges Plastikkruzifix in ein Einmachglas gesteckt, hineinuriniert, bis es voll war, und das Ganze dann fotografiert.

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